Polykarpus Leyser, Sohn des Superintendenten Caspar Leyser zu Winnenden, wurde daselbst am 18. März 1552 geboren. „Seine frommen Ältern haben nicht nur um diesen Sohn zu Gott herzlich geseufzt (alldieweil sie sonst mehr nicht als zwei Töchter mit einander gezeugt), sondern, nachdem sie Gott mit diesem Samuel in Gnaden erfreuet, haben sie starke Hoffnung geschöpft, Gott werde ihn zu seinem Gnadengefäss aufnehmen und durch ihn viel Frommen schaffen; inmaassen ihn denn auch sein Vater den Namen geben lassen, dass er Polycarpus heissen sollte, als der in Christi Kirchen mit Lehren, Predigen, Schreiben und Anderem Gutes wirken und sich mit heilsamen Früchten erweisen würde.“ (Jenisch.) Caspar Leyser, bald darauf nach Nörtingen versetzt, starb schon im zweiten Lebensjahre Polykarp’s, und die hinterbliebene Wittwe, Margarethe, trat in eine zweite Ehe mit Lucas Osiander, der damals wahrscheinlich noch als Diaconus in Göppingen, seit 1557 aber als Superintendent in Blaubeuren und seit 1560 im gleichen Amte zu Stuttgart lebte. Polykarpus wurde von Osiander mit ächtväterlicher Liebe und Sorgfalt erzogen, zeichnete sich schon auf den Schulen zu Blaubeuren und Stuttgart aus und trat 1566 in das herzogliche Stipendiatenstift der Universität Tübingen. Nach gründlichen philosophischen Studien wurde er im achtzehnten Jahre Magister und erhielt als solcher auf Grund der bestandenen Prüfung unter zwei und dreissig Candidaten die erste Stelle. Seine wissenschaftliche Tüchtigkeit aber wurde verklärt durch sein christlich reines Leben. „Er ist also Samuelis Exempel nach dem Herrn ganz übereignet worden, den er stets vor Augen gehabt, gefürchtet, geehrt und geliebt, und hat er die Blüthe seiner Jugend nicht der Welt, nicht dem Fleisch und bösen Lüsten, sondern allein Gott, seinem Herrn, consecrirt und übergeben.“ (Jenisch). Als Magister gab sich Leyser vorzugsweise theologischen Studien hin, ohne die philosophischen auszuschliessen. Drei und ein halbes Jahr lang hörte er die Vorlesungen sämmtlicher theologischer Doctoren und zuletzt leitete er auch die Übungen des Predigerseminars. 1573 wurde er ordinirt und auf Ersuchen des Freiherrn Ludwig von Puchheim nach Göllersdorf in Östreich unter der Enns in’s Pfarramt gesandt. Weit und breit wurde er bald durch seine Beredtsamkeit berühmt und nicht selten nach Wien zur Predigt eingeladen. 1576 erhielt er einen glänzenden Ruf nach Greiz; aber weder Puchheim noch seine Gemeinde wollten ihn ziehen lassen, und er blieb. Noch in demselben Jahre wurde er, zugleich mit Hunnius, in Tübingen zum Doctor der Theologie promovirt und im November zum Professor und Pastor nach Wittenberg berufen. nachdem er in Berücksichtigung seiner Jugend und der schwierigen Verhältnisse in Chursachsen lange geschwankt hatte, willigte er endlich unter der Bedingung ein, dass er im Fall der Nichtbefähigung bis zum Ablauf zweier Jahre unter freundlicher Dimission nach Göllersdorf zurückkehren dürfe, wo Puchheim inzwischen ein Vikariat angeordnet hatte. Dennoch wurde er in Wittenberg schon 1577 als Professor, Pastor, Superintendent und Consistorialassessor fest angestellt. 1580 verheirathete er sich mit Elisabeth, einer Tochter des Bürgermeisters und Malers Lucas Cranach II. Sie ist ihm dreissig Jahre lang eine treue Hausfrau gewesen und hat ihm acht Töchter und fünf Söhne geboren, von denen Polykarpus, nachmals Professor zu Leipzig, seinem Vater der Bedeutung und dem Ruhme nach am nächsten gekommen ist.
