Martin Luther

Martin Luther

Martin Luther, dem an Höhe und Energie des Geistes und Charakters keiner seiner Zeitgenossen gleich kam, war zu Eisleben 1483 geboren und in bürgerlicher Zucht und Thüringer Waldluft aufgewachsen. Tiefe deutsche Gemüthskraft, sittlicher Ernst und Lust zum energischen Handeln waren die hervorstechendsten Züge dieser mächtigen Natur.

Seine erste Bildung erhielt Luther in den Schulen zu Magdeburg und Eisenach, wo er sich grösstentheils selbst durchhelfen musste, denn sein Vater war ein armer Bergmann. Von der Eisenacher Schule ging er nach Erfurt, welches damals blühte als die glänzendste und lebhafteste Stätte der. Humanisten; nur Heidelberg durfte sich mit Erfurt messen. Luther’s Vater hätte aus ihm gern einen Juristen gehabt, ihn aber zogen die ernsten philosophischen Studien an, insbesondere die geiststählende Schule des wahren, nicht des mönchisch entstellten Aristoteles. Im zweiundzwanzigsten Jahre hielt er über dessen Philosophie als Magister Vorlesungen, und zahlreiche Freunde begrüssten in seiner jungen und originellen Kraft eine ragende Säule der Wissenschaft. Da wollte es Gott, dass auf einem Spaziergange im Gewitter plötzlich der Blitz den Freund an Luther’s Seite erschlug. Der Schlag hatte in seine Seele getroffen, bebend glaubte er nirgends mehr Rettung für sein ewiges Heil, als in der Busse und Stille der Klosterzelle. Hier rang er zwei Jahre hindurch in furchtbarer Geistesqual, in grimmigen Studien, in harten Kasteiungen und niedrigen Diensten, – doch wie er auch rang und litt und arbeitete, die dumpfe Angst wich nicht Von seiner Seele. Endlich in seiner trüben Nacht leuchtete ihm der Gedanke auf: ach Alles, Alles was der Mensch thut und wirkt, es hebt ja kaum ein sichtbar Stäubchen, es ist ein reines Nichts gegen die furchtbare Majestät, gegen die unergründliche Barmherzigkeit Gottes, der erschienen ist in Christus, – ach nur glauben an ihn! Der tiefe starke Glaube allein kann die Seligkeit verbürgen, nicht können es all die guten Werke. – Und in dieser seiner Erkenntniss richtete er sich wieder auf und wurde wieder ein heller thatkräftiger Mensch.

Sein Ordensvorsteher Staupitz, der dem jungen Mönch in seinen Seelenkämpfen öfter tröstend zugesprochen, empfahl ihn zu einer Professur auf der Hochschule zu Wittenberg, welche der regierende Kurfürst Friedrich der Weise gegründet hatte. Im Augustinerkloster, auf dem Katheder, auf der Kanzel und im Beichtstuhle, – denn er hatte inzwischen die Priesterweihe genommen, – entfaltete nun der fünfundzwanzigjährige Luther eine frische männliche Thätigkeit, die ihn ausfüllte. Im Jahre 1511 wurde er in Angelegenheiten seines Ordens auch nach Rom geschickt und kehrte zurück, wie fast alle Deutsche, voll Widerwillens gegen die frivole Weltlichkeit der römischen Curie. Im nächsten Jahre erhielt er die theologische Doktorwürde. Fünf Jahre später Hess ihm die Empörung über Tetzel’s Ablasshandel keine Buhe mehr, er schlug seine 95 Streitsätze an die Wittenberger Schlosskirche an, des Inhalts: nichts als wahre Busse erwirke Sündenvergebung. Das zündete in ganz Deutschland, denn überall waren die Gemüther erbittert über den Missbrauch des Heiligen. Eine Kette von Schriften und Disputationen folgte für und wider, alle Welt nahm Partei.

Luther fühlte sich anfangs durchaus als Priester seiner Kirche. Er war nach Rom vorgeladen, auf Verwendung des Kurfürsten aber kam er nur in’s Verhör vor dem Nuntius Cajetanus in Augsburg. Als dieser ihm nach kurzer Disputation zu widerrufen befahl, flüchtete Luther heimlich und hinterliess eine Appellationsschrift an den besser zu unterrichtenden Pabst. Als der zweite päbstliche Abgeordnete Miltiz. ihm freundlich zusprach, versprach er still zu schweigen, wenn seine Gegner still schwiegen, und erklärte öffentlich und in einem Briefe nach Rom, dass er niemals den päbstlichen Primat habe anfechten wollen. Hatte er es als Professor und Geistlicher schon vorher nicht ruhig hingenommen, als er von Tetzel und Andern auf das Bitterste angegriffen wurde, so wollte er auch nicht ausweichen, als der Tüchtigste seiner Feinde, sein College Eck von Ingolstadt, ihn zu einer öffentlichen Disputation herausforderte. Diese fand zu Leipzig statt unter grossem Aufsehen. Eck, ein höchst gewandter Kämpe, trieb Luther in die Enge: Luther leugnete zuletzt die göttliche Einsetzung des Pabstthums, ja sogar die Unfehlbarkeit der Concilien.

