Gegenüber dem düsteren Bilde, welches das in bigottem Katholizismus erstarrte Spanien seit Jahrhunderten darbot, ehe es in jüngster Zeit dem Frühlingsodem evangelischer Wahrheit den Zugang gestattete, überraschen nicht wenig die schönen Fortschritte, welche einst die Sache der Reformation in diesem Lande machte, und zwar zu einer selbst in Deutschland für sie noch sehr kritischen Zeit. Nachdem schon vom Anfange des J. 1519 an lutherische Schriften zuerst in lateinischer und bald darauf in der Landessprache nach Spanien gebracht und hier mit lebhafter Theilnahme gelesen worden waren, stieg trotz der lauernden Wachsamkeit der Inquisition die Zahl der Evangelischgesinnten, unter denen namentlich auch viele durch Rang oder Gelehrsamkeit hervorragende Personen sich befanden, allmälig bis auf zweitausend, und in Städten wie Sevilla und Valladolid bildeten sich förmliche protestantische Gemeinden. Mit freudiger Bereitwilligkeit und mit der ganzen Tiefe und Kraft des spanischen Characters nahmen Personen jedes Standes und Geschlechtes die Lehren der Reformation auf, und nicht blos protestantische, sondern auch katholische Schriftsteller jener Zeit sprechen sich dahin aus, daß, wären die der Sache der Reformation in diesem Lande sich entgegenthürmenden äußeren Hindernisse auch nur theilweise und für kurze Zeit entfernt worden, die evangelische Lehre gleich einem Lauffeuer durch ganz Spanien geflogen und eine Flamme aufgelodert sein würde, vor welcher die geistliche und weltliche Gewalt hätte ohnmächtig zurückweichen müssen. Allein eine solche Zeit, wo die Gemeinde im Frieden sich hätte bauen können, kam nicht: nur mit den größten Schwierigkeiten und Gefahren, unter dem Schleier des tiefsten Geheimnisses konnten die Freunde der lutherischen Lehre einander ihre Ansichten mittheilen und ihre Zusammenkünfte halten, und als im J. 1557 die Aufsehen erregende Flucht einiger für ihre Sicherheit besorgter Protestanten aus dem Lande zu Nachforschungen und Entdeckungen führte, erhob sich der in seinem Innersten bedrohte Katholizismus mit aller ihm zu Gebote stehenden Gewalt gegen die aufblühende Gemeinde, für welche der Schlag, den ein Philipp II. und ein Paul IV. mittelst der Höllenmaschine der Inquisition auf sie führte, kein anderer als ein vernichtender sein konnte. So wird denn die durch beinahe 40 Jahre sich hindurchziehende Geschichte der Ausbreitung der Reformation in Spanien auf einmal zur blutigen Märtyrergeschichte, und wir sehen in den feuchten Kerkern der Inquisition, in den schwarz verhängten Verhörsälen, in den Folterkammern mit ihren teuflischen Marterwerkzeugen und in den Flammen des Scheiterhaufens eine nicht geringe Anzahl edler Männer und Frauen mit hochherziger Hingebung für die heilige Sache der evangelischen Wahrheit leiden und sterben. Zu diesen Wahrheitszeugen, welche ihren evangelischen Glauben theils mit dem Tode, theils mit anderen schweren Strafen büßen mußten, gehörten auch fünf Geschwister aus der angesehenen, durchaus protestantischen Familie Cazalla. Ihre Eltern waren Pedro Cazalla, Präsident der königlichen Rechnungskammer, und Eleonora de Vibero, welche der Landessitte gemäß diesen ihren Familiennamen auch nach geschlossener Ehe beibehielt. Der nach Begabung und Einfluß Bedeutendste unter diesen fünf Geschwistern war Dr. Augustin Cazalla. Im J. 1510 geboren, erhielt er in einem Alter von siebzehn Jahren Bartholomäus Carranza zum Beichtvater, der, nachdem er unter den Kirchenvätern zu Trident gesessen war, Erzbischof von Toledo wurde, kurz darauf aber wegen seiner Hinneigung zur lutherischen Lehre der Inquisition in die Hände fiel und nach achtzehnjähriger Untersuchung und Haft hochbetagt im Gefängnisse starb. Nachdem Augustin Cazalla das Collegium San Gregorio in Valladolid besucht hatte, vollendete er seine Studien in Alcala de Henares, wo er bis zum J. 1536 blieb, und bekam dann ein Canonicat zu Salamanca. Seine Talente in Verbindung mit dem Einflusse seines Vaters eröffneten ihm die Aussicht auf eine glänzende kirchliche Laufbahn. Für einen der vorzüglichsten Prediger Spaniens geltend, wurde er im J. 1545 zum Kaplan und Almosenier Kaiser Karls V. ernannt und begleitete diesen im folgenden Jahre nach Deutschland, wo er die Lutheraner in Predigten und Privatdisputationen bekämpfte. Hiebei ging es ihm aber wie manchen andern Gottesgelehrten seines Vaterlandes, welche die deutsche und englische Ketzerei an Ort und Stelle widerlegen sollten: im Lichte der Schrift, womit er von den Vertheidigern der evangelischen Lehre seinen bisherigen Glauben beleuchtet sah, erkannte er die Haltlosigkeit desselben, und bei seinem offenen Wahrheitssinn konnte es nicht fehlen, daß er die Ansichten seiner Gegner allmälig zu seinen eigenen machte.