Leyser fand seine Thätigkeit in Wittenberg nicht leichter, als er sie sich gedacht hatte. „Zu Anfang seines Ministerii ist ihm manch saurer Wind unter die Augen gestossen, sonderlich von Denen, so heimlich oder öffentlich der calvinischen Lehre beipflichteten. Doch hat ihn Gott mit Gnade, Kraft und Geist dermaassen gestärkt, dass er ihrer wohl mächtig gewesen und sie mit Gottes Wort, als dem zweischneidigen Schwert und Waffen der Ritterschaft, kräftiglich eingetrieben. Ihrer Viele wollten sich an seiner Jugend ärgern; aber der Gott, der durch den Seraph dem Propheten Esaiä die Lippen rühren liess, der den Samuel bei schlechtem Alter zum Werk des Amtes tüchtig machte und Paulum von Mutterleibe an ausgesondert und berufen hat, der hat auf diesen Mann sein väterlich Auge gehabt, dass er zur fürnehmen Seule und Pfeiler der Kirche gerathen ist. Denn da hat ihm Gott nicht nur schöne Naturalia verliehen, dass er’s mit Verstand, Weisheit, Judicio, Erfahrung, Beredtsamkeit und Anderem Vielen zuvorgethan, sondern hat ihn auch so regirt, dass er sich der Hilfe und Mittel gern gebraucht, dadurch Einer zum fürnehmen Theologo werden kann. Das Eine ist Auscultatio; denn er war nicht ein Autodidact, sondern was er wusste, Das hat er von fürnehmen Praeceptoribus, wie auch aus nützlichen Büchern erfasset (wie Paulus, der zu den Füssen Gamalielis sass und das Gesetz von ihm studirte, wie Petrus, so sich zu Christo hielt und Worte des ewigen Lebens aus seinem göttlichen Munde hörte), und zwar nicht ein, sondern mehre Jahre, welches heut zu Tage junge Leute nicht thun, sondern, sobald sie etliche Predigten zusammengerafft, alsobald auf die Kanzel laufen und von Jedermänniglich gehört sein wollen. Dies hat unser seliger Doctor nicht gethan, auch nicht nur Schein und Schatten gutes, reines theologischen Erkenntnisses gehabt, sondern auf guten Grund gebauet. Das Andere ist Lectio et Meditatio, dass er viel gute Bücher gelesen und ihm dieselben nütz und bekannt gemacht. Das Dritte Oratio, dass er Alles mit Gebet bei Gott suchte, seiner Hilfe, Gnade, Kraft und Beistandes zu allem Thun und Fürhaben erwartete. Insonderheit kann von ihm gerühmt werde, dass er kein Mal die Kirche und Kanzel betreten, da er nicht zuvor mit heissem Gebet vor Gott gehangen und ihn um des heiligen Geistes Gnade demüthiglich angerufen, inmaassen er denn aus St. Augustini Spruch sondere Beliebung trug und den ihm selbst und Anderen zu gut mit güldenen Buchstaben ausschreiben liess: Praedicator laboret, ut intelligenter, ut libenter, ut obedienter audiatur et hoc se posse magis pietate orationum quam orationis facultate ne dubitet, ut orando pro se ac pro illis quos est allocuturus sit prius orator quam doctor, et ipsa hora accedens prius quam exerat proferentem linguam ad Deum levet animam sitientem, ut eructet quod biberit vel quod impleverit fundat. Ist kürzlich so Viel geredt: Ein Prediger der mit Lehren, Ermahnen, Trösten, Warnen Nutzen schaffen will, muss vom Gebet anfahen, damit ihm Gottes Geist in’s Herz gebe, was er mit dem Munde Andern lehren soll. Nisi intus sit qui doceat, frustra docentis lingua laborat! sagt einer von den Alten. Das Vierte ist Tentatio. Denn da ist der selige Doctor je nicht auf Rosen gegangen, sondern hat Neid, Streit, Widerwärtigkeit, Anfechtung, jetzt von Feinde, als Papisten, Jesuiten, Sacramentirern, bald von Freunden und falschen Brüdern, auch von Etlichen zu Hof, die sich doch vor Augen freundlich gestellet, über sich nehmen müssen. Aber da war bei diesem Manne Dies ein Principalstück, dass er auch wider den Wind segeln und mitten in Anfechtung durch Gottes Hilfe und Schutz sein befohlen Amt treulich verrichten konnte.“ (Jenisch.). Mit Festigkeit und Weisheit führte er die Verpflichtung der Geistlichen auf die Concordienformel aus und verfocht er den Gehalt derselben in den Gesprächen und Conferenzen zu Wittenberg, Torgau, Leipzig, Meissen, Herzberg, Quedlinburg und Dresden. Seine bei allen Schwierigkeiten reich gesegnete Wirksamkeit und die Gunst des Churfürsten machten ihm seine Stellung lieb, und als 1585 die Braunschweiger noch bei Lebzeiten des kranken Chemnitz ihn zu dessen Nachfolger zu haben wünschten, erwiderte er: „Sie sollten’s nur bleiben lassen; sie würden Nichts ausrichten, wenn sie ihn gleich beriefen; es würde ihn doch der löbliche Churfürst nicht ziehen lassen.