Caspar Cruciger

Caspar Cruciger

1. Heimath und Jugend.

Der Mann, dessen Leben wir in Folgendem zu zeichnen versuchen, wurde von einem Zeitgenossen der zweite Luther genannt, wie auch neuerdings dieser Titel ihm wiederholt zuerkannt wurde. Derselbe ist mehr als in einer Beziehung unstatthaft. Es ist das Vorrecht der Heroen unseres Geschlechts, daß sie einzig in ihrer Art sind. Wie im Organismus des Staats mit jeder höheren Stufe die Zahl der gleichberechtigten Würdenträger abnimmt, bis auf dem obersten Gipfel nur Einer thront, so auch im Reiche der Geister: aus der zahllosen Menge der Vertreter der Mittelmäßigkeit erheben sich immer Wenigere zu den Höhen der Menschheit; je höher hinan, desto mehr verliert sich das Rennen und Laufen, Drücken und Drängen der Nebenbuhler und Eifersüchtigen; nicht es jenen Häuptern zuvor oder gleich zu thun, sondern ihnen nach dem verliehenen Maß der Kräfte nachzufolgen ist der Ehrgeiz derer, welche sich über die Grenze der Mittelmäßigkeit emporringen. Seit den Tagen der Reformation bis auf die unsrigen ist es keinem Vernünftigen in den Sinn gekommen, sich Luthern ebenbürtig an die Seite stellen zu wollen; kein weltlicher Fürst nimmt so unbestritten die erste Stellung unter Seinesgleichen ein, wie Luther im ganzen Gebiet der nach ihm sich nennenden christlichen Kirche. Der Name zweiter Luther wäre aber nicht minder als gegen Luther auch ein Unrecht gegen Cruciger, wenn man etwa damit die Vorstellung verbinden wollte, als hätte sich dieser in sklavischer Nachahmung des Reformators gefallen und wäre als der Schatten neben dem Körper hergegangen. Cruciger erkannte und schätzte an Luthern, was groß an ihm war, zu sehr, um in Nachäffung der Zufälligkeiten und Aeußerlichkeiten des großen Mannes sich lächerlich zu machen. Fehlte ihm das Zeug zu einem zweiten Luther, so fehlte ihm doch nicht die Kraft der Unterordnung unter den Stärkern, der Muth, mit Wahrung seiner Selbständigkeit und Eigenheit in dessen Fußstapfen zu treten, die freudige Begeisterung und hochherzige Liebe, die sich glücklich schätzt, des Größeren Genosse und Mitarbeiter zu sein. Wir schildern das Bild eines treuen und reichbegabten Gehilfen des Werkes der Reformation, des Mannes, den Luther hoch ehrte, wenn er von ihm die Hoffnung hegte, derselbe würde nach seinem Tode die Stütze der evangelischen Kirche werden, der aber vermöge seiner natürlichen Begabung wie dem Gang seiner Studien mit Melanchthon viel mehr Berührungspunkte als mit Luthern hatte.

Der Familienname Creuziger wurde auch Creutzinger gesprochen und geschrieben; wahrscheinlich stammte er aus dem Lateinischen und lautete ursprünglich Cruciger, d. i. Kreuzträger. Der Name gab zu manchem sinnigen Wortspiele Anlaß; als Caspar im November 1522 nach Leipzig zurückgekehrt war, nannte ihn Melanchthon scherzweise einen Crucifugus oder Kreuzflüchtigen; als später der Apostel Leipzigs den dortigen Papisten mit dem zweischneidigen Schnürt des Wortes den Krieg erklärte, nannte ihn Luther den Crucifixor oder Kreuziger. Caspar selbst nannte sich in seinen Schriften meist Cruciger, und sein Leben zeigt, daß er den Namen mit Recht geführt hat und ein rechter Kreuzträger gewesen ist.

Die Cruciger waren ein altes aus Mähren stammendes Geschlecht, das von da nach Böhmen eingewandert war und in diesem Lande hohe Würden und Ehren genossen hatte. Schon hundert Jahre vor Johann Hus soll ein Geistlicher Johann Cruciger gegen die Autorität des römischen Pabstes geschrieben, dessen spätere Seitenverwandte die Partei Hussens ergriffen und in Folge des Hussitenkrieges Böhmen verlassen haben, um sich in Leipzig anzusiedeln. Von ihnen stammte Georg Creuziger ab, ein geachteter, nicht unbemittelter Bürger Leipzigs, der Vater unseres Caspar, den ihm seine Gattin in der ersten Morgenstunde des ersten Januars 1504 gebar. Seiner frommen und verständigen Mutter gedenkt der Sohn noch in späteren Jahren mit der größten Dankbarkeit: sie habe ihn zu anhaltendem Fleiß und Eifer in seiner Verstandesbildung angefeuert und ihm schon frühzeitig eine tiefe Liebe zu ächter Frömmigkeit eingeflößt. Auch in dem Vater hatte sich die alte Familientradition der Hussiten nicht verwischt: der Haß gegen Roms Tyrannei und der Muth, um der Wahrheit willen zu leiden. Ein Zeugniß davon legte er im Jahr 1524 ab: unter den 105 Bürgern, welche an den Rath der Stadt Leipzig das Gesuch richteten, daß M. Andreas Franke, Camitianus, der das reine Evangelium in der engen Capelle des Nonnenklosters zu St. Georg vor dem Petersthor predigte, an eine geräumigere Stadtkirche berufen werden möchte, befand sich auch Georg Cruciger. Mit dankbarer Liebe blieb Caspar stets dem Elternhause und der Vaterstadt zugethan; oft sagte er zu seinen Freunden: „Leipzig ist eine Stadt, wo Künste und Wissenschaften blühen, wo ausgezeichnete Gelehrte in großer Menge sich aufhalten und studirende Jünglinge reiche Nahrung für ihren Geist finden können.“

Caspar war als Kind schwächlich, still und in sich gekehrt, ging fortwährend wie ein Träumender umher, sprach wenig und erschien im Kreis seiner lebhaften Spielgenossen nicht selten geistesabwesend. Schon besorgten die Eltern, es mangle ihrem Knaben an Geist und Gaben; um aber nichts an ihm zu versäumen, machten sie einen Versuch und übergaben den siebenjährigen Sohn dem Unterricht des trefflichen Georg Helt aus Forchheim in Baiern (gewöhnlich Forchhemius genannt). Dieser besaß ein seltenes Lehrtalent und die Kunst, die schlummernden Geisteskräfte zu wecken, dabei war sein sittlicher Wandel ernst und streng; mit Eifer wandte er sich später dem von Wittenberg aufgehenden Lichte zu. Seine Schüler gewesen zu sein rühmten sich ein Joachim Camerarius und der fromme Fürst Georg von Anhalt. Unter diesem Lehrer machte Kaspar so rasche Fortschritte in Grammatik, Dialektik und Arithmetik, daß seine Eltern sich gern von Helt bestimmen ließen, den frühreifen zwölfjährigen Knaben die wissenschaftliche Laufbahn betreten zu lassen und auf die Universität ihres Wohnortes zu schicken. Die neu erwachten classischen Studien hatten auf ihr einen ebenso edlen als gelehrten Vertreter an Caspar Börner, welcher sofort an dem jungen strebsamen Cruciger ein besonderes Wohlgefallen fand und in seiner neidlosen Anspruchslosigkeit ihn veranlaßte, die berühmten Vorlesungen des gefeierten, im Jahr 1515 als Professor der griechischen Sprache von Herzog Georg nach Leipzig berufenen Engländers Richard Crok zu besuchen. Dieser war der erste Lehrer der griechischen Sprache an der Leipziger Hochschule, auf welcher bisher das Wort des Erasmus Anwendung gefunden hatte: In meiner Jugend lag auf unserem Deutschland eine so dichte Finsterniß, daß man den sogar für einen Ketzer hielt, der die griechische Sprache verstand! Leider verließ Crok schon im Jahr 1517 Leipzig wieder, um in sein Vaterland zurückzukehren; aber der Einfluß seiner für das Studium der griechischen Sprache und Literatur begeisternden Vorträge war ein nachhaltiger, um so mehr, als bald nachher die erledigte Stelle durch Börners umsichtige Fürsorge mit Berufung des Petrus Mosellanus (Schad, gebürtig von Perteg bei Coblenz an der Mosel) trefflich wieder besetzt ward. Ihm empfahl Börner den jungen Cruciger in besondere Pflege, und bald entspann sich zwischen Lehrer und Schüler ein überaus inniges und herzliches Freundschaftsverhältniß. Mosellanus, selbst erst ein junger Mann von 24 Jahren, erkannte ganz den edlen sinnigen Caspar mit seinen hohen Anlagen und seinem reichen Gemüthsleben; rasch führte er ihn in der Kenntniß des Alterthums vorwärts; er liebte ihn wie einen Sohn und rühmte seine Anlagen wie seinen Fleiß und Wandel der gesammten Universität. Der erste uns erhaltene Brief Crucigers zeugt, wie dankbar dieser an seinem Meister hinaufschaute. Er schreibt am 9. Juli 1518 an M. Stephan Roth in Zwickau: „Mosellanus, mein treuer Lehrer, hat von allen Seiten Angriffe zu erfahren; auf jede Weise macht man ihm Schwierigkeiten und möchte ihm am liebsten seine Vorlesungen verbieten, obgleich er sich solche Erbärmlichkeiten wenig anfechten läßt. Mit unverdrossenem Fleiß hat er sein Buch über die Kenntniß der verschiedenen Sprachen vollendet, über welches mir dem geringen Anfänger natürlich kein Urtheil zusteht. Doch weiß ich, daß aus dieser Werkstätte nur eine kunstreiche und geschmackvolle Arbeit hervorgehen kann. Dieser Mann liegt den Wissenschaften mit solchem Eifer ob, daß er keinen Tag vorübergehen läßt, ohne wenigstens einige Zeilen auf das Papier zu bringen.“ Auch Roth, an den dieses Schreiben gerichtet, war drei Jahre lang der Privatlehrer Crucigers in den alten Sprachen gewesen, und der Lehrer ehrte seinen Schüler, indem er demselben im Jahr 1517 seine erste theologische Schrift über das Staurostichon des Picus de Mirandola widmete. Unter solchen Lehrern entfalteten sich die im in sich gekehrten Knaben verschlossenen Anlagen immer reicher; Joachim Camerarius sagt von seinem Mitschüler, Cruciger sei zwar damals scheinbar weniger geweckt gewesen als seine Commilitonen, habe aber mehr gelernt als sie alle: „Schon als Knabe verrieth er eine solche Geisteskraft, daß er ungemein schnell sich aneignete, was wir Andern nur mit großer Mühe erlernten. Alles ging ihm spielend ein, während wir alle unsere Kräfte anstrengen mußten.“ Im Jahr 1519 war der junge Cruciger Zeuge der Leipziger Disputation zwischen Luther und Eck, und nach der Geistesrichtung, welche ihm durch die Erziehung seiner Eltern und die Bildung seiner Lehrer eingeflößt wurde, läßt sich erwarten, mit welcher Sehnsucht und Begeisterung sich das edle Herz des nach Wahrheit dürstenden Jünglings dem neuen Tag des Evangeliums zuwandte. Welch ein greller Widerspruch zwischen der Anbetung im Geist und in der Wahrheit, welcher Luther sein flammendes Wort redete, und dem religiösen Leben, das in der Stadt herrschte, welche den mehr als zweifelhaften Ruhm hat, des Ablaßpredigers Tetzel Geburtsstätte zu seyn! Es lohnt sich wohl, einen Blick zu werfen auf die religiös-sittlichen Zustände der Stadt, in welcher Crucigers Kindheit und erste Jugend dahinfloß; man wird es dann begreiflich finden, warum der sonst so sanftmüthige und friedliebende Mann nie ohne ein Ergrimmen im Geiste vor den übertünchten Gräbern der römischen Kirche stehen konnte.

Die Stadt Leipzig war mit Klöstern aller Art reichlich gesegnet; außer dem reichen Stift der regulirten Chorherrn zu St. Thomas hatten Dominicaner, Franziscaner, Benedictinerinnen, Beghinen und Bernhardiner in der Stadt ihre Herberge, Sammelplätze der Trägheit und aller Laster. Groß war die Macht und der Einfluß der Mönche auf die Bewohner der Stadt. Diese wurden unter dem Titel der Religion ausgesogen und geplündert, und den Verarmten nicht einmal das Evangelium gepredigt. Ehe Leipzig den Weltmarkt hatte, hatte es den Ablaßkram. Als im Jahr 1503 der päbstliche Legat Raymund in Leipzig eintraf, um durch Ertheilung des Ablasses die Stadt zu brandschatzen, bewillkommte ihn die Universität als „einen Engel des Friedens, einen zweiten Gott auf Erden;“ kein Wunder, wenn jener Abt zu Neuhaus sagte: „Wenn Luther nicht kommen wäre, wir hätten die Leute überreden wollen, daß sie vor Heiligkeit Heu gefressen hätten!“ Der Bischof zu Merseburg durfte 1512 mit päbstlicher Erlaubniß den Verkauf der s.g. Butterbriefe öffentlich bekannt machen: gegen Erlegung eines Groschen wurde durch einen Zettel die Erlaubniß ertheilt, während der Fastenzeit Butter, Eier, Käse und Milchspeisen zu genießen; wage man aber solchen Genuß ohne diese Sportel, so habe man sich zeitlicher und ewiger Strafen zu gewärtigen! Auf seine Vaterstadt hatte es Tetzel ganz besonders mit seinem Kram abgesehen, und das Sprichwort erfüllte sich an ihm nicht, daß kein Prophet in seinem Vaterlande angenehm sei. Freilich kam er auch nicht als Prophet, sondern als Schauspieler, Comödiant, Taschenspieler und Taschendieb! Als er 1516 abermals Leipzig heimsuchte, ging man ihm in Procession mit Fahnen und Kerzen entgegen, alle Glocken wurden geläutet, alle Orgeln geschlagen, die päbstliche Bulle ward auf einem Sammetkissen dem glänzenden Zuge vorgetragen! Und was bot die Kirche dem armen Volk für alle diese Plünderungen? Spiele zum Zeitvertreib! Die christlichen Feste wurden zu Spektakeltagen entweiht. Den Anfang der Weihnachtsfreuden machte das St. Nicolausfest mit argen Vermummungen, Gelagen, Tänzen und einem oft zu blutigen Händeln ausartenden Muthwillen. Dann folgte ein eigentliches Narrenfest mit einem Narrenbischof, bei welchem selbst jungen Priestern allerlei Unziemlichkeiten nachgesehen wurden. Hören wir vollends die Schilderung der Feier der stillen Woche: „Allemal am Palmsonntage pflegte man eine Maschine in der Gestalt eines Esels (der Palmesel genannt) und darauf reitenden Menschen aus Holz gebildet, aus der Thomaskirche aus den öffentlichen Markt zu führen, dabei dann Jung und Alt haufenweise zulief, und die Pfaffen solchem Bilde mit Zuweisung vieler Zweige von Weidenbäumen Ehre bezeigeten. Hiernächst wurde die Erfüllung jener Weissagung aus dem Propheten Zacharia: Schlage den Hirten, so wird sich die Heerde zerstreuen, solcher Gestalt fürgestellt: Der Vornehmste unter den Meßpfaffen nahm ein Rohr und schlug damit unter die andern, welche sich dann hinter einem zu dem Ende aufgezogenen Vorhang verbargen und gleichsam unsichtbar wurden. Wann dieser sinnreiche Aufzug auch vorbei war, so wurde das ganze Leiden Christi nach allen Actibus von Anfang bis zu Ende fürgestellt und diese Tragödie wohl zwei oder drei Tage wiederholt, bis man letztlich in den Kirchen ein Trauergerüste für den todten Leichnam aufrichtete und ihn darein begrub, da denn während solchen Leichenbegräbnisses alle Glocken in der ganzen Stadt still schwiegen, hingegen die Sänger Tag und Nacht Davidische Psalmen als Sterbelieder um das Grab herum absingen mußten. Des folgenden Tags, ehe der Himmel grauete, kamen die Jungen aus allen Häusern hervor, hatten Klappern und Schellen, durchstrichen alle Kirchen und Straßen und schrieen mit vollen Hälsen einen dem Verräther Judä zum Spott gemachten Gesang her, bis es wieder begann Nacht zu werden. Den letzten Abend in der Fasten richteten die Bürger etwas besser zu als die vorige Zeit über, sie buken Kuchen, kocheten Schinken, geräuchert und eingesalzen Fleisch, sotten Eier u. dgl., doch wäre es eine große Sünde gewesen, wo sie sich eher daran vergriffen hätten, als es ihnen die Pfaffen gesegnet. Denn es pflegten deren jedesmal zwei durch die Bürgerhäuser zu laufen und die Speisen erst mit Weihwasser zu besprengen, nur um dadurch etwas von Geld oder von Victualien an sich zu bringen. Die Osternacht brachte man meist in der Kirche mit allerhand Devotionen zu; nach deren Erledigung kam ein Pfaffe in Gestalt des auferstandenen Heilandes an die Kirchthüren, schlug mit einem Kreuz ganz ungestüm an dieselbigen und verlangte eingelassen zu werden. Worauf sich in der Kirche ein gräßliches Geschrei und Geheul erhob, gleich als ob es die Hölle und in derselben lauter Teufel wären, welche sich vor der Ankunft Christi, als der nunmehr ihr Reich zerstören würde, also fürchteten, bis endlich unter solchem Tumult die Kirchthüre aufging, und der eindringende Siegesfürst etliche von den Pforten verjagte, etliche aber in Fesseln schlug, welche dann gräßlich schrien, dahingegen die aus der Höllen Gewalt erlösten Seelen ihrem im weißen Kleide prangenden und auffahrenden Erlöser mit Freuden nachfolgten.“ Mit ähnlichem Possenspiel wurden auch die andern Feste gefeiert. Am Himmelfahrtstag ließ man ein geschnitztes Bild in der Kirche in die Höhe fahren, das, während es oben verschwand, allerlei Eßwaaren und kleine Geschenke unter das aufschauende Volk warf. Die Kirche war zur Schaubühne, der Gottesdienst zu den geschmacklosesten Possenspielen herabgesunken, und das Alles war geschehen in einer Universitätsstadt. Freilich waren auch die Professoren der Theologie nicht besser als die Mönche; in elenden Sophistereien und scholastischem Gezänke verzehrten sie Zeit, Kraft und Ehre, so daß von ihnen um diese Zeit gesagt wurde: Wer einen leipziger Professor der Theologie sehe, der gewahre auf einmal sieben Todsünden! Herzog Georg selbst nannte seine Leipziger Professoren nichtswürdige, aufgeblasene Leute und sagte in Bezug auf das Klosterleben: „Ist der Prälat ein Prasser und Buhler, so lernens die Brüder auch, denn man spricht: Wie der Prälat Würfel aufleget, da spielen die Brüder. Es sehen die Brüder die Hurerei von den Prälaten, sie thun es hienach; davon kömmts, daß zuletzt Prälaten mit ihren Huren und Concubinen weglaufen, nehmen mit sich was nicht gehen will und führens hinweg wie wissentlich.“ Und dennoch erachtete es der sonst gutmüthige und die Wissenschaften liebende Fürst für seine wichtigste Regentenpflicht, mit Feuer und Schwert gegen die Anhänger Luthers in seinem Lande zu wüthen und seine Unterthanen auf jede nur mögliche Weise von der Ansteckung des benachbarten Wittenberg abzusperren. Da brach im Sommer des Jahres 1521 in Leipzig die Pest aus und raffte viele Opfer hinweg. Viele, die sich aus der Stickluft Leipzigs hinweg sehnten, darunter auch Crucigers Eltern mit ihrem Sohne, benützten diesen Vorwand, um sich ohne Aufsehen nach Wittenberg, das auch für den Geist frischere Luft bot, zu flüchten. Wer hätte damals ahnen mögen, daß Wittenberg, die Zufluchtsstätte in der Noth, die bleibende Heimath des jungen Crucigers werden, daß der siebenzehnjährige schlichte Bürgersohn nach achtzehn Jahren als der Reformator der Stadt und Universität Leipzig zurückkehren sollte!

Unter dem Rectorate des Grafen von Stolberg-Werningerode inscribirte „Caspar Creutzinger Lipizen. Merssburg. dioc.“ mit 159 andern Jünglingen, darunter dem Rudolph Ratzenberger, Nicolaus Medler, Veit Dieterich und dem Sohn des Nürnberger Rathschreibers Spengler. Luther zwar war anfänglich auf der Wartburg abwesend, aber er hatte an Melanchthon „den gelehrten Streiter“ die Pflege der Jugend übertragen, und dieser gewann den jungen Caspar bald sehr lieb. Derselbe galt unter seinen Commilitonen bald als ein Muster rastlosen Fleißes und edler Sittlichkeit: „Niemand vermochte im Umgang mit ihm auch nur die leiseste Spur von Anmaßung, Uebermuth, Verstellung und Wandelbarkeit in seinen Grundsätzen zu entdecken; er war vielmehr von Natur bieder, arglos, bescheiden, nachgiebig, der Wahrheit ganz zugethan, keusch und gottesfürchtig. Dieses rühmliche Zeugniß gaben ihm Alle, die seinen Charakter kannten und zu würdigen verstanden“ Sein Studium wandte sich von jetzt an zumeist der Theologie und den beiden Grundsprachen der heiligen Schrift, dem Griechischen und Hebräischen zu. So sehr sich der denkende Jüngling von dem, was man in Leipzig Theologie zu nennen pflegte, abgestoßen fühlen mußte, so sehr zog ihn die Wittenbergische Gottesgelehrsamkeit an. Melanchthon berichtet, Crucigers ganzes Streben sei von nun an darauf gerichtet gewesen, „das Wort Gottes recht zu verstehen und üben zu lernen, um später der Kirche zu dienen. Denn diesem Ziel galt sein Fleiß und sein ganzes Leben unter der Führung Gottes, der ihn gleichsam Schritt für Schritt dem Platz entgegenführte, auf welchem er der Kirche den größten Nutzen bringen konnte. In Wittenberg erlernte er außer der lateinischen und griechischen auch die hebräische Sprache und erwarb sich in allen eine solche Vertrautheit, als ob sie seine Muttersprache wären. Mit Eifer hörte er die Lehre der Kirche, verglich die abweichenden Meinungen des ganzen Alterthums und suchte die wahren Quellen aller christlichen Erkenntniß auf.“ Unter Melanchthons Leitung setzte er seine Studien in der griechischen Sprache fort; das Hebräische docirte erst Johann Böschenstein, ein getaufter Jude, aber ohne Geist und Methode; nach seiner heimlichen Entweichung aus Wittenberg sah sich Melanchthon genöthigt, seine Lehrtätigkeit auch auf diese Sprache auszudehnen und den Psalter im Grundtexte zu erklären. Neben diesen Studien war der wißbegierige Jüngling eifrig bemüht, sich eine allgemeine Bildung anzueignen, und fühlte sich namentlich zu den Naturwissenschaften hingezogen, denn auch in der Natur sah er ein aufgeschlagenes Buch Gottes, und der Theologe sehnte sich darnach, den Gott, dessen Ehre die Himmel erzählen und dessen Werke die Feste verkündiget, in seinen Schöpfungen zu sehen und anzubeten. Er erinnerte dabei, so oft sich Gelegenheit dazu bot, sowohl Andere als auch sich selbst an das apostolische Wort (Apost. Gesch. 17,27.): „Daß sie den Herrn suchen sollten, ob sie doch ihn fühlen und finden möchten, und zwar er ist nicht ferne von einem Jeglichen unter uns.“ Voll Begeisterung sprach er: „Fürwahr, ich schaue den allwaltenden Gott in der Natur: denn er läßt ganz ebenso wie ein irdischer Künstler, wenn überhaupt eine Vergleichung des Großen mit dem Kleinen gestattet ist, den einzelnen Theilen des Meisterstücks nach einem bestimmten und unabänderlichen Plan seinen kräftigen Beistand angedeihen und hat in jede Pflanze ein eigenthümliches Heil- und Schutzmittel gegen jede Art von Krankheit gelegt, welches nur noch in dieser Zeit den Augen der Forscher verborgen ist.“ Zumeist interessirte er sich für die Botanik; fleißig sammelte er Pflanzen aller Art, untersuchte genau ihre Bestandtheile und legte später außerhalb der Stadt zwei Gärten an, in denen er die seltensten Gewächse des In- und Auslandes mit großer Sorgfalt pflegte. Nach Anleitung des Hippocrates und Galenus forschte er insbesondere nach den Heilkräften der Pflanzen und drang in dieses Studium so tief ein, daß er in seinem späteren Leben des Oefteren selbst Arzneien bereitete und mischte, ihren Gebrauch gleich einem Arzt anordnete und ihre Wirkung mit ziemlicher Gewißheit vorausbestimmte. Mit gleichem Eifer setzte Cruciger in Wittenberg seine schon in Leipzig unter Börne’s Anleitung begonnenen mathematischen Studien fort; Erasmus Reinhold, sein späterer College, berichtet darüber Folgendes: „Ich habe die Aeußerungen seines Urtheilsvermögens genau beobachtet und seine unglaublichen Fortschritte in den mathematischen Wissenschaften wahrgenommen. Er besaß eine unglaubliche Lernbegierde, eine staunenswerthe Leichtigkeit im Auffassen des Gegebenen, eine seltene Schärfe der Urtheilskraft, große Ausdauer bei Anstrengungen und eine sonderliche Festigkeit des Willens, bei einmal angefangenen, nicht selten vielen Arbeiten auszuharren und sie mit geometrischer Pünktlichkeit zu Ende zu führen. Einen ungewöhnlichen Fleiß bethätigte er im Studium der Grundlehren der Geometrie von Euklid; denn sogar während des Mittags- und Abendessens hatte er dieses Werk neben sich auf dem Tisch liegen, um ja keine Zeit im Lesen zu verlieren.“ Mit großer Sorgfalt entwarf und zeichnete er die zu den geometrischen Beweisen erforderlichen Ziffern und Figuren. Er selbst bezeugt, von diesen Studien einen großen formalen Gewinn durch Gewöhnung seines Geistes an ein streng logisches Denken davon getragen zu haben, so daß sie ihm eine treffliche Vorschule der Philosophie und selbst der Theologie geworden seien. Auch die Astronomie blieb dem Kreis seiner Studien nicht fern, und zwar blieb er bei dem oberflächlichen Gerede von Astrologie, wie es damals gebräuchlich war, nicht stehen, sondern schlug in dieser Wissenschaft die mathematische Methode ein, um durch Rechnungen und Messungen zu dem gewünschten sicheren Ziele zu gelangen. Hierzu pflegte er sich anfänglich der astronomischen Tafeln von Alphons und Ptolemäus zu bedienen; da er aber bald ihre Abweichungen von einander und ihre beiderseitigen Ungenauigkeiten gewahr wurde, versuchte er in Gemeinschaft mit seinem Freund, dem Professor Reinhold, die Tafeln umzuändern und zu verbessern, indem er sogar an die Fertigung besserer astronomischer Instrumente, eines Triquetrum und eines großen Quadranten dachte, mit deren Hilfe er die geographische Breite seines Wohnorts Wittenberg maß und die Stellungen vieler Fixsterne beobachtete. Unbefriedigt von dem Ptolemäischen System, schloß er sich dem damals erst zur Geltung gelangenden Copernikanischen an, des neuen Lichtes sich freuend, welches dasselbe über das Verhältniß der Sonne zur Erde verbreitete.

So hatte sich Cruciger eine für die damalige Zeit sehr seltene, ebenso gründliche als vielseitige Bildung errungen, sein Universitätswissen war ein universelles Wissen, vor der Aufgeblasenheit und Zerfahrenheit des Vielwissens bewahrt durch die Einheit des Zieles, das er auf diesen verschiedenen Wegen unverwandt anstrebte, und mit dem er alle Disciplinen menschlichen Wissens zusammenfaßte – die Erkenntniß des wahren Gottes aus seinen Werken und aus seinem Wort. Der zwanzigjährige Cruciger war bereits in seinen Studien so weit gefördert, daß seine Lehrer daran dachten, den gereiften Jüngling aus der Lernschule in die Lehrschule zu schicken, damit er durch Lehren lerne. Luther und Melanchthon hätten die vielversprechende junge Kraft am liebsten für Wittenberg gewonnen, und Philippus schlug deßwegen in einem Schreiben vom December 1524 an Spalatin für die erledigte Lection Quintilians Crucigern vor; wiewohl derselbe schüchterner Art sei, hoffe er ihn doch zur Uebernahme dieser Vorlesung bewegen zu können. Allein die Sache zerschlug sich zu großem Bedauern Luthers, der in einem Brief vom 16. April 1525 dem Spalatin über diesen Verlust klagt, aber hinzusetzt: „Ich weiß, daß dich in dieser Angelegenheit keinerlei Schuld trifft; der Satan allein treibt sein Werk.“ Zu Anfang des Jahres 1525 hatte Cruciger einen Ruf nach Magdeburg als „Schulmeister“ oder Rector der dortigen Johannisschule erhalten und nach langen Bedenklichkeiten angenommen. In Magdeburg hatten sich die Bürger seit 1521 dem Evangelium zugewandt und 1524 war auf Luthers Empfehlung und auf Bitten des Raths Amsdorf dahin abgegangen, die Reformation durchzuführen. Amsdorf lag besonders auch die Hebung des Schulwesens am Herzen, und so wird wohl auch Crucigers Berufung auf seine Anregung erfolgt sein. Die Aufgabe, welche den neuen Schulmeister erwartete, war in der That keine leichte; denn nicht nur waren die evangelischen Kirchenverhältnisse Magdeburgs noch in keiner Weise geordnet und von Erzbischof Albert fortwährend bedroht, sondern insbesondere mußte die Abhängigkeit, in welcher das Johanneum vom Stift als oberaufsehender Behörde stand, viele Verwicklungen mit sich führen. Bisher war Magdeburgs Jugend theils von den Franciscanern und Hieronymiten, theils in mehreren kleinen Pfarrschulen unterrichtet worden. Die in diesen wirkenden Lehrer hatten mit dem Beginn der Reformation entweder Pfarr- oder Küsterstellen erhalten oder mit Aufgebung des Lehrberufs ein Handwerk ergriffen; zu den Mönchen mochten die Eltern ihre Kinder nicht mehr schicken: daher beschloß der Rath und die evangelische Geistlichkeit, alle Schulen in eine einzige zu verschmelzen und diese in die leer stehende Stephanscapelle auf dem Johanniskirchhof zu verlegen. Kurze Zeit hatten Georg Willich und Sebastian Werner diese Schule geleitet: als Ersterer zum Beisitzer des Schöppenstuhles und Letzterer zum Prediger an der St. Ulrichskirche erwählt worden war, erging der Ruf an Cruciger, welcher vor Allem die kaum gegründete Schule organisiren sollte. Er war der schwierigen Aufgabe gewachsen, um so mehr, als der erfahrene Melanchthon ihn in der Neugestaltung der städtischen Schulverhältnisse unterstützte und schon im Mai 1525 selbst nach Magdeburg reiste, um dem neuen Schulmeister mit Rath und That zur Seite zu stehen. Der Brief, welchen Melanchthon nach seiner Heimkehr von Wittenberg aus an Cruciger schrieb), zeigt, wie innig schon damals die Freundschaft beider Männer war: „Da ich, mein Caspar, seit der Zeit, wo ich dich hier kennen lernte, auf dem vertraulichsten Fuße mit dir lebte, kann ich es nicht unterlassen, auch dem Abwesenden ein Zeichen meiner Liebe und Ergebenheit zu senden. Nicht nur lebte ich hier mit dir in einer Weise zusammen, wie es sich mit dem besten Freunde ziemt, sondern du hast mich auch jüngst, als ich in Magdeburg war, mit so viel Wohlwollen, Herzlichkeit und Gastfreundschaft aufgenommen, daß ich es nicht umgehen darf, dir meinen großen Dank und meine aufrichtige Gegenliebe zu bezeugen. Lag mir doch nie etwas mehr am Herzen, als erstens mir die Gunst gelehrter Männer zu erwerben, und zweitens mit denselben, so gut möglich, in ein Freundschaftsverhältniß zu treten und dieses mit aller Treue zu erhalten. Darum hatte ich es auch auf dich abgesehen und suchte dir zu gefallen. Daß mir dieses gelungen, erfreut mich hoch. Nichts aber wünschte ich mir, als daß es uns möglich wäre zusammenzuleben, um unsere Studien, Gespräche, Spaziergänge und Erholungen mit einander zu theilen. Da du aber leider von mir getrennt wurdest, will ich wenigstens thun, was das Nächste ist, damit du merkest, daß ich deiner Liebe nicht ganz unwerth bin, und dir für deine vielen Dienstleistungen Dankbarkeit beweisen.“ Melanchthon verspricht, seinem Cruciger fleißig zu schreiben und bittet diesen um das Gleiche. Cruciger gab sich mit ungetheiltem Eifer seinem neuen Berufe hin und übertraf noch die hohen Erwartungen, welche die Wittenberger in ihn gesetzt hatten. Erwachsene, selbst Geistliche nahmen an seinem gründlichen und anregenden Unterricht Theil; da die Schülerzahl mehr und mehr im Steigen begriffen war, reichte bald der Raum im Johanneum für die Zuhörer nicht mehr aus, und die Schule mußte in das etwas geräumigere Augustinerkloster verlegt werden. Im Jahr 1527 brauchte Cruciger bereits einen weiteren Gehilfen und wandte sich deßwegen an Melanchthon. Dieser empfahl ihm den Wittenberger Grammatiker, der einige Uebung im Unterricht besitze und die Beschwerden des Unterrichts in den Anfangsgründen gern auf sich nehme; er könne auch singen, nur im Versemachen sei er nicht bewandert. Melanchthon rathet Crucigern, daß er gerade die Kunst des lateinischen Versemachens bei seinen Schülern mit besonderem Fleiß treibe, da nichts so sehr die Selbstthätigkeit der Schüler wecke; zugleich redet er einer Classeneintheilung das Wort, damit Grammatik und Rhetorik der Reihe nach ordentlich gelehrt würden. Neben seiner Lehrtätigkeit predigte Cruciger fast jeden Sonntag zweimal in der St. Stephanskirche, und die Klarheit und sanfte Wärme seiner Vorträge zog so viele Zuhörer an, daß die Kirche die Menge derselben kaum zu fassen vermochte. Doch sollte seine Wirksamkeit in Magdeburg nur drei Jahre währen; die Wittenberger Freunde sehnten sich nach seinem Umgang und seiner Unterstützung, und schon am 13. April 1528 kehrte er, zunächst auf Luthers Anlaß, nach Wittenberg zurück, um hier die bleibende Stätte seines Wirkens zu finden. An seine Stelle im Magdeburger Schulamt trat Georg Maior, und unter ihm kam die Schöpfung Crucigers in solchen Aufschwung, daß sie Luther „die Blüthe und Krone aller Schulen, in welcher sechshundert Knaben vorzüglich unterrichtet wurden“ nennen konnte.