Mit dieser veränderten religiösen Ueberzeugung kehrte Augustin Cazalla im J. 1552 aus Deutschland nach Salamanca zurück, von wo aus er einen Briefwechsel mit den Evangelischen in Sevilla unterhielt. Drei Jahre später ließ er sich in Balladolid, wohin ihn dann und wann sein Amt als königlicher Kaplan führte, von Domingo de Roxas, dem noch jungen, aber eifrigen und muthvollen Seelsorger der dortigen evangelischen Gemeinde, bewegen, seinen Wohnsitz in dieser Stadt aufzuschlagen. Noch immer galt er jedoch für einen Beschützer des katholischen Glaubens und wurde über die wichtigsten kirchlichen Fragen zu Rathe gezogen. Auch predigte er vor Karl V. noch mehrere Male, nachdem sich dieser im J. 1557 in das Kloster St. Juste zurückgezogen hatte, wo zugleich die verwittwete Königin Johanna von Portugal, Regentin Spaniens während der Abwesenheit ihres Bruders Philipp II., sowie andere Glieder der königlichen Familie ihn hörten. Ungeachtet der Vorsicht, welche er bei diesen Vorträgen beobachtete, wurden seine wahren Ansichten von den Sachverständigeren unter denen, die bei Hof erschienen, durchschaut; aber sie mochten einem Mann von so hohem Ansehen nicht das Brandmal der Ketzerei aufdrücken, besonders da sie annehmen zu dürfen glaubten, daß er sich wohl hüten würde, in Wort oder That die von der Sorge für seine Sicherheit ihm vorgezeichnete Grenzlinie zu überschreiten. Doch hierin irrten sie sich. Nach Dr. Cazalla’s Niederlassung in Valladolid wurde das Haus seiner Mutter der gewöhnliche gottesdienstliche Versammlungsort der dortigen evangelischen Gemeinde, zu welcher der größte Theil seiner Verwandten gehörte, und er selbst gab den an ihn ergehenden dringenden Bitten nach und übernahm die geistliche Leitung derselben. Dieß verfehlte seine Wirkung nicht; denn waren schon durch Domingo de Roxas der Gemeinde viele neue Mitglieder zugeführt worden, so wuchs sie jetzt unter der Fürsorge eines so hochbegabten und angesehenen Mannes noch rascher an Zahl und Bedeutung. Selbst in die Klöster der Stadt drang der frische Hauch der evangelischen Lehre ein, und in der Umgegend verbreitete sie sich nach allen Richtungen.