“ Als aber August 1586 gestorben war und Christian I. den Krypto-Calvinismus begünstigte, wandte sich der Braunschweigische Rath auf’s neue, und zwar dies mal mit einer ausdrücklichen Vocation zum Coadjutor, an Leyser. Dieser erhielt willig von Christian die gewünschte Entlassung und reis’te am 11. December 1587 von Wittenberg ab. Die Studenten gaben ihm auf zwei Meilen das Geleit, seine Collegen Johann Matthäus und Georg Mylius reis’ten mit ihm bis Magdeburg, und zwei Grafen aus Östreich folgten ihm sogar nach Braunschweig. Hier sah sich Leyser von allgemeiner Liebe und Verehrung der Lutheraner begrüsst, nur nicht von Seiten des Superintendenten Heidenreich, welcher, sobald er nur von der Berufung Leyser’s gehört, ausgerufen hatte: „Der wird mich ausbeissen! Noch vor Ablauf des Jahres 1587 geriethen beide Theologen in einen heftigen Streit über die Ubiquität. Heidenreich behauptete im Colloquium, „dass Christus nur als Gott, nicht aber als wahrer Mensch, Alles gegenwärtig regire.“ Leyser widersprach und hatte im Verlaufe des langwierigen Streites sämmtliche Prediger der Stadt für sich, die dafür vom Superintendenten „vulgares pasterculi genannt und leichtfertige, unbeständige Buben gescholten wurden“. Durch einen Vertrag zwischen dem Rathe und dem geistlichen Ministerium vom 30. August 1588 wurde die Fehde mit Bezug auf die Rechtskraft der Concordienformel zu Gunsten Leyser’s entschieden, Heidenreich aber, der sich nicht beugen wollte und ausserdem durch seine Hoffahrt, sowie durch das ungeistliche Leben seiner Familie allgemeinen Anstoss erregt hatte, seines Amtes entsetzt. Er ging nach Helmstädt als Professor der Theologie und starb als solcher, mit Hinterlassung eines bedeutenden Vermögens, zu Frankfurt a.O. 1617. Übrigens dauerte der Streit über die Allgegenwart der Menschheit Christi theologisch noch lange fort. Doch wurde der heftigste Gegner dieses Satzes, Daniel Hoffmann, Professor in Helmstädt, nach vorherrschendem Urtheil zuletzt von Leyser überwunden. Letzterer übernahm die erledigte Superindententur erst, nachdem die Concordienformel und das freie Strafamt der Geistlichem vom Rathe der Stadt Braunschweig sicher gestellt war, am 10. Juli 1589. „Er hat der Kirche mit Predigen und den Schulen wöchentlich mit zweien lectionibus sechs Jahr mit treuem Fleiss gedienet, über reiner, gesunder Lehre gebührlich geeifert, gute Disciplin helfen fortpflanzen und das Band der Einigkeit im Ministerio erhalten; würde auch nicht einen Menschen allhier zur Ungebühr erzürnet haben, wenn nicht etliche Calvinischgesinnte sich hier aufgehalten, welchen das christliche Concordienbuch ein Dorn im Auge gewesen, auf dasselbe im Rath und sonst heimlich gestochen, und es lieber gar ausgemustert hätten. Darum sie ihm, sonderlich im Rath, viel Schadorte geleget, ihm auch mehr denn eine Grube gegraben haben, darin sie doch zuletzt selbst gefallen sind. Sonst hat man von ihm, benebst zweien Doctoren und Kirchenlehrern zu seiner Zeit, dieses nicht unwahre Sprüchwort zu gebrauchen pflegen: D. Agidius Hunnius doctissimus, D. Georgius Mylius eloquentissimus, D. Polycarpus Leyserus formosissimus. Hunnius sei der Gelehrteste, Mylius der Beredtsamste und Leyser der Schönste und Angenehmste gewesen; wie denn Diejenigen, so ihn gekannt, von ihm sollen bezeugt haben, dass er auf der Kanzel fast als ein Engel anzusehen gewesen, daher man ihn anstatt Thomae Aquinatis, oder nach demselben, Angelicum Doctorem, einen englischen Lehrer, nennen mögen.“ (Rehtmeyer.) Der Ruf seiner Beredtsamkeit war schon damals durch ganz Deutschland verbreitet, wie u.a. die, übrigens von ihm unbenutzte, Erneuerung seines Adelsdiploms durch Kaiser Rudolph II. i.J. 1590 beweis’t.