2. Wirksamkeit in Wittenberg.

Es ist staunenswerth, mit welch geringen Mitteln die Wittenberger ihr großes Werk vollbrachten. Im Vergleich zu der großen Frequenz der Universität war die Zahl der Universitätsprofessoren eine sehr bescheidene; die theologische Facultät, zu welcher die Meisten aus der Nähe und Ferne zuströmten, war in ihrem Lehrpersonal am schwächsten vertreten; die theologischen Professoren trugen zugleich die Last und Bürde des Pfarr- und Predigtamtes; von allen Seiten wurden sie um Gutachten angegangen, sehr oft in Person in neu erstehende evangelische Gemeinden erfordert, daneben von ihrem Churfürsten auf Reichstage und zu zahllosen Gesprächen abgesandt; es gehörte zu den Ausnahmen, wenn die theologische Facultät zeitweise vollständig besetzt war; die zurückgebliebenen mußten für die abwesenden als Lückenbüßer (wie Luther selbst sich nannte) eintreten und oft Monate lang ein doppeltes Amt verwalten. Trotz dieser häufigen Störungen und Unterbrechungen angekündigter und schon begonnener Vorlesungen nahm die Zahl der herbeiströmenden Studenten nicht ab, sondern zu, angezogen nicht allein vom Namen eines Luther und Melanchthon, sondern auch vom Geist der Einheit und des Zusammenwirkens, welchen diese beiden Männer der ganzen Universität aufgedrückt hatten. Wenn irgend eine Universität, so war die Wittenberger zugleich eine Union, in welcher die einzelnen Facultäten oder gar die einzelnen Docenten nicht losgetrennt von einander für sich ihr Ziel verfolgten, sondern in lebendigem Gefühl der Zusammengehörigkeit zusammenwirkten. Besonders innig war das Wechselverhältniß der philosophischen und theologischen Facultät, die Lehrer beider ergänzten und ersetzten sich gegenseitig; nicht selten traten die Docenten der ersteren als Mitglieder der zweiten ein; man kannte noch nicht die streng abgegränzte Theilung der Arbeit; ein lebendiges Gemeingefühl durchdrang Lehrer und Schüler der Universität.

Als Cruciger nach Wittenberg zurückgerufen wurde, war eben die Universität von ihrem Asyl Jena, wohin sie sich im Jahr 1527 vor der Pest geflüchtet hatte, in die alten Wohnsitze zurückgekehrt; Bugenhagen war auf ein volles Jahr abwesend, um die Braunschweiger und Hamburger Kirche zu ordnen; seine Kanzel und sein academischer Lehrstuhl standen also verwaist, und Luther mußte trotz seiner anderweitigen Ueberbürdung das Pfarramt an der Pfarrkirche unterdessen verwalten und „Unterpfarrherr“ sein. Die Gewinnung einer neuen Arbeitskraft war dringend geboten, obschon keine Stelle erledigt und also auch keine Besoldung flüssig war. Wie es scheint (denn zuverlässige Nachrichten fehlen darüber) wurde Cruciger zunächst als Prediger an der Schloß- und Stiftskirche zu Allerheiligen und auch als Stellvertreter Bugenhagens an der Stadtkirche verwendet. Gleichzeitig erwählte ihn die philosophische Facultät zu ihrem Mitgliede, nachdem sie ihm schon früher, wahrscheinlich vor seinem Abzug nach Magdeburg, die Magisterwürde übertragen hatte. Cruciger trat zunächst in die Vorlesungen des aus der thüringischen Visitation abwesenden Melanchthon ein; als Mathesius im Sommer 1529 nach Wittenberg kam, erklärte er im Pädagogium den Terenz. Als Decan der philosophischen Facultät hielt er im Jahre 1530 seine erste academische Rede „von der rechten Ordnung im Lernen.“ Er vergleicht in derselben die Wissenschaften mit den Buchstaben, die Theologie mit den Vocalen, die Jurisprudenz und Medicin mit den Halbvocalen, die formalen Disciplinen mit den Consonanten. Wie nun die letzteren zur Vollständigkeit und zum Wohllaut der Sprache unentbehrlich seien, so sei auch wahre, gründliche Wissenschaftlichkeit ohne genaue Kenntniß der Grammatik, Dialektik und Philosophie undenkbar. Es sei daher sehr zu tadeln, wenn jetziger Zeit viele Theologen, Juristen und Mediciner wie Pilze aus der Erde wüchsen und von den niederen zu den höheren Wissenschaften forteilten, ohne jene zuvor tüchtig gelernt und einen festen Grund darin gelegt zu haben. Cruciger selbst wandte sich bald mit seinen Vorträgen von der classischen Literatur ab zu der Exegese der heiligen Schrift, alten und neuen Testaments, hier die Aufgabe erkennend, welche seiner eigenthümlichen Begabung am meisten entsprach. Schon im Jahr 1529 drückte Luther den Wunsch aus, Crucigern ganz in die verwaiste theologische Facultät herüberzuziehen, denn er selbst war krank, Bugenhagen in Holstein, Melanchthon in Speyer, Jonas auf der Visitation; zuvor aber sollte dem erst 26jährigen Docenten die Auszeichnung werden, für das Winterhalbjahr 1530 das Decanat der philosophischen Facultät unter schwierigen Verhältnissen mit Würde zu führen. Im Jahr 1533 bewarb er sich unter dem Rectorat des Jonas um Zulassung zur theologischen Licentiatur und ward bald darauf mit Bugenhagen in feierlichem Act, welchem Churfürst Johann Friedrich in eigener Person anwohnte, zum Doctor der Theologie promovirt. Von nun an sehen wir Crucigern wiederholt mit academischen Würden und Bürden beehrt und beschwert: noch im Sommersemester 1533 wurde er zum Universitätsrector gewählt; dasselbe Amt bekleidete er auch in den Winterhalbjahren 1538 und 1542 und endlich gar zwei Jahre unausgesetzt in der unruhigen Zeit von 1546 bis 1548; in den beiden letztgenannten Jahren war er auch zweimal Decan der theologischen Facultät. Daneben konnten seine Collegen stets auf die Bereitwilligkeit des dienstfertigen Freundes zählen, wo es eine Aushilfe galt; als Melanchthon den Wunsch hatte, nach Frankreich zu reisen, schrieb er am 18. August 1535 an seinen Churfürsten: „Ich habe mit Dr. Caspar Creutzigern geredet, der wird dieweil zu Jena desto mehr Fleiß und Arbeit haben.“ Oft hatte Cruciger fast allein die ganze Facultät zu vertreten; so schreibt Luther an Melanchthon am 2. März 1539, er habe seine Vorlesungen obgleich krank wieder aufgenommen: „ist doch die Theologie fast unbesetzt, da du abwesend, Pomeranus und ich krank sind, Dr. J. Jonas Spaziergänge macht; Caspar ist heutiges Tages der einzige Theologe.“

Ueber die Methode, welche Cruciger in seinen theologischen Vorlesungen beobachtete, liegen uns in seinen, übrigens fast insgesammt in seinen letzten Lebensjahren herausgegebenen exegetischen Handbüchern Proben vor). Er pflegte seinen Zuhörern kurze Bemerkungen als Haltpunkte zu dictiren, und diese Dictate wurden teilweise erst nach seinem Tode gedruckt. Neben der grammatikalisch-historischen Erklärung läuft eine dogmatische Exposition der in den einzelnen Stellen enthaltenen Loci her. In der Vorrede zum 110. Psalmen bemerkt Cruciger: „Zwiefach ist die Lehrweise in der Kirche: die Erklärung der Schrift und die Methode. Die eine ist so nothwendig als die andere, weil die Methode aus der Schrift genommen werden muß. Denn sie ist eine Sammlung und Erklärung der Dogmen oder ein auf das Lehren berechneter Umriß der Lehre. Dagegen trägt die Schriftexegese an verschiedenen Stellen verschiedene Theile der Lehre vor. Es bedarf somit großer Sorgfalt bei der Erklärung, damit man gewahr werde, von welchen Lehrsätzen die Quellen in den einzelnen Theilen der Schrift enthalten sind. Wer den Eingang des Evangeliums Johannis erklärt, bedenke, daß hier die Quellen des Artikels von der Gottheit des Sohnes Gottes fließen; in der Erklärung des Briefes an die Römer sind die Quellen für die Lehre von der Rechtfertigung und von dem Unterschied des Gesetzes und. Evangeliums. So werden auch die Psalmen mit Nutzen gelesen werden, wenn man darauf achtet, welche Abschnitte der Lehre in den einzelnen Psalmen abgehandelt werden.“ In dem Vorwort zum Commentar des Johannisevangeliums hebt Cruciger hervor, wie auch dogmengeschichtliche Kenntnisse zu einer rechten Exegese gehören. Er schreibt: „Die Interpretation sei kein Spiel des Geistes, sondern eine wahrhafte Erklärung, wie sie die mit einander zusammengehaltenen Glieder der göttlichen Rede bieten, wobei jedoch der Erklärer durch sichere Zeugnisse der alten und neuern Kirche unterstützt wird. Denn obwohl die göttliche Rede nicht zweideutig noch gleich den Sibyllinischen Blättern ist, so verstehen doch die Ungebildeteren ohne eine Erklärung nicht überall die Art und Weise der Rede und die Figuren der Wörter. Und weil von Dingen die Rede ist, welche nicht in die menschlichen Sinne fallen, so werden die himmlischen Reden leicht nach menschlichen Vorurtheilen und Einfällen entstellt und verdreht. Daß dieses nicht geschehe, davor zu warnen ist die Aufgabe eines frommen Erklärers. Paulus von Samosata erklärte den Spruch falsch: Im Anfang war das Wort. Damit diese falsche Deutung nicht den wahren Sinn verderbe, soll der Erklärer die richtige Ansicht vertheidigen, welche wie gesagt aus vergleichendem Zusammenhalten der einzelnen Stellen erfunden wird. So sei der Erklärer bekannt mit dem Alterthum und den theologischen Streitfragen aller Zeiten, damit er bewährte Zeugen für die rechte Auffassung der Bibel habe. Aus diesem Grund wurden anfänglich die Symbole geschaffen, damit die reine Lehre des ersten Alterthums Allen bekannt wäre. Wenn z.B. die Pelagianer das Wort Gnade verdrehen und sagen, das Gesetz werde Gnade genannt, so zeige der Erklärer, wie diese Verdrehung wider die Quellen streite, und wie Gnade die Vergebung der Sünden und die ohne Werke erfolgende Versöhnung bedeute, mit welcher die Gabe des heiligen Geistes verknüpft ist. Wenn die Mönche den Spruch verdrehen, daß wir durch den Glauben gerechtfertigt werden, und lehren, die armen Menschen sollen in Gewissensqualen an der Vergebung ihrer Sünden zweifeln, so ist es Aufgabe des Erklärers, diese Verdrehung zu widerlegen und zu zeigen, wie der Zweifel im Glauben zu überwinden sei, und wie deßwegen der Glaube in dem Vertrauen auf die Erbarmung bestehe, kraft dessen wir von Gott angenommen werden, wie denn geschrieben stehe: Sind wir gerecht worden durch den Glauben, so haben wir Frieden mit Gott. In diesen und ähnlichen strittigen Lehrsätzen zeigt die Sache selbst, daß eine fromme Erklärung in der Kirche nicht überflüssig sei. Aber, wie gesagt, die Erklärung sei kein geistreiches Spielen, sondern halte sich an die Quellen und stimme mit den Symbolen zusammen, und der Geist eines frommen Erklärers, der fleißig und mit Geschick die Aussprüche des Wortes Gottes zusammenhält und aus das Alterthum Rücksicht nimmt, wird von Gott erleuchtet werden. Außerdem gebe es auch in der Kirche Richter und Censoren der Erklärung, wie Paulus sagt: die Sitzenden mögen richten!“

Es folge hier eine Probe der alttestamentlichen Schrifterklärung Crucigers über den zwanzigsten Psalmen. Man vergesse dabei nicht, daß Cruciger dieselbe im Jahr 1546, also sicher unter dem Eindruck der damaligen Zeitverhältnisse und mit der Absicht, dadurch aus die Gemüther zu wirken, schrieb. Voran geht eine Inhaltsübersicht: „Dieser Psalm ist ein schön, lieblich, tröstlich Gebet für die Obrigkeit oder, wie man sie nennet, weltliche Herrschaft, darin gebeten wird, daß Gott derselbigen in ihrem Amt beistehen, helfen und sie bewahren wolle, sonderlich zur Kriegszeit und in dergleichen Nöthen, da sie aus Pflicht göttliches Gebots, ihren Landen und Unterthanen Schutz zu halten und wider unrechte Gewalt zu retten, Arbeit, Last und Fahr tragen muß; und ist ohn Zweifel darum also gestellet, daß er öffentlich in der Gemein gesungen und gebetet würde für die Herrschaft und weltlich Regiment, fürnehmlich in Kriegsläuften, wenn sie wider ihre Feinde zu Feld ziehen oder eine Schlacht thun sollten, da denn auch die Priester selbst vorne an vor dem Heer ziehen mußten mit Drometen, das Volk zu ermahnen und beherzt zu machen. Also hat gewißlich der König David diesen Psalm dazu gemacht und selbst auch denselben daheim für sein königlich Regiment und zu Feld wider seine Feinde singen und klingen lassen: daß also dieser Psalm neben der Heerpredigt der Priester ihr gemein Gebet und gleich als ein Feldgeschrei und die rechte Heertrommel gewesen, damit sie die göttliche Hilfe angerufen und auf dieselbige getrost und fröhlich wider ihre Feinde hinangegangen. Und ist wohl zu glauben, dieser Psalm habe dem König David alle seine Schlachten und Siege wider seine Feinde erobert, und seine Stärke und Wehr gewest ist, darauf er sich mehr denn auf Waffen, Büchsen und Harnisch verlassen hat. Wie ohn Zweifel auch noch geschehen würde, wo man in göttlichem rechtem Kriege zu nöthigem Schutz der Lande und Leute und Erhaltung rechter Lehre der Kirchen, Zucht und Regiments wider öffentliche Tirannei und Gewalt solch Gebet stark und getrost thäte: da sollt es getrost unter des Endchrists Schützer und Diener schmeissen und das Feld behalten. So ist ohne das dieser Psalm auch täglich zu beten nützlich und besserlich, die Gottfürchtigen von vielen Dingen zu erinnern, zu stärken und zu trösten. Denn erstlich lehret er uns damit, daß er für die Herrschaft bittet, daß ihr Stand und Amt nicht sei, wie es die gottlose Welk ausiehet und hält, ein Stand oder Leben, das ohne Gottes Ordnung und Wohlgefallen, ungefähr, durch eigne Gewalt derer, so die Andern übermocht und unter sich bracht, aufkommen und hergebracht und also nichts besser sei denn öffentliche Räuberei und Unterdrückung der Schwachen, Armen, wie des Nimrods, Mohameds mit seinen Arabern, Saracenen und Türken; oder daß allein aus menschlicher Weisheit und Gutdünken gemeine Landrecht, Ordnung und Gesetz, dadurch Friede und Gehorsam gehandhabt und das Böse gestraft wird, erfunden und gemacht sei, damit Gott nichts zu thun habe und ihm nichts gedient wird. Sondern er lehret, daß man der ordentlichen rechten Herrschaft und Obrigkeit Amt müsse unterscheiden, beide von öffentlicher Tirannei und unrechtem Zwang und von dem, das allein aus menschlichem Willen und Rath gesetzt wird, und also ansehen als ein Amt von Gott geordnet und eingesetzt zu Schutz und Erhaltung seiner göttlichen Gaben und Ordnungen, daran auch Gott Gefallen habe und wolle es erhalten haben, wie er an Allem, das er ordnet, Gefallen hat. Zum Andern lehret und zeiget er auch, daß gute löbliche Regiment auf Erden und fromme Regenten, die ihrem Amt treulich fürstehen, Glück und Sieg haben und etwas Nützliches schaffen sollen, Landen und Leuten zu helfen und zu rathen, daß rechte Lehre und Erkenntniß Gottes, Zucht, Recht und Friede erhalten werde, sonderlich müssen von Gott gegeben werden, und wo solche sind, da ist ein sonderlich Kleinod in menschlichem Geschlecht und eine schöne theure Gabe und Wohlthat, dafür Gott hoch und herzlich zu danken und ernstlich darum zu bitten, daß er solche Regenten geben und erhalten wolle und diese seine Gaben nicht verderben lassen durch Mord und andere Verwüstung. Wie denn wiederum, wo solches nicht ist, da muß groß Unglück und Verwüstung folgen auch der Kirchen, und ist eine schreckliche Strafe über der Leute sündlich Leben und Wesen und Undankbarkeit. Darum haben wir in diesem Psalm ein herrlich Zeugniß und schönen Ruhm und Lob der Obrigkeit oder des regierenden Stands, nemlich zum Ersten, daß er Gott wohlgefällig und ihm darin gedienet wird; zum andern, daß er von Gott allerlei Wohlthaten, Glück, Sieg, Schutz und Hilfe hat und durch ihn erhalten wird (wo die Herrschaft Gottes Wort liebet und ehret und seine Kirchen fürdert, schützet und nähret). Denn es wird hieneben auch angezeigt, weil es ein göttlicher Stand ist, daß er nicht müsse ohne das heilige Kreuz seyn, sondern wohl der schwersten und müheseligsten Stand einer ist, wo er christlich soll geführt werden. Darum wir auch zum Dritten mit dem Exempel dieses Psalms gelehrt werden, daß man treulich für diesen Stand beten soll, und daß Gott solch Gebet wohlgefällt und Erhörung haben soll. Also lernen wir auch aus diesem Psalm, wie man sich gegen die Obrigkeit halten und sie ehren soll. Denn das ist die höchste Ehre, daß man sie für eine göttliche Ordnung und Werk anflehet, das ihm wohlgefalle und darum er anzurufen und zu bitten sei, und auch mit der That für sie bete. Darum kann man je dieser Lehre der Schrift und des Evangelii (die gottlob auch wir haben) mit Wahrheit nicht Schuld geben, daß sie Ursach gebe zu Ungehorsam und Unehre der Obrigkeit oder Zerrüttung der Regiment und des Friedens (wie die Feinde des Evangelii lästern), sondern ist vielmehr von jedermann zu lieben und zu loben vor allen andern Lehren der Mönche und Papisten oder Unchristen. Denn dieselbigen können der Obrigkeit solche Ehre nicht thun noch also davon lehren, wie offenbar ist, daß die Mönche öffentlich gesagt, weltliches Regiments Amt wäre ein fährlicher Stand, darin die Leute nicht wohl könnten selig werden, und haben sie davon auf ihr selbst erdichtete Geistlichkeit und Klosterleben geweiset; darum haben sie diese und dergleichen tröstliche Lehre und Gebet weder verstehen, lehren noch thun können. Siehe, dieses sollen wir in diesem Psalm betrachten und ihn derhalben auch gern mit dem Propheten David und der Kirchen Gottes singen und beten, sonderlich zu der jetzigen unruhigen schweren Zeit, da der Teufel wüthet und tobt, daß er alle Regiment, Friede, Zucht und göttliche Ordnung auf einen Haufen werfe, Alles mit Krieg, Mord, aller Unzucht und andern schändlichen Lastern fülle und also unendliche Verwüstung anrichte, damit er Gottes Wort und die Kirche auch zu Grunde tilgen könne.“ Sofort theilt Cruciger den Psalm seinem Inhalt nach in drei Theile und geht an die Erklärung der einzelnen Verse und Wörter, die zum Theil eine meisterhafte ist. Zu Vers 5 (Wir rühmen, daß du uns hilfst) bemerkt er: „Die Welt hält die für Narren, die da viel rühmen und (wie man sagt) Huy schreien, ehe sie über den Berg sind, und wird in menschlichen und weltlichen Sachen billig verlacht, wer da viel rühmet und pochet vor der Zeit, wie denn die Welt thut, so auf ihre Macht und Anschläge ohne Gott trotzet und pochet, meinet, sie habe es gewiß, daß es gehen müsse, wie sie es aufs schönste und auf feinest bedenket, und könne nicht fehlen, bis sie sehen, daß sie vor dem Hamen gefischet und zu frühe geschrieen haben. Aber hie ist ein ander Rühmen, das heißt göttlich, so einen Ruhm führet aus anderen Ursachen und auf ander Ding, denn die Welt thut, davon auch die Propheten sagen: Wer sich rühmen will, der rühme sich des Herrn oder auf den Herrn. Das kann Fleisch und Blut nicht thun, denn es ist ein Rühmen des Glaubens, so das (davon er rühmet) nicht für Augen flehet, als große Macht und Gewalt, Beistand, Hilfe, Sieg wider die Feinde, sondern auch wohl viel anders und eben das Widerspiel stehet und fühlet, kann auch nicht sagen, wie oder welcherlei Weise die Sachen fort und hinaus gehen werden, und dennoch auf Gottes Wort getrost ist und nicht zweifelt an göttlicher Hilfe. Daher stehet man auch in der Erfahrung und in allen Historien, wo etwas Großes hat sollen geschehen und ein sonderlich göttlich Werk und Sieg hat sollen seyn, da hat er auch auf demselben Theil solchen Muth und Herz gegeben, daß sie getrost und fröhlich hinangegangen (ob sie wohl nicht groß gepocht noch geschrieen und dem Gegentheil mit Macht und Anderem nicht gleich gewest), daß man auch zuvor wohl hat können, sehen und merken, daß der Sieg bei ihnen seyn würde: die Andern aber, ehe es zur Schlacht kommen, feig und verzagt worden, die doch am ersten sehr böse waren und feindlich auf ihre Macht scharrten und pochten. Es heißt aber dieses Wort Rühmen (wie es hie im hebräischen Text stehet) eigentlich ein fröhlich Jauchzen und Schreien, wie des Theils, so zu Felde wider die Feinde fröhlich an die Schlacht gehet, da man läßt mit Macht die Heertrommel schlagen, in die Drometen stoßen und zusammenblasen, und das ganze Heer voll Döhnens und Schalles ist. Gleichwie Psalm 118 auch dieses Wort brauchet: Es ist eine Stimme des Jauchzens und Siegs, oder wie es im deutschen Text stehet: Man singet mit Freuden, d. h. Jauchzen vom Sieg in den Hütten der Gerechten. Also wollen wir auch (spricht er hie) nicht erschrecken noch verzagen vor der Feinde Zorn, Macht und Gewalt, frisch und getrost hinangehen mit großem Schall und fröhlichem Geschrei oder Rühmen deiner Hilfe und unser Heerpanier oder Fähnlein auswerfen, emporschwingen, frei daherschweben, blicken und sehen lassen, nicht sinken noch niederschlagen oder unter sich kehren, wie die thun, so die Flucht geben und die Schlacht verloren haben, und das wollen wir thun im Namen unseres Gottes, im Vertrauen seines Worts und Verheißung der Erhörung und Hilfe. Dieser Name soll unser Feldgeschrei und Losung seyn.“ Zu Vers 7 („Jene verlassen sich auf Wagen und Rosse, wir aber denken an den Namen des Herrn“) wird angemerkt: „Er redet sehr verächtlich von der Feinde Macht aus der Rhetorica der heiligen Schrift und macht eine große Tapinosin, so er spricht: Sie verlassen sich auf Wagen und Rosse; damit er sie mit ihrem Trotz so gar verkleinet, daß er es nicht geringer könnte machen. Wollt gerne sagen: Was ist ihr große Macht und Kraft, darauf sie pochen und sich verlassen? Was ist es mehr denn Wagen und Rosse? Ist das so groß Ding, daß man so hoch darauf trotzet, oder ist es auch werth, daß man sich darauf verlasse? Haben sie keine bessere Rüstung und Kriegsmacht: was kann es denn helfen, wenn rechte Noth und Fahr des Todes hergehet, Wen können sie damit erretten? Wohlan, laß sie solches haben und darauf scharren und trotzen, so hoch sie wollen; Wagen und Rosse wollen wir ihnen gönnen, denn Solches haben Andere mehr gehabt und dennoch damit nicht viel gewonnen. Aber dagegen haben wir auch einen Ruhm und wissen auch zu pochen: das ist der Herr vom Himmel, der freilich auch Roß und Wagen, Reiter und Mann geschaffen hat. Was sind gegen Dem große Haufen Reiter, Büchsen, Schwert, Harnisch, Waffen? Ja, was sind sie mit dem allen ohne Gott? Ein lauter Nichts und weniger denn Nichts, wie Jesaias 51 sagt: ein Kliplin, so man mit dem Finger schlägt, oder ein Tröpflein Wasser, so an einem Eimer hanget, gegen das ganze weite Meer, Worauf trotzen Türken, Tartaren, und jetzt des Endchrists Schutzherrn und Helfer? Was sind sie mehr denn Menschen, und was haben sie, so sie Gott nicht haben, ja sich mit ihrer Macht und Trotz wider ihn setzen und meinen, damit vom Himmel zu stürzen? Arme, elende, blinde Leute sind sie, der mehr zu lachen ist, daß sie ein solches fürnehmen, ja vielmehr ihr zu erbarmen (wenn es an ihnen helfen wollte), denn daß man vor ihrem Trotz erschrecken sollte, weil sie damit wider die Majestät im Himmel laufen, darüber sie zu Boden gestürzt fallen und liegen müssen mit ewigen Schanden und Schaden. Nun das ist, wie ich gesagt habe, ein ungereimt und gar ungläublich Urtheil vor der Welt und lautet dazu ärgerlich also zu reden, als sollten Wagen und Roß gar nichts seyn noch nützen: Was thut man denn mit Kriegen? Wozu hält man Pferd und Reiter, und wozu dienet alle Kriegsrüstung? Warum wirft man nicht Waffen und Wehre, Büchsen und Harnisch hinweg? Es ist hie nicht verboten, Rosse, Wagen und allerlei Rüstung haben, denn das sind gute Creaturen von Gott geschaffen; sondern daß man sich auf solches verläßt und darauf trotzet, das ist unrecht und verboten. Dagegen lehret uns die Schrift, worauf wir unser Vertrauen setzen und trotzen sollen, da wir nicht fehlen, nemlich: brauchen mögen wir leiblicher Rüstung und Schutzes, so viel wir deß haben, als Gottes Creaturen und Gaben, und sollen doch darauf nicht sicher noch vermessen seyn; wiederum, ob wohl daran Mangel ist und fehlet, sollen wir darum auch nicht verzagen, sondern thun, was uns befohlen, und Gott vertrauen, Hilfe von ihm bitten und warten.“ Wenn es schließlich im neunten Vers heißt: „Der König erhöre uns, wenn wir rufen“, so sagt Cruciger, der Psalmist wolle damit anzeigen, daß die Hilfe, so die Obrigkeit thue, von Gott her gehen müsse und von ihm durch dieselbe gegeben werde: „So hat Gott die Herrschaften auf Erden gleich an seine Statt geordnet und sie auch mit den hohen Ehren gezieret, daß er sie selbst Götter nennet, daß er durch sie göttliche Werke thut und gibt, sonderlich wo er darum angerufen wird. Auf daß man dennoch wisse, daß Menschen solches nicht von ihnen selbst thun noch vermögen, sondern Gott selbst geben muß; wie die Erfahrung zeiget, daß leider nicht alle Herrschaften diesen Vers erfüllen. Also brauchet die Schrift auch sonst des Worts Erhören von dem, so durch Gottes Gnade, Segen, Hilf gegeben wird, als Hoseä 2: Ich will den Himmel erhören, und die Erde soll Korn, Most und Oel erhören. Ja, wo sich Gott zuvor mit Gnaden, Hilfe und Erhörung erzeigt, wie er hie bittet, da gibt er auch Herrschaft, Regiment, die auch ihre Land und Leute erhören.“

Als Probe der neutestamentlichen Exegese Crucigers führen wir an, was er Joh. 6. über das Essen des Fleisches und Trinken des Bluts Christi bemerkt: „Was ist dieses Essen, oder wie wird diese Speise zu essen seyn? Viele bezogen den Text auf das hl. Abendmahl, weil hier gesagt wird: Mein Fleisch ist wahrhaftig eine Speise und mein Blut wahrhaftig ein Trank, und beim Mahle des Herrn von der Spendung seines Leibes und Blutes die Rede ist. Gerson disputirt von denen, welche behaupteten, daß man den Kindern das Abendmahl reichen soll, und sich auf diese Worte berufen, welche die Nothwendigkeit beweisen: Wenn ihr nicht esset das Fleisch des Menschensohns und trinket sein Blut, so habt ihr kein Leben in euch. Wenn aber Jemand meint, das Abendmahl des Herrn sei ein Werk, das ohne wahren Glauben den Menschen gerecht mache, d. h. angenehm vor Gott, und das ewige Leben verdiene, irrt er und versteht die Lehre von der Glaubensgerechtigkeit nicht. Denn der Gebrauch des Abendmahls ohne Uebung des Glaubens, in welchem wir die Wohlthaten Christi anerkennen und uns zur wahren Anrufung ermuntern, ist eine müßige Ceremonie. Außerdem ist gewiß, daß der Zweck der Einsetzung des Abendmahls ist, daß es ein kirchlicher Act in öffentlicher Versammlung, verbunden mit der Predigt des Evangeliums sei, und Paulus sagt: Der Mensch prüfe sich selbst und also esse er von diesem Brod. Das steht nicht Kindern zu, sondern nur solchen, die in verständigem Alter stehen und ihr Gewissen erforschen können, und der Text sagt: So oft ihr von diesem Brode esset, sollt ihr des Herrn Tod verkündigen. Hier wird nichts Anderes gefordert, als daß beim Genuß des Sakramentes des Todes Christi gedacht werde. Wenn darum gleich das im Verstand gereifte Alter zum Altar kommen soll, um seinen Glauben vor der Gemeinde zu bekennen, so gilt diese Forderung doch denen nicht, welche das Bekenntniß noch nicht verstehen, und es ist genug, daß Kinder durch die Taufe der Kirche eingepflanzt sind. Das bemerke ich im Vorbeigehen von denen, welche diese Stelle auf das Abendmahl beziehen. Ich verstehe dieses Capitel weder von der Ceremonie des Abendmahls, noch von einem ceremoniellen Essen, sondern wie Christus oben von dem Glauben sprach, in welchem wir glauben, daß der Zorn Gottes gesühnt sei durch den Tod seines Sohnes, der seinen Leib für uns dahingab und sein Blut für uns vergoß, und daß wir um dieses Opfers willen von Gott zu Gnaden aufgenommen und Erben des ewigen Lebens werden: so verstehe ich auch das Uebrige von dem Glauben, durch welchen die Gläubigen lebendig gemacht werden, weil sie sich auf den Christus gründen, der für uns seinen Leib dahingab und sein Blut vergoß. Diese Lehre von seinem Leiden und von unserem Glauben, wie sie im Essen des Osterlamms abgebildet war, prägt Jesus den Juden ein, welche ganz andere Vorstellungen von Christo hatten, nicht glaubten, daß er leiden werde, nicht wußten, daß um seinetwillen wir versöhnt werden, endlich das Vertrauen auf dieses Opfer nicht kannten, sondern nur ihre Träume von einem weltlichen Reiche hatten. Christus zeigt aber den Unterschied zwischen den übrigen Propheten und sich. Der übrigen Propheten Fleisch und Blut wird nicht genossen, sondern nur ihre Lehre gehört; etwas Anderes ist es, das Fleisch dieses Messias essen und trinken sein Blut. Denn er wird ein Opferlamm für uns, und wir sollen glauben, daß uns Gott im Vertrauen auf dieses Opfer gnädig sei. Auch andere Heilige wie Abel und viele Propheten, Jesaias, Jeremias und andere wurden getödtet, aber ihr Fleisch ist keine Speise, ihr Blut kein Trank, d. h. wir dürfen sie nicht als Opfer betrachten, welche den Zorn Gottes sühnen; sondern Christus allein ist jenes Opferlamm, auf welches wir uns verlassen sollen und von dem wir glauben dürfen, daß uns um seinetwillen die Sünden vergeben sind. Dieser Glaube ist nothwendig; wenn darum von einem nöthigen Essen die Rede ist, so verstehen wir darunter nicht eine Ceremonie, sondern diesen Glauben. Wenn ihr nicht esset das Fleisch des Menschensohnes und trinket sein Blut, so habt ihr kein Leben in euch, d. i. Wenn euer Glaube sich nicht auf die Dahingabe meines Leibs und Vergießung meines Bluts gründet. Die Textstelle gewinnt viel Licht, wenn man bedenkt, daß mit diesen Worten der Unterschied bezeichnet wird zwischen den übrigen Propheten und dem Messias, der allein das zu essende Lamm ist; d, h. allein auf die Dahingabe seiner Person gründet sich der Glaube. Die übrigen Propheten sollen nicht gegessen werden, und der Glaube gründet sich nicht auf ihre Personen. Und wenn auch die Uebrigen die Stimme des Evangeliums verkündigen, so sind sie doch keine Personen, die das ewige Leben geben. Diese einzige Person, welche der Messias, der Sohn Gottes ist, gibt Licht, Gerechtigkeit und ewiges Leben, Das halte ich für den einfachen und natürlichen Sinn dieser Stelle.“