Nun verfasste Eck ein Buch gegen Luther und eilte nach Rom. Luther aber studirte leidenschaftlich Alles, was jemals gegen die Hierarchie geschrieben war, Alles das sammelte sich jetzt in diesem einen gewaltigen und aufgebrachten Manne. Von einem Satze wurde er zum andern weiter getrieben. Eck kam zurück und verkündete des Pabstes Bulle, dass Luther’s irrgläubige Schriften zum Feuer verdammt, er selbst gebannt sei, wenn er nicht binnen sechzig Tagen widerrufe. Luther aber fühlte sich hochgetragen auf den Fluthen der öffentlichen Meinung: nur in wenigen Städten gehorchte man dem päbstlichen Befehl. Da erliess er die beiden Schriften: „An den christlichen Adel deutscher Nation“ und „Von der babylonischen Gefangenschaft und christlichen Freiheit.“ Er rief die ganze Nation zu seinem Beistande auf, die Naturkraft seiner Beredtsamkeit, sein lodernder Zorn ergriff die Menschen. Jetzt wagte er den entscheidenden Schritt. An der Spitze der Studenten warf er am 10. Dezember 1520 vor dem Elsterthor zu Wittenberg des Pabstes Bannbulle auf den Scheiterhaufen und wohlbedacht das canonische Recht ebenfalls. Damit war die Lossagung von Rom geschehen.

Es folgten nun die bekannten Ereignisse. Luther auf den Reichstag nach Worms vorgeladen, erklärt vor Kaiser und Reich: „Hier stehe ich, ich kann nicht anders, Gott helfe mir! Amen.“ Er wird mit seinen Anhängern vom Kaiser geächtet. Sein Fürst lässt ihn zur Rettung auf die Wartburg bringen. Dort denkt er die praktische Einrichtung der neuen Gemeinden durch, schleudert neue Schriften gegen das Pabstthum in die empörte Welt, und arbeitet vor allem eifrig, dass er sein grosses Rüstzeug, die Bibel, dem deutschen Volke in dessen eigener Sprache in die Hände gebe. Um gegen Karlstadt und die Wiedertäufer zu predigen, kehrt er nach Wittenberg zurück. Er wüthet gegen die Erhebung der Bauern, welche allen Ernstes meinen, man müsse nicht bloss die evangelische Lehre herstellen, sondern auch die altgermanische Freiheit vom Schmutze der Jahrhunderte säubern. Im Verein mit dem hochgebildeten Melanchthon, mit Bugenhagen, Jonas und andern Freunden vollendet Luther seine Bibelübersetzung, verfasst seine Katechismen und prüft das Kirchenvisitationsbüchlein. Während damit die Lehre und Einrichtung der lutherischen Gemeinde ausgearbeitet wird, und die Deformation sich rasch über weite Landstriche ausbreitet, führt Luther seit seiner Heirath mit Katharina von Bora, einer früheren Nonne, ein einfaches glückliches Familienleben. Es folgt die Augsburger Confession, der Abendmahlsstreit, das Verweigern der Einigung mit Zwingli, das Hintertreiben der Einigung mit der alten Kirche und damit die gründliche Zerstörung des Friedens in Deutschland. Als der schmalkaldische Krieg im Anzüge, stirbt Luther, von körperlichen Leiden lange heimgesucht, am 13. Dezember 1545.

Durch seine Reden und Schriften, durch seine Kirchenlieder, vor allem durch seine Bibelübersetzung, – welche zwar nicht die erste in deutscher Sprache war, gewiss aber die schönste und kräftigste – ist Luther der grösste deutsche Sprachbildner geworden. Seit ihm giebt es eine allgemein verbreitete neuhochdeutsche Prosa, in welcher Etwas von Luther’s Geist und Natur fortlebt.

Historische und biographische Erläuterungen zu
Wilhelm von Kaulbach's
Zeitalter der Reformation
von Franz Löher
Stuttgart
Verlag von Friedrich Bruckmann
1863