So standen die Sachen, als in Folge der oben erwähnten Flucht einiger Protestanten und der dadurch hervorgerufenen Nachforschungen und Entdeckungen der längst gefürchtete Verfolgungssturm über die Evangelischen in Spanien losbrach. Nachdem die verschiedenen im Königreiche vertheilten Inquisitionstribunale in aller Stille die nöthigen Vorbereitungen getroffen hatten, bemächtigte man sich im Anfange des J. 1558 durch ein gleichzeitiges Vorgehen plötzlich einer großen Anzahl Evangelischer im ganzen Lande. In Sevilla und der Nachbarschaft wurden an einem einzigen Tage 200 Personen verhaftet, und in Folge der Verhöre stieg die Zahl derselben bald auf 800. Zu Valladolid wurden 80 Personen festgenommen, unter ihnen auch Augustin Cazalla. Das hohe Ansehen, worin er stand, machte ihn für die Inquisition natürlich zu einem Gegenstande besonderer Aufmerksamkeit, und sie unterwarfen ihn während seiner Haft häufigen Verhören, um ihm Aussagen zu entlocken, welche die gegen ihn und seine Mitgefangenen vorgebrachten Anklagen bestätigen sollten. Aber erst, als er am 4. März 1559 in die Folterkammer geführt wurde, versprach er, ein Geständniß, und zwar ein schriftliches, abzulegen, worin er sich denn als Lutheraner bekannte, zugleich jedoch gegen die Beschuldigung sich verwahrte, daß er auch Andere als Solche, die schon vorher der lutherischen Lehre zugethan gewesen, darin unterrichtet habe. Diese Erklärung genügte vollkommen den Wünschen der Inquisitoren, welche entschlossen waren, ihn sein angebliches Verbrechen mit dem Tode büßen zu lassen, ihn aber noch in Ungewißheit über sein Schicksal erhielten, um ihn zu ferneren Geständnissen zu bewegen. Erst am Abend vor dem Autodafe, bei welchem er den Tod erleiden sollte, ließen sie ihm durch einen Hieronymitenmönch, Namens Antonio de Carrera, das über ihn gefällte Urtheil ankündigen. Als Cazalla, dem dieses unerwartet kam, nicht ohne große Bestürzung fragte, ob er nicht auf Verwandlung der Todesstrafe hoffen dürfe, antwortete ihm der Mönch, nur wenn er Alles, was er von sich selbst und von Anderen bisher verheimlicht habe, offen bekenne, werde man vielleicht Mitleid mit seiner Lage haben. „Nun denn“, versetzte Cazalla, „so muß ich mich bereiten, in der Gnade Gottes zu sterben; denn es ist mir unmöglich, ohne Lüge dem, was ich gesagt habe, etwas beizufügen.“ Hierauf sprach er sich selbst Muth zum Sterben ein und beichtete dem Mönche mehrere Male in dieser Nacht und am nächsten Morgen.
Das erste öffentliche Protestanten-Autodafé in Spanien, bei welchem Augustin Cazalla mit seinen vier Geschwistern und 25 anderen Gefangenen ausgestellt wurde, fand am 21. Mai 1559, dem Trinitatissonntage, auf dem großen Marktplatze zu Valladolid in Gegenwart des muthmaßlichen Thronerben Don Carlos, seiner Tante Johanna und einer unermeßlichen, aus Personen aller Stände und Geschlechter gemischten Menschenmenge Statt. Wiewohl das Schauspiel von 6 Uhr Morgens bis 2 Uhr Nachmittags dauerte, gab doch das Volk während dieser ganzen Zeit kein Zeichen von Ungeduld, noch entfernte sich die Königin Johanna früher, als bis Alles vorüber war. Nachdem Bischof Cano eine Rede gehalten hatte, deren Inhalt sich leicht denken läßt, verlas der Schreiber des Inquisitionstribunals die Strafurtheile von 16 sogenannten Bußfertigen, welchen das Leben geschenkt wurde. Unter diesen war eine Schwester Cazalla’s, Donna Constanza de Vibero Cazalla, Wittwe des Notars Hernand Ortiz, welche zum Verluste ihres Vermögens und zu lebenslänglicher Gefängnißstrafe mit beständigem Tragen des Sanbenito’s oder Bußkleides verurtheilt wurde. Als Augustin sie vorübergehen sah, sagte er, auf sie deutend, zu der Königin: „Ich beschwöre Eure Hoheit, erbarmet Euch dieser Unglücklichen, welche dreizehn Waisen hat!“ Zu derselben Strafe wie Donna Constanza wurde auch einer ihrer Brüder, Juan de Vibero Cazalla, mit seiner Gattin Donna Silva de Ribera verurtheilt.