In der Einleitung zum ersten Brief an Timotheus sagt Cruciger: „Dieser Brief ist sehr reichhaltig und des Trostes voll, denn er enthalt viele und die hauptsächlichsten christlichen Lehrsätze, welche die Menschen sich tief einprägen sollen, und zwar ist davon in geordneter Reihenfolge, klar und ohne Umschweife die Rede. Eben diese Einfachheit erhöht seinen Reiz, darum soll dieser Brief auswendig gelernt und immer im Herzen und in der Hand gehalten werden. Als Paulus an den Bischof Timotheus schrieb, scheint er alle Pastoren und Doctoren aller Zeiten in der Kirche vor Augen gehabt und beabsichtigt zu haben, einen kurzen Abriß zu verfassen, der sie an alle ihre Pflichten mahnte.“ Wir theilen noch die Erklärung des Spruches 2, 15. mit: Das Weib wird selig werden durch Kinderzeugen, so sie bleibet im Glauben und in der Liebe und in der Heiligung sammt der Zucht. „Das ist eine merkwürdige Predigt, welche die ganze Lehre vom Seligwerden der Weiber in sich begreift, und Paulus wollte das nicht ohne guten Grund erinnern. Weil nemlich jenes Geschlecht schwach ist, ist es auch leicht abergläubischen Vorstellungen zugänglich, und darum verbot ihm Paulus das Lehren; jetzt aber zeigt er den wahren Gottesdienst, in welchem sich das Weib üben soll, damit es nicht vom Aberglauben weg aus andere thörichte und unnütze Werke verfalle. Die Redeweise ist copulativ: das Weib wird selig durch Kinderzeugen, doch nur dann, wenn sie bleibet im Glauben u.s.w. Denn wie sonst die Schrift lehret, daß man durch den Glauben selig werde, und daß dem Glauben folge müsse der neue Gehorsam und die Werke des Berufs: so fordert er hier von dem Weibe Glauben und fügt die Werke des Berufs hinzu, nemlich Kinderzeugen und das Uebrige. Es ist also wohl darauf zu achten, daß er bei dem den Werken des Berufs gezollten Lob auch den Glauben erwähnt, daß wir wissen, daß nicht Werke ohne Glauben gelobt werden. Würde aber Jemand fragen, ob Paulus, weil er hier Glauben und Werke verbinde, darum meine, daß der Mensch mit den Werken Vergebung der Sünden und ewiges Leben erlange: so ist die Antwort darauf leicht: Die Gerechtigkeit der Werke ist nöthig und muß dem Glauben nothwendig folgen, und doch ist der Grund der Sündenvergebung und der Erlangung des ewigen Lebens ein anderer, nemlich die Verheißung Christi, welche nur im Glauben ergriffen wird; auch kann sich der Glaube nicht auf die Würdigkeit jenes folgenden Gehorsams stützen, sonst würde er ungewiß; und doch ist der nachfolgende Gehorsam nöthig. Das widerspricht sich nicht und ist eine Lehre, wie sie die Gewissen brauchen. Da nun Paulus den Glauben nennt, so bezeichnet er. daß in erster Linie um Christi willen das Weib Vergebung der Sünden habe und Erbe des ewigen Lebens werde; da er aber die übrigen Tugenden hinzufügt, lehrt er damit, daß dieser neue Gehorsam nothwendig sei, wie er auch sonst lehrt: Wir sind Schuldner, nicht daß wir dem Fleisch dienen. Fragen wir zuerst, was er unter diesen fünf Tugenden verstehe, und dann, wie sie selig machen. Der Glaube ist das Vertrauen auf Christus, durch welches Sündenvergebung und Rechtfertigung erlangt wird. Die Liebe bezeichnet, wie sonst, die Liebe Gottes und des Nächsten, d. h. die Furcht und den Gehorsam gegen Gott. Die Nächstenliebe offenbart sich bei einer Hausmutter zunächst in der Liebe gegen den Gatten und die Kinder, in der Sanftmuth, daß sie nicht durch mürrisches Wesen das eheliche Leben verdüstere und die Neigung des Mannes erkälte; ferner in Geduld, daß sie den Gatten im Mißgeschick nicht verlasse, endlich in der Mildthätigkeit gegen die Armen. Die Heiligung bezieht sich in den Stellen, in welchen von der Ehe die Rede ist, gewöhnlich auf die Keuschheit, wie in 1. Thess. 4: Das ist der Wille Gottes, eure Heiligung, daß ihr meidet die Hurerei, und ein Jeglicher unter euch wisse sein Faß zu behalten in Heiligung und Ehren. Wenn aber oben gesagt wurde, daß die Weiber durch Kinderzeugen selig werden, so folgt daraus, daß nicht eheliche Beiwohnung, sondern nur Ehebruch verboten ist. Jene wird vielmehr mit einem herrlichen Lobe geziert, wenn eheliche Keuschheit Heiligung genannt wird. So widerlegt diese Stelle deutlich einen Tatian und Andere, welche eheliches Beiwohnen verdammten. Und nicht weit sind von diesem Irrthum die Ungelehrten unserer Tage entfernt, welche das Gesetz über den Priestercölibat damit vertheidigen, daß sie sagen, die Priester dürften darum nicht in der Ehe leben, weil sie heilig seyn sollen, die Ehe aber sei nicht heilig. Hier bezeugt aber Paulus klar, daß das eheliche Zusammenleben heilig sei. Wiewohl aber diese ganze Stelle ein Loblied auf die Ehe ist, so ist doch das Wort Heiligung besonders ins Auge zu fassen, da Paulus damit bezeugt, die Ehe sei ein von Gott geordnetes, durch Gottes Wort gebilligtes und gottgefälliges Werk. Auch darf man sich nicht einbilden, sie gefalle Gott etwa nur so, wie die Schwachheit der Natur geduldet wird; vielmehr ist die Ehe ein von Gott eingesetztes und gutgeheißenes Werk, wenn auch dabei, wie im übrigen Leben, etwas menschliche Schwachheit mit unterläuft. Die Zucht enthält viele Tugenden; ich will drei derselben namhaft machen: zuerst das Maßhalten im Essen und Trinken; ist es doch etwas Schimpfliches um ein schwelgendes trunkenes Weib. Darum gestatteten die alten Massilier und Römer den Weibern gar nicht den Genuß des Weins, weil dieser nicht nur die Begierden entflammt, sondern auch im Uebermaß genossen, unfruchtbar macht. Paulus schreibt an Titus: Die Weiber seien nicht Weinsäuferinnen, Augustin erzählt, seine Mutter sei so erzogen worden, daß sie nur Wasser und auch dieses nur über Tisch habe trinken dürfen, und als man sie gefragt habe, warum ihr selbst das Wasser verboten gewesen sei, habe sie geantwortet: weil sie, wenn sie sich zuerst an Wassertrinken gewöhnt hätte, als Hausfrau Wein trinken möchte. Mäßigung ist ohnedem eine nöthige Tugend für das geistige Leben, gemäß dem Wort: Beschweret eure Herzen nicht mit Saufen. Ferner bezeichnet Zucht Mäßigung in Kleidung, Bewegung und Rede und anderen äußerlichen Dingen, denn der Luxus in der Kleidung hat viele andere Fehler in seinem Gefolge und ist guten Sitten, dem Vermögen und dem Staate verderblich. Endlich gehört zu der Zucht Fleiß im Beruf und Hauswesen, daß das Weib sich nicht in öffentliche Angelegenheiten mengt und nicht ehrgeizig ist. Darum soll Apelles die Venus abgebildet haben, wie sie auf einer Schildkröte steht, weil eine Hausfrau fleißig zu Hause seyn soll, wie die Schildkröte immer ihr Haus mit sich trägt. Die Frauen vermögen doch nicht ihrem Beruf nachzukommen ohne den größten Fleiß, die höchsten Mühen und Schwierigkeiten, wie sie darin auch viel Gelegenheiten haben, den Glauben zu üben. Denn die Erziehung der Kinder bietet viele Schwierigkeiten; der Haushalt fordert Wachsamkeit. Klugheit, Sparsamkeit, und verschiedene Zwischenfälle und Unfälle mahnen bei dieser Beschäftigung daran, wie nöthig der Beistand Gottes sei. Petrus faßte die Pflichten der Weiber in zwei Tugenden: daß sie seien sanften und stillen Geistes. Der sanfte Geist bezeichnet die Liebe, den Gehorsam, die Geduld, Milde und Anmuth; der stille Geist steht gegenüber dem Ehrgeiz, der Neugierde, und bezeichnet einen seines Berufs gewärtigen, mit Würde und Fleiß das Seine schaffenden Geist. So stellet also hier Paulus gleichsam einen christlichen Haushalt vor Augen, indem er den ganzen Kranz von Tugenden, welche vom Weib gefordert werden, so schön verbindet: Glaube, Liebe, Keuschheit und Zucht. Hierzu gesellte er als fünfte Pflicht die des Kinderzeugens. Auch das ist eine treffliche Tugend und bezeichnet nicht nur die Geburtsarbeit, sondern auch die um des göttlichen Gebots willen dem Manne unterwürfige Gesinnung, welche die Mühen bei der Geburt, der Ernährung und Erziehung der Kinder auf sich nimmt. Und da diese Pflicht des Zeugens und diese eheliche Beiwohnung dem weiblichen Beruf eigenthümliche, von Gott geordnete Werke sind, so verbindet sie Paulus absichtlich mit den übrigen, daß wir erkennen, das eheliche Zusammenleben sei nicht nur nicht verdammungswürdig oder eine Schwäche, die Gott uns nachsehe, wie er die böse Lust duldet, sondern sei eine Tugend, durch welche die Weiber wie durch die übrigen Tugenden selig werden. Jetzt habe ich aber auch die Antithese beizufügen. Welche Triumphe würden die Mönche feiern, wenn sie solch ein Loblied auf ihr Cölibat aufweisen könnten? Denn wenn auch das ehelose Leben gelobt wird aus dem Grund, daß wir in ihm ungehinderter dem Evangelium dienen mögen, so ist doch die Pflicht des Kinderzeugens eine von Gott in der Natur geordnete Tugend und das Werk einer gewissen Berufung, welche von Gott angeordnet und gut geheißen wird; darum ist sie ein Gottesdienst, weil von Gott vorgeschriebene und eingesetzte Werke Gottesdienste sind. Wird aber der ledige Stand erwählt, nicht um dem Evangelium zu dienen, sondern als ob er an- und für sich ein Gottesdienst wäre, so urtheilt darüber die Schrift: Vergebens dienen sie mir mit Menschengeboten, So halte solch ein Gelübde der Jungfräulichkeit mit der Ehe zusammen: Von dieser sagt Paulus: Durch Kinderzeugen werden die Weiber selig, und diese Dienstleistung ist ein Gottesdienst; von dem Mönchsgelübde steht geschrieben: Vergebens dienen sie mir mit Menschengeboten. Es frommt, diese Lobeserhöhung der Ehe zu verstehen und sie entgegenzuhalten den gottlosen und thörichten Lobpreisungen des Mönchlebens und Cölibats, damit die Gatten mit gutem Gewissen das Leben genießen können, darin sie stehen. Denn bei jeglichem Geschäft kommt Alles darauf an, das Gewissen recht zu stellen, damit das, was wir thun, in gutem Gewissen geschehe, mit Danksagung und im Glauben, wie geschrieben steht: Alles, was nicht aus dem Glauben kommt, ist Sünde. Was aber nicht mit gutem Gewissen gethan wird, kann auch nicht im Glauben gethan werden. Das sagte ich über diesen Ausspruch Pauli, damit alle Guten und Frommen ihn wohl beherzigen; denn groß ist die Macht der Heuchelei und jener geschminkten Religionsgebräuche, welche kein Gottesgebot haben. Darum müssen die Frauen gegen sie wohl gerüstet stehen.“

In dieser Weise verband Cruciger mit seinen exegetischen Vorlesungen eine eingehende Besprechung der einzelnen dogmatischen und ethischen Loci, welche in der betreffenden Bibelstellzeine Bestätigung fanden, indem er zugleich auf Dogmengeschichte und Symbolik Rücksicht nahm. Daneben verkannte er den Werth einer zusammenhängenden Behandlung der christlichen Dogmen keineswegs und las wiederholt Dogmatik, indem er seine Vorlesungen unter dem bescheidenen Titel einer Erklärung des Nicänischen Symbols ankündigte. So lautet ein Anschlag Crucigers vom.11. Februar 1546: „Sehr nothwendig ist es für alle Gelehrte in der Kirche, das ganze Alterthum und die Streitfragen alter Zeiten über die Lehre zu kennen, damit die eine sich gleichbleibende katholische Lehre, wie sie durch sichere Zeugnisse von Gott mitgetheilt und von Gott durch Wunder versiegelt ist, erhalten und auf die Nachkommen verpflanzt werde. So ist es von Nutzen, methodische Schriften, welche den gesammten Lehrinhalt umfassen, zu lesen und zu hören. Wie aber Jesaias zu Gott schreit: Versiegle das Gesetz in den Schülern! so bitten auch wir in diesem letzten Greisenalter der Welt, in welchem es mehr wankelmüthige und unbeständige, ja aberwitzige Geister gibt als je zuvor, mit heißen Gebeten vom Herrn, er möge viele Wächter der wahren Lehre erhalten und den Herzen unserer Zuhörer wirklich aufdrücken das Siegel, d. i. den heiligen Geist, damit sie standhaft zu der wahren Lehre stehen, und Gott wahrhaftig angerufen werde. So werde ich denn das Nicänische Symbol erläutern, in welchem die Reihenfolge der Artikel uns nöthigt, den ganzen Lehrinhalt zu entwickeln, und werde heute um vier Uhr mit der Hilfe Gottes diese Vorlesung anfangen. Zuerst werde ich von den Symbolen selbst reden, woher sie kommen, welche Autorität den Synoden zustehe, ob sie Zeugen der zuvor überlieferten Lehre oder aber Urheber einer neuen Meinung seien.“ In einem Anschlag vom 23, Oktober 1547 kündigt Cruciger dieselbe Vorlesung auf’s Neue an und erbietet sich zugleich zu einem Colleg über die hebräische Grammatik und über die Psalmen oder Salomonischen Proverbien, wenn er Zuhörer finde. Aus jener Vorlesung entstanden seine in lateinischer und deutscher Sprache herausgegebenen Schriften von den Symbolen und Concilien. Wir theilen daraus das Nachfolgende mit:

„Erstlich von dem Namen Symbolum ist zu wissen, daß Symbolum heißt ein Zeichen oder Losung; und als man vor Zeiten die fürnehmsten und nöthigen Artikel christlicher Lehre in Summas gezogen, hat man dieselbigen Symbola genannt als Zeichen oder Losung, dabei man die Christen kennet, und damit die Christen ihres Glaubens Bekenntniß bewiesen und anzeigten. Daß man aber solche Summas, die man Symbola genennet, gestellet hat in der Kirche, ist das die fürnehmste Ursach: daß man die Hauptartikel christlicher Lehre kurz gefaßt hätte beisammen, daß beide, Gelehrte und Ungelehrte, nicht allein etliche Stücke, sondern die ganze Summe der Lehre, gleich wie in einem Corpus gefaßt, bei sich behalten könnten, auch mit solcher Bekenntniß sich täglich erinnerten und stärketen und in täglicher Anrufung ihr Gebet dahin richten, da sie die Symbola hinweiseten. Doch hat die Kirche allezeit neben solchen kurzen Symbolis oder Summis auch längere und weitläuftigere Auslegung gehabt, darin sie zusammengezogen die Sprüche der heiligen Schrift und ander Zeugniß von Gott gegeben, damit man wisse, woher die Lehre in den Symbolis genommen sei, und unser Glaube sich gründe nicht auf Menschliche Lehr, sondern auf das klare und gewisse Wort Gottes. Und dieweil wir solchem der Vorfahren in der Kirchen Exempel nach auch solchen Fleiß zu haben zu Erhaltung christlicher Lehre schuldig sind, wollen wir mit Gottes Verleihung allhie ordentlich erzählen die Hauptartikel der Lehre und daneben Zeugniß der heiligen Schrift und aus dem Worte Gottes anzeigen treulich und nicht verkehrt, sondern gewisse und klare Sprüche anziehen auf die Meinung, da sie hin gehören, wollen auch den einigen alten und wahren Verstand der heiligen katholischen Kirche Christi anzeigen und demselben allzeit folgen. Denn dieweil Gott darum die christliche Kirche erbauet hat, daß er sich darin selbst offenbaret, auch mit eigener Stimm und Lehre eröffnet, wie wir beide, von seinem Wesen und Willen gegen uns halten sollen, nach welcher Lehre allein wir ihn erkennen, ehren und anrufen sollen, auch durch diese Lehre einen Unterschied machet zwischen den Christen und allen andern Völkern: so haben wir keineswegs Macht, andere Meinung oder Opinion von Gott zu machen, wie die Heiden und Ketzer greulich phantasirt haben mit Erdichtung allerlei Opinion von Gott, Einer diese, der Andere jene, außer dem Wort Gottes, sollen auch alle zugleich eine einige, reine und ungefälschte Meinung und Lehr, von Gott in den Kirchen geoffenbaret halten, und weiter bei Andern ausbreiten. Nachdem aber der böse Geist aus bitterem Haß gegen Gott, daß er ihn lästere, allzeit etliche leichtfertige Menschen treibt, daß sie falsche gottlose Lehre erdichten und unter die Leute bringen, auch dieser Zeit sonderlich, da nun die Welt abnimmt als in ihrem Alter an allen Tugenden zu besorgen, daß größere Irrthümer von Gott sich erheben werden, sollen wir auf beide Weise dagegen gerüstet seyn, nemlich mit ernstem Gebet und reiner Lehre. Derhalben wie Christus Gottes Sohn im Anfang, da er jetzt an sein Leiden gehen soll, betet als der höchste Priester seiner Kirche, daß reine Lehre unter menschlichem Geschlecht erhalten werde, da er spricht: Vater, heilige sie in der Wahrheit, dein Wort ist die Wahrheit: also sollen wir mit diesem unserem Hohenpriester mit Seufzen bitten täglich, daß das wahre Licht der rechten Lehre bei uns nicht verlösche. Ehe ich aber ansehe die Auslegung des Symboli, will ich hie meines Glaubens Bekenntniß erzählen und zeuge hiemit vor Gott und seiner heiligen Kirche, daß ich glaube und ernstlich für wahr halte alle Artikel, so im Apostolischen und Nicänischen Symbolo begriffen und gefaßt sind, und daß ich verwerfe, auch für einen Greuel halte alle andere irrige Lehren und Opinion, die mit der christlichen Kirche einträchtigem Verstand nicht übereinstimmen, und daß ich auch Gott mit solchem Glauben anrufe. Dieweil denn solches meine und Anderer in unserer Kirche Meinung ist und Bekenntniß, ist offenbar, daß man uns unbillig vorwirft, daß wir sollten von der katholischen Kirche abgesondert oder abtrünnig seyn.“ Indem nun Cruciger auf das vom Nicänischen Concil aufgestellte Symbol übergeht, äußert er sich über die Befugniß der Concilien in folgender Weise: „Man soll wissen, daß die Concilia nicht setzen, auch nicht Macht haben zu setzen oder zu erdichten neue Artikel des Glaubens: denn die Lehre von beiden Stücken, nemlich von dem Wesen Gottes und seinem Willen ist zu hoch und weit über die Vernunft und kann weder von Engeln noch Menschen mit eigener Vernunft ergriffen noch erforscht werden, sondern sie ist von Gott den Engeln geoffenbart, auch mit sonderlicher Stimm und Wort von oben herab eröffnet und mit vielen klaren Zeugnissen dem menschlichen Geschlecht fürgetragen; welches Wort Gott der Kirche besohlen und geboten hat, solches für und für zu erhalten, will auch durch den Glauben solches Worts allein erkannt und angerufen werden. Nachdem aber keine andere Artikel des Glaubens sind denn allein diese, welche gewiß sind, daß sie von Gott, der sich durch die Propheten und Apostel geoffenbaret hat, gegeben sind, fragt man allhie: Was denn die Concilia machen oder schließen mögen? Antwort: die Concilia setzen nicht neue Lehre, sondern lehren und bekennen allein ihre Meinung, so zuvor in der Propheten und Apostel Schriften von Gott gegeben und gegründet ist; zeigen auch an, wie sie die Sprüche in der Schrift verstehen, und zeugen, daß dieser Verstand, den sie haben, von Propheten und Aposteln von Anbeginn zu den Nachkommen für und für erhalten sei. Derhalben sind die Concilia Zeugen oder Zeugniß von allen Artikeln, welche sie annehmen und für recht halten; dieweil sie nicht erst erfunden oder neu sind, sondern mit bewährter Lehre in der Schrift der Apostel und Propheten gegeben, zeugen auch, das man erweisen kann mit der Schrift, so man viel Sprüche von einem Artikel gegen einander hält, daß diese Meinung die rechte und wahrhaftige sei, von welcher sie reden, welche sie lehren und bekennen. Zudem hat ein Concilium auch Hülfe von andern bewährten Zeugnissen, welche gewiß sind, daß sie auch von Aposteln herkommen sind, wie denn Christus zu den Aposteln spricht: Ihr werdet Zeugen sein dieser Ding, damit er will, nicht daß sie etwas Neues in der Lehre ordnen oder setzen sollen, sondern daß sie Zeugen seien von der Lehre, die von Gott zuvor gegeben ist. Es ist also wohl zu verstehen, was ein Concilium fürnehmlich zu thun habe, nemlich daß es nicht erdichte oder setze neue Artikel des Glaubens, oder auch einen neuen Verstand der Schrift erfinde, welches es auch zu thun nicht Gewalt noch Macht hat, sondern daß es allein als ein Zeuge sei des wahren ungefälschten Verstandes, so in der heiligen Schrift und durch den Mund der Apostel uns fürgetragen ist. Und wie insonderheit ein Pfarrherr oder auch sonst ein jeder gottfürchtiger Mensch, so etwa ein irriger Artikel ihm fürgehalten wird, schuldig ist, mit seinem Bekenntniß seinen Glauben zu beweisen, und doch mit dieser Bekenntniß nicht neue Artikel erdichtet, also thun in einem christlichen Concilio viel frommer gottfürchtiger Leute ihres Glaubens und rechten Verstandes, den sie aus der Schrift genommen, öffentliche Bekenntniß. Denn Gott will, daß in der Kirchen selber ordentliche Gerichte seyn, die der wahren Lehre Zeugniß geben, um vier großer Ursachen willen, nemlich I) daß die wahre Lehre erhalten werde und die unrechte widerlegt und verworfen werde; 2) daß Gott will, daß wir sollen die Sprüche in den Propheten und Aposteln gegen einander halten, daß wir daraus den wahren Verstand schöpfen, uns zur Unterrichtung und den Schwachen zur Stärkung, daß auch die in Irrthümern stecken, wiederum auf den rechten Weg gebracht werden; solches alles soll ein Concilium fürnemlich sich befleißen; 3) Gott will, daß allzeit in der Kirche sei ein Häuflein etlicher, die mit einträchtigem Bekenntniß zeugen von der Lehre, daß man wisse, welches und wo die Kirche sei, und daß auch die schwachen Glieder der Kirche, so hin und wieder in der Welt zerstreuet sind, gestärkt werden, und daß sie mit deren Bekenntniß, so gelehrter und erfahrener sind, besser unterwiesen werden, lernen recht Gott anrufen. Also dient dieses Bekenntniß des Concilii zu Nicäa dazu, daß andere Schwachgläubige gestärkt würden, welche als sie verstanden haben den Grund solcher Bekenntniß aus der heiligen Schrift und unterrichtet sind worden durch solches Concilii Zeugnisse, haben sie sich auch zu dieser Bekenntniß gehalten und sind nun deß gewiß worden, wie und wo die rechte Kirche Gottes wäre. Also auch jetzt das einträchtige Bekenntniß der Lehre in unseren Kirchen ist wie ein Spruch eines Concilii, mit welcher Bekenntniß wir aus klaren und gewissen Zeugnissen widerlegen irrige Lehre und weisen die Kirchen zu wahrhaftiger Anrufung Gottes und zu rechten Gottesdiensten; 4) die vierte Ursach, warum Gott will, daß ordentliche Gericht von der Lehre in der Kirche seien, ist diese, daß auch um der Nachkommen willen etlicher Einträchtiger Bekenntniß an Tag komme und bleibe, damit auch dieselbigen unterrichtet und gestärkt werden. Um solcher Ursach willen sind in der Kirche solche Gerichte von der Lehre, die man nennt Synodos oder Concilia, und sind alsdann rechtschaffene Concilia, so sie recht urtheilen, d. i. so sie die rechte und wahre Lehre bekennen, sie werden gleich versammlet, wie sie wollen, durch weltlicher Herrschaft und Oberkeit Gebot und Befehl, oder kommen gleich selbst aus guter Meinung zusammen, als zusammen kamen Maria, Elisabeth, Zacharias, item die Apostel und die nächsten Bischöfe, da man handeln sollte von dem Irrthum Samosateni, und sind solcher Exempel sonst viel. Aber dagegen disputiren Etliche, die der Päbste und Concilien Gewalt und Autorität hoch heben wollen, schreien und sagen, wir reden wider uns selbst: denn wir bekennen, daß öffentliche Gerichte von der Lehre in der Kirche müssen sein, und wir sagen doch daneben, daß Concilia nicht Macht haben, neue Artikel oder Auslegung zu machen; wir sagen auch, man möge solchem Concilio widersprechen, welches neue Artikel oder einen neuen Verstand der Schrift erdenkt. Solcher Anhang, sagen sie, bricht den Conciliis ab und nimmt ihnen ihre Gerechtigkeit und Autorität. Denn gleich wie in weltlichen Sachen ein Fürst oder Richter Macht hat in den Fällen, davon die Recht etwas dunkel fetzen, zu sprechen und den Verstand des beschriebenen Rechts zu erklären, und solcher Spruch oder Erklärung hierin um seines Amts willen Kraft haben und gelten soll, damit weiter Disputiren und Zanken aufgehalten werde: also, sagen sie, soll in den Conciliis auch gelten, was gesprochen sei, und soll nicht ein jeglicher allein oder insonderheit dawider reden und das umstoßen, so einträchtig und durch genaue Stimmen von Vielen beschlossen ist. Hierauf ist also zu antworten, daß ein Unterschied ist zwischen weltlichen Gerichten und den Gerichten in der Kirche und derselben Execution. Gott will, daß in weltlichen Gerichten, so die Händel zweifelhaftig und dunkel sind, die Obrigkeit und der Richter von Amtswegen Macht hat zu sprechen, das der Vernunft und Ehrbarkeit gemäß sei, damit den Zanksachen abgeholfen werde und leidlicher Friede bleibe zwischen den Parteien, ob auch schon etwas Geringes mangelt oder geirret würde in solchem der Obrigkeit und Richters Spruch. Denn in solchen Händeln hat die Vernunft ihren Verstand, als wie im Zählen oder Rechnen u. dgl. Und weil sie menschlicher Vernunft unterworfen sind, wird darin weniger und leidlicher geirret. Aber in Gerichten von der Lehre in der Kirche haben die Concilia der Bischöfe und dergleichen Lehrer solche Macht und Befehl von Gott nicht, d. i. sie haben nicht Macht von wegen ihres Stands oder Amts, in göttlichen Sachen etwas aus ihrem Gutdünken zu sprechen, hinzu oder davon zu thun, und gilt ihre Auslegung nicht darum, daß sie in der Hoheit und Regierung sitzen. Ich rede hier nicht von den Propheten und Aposteln, welcher Auslegung gilt um der öffentlichen Zeugniß willen, so Gott von ihnen und ihrer Lehre gethan hat, sondern ich rede vom gemeinen Beruf der Bischöfe und Lehrer nach den Aposteln. Derselben Sprüche oder Schlüsse sind nichts anderes, denn ein Bekenntniß oder Zeugniß von dem, so sie aus der Schrift Grund und rechten Verstand haben, und folget nicht, daß man ihnen müsse zufallen darum, daß sie in diesen Würden, Stand oder Ansehen sind. Sondern ein Gottfürchtiger, der sie höret, wird von ihnen erinnert, suchet und forschet ihren Verstand und Auslegung nach in der Propheten und Apostel Schriften, darin er Grund und Ursach findet ihrer Meinung. Da aber offenbar ist, daß sie irren, ist vonnöthen, daß man dawider lehre, denn es stehet geschrieben: So ein Engel vom Himmel ein ander Evangelium lehret, soll er verflucht sein. Also auch müssen wir jetzt wider die irrigen Artikel des Concilii zu Trient reden und lehren. Und gilt hie nicht, daß man dagegegen fürwendet, es werde also nimmer keine Einigkeit in der Lehr: Denn es bleibt doch allweg in der Welt Irrthum, Mißverstand und Streit über der Lehre bei Vielen, bis so lang Gott selbst darin richtet. Es hätten die Apostel lang müssen warten, bis der größer Theil der Herren und des jüdischen Volks ihre Lehre hätte angenommen und geglaubt; aber Gott hat endlich mit Zerstörung des Volkes und ihres ganzen Regiments ihren Irthum gerichtet und mit solcher Execution selbst ihres Disputirens und Zankens ein Ende gemacht. Mittlerzeit sind die Apostel von den großen Herrn unter den Juden getödtet worden. Also sollen wir auch göttlichem Gericht die Sach heimstellen und mittlerweil Gottes Worts und der Wahrheit Widersacher Verfolgung und unrechten Gewalt leiden. Dieweil aber zu allen Zeiten Gott ein Häuflein erhält, das die Wahrheit bekennt, und obwohl allerlei Spaltung und Uneinigkeit derhalben sich zutragen, doch müssen allweg etliche sein, die recht glauben und den wahren Verstand haben und recht von der Lehre richten: so ist diese Regel auch recht, daß man die Kirche hören soll, in welcher das Evangelium gepredigt wird. Von dieser Kirche sollen wir uns lassen unterweisen, wie Samson sagt Jud. 14: So ihr nicht hättet mit meinem Kalb gepflüget, hättet ihr mein Räthsel nicht troffen, d. i. Wir Heiden wüßten nichts vom Evangelio, so wir nicht die Kirche des Volkes Israel, durch welche Gottes Wort gelehret, gehöret hätten. Also sollen wir allezeit wissen, daß man die Kirche hören solle, und allein Gottes Wort glauben, wie die Gottfürchtigen höreten das Concilium zu Nicäa, aber ihr Glaube bauet nicht auf das menschlich Ansehen der Person; nahmen den Artikel von einer solchen hohen Sache, darin von des Sohnes Gottheit gehandelt wird, nicht an um derselbigen Versammlung willen, sondern darum, daß von dieser Sache gewisse und klare Zeugniß in der Propheten und Apostel Schriften gegründet und dargethan worden. Derhalben sollen wir solche Unterschied halten, daß wir der Kirche ihre Gerechtigkeit und Ehre geben und der wahren Kirchen Bekenntniß nicht verachten, auch nicht alle Concilia ohne Unterschied verwerfen, sondern sollen die Regel halten 1. Joh. 4: Prüfet die Geister, ob sie von Gott sind. Wo wir aber sehen , daß die Decrete eines Concilii, oder was darinnen beschlossen ist, mit der Schrift übereinstimmt, und daß die Sprüche der Propheten und Apostel recht und ohne Sophisterei gedeutet und verstanden werden und treffen einträchtig zu mit der alten und ungefälschten Lehre der Kirche, da soll man der Wahrheit die Ehre thun und ihr gehorchen; so stärkt auch solch einhellig Bekenntniß fromme christliche Herzen. Weiter fragt man allhie: Dieweil allweg in der Kirche zwei Haufen sind, die mit einander ob der Lehre streitig sind, als wider Christum und die Apostel die Pharisäer waren, wie soll man wissen, welcher Theil recht habe, dieweil beide Theile die Schrift für sich führen? Und sonderlich weil der Theil, der da irret und unrecht hat, im Kirchenregiment sitzet, hat ordentlichen Gewalt d. i. fürnehmste Autorität, und hat auch einen großen Anhang und dazu für sich hat etliche Exempel und Schriften der alten Lehrer, item kann sagen, die Kirche hab viel Jahr solches gehalten, und daß der alte Gebrauch der Kirche nicht zu verwerfen sei. Wornach sollen nun die im Concilio richten, oder wobei soll der gemeine Mann wissen, welchem Theil er folgen und glauben soll? Hierauf antworten nun die Weltweisen und die, so äußerliche gefaßte Regiment und Ordnung wollen erhalten, und sagen, in solchem Zwiespalt solle man sich halten wie sonst in weltlichen Gerichten, in welchen so ein Zweifel oder ungleicher streitiger Verstand fürfällt, muß man sich richten nach der Obrigkeit und Richters Schluß und Oerterung; denn um ihres Amts willen soll man in dunkeln Sachen zuletzt beruhen auf dem, wie sie erkennen und sprechen. Desgleichen sagen solche weise Regenten 7 soll man auch halten vom Concilio, daß die Meinung, so von dem Concilio als von ordentlicher Gewalt beschlossen, jedermann annehme und damit zufrieden sei; sagen daneben, man müsse nicht allein nach der Propheten und Apostel Schriften richten, sondern auch nach der einträchtigen Meinung, so die fürnehmen Lehrer in der Kirche gehalten haben; diesen solle man nachfolgen in dem, das der mehrer Theil unter ihnen hält. Solche Gedanken bethören viel Leute, sonderlich dieweil es einen schönen Schein hat und darum den Weisen wohlgefällt. Aber dagegen soll man allzeit bedenken den ernsten Spruch, von dem nicht zu weichen ist, Gal. 1: So Jemand ein ander Evangelium predigt, der sei verflucht. Denn wo der Propheten und Apostel klare Sprüche vor Augen sind und offenbar ist, daß die alte Gewohnheit und der Väter Lehre dawider ist, in diesem Fall (sage ich) ist leichtlich zu richten; denn man muß dem Wort Gottes, nicht der Menschen Lehre folgen. Und in solchen Artikeln, da man die Leut klar überweisen kann, ist leicht zu richten; wie denn zu unsern Zeiten von vielen Artikeln der Verstand klar ist und darf keines Disputirens, als von der Ehe, vom Unterschied der Speise, daß sie nicht nöthig, auch von der Messe, daß sie nicht ein Opfer sei, damit man auch Andern verdiene Vergebung der Sünden, wenn der Priester gleich gottlos ist und nicht weiß, was die Messe ist. Ja, wie weiß man aber, was der rechte Verstand ist in den Sprüchen, so dunkel oder zweifelhaftig geredet sind, daß sie ein Theil also, der ander anders deutet? Antwort: Als den ersten alten Vätern vor den Propheten und darnach den Propheten und Aposteln ist gegeben worden die Verheißung des Evangelii, und sie auch solche Lehre geprediget haben, hat ihnen Gott zugleich öffentliche Zeugniß gegeben als Wunderlichen und andere, dadurch man gewiß schließen könnte, daß solche Lehre von Gott gegeben wäre. Dieweil aber nun die Lehre offenbart und bestätigt ist von Gott, so sollen wir nicht neue Mirakel oder Wunderzeichen fordern, wiewohl sonst allezeit in der Kirche Mirakel und Wunderzeichen sind und geschehen, obschon nicht Jedermann Achtung darauf gibt, und so sie die Gottlosen gleich sehen, so lassen sie sich doch nicht damit bekehren. Derhalben so soll nun fort unsere Regel seyn, darnach wir uns richten und der Lehre gewiß seyn mögen, der Propheten und Apostel Schrift, welche ihren eigentlichen und wahrhaftigen Verstand selbst klar gibt und mitbringet, so man die Sprüche fleißig gegen einander hält und betrachtet. Denn dieses ist nicht wahr, daß Etliche sagen, der Text sei oft zweifelhaltig, sei gleich so viel, wie man ihn deute: denn allenthalben der Text nur einen gewissen Verstand hat, welchen auch dergleichen Sprüche an andern mehr Orten in der Schrift geben Und wiewohl die Feinde der Wahrheit auch die klaren Sprüche mit unrechten Glosen können verkehren und deuten wie sie wollen, doch, weil Gott allezeit, erhält ein Häuflein, welches die wahre Kirche Gottes ist, auf daß zu allen Zeit Zeugen seien der wahren Lehre, ihr sei gleich viel oder wenig, so hat dieselbige wahre Kirche unter andern Gaben des heiligen Geistes auch diese, welche nichts anders ist denn der rechtschaffene Glaube, welcher in gottfürchtigen Herzen die Wahrheit annimmt, so in Gottes Wort offenbart wird, und demselben weichet und Statt gibt. Denn solche Herzen fetzen nicht menschliche Weisheit über Gottes Wort, sondern wie Paulus lehret 2. Cor. 13, ergeben ihre Vernunft Gott gefangen unter den Gehorsam Christi. Und dieser Glaube oder Annehmung der apostolischen Sprüche in dem Verstand, welchen sie mit sich bringen, so man sie fleißig an mehr Oertern der Schrift gegeneinander hält, ist nichts anders denn des heiligen Geistes Gabe, welche Paulus nennt die Weissagung, und ist das Licht des Glaubens, welches wächst und zunimmt in Uebung der Buße, in Schrecken und Zittern vor Gottes Zorn, in Verfolgung und Trost, wie geschrieben stehet Psalm 12: Die Rede des Herrn ist lauter wie durch läutert Silber in irdenem Tigel, siebenmal bewährt. Zu diesem hat auch diese wahre Kirche andere Zeugniß deren, so zuvor gewesen sind, welche denselben rechten Verstand der Schrift gehabt und bekannt haben. Denn Gott hat allweg etliche wahre Zeugen gegeben, erhält auch solcher Zeugen Lehre und Meinung in Büchern und Schriften um der Nachkommen willen, wie er denn hinwieder will, daß auch unser Bekenntniß soll andern unsern Nachkommen vorleuchten. Diese wahre Kirche kann auch unterscheiden die reine Lehre von den unreinen und falschen. Derhalben sind nun beide, die Richter in der Kirchen und gottfürchtige Zuhörer, der christlichen Lehre gewiß: erstlich aus der Propheten und Apostel Schriften, welche die rechten Quellen sind der anderen Lehrer; darnach aus andern reinen Zeugnissen der Symbole und anderer Lehrer Bekenntniß, die am reinsten und wahrhaftigsten von der Lehre geschrieben haben. Diese Zeugnisse unterrichten die Gottfürchtigen genugsam, daß sie damit können zufrieden seyn, dieweil der Glaub in ihnen leuchtet, welcher, so er Gottes Wort mit Furcht annimmt und unterwirft sich göttlicher Weisheit, ziehet nicht menschliche Weisheit vor, ist er wahrhaftig des heiligen Geistes Gabe der Weissagung, welche die Schrift recht verstehet und ausleget. Derhalben ist endlich also die wahre Kirche hiermit zufrieden und beruhet darauf, dieweil sie über Gottes Gebot und Befehl nichts Weiteres sucht, welcher heißt also: Dieses ist mein geliebter Sohn, den sollt ihr hören! … Es spottet Erasmus an einem Ort derer, die da sagen, man soll nicht sehen auf die Person der Lehrer oder Richter in der Kirche, wenn gleich etliche Gewaltige oder ordentliche Regenten in der Kirche und Gelehrte etwas gebieten und halten, das dem göttlichen Wort nicht gemäß ist, und setzt gegen einander zwei widerwärtige Stück, der keins vornehmlich zur Sache dienet, wenn man von den Artikeln des Glaubens richten soll; sagt also: Ihr sprecht, man soll nicht achten, daß Einer eines hohen Stands ist oder im Kirchenregiment, als die Bischöfe; es thue auch nichts zur Sache, daß Einer gelehrt ist; das lasse gleich also wahr sein: was thut aber auch zur Sache, daß Einer gar ungelehrt und eines gar geringen Standes ist? Hieraus antworte ich: Es ist beides wahr, es thut der hohe Stand fürnemlich Nichts zur Sache, noch der niedrige; es kann auch der Gelehrte sowohl irren als der Laie. Darum auf diese Stücke nicht fürnehmlich zu bauen ist, wenn man von den Artikeln der Lehre richten soll; wiewohl ein Gelehrter etwas mehr Hilfe hat denn ein Laie und sich in die Lehre besser schicken kann denn der Ungelehrte. Derhalben auch Gott oft geboten, daß ein Lehrer oder Richter in der Kirche solle gelehrt seyn, d. i. er solle die heilige Schrift und christliche Lehre recht gelernt haben, wie Malachiä stehet: Des Priesters Lippen sollen die Lehre bewahren, daß man aus seinem Munde das Gesetz suche, und Matth. 13: Also soll sein ein Schriftgelehrter zum Himmelreich gelehrt; und zum Timotheo: Ein Bischof soll seyn lehrhaftig. Derhalben sollen wir Gottes Befehl gehorsam seyn und lieber gelehrte Richter suchen und wählen denn ungelehrte; denn es ist kein Zweifel, daß auch unter den Gelehrten etliche den heiligen Geist haben. So rede ich auch von den Gelehrten in der Kirche, d. i. von denen, die christliche Lehre recht gelernt haben, lieben die Wahrheit, suchen ihr auch nach treulich und mit einfältigem Herzen, haben auch mit langwieriger Erfahrung und bei sich selbst mit wahrer Buße und Glauben den Verstand solcher Lehre geübt und gestärkt; item welcher Leben auch Zeugniß gibt, daß sie nicht roh und ohne Gottesfurcht sind, auch nicht verblendet mit Aberglauben, als die Mönche und Heuchler. Darum obwohl auch Gottesfürchtige und Gelehrte irren können, so sie eines Besseren nicht erinnert werden, so kann man doch mit Wahrheit Erasmo also antworten, daß es etwas dienet zu richten von des Glaubens-Artikeln, wenn einer gelehrt und daneben gottfürchtig ist. Derhalben soll man solche gelehrte und gottfürchtige Richter suchen. Hie fragt man nun wiederum: Wie kommt es aber, daß gleichwohl auch bei denen, so beide gelehrt und gottfürchtig sind, oft Irrthümer gefunden werden, als bei Bernhardo, Bonaventura und Andern? Antworte ich: Sie sind nichts Besseres erinnert worden; denn so jetzund Bernhardus oder Bonaventura lebten, achte ich, daß man recht thäte, wenn man sie zu Richtern wählet von den Artikeln, davon jetzt der Streit ist. Denn so sie Erklärung unserer Lehr würden hören, zweifle ich nicht, sie würden als fromme Leute der Wahrheit zufallen. Denn das ist gewiß, daß von dem Grund in der Kirche, d. i. von Artikeln des Glaubens und nöthigen Stücken christlicher Lehre des Evangelii ein einträchtiger Verstand ist unter den vornehmsten Lehrern und allen, die da die Wahrheit suchen und annehmen, obwohl etliche klärer, etliche dunkler und zuweilen ungeschicklicher davon geredet haben und noch reden oder schreiben, und wer Achtung darauf gibt, der wird auch merken, daß allezeit etliche gewesen sind, die reiner gelehrt haben denn die andern. Als Basilius, Ambrosius, Bernhardus stimmen überein in den fürnehmen Artikeln; gleichwohl muß man sie lesen mit gutem Verstand und Achtung haben, was in Summa ihre Meinung sei, und ist nicht genug, daß man hin und wieder aus ihren Büchern etliche Stücke zwacke, die nicht so gar eigentlich und bedächtig geredet sind, wie es denn einem jeden oft widerfähret, der viel schreibt. So ist auch offenbar, das man stehet in dem mehrer Theil Scribenten: obgleich ihre Meinung oft recht ist, dennoch reden sie zuweilen etwas ungeschickt davon, daß es scheint, als hätten sie einen andern Verstand gehabt. Und darum verwerf ich nicht den ganzen Augustinum oder Bernhardum, ob sie gleich etliche Irrthümer haben, denn ich nicht zweifle, sie hätten solche Irrthümer selbst geändert, wenn sie eines Bessern wären erinnert worden. Denn es oft geschieht, daß die Heiligen auf das Fundament oder Grund Stoppeln bauen. Also auch, wiewohl St. Bernhard von den Artikeln des Glaubens und von Vergebung der Sünde recht gelehrt hat, doch menget er bei der Weile Stoppeln ein, als von Anrufen der todten Menschen und mönchischen Gelübden. Denn zu jeder Zeit etwa ein Irrthum oder mehr ingemein im Schwank gehet, welche der reinen Lehre entgegen sind und sie verfinstern, in welchem auch die Heiligen mit verwickelt sind und sie nicht anfechten, weil es der ganze Haufe also für recht hält. Aber solche Irrthümer kann man wohl kennen und sie bessern, so man den Grund suchet, d. i. so man sie mit Fleiß hält gegen der Propheten und Apostel Schrift und gegen die bewährten Symbola. Dieß alles hab ich darum erzählet, daß man wisse, wie man gewiß werde des rechten Verstands der Lehre und woher man solche gewisse Regel annehmen soll, auch welche Zeugnisse dazu uns Hilfe thun. Denn solche Vergewissung kommt eigentlich aus den Sprüchen und der Lehre von Gott gegeben; und zu diesem hat Gott sein Zeugniß mit allerlei Mirakeln und Wunderzeichen dazu gethan, als mit Auferstehung der Todten und dgl. Und derselben Sprüche kann man klaren Verstand haben aus den einfältigen Worten des Texts, und so man hin und wieder in der Schrift ander mehr Predigt der Propheten und Apostel gegen einander und zusammen hält; auch stimmen mit solchen Sprüchen allezeit etliche gewisse und klare Zeugnisse der Symbola und anderer Lehrer, welche die Apostel selbst oder ihre Schüler gehört haben. Derhalben allezeit etliche Fromme und Gottfürchtige nehmen mit festem Glauben an solche Sprüche der göttlichen Schrift und lassen sich weisen mit dem klaren Verstand des Texts, wie er von Gott gegeben ist, wer- den auch darin gestärkt durch alte und bewährte Zeugnisse; und dieweil sie nicht ihre eigene Weisheit dem Wort Gottes vorziehen, sondern sich Gott unterwerfen und zum Gehorsam gegen Christo, wie Paulus spricht, Gottes Wort annehmen, so stärkt sie auch der heilige Geist, wie Johannes spricht: Die Salbung lehret euch, welches also zu verstehen ist, daß der heilige Geist lehret und stärket durch Gottes Wort. Also sind nun die Gottfürchtigen zufrieden und sind der Lehre gewiß, so sie auf Gottes Wort sehen, nicht auf menschliche Weisheit, und wiewohl sie auch allwegen andere Zeugniß haben der Kirchen, so glauben sie doch um der Sprüche willen der Schrift, die von Gott gegeben ist, und verläßt sich der Glaube in der Anrufung nicht auf das, so im Concilio als von Menschen beschlossen ist, sondern auf Gottes Wort. Aber doch höret daneben auch ein fromm Herz die Kirche, die da solches lehret, und der Wahrheit Zeugniß gibt, auch die Zuhörer stärket, wie zu Petro gesagt ist: Und so du bekehrt wirst, stärke auch deine Brüder. Aber dagegen ist allezeit ein großer Hauf der Gottlosen, die die Weisheit höher achten denn Gottes Wort, wollen ihnen auch nicht lassen sagen noch sich weisen lassen, wenn sie schon sehen, daß sie unrecht haben und desselben überwiesen sind, derhalben sie je länger je mehr in ihrer Bosheit verblendet werden, wie Paulus sagt: Ihre Augen müssen verblendet sein, daß sie nicht sehen. Derhalben wird anders nicht draus, es bleibt allweg Zwiespalt und Streit der Lehre halben um der Gottlosen Halsstarrigkeit willen, die der Wahrheit nicht weichen wollen. Aber deßhalben sollen wir nicht denken, daß Gottes Wort ungewiß sei, denn es sind allzeit etliche Gottfürchtige, die mit festem Glauben das Wort annehmen, wie ich gesagt habe, und endlich widerlegt und verdammt unser Herr Gott selbst der Gottlosen Halsstarrigkeit durch sonderliche schreckliche Straf, rottet aus einen ganzen Haufen der halsstarrigen Feinde, wie er den Pharao vertilget, Jerusalem nach der Apostel Predigt verstöret, die Ketzer Manichäos, Arianos und dgl. hingerichtet hat. Denn solche Streit hat die Kirche allezeit und man kann solche Spaltung nicht mit weltlicher Obrigkeit Ordnung oder Satzung wie in weltlichen Gerichten entscheiden. Daß dieser Unterricht wahr und gewiß sei, werden fromme Herzen wohl verstehen, und hoff, er soll auch den Gottfürchtigen dazu dienen, daß sie lernen, daß sie müssen in streitigen Artikeln auf Gottes Wort sehen, und daß gleichwohl auch durch Zeugniß christlicher bewährter Concilien fromme Herzen unterwiesen und gestärkt werden.“