Nach Christian’s I. Tode wurde Leyser nach Wittenberg zurückberufen. Erst nach langen Verhandlungen willigte der Rath in die Dimission, und zwar unter den Bedingungen, dass Leyser nur auf zwei Jahr nach Wittenberg gehen, jährlich zwei Mal eine Katechismuspredigt zu Braunschweig halten und die drei Stadtschulen visitiren, den grössten Theil seines Hausgeräthes in Braunschweig lassen und überhaupt fortwährend als Superintendent der Stadt gelten solle. Während der diese Angelegenheit auf der sogenannten „Münze“ verhandelnden letzten Rathssitzung entstand ein förmlicher Auflauf der Bürger, welche die unbedingte Dimission fürchteten und zugleich verlangten, dass die beiden des Calvinismus verdächtigen Magistratsmitglieder, die Syndici Mascus und Nävius, ein Glaubensbekenntniss vor dem geistlichen Ministerio ablegen sollten. „Unterdessen ist ohngefähr ein Holländer, ein Triepmacher (Triep = Tripp, d.i. Bettlersammet), der ein Calvinist und kein rechter Bürger gewesen, sondern sich nur eine Zeit lang hier aufgehalten hatte, unter die Bürger kommen, hin und hergegangen und sie behorchet. Da haben etliche Bürger ihm gesagt, er sollte sich packen, oder sie wollten ihm Füsse machen. Darauf alsbald die muthwilligen Jungen mit Schreien und Rufen Steine und Erdenklösse auf ihn geworfen, dass sie ihn ohne Zweifel zu Tode gesteinigt, wo er nicht in der alten Reichischen Haus, damals auf dem Kohlmarkte, gelaufen wäre, weil eben zu seinem Unglück etliche Fuder Steine, die Gassen zu pflastern, dahin geschüttet waren. Sie warfen aber noch immer grosse Steine an die Thür und Fenster des Hauses und wollten ihn heraus haben. Desswegen die alte Wittwe um drei Uhr zu D. Leyser schickte und ihn bitten liess, er möchte hinfür kommen, denn man ihr Haus stürmen wollte, und sollte ihr Frieden schaffen. Er lässt sich bewegen und geht stracks Fusses mit den Boten hinfür. Da wurde er zuerst der grossen Menge Volks ansichtig, von der er zuvor Nichts gewusst hatte. Er gehet aber mitten unter sie, fraget sie, was da für sei? Sie berichten ihm, es sei darum zu thun, die Bürgerschaft könne nicht einwilligen, dass er ganz von Braunschweig hinwegkommen solle. Darum heilten sie bei dem Rathe an, dass es auf andere Wege gerichtet werde. Er saget ihnen hinwieder, die Sache sei all richtig, er ziehe nicht gar hinweg, er werde nach zweien Jahren (wenn er das Leben hätte) wiederkommen und bleibe unterdessen Superintendens zu Braunschweig, er wollte sich auch den folgenden Sonntag in der Predigt öffentlich erklären; damit sie Alle zufrieden gewesen. Er fraget weiter, warum man denn der guten, ehrlichen Frauen ihr Haus stürmen wolle? Da berichteten sie ihm, dass der Holländer, der Triepmacher, weil er sich wegen seines Zuhorchens Stösse besorget, hinweggelaufen sei, und etliche Jungen ihm Steine nachgeworfen hätten. Er gehet desswegen fortan gar in das Haus, besichtigt Alles, gehet wieder heraus, schilt die ungezogene Jugend, sagt derselbigen von der Historia zu Sodoma, sie sollten sich nicht also an den Leuten oder Häusern vergreifen, gehet den ganzen Platz nach der Länge und nach der Breit durch, und obwohl ein grosses Volk beisammen gewesen, hat er doch kein unbescheiden Wort gehört. Er gehet auch wieder zu Haus, heisset die Bürgerschaft, von deren Vielen er begleitet wurde, auch einen Jeden wieder in sein Haus gehen, und bittet sie um Gottes willen, sie möchten doch still und ruhig sein. Er wusste aber nicht, dass der Rath noch auf der Münze beisammen wäre und dass die Bürgerschaft auf die Erklärung wegen der Syndicorum noch wartete, desswegen seine Begleiter auch wieder nach der Münze zugebracht und weder gegessen, noch getrunken hatten, weil sie die Bürgerschaft nicht weg lassen wollen, haben sie, obgleich die