Jetzt wurden die Todesurtheile der 14 übrigen Gefangenen verlesen und sodann diejenigen derselben, welche dem geistlichen Stande angehörten, unter ihnen Augustin und sein Bruder Francisco de Vibero Cazalla, öffentlich ihrer Würde entsetzt, indem man sie Stück für Stück ihrer priesterlichen Gewänder und Auszeichnungen entkleidete, und zwar in einer Weise, welche ganz darauf berechnet war, sie in den Augen der abergläubischen Zuschauer zu Gegenständen der Schmach und des Fluches zu machen. Hierauf wurden sämmtliche dem Tode Geweihte von den geistlichen Richtern den weltlichen übergeben und, nachdem man die Bußfertigen in ihre Gefängnisse zurückgebracht hatte, auf den Richtplatz außerhalb der Stadt abgeführt. Hier ließ sich Augustin Cazalla, nachdem der sonst so hochachtbare Mann schon im Gefängnisse Anwandlungen tiefer Niedergeschlagenheit und Muthlosigkeit gehabt hatte, von einigen Mönchen bewegen, an seine Mitverurtheilten eine kurze Ansprache im Tone eines Bußfertigen zu richten, namentlich auch an einen seiner ehemaligen Schüler, den Rechtsgelehrten Antonio Herezuelo, welcher aber den unerwarteten Zuspruch, da er wegen des Knebels in seinem Munde nicht reden konnte, mit einem Blicke zurückwies, der Cazalla verstummen machte. Diese Schwäche erwirkte dem Letzteren die armselige Gunst, vor der Verbrennung erdrosselt zu werden. Dasselbe geschah mit eilf anderen Personen, unter denen sich auch eine Schwester Cazalla’s, Donna Beatrix de Vibero Cazalla, befand. Diese hatte auf der Folter Alles gestanden und um die Wiederaufnahme in den Schooß der Kirche gebeten; sie konnte aber nur zwei Stimmen gegen zehn erlangen, und als man sich an den Rath der Oberinquisition wandte, entschied dieser für die genannte Art der Hinrichtung.
Mit bewundernswürdigem Heldenmuthe starb ein Bruder Augustins, Francisco de Vibero Cazalla, Ortsgeistlicher von Hormigos, welcher außer Antonio Herezuelo der Einzige war, der an diesem Tage lebendig verbrannt wurde. Kein Zeichen von Schwäche, keine Geneigtheit zum Widerrufe war an ihm zu bemerken. Weil er mit großer Standhaftigkeit auf dem offenen Bekenntnisse seines Glaubens beharrte, preßte man ihm die Zunge zwischen ein gespaltenes Holz, und als er, schon auf dem Scheiterhaufen stehend, seinen Bruder Augustin jene Ansprache halten hörte, drückte er, da er nicht reden konnte, seine Trauer darüber durch eine ausdrucksvolle Bewegung mit den Händen aus, worauf er ohne Beben den Flammentod erduldete.
Doch das Auftreten sämmtlicher fünf Geschwister Cazalla bei diesem Autodafé war dem Inquisitionstribunale nicht genügend, – auch noch ihre ehrwürdige Mutter wurde aus dem Grabe geholt, um ihrerseits zur Verherrlichung dieses „Glaubensactes“ beizutragen. Donna Eleonora de Vibero war nämlich einige Jahre vorher gestorben und, unberührt vom Verdachte der Ketzerei, in einer ihr zugehörigen Begräbnißcapelle beerdigt worden. Aber aus Veranlassung der Verhaftung ihrer Kinder leitete der Fiscal der Inquisition zu Valladolid einen Prozeß gegen die Verstorbene ein, und da Zeugen auf der Folter bekannten, daß ihr Haus den Lutheranern als gottesdienstlicher Versammlungsort gedient habe, so wurde sie für eine in der Ketzerei Gestorbene, ihr Name für ehrlos, ihr Vermögen für confiscirt erklärt und mit diesem Urtheilsspruche der Befehl verbunden, ihre Leiche auszugraben und im Sarge, nebst ihrem mit einem Flammensanbenito((Der Sanbenito der zum Feuertode Verurtheilten war mit Flammen übermalt.)) und einer Ketzermütze angethanen hölzernen Standbilde, zu verbrennen, ihr Haus zu schleifen, den Boden, auf dem es stand, mit Salz zu bestreuen und daselbst eine Denksäule mit einer angemessenen Inschrift zu errichten. Alles wurde pünktlich vollzogen, und dieses Monument des Fanatismus und der Barbarei selbst gegen die Todten blieb nicht weniger als dritthalb Jahrhunderte lang stehen, bis es endlich im J. 1809 während der Occupation Spaniens durch die Franzosen, entfernt wurde.
Gustav Plieninger in Stuttgart.