Wir sehen, mit welcher Entschiedenheit Cruciger das formale Princip des Protestantismus vertritt, und mit welcher Mäßigung er daneben das historische Recht der Kirche, sobald es auf die rechten Grenzen beschränkt wird, anerkennt. Seine akademischen Vorträge zeichneten sich durch logische Schärfe, Klarheit und Durchsichtigkeit nicht minder als durch Milde und Duldsamkeit aus und wurden darum nicht bloß von der studirenden Jugend, sondern auch von Professoren und Pfarrern zahlreich besucht, Selbst Melanchthon fand sich nicht selten unter den Zuhörern ein. Als ihm einst Cruciger bemerkte, er sehe ihn ungern in seiner Lection gegenwärtig, sprach Luther: Ich hab Philippum auch nicht gern in meinen Lectionen und Predigten, aber ich schlage das Kreuz für mich und denke, Philipp, Jonas, Pommern, u.s.w. sei nicht drinnen, und laß mich dünken, daß kein Klüger auf der Kanzel stehe als ich! Ein anderer Zuhörer, der sich in Crucigers Vorlesung als Gast eingefunden hatte, sollte ihm freilich viel zu schaffen machen – der aufgeblasene und ketzerrichterliche Pfarrer in Niemegk, Conrad Cordatus. Im Jahr 1536 erklärte Cruciger in seinen Vorlesungen das Evangelium Johannis und bediente sich dabei der ihm von Melanchthon mitgetheilten Dictate. Es war damals nichts Ungewöhnliches, daß sich die Wittenberger Docenten den Entwurf ihrer Vorlesungen von dem allzeit dienstfertigen Melanchthon fertigen ließen. Ratzeberger erzählt: „Es hatten dazumal der mehr Theil der Professoren diesen Gebrauch, daß keiner einige Lection im Collegio hielt, es hatte ihm denn zuvor Philippus vorgeschrieben und aufs Papier disponirt Materiam, welche er lesen sollte. Auf solche Philippi Gutwilligkeit verließen sich viel Magistri und Professores, denen es sonst nicht so sauer ward, als wenn sie selbsten hätten auf ihre Lectiones müssen studiren, denn es war Philippo keine Arbeit verdrießlich und diente gern Jedermann.“ Es traf sich nun, daß Cruciger eben an dem Tage (24. Juli), an welchem Cordatus in seiner Vorlesung hospitirte, aus den Locus von den guten Werken zu sprechen kam und dabei folgenden Satz aufstellte: „Christus ist nur der Grund, um dessen willen wir selig werden; gleichwohl ist es richtig, daß wir Menschen etwas dazu thun, Reue empfinden und mit dem Wort Gottes unser Gewissen schärfen müssen, um den Glauben zu empfangen. So sind unsere Buße und unser Bestreben zu glauben die Gründe, ohne welche unsere Rechtfertigung nicht erfolgen kann.“ Cordatus sah in diesem Lehrsatze einen Widerspruch gegen Luthers Lehre vom allein seligmachenden Glauben und theilte am 20. August Crucigern sein Bedenken schriftlich mit. Da er von demselben keine Antwort erhielt, schrieb er ihm am 8. September aufs Neue sehr heftig. indem er die Lehre Crucigers geradezu eine sophistische oder papistische, oder zum Mindesten eine philosophische nannte und Crucigern drohte, ihn, falls er seine Behauptung nicht zurücknähme, bei dem Collegium der Wittenberger Theologen zu verklagen. Hierauf antwortete Cruciger am 10. September mit großer Ruhe und Mäßigung: er habe nicht auf das erste Schreiben geantwortet, weil er in der Zwischenzeit von Haus abwesend gewesen sei, auch seines Gegners erste Hitze habe verfliegen lassen wollen; zudem sei seiner Natur nichts mehr zuwider als Gezänk, und hier handle es sich bloß um einen Wortstreit; er erklärte kurz: nie habe er gelehrt, daß wir durch unsere Werke gerecht werden, allerdings aber habe er gesagt, daß die Worte „Wir werden gerechtfertigt umsonst“ nicht die Buße ausschließen, diese vielmehr zur Rechtfertigung nothwendig sei, weßwegen er sie causa sine qua non genannt habe, da ohne sie der Glaube nicht bestehen könne; mit seinem Ausdruck habe er übrigens nicht eine stehende Formel aufstellen wollen; er frage ihn nur, ob er die Buße zur Rechtfertigung eines Menschen nothwendig erachte; sei dem also, so möge Cordatus die Art und Weise dieser Nothwendigkeit bezeichnen und eine Formel dafür aufstellen, denn über Worte wolle er weder mit Cordatus noch mit Andern streiten. Cordatus ließ sich hiemit nicht beruhigen und antwortete am 17. September in einem verworrenen Schreiben: man soll nur sagen, daß der Glaube nicht ohne Buße bestehe; am Schluß ruft er seinem Gegner zu: Gedenke, von Wem du die Theologie Christi empfangen und gelernt hast, nemlich von unserem Lehrer Luther, welcher der Doctor aller Doctoren der Theologie ist! Gleich am folgenden Tag ließ es Cordatus keine Ruhe: er mußte selbst nach Wittenberg und suchte Crucigern auf, um sich mit ihm allein zu unterreden. Dieser gestand zu, er sei ein Schüler Melanchthon’s, und was er in der Vorlesung gesagt habe, komme von diesem seinem Lehrer her, er wisse selbst nicht, wie er ihn zu dieser Aeußerung gebracht habe. Auf dieses hin begab sich Cordatus zu Luthern, ihm das Vorgefallene zu berichten. Derselbe erwiderte: Du bist nicht der Erste, von dem ich das höre, denn Michael Stifell und Amsdorf hinterbrachten mir bereits Aehnliches. So übertrug sich jetzt der Streit auf den eben abwesenden Melanchthon, welchen Cruciger über das Geschehene in Kenntniß setzte. Melanchthon erwiderte seinem tief erregten Freunde, er möge das Ketzergericht in würdiger Ruhe verachten, und wie edle Pferde still an bellenden Hunden vorübergingen, diese seine Zoilus mit Stillschweigen strafen. Zugleich schrieb Melanchthon einen besänftigenden Brief an Luther, Jonas, Bugenhagen und Cruciger gemeinschaftlich, worauf Luther die Sache beilegte, bis einige Monate später Cordatus den Streit auf’s Neue aufnahm, die neue Ausgabe der Loci zur Zielscheibe wählend. Als Melanchthon ihm sehr ernst antwortete und Jonas als Rector ihm wiederholt seine ungebührliche Hitze verwies, erklärte Cordatus zuletzt, er wolle nicht mit Melanchthon streiten, er habe es nur mit Cruciger zu thun. In einer Disputation vom 4. Juni 1537 hatte Letzterer den Satz aufgestellt und mit Schriftstellen gestützt, daß der neue Gehorsam zur Seligkeit nothwendig sei. Luther entgegnete, ihm gefalle der Ausdruck „nothwendig zur Seligkeit“ nicht, weil das Volk ihn falsch verstehen könne, aber gab zu, daß der neue Gehorsam die nothwendig folgende Wirkung der Rechtfertigung sei. Je friedlicher die Disputation abgelaufen war, desto mehr mußte Cruciger staunen, als ihm bald nachher in der Kirche ein anonymer Drohbrief voll der gröbsten Schmähungen überreicht wurde, in welchem ihn der Schreiber aufforderte, seine Sätze zu widerrufen, widrigenfalls er ihn für einen Papisten und Diener des Satans, nicht Christi halten müßte. Cruciger kränkte sich über diese Vorfälle tief und schrieb am 10. Juli an Veit Dieterich: „Lieber wäre ich von hier fort, stelle es aber Gott anheim. Kaum findet man noch irgendwo wahre Aufrichtigkeit, Alles erscheint mir voll Trug und Verdächtigung, je öfter ich an unsere alte Freundschaft denke und mich nach ihr sehne.“ Unzufrieden damit, daß Luther den Cordatus noch immer begünstige, bedauerte er, den im Jahr 1536 an ihn ergangenen Ruf nach Frankfurt a. M. nicht angenommen zu haben. Es mußte ihm diese Verdächtigung um so weher thun, als er eben erst als Dekan der philosophischen Facultät eine Rede gehalten über die „Aufrechthaltung der reinen Lehr in der Kirche.“ In ihr hatte er zu Vereinigung evangelischen Friedenssinnes mit strengem Wahrheitseifer aufgefordert und gesagt: „Wenn von kirchlicher Eintracht die Rede ist, muß man dieß so verstehen, daß vor Allem eine Uebereinstimmung in der reinen Lehre des Evangeliums dazu erfordert wird. Daher sind die im Irrthum, welche uns Schuld geben, daß wir die öffentliche Ruhe der Kirche stören und die Eintracht lockern und lösen, weil wir uns von denen trennen, die, gestützt auf die Autorität der Kirche und eine lange Vergangenheit, im Widerspruch mit dem Evangelio falsche Lehren vertheidigen und uns, weil wir ihnen nicht beipflichten, auf alle Weise verfluchen und mit Feuer und Schwert verfolgen. Wir aber, die wir die helle Offenbarung Gottes in der Schrift haben, dürfen keinen Bund mit falschen Lehren machen und uns dazu weder durch das Geschrei und die Drohungen der Gegner bewegen lassen, noch an diejenigen uns anschließen, welche in guter Meinung einen Frieden wünschen und anstreben, bei welchem die Reinheit der Lehre geopfert wird, und Irrlehren und Mißbräuche lieber dulden, als die öffentliche Ruhe antasten wollen.“ Der Streit mit Cordatus war der erste Anlaß zu einer Spannung zwischen den beiden Häuptern Wittenbergs. Sie wurde gesteigert durch die Stellung, welche Melanchthon in der Lehre vom Abendmahl später einnahm. Cruciger stand auf der Seite Melanchthons und beschwerte sich, namentlich in seinen Briefen an Veit Dieterich, über Luthers Heftigkeit und Gewaltthätigkeit; gerne hätte er Luthern privatim aufgesucht und sich mit dem Grollenden verständigt, aber er dürfe es nicht wagen, da der leidenschaftlich erregte Mann oft etwas anders auffasse, als es gemeint sei. Cruciger befürchtete, wie Philippus einen völligen Bruch und dachte daran, Wittenberg zu verlassen. Während aber Melanchthon und Cruciger von Luthern nicht loskommen konnten, immer wieder angezogen und gefesselt von seiner gewaltigen Persönlichkeit wie das Eisen vom Magnet, und darum ihre Abweichung von Luthers Lehre selber nicht Wort haben wollten, war sich Luther des im Schooß seiner Wittenberger Freunde sich bildenden Gegensatzes klar bewußt, konnte augenblicklich in gewaltiger Mißstimmung auflodern, aber darum auch recht die Liebe üben, welche Alles glaubt und trägt, Alles duldet und hofft. Es war einzig und allein das Verdienst dieser in Liebe allgewaltigen Selbstbeherrschung Luthers, daß die Wolken, welche sich je und je über den Freundschaftsbund zu Wittenberg lagerten, sich immer wieder zertheilten, um erst nach dem Tod des Heroen in schwerem Gewitter sich zu entladen.

Ein besonderes Verdienst erwarb sich Cruciger dadurch, daß er, der gefeierte Doctor und Professor der Theologie, der beliebte Prediger der Schloßkirche und gewesene Rector der Universität, sich nicht für zu gut hielt, die Predigten, welche Luther in der Schloßkirche vor fürstlichen Personen hielt, wörtlich nachzuschreiben, um sie hernach für den Druck zu ordnen. So sind Luthers Auslegung des 65. Psalmes, 1534 vor dem Fürsten von Anhalt gehalten, seine drei Predigten von der heiligen Taufe gegen die Wiedertäufer (1535) und seine Predigt über den 118. Psalmen durch Crucigers Dienst aus die Nachwelt gekommen, wie er auch Luthers Vorlesungen über die Genesis mit M. Georg Rorarius nachgeschrieben hatte. Schon frühzeitig hatte sich Cruciger eine seltene Fertigkeit im Schnellschreiben erworben; Myconius erzählt von ihm: „Es ist nicht erhört worden, daß ein Mann auf Erden so behend hätte können schreiben, als dieser Doctor Cruciger, und wenn er Luthero in der Predigt oder in lectione nachschrieb und excipirte, so versah er kein Wort, deß sich alle Welt wundern mußt.“ Er bediente sich dabei gewisser nur für ihn verständlicher Abkürzungszeichen, die er nachher, wie die Stenographen jetzt noch thun, bei der Reinschrift durch ordentliche Sylben und Wörter ergänzte, und vermochte darum schon kurze Zeit darauf den mündlichen Vortrag fast ohne Lücken Luthern zu übereichen. Weil Cruciger aber mit der Genauigkeit seiner Reinschriften noch nicht zufrieden war und fürchtete, es möchte da oder dort in der Eile der Vortrag von ihm nicht mit aller Treue gefaßt worden seyn, so weihte er seinen Freund, den Wittenberger Diaconus Georg Rörer in diese Kunst ein. Beide schrieben nun zugleich Luthers Predigten und Vorlesungen nach, verglichen ihre Reinschriften mit einander und ergänzten so gegenseitig ihre Manuscripte. Luther zollte Crucigers Geschicklichkeit im Auffassen seiner Predigten großes Lob: daß er seine Wort und Art zu reden also auffassen und begreifen könnte, und sagte: „Ich halte, er hats besser gemacht, denn ichs gepredigt habe.“ Im Jahr 1535 beauftragte Luther Crucigern, seine Postille in neuer und besserer Form herauszugeben; er schreibt über Cruciger: „Er ist, wenn mich die Liebe nicht blind macht, der Mann, welcher einen Elisa vorstellen könnte, wenn ich ein Elias bin (es sei erlaubt, Kleines mit Großem zu vergleichen), ein friedliebender und stiller Christ, welchem ich nach mir die Kirche befehlen will, so thut auch Philippus.“ Ebenso hatte Luther ihm die Sammlung und Herausgabe seiner Werke anvertraut. Da Cruciger wiederholt in Geschäften abwesend war, erschien die Postille erst Ausgangs des Jahres 1543 unter dem Titel: „Die neu zugerichtete Kirchenpostille Mart. Lutheri.“ Auch übersetzte Cruciger mehrere Schriften Luthers und Melanchthons ins Lateinische, während er mehrere deutsch geschriebene ordnete“). Endlich that er Luthern bei dem Werk der Bibelübersetzung brüderliche Handreichung, welche Luther dankbarst anerkannte. Als dieser für das Jahr 1541 eine neue Ausgabe seiner Bibelübersetzung besorgte, war Cruciger Einer der sechs Theologen, mit denen sich der gewissenhafte Uebersetzer berieth, um die richtigste Auslegung und das treffendste Wort überall zu finden. Nebst ihm versammelten sich zu diesem heiligen Werk bei Luthern die drei Häupter der Wittenberger Theologen, Melanchthon, Bugenhagen, Jonas, und die beiden Orientalisten Aurogallus und Förster. Da keiner seiner Zeitgenossen Crucigern in der Kenntniß der hebräischen Sprache übertraf, war seine Beihilfe namentlich für einzelne alttestamentliche Schriften von großem Einfluß.

Nach allem Erwähnten müssen wir uns die Wirksamkeit Crucigers auf dem Katheder, der Kanzel und im Freundeskreis Wittenbergs als eine sehr bedeutende und einflußreiche denken. Doch wurde sie häufig durch Sendungen nach außen unterbrochen. Auch außerhalb Wittenbergs sollte der treue Gehilfe des Werkes der Reformation seine Gelehrsamkeit und seinen guten Rath in die Wagschaale der Reichs- und Kirchentage legen, vor Allem aber seiner geliebten Vaterstadt Leipzig als evangelischer Apostel dienen.

3. Crucigers Wirksamkeit nach außen.

Der Natur und den Wünschen Crucigers hätte ein wissenschaftliches Stillleben am meisten entsprochen. Friedliebend, wie er war, hatte er an den mehr ungelehrten als gelehrten Gesprächen keine Freude und beklagte sie als einen nutzlosen Zeitverlust. Glücklich im Familienkreise, wurde es ihm besonders schwer, wiederholt lange von Hause ferne zu seyn. Er zog es vor, in Wittenberg durch Stellvertretung Anderer mit zweifachen Geschäften belastet zu seyn, als draußen mit Gegnern zu tagen, denen es um Alles mehr als um den Sieg der Wahrheit zu thun war. Gleichwohl war seine Stellung in Wittenberg eine so hervorragende, daß er sich den öffentlichen Verhandlungen nicht immer, wie er wollte, zu entziehen vermochte. Das erste Gespräch, welchem er anwohnte, war die vom 2. bis 4. October 1529 zu Marburg mit Zwingli und Oekolampad gepflogene Verhandlung. Während der Reichstage von Speier und Augsburg blieb Cruciger in Wittenberg, um durch seine Vorlesungen die durch Melanchthons Abwesenheit entstandene Lücke auszufüllen. Bei der Concordia, welche um das Himmelfahrtsfest 1536 mit Martin Bucer und andern oberdeutschen Theologen zur Beilegung des Abendmahlsstreites in Wittenberg zu Stande kam, war Cruciger unter Luthers Freunden und Rathgebern, Er erklärte noch im Jahr 1538, er halte es für das Sicherste, anzunehmen, daß im Abendmahl eine wahrhaftige und sogar leibliche Gegenwärtigkeit stattfinde: „wenn ich aber unbedingt für solche Gegenwärtigkeit mich ausspreche, so disputire ich doch nicht über die Art und Weise derselben, denn ich glaube, daß es der Einfalt des Glaubens genügt, zu glauben, daß Christus wahrhaftig zugegen sei und daß sein Leib und Blut denen gereicht werde, welche sich am Tisch des Herrn einfinden.“ Im Januar 1536 hatte sich Cruciger auch an den Verhandlungen betheiligt, welche zu Wittenberg in Betreff der Ehescheidung des Königs von England von Katharina von Arragonien geführt wurden, und ein überaus klares und mildes Gutachten über Ehescheidung abgegeben. Er erklärt, die Ehe sei ohne allen Zweifel für die unverdorbene Natur mit dem Zweck eingesetzt worden, daß sie eine beständige unauflösliche Vereinigung eines Manns und einer Frau sei. Das liege in dem Wort: Sie werden ein Fleisch seyn, d. h. unzertrennlich verbunden; denn Gott verdamme hart alle umherschweifende Vermengungen. Aber in jenem Stand der unverderbten Natur hätte es auch keine Krankheit, kein Unrecht, keine Erbitterung des Hasses, also keinen Grund zur Scheidung gegeben. Seit dem Fall sei die menschliche Natur verderbt, oft hindern Krankheiten die Zeugung, oft werden die Gemüther durch schnödes Unrecht einander entfremdet; zuweilen käme auch Ehebruch vor. Darum sei schon vor Moses Trennung und Vielweiberei aufgekommen. Moses, welcher der verderbten Natur eine Disciplin vorschreibe, heiße zwar weder Trennung noch Vielweiberei gut, gestatte aber gleichwohl die bestehende Sitte, weil das Gesetz wegen des Menschen sei und unserer Schwachheit etwas zu gut halte, wie auch viele bürgerliche Gesetze milder seien, als sie nach der Strenge der Gerechtigkeit seyn sollten. Es sei von größter Wichtigkeit, bei Moses wohl zu unterscheiden zwischen dem Sittengesetz, welches auf das Herz dringe, und den öffentlichen bürgerlichen Gesetzen, welche nur das äußere Zusammenleben im Auge hätten. Das Sittengesetz richte die Herzen und verdamme rundweg die Wurzel der Sünde. Aber die politischen Gesetze Mosis seien milder und tragen mit großer Weisheit dieser Schwachheit Rechnung. In großem Irrthum wären die, welche das mosaische Gesetz für eine barbarische Confusion halten; er halte es für die Idee des besten bürgerlichen Rechtsstandes in dieser Verderbniß der Natur. So sage er, Moses habe beides, Scheidung und Vielweiberei, im Gegensatz zur ursprünglichen Einsetzung gestattet, aber kraft seines prophetischen Geistes und auf Grund göttlicher Vollmacht, denn Gott selbst habe diese Zulassung gebilligt, obschon sie verkehrt sei, weil sie der tatsächlichen Schwäche entspreche. Darum wären die nicht schuldig gewesen, welche sich diese Zulassung zu Nutz gemacht hätten, wie Jacob nicht schuldig gewesen sei, denn Gott habe ihm erlaubt, gleichzeitig zwei Schwestern zu heirathen. Auch wolle Moses keineswegs, daß seine Erlaubniß einen Vorwand abgebe, aus jedem nur beliebigen Grund die Frauen wegzuschicken, sondern nur aus guten Gründen. Christus aber predige seine Gnade, in welcher er die Verderbniß der Natur zu heben beginne, und überlasse die Nichtwiedergeborenen der weltlichen Obrigkeit. Somit schließt Cruciger, daß für die, welche Glieder des Himmelreichs sind, Ehescheidung verboten, für die weltlich gesinnten Menschen aber um ihrer Schwachheit willen gestattet sei. – Im Jahre 1537 unterzeichnete Cruciger die von Luthern verfaßten Schmalkaldischen Artikel mit; dagegen fehlt seine Unterschrift wie die Luthers unter der Abhandlung Melanchthons von der Gewalt und Oberkeit des Pabstes und von der Bischöfe Gewalt und Jurisdiction. Am bedeutendsten aber wurde der Einfluß, welchen Cruciger auf die Durchführung der Reformation in den Albertinischen Landen, namentlich in seiner Vaterstadt Leipzig übte.

Ein Lieblingswunsch, mit welchem sich Cruciger schon lange trug, war nicht in Erfüllung gegangen, die Hoffnung, daß Herzog. Georg zu Christus und von Christus bekehrt werde. Der Herzog war am 17. April 1539 in glühendem Haß gegen die Sache des Evangeliums gestorben, fast das Bekenntniß eines Julian auf den Lippen: Du hast gesiegt, Galiläer! Mit allen seinen tyrannischen Anschlägen hatte er die Reformation in seinen Landen wohl zu bedrücken aber nicht zu unterdrücken vermocht, über den eigensinnigen Selbstherrscher kam ein Stärkerer, dessen Willen er sich, wenn auch mit Zähneknirschen, fügen mußte. Von vier Söhnen, die ihm geboren worden, waren zwei in früher Kindheit, ein dritter, nachdem er sich schon verheirathet, und zwar ohne Nachkommen gestorben: nur noch ein vierter, des Namens Friedrich, der aber für blödsinnig galt, war übrig. Um sein Regierungssystem auch über seinen Tod hinaus aufrecht zu erhalten, entschloß sich der Vater, den blödsinnigen Sohn zu vermählen. Die Landstände versprachen, denselben als ihren Herrn anzuerkennen: 24 Männer aus ihrer Mitte sollten ihm unter dem Namen Regenten zur Seite stehen, eine aristokratisch-katholische Regierung aufrecht zu erhalten; allein die körperlichen Kräfte des jungen Prinzen waren so schwach als die geistigen: kaum einen Monat nach seiner Vermählung starb er ohne Aussicht auf einen Leibeserben; mit Groll sah Herzog Georg der Kinderlose, daß sein Thron auf seinen Bruder übergehen sollte, was den vollen Umsturz des Katholicismus weissagte. Nicht leicht mochte es zwei Brüder von entgegengesetzteren Eigenschaften geben, als die beiden Söhne Herzog Albrechts waren: Georg und Heinrich. Georg, der bei Weitem den größten Theil der Lande inne hatte, war ein starrer unbeugsamer Mann der Pflicht, eifersüchtig jede Beeinträchtigung seiner unnahbaren Fürstenwürde unterdrückend, kein anderes Vergnügen als Herrschen und Geschäfte kennend, streng gegen Andere und gegen sich selbst, ein geborener Selbstherrscher. Herzog Heinrich, der nach Vernichtung seiner Aussicht auf Friesland, für das sein Vater ihn bestimmt hatte, auf Freiberg und Wolkenstein beschränkt worden war, hatte einen Widerwillen gegen alle Regierungsgeschäfte, war vergnügungssüchtig und verschwenderisch, daneben leutselig und freundlich. Was beide Brüder am meisten einander entfremdete, war die Religion. Während Georg eine Pflicht zu erfüllen glaubte, wenn er die neue Lehre mit Feuer und Schwert bekämpfte, gestattete man an dem Freiberger Hof der Reformation freien Einlaß. Gar bald wurden die Fastengesetze gebrochen; die von Georg vertriebenen evangelischen Prediger wurden von Heinrich angenommen; die Herzogin, Katharina von Mecklenburg, gewann den Herzog selbst für die Sache des Evangeliums, und diese war noch bei Lebzeiten Georgs in Heinrichs Landen siegreich durchgedrungen. Sollte der in seinem eigenen Haus allein und verödet dastehende fürstliche Greis seinem so unähnlichen Bruder die Herrschaft abtreten, der Reformation, welche zu bekämpfen er sein Leben daran gesetzt hatte, mit seinem Tode Thür und Riegel öffnen? Er versuchte das letzte Mittel, dem zuvorzukommen, und wollte ein Testament aufsetzen, nach welchem Heinrich und seinen Söhnen Moriz und August die Nachfolge im Regiment nur unter der Bedingung zufallen sollte, wenn sie sich vom Schmalkaldischen Bund feierlich lossagten und dem s. g. heiligen Bund beiträten, widrigenfalls die Regierung des Landes dem Kaiser Carl und König Ferdinand zufallen möge. Ehe das Testament rechtskräftig abgefaßt wurde, sollte Heinrichs Gutachten darüber eingeholt werden. Dieser erkannte zwar sogleich die Unmöglichkeit, demselben beizupflichten, und äußerte, man wolle ihn versuchen, wie der Teufel Christum in der Wüste versucht hätte: aber er erachtete es für gerathen, die Verhandlungen in die Länge zu ziehen, und erbat sich eine Bedenkzeit. Während derselben starb unerwartet schnell Herzog Georg, ohne daß sein letzter Wille in bindender Rechtsform aufgezeichnet worden wäre. Noch am Abend des Todestages traf Herzog Heinrich in Dresden ein. In der Residenzstadt war Freude und Trauer durch einander gemengt: Mönche, Pfaffen und ihr Anhang waren vor Schrecken gelähmt, denn durch ihre Pläne war ein gewaltiger Strich gezogen; der gemeine Mann lobte Gott, und wurden viele Gewaltige alsbald bekehrt, welche zuvor geschworen hatten, ehe denn sie lutherisch werden wollten, würden sie eher aus dem Lande ziehen. Am 18. April verkündigte der Herold in der Residenzstadt Dresden den Regierungsantritt „des Hochgeborenen Fürsten und Herrn, Herrn Herzog Heinrich von Sachsen als Markgrafen zu Meißen und Landgrafen in Thüringen“ an. Zwar erklärte König Ferdinand, von jenem für sich so vortheilhaften Testament unterrichtet, er werde den Herzog Heinrich nur dann als Erben des Landes anerkennen, wenn derselbe sich verpflichte, den Nürnberger Bund zu halten; allein die schmalkaldischen Verbündeten erklärten sich auch ihrerseits entschlossen, dem Herzog Heinrich mit aller ihrer Macht Hilfe zu leisten. So geschah, daß das protestantische Element, im Fürsten vertreten und von der Menge freudig bewillkommt, sofort das Uebergewicht erlangte. Der Tod Georgs brachte seinem Lande eine große Veränderung. Während Herzog Heinrich von Braunschweig, der erbitterte Feind des Evangeliums, bei der Trauerkunde in die Worte ausbrach: „Ich wollte lieber, daß Gott im Himmel gestorben wäre,“ äußerte Luther über dieses Ereigniß: „Aller Papisten Gedanken, Anschläge und Fürnehmen ist dahin gerichtet, daß sie eher die Kirche wollten lassen untergehen, wenn sie nur die lutherischen Buben (wie sie uns nennen) vertilgt hätten. Aber Gott hat ihre Rechte gebrochen und ihre Anschläge zu nichte gemacht, denn er kann die Gewaltigen vom Stuhl setzen und die Niedrigen erhöhen und die Völker zerstreuen (wie der Psalm sagt), die da gern kriegen. So weiß er auch das Vertrauen auf Menschen und Fürsten zu Schanden zu machen, wie der 146. Psalm verbeut: Verlaßt euch nicht auf Fürsten, denn sie sind Menschen!“

Ohne Säumen schritt Herzog Heinrich zum Werk, kräftig unterstützt von seinen nächsten Verwandten, dem Landgrafen von Hessen und dem Churfürsten von Sachsens. Letzterer eilte von Gießen, wo er sich über die dem Herzog zu gewährende Hilfe mit dem Landgrafen besprochen hatte, nach Dresden, um hier persönlich für die Beschleunigung des Reformationswerks zu wirken. Der Anfang damit sollte in der Stadt Annaberg gemacht werden: beide Fürsten langten dort Sonnabends den 3. Mai an, und am folgenden Tag betrat Heinrichs Hofprediger Paul Lindemann oder Lindner des Morgens, der Gothaer Superintendent Friedrich Myconius Mittags die Kanzel, um vor einer Menge von etwa 6000 Menschen, wie Jonas verwundert berichtet, das Evangelium zu predigen und nachher das Sacrament unter beiderlei Gestalt auszutheilen. Hierauf wurde beschlossen, nach Leipzig der zweiten Hauptstadt des Landes zu reisen, wo am ersten Pfingsttage (25. Mai) die Reformation eingeführt werden sollte. Hier war die Stimmung des Raths und der Bürgerschaft, wie es schon Georg mit bitterem Unwillen bemerkt hatte, schon länger für das Evangelium günstig, während die theologische Facultät im Bunde mit den hier noch zahlreichen Mönchen zähen Widerstand entgegensetzte. Um so mehr schien es geboten, hierher die tüchtigsten Kämpfer zu berufen; diese waren Luther selbst, Jonas, Cruciger, Myconius und der Pfarrer zu Belgern Johannes Pfeffinger. Kurz vor den Feiertagen zogen die Fürsten und Theologen in Leipzig ein. Schon einige Jahre vorher hatte Luther in prophetischem Geiste gesprochen: „Ich sehe, daß Herzog Georg nicht aufhören will, Gottes Wort, seine Predigt und die armen Lutheraner zu verfolgen. Aber ich wills erleben, daß er und sein ganzer Stamm untergehen soll, und ich will noch Gottes Wort in Leipzig predigen.“ Das Wort ging in Erfüllung: wie zwanzig Jahre früher zu jener Disputation, zogen jetzt die Wittenberger in Leipzigs Mauern ein; am Pfingstfest hielt Jonas die Morgen-, Luther die Mittagspredigt; das Wort sie sollten lassen stahn! Die Fürsten, über den guten Anfang des Werks hoch erfreut, reisten schon am folgenden Tag nach Grimma ab und nahmen Luthern in ihrem Wagen mit, während die vier übrigen Theologen in Leipzig zurückblieben, da der Churfürst gestattet hatte, daß sie so lange in den Albertinischen Landen benutzt werden dürften, bis geistliche Ministerien in den Städten eingerichtet wären. Die Arbeit wurde in der Weise vertheilt, daß Jonas die bereits am 6. Juli angeordnete Kirchenvisitation leiten, Cruciger und Myconius die Ordnung der kirchlichen Verhältnisse in Gemeinde und Universität Leipzig besorgen sollte.

Die Aufgabe der beiden Letzteren war nicht die leichtere; aber da beide in treuer Liebe und amtsbrüderlicher Einigkeit zusammen wirkten, gelang sie ihnen. Am meisten mußte es dem Herzog Heinrich angelegen sein, die Universität und namentlich die theologische Facultät so bald als möglich zur Annahme der Augsburgischen Confession und Apologie zu bestimmen. Zwar waren bereits mehrere der Professoren dem Evangelium mit Herz und Mund zugethan, wie Andreas Camitianus, Caspar Börner, Simon Pistoris und mehrere Andere; aber die Theologen, besonders die Mönche widersetzten sich gewaltig dem Werk der Reformation und erschwerten den beiden Commissarien nicht wenig ihre Aufgabe. Die theologische Facultät bestand damals aus folgenden Mitgliedern: dem Decan Hieronymus Dungersheim, genannt Ochsenfart, D. Paul Schwoffheim, D. Caspar Deichsel (auch Deyßel oder Deitzel genannt), D. Johann Sauer, D. Matthäus Metz und D. Melchior Rüdel. Die meisten derselben lebten nicht in Leipzig, sondern auswärts, und genossen dennoch, als wären sie wirkliche active Mitglieder, die Einkünfte von ihren Präbenden, wurden auch fortwährend zum Collegium gezählt, überließen aber die Erfüllung ihrer academischen Pflichten meist Licentiaten und Baccalaureen. Der Decan Ochsenfart stand zwar bei seiner Partei im Ruf einer ganz besonderen Gelehrsamkeit, war aber im Griechischen so unwissend, daß er nicht einmal die Namen Korinthier und Timotheus richtig schreiben konnte; Luther schildert ihn als einen streitsüchtigen, elenden, schadenfrohen, aber schwachen Menschen, nennt ihn auch mit Anspielung auf seinen Namen einen Stier, Ochsen und Esel; er war beim Beginn der Leipziger Reformation bereits 74 Jahre alt und starb schon zu Anfang des Jahrs 1540. Da diese Theologen von einer Aenderung ihrer Lehre gar nichts wissen wollten und es für ihre höchste Ehre hielten, die Letzten zu seyn, welche dem göttlichen Wort wichen, ward vom Rector der Universität M. Christian Pistorius ein Tag angesetzt, an welchem sämmtliche academische Lehrer im Auditori maiori, dem größten Auditorium, zu einem Gespräch zu erscheinen hätten. Es war der 20. Juni. An diesem Tag erhob sich sowohl Vor- als Nachmittags ein sehr heftiger Streit zwischen den Wittenberger Theologen und den Leipziger Doctoren und Dominicanern, zunächst über die Taufe, dann über das Abendmahl, die Transsubstantiation, das Umhertragen der Monstranz und die Anbetung der geweihten Hostie. Als heftigste Vorkämpfer der Römischen thaten sich Rudel, der viel scholastische Kunst entwickelte, und Metz hervor, der eben nach Halle verreist gewesen, aber von dort zu Hilfe gerufen worden war. Ueber acht Stunden kämpften Cruciger und Myconius gegen die ihnen an Zahl weit überlegenen List, Spott und Schimpfreden nicht sparenden Gegner in Gegenwart des Rectors, aller Facultäten, aller Studenten und einer großen Menge Bürger. Allein trotz aller Kunstgriffe, welche die Feinde des Evangeliums anwandten, behielten die Evangelischen das Feld. An diesem Schlachttage erwarb sich Cruciger den Ehrentitel eines Crucifixor. Luther schreibt am 6. August an Jonas: „Möchte doch Cruciger das Haupt und den Leib Behemoths kreuzigen, oder vielmehr sie sich selbst kreuzigen und in Neid und Haß zerfleischen. Es brennt vor Lachen der männliche Cruciger, worüber ich mich hoch freue.“ Nicht minder fröhlich berichtete am 21. Juni der edle Myconius an den Churfürsten über den Fortgang der Reformation in Stadt und Universität Leipzig Er schreibt: „E.Ch.F.G. weiß ich zu Preis und Lob dem allmächtigen Gott nicht zu verhalten, daß sich die Sachen des heiligen Evangelii noch alle recht zu Leipzig anlassen und schicken, und sind nun die gotteslästerlichen päbstlichen Mißbräuche abgethan, auch an vergangener Mittwoche die rechte Communion und deutsche Messe wieder angefangen. Und es thut der Bürgermeister und Rath nochmals, als die es gern wollen fördern helfen; haben auch die Vorgebäu vor dem Chor einbrechen und also zurichten lassen, daß es zur Communion bräuchlich, auch zum Barfüßern eine Treppe zum Predigtstuhl also zurichten lassen, daß man in der Kirche drauf kommen, und die Mönche hinfort keinen Zugang dazu haben können. Als ich aber am nächsten von E.Ch.F.G. von Wurzen wiederum gen Leipzig kommen, haben nach der nächst gehaltenen Disputation von der Taufe sich die Papisten, Doctores und Predigermönche auf’s Schärfste gerüstet, wider unsere Lehre vom heiligen Sacrament zu disputiren vermeint, des Pabsts und Teufels Lügen und Mißbräuche vom Sacrament, von der Transsubstantiation, von der langwierigen Gegenwärtigkeit des Leibes und Bluts Christi im Sacrament, wo es gleich außer dem Brauch behalten und eingeschlossen, auch umgetragen wird, von der Adoration und dem ganzen Mönchs- und Pabstgespenste zu erhalten, und hätten darauf geschworen, weil sie sich so wohl gerüstet und ihnen Einer, Dr. Matthäus genannt, von Hall zu Hilfe kommen, sie wollten an Gottes Wort Ritter werden oder je einen Scheu machen, daß das arme Volk irre würde und unsere Lehren und Sachen verdächtig und ungewiß hielte. Aber unser lieber Herr Gott stärkete mich wider sie an Leib und Seele und bin neben Dr. Creuziger gestern Freitags früh und Nachmittags wohl acht oder neunthalb Stunden im Namen des Herrn, im Beiseyn des Rectors, aller Facultäten, aller Studenten und der ganzen Universität, auch eines großen Haufen Volks und Gelehrten im Auditori maiori. im größten Auditorium, zu Erhaltung der reinen Lehre Christi zu Kampf getreten, und hat Gott Gnade gegeben, wie E.Ch.F.G. von Andern erfahren werden, daß der Teufel mit all seinem Anhang, Lügen und Lästern mit aller Schande, Christus aber mit seinem Wort und Sacrament, wie ein Gold durch Feuer gezogen, in aller Herrlichkeit bestanden und den Sieg behalten hat. Der Rector hat uns mit guten Argumenten beigestanden, deßgleichen etliche Magister, und hoffe, der Satan soll nun den Kopf an unserem Fels Christo zerstoßen haben; daß er sein Beißen etwas nachlassen wird. Denn er ist ihm je zu stark, der Same des Weibes, wider den er sich geleget.“

In der Stadt wurde nun in raschem Verlauf die Reformation eingeführt. Cruciger predigte abwechselnd mit Myconius an jedem Sonntag in der Nicolaikirche und hatte gleich nach Pfingsten angeordnet, daß sofort nach Luthers Katechismus in den Schulen gelehrt werden solle und wöchentlich in der Kirche sogenannte Katechismusexamina zu halten seien. Der Rath der Stadt war zwar mit diesem raschen Vorschreiten nicht einverstanden, und als Myconius am 9. Juni von der Kanzel verkündigte, es solle am Diensttag eine Predigt von der Absolution gehalten, gleich darauf nach lutherischer Weise Beichte gehört, und am Mittwoch das heilige Abendmahl nach Christi Einsetzung unter beiden Gestalten gehalten werden: wiedersetzte sich der Rath und wünschte, daß die Landstände zuvor darüber gehört würden; ja er schickte drei Abgeordnete nach Wurzen zu Herzog Heinrich, um Einhalt zu thun oder wenigstens die Erlaubniß auszuwirken, daß denen, die das Abendmahl nur unter einer Gestalt wünschten, willfahrt würde. Es wurde ihnen aber Alles abgeschlagen, und es gelang bald Crucigern, dem seine Personenkenntniß in seiner Vaterstadt trefflich zu Statten kam, den Rath günstiger zu stimmen. So wurde denn am 18. Juni die „rechte Communion und deutsche Messe“ angefangen. Eine Zeit lang stand Cruciger allein auf dem mühevollen Arbeitsfeld, denn Myconius erkrankte und mußte deßwegen nach Gotha zurückkehren. Cruciger schrieb ihm am 17. Juli: „Ueber deine Gesundheit, mein Friederich, bin ich sehr in Sorgen und fürchtete für sie, schon so lange du hier warst; aber ich hoffe, du werdest dich schnell erholen, wenn du nur zu etwas mehr Ruhe gelangest. Wie sehr die Gemeinde Leipzig nach deiner Rückkehr verlangt, kannst du dir ohne Zweifel selbst vorstellen. War ich doch Zeuge, mit welchem Eifer das Volk dich immer hörte, wie sehr auch privatim Alle, die das Evangelium lieben, deinen Anblick und Umgang ersehnten. Du kannst dir auch leicht denken, wie schwer es uns fallen müßte, dich zu mangeln, der du nicht sowohl unser Gehilfe, als vielmehr unser Anführer und Haupt bist. Daher bitte ich dich, so gut ich nur kann, daß du deine Rückkehr zu uns beschleunigest. Ich denke auch, daß sich deine Gesundheit hier eher als auf der (Visitations-) Reise heben wird. Wir wollen dich nicht mit Arbeiten beschweren und gerne selbst alle Mühen und Anstrengungen auf uns nehmen, wenn du uns nur mit deinem Rath und Ansehen unterstützen willst.“, Unterdessen drang Cruciger darauf, daß den Mönchen und Priestern von nun an ihre bisherige Wirksamkeit streng untersagt, das Inventarium der Klöster, Kirchen und Schulen aber sammt allen Kleinodien, Monstranzen, Meßgewändern und dergl. sowie die sämmtlichen Einkünfte aufgezeichnet wurden, um dem Kirchenvermögen anheimzufallen. Da zur Vornahme durchgreifender Maßregeln die Ankunft der Visitatoren erwartet wurde, wandte sich Cruciger an Jonas mit der Bitte, daß die Visitation in Leipzig ihren Anfang nehmen möchte. Dieses war zwar nicht möglich, doch trafen die Visitationscommissäre am 5. August in der Universitätsstadt ein. Am folgenden Tag versammelten sie auf dem Rathhause mehr als fünfzig Dorfpriester, Mönche und den ganzen Stadtrath und eröffneten, daß es des Herzogs ernster Wille sei, die Kirchenreformation ohne Zeitverlust durchzuführen. Der Rath erklärte, daß er sich in seinem Gewissen aus Gottes Wort überzeugt habe, daß die Abschaffung der Winkelmesse, das Verbot des verstümmelten Abendmahls unter einer Gestalt, die Aufhebung der Klostergelübde und die Zulassung der Priesterehe christlich und recht sei. So wurden denn alle Anstalten getroffen, mit dem alten pharisäischen Sauerteige aufzuräumen. Dabei gab es manche unerquickliche Auftritte. Melanchthon, welcher auch einige Zeit bei den Anfängen der Reformation in Leipzig zugegen war, schrieb voller Sorgen an Myconius und seine Gefährten: „Nach meiner Abreise fing ich an, ernstlicher über eure Gefahren nachzudenken und ängstige mich sehr in meinem Gemüthe. Ich flehe zu Gott, daß er euch bewahre und regiere, aber ich ermahne auch euch, nicht verwegen vorzuschreiten ohne die Freunde. Ich fürchte dort der Gottlosen Macht und List. Sehr bitte ich euch, täglich zu schreiben.“ In einem Brief vom 6. Juni schreibt er an Cruciger und Myconius: „Ich bitte Gott und unsern Herrn Jesum Christum, daß er eure Kämpfe und Gefahren leite und euch behüte. Denn ich zweifle nicht, daß ihr dort das pharisäische, ja teuflische Gift an den Feinden des Evangeliums kennen lernet. Aber ihr seht auch, daß euer Dienst zur Ehre Christi gereiche, und begreift auch, wie viel die Vereinigung beider Länder dem Reich dienen wird. Darum werdet ihr in einer so wichtigen Sache mit Ruhe die Arbeiten und Gefahren auf euch nehmen.“ Besonders heftige Verhandlungen fanden zwischen den Visitatoren und dem Rath über das Recht, den Pastor an die Stadtkirche zu berufen, statt; das Collaturrecht gehörte von Alters her dem Probste des Thomasstiftes; da aber dieser, D. Ambrosius Rauh von Zeiz, es 1539 noch an Herzog Heinrich abgetreten hatte, nahmen es die Visitatoren auch jetzt für den Landesherrn in Anspruch.

Nach Beendigung dieser Arbeiten unternahm man es von Neuem, die Universität zur Annahme der Reformation zu bewegen. Herzog Heinrich hielt die Leipziger Schule für die höchste Zierde und das wichtigste Stück seiner Erblande; wie sie aber beschaffen war, konnte und durfte sie nicht bleiben. Der Rector Christian Pistorius berief daher auf Anordnung der Visitatoren alle vier Nationen, d. h. die sämmtlichen Doctoren und Magister der Universität auf den 12. August in das s. g. Auditorium Magnum zusammen. Zwei unverbesserliche Römlinge, Cochläus und der abtrünnige Witzel ergriffen die Flucht. Ihnen folgte Melchior Rüdel, welchen Myconius einen Betrüger nennt, und von dem Dr. Camitz sagte, daß er um seiner Leibesstärke willen geschickter sei, Holz zur Verbrennung der Ketzer zusammenzutragen, als zu disputiren. Balthasar ging nach Würzburg. Bisher hatte die Leipziger Universität, wie die Pariser, die heilige Katharina von Alexandrien zu ihrer Schutzpatronin gehabt. Da diese mit ihrer Weisheit und Gelehrsamkeit fünfzig der größten Redner und Philosophen, welche von Maxentius an sie abgesandt worden, überwunden haben sollte, riefen die Gelehrten sie gewöhnlich mit den Worten an: O heilige Katharina, sei mit mir bei der Gelehrsamkeit! Aber am 12. August mußte die Unüberwindliche dem Evangelium weichen. In dem großen Auditorium des Fürstencollegiums erschienen an diesem Tage die Visitatoren und Commissäre Jonas, Spalatin, Cruciger, Myconius, nebst zwei adeligen Räthen. Jonas redete die Versammelten im Namen des Herzogs an, forderte sie auf, sich alles Streitens gegen das Augsburger Glaubensbekenntniß und gegen die Apologie zu enthalten und durchaus etwas aus der scholastischen Theologie nicht vorzubringen, und erklärte, der Herzog wünsche und verordne vielmehr, daß im Lehren, in Vorlesungen und öffentlichen Disputationen die Universität sich genau nach dem Inhalt der erwähnten evangelischen Bekenntnißschriften richte. Die Universitätslehrer, auf solchen Befehl nicht gerüstet, baten sich eine Bedenkzeit aus, um eine einstimmige, gründliche und aufrichtige Erklärung über das an sie gestellte Ansinnen abgeben zu können. Schon am Nachmittage sandten sie an die Visitatoren eine Deputation mit der Erklärung ab, sich in alles Geforderte fügen zu wollen. Nur die zum großen Theil abwesenden Mitglieder der theologischen Fakultät schlossen sich dieser Erklärung nicht an. Dagegen beeilten sich die Dominicaner- und Franziscanermönche, welche sich zuvor auf’s Hartnäckigste gegen jede Neuerung gesträubt hatten, den Commissären eine Ergebenheitsadresse zu überreichen. Zufrieden mit diesem über Erwarten günstigen Resultate schickten sich die Visitatoren zur Fortsetzung ihrer Rundreise an; nur Cruciger und Myconius blieben. Letzterer faßte in seiner nervigen Sprache die bis jetzt erzielten Resultate in die Worte zusammen: „Da fiel des Pabsts und des Teufels, der ihn reitet, Kram in Dreck. Der Sophist Dr. Melchior Klinge trollet sich, der Predigermönch Licentiat Balthasar zeucht gen Würzburg, Dr. Ochsenfart starb hernach. In Summa, die Dachblumen verwelken vor der Hitze und Glanz der Sonne Gottes Worts. Alle Pfarren im Land zu Thüringen habe ich neben Er. Philipp Melanchthon, Justus Menius, Christoph von der Planitz, Georg von Wangenheim und Johann Cotta helfen visitiren und constituiren mit großer Sorge, Mühe und Arbeit, daß nun jede Pfarre ihren Lehrer und gewidmet Einkommen hat, jede Stadt ihre Schule und was zur Kirche gehört. Ach lieber Herr Gott, du hast gegeben, daß es wohl angerichtet ist. Gib, daß es auch wohl gehalten und erhalten werde!“

Die nächste Sorge war, für die Schule und Kirche Leipzigs tüchtige Kräfte zu gewinnen. Für jene hatte Melanchthon Amsdorf, Johann Heß zu Breslau und Bernhard Ziegler vorgeschlagen, auch später eine Verbesserung der philosophischen Fakultät durch Vorsetzung eines beständigen Rectors beantragt. Hiezu wurde Camerarius berufen; in die theologische Fakultät aber noch im Jahr 1539 Nicolaus Scheubel und am Schluß des folgenden Jahrs Ziegler eingesetzt. Hocherfreut über diese Wahl schrieb Myconius: „Es gibt auf dieser Universität durch Gottes Gnade neben dem sehr gelehrten und wahrhaft frommen Scheubel auch noch andere sehr gelehrte und vortreffliche Männer, welche durch dieses Beispiel aufgemuntert ganz gerüstet sind, bei der Kirche des Herrn nicht zu fehlen. Und du wirsts in Kurzem erfahren, ja du siehst es schon jetzt, wie Sauls Haus abnimmt, das Haus Davids aber zunimmt.“ Schwieriger war es, den geeigneten Mann für die Stelle eines Superintendenten und Stadtpfarrers in Leipzig zu finden. In der Zwischenzeit versah Cruciger das Amt factisch, wie ihm auch der Name eines Superintendenten beigelegt wurde. Zugleich verwaltete er das beschwerliche Amt eines Censors, indem ohne seine Approbation keine Schrift in Leipzig gedruckt werden durfte. Rath und Gemeinde von Leipzig wünschten sehr, Crucigern ganz behalten zu dürfen, und da dieser selbst die Entscheidung in die Hände seines Churfürsten legte, ließ der Rath durch seinen Bürgermeister Wolf Wiedmann den Churfürsten Johann Friedrich bitten, ihnen Dr. Crucigern abzutreten. Aber zweimal wurde ihnen ihre Bitte abgeschlagen. Luther hatte selbst am 4. November an den Churfürsten geschrieben, um den der Universität Wittenberg drohenden Verlust abzuwenden: „Der Rath zu Leipzig hat anhero geschrieben und begehret, daß wir wollten willigen, Dr. Caspar Crucigern gänzlich und ewig bei ihnen zu behalten, weil er sich auf unsere Bewilligung berufen, und sie daneben auch anzeigen, solches bei E.Ch.F.G. zu suchen, guter Hoffnung, E.Ch.F.G. werdens lassen geschehen. Darauf wir geantwortet, es stünde bei uns nicht, weder zu hindern noch zu fördern; schieben es derohalben auch heim E.Ch.F.G. zu schaffen. Aber weil sich Dr. Caspar nicht hat anders wissen zu wehren gegen der zu Leipzig heftiges Anhalten, denn daß er sich glimpflich vernehmen ließe und auf unsere Bewilligung sich stohnet, darneben uns schreibet, daß er gar viel lieber hier seyn wollte, und wir auch wohl wissen, daß er allhier viel nützlicher seyn kann, da der Haufe ist, der zu Leipzig noch lange nicht seyn wird, und diese Schule nun von Gottes Gnaden gethan und Leute erzogen und noch erzeucht in alle Lande, daß Leipzig nicht so bald kann nachthun: so achten wir es dafür, daß Dr. Caspar zu Leipzig nicht so großen Nutzen schaffen könne als hier zu Wittenberg, und Schade wäre, daß er hier sollte viel versäumen und dort wenig ausrichten, es kann wohl zu Leipzig ein geringer Hölzlein thun, denn eine solche Stange; damit auch diese Schule nicht gar entblößet werde, sonderlich weil Dr. Caspar in der Theologie zu lesen ein Fürbund ist, aus den ich es nach meinem Tode gesetzet habe: so ist meine unterthänige Bitte, weil es allein an E.Ch.F.G. Bewilligung liegt, E.Ch.F.G. wollten Dr. Casparn nicht lassen von Wittenberg reisen; wer weiß, was Gott in kurzer Zeit machen will.“ Auch Melanchthon schrieb an den Churfürsten, daß er es in Wahrheit auch dafür halte, wie die Universität erklärt, daß sie Crucigers wohl bedürfe. So erging es jetzt Leipzig ebenso, wie früher Frankfurt am Main, welches 1536 Crucigern zum Pastor an seine Hauptkirche berufen hatte, aber gleichfalls ihn nicht erhalten konnte. Doch wollte der Churfürst gestatten, daß Cruciger und Myconius noch einige Zeit, jedoch abwechselnd in Leipzig blieben, bis die Pfarrstellen besetzt wären. So finden wir gegen Ende des Jahres 1539 Crucigern wieder in Wittenberg, um dort seine so lange ausgesetzten Vorlesungen wieder aufzunehmen. Doch schon im Januar 1540 war seine Rückkehr nach Leipzig nothwendig geworden. Der Kaiser hatte am Schluß des Jahres 1539 an den Churfürsten und die übrigen evangelischen Stände die Aufforderung ergehen lassen, sie möchten zur Beilegung der obwaltenden Uneinigkeiten in kirchlichen Dingen aus eine Zusammenkunft sich vorbereiten, welche 1540 zwischen den katholischen und evangelischen Ständen veranstaltet werden sollte. Herzog Heinrich hatte darum an Cruciger und Scheubel die Weisung ergehen lassen: „Ihr wollet alsbald und unsäumlich neben den andern Theologen unserer Universität zu Leipzig die Augsburgische Confession und Apologia vor die Hand nehmen und dieselbe mit Fleiß erwägen, euch auch also gefaßt und geschickt machen, wie genannte Apologia und Confession mit göttlicher heiliger Schrift zu vertheidigen und denfensiren seyn möge, dergleichen ob auch und wiefern und wie weit in etlichen Artikeln und Punkten, zeitlicher und äußerlicher Sachen und Dinge halben mit Gott und gutem Gewissen sollte zu weichen seyn, und solches alles in ein schriftlich Verzeichniß bringen, und euch alsdann auf Mittwoch nach Invocavit gegen Oschatz verfügen, euer Bedenken, so ihr dießfalls gestellt, mit euch bringen, und neben andern Theologen, so wir derhalben gleichen Befehl gethan, und auch auf ernannten Mittwoch zu Oschatz erscheinen werden, davon weiter Unterrede zu haben, und worauf zu verharren seyn solle, zu entschließen.“ Rector Borner übersandte eine Abschrift dieses herzoglichen Befehls an Crucigern nach Wittenberg, eine andere an die Theologen Leipzigs, welche letztere er auf den 26. Januar zu einer öffentlichen Besprechung über den angeregten Gegenstand einlud, damit sie nach Crucigers Rückkehr zur Berathung desto geschickter wären. Am festgesetzten Tage erschien der Decan Ochsenfart nebst fünf Licentiaten und einigen Baccalaureen mit der Erklärung, daß sie nicht beschlußfähig wären, da außer ihm kein Doctor der Theologie anwesend sei, nach den Statuten der theologischen Facultät aber Licentiaten und Baccalaureen das Recht nicht zustehe, sich öffentlich zu berathen und einen giltigen Beschluß zu fassen. Der Rector ließ nun an die abwesenden Doctoren der Theologie die Aufforderung ergehen, sich einzufinden. Da sich zwei mit Kränklichkeit entschuldigten, erschienen nur Sauer und Metz. Unterdessen war auch Cruciger wieder in Leipzig eingetroffen, und am 3. Februar Morgens neun Uhr versammelten sich im großen Fürstencollegium die Doctoren nebst den Licentiaten und Baccalaureen in Gegenwart des Rectors und der beiden herzoglichen Commissäre Cruciger und Scheubel. Cruciger eröffnete nach Vorlesung des herzoglichen Mandats die Versammlung und stellte es den Doctoren anheim, ob sie, jeder einzeln, oder insgesammt ihre Meinung abgeben wollten. Dieselben zogen es vor, sich untereinander zu besprechen, und beauftragten dann Dr. Sauer in ihrer aller Namen in folgender Weise zu antworten: „Sie seien alle auf Befehl des Rectors willig erschienen, und ihre Meinung wäre, daß sie von dem Beschluß der ganzen Universität nicht abweichen wollten; den beiden Commissären sei aber nicht verborgen, daß die Universität bei der letzten von den Visitatoren angeordneten Versammlung die Antwort ertheilt habe, sie wolle sich gegen die Apologie und Confession nicht widersetzen, so weit sie dem Evangelio und der Wahrheit nicht entgegen wären; ferner geständen sie, daß in diesen Bekenntnißschriften Vieles enthalten sei, was die kaiserliche Majestät, wenn es ihr vorgelegt würde, nicht billigen würde; überdieß sei es eine schwere Aufgabe, fremde Schriften zu censiren, und sie könnten nicht, selbst wenn sie wollten, in so kurzer Zeit über alle in der Apologia enthaltenen Artikel richten; zudem hätten sie Vorgesetzte, deren Beistimmung erforderlich wäre. Was aber ihre Person belange, so wollten sie, sobald man darauf dringe, daß jeder besonders seine Meinung abgebe, alsdann bekennen, was sie ihr Gewissen lehre. Da endlich der Fürst noch zu erkennen gegeben habe, es solle auch der Punkt in Erwägung gezogen werden, ob etwas und wie viel bei einigen Artikeln nachgelassen werden könnte, so hielten sie sich nicht für verpflichtet, einfach Alles gut zu heißen, was in der Confession und deren Apologia begriffen sei.“ Die Commissäre entgegneten, daß die angezogene Stelle im herzoglichen Rescript nach dem klaren Wortlaute nicht auf Lehrartikel, sondern auf äußerliche Ceremonien und Mitteldinge sich beziehe, und fragten die Doctoren, ob sie bei ihrer abgegebenen Erklärung stehen bleiben oder auch ein schriftliches Bedenken einreichen wollten. Dr. Sauer bejahte das Erstere und erklärte, sie beharrten dabei, daß sie wider die Apologia in allen Stücken nichts hätten, welche dem Evangelium, der Wahrheit und den Schriften der Väter nicht entgegen seien. Trotz wiederholter Aufforderung der Commissare, sich einläßlicher zu äußern, beharrten die Doctoren bei dieser ausweichenden diplomatischen Antwort, indem sie hinzufügten, sie könnten, bis der Kaiser einen Reichstag zusammenberufen würde, noch mehr bedenken, welche Erklärung sie später abzugeben im Stande wären.

Die Unterredung, von Crucigern mit großer Ruhe und Mäßigung geleitet, blieb somit resultatlos und zeigte bloß, wie fest die Doctoren noch am Alten hingen. Um so befriedigender entwickelte sich die neu gepflanzte Gemeinde. Cruciger konnte am 21. Marz 1540 an Myconius von Leipzig aus schreiben): „Ich fand hier den Stand der Kirche ziemlich ruhig, und gottlob findet sich dieser Zeit das Volk zahlreicher als früher zur Predigt und Communion ein; Tag um Tag treten Viele zur Lehre des Evangeliums über.“ Der Hauptgegner, der alte Ochsenfart, war gestorben; gleich von seiner Beerdigung weg ließ sich der Hallenser Sauer zu seinem Nachfolger im Canonicat wählen; durch diese Wahl eines aufgeblasenen Römlings fühlten sich nicht nur Andere, die übergangen wurden, gekränkt, sondern auch der Herzog beleidigt, der erwartet hätte, daß man ihn vor der Wahl gehört hätte. Nachdem im Frühjahr 1540 Johann Pfeffinger, der bisherige Pfarrer zu Belgern, zum Pfarrer und Superintendenten Leipzigs bestellt worden war, konnte sich Cruciger vom Dienst dieser ihm so theuren Filialgemeinde zurückziehen, um so mehr, als das ganze Kirchenwesen des Landes durch Einführung einer von Jonas verfaßten und von Spalatin, Cruciger und Myconius gut geheißenen „Agenda für die Diener der Kirchen in Herzog Heinrichen zu Sachsen Fürstenthum gestellt,“ geordnet war, und feste Formen angenommen hatte Auch hier sollten die Wittenberger Säeleute das Wort erfahren: Dieser säet, der Andere schneidet, bis sich mit einander freuen dürfen, der da säet und der da schneidet.

Ende Marz und Anfang Aprils 1541 betheiligte sich Cruciger an den Verhandlungen zu Schmalkalden, im Juli zu Hagenau, zu Ende des Jahrs zu Worms, wo er Secretärdienste versah und durch seine Gewandtheit und Schnelligkeit im Protocolliren die Verwunderung des Kanzlers Granvella aus sich zog, welcher in die Worte ausbrach: „Die Lutheraner haben einen Schreiber, welcher weit gelehrter ist, als alle römisch-katholische!“ Obgleich er sehr verstimmt über die nutzlose Zeitverschwendung nach Wittenberg heimgekehrt war, mit der Erkenntniß, daß katholischer Seits unter einer Einigung keine wahre Vergleichung über die Lehre noch eine Aenderung des päbstlichen Wesens, sondern einfach ein Abfall zu ihnen verstanden werde: mußte er doch im folgenden Jahr auf den Reichstag nach Regensburg abreisen, wo die päbstliche Partei abermals eine Vereinigungsformel über die wichtigsten Lehrsätze zu Stande zu bringen suchte. Am 1. März hatte Cruciger an Menius geschrieben: „Wenn ich doch wenigstens eine Zeit lang ruhig daheim meines Amts warten dürfte, worin ich einigen Nutzen zu stiften hoffen kann. Aber ich fürchte wider meinen Willen zu den lästigen und nutzlosen Conventsgeschäften fortgezogen zu werden, wobei wir doch nur die kostbare Zeit verlieren. Ich wünschte, Luthers Postille zu vollenden, da die Buchhändler immer ungeduldiger werden, aber schon seit zwei Jahren liegt das angefangene Werk darnieder. Hiezu gesellen sich nicht geringe Nachtheile für das Hauswesen und Vermögen, das unter dem beständigen Reisen leidet. Daher will ich mich nach Kräften bemühen, mein Hierbleiben durchzusetzen.“ Auch Luther hatte gebeten, daß Melanchthon und Cruciger im Interesse der Universität mit dieser Reise verschont würden; der Churfürst rescribirte aber am 13. März 1541, sie sollten am 16. März gewißlich zu Altenburg eintreffen: „Nachdem ihr wisset, daß an diesem Reichstag merklich und bevorab der Religionssachen halben viel gelegen, sollten wir nun denselbigen eigener Person nicht besuchen, auch mit Theologen nicht stattlich besuchen, so möchte uns aufgelegt werden, als trügen wir mit unserer christlichen wahren Religion, dieweil Kais. Maj. thät allda selbst sein, aus Licht zu kommen Scheu.“ Cruciger reiste am 16. März von Leipzig aus ab, um sich in Altenburg dem Churfürsten anzuschließen. Auf der Reise predigte er in den bairischen Städten, wie Melanchthon berichtet, vor zahlreichem Volke und fand mit Melanchthon eine überaus günstige Aufnahme. Auch auf diesem Gespräch machte er den Secretär und besorgte die Reinschriften, lieferte auch Uebersetzungen und hatte außerdem auch viel für Melanchthon zu schreiben, weil dieser auf der Reise nach Regensburg umgeworfen worden war und sich dabei die rechte Hand so verletzt hatte, daß er lange daran heilen mußte und nie den völlig freien Gebrauch derselben wieder erlangte. Mit Ungeduld sah Cruciger dem Ende des sich in die Länge schleppenden nutzlosen Gesprächs entgegen, bei dessen Beginn er schon geklagt hatte, daß die Gegner dabei „mit Arglist und Tücke umgehen;“ während Gropper, sagt er, Alles mit den Sprüchen der Kirchenväter ausfechten wolle, hätten sie sich nach einer anderen Waffenrüstung umgesehen, dem Worte Gottes, das auch die Pforten der Hölle nicht überwältigen könnten. Da sich das Ende des Gesprächs immer weiter hinausrückte, bat Cruciger seinen Fürsten schon im Mai um die Erlaubniß zur Heimkehr; diese war um so eher zu gewähren, als unterdessen auch Amsdorf sich in Regensburg eingestellt hatte. Doch konnte Cruciger erst Ende Junius abreisen, nachdem er zuvor am 24. Juni über das „Regensburger Buch“, als dessen Verfasser Gropper galt, den churfürstlichen Räthen ein entschieden abweisendes Bedenken gestellt hatte. Er sagt darin: „Nachdem das Buch öffentlich ausgegeben, erhielt ich den Auftrag, es aus dem Lateinischen in das Deutsche zu übersetzen; so habe ich es öfter und mit besonderer Aufmerksamkeit gelesen. Wie ich höre, betrachten Einige dieses Buch als gemäßigt und geeignet, den Frieden Deutschlands und den Anfang einer Kirchenreformation anzubahnen, weßwegen sie das Buch anzunehmen rathen. Allein es handelt sich um das Bekenntniß des Evangeliums, das allen menschlichen Dingen vorgehen muß, wie Christus sagt: Wer mich verläugnet vor den Menschen, den will ich auch verläugnen vor meinem himmlischen Vater. Darum will ich ganz offen und unumwunden, aber ohn Jemandem vorzuschreiben, mein Urtheil abgeben: l) die bereits verworfenen Artikel dürfen nicht nachträglich angenommen werden. Das Buch redet von der Kirche als von einer menschlichen Einrichtung, erkennt ihr aber die Macht der Auslegung der Schrift zu; aber nicht wegen der Macht hat eine Auslegung Giltigkeit, sondern den Frommen wird vom heiligen Geist das Licht geschenkt, Andere zu unterweisen, die es annehmen wegen des Zeugnisses des göttlichen Worts im Gewissen. Auch der Majoritätsbeschluß einer Synode hat darüber nichts zu entscheiden, sonst hätte man auf Elias, Esajas und Jeremias nicht hören dürfen, weil sie von den Priestern und dem größeren Theil des Volks abwichen. Eben deßhalb ist es verwerflich, den Synoden, die schon oft geirrt haben, Untrüglichkeit beizulegen. Wie leicht ist es für den Pabst, eine Synode zusammenzurufen und durch sie beschließen zu lassen, was ihm genehm ist. Wollen wir jetzt einräumen, daß Synoden nicht irren können und ihre Beschlüsse bindend seien, so würde die Tyrannei in der Kirche verewigt. Die Gabe der Schriftauslegung gehört nicht der Menge, sondern den Heiligen. 2) In den übergangenen Artikeln sei es falsch, daß Confirmation und Oelung unfehlbare Zeichen der Gnade genannt werden; 3) in Betreff der angeblich verglichenen Artikel vermöge er nicht anzuerkennen, daß eine Vereinigung zu Stande gekommen sei, weil man über den angefangenen Gehorsam sich nicht geeiniget habe. Um seine Meinung kurz und bündig abzugeben, erkläre er: ich bekenne mich zu der Lehre unserer Kirche, wie sie in der Augsburgischen Confession und Apologia verzeichnet ist, und halte dafür, daß diese Lehre unserer Kirchen wirklich die in dem prophetischen und apostolischen Schriften enthaltene Lehre der katholischen Kirche ist.“ Während der Osterzeit hatten sich die in Regensburg versammelten evangelischen Fürsten alle Tage predigen lassen, und Cruciger forderte ohne Neid und Eifersucht die fremden evangelischen Prediger auf, mit ihm in diesen Vorträgen abzuwechseln.

Cruciger war dankbar, als er nach dieser langen Abwesenheit wieder in Wittenberg im Kreis seiner Familie leben und seine Vorlesungen wieder eröffnen durfte. Im November 1541 forderte der Churfürst von der theologischen Facultät zu Wittenberg ein Gutachten in Betreff der Besetzung des Naumburger Bisthums. Gegen die Meinung des Churfürsten und Luthers vertraten Melanchthon und Cruciger den Standpunkt des Rechts und erkannten, daß das Recht zur Besetzung des Bischofsstuhls in Naumburg nicht dem Churfürsten sondern den Mitgliedern des Domcapitels zustehe. Auch in den folgenden Jahren betheiligte sich Cruciger lebhaft in Gemeinschaft mit Melanchthon an den öffentlichen kirchlichen Angelegenheiten, wie er namentlich an der am 14. Januar 1545 dem Churfürsten übersandten sogenannten Wittenberger Reformation mitarbeitete. Gegenüber der von Bucer im Namen der Straßburger gestellten Reformation zeichnete sich die Wittenberger, so wenig sie sich auch von einer Vergleichsverhandlung versprach, nicht blos durch große Klarheit und Entschiedenheit, sondern auch durch Milde und weise Mäßigung aus, so daß Kanzler Brück den Wittenberger Theologen darüber großes Lob spendete und meinte „ihr Büchlein werde den Ständen in aller Welt einen großen Glimpf machen.“ Auch gegenüber von Bucer sprach sich Cruciger für diesen Geist der Milde aus, der den Wittenbergern doppelt wohl anstehe, da sie in Betreff eines Artikels selbst nicht ganz gleich dachten). Er meint die Lehre vom Abendmahl, in welcher Luther immer mißtrauischer gegen Melanchthon und den Hand in Hand mit ihm gehenden Cruciger wurde. Wie theuer übrigens gleichwohl diese Männer Luthern waren, bezeugte er dadurch, daß er sein Testament nur von ihnen und Bugenhagen unterschreiben ließ und sie zu Vollstreckern seines letzten Willens ernannte. Wie theuer aber auch Luther ihnen war, beurkundeten diese in einem an den Churfürsten gerichteten Schreiben vom 5. März 1546, das sicher von Cruciger verfaßt und mit ihm von Bugenhagen und Melanchthon unterschrieben ist). Der Churfürst hatte sie gebeten, nach dem Tode Luthers auf die Studia der christlichen Lehre fleißig aufzusehen, und sie vermahnt, Einigkeit zu erhalten. Darauf antworteten sie: „Es ist wahr, daß wir aus vielen großwichtigen Ursachen sehr erschrocken und betrübt sind, daß der ehrwürdige Herr Doctor Martinus, unser lieber Vater und Präceptor aus dieser Kirchen und Schulen weggenommen, da die ganze Christenheit und diese Kirch und Schule sein noch länger bedurft hätte, und wir nun sind als die verlassenen einsamen Waisen. Wiewohl nun diesem also ist, so müssen wir doch Gottes Willen gehorsam seyn und uns diese tröstliche Verheißung vorhalten, daß unser Heiland der Sohn Gottes gesprochen hat: ich will euch nicht als Waisen verlassen; item: ich will bei euch seyn bis zu Ende der Welt. Aus diese Worte wollen wir auch mit rechtem Ernst beten, daß der Sohn Gottes selbst sein Schifflein, nemlich die wahre einsame Kirche, regieren und erhalten wolle. Daß uns auch E.Ch.F.G. Befehl thun. auf die Lehre Achtung zu geben, danken wir E.Ch.F.G., daß sie Sorge für die arme Christenheit und diese Kirche und Universität tragen. Und wiewohl dieses Werk eine schwere Last ist und viel schwerer, denn jemand gedenken kann, dennoch so erkennen wir uns dazu schuldig, wie Paulus zu Timotheo spricht: Das schöne Kleinod, das dir zu treuer Hand befohlen, bewahre durch den heiligen Geist. Also hat uns wahrlich gedachter Herr D. Martinus ein schönes Kleinod verlassen, den reinen Verstand christlicher Lehre; den wollten wir auch gern unverdunkelt auf die Nachkommen vererben. Dazu uns Gott seine Gnade und heiligen Geist verleihen wolle. So wissen wir auch, daß Einträchtigkeit, Demuth und Geduld dazu vonnöthen ist, dazu wir uns selbst und Andere in vielen Landen, Kirchen und Universitäten vermahnen, und wollen durch Gottes Gnade also mit einander arbeiten, daß Keiner zu Zerrüttung Ursach geben wird. Doch sind diese große Sachen vornehmlich in Gottes Händen; den bitten wir wahrlich mit herzlichem Seufzen, daß er uns helfen und regieren wolle um seines Sohnes und seiner Ehre willen.“

4. Letzte Kämpfe und Eingang zur Ruhe.

Cruciger hatte es selbst an Luthers Leiche als sein und seiner Genossen Aufgabe und von Gott geordneten Beruf bezeichnet, das anvertraute Kleinod zu bewahren und zu halten was sie hätten. Wenn überhaupt erhalten schwerer ist als erwerben, so war diese Aufgabe wohl nie eine schwerere und verwickeltere als in den Zeiten, welche nach Luthers Tod unmittelbar über die evangelische Kirche hereinbrachen. Seit Jahren hatte man sich auf dem schlüpfrigen Boden der Concessionen bewegt, die Fragen des Gewissens in die Hände der Diplomaten gespielt, und am Ende war es den Evangelischen nicht zu verargen, wenn sie es vorzogen, mit diesen statt mit den römischen Sophisten zu unterhandeln. Viel schwieriger als mit dem römischen Pabste waren die Unterhandlungen mit dem deutschen Kaiser. Daß Jener nichts zu befehlen habe, war anerkannt; gegen diesen als den rechtmäßigen Herrn war Gehorsam in Allem, was nicht gegen Gottes Wort und Gewissen ging, Christenpflicht. Das Maß und die Grenzen dieses schuldigen Gehorsams zu ermitteln und festzusetzen, war ein verantwortungsvoller Beruf. Mag es immerhin dem Einzelnen in Kraft des Glaubens nicht schwer fallen, in solchen verwickelten Lagen einen festen Entschluß für seine Person zu fassen und im Bewußtsein dessen, was ihm keine Gewalt zu entreißen vermag, alles Andere freudig auf’s Spiel zu setzen: so war doch die Stellung derer, welche im Namen so vieler schwachen, kaum erst im Glauben angewachsenen christlichen Gemeinden einen Entscheid geben sollten über die Grenzen, welche die Gewissensfreiheit dem Umfang weltlicher Obrigkeit setze, eine viel schwierigere. Wir können uns schwer auch nur eine Vorstellung machen von der schweren Last der Verantwortung, welche in den Zeiten des Schmalkaldischen Krieges und des Interims aus den Gewissen eines Melanchthon und Cruciger lastete, von den Pflichtencollisionen, welche ihre ängstlichen Gemüther belagerten, von den Sorgen und Seufzern, unter denen sie den Frieden mit der Welt und die Uebereinstimmung mit der Klugheit der Menschen dem Frieden Gottes, der höher ist als alle Vernunft, zum Opfer brachten. Wunderbar führt der Herr seine Heiligen: den Helden, der allein den drohenden Stürmen gewachsen zu seyn schien, rafft er vor dem Unglück weg; die Zaghaften und Kampfscheuen führt er ins Vordertreffen; ihre Weisheit soll zu Thorheit, ihre Klugheit zu Schanden werden, damit desto mehr ihr Glaube der Sieg sei, in dem sie die Welt überwinden. Er führet sie ins Feuer, und die Flamme darf Alles an ihnen antasten, nur nicht ihren Glauben, der feuerfest ist; er heißt sie durchs Wasser gehen und taucht sie tief unter in den Strömen äußerer und innerer Anfechtung, aber diese dürfen nur den alten, nicht den verborgenen Menschen des Herzens ersäufen; er gönnt ihnen keine Ruhe bis zum letzten Athemzug, aber er hält ihnen eine Ruhe bereit und eine Krone des Lebens, wenn sie treu gewesen sind bis in den Tod. Der Lebensabend Crucigers, der bereits des Tages Last und Hitze getragen hatte, war kein stiller, sanfter Feierabend, sondern eine Zeit des Kampfes bis auf’s Blut; in seinen beiden letzten Lebensjahren heißt der Herr den Kreuzträger das Kreuz auf sich nehmen täglich; er thuts und folgt so dem nach, der durch Leiden des Todes mit Preis und Ehre gekrönt ward.

Hatte Cruciger bisher immer den Kaiser in zu günstigem Lichte betrachtet, so sollten ihm jetzt die Augen über die Absichten desselben aufgehen, als der Kaiser am 20. Juli 1546 die Reichsacht gegen den Churfürsten und Landgrafen aussprach. Hatte Cruciger noch am 13. Februar 1546 seinen Commentar zum Johannisevangelium dem Herzog Moriz gewidmet, um, „weil dieser Fürst zeige, daß er die wahre Anrufung Gottes allen menschlichen Dingen vorziehe und die Kirche Gottes liebe, Gott in dieser öffentlichen Schrift zu danken, daß er noch immer die Herzen einiger Regenten zur Liebe des Evangeliums und der Kirche lenke, und um dem Herzog Moriz insbesondere ein Zeugniß seiner dankbaren Liebe zu geben,“ so sollte er jetzt sehen, wie derselbe Herzog, in welchem er mit Melanchthon einen Retter des Vaterlandes gehofft hatte, an seinem Bluts- und Glaubensverwandten zum Verräther ward und in den ersten Tagen des Novembers 1546 mit feindlichem Heere gegen Wittenberg vorrückte, um die Stadt zu belagern. Cruciger war eben Rector der Universität und schloß dieselbe auf Befehl des Churfürsten am 6. November. Er sagt in seinem Anschlag: „Ist es auch zu bedauern, daß diese Schule, welche die Kirchen dieser Gegenden fromm unterrichtete, zerstreut werde, so wollen wir uns doch in das Unvermeidliche schicken, und Jedem steht es frei, wegzuziehen, wohin er will. Einige der Professoren werden sich in die benachbarte Stadt Magdeburg begeben, um, falls sie dort auch nur den Schatten einer Schule haben können, diesen Winter über mit Gottes Beistand Vorlesungen zu halten. Bitten wir Gott mit heißem Flehen, daß er einen frommen und heilsamen Frieden wiederherstelle.“ Außer Cruciger blieben nur Bugenhagen und Eber in Wittenberg zurück, mit ihnen ein kleines Häuflein Studenten. In der Stadt forderte noch vor dem Krieg die Pest ihre Opfer; in vielen Anschlägen ladet der Rector zur Leichenfeier von Universitätsangehörigen ein: „Jesaias sagt, die Gerechten werden vor dem Unheil weggerafft und ruhen in ihren Kammern, bis der Sohn Gottes seine aus dem Tod auferweckte Kirche in seinem Triumph vor dem ganzen Menschengeschlecht mit ewiger Herrlichkeit zieren wird. Da nun eine traurige Aenderung der Welt bevorsteht, so hat Gott vor den kommenden Greueln in diesem Jahre viele treffliche Männer in diesen Gegenden weggerafft, den ehrwürdigen Doctor Martin Luther, Friedrich Myconius, Cordatus und unlängst Heß und Andere.“ Immer kehrt die Aufforderung zu anhaltendem Gebet wieder, so in einem Anschlag vom 25, Februar 1547: „Glauben wir ja nicht, daß die Bitten und Seufzer der Frommen in der Kirche Gottes vergeblich seien. Nein, gewiß erhört uns Gott und wird unsere und des Landes Drangsale mildern, wenn wir ihn im Vertrauen auf den Sohn anrufen, welcher um der Kirche willen ein Fürsprecher beim Vater geworden ist. So wollen wir in allen öffentlichen Zusammenkünften unsere Gebete vereinigen und brünstig beten, daß Gott sich ewig unter uns seine Kirche erhalte, sie regiere und ihr ehrliche und stille Wohnsitze gewähre, auch nicht zulasse, daß das Licht der Lehre und die Studien unterdrückt werden.“ Noch immer warf Cruciger sein Vertrauen nicht weg; in seiner Einladung zur Feier des Osterfestes 1547 hebt er besonders hervor, daß dieses Fest nicht nur auf Erden, sondern viel zahlreicher und mit viel höherer Freude von der himmlischen Kirche begangen werde, welche sich um ihr Haupt, den Sohn Gottes schaare, ihm und dem ewigen Vater danke, im Licht des Vaters alle Ursachen erkenne, warum gerade aus diesem Wege das Menschengeschlecht erlöst werden mußte, und uns zugleich in ihre Gebete einschließe. Sie bete jetzt, daß Ostern auf Erden nicht aufhöre, die reine Lehre nicht verschwinde, und flehe, daß diese unsere Kirchen, welche die Wahrheit suchen und lieben, erhalten werden. Cruciger wagte sogar am 17. April sämmtliche in der Zerstreuung lebende Doctoren und Magister Wittenbergs zur Wahl eines neuen Rectors auf den ersten Mai nach Wittenberg einzuladen. Das Schreiben bekundet den frommen gottergebenen Sinn, der in Gefahren den Muth nicht sinken läßt, sondern erhöht, und lautet so: „Wenn Paulus sagt, daß die ganze Natur mit der Kirche seufze und in Geburtswehen liege, so müssen noch viel mehr Viele in der Kirche an den großen Schmerzen Antheil nehmen, deren wahre Ursachen und kräftige Heilmittel nicht die menschliche Weisheit, sondern die himmlische Lehre aufzeigt. Wir nun werden gegenwärtig in so großen Gefahren unserer Person und Kirche hart auf die Probe gestellt. Aber unsere Seufzer und Thränen und die Ursachen unsrer Schmerzen werden gesehen und gehört vom ewigen Vater unseres Herrn Jesu Christi, welcher um des Sohnes willen, der für uns beim ewigen Vater betet, unsere Drangsale mildern und im Zorn seiner Barmherzigkeit gedenken wird. Und da sein Wille ist, daß wir durch Erwägung der himmlischen Lehre aufrecht erhalten und gerettet werden, so wird er auch nicht zugeben, daß das Studium der Lehre ganz aufhöre, vielmehr es an den Orten erhalten, wo die wahre Lehre gehört wird. Obschon aber Viele unserer Stadt sehr böse sind, so hat doch Gott bisher hier die Stimme seiner Wahrheit und einen Rest der Schule erhalten. So wollen auch wir diese nicht verlassen, bis Gott ihr wieder Raum schaffe zusammenzukommen, zumal da noch viele Länder über wichtige Fragen auf das Urtheil unserer Kirche hören. Da nun die Zeit zur Neuwahl eines Rectors bevorsteht, so wünschte ich, obschon Berathungen mitten unter den Waffen und in einem so traurigen Krieg nicht an der Zeit scheinen mögen, doch, daß unser Rath zur Entscheidung einiger wichtigen Fragen zusammenkäme, und lade euch ein, auf den 1. Mai zur Wahl eines Rectors und zur Erledigung einiger anderer Geschäfte nach Wittenberg zu kommen. Wiewohl aber inmitten solcher Gefahren eine Verschiedenheit der Urtheile und Bestrebungen hervorzutreten pflegt, und wir in Erkenntniß unserer vielen Fehler und Irrthümer mit Daniel sprechen müssen: Dir, Herr, gehört das Gericht! so flüchten wir uns doch auch mit Daniel zur Barmherzigkeit Gottes, da wir uns bewußt sind, mit redlichem und einfältigem Fleiß die Wahrheit gesucht und viele Theile der in der Kirche nöthigen Lehre recht beleuchtet zu haben, und wissen, daß da die Kirche Gottes ist, wo auf dem Eckstein, welcher der Sohn Gottes ist, richtig gelehrt wird. Da das Gebet von Solchen nicht vergeblich ist, so wollen wir mit dieser gewissen Hoffnung unsere Schmerzen lindern und flehen, daß Gott unter uns, wie Jesaias sagt, einen heiligen Samen, d. i. die Ueberreste seiner Kirche erhalte, und wollen von ihm Erleichterung unserer Noth erwarten, wie der Prophet sagt: Die Barmherzigkeit des Herrn ist es, daß wir nicht gar aus sind. Lebet wohl! Wittenberg, den 26. April, an welchem Tage Noah vor 3853 Jahren auf Befehl Gottes in die Arche ging, und während er ein ganzes Jahr von den Fluchen und Stürmen umhergeworfen wurde, im festen Vertrauen auf die göttliche Verheißung der Erlösung wartete. Durch sein Beispiel werden wir gemahnt, auch jetzt bei diesem Sturz der Reiche, in diesen Nöthen und Gefahren uns dessen zu getrösten, daß Gott seine Kirche schützen und herrlich erretten werde.“

Doch an eine neue Rectorwahl war unter den sich rasch folgenden ernsten Ereignissen entfernt nicht zu denken. Nachdem in der unglücklichen Schlacht bei Mühlberg vom 4. April 1547 der Churfürst in des Kaisers Gefangenschaft gekommen war, erfolgte die Belagerung Wittenbergs. Melanchthon schrieb am 1. Mai an Cruciger: „Könnte ich auch so viele Thränen vergießen, als Wasser die Elbe herabfließt, so würde ich doch den Schmerz nicht ausweinen können, den ich über die Niederlage unseres Fürsten empfinde, welcher gewiß ein Freund der Kirche und der Gerechtigkeit war. Und wie Vieles vereinigt sich jetzt, um meine Trauer zu steigern! Welche Veränderung der Lehre, welche Zerrüttung der Kirche wird folgen! Wie wird mit unserer Schule die Zierde dieses Landes verschwinden, und wie werden wir selbst von einander gerissen und zerstreut werden!“ Bei seiner Ankunft setzte der Kaiser, eine Stunde unterhalb Wittenberg, mittelst einer Schiffbrücke über die Elbe und schlug sein Lager bei Piestritz auf. Bekannt ist seine Aeußerung beim Anblick der Wittenberger Festung: „Hätten wir den Vogel nit, das Nest bekämen wir so bald nit!“ Um die Stadt einzuschüchtern, fällte er das Todesurtheil über den Churfürsten und ließ es demselben am 10. Mai ankündigen. Dieser spielte eben im Zelt Schach mit Herzog Ernst von Lüneburg. Mit größtem Gleichmuth hörte er den Spruch an und sagte darauf zum Herzog: „Wir wollen fortspielen!“ Schon war im Angesicht der Stadt das Blutgerüst aufgerichtet, als der Kaiser sein hartes Urtheil zurücknahm, zufrieden, daß der Churfürst am 18. Mai 1547 die Wittenberqer Capitulation abschloß. Es erfolgte nicht blos die Uebergabe der Festung mit allen Vorräthen an Geschütz, Magazinen u.s.w., sondern der Churfürst mußte auch für sich und seine Kinder auf die Churwürde verzichten. Er unterwarf sich allen Bedingungen, nur der einen nicht, daß er die Beschlüsse des Tridentischen Concils annehmen sollte. Nach Uebergabe der Stadt mußte die alte Besatzung ausziehen, deren Stelle eine neue, doch nur aus Deutschen bestehende unter dem Commando des kaiserlichen Statthalters Madrusca einnahm. Am 23. Mai kam der Kaiser selbst mit einem kleinen Gefolge in die Stadt, besuchte zuerst die Gemahlin des Churfürsten und ging dann zu Luthers Grabe, wo er vor Luthers Grab und Bildniß in ernstem Nachdenken verweilte und dem Herzog Alba, der Luthers Leichnam ausgraben und verbrennen lassen wollte, die kaiserliche Antwort gab: Nicht mit Todten, sondern mit Lebenden führe ich Krieg!

Es waren schwere Drangsale, welche die zurückgebliebenen Professoren während der Belagerung und nach der Uebergabe der Stadt zu bestehen hatten. Unter heißen Thränen sahen sie am 3. Juni ihren Fürsten Johann Friedrich vom Schloß Wittenberg abziehen: Die Uebertragung des Churfürstenthums an Moritz ward proclamirt, die kaiserlichen Truppen verließen die Stadt und wurden durch sächsische ersetzt; düsteren Blicks ritt der neue Churfürst zum Schloß. Eine gänzliche Umwälzung war erfolgt; die Wittenberger Theologen sahen sich zunächst zu einer Aenderung der Kirchengebete veranlaßt. Hatten sie während des Kriegs für ihre bedrängte Herrschaft um Sieg, für die Kirche um Schutz gegen die Feinde, „welche fürnehmlich Vertilgung rechter Lehre und Aufrichtung und Bestätigung ihrer schändlichen Abgötterei und Unzucht suchen“, um Zerstörung des Raths und der Macht der mörderischen fremden Nation Tag um Tag gefleht: so lauteten jetzt die öffentlichen Gebete in Anerkennung des Thatbestandes gar anders: „Wir bitten dich, du wollest diesen Landen friedliche, christliche, selige Regiment geben, und Röm. Kais. Majestät und unsere Herrschaft, Herzog Moritzen Churfürsten und Seiner C.F.G. Bruder gnädiglich bewahren und mit dem heiligen Geist regieren, daß ihr Leben und Regierung dir zu Lobe und ihnen und den Unterthanen zu Frieden und Seligkeit dienen möge.“ Diese Aenderung, so nothwendig sie war, wurde den Wittenbergern theilweise als Mangel an Pietät gegen den gefangenen Churfürsten ausgelegt; Cruciger und Bugenhagen rechtfertigten sich in einem von Ersterem um die Mitte Junis verfaßten Schreiben) in folgender Weise: „Wir beten jetzt nicht in öffentlicher Versammlung jene langen, von uns dem Druck übergebenen Gebete, welche wir neben vielen andern öffentlich und in den Häusern in diesen unseren Gefahren Leibes und der Seele mit starkem Geschrei zu Gott sandten, dessen gewiß, daß ihr nebst allen Frommen in der ganzen Welt, welche von unseren Gefahren und Drangsalen gehört, mit uns riefet, während wir auf den Knieen und zu den Ohren und dem Herzen des Vaters im Namen Christi schrieen, und der Geist unserer Schwachheit aufhalf. Denn in diesen Stürmen wissen wir nicht, was wir bitten sollen, wie sichs gebühret, und der Geist vertritt uns mit unaussprechlichen Seufzern; der aber die Herzen forschet, der weiß, was des Geistes Sinn sei, denn er vertritt die Heiligen nach dem, das Gott gefällt. Aber unsere Sünden thürmen sich wider uns auf, doch Gott schilt für uns den uns anklagenden Satan: Wer bist du, daß du einen fremden Knecht richtest? Er stehet oder fällt seinem Herrn; Gott kann ihn aber wohl aufrichten. Wer darf aber die Auserwählten Gottes anklagen? Gott ist hier, der gerecht macht. Wer darf verdammen? Christus ist hier, der gestorben ist für unsere Sünden, ja der auferweckt wurde und sitzt zur Rechten Gottes und vertritt uns. Zu diesen geheimen Seufzern, welche wir fleißig dem Volk in den Versammlungen anbefehlen, gehören alle unsere eigene und der Kirche Nöthen; mögen sie bei sich selbst in ihren Häusern und Kämmerlein mit Kindern und Hausgesinde gegen die Feinde der Kirche Christi und um Frieden und Wohlergehen der Kirche beten, daß Christus uns in seinem Wort zur Ehre des Vaters und zur Errettung Vieler erhalte. Diese Gebete müssen kräftig gehen im Verborgenen, daß Gott zu uns spreche wie zu einem Mose: Was schreiest du zu mir? Sie sollen auch öffentlich vor der Gemeinde gesprochen werden, aber ohne Worte, welche unsere von Gott uns gesetzte Obrigkeit so auffassen könnte, als wären sie zu ihrer Verkleinerung gebraucht, wenn sie auch in bester und wohlwollendster Absicht geredet würden. Jene längeren Gebete, deren wir uns früher bedienten, gebrauchen wir jetzt nicht mehr, weil die kaiserliche Majestät uns gnädig den Frieden brachte und die fremden Soldaten, welche wir fürchteten, nicht in unsere Stadt einließ. Wir danken dem Kaiser, zumeist Gotte, welcher diese Stadt errettete, und hoffen, er werde sie auch ferner behüten und Anderes dazu geben, um was wir anhielten, ohne es bis jetzt erlangt zu haben. Denn unser Fürst und wir mußten mit väterlicher Ruthe gezüchtigt werden. Wirf Dein Anliegen auf den Herrn u.s.w. Gott ist Richter: wir haben gesündigt. Gehe mit deinem Knecht nicht ins Gericht, denn vor dir ist kein Lebendiger gerecht. Ein gewisser Prediger auf unserer Burg forderte auf, für den Kaiser zu beten, daß er erleuchtet werde, die Wahrheit erkenne und die Seligkeit erlange. Als der Statthalter Madrusca, welcher in unserer Stadt ein sehr gemäßigtes und gnädiges Regiment führt, dieses hörte, beschwerte er sich Namens der Kaiserlichen Majestät, daß solches zur Unehre des Kaisers öffentlich gesagt werde; warum, fragte er, lasset ihr uns nicht ruhig bei unserer Religion, da wir euch Frieden gestatten bei der eurigen? Ich werde nicht zugeben, daß sich jemand gegen euch ein Schmähwort erlaube, denn diesen Befehl hat mir der Kaiser gegeben. Gewiß sollen wir unter der Obrigkeit, unter welche uns Gott stellte, nichts Anderes öffentlich für unsere Obrigkeit erbitten, damit sich nicht etwa jemand ein Gewissen daraus mache, als sollte er mehr, als was Paulus dem Timotheus schreibet, daß wir ein stilles und geruhiges Leben unter ihnen führen in aller Frömmigkeit und Ehrbarkeit, und Jeremias den gefangenen Juden in Babylon: betet für den König des Friedens, denn in seinem Frieden stehet der eurige! Das Uebrige gehört, wie gesagt, den geheimen Seufzern an. Was aber die Predigt und die Rüge der Irrthümer betrifft, lassen wir es an nichts fehlen. Vom Pfingstfeste an habe ich fünf Tage hinter einander gepredigt, während einige Spanier und Andere durch die Kirche liefen, und erklärte ausführlich den Unterschied des papistischen und des christlichen Glaubens, mit welchen Worten ich bei den kaiserlichen Soldaten, welche mich hörten, ein Zeugniß von der Lehre dieser unserer Kirche geben wollte; zugleich ermahnte ich sie auch öffentlich, sie möchten nichts Anderes von unserer Lehre halten oder sagen, als was sie von mir gehört hätten. Als Einer der Kaiserlichen über die Lehre und hauptsächlich über die Ehe disputirt hatte, verwunderte er sich über Einiges, und als ich ihm darauf geantwortet hatte, wurde er bescheidener und sogar, wie es den Anschein hatte, freundschaftlich gestimmt, als er mich mit andern Gutgesinnten verließ. Das allein mahnte er mich mit Freundesrath, ich möchte dafür sorgen, daß sich die Unsrigen hier in Betreff der Lehre alle Schmähworte und Bilder enthielten; die Kaiserl. Maj. wisse wohl, wie dem Pabste Alles feil sei u.s.w. Ich erwiderte: Was mich betrifft, habe ich dieses schon längst gewollt und werde dafür sorgen; nur mögen sie es nicht als Schmähung deuten, wenn wir ihre Irrthümer durch das Wort Gottes und das Evangelium Christi verwerfen, da wir reden und Zeugniß ablegen müßten über Alles, was wir sähen und höreten, gewiß nicht zur Schmähung eines Anderen, sondern zur Ehre Gottes und zum Heil der Welt. Niemand meldete sich zur Ordination oder konnte sich auch nur melden, so lange der Kaiser hier war.“

Unterdessen hatte Herzog Moritz durch den Rector Cruciger den zerstreuten Professoren melden lassen, er wünschte die Wiederherstellung der Universität und die Rückkehr ihrer Lehrer; sie mögen nach Wittenberg kommen, um über die neue Einrichtung der Schule zu beratschlagen. Die Professoren eilten eben nicht mit der Rückkehr: noch war über ihre Besoldungen nichts bestimmt, und die wenigen Besitzungen der Universität waren durch den Krieg zerstört worden. Zwar hatte Herzog Moritz auf dem Landtag zu Leipzig, wohin er auch Bugenhagen und Crucigern außer Melanchthon beschied, die Erklärung abgegeben, daß es nicht in seiner Absicht liege, die papistischen Mißbräuche und was unchristlich sei, wieder einzuführen, vielmehr werde er Gottes Wort und dessen Diener, wie auch die Studien und Gelehrten fördern und schütze: ob er aber die von Johann Friedrich an die Universität geleistete Beisteuer fort zu entrichten Willens wäre, hatte er in der Schwebe gelassen. Die Wittenberger Theologen hatte er mit Auszeichnung behandelt, ihnen Geldgeschenke gemacht und sie wiederholt gebeten, für baldige Widereröffnung der Vorlesungen Sorge tragen zu wollen. Die in Wittenberg anwesenden Professoren unternahmen es jetzt, ihre Vorlesungen wieder zu beginnen. Am 23. October kündigte es Cruciger den in geringer Zahl eingetroffenen Studenten an: „Wir wollen, wie einst Jeremias, dem ewigen Gott, dem Vater unseres Herrn Jesu Christi, dem Schöpfer Himmels und der Erden und unserer Kirche, das Lob der Gerechtigkeit und Barmherzigkeit zollen, daß er den Sündern in Wahrheit grollt und doch im Zorn seiner Barmherzigkeit nicht vergißt, und ihm in wahrer Furcht und wahrer Anrufung dienen und jetzt danken, daß er einige Ueberreste seiner Kirche in dieser Stadt und in diesen Gegenden erhält und das Licht seiner Lehre nicht ganz auslöschen läßt. Wenn wir aber gleich in großer Bekümmerniß und tiefer Trauer sind, so beschlossen wir doch, ja eben deßwegen, um aus dem Worte Gottes Trost zu schöpfen, mit Gottes Hilfe unsere Vorlesungen wieder anzufangen. Wenn aber auch die Studien in ruhigen Zeiten angenehmer sind, so dürfen sie doch wegen der Erschütterung der Reiche keineswegs eingestellt werden; vielmehr sollen sie sowohl zum Trost der Einzelnen als mit Rücksicht aus die Nachwelt gepflegt und den Schwierigkeiten begegnet werden mit Mäßigung und frommem Gebet, das nicht vergeblich sein wird. Ermuntern wir uns zum Fleiß im Lehren und Lernen durch den Spruch Gottes: Wer mich liebet, der wird mein Wort halten, und mein Vater wird ihn lieben, und wir werden zu ihm kommen und Wohnung bei ihm machen. Gott wird unter uns wohnen, wenn wir die Studien der himmlischen Lehre in Bescheidenheit treiben, und wird uns und Andern die Drangsale lindern und den Herbergen der Wissenschaften die Ruhe wieder herstellen und die Arbeit der Lernenden segnen.“ Am 23. October kündigte Cruciger den Beginn seiner Vorlesungen über das Nicänische Symbol an und erklärte sich zugleich bereit, auch über die hebräische Sprache oder die Psalmen oder Salomons Proverbien zu lesen. Unter bangen Sorgen und trüben Erwartungen ging er ans Werk; auch des Himmels Zeichen schienen ihm noch nicht das Ende der Drangsale anzudeuten. In einem Anschlag vom 24. October klagt er: „Furchtbare Bewegungen drohen nicht nur die bürgerlichen Zwistigkeiten, sondern auch sogar Sonnenfinsternisse, von denen diejenige, welche im November eintrifft, große Erschütterungen für das kommende Jahr ankündigt, weil in jener Finsterniß, da Sonne, Mond, Mars, Venus und Merkur im Zeichen des Scorpions zusammentreffen, furchtbares Gift gemischt wird.“ Die Verwaltung des Rectorats, das Cruciger dem Wunsch seiner Collegen gemäß noch ein weiteres Jahr beibehalten sollte, wurde ihm noch erschwert durch die Zuchtlosigkeit eines Theils der Studenten. In einem Anschlage vom 3. Februar 1548 sagt er: „Bei Jesaias steht geschrieben: O daß du auf meine Gebote merktest, so würde dein Friede seyn wie ein Wasserstrom. Es unterliegt keinen Zweifel, daß dieses Wort auch uns gilt. Denn wir müssen gestehen, daß weder die Vorsteher in Handhabung der Ordnung streng genug gewesen sind, noch die Jüngeren die ihnen gebührende Zucht beobachtet haben. Jetzt müssen wir beklagen, daß sich Einzelne dieselbe Freiheit wie früher anmaßen, und wir erachteten es für geboten, sie zu erinnern an ihre eigene Gefahr, an die Gefahr dieser Stadt und dieses Volks wohl zu denken. Da sich in der Nacht Soldaten und andere Fremde aufhalten, so ist alles nächtliche Geschrei und Geläufe sehr gefährlich. Wir befehlen darum den Studenten, daß sie Nachts nicht ohne Laternen ausgehen, und warnen sie, durch Geschrei die Fremden oder Andern zu reizen. Ist der Muthwille an sich schnöde und strafwürdig, so ist er jetzt aus vielen Gründen noch gefährlicher als in ruhigen Zeiten. Darum erlassen wir den schärfsten Befehl, daß die Studenten eingezogener leben und um des öffentlichen Friedens und ihrer eigenen Sicherheit willen allen Gelegenheiten zu Lärm und Unordnung ausweichen.“ Während die Kriegszeiten auf Viele verwildernd wirkten, suchte Cruciger auf jede Weise die Jugend darauf hinzuweisen, daß sie sich durch die Heimsuchung zu Gott bekehren lasse: „Wie in dem Schöpfungsbericht Moses schreibt, daß der Geist Gottes über den Wassern geschwebt habe, so können auch jetzt die Kirchen und ihre Pflegestätten nicht erhalten werden, wenn nicht der Geist Gottes über ihnen schwebt, Lehrer und Schüler regiert und die Wunden der Kirche heilt.“ Zu allen diesen Sorgen hinzu lastete auf Crucigern schwer die Verdächtigung und das Mißtrauen, welches die Wittenberger von Seiten Einzelner traf, daß sie in die Dienste des neuen Churfürsten getreten wären, und daß an diese Unterwerfung sich auch bedeutende Abweichungen in der Lehre anknüpfen sollten. Am 7. October dankte er dem Justus Menius, daß er sich von diesen Gerüchten nicht habe hinreißen lassen, und setzte hinzu: „Wir sind hauptsächlich aus diesem Grund in Wittenberg geblieben, weil wir diese Kirche mit guter Treue nicht verlassen durften, obgleich wir viele üble Nachrede darüber hören müssen. Keine andere Hoffnung hat uns hier festgehalten, als die, daß Gott, welcher einst diese Schule zu solcher Blüthe gehoben und zu einem Wohnsitz reiner Lehre, Frömmigkeit und Wissenschaft gemacht hat, sie auch selbst (denn von menschlicher Hilfe dürfen wir nichts Festes und Dauerhaftes erwarten) aus diesen Trümmern wie aus einem Schiffbruch wieder sammeln und aufrichten werde, wozu wir unsere Dienste nicht verweigern zu dürfen glaubten.“

Noch einmal in seinem Sterbejahr sollte der müde Streiter auf dem öffentlichen Kampfplatze als Gefährte seines treuen Kampfgenossen Melanchthon erscheinen. Da das Concil zu Trident zur Beilegung der kirchlichen Streitigkeiten nichts beigetragen, vielmehr mit seinen Verdammungsdecreten den Riß noch größer gemacht hatte, als er zuvor schon gewesen war, hatte der Kaiser abermals seine Zuflucht zur Abhaltung eines Reichstages genommen, der auf den Monat August 1547 nach Augsburg ausgeschrieben worden war. Hier erhoben sich laute Klagen gegen den Pabst; man forderte die Zurückverlegung des Concils nach Trident und der Kaiser versprach, dieselbe nachdrücklich in Rom zu fordern. Auf Ersuchen des Fürstenraths ward am 11. Februar 1548 ein von den Ständen gewählter Ausschuß beauftragt, eine Einigungsformel zu entwerfen, welche Deutschland den längst ersehnten Kirchenfrieden bringen möchte. Churfürst Moritz, welcher dem Reichstag anwohnte, hieß seine Wittenberger Theologen sich zur Abreise bereit halten; unterdessen sollten sie ein Gutachten über den Vorschlag einer einstweiligen Ordnung stellen, Cruciger, Maior und Melanchthon antworteten darauf am 24. Januar sehr besorgt: „Wir merken, daß man ein Interim machen will, das viele Stände, die jetzund in der Lehre mit uns einträchtig sind, nicht annehmen werden, daraus neue große Kriege erfolgen werden. Darum bedarf diese Sache Gottes Gnade und guten Rath, und haben wir großen Scheu vor dieser Handlung. So ist es an ihm selbst sehr beschwerlich, so man die Kirchen dieses Theils mit neuen Veränderungen betrüben sollt, und wäre christlich und nützlich, unsere Kirchen in jetzigem Stand zu lassen.“ Gleichwohl erklärten sie sich bereit, auf ihres Churfürsten Befehl zu erscheinen. Der Ständeausschuß kam nicht zum erwünschten Ziele, und so legte der Kaiser, wie früher zu Regensburg, eine insgeheim verfertigte Formel vor. Sie war von Julius von Pflug entworfen unter Beihilfe des Weihbischofs von Mainz, Michael Helding, und des Hofpredigers des Churfürsten Joachim von Brandenburg, Johann Agricola. Die Formel befriedigte die Römischen nicht, weil die Priesterehe und die Feier des Abendmahls unter beiderlei Gestalt darin wenigstens gestattet waren, auch über die Restitution der geistlichen Güter Stillschweigen beobachtet wurde. Noch weniger konnte sie den Evangelischen annehmbar erscheinen, war doch ausdrücklich „den Ständen, so Neuerung fürgenommen, aufgegeben, entweder wiederum zu gemeinen Ständen zu treten und sich mit ihnen in Haltung der Kirchensatzungen zu vergleichen, oder sich doch bemeldtem Rathschlag gemäß zu halten und nit weiter zu greifen.“ Der Pabst sollte in allen bisherigen Rechten belassen bleiben, in Betreff des römischen Kirchenbegriffs, des göttlichen Rechts der Bischöfe, der sieben Sacramente, der Transsubstantiation, des Heiligendienstes, des Fastens und der sonstigen Kirchengebräuche war keinerlei Concession gemacht. Der Kaiser theilte die unheilvolle Formel am 17. März den evangelischen Ständen mit, aber zum Staunen der Protestanten und Katholiken weigerte sich Churfürst Moritz, das Interim ohne Weiteres anzunehmen, ehe er den Rath seiner Gelehrten und die Zustimmung seines Volks eingeholt hätte. In Eile berief er seine Theologen von Wittenberg und Leipzig, Melanchthon, Cruciger, Maior und Pfeffinger nach Zwickau. Ihr Urtheil über das Augsburger Machwerk läßt sich leicht denken; trotz des Zorns des Kaisers wollten sie die Verantwortung nicht über sich nehmen, Theilnehmer an der „Fabrikation solcher Sophismen“ zu seyn. Zu Augsburg wegen der Drohungen der katholischen Partei nicht mehr sicher, zogen sie sich zu Anfang Aprils in das Kloster zu Zelle an der Mulde zurück. Hier arbeiteten die vier Theologen ihr Bedenken aus das Interim aus und übersandten es am 24. April dem Churfürsten. Sie wollten nicht, sagen sie, Zank suchen noch von unnöthigen oder geringen Sachen streiten, aber es sei eine große List, wenn behauptet werde, daß in dem Buch die evangelische Hauptlehre vom Glauben erhalten sei, denn der Glaube werde darin nur eine Vorbereitung zur Gerechtigkeit genannt, während doch der Glaube nicht bloß eine Vorbereitung sei, sondern allezeit über die anderen Tugenden schweben müsse. Ueber den Artikel von der Kirche, daß darin Bischöfe und Pabst seyn sollen, wollten sie nicht streiten: „wir begehren keiner Hoheit oder Herrschaft, es sei Bischof oder Pabst, wer es sei, so sie rechte Lehre und rechte Gottesdienste nicht verfolgen, wollten wir, daß sie ihre Autorität hätten und treulichen Erhaltung christlicher Lehre und Zucht dieneten, dazu wir ihnen gern unterthan seyn würden. So viel aber insonderheit die Bischöfe in diesen Landen belanget, so sie die alten Mißbräuche, die rechter Lehre zuwider sind, wiederum aufrichten wollten in den Kirchen und Consistoriis, so würden Spaltungen, Zwietracht und Aergerniß im Volk. Dieses ist hiebei auch zu bedenken und zu verhüten, darum wir auch bitten. So sie aber die Gesänge und christliche Ceremonias halten und in Consistoriis nicht wider göttliche Rechte sprechen, sind wir wohl zufrieden.“ Von Confirmation und Oelung wollten sie auch nicht streiten, obschon es nicht recht sei, daß das Buch sage, es werde Gnade dadurch gegeben; für Privatabsolution seien sie zwar stets gewesen, wollten aber dem Gewissen nicht die fährliche Last der Erzählung heimlicher Sünde auflegen; auch von der Messe wollten sie nicht streiten, nur dürften die Privatmessen ohne Communicanten nicht wieder aufgerichtet werden; aber in den Artikel von der Heiligenanrufung könnten sie nicht zu willigen rathen, denn vor Augen sei der große Mißbrauch, daß man Helfer und Mittler aus den schwachen Menschen mache und dadurch die Erkenntniß vom rechten Mittler, vom Sohne Gottes verdunkle und Gottes Ehre den Menschen gebe; ebenso seien die Seelenmessen zu verwerfen, da das Sacrament zur Gedächtniß den Lebendigen eingesetzt sei und nicht für die Todten applicirt werden solle; im Canon endlich ständen viel ungereimter Reden, so daß er nicht ganz angenommen werden könnte; „dieweil denn etliche Stück im Buch unrecht sind und erkannte Wahrheit göttlicher Lehre Niemand verfolgen soll, so können wir die unrechten Artikel nicht billigen noch annehmen, können auch nicht rathen, dieselbigen anzunehmen und die rechte Lehre zu verfolgen. Und wiewohl Friede und Einigkeit nützlich und gut ist, so soll man doch Gottes Befehl höher achten. Dazu ist dieses auch zu bedenken, ob aus dieser Reformation Friede oder Unfriede zu hoffen. Unsere Kirchen werden verunruhigt und werden sich die Päbstlichen nicht bessern, sondern werden in ihren Mißbräuchen gestärkt. Denn es ist nicht Zweifel, viel Pfarrherren werden die Artikel nicht alle annehmen, wie sie im Buch geboten sind. So denn die Herrschaften die Pfarrherren verjagen oder tödten werden, das wird ein betrübter Friede seyn, und wird Gott auch drein greifen. Item, viel tausend Menschen in unseren Kirchen, die jetzund Gott recht anrufen, würden aus diesem Aergerniß ganz irre werden. Was man nicht besser machen kann, das sollte man nicht regen. So dieses Buch nicht gelindert wird und soll also, wie es lautet, in das Werk gebracht werden, so wird eine große Verfolgung und neue Spaltung kommen. Gott wolle guten Rath und Gnade verleihen.“

Es läßt sich nicht läugnen, daß Luther gegen das Interim eine andere Sprache geführt, von den Zweckmäßigkeitsgründen ganz abgesehen und nur das unbeugsame Recht der Wahrheit mit unbeugsamem Muth vertreten haben würde; doch werden wir auch Crucigern und Melanchthon das Zeugniß nicht versagen können, daß dieses ihr Gutachten eine kräftige Glaubensthat war. Die Wittenberger kehrten nach Hause zurück, wurden aber auch dort fortwährend auf’s Neue auf die Probe gestellt. Da Agricola noch immer behauptete, die im Interim vorgetragene Lehre stimme mit der evangelischen Rechtfertigungslehre überein, gaben die Wittenberger Mitte Mai’s eine neue Erklärung über diesen Punkt ab. Des Buches natürlicher Verstand, sagen sie, sei dieser, daß ein Mensch gerecht und angenehm sei vonwegen der Liebe, das sei gleich so viel als vonwegen eigener Werk und Tugenden; unter Glauben verstehe das Interim nur eine Vorbereitung zur Gerechtigkeit: „Die Lehre von der Rechtfertigung durch den Glauben ist die unwandelbare Wahrheit des Evangelii und ist leicht und muß in aller Anfechtung täglich betrachtet werden. Denn so wir beten wollen, ist nicht genug, daß du dein Herz anflehest und Liebe und andere Tugend suchest, wiewohl es wahr ist, daß sie in uns seyn sollen und müssen; sondern es muß über solche schwache Tugenden dieser wahrhaftige Trost in uns seyn, nemlich das Vertrauen auf den Mittler, daß uns Gott um seinetwillen gewißlich annehmen und unser Seufzen und Schreien erhören und uns nicht von sich stoßen wolle. Und dieses Vertrauen muß gegründet seyn auf den Sohn Gottes und nicht aus eigene Reinigkeit, obgleich die angefangenen Tugenden in uns seyn müssen, wie sie auch bald mit solchem Glauben und solcher Anrufung erweckt werden.“

Herzog Moritz kam durch diese Sprache seiner Theologen gegenüber dem Kaiser mehr und mehr in’s Gedränge. Da das Interim als Reichsgesetz proclamirt wurde, erklärte er, es ohne Bewilligung seiner Stände nicht annehmen zu können, und es ward ihm gestattet, nach Dresden zurückzukehren, von wo aus er auf den 1. Juli seine Stände einberief. Vorher forderte er nochmals ein eingängliches Gutachten seiner Theologen ein; dasselbe wurde am 16. Juni von Melanchthon verfaßt, von Cruciger, Bugenhagen, Pfeffinger, Maior und Fröschel mit unterschrieben, aber erst am 27. Juni dem Churfürsten übersandt, schnell durch viele Abschriften und bald auch durch den Druck veröffentlicht – das erste öffentliche Zeugniß wider das Interim. Die Theologen erklären im Eingang, daß sie die unlängst zum Buche gemachte Vorrede noch nicht gesehen haben, aber hören, daß es eine sehr beschwerliche Schrift sei: „Wo nun diese Meinung darin ist, daß sie unsere Kirchen verdammen, und daß die Annehmung des Buchs ein Bekenntniß sei, als haben unsere Kirchen bis anher unrecht gelehrt und haben muthwillige Spaltungen angerichtet: so ist aller Verständigen in unseren Kirchen Nothdurft, dieses zu verantworten. Denn so wir uns nach erkannter Wahrheit des Evangelii selbst also strafen und uns zu Verfolgung derselbigen erkannten Wahrheit verpflichten würden, dieses wäre Gotteslästerung, die nicht vergeben würde, davor uns Gott gnädiglich behüten wolle. Wiewohl nun Krieg und Zerstörung gedräuet werden, so sollen wir dennoch Gottes Gebot höher achten, nemlich daß wir erkannte Wahrheit des Evangelii nicht verläugnen sollen. Zum Andern so ist auch die Lehr vom Sohne Gottes und Vergebung der Sünden ein besonder Rath Gottes, den Gott aus unaussprechlicher Barmherzigkeit geoffenbaret hat, und will, daß alle Menschen dieselbige Lehr erhalten helfen, dadurch ihn recht anzurufen und Seligkeit zu erlangen. Nun hat der Teufel von Adams Zeiten an für und für viel List versucht, diese Lehr auszulöschen oder zu verdunkeln; darum sollen wir uns fleißig hüten, daß wir nicht von rechter Lehr abgeführt werden. Zum Dritten so wolle man auch bedenken, so man in Kirchen dieser Land öffentlich unrechte Lehr und Abgötterei wiederum anrichten würde, wie groß Aergerniß in unsern Kirchen verursacht würde: denn viel gottfürchtige Leut würden in große Betrübniß fallen, und würde rechte Anrufung Gottes verhindert. Aus diesen hochwichtigen Ursachen wolle man sich in dieser Sach wohl fürsehen, was man schließen wolle. Wir streiten nicht aus eigenem Frevel, Fürwitz oder Stolz, wie uns von Etlichen aufgelegt wird. Gott, der aller Menschen Herzen kennet, der weiß, daß wir herzlich gern Frieden sehen und selbst haben wollten. Uns dringt aber zur Bekenntniß der rechten Lehre, die in unsern Kirchen gepredigt wird, dieses ernstliche Gebot, daß man erkannte Lehre der Wahrheit des Evangelii nicht verläugnen und nicht verfolgen soll, wollen auch unsere Gefährlichkeit Gott befehlen. Und nachdem man nun im Werke befindet, daß die Bischöfe und ihr Anhang keine Vergleichung annehmen wollen, und die Uneinigkeit in der Lehre und etlichen Ceremonien gleichwohl bleiben wird, und sie uns keine Priester ordiniren wollen, wäre besser, daß wir doch unsern Kirchen Ruhe und Fried ließen und nicht selbst unter uns mit neuen Veränderungen Unruhe, Uneinigkeit und Aergerniß anrichten. Denn dieß Buch wird doch in vielen Landen und Städten gewißlich nicht angenommen werden.“ Sofort werden die einzelnen Sätze des Interims einer ernsten Kritik unterstellt, und am Schluß das Gesammturtheil dahin abgegeben: „Diese Lande sind durch Gottes Gnaden jetzund mit vielen Gottesgaben gezieret, mehr denn andere Land, mit Kirchen, mit ziemlicher Zucht, Gericht und Recht, mit Nahrung, mit löblichen Künsten, Daß wir nun solchen ziemlichen Stand selbst verstören sollten, und dazu wider Gottes Gebot, das können wir nicht rathen. Und weil geschrieben stehet, was aus Gott ist, das bleibet: so wird man im Werk befinden, daß, obgleich Veränderung der Kirchen an etlichen Worten anfangen würde, daß dennoch diese Lehr, die wir predigen, in andern Landen, und Kirchen bleiben wird, und wird also das Interim wenig Einigkeit machen. Daß man aber Krieg fürchtet, darauf ist unser unterthänig Anzeigung, die Herrschaft wird sich hierinnen wohl wissen zu erinnern, was sie gegen der Kirchen Schutz halben thun sollen oder können. Für unsere Person sind wir durch Gottes Gnaden zu weichen und sonst zu leiden bereit. Daß wir aber nicht gelinder rathen, denn wie gesagt ist, ist nicht Frevel oder Stolz, sondern Gottes Gebot zwingt uns, daß wir erkannte Wahrheit nicht verläugnen und nicht verfolgen sollen. Dieweil nun das Interim in vielen Artikeln, die wir angezeigt haben, der rechten Lehr zuwider ist, so müssen wir davon wahrhaftigen Bericht und Warnung thun, welche wir mit christlicher Maß thun, wollen dem allmächtigen ewigen Gott unsere Fährlichkeit befehlen.“

Am 1. Juli kam der sächsische Landtag zu Meißen zusammen: es war die letzte Reise, welche Cruciger mit den übrigen Wittenberger Theologen antrat. Sie hatten nochmals unter Beiziehung einiger churfürstlicher Räthe und Mitglieder des Landtags einen Bericht über das Interim zu verfassen. Derselbe fiel mit aller Entschiedenheit gegen Annahme der verderblichen und tyrannischen Zumuthungen des Interims aus: nur in einigen äußerlichen Gebräuchen, als Festtagen, Fasten, Kirchengesängen und Ornaten ward von der Möglichkeit einer Nachgiebigkeit gesprochen. Der Landtag erhob diesen Antrag zum Beschluß und übersandte dem Churfürsten eine Supplik an den Kaiser, er möchte ihre Kirchen im jetzigem Zustande belassen. Unzufrieden mit diesen Beschlüssen berief der Churfürst seine Stände nochmals auf den Monat October nach Torgau; vorher versuchte er noch eine Zusammenkunft zwischen seinen protestantischen Theologen und den katholischen Bischöfen Sachsens und citirte sie auf den 22. August nach Pegau. Unter den Geladenen war auch Cruciger, aber Krankheit verhinderte ihn, und Eber sollte ihn ersetzen.

Cruciger war, wie Luther sagt, „ein schwach Organon“ und hatte häufig mit Krämpfen, welche oft mehrere Stunden anhielten und ihren Sitz vorzüglich im Unterleibe zu haben schienen, zu kämpfen. Die Last der Arbeiten der letzten Jahre und die unausgesetzte gemüthliche und geistige Erregung, welche die Ereignisse dieser Zeit auf den von Natur Reizbaren ausübten, hatten seine Kraft gebrochen. Vom August 1548 an lag er so hart darnieder, daß man an seiner völligen Genesung gänzlich zweifelte. Ein tief gewurzeltes Nervenleiden verzehrte seine letzten schwachen Kräfte. Schon am 31. August schrieb Melanchthon an den braunschweigischen Leibarzt Burkhard Mithob: „Crucigers Leben ist in Folge seiner Unterleibsleiden in einiger Gefahr; bittet auch ihr, daß ihn Gott erhalte.“ Schon im folgenden Monat steigerte sich das Uebel zu einer rasch verlaufenden Abzehrung. Am 16. September schrieb Melanchthon an Veit Dietrich: „Crucigern scheint Gott dem traurigen Schauspiel der kirchlichen Zerwürfnisse entreißen zu wollen, denn seine Entkräftung verschlimmert sich zusehends“; am 16. October: „Caspar lebt zwar noch, wird aber allmälig durch Atrophie aufgezehrt. Die Kräfte des Gehirns sind noch unversehrt, so daß er sich noch an der Lectüre des Ptolemäus ergötzt. Und wenn er draußen die Bewegungen der Gestirne beobachtet hat, so redet er, als ob er in den Himmel selbst eingegangen wäre, mit heißen Gebeten den Sohn Gottes unsern Herrn Jesum Christum an und befiehlt ihm seine Person und die Kirche und diese unsere Studien“ Wirklich blieb Crucigers Geisteskraft bis zum letzten Athemzug frisch: mit der größten Geduld trug er seine Schmerzen, und obschon er über drei Monate hoffnungslos darniederlag, hörte seine Umgebung doch nie ein Wort der Ungeduld oder des Murrens über seine Lippen kommen. Nur mit Rheinwein konnte er noch einige Zeit die sinkenden Kräfte hinhalten. Aber auch auf seinem Krankenlager kam er noch den Obliegenheiten seines Rectoramtes so gut möglich nach, während er mit gespanntem Interesse den weiteren Verhandlungen über das Interim folgte und die Kirche ihrem Haupte in brünstigem Gebet ans Herz legte. Immer noch beobachtete der Ordnungsliebende und mit ruhiger Fassung des Todes Wartende eine feste Tagesordnung: am Morgen traten die beiden Töchter an das Krankenbett, wo der Vater mit ihnen betete und sie einige Stücke des Katechismus hersagen ließ. Ein oft mit ihnen gesprochenes Gebet ist uns in der ihm von Melanchthon verfaßten Gedächtnißrede aufbewahrt. Es lautet: „Ich rufe dich an, allmächtiger Gott, ewiger und einiger Vater unseres Herrn Jesu Christi, Schöpfer Himmels und der Erden und der Menschen und deiner Kirche, samt deinem gleichewigen Sohn unserem Herrn Jesu Christo und dem heiligen Geist, weiser, guter, gerechter, wahrhaftiger, barmherziger, heiliger, hehrer Wächter deiner Kirche, erbarme dich meiner und vergib mir alle meine Sünden wegen Jesu Christi deines Sohnes, der für uns gekreuzigt und auserweckt ist, das Wort und Ebenbild des unsichtbaren Gottes, den du für uns zum Schlachtopfer, Mittler und Fürsprecher nach deinem wunderbaren und unaussprechlichen Rathschlusse gemacht hast; heilige mich mit deinem heiligen Geiste, erhalte dir in diesen Gegenden Ueberreste der Kirche, laß das Licht deines Evangeliums nicht verlöschen. Mache auch meine Waisen zu Gefäßen deiner Barmherzigkeit. Ich rufe dich, wenn auch in schwachem, kleinem Glauben, doch im Glauben an. Ich glaube, o Sohn Gottes, Herr Jesu Christe, an deine Verheißung, welche du mit deinem Blut und deiner Auferstehung versiegelt hast. Hilf mir, stärke mein Herz im Glauben!“ Nach dem Gebet machte er sich an seine Arbeit; seine Gespräche mit den ihn besuchenden Freunden waren vorzugsweise auf das Jenseits gerichtet. Der Blick zum gestirnten Himmel brachte dem auf dem Schmerzenslager Liegenden Trost und Ruhe, wiewohl er auch je und je die Zeichen des Himmels als unheilbringend betrachtete. Da er sein Bett so hatte aufstellen lassen, daß er den Himmel überschauen konnte, beobachtete er z. B. am 6. November ein feuriges Phänomen am Himmel, das sich von Süden nach Norden hinzog, während Flammen vom Himmel fielen und wieder aufstiegen; am andern Morgen äußerte er sich über diesen Anblick sehr besorgt, da er darin eine Vorbedeutung bevorstehender Zerrüttungen der Kirche erblickte.

Am 15. November reisten Melanchthon, Bugenhagen und Maior von Wittenberg zu dem Convente ab, welcher am folgenden Tag zu Zelle eröffnet werden sollte; schon am folgenden Tage sollten sie die Trauernachricht vom Heimgang ihres treuen Mitkämpfers erhalten. Tief erschüttert theilte Eber diesen unersetzlichen Verlust dem Melanchthon mit: „Obschon wir bereits längere Zeit fürchten mußten, daß der treffliche Mann durch plötzlichen Tod uns genommen würde, da alle seine Körperkräfte nicht nur gelähmt, sondern so zu sagen erloschen waren, mit Ausnahme der Gehirnthätigkeit, welche bis zum letzten Athemzug frisch und staunenswerth klar blieb: so muß uns doch sein Heimgang aus vielen Ursachen unaussprechlich wehe thun. Gleich nach dem Sechsuhrschlag Abends hauchte er seine Seele Christo aus, dem er sie so oft in unserer Gegenwart in frommen Gebeten befohlen hatte. Nachdem er am gestrigen Tage (wie er nie solche Arbeiten aussetzte) die Uebersetzung der Auslegung Luthers von den letzten Worten Davids zu Ende gebracht hatte, freute er sich sehr darüber und nahm sich vor, sich die folgenden Tage etwas mehr Ruhe von der Arbeit zu gönnen. Aber die darauf folgende Nacht, welche seine letzte war, wurde er durch einen Traum sehr beunruhigt, von welchem er heute öfter klagte, er sei schauerlich gewesen. Sein Sohn Caspar und Johannes Bavarus, welche des Nachts an seinem Lager wachten, erzählten, er habe oft in großer Aufregung mit den Zähnen geknirscht, und während er sonst nur schwer und langsam alle Glieder seines Körpers bewegen konnte, habe er wiederholt mit großer Hast seinen Kopf bald rechts bald links gedreht, mit einer Bewegung, wie sie diejenigen zu machen pflegen, welche eine ungerechte Forderung mit großer Entrüstung abweisen. Da nun sein Sohn und die Uebrigen aus diesen Bewegungen sahen, daß ihn ein Traum ängstige, riefen sie ihm laut, wie sie auch sonst zu thun pflegten, konnten ihn aber nicht aufwecken, bis er später selbst erwachte. Als heute gegen neun Uhr M. Georg Rörer und M. Sebastian Fröschel ihn besuchten, brach er, während seine Stimme sonst durch den schweren Athem gedämpft war, in folgende Worte aus: „O, M. Fröschel, wie ein erschreckliche, grausame Disputatio hab ich heut im Traum gehalten!“ Als ihn Fröschel nach dem Inhalt des Traumes fragte, erwiderte er: „Ich kanns nicht sagen. Nachdem er aber ein wenig aufgeathmet hatte, sagte er: „Sie wollten mich überreden und darüber absolviren, es sollte keine Noth haben und mir nicht schaden. Ich aber habe widersprochen, ich habe widersprochen, das versichere ich.“ Diese Worte wiederholte er mit lauter Stimme mehrmals, wie Alle, die mit Frösche! zugegen waren, gehört haben. Als ihn Frösche! getröstet und ihm einen ähnlichen Traum, den er unlängst gehabt, erzählt hatte, wiederholte er immer wieder die Worte: „O wie hab ich eine Nacht gehabt mit der Disputatio; ich kanns nicht sagen, o Herr, behüt mich davor!“ Als Fröschel um Ein Uhr wieder kam, bat ihn Cruciger, ihm die Absolution zu ertheilen. Darauf betete er inbrünstig für die Kirche mit häufigen Seufzern und gefalteten Händen; mehrmals hob er auch seine Arme, so gut er konnte, empor, während er die Worte Christi betete: Vater, heilige sie in der Wahrheit, dein Wort ist die Wahrheit; laß sie eins seyn in uns! Darauf lag er still bis vier Uhr, wo ihm Fröschel abermals Trost zusprach und er auf dessen letztes Gebet zum Zeichen der Zustimmung mit dem Haupte nickte und mit leiser Stimme Amen sagte. Bald nach fünf Uhr begann der Todeskampf, er lag da, ohne ein Wort von sich zu geben, doch zeigte er durch Drücken der Hand Rörers, welcher ihm vorbetete und sang, daß er das Gesprochene verstehe und es gerne höre. Um die sechste Stunde entschlief er nach wenigen Herzstößen in den Armen der Seinigen, um dieselbe Zeit oder etwas später, als ihr nach unserer Berechnung in Zelle angekommen seid. Solch ein Ende nahm der Mann, welcher um der Mannigfaltigkeit und Trefflichkeit seiner Gaben und um seiner Tugenden willen niemals genug gepriesen werden kann. Ihm ist zu gönnen, daß er den schon vorhandenen und den drohenden Uebeln entrückt wurde, aber uns ließ er den heftigsten Schmerz zurück, da wir eben jetzt zumeist das Ansehen und die Hilfe eines solchen Manns bedurft hätten. Aber vielleicht verdient es unsere Undankbarkeit, daß uns vor der Zeit solche Lehrer entrissen werden, deren früher Hingang mir ein sichereres Zeichen des Zornes Gottes zu seyn scheint, als alle außerordentlichen Zeichen, an denen unsere Zeit so fruchtbar ist. Es scheint uns angemessen, daß die Leiche Crucigers neben den Gebeinen Luthers beigesetzt werde, dessen Schüler, ja dessen geliebtester Sohn er war, und dessen Schriften zu verbreiten bis zum letzten Tag seines Lebens seine Arbeit war, damit seine Gebeine in der Schloßkirche, in welcher er so viele heilsame Predigten von den Wohlthaten Christi hielt, der Wiederkunft des Sohnes Gottes entgegenschlummern.“

Am 19. November wurde die Leiche in der Pfarrkirche am Altar beigesetzt zu den Füßen des ehemaligen Universitätsrectors Ulrich Erbar. Bugenhagen hielt dem geschiedenen Freund und Collegen die Leichenpredigt über die Worte Pauli (2. Tim. 4, 7. 8.): Ich habe einen guten Kampf gekämpfet, ich habe Glauben gehalten, ich habe den Lauf vollendet. Groß war die Trauer in der ganzen evangelischen Kirche; Niemand war tiefer durch diesen Verlust erschüttert als Melanchthon: „Mein Schmerz über den Heimgegangenen (antwortete er Ebern) ist um so größer, je älter meine Freundschaft mit ihm war. Mit ihm konnte ich über alle schwierigen Lehren frei wie mit mir selbst reden und bei der Gediegenheit seines Urtheils wählten wir gemeinsam die besten Meinungen aus. Oft gab er mir Rath in der Darstellung der Lehre und in der Abfassung von Gutachten; oft empfing er von mir Winke und unsere ganze Verbindung war auf das Wohl der Kirche und Universität, nicht auf unseren eigenen Nutzen gerichtet. Mit ihm habe ich die Hälfte meiner selbst verloren.“ Dem Freunde selbst gönnte er diesen friedlichen Heimgang: denn er ist vielen überaus traurigen Erlebnissen entronnen! Im Jahr 1549 setzte er seinem unvergeßlichen Freunde ein Denkmal in einer lateinischen Gedächtnisrede, welche Reinhold vortrugt, wie er auch zu Crucigers letzter Arbeit, der Uebersetzung von Luthers Erklärung der letzten Worte Davids, eine Vorrede schrieb – zum Schwanengesang eines David, Luther und Cruciger, wie er sagt. Seine Gedächtnißrede schloß mit den Worten: „Danken wir Gott, daß er uns einen solchen Collegen und Doctor geschenkt hat; gebrauchen wir aber auch die Arbeiten eines Cruciger und folgen dem Beispiel seines Lebens und seiner Studien nach!“

5. Familienleben und Charakter Crucigers.

Cruciger hatte von Natur ein schweres Gemüth, wie dieses Hieronymus Weller mit folgenden Worten andeutet: „Mit Recht hieß er Cruciger, Kreuzträger, denn er trug sein großes und schweres Kreuz. Nicht nur war er stets kränklich, sondern er hatte auch viel häusliches Ungemach; er hatte auch seinen Satan, der ihn mit Fäusten schlug. So sagte Luther einmal zu mir über Tische: „Hieronymus, du hast deinen Quälgeist so gut wie ich und Dr. Cruciger und M. Philipp.“ Und doch war der Kreuzträger allezeit still und gelassen, über dem Vielen, wofür er zu danken hatte, dasjenige vergessend, worüber er hätte klagen mögen. Sein Emblem war die Taube mit dem Oelblatt, die der Arche Noahs zufliegt, mit dem homerischen Sinnspruch: „Alles, was Gott schickt, ist das Beste.“ Außerdem wiederholte er oft den Wahlspruch: Nichts hat festen Bestand außer der Liebe zu Gott. Schüchtern und schweigsam, wo der Geist ihm nicht zu reden befiehlt, in sich gekehrt und nur im Stillen seines Hauswesens sein inneres Wesen entfaltend, auch unter den Waffen stets das Oelblatt des Friedens tragend, führt er ein in Gott verborgenes Leben, die Füße im Ungewitter, das Haupt in Sonnenstrahlen.

Der Schnellschreiber schreibt wenig und nur wo er muß; das Beste behält er für sich selbst und den ihn verstehenden und würdigenden Kreis der Seinigen. Er bekennt selbst seinem Freunde Jonas (20. Juli 1541): „Du weißt, daß ich von Natur diesen Fehler habe, daß ich zum Schreiben faul bin.“ Melanchthon beklagt sich des Oefteren, daß Cruciger nicht schreibe; Myconius schreibt an Melanchthon (26. Marz 1543): „Dr. Crucigerns ist faul, schreibt mir nichts, obschon ich ihm schreibe; bete, daß er gesund sei, wenn er auch faul ist.“ So kommt es, daß uns über das häusliche Leben des treuen Gatten und liebenden Vaters nur wenige Nachrichten aufbewahrt sind. Cruciger scheint schon sehr frühe, spätestens in der Mitte des Jahres 1524, also schon vor seiner Anstellung in Magdeburg, in die Ehe getreten zu seyn; seine Wahl fiel auf Elisabeth von Meseritz, die aus einem wahrscheinlich polnischen Adelsgeschlecht abstammte. Ihre evangelische Gesinnung und ihr frommes Gemüth hatte das Mädchen durch Dichtung des geistlichen Liedes: „Herr Christ, der Einige Gottes, Vaters in Ewigkeit, aus seinem Herzen entsprossen, gleichwie geschrieben steht“ bekundet. Luther hatte das glaubensstarke und schwungvolle Lied schon im Jahr 1524 seinem Gesangbuch einverleibt), und die Frau Elisabeth war mit Luthers Katharina eng befreundet. Iran Käthin hatte ihr einmal ein Meßgeschenk als Erwiederung auf ein ähnliches von Gold, das Elisabeth ihr von Leipzig mitgebracht hatte, im December 1532 verehrt. Wir wissen von diesem gewiß sehr glücklichen Hausstande nichts, als daß Frau Elisabeth schon im Mai 1535 starb. Tief erschüttert trat Cruciger zu seiner Aufheiterung eine Reise über Leipzig nach Nürnberg an, auf welche ihn Melanchthon anfänglich zu begleiten entschlossen war; doch wurde er durch neu angewachsene Arbeiten daran verhindert. Im folgenden Jahre trat Cruciger zum zweiten Mal in die Ehe mit der Tochter des Herrn Küchenmeister aus Leipzig, Luther schreibt an Churfürst Johann Friedrich am 28. März 1536: „Dr. Caspar Creuziger, hat mich gebeten, an E.Ch.F.G. zu schreiben und bitten, daß ihm gnädiglich wollten vergönnen zu seiner Hochzeit das Schloß Eilenburg, denn er sonst nirgends wohl hin weiß, weil es zu Leipzig oder Wittenberg nicht geschehen kann, E.Ch.F.G. werden sich wohl wissen gnädiglich zu halten, denn solche Sachen muß man helfen heben.“ Der Grund, aus welchem die Trauung auswärts vollzogen wurde, war derselbe, aus welchem Luther auch dem Hieronymus Weller abrieth (5. August 1536), in Wittenberg sein Hochzeitessen zu halten: „Es ist unser Markt ein Dreck, und wenn der Haufe soll geladen werden, die Universität mit Kind und Kegel und dazu Andere, die man meinethalben nicht wohl kann außen lassen, so bleibets weder bei neun noch bei zwölf Tischen.“ Der Churfürst ertheilte gern die nachgesuchte Erlaubniß, und so wurde die Ehe von Luthern in Gegenwart des damaligen Rectors Justus Jonas und Bugenhagens in Eulenburg eingesegnet. Luther hielt die noch erhaltene Hochzeitpredigt über Epheser 5,22 ff. Aus erster Ehe hatte Cruciger einen Sohn und eine Tochter. Der Sohn Caspar, am 19. März 1525 zu Wittenberg geboren und den 16. April 1597 zu Cassel gestorben, wurde ebenfalls Doctor und Professor der Theologie zu Wittenberg; da er sich aber dem Calvinismus anschloß, wurde er von seinem Amte verdrängt und sogar eine Zeit lang in Verhaft gehalten: „was Luther (bemerkt Schmieder) in Melanchthon und Cruciger nicht gern gesehen, aber geduldet hatte, das wurde an ihren Nachkommen von Luthers Nachfolgern nicht geduldet.“ Der Vertriebene ward als Consistorialpräsident nach Cassel berufen, wo er für die Einführung des reformirten Lehrtypus in Hessen sehr geschäftig war, weßwegen ihn ein strenger lutherischer Theologe „des besten Vaters schlechtesten Sohn“ nannte. Die Tochter aus erster Ehe war mit M. Andreas Kegel, Rector zu Eisleben, verheirathet. Das erste Kind zweiter Ehe war ein am 6. April 1537 geborener Knabe, der unreif zur Welt kam und frühzeitig wieder gestorben zu seyn scheint, wie ihm Melanchthon schon bei seiner Geburt prognosticirte, da er zu einer den Kindern immer mißlichen Zeit geboren sei, nemlich als die Verbindung der Sonne und des Mondes bevorstand! Eine Tochter ward Crucigern im Februar 1541 geboren, und später noch eine zweite. Eine derselben hieß Elisabeth; sie bereitete ihrem schon auf dem Sterbebett liegenden Vater noch die letzte Freude durch ihre Verbindung mit Luthers ältestem Sohne Johannes, welcher als gothaischer Hofrath und preußischer Geheimer Rath am 29. October 1575 in Königsberg gestorben ist. Von den Lebensverhältnissen der zweiten Tochter ist nichts bekannt. Seiner zweiten Gattin gedenkt Cruciger in seinen Briefen stets in treuer Liebe; sie soll als Wittwe im Jahr 1558 gestorben seyn.

Cruciger war der Einzige im Kreis der Reformatoren, welcher einiges Vermögen besaß und von drückenden Nahrungssorgen nichts wußte. Als einst an Luthers Tisch erwähnt wurde, wie Dr. Crucigers Vater durch Gottes Segen reich würde und an Nahrung zunähme, sagte Doctor Jonas: Gott sei gelobt, daß auch einmal ein frommer Theologus reich wird! Aber Luther entgegnete: Ach, wären wir reich genug an den überschwänglichen Gütern und Reichthum unsers Herrn Christi, aber wir achten leider derselbigen nichts; einen kleinen Schatz aber in der Welt achten wir viel größer! In einem Brief an Veit Dietrich erzählt Cruciger (7. December 1537), er habe um 1300 Goldgulden das zwar geräumige, aber noch nicht ausgebaute Haus des Dr. Augustin Schurf theuer gekauft. Der Kauf sei vielleicht unklug, aber er. habe sich dazu entschlossen, um so von seinem Vater etwas zu erhalten, der es ihm aus seine Bitte freundlich zugesagt habe, während er sonst nichts von seinem Vater erhalten hätte, der doch seinen Schwestern viel abgetreten habe. In späterer Zeit scheint der Vater nach Wittenberg in das Haus seines Sohnes übersiedelt zu haben; jedenfalls starb er in demselben am 28. Juni 1544. Der Rector der Universität forderte bei diesem Anlaß die Studenten in einem öffentlichen Anschlag auf, der am folgenden Tag um vier Uhr stattfindenden Leichenfeier anzuwohnen: der Vater habe in der Erkenntniß und Anrufung des Sohnes Gottes gelebt und sich sterbend Gott befohlen. Im Hause Crucigers herrschte einfache Wohlhabenheit. Mit Rücksicht auf seine schwache Gesundheit trank er blos Rheinwein, obwohl er klagte, daß dieser selten rein und unverfälscht nach Wittenberg komme.

Ein Kreis treuer Freunde versüßte Crucigern die vielen schweren Schickungen seines Lebens. Die erste Stelle unter denselben nahm Melanchthon ein, mit welchem Cruciger vermöge seiner natürlichen Begabung gerade so harmonirte, wie Jonas mit Luthern. Nie zog auch nur der leiseste Schatten über das reine Licht dieser Freundschaft. Beide Freunde schenkten sich gegenseitig ein unbedingtes Vertrauen; Melanchthon ließ die in seiner Abwesenheit an ihn einlaufenden Briefe nur von Crucigern öffnen. Bis auf das Aeußere war zwischen beiden Freunden Aehnlichkeit: Crucigers Handschrift, sowohl die deutsche als die lateinische, war derjenigen Melanchthons täuschend ähnlich, so daß sie Ungeübte leicht täuschen konnte. Bretschneider bemerkt darüber: „Trotz der großen Aehnlichkeit beider Handschriften unterscheidet sich Crucigers Schrift wesentlich von der Melanchthons, so daß der, welcher viele Handschriften beider Männer gesehen hat, sie auf den ersten Blick unterscheidet. Cruciger schreibt schöner, und seine lateinische Schrift ist viel runder als die Melanchthons; auch ist im Deutschen seine Orthographie die reinste und der unsrigen sich am meisten annähernde unter allen seinen Zeitgenossen, Luthern kaum ausgenommen.“ Nach Melanchthon den nächsten Rang unter Crucigers Freunden nahm Friedrich Myconius, sein treuer Mitarbeiter in Leipzig ein. Noch sechs Wochen vor dem Tod des „kranken Lazarus in Bethanien“ hatte Cruciger am 5. Februar 1546 diesem einen köstlichen Brief geschrieben, welcher mitgetheilt zu werden verdient: „Ich habe deinen Brief an D. Georg Rörer gelesen, in welchem du einen überaus lieblichen Schwanengesang anstimmst, von uns Abschied zu nehmen, und auch mich namentlich freundlich grüßest. Dein Brief hat uns tief ergriffen, wie ihn wohl kein Frommer ohne Thränen lesen kann, sowohl wegen des lebendigen Ausdrucks wunderbarer Gefühle, von denen dein Herz in Vertrauen und Liebe zum Sohne Gottes unserem Heilande glüht, als auch wegen der nicht geringen Bekümmerniß und des so schmerzlichen Heimwehs nach dir, welches du in jenem Schreiben in uns weckest als Einer, der sich schon anschickt von uns zu scheiden in ein weit besseres Leben und zu ewiger Genossenschaft des lieblichsten Verkehrs und ununterbrochenen Freudenlebens mit dem Sohne Gottes selber und mit jenem seligen Chor seliger Väter und Propheten und aller Heiligen und den zahllosen Schaaren der Engel. Dennoch da wir sehen, daß die Tröstungen und das Leben in Christo so überschwänglich in dir wohnen, selbst in dem Tode dieses Leibes, daß du jetzt nicht zu sterben, sondern wahrhaft und ewig in dem Sohn Gottes zu leben ansängst, der da ist das Leben und die Auferstehung, und da du keine Trostgründe wider den Tod von uns zu erwarten brauchst, sondern wir sie vielmehr von dir empfangen müssen, so sagen wir von ganzem Herzen dem ewigen Gott, dem Vater unseres Herrn Jesu Christi Dank für seine unaussprechliche Gnade, daß er uns seine Erkenntniß in dem nach seiner großen Güte geoffenbarten Wort geschenket hat, und durch dasselbe in Vielen, auch in dir sich durch seinen heiligen Meist kräftig erweiset. Und weil er dich zu einem gesegneten Lehrer seiner Kirche gesetzt hat, so hast du, wenn du als ein rüstiger Athlet und tapferer Streiter Christi deinen Lauf treu vollendet und den guten Kampf gekämpft hast, am Ende die Krone der Gerechtigkeit zu gewarten, welche dir der Herr, der gerechte Richter, treulich reichen wird, sowie Allen, die seine Erscheinung lieb haben. Darum wenn du noch in diesem sterblichen und elenden Fleische lebst, so fahre fort, über Tod und Hölle zu siegen und sie zu verachten in Kraft unseres Herrn, der unser Triumphator und Befreier ist. Hieran mahne dich schon dein Geschlechtsname, daß du mit unbesiegtem Glaubensmuth jenes Wort annehmest: Ob ich schon wanderte im finstern Todesthale, fürchte ich kein Unglück, denn du bist bei mir (mecum), und wo es noch solche ähnliche Stellen gibt, welche du in großer Anzahl kennst. Denn wenn wir jenen hohen und köstlichen Verheißungen glauben, wie Petrus sagt, die mir von Gott überliefert sind, und anerkennen, was uns in Christo, dem Sohne Gottes geschenket ist, so gebt es uns wohl, denn wir sind gewiß, daß wir, ob wir leben oder sterben, des Herrn sind, der selbst gestorben und auferstanden ist, daß er auch in uns der Herr des Todes und des Lebens sei, nemlich daß er jenen aus ewig vernichte und dieses auf immer erneuere und bewahre. Aber ach, wie muß ich meine Kälte und Schlaffheit beklagen, wenn ich sie mit der wachen Lebendigkeit deines Herzens und der glühenden Macht deines Glaubens vergleiche! Darum mißfalle ich mir selbst gar sehr und oft, wenn ich den bessern Vorsatz hatte, ward ich von Scham zurückgehalten, so daß ich nicht den Muth hatte, an dich zu schreiben. Wenn es der Wille des Herrn ist, daß du uns noch eine Zeit laug erhalten werdest, was wir zum Heil der Kirche und zu unserem Besten nach seinem Willen wünschen, so bitte ich dich sehr, du mögest in deinen heiligen und inbrünstigen Gebeten auch unsere Seligkeit Christo befehlen, daß er mich und die Meinigen zu Gefässen seiner Barmherzigkeit mache und uns des fröhlichen Umgangs mit ihm und des erwünschten Zusammenlebens mit der ganzen Versammlung seiner Kirche genießen lassen wolle. Ihn bitte ich von ganzem Herzen, daß er sowohl dich erhalte, als auch für dein Haus und deine Kirche als der treuste Wächter und Bischof Sorge trage.“ In der freundschaftlichsten Amtsbrüderlichkeit lebte Cruciger mit Justus Jonas, innig befreundet mit Veit Dietrich, Mathesius und dem ganzen Kreise der Wittenberqer Freunde.

Als eine besondere Wohlthat erkannte es der Mann, dem Arbeit zum Lebensbedürfniß und strenge Haushaltung mit der Zeit zur Gewohnheit geworden war, daß es ihm bis zu seinem Sterbetag vergönnt war, seine geliebten Studien fortzusetzen. Aus seinem Krankenlager theilte er die Zeit zwischen dem Lesen der Psalmen, des Ptolemäus und Euclides; mit seinen Freunden unterhielt er sich wie zuvor über alle Artikel der Lehre, über die wunderbare Regierung der Kirche, die Unsterblichkeit und die Hoffnung unseres Zusammenlebens in der himmlischen Kirche. Ohne Grauen sah er dem sicheren Tode Auge in Auge, denn er hatte Lust abzuscheiden und bei Christo zu seyn. Der Grundzug des Charakters Crucigers war eine tiefe lebendige Frömmigkeit, die sich aufs engste an die kirchliche Lehre anschloß und in anhaltendem Gebet sich stärkte. Melanchthon bezeugt von ihm: „Er war ein treuer Wächter der unverfälschten Lehre, wie sie in Luthers Bekenntnissen ihren Ausdruck gefunden hat. Oft versicherte er, daß er mit ganzem Herzen in allen Artikeln dem Lehrbegriff anhange, den er einstimmig mit Luthern und Bugenhagen gepredigt habe und den er mit voller Ueberzeugung auf Gott, den Sohn Gottes und die Offenbarungen der Propheten und Apostel zurückführe. Auch bezweifle er nicht, daß das die beständige Meinung der katholischen Kirche Gottes sei, die er bekannt habe. Wie oft habe ich ihn seufzen gehört, wenn von neuen Angriffen auf die Kirche die Rede war, denn er haßte von Herzen die hohlen und zweideutigen Lehren, durch welche die Kirche verwirrt wird. Und nicht bloß seine Predigt stimmte mit der Kirche Gottes überein, sondern auch sein Herz, sein Gebet und sein Wandel preisete Gott“ In dieser Frömmigkeit wurzelte die Bescheidenheit, Auspruchslosigkeit und Redlichkeit seines Wesens, wie seine Zeitgenossen sie rühmen. Camerarius, sein alter Jugendgenosse, schreibt über ihn: „Bon Kindheit an blieb er sich darin gleich, daß er sein reiches und vielseitiges Wissen am liebsten zurücktreten ließ. Von Großsprecherei hatte er keine Ader und nirgends zeigte er auch nur einen Anflug von Ehrgeiz und Eitelkeit. Er übernahm und besorgte die schwierigsten Geschäfte, doch so still und gleichsam verstohlen, daß selbst die nächsten Freunde nichts davon wußten. In seinem Wandel bezeugte er die strengste Rechtlichkeit, im täglichen Verkehr eine liebenswürdige Anmuth, im Umgang mit Jedermann den menschenfreundlichsten Sinn, in seiner Amtsführung eine bewährte Treue und Zuverlässigkeit. Mit Worten war er sehr karg, mit Rath und That half er gern Jedermann. Die Weisheit seiner Urtheile. die Besonnenheit seiner Rede, die seltene Schweigsamkeit seines äußeren Auftretens und die strenge Gewissenhaftigkeit seines Sinnes sicherten ihm ein hohes Ansehen und verliehen ihm eine ausgezeichnete Würde.“ Hieronymus Weller bemerkt über Cruciger: „Er war hervorragend durch Geist, Sprachgelehrsamkeit und Kenntnisse in allen Wissenschaften. Seine Leistungen in der Theologie gaben ihm Anspruch auf den Namen eines zweiten Luther. Unter allen Schülern Luthers hat keiner seinen Meister mit glücklicherem Erfolg nachgeahmt. Fast in allen Stücken war er ihm ähnlich, nicht nur in der Redeart, sondern auch in der Lehrweise. Luther hat aus keinen seiner Schüler großer e Hoffnung gesetzt als auf ihn. Daher liebte er ihn wie seinen einzigen Sohn wegen seiner tiefen Frömmigkeit, Gelehrsamkeit und Bescheidenheit. An ihm war nichts Gemachtes und Gekünsteltes; wenn irgend jemand, so war er von allem Scheinwesen entfernt.“

Crucigers Einfluß auf das Reformationszeitalter ist sehr hoch anzuschlagen, obwohl er sich mehr im Verborgenen bethätigte, als offen ans Tageslicht trat. Cruciger war der erste in Wittenberg gebildete eigentliche Theologe, der weder aus dem Heerlager der Humanisten noch aus dem Studium des kanonischen Rechts seine Angewöhnungen und Anschauungen mit herüber gebracht hatte, sondern mit freiem offenem Blick alle Bausteine zu seinem theologischen Gebäude sich aus dem Schacht des Gotteswortes holte. Seine Gelehrsamkeit fußt weniger auf klassischem, als auf realistischem Grund und Boden, zielt weniger auf äußere Rechts- als auf innere Lebensgestaltung, zieht vom Mittelpunkt des Glaubens immer neue Radien an alle Grenzen der Peripherie, in welcher sich christliches Denken und Leben bewegt. Je ernster die Gewissensarbeit war, in welcher er sich sein Wissen bildete, desto gewissenhafter ehrte er auch das Recht des Gewissens in Andern, um mit seinem Wissen nicht über Andere zu herrschen, sondern ihnen zu dienen. Wie bei ihm selbst ein seltenes Ebenmaß zwischen Glauben und Wissen herrscht, so hält er Maß mit seinen Gefühlen und Gedanken, Maß mit seinen Worten und Reden, Maß mit seinem Wollen und Streben; nur den Geist Gottes läßt er auf sich wirken ohne Maß. Ein Kreuzträger erfährt er, daß der Herr nie mehr auflegt, als wir tragen können; ein Christträger, der allezeit das Sterben des Herrn Jesu an seinem Leibe umträgt, reift er frühe heran, daß auch das Leben Jesu offenbar wird an seinem sterblichen Fleische, bis der Christusträger von Christo heimgetragen, und der Kreuzträger ein Palmenträger wird.