Syndici sich gar nicht für dem Ministerio stellen wollen, sondern viel lieber ihren Urlaub verlanget, dennoch einen Schluss machen müssen. Desswegen die Bürger um sechs Uhr von der Gasse in die Münze gefordert worden, wo ihnen E. E. Rath durch ihren Hauptmann Henning Braband ansagen lassen, sie hätten mit D. Polycarpo Leyser gehandelt, dass er nach zweien Jahren wiederkommen und sein ordentlich Amt in diesen Kirchen verwalten wollte; unterdessen auch alle halbe Jahr die Katechismuspredigten halten und die Schulen visitiren. Es sollte auch der fremde Triepmacher, auf welchen sie zornig wären, und den die Jungen mit Steinen verfolget, den anderen Tag mit allen Seinigen vor der Sonnen Aufgang aus der Stadt vertrieben, und hinfüro kein einziger Calvinist in der Stadt geduldet werden; wollten sie aber bleiben, sollten sie von ihren Predigern sich unterrichten lassen; keine calvinische Bücher sollten gedruckt oder verkauft werden; die beiden Syndici sollten ebenfalls mit Ehestem von D. Polycarpo ihrer Lehre wegen examinirt werden. Dieses und noch Viel mehr ist den Bürgern verheissen, hernach über etliche Punkte ein offen Mandat angeschlagen und ein Vertrag zwischen dem Rath, Gilden und Hauptleuten aufgerichtet worden; womit sie dies Mal zufrieden und ohne einzigen Tumult in aller Stille und ruhe ein Jeder in sein Haus gegangen. Es ist aber dieser Tag hernachmals genannet worden der schwarze Sonnabend vor dem weissen Sonntage.“ (Rehtmeyer).
Am 26. April 1593 reis’te Leyser, geleitet von einem Rathsherrn, einem Kastenherrn und vier Predigern, nach Wittenberg ab. Rath, Professoren und Studenten zogen ihm in 17 Kutschen entgegen und nahmen ihn mit Jubel in Empfang. Mit Lust und Kraft begann er das alte, theure Amt zu führen; doch hatte er sich kaum wieder hineingelebt, als er es schon wieder verlassen musste. Im Herbst 1593 starb Martin Mirus, Hofprediger zu Dresden, und die Churfürstinn Sophie berief Leyser an dessen Stelle. Aber ihn band das den Braunschweigern gegebene Versprechen, und er würde es ihnen gehalten haben, hätten sie ihn nicht freiwillig entbunden. Wie dieses zuging, berichtet Rehtmeyer folgendermaassen: „Leyser ist den 27. April 1594 wieder nach Braunschweig gekommen, die Katechismuspredigten in der Brüderkirche zu halten. Da griff ihn, stracks nach seiner verrichteten Predigt in der Kirche, ein solch hartes und starkes Fieber an, dass er alsbald nach Hause gehen und sich zu Bette legen musste. Es hielt auch so gestreng an, dass man sich seines Lebens fast erwogen hätte. Da hat man nun dieselbe Woche viel berathschlaget, wie man es mit seiner Dimission halten wolle. Zuletzt hat das Ministerium selbst gerathen, man sollte ihn den churfürstlich Sächsischen nicht vorenthalten. Denn es hätte das Ansehn, weil die Braunschweiger ihn nicht wollten nach Dresden folgen lassen, so wollte ihn auch Gott nicht den Braunschweigern lassen, sondern eher durch den zeitlichen Tod hinwegnehmen. So wäre es ja besser, dass er bei dem Leben bliebe (wenn er gleich nicht zu Braunschweig wäre, könnte er gleichwohl gemeiner Stadt räthlich und dienlich sein), denn dass er sterbe, und Beides, Dresden und Braunschweig, seiner entrathen müssten.“ Am 2. Juni hielt Leyser seine Abschiedspredigt über das erste Capitel des 1. Briefes an die Thessalonicher, „welches er gar artig auf sich und seine Zuhörer accomodiret, und zwei ganzer Stunden bei einer sehr grossen Versammlung des weinenden und Leid tragenden Volks davon gepredigt; wie dieselbige noch schriftlich vorhanden. Denn dritten Tag darauf ist er mit gutem Willen E. E. Raths, E. Ehrw. Ministerii und ganzer ehrlicher Bürgerschaft nicht ohne seine grosse Betrübniss und Thränen von hier hinweggeschieden, und hat den Verspruch hinterlassen, dass er sie jährlich einmal, so es Gott gefiele, besuchen wolle.“ (Ders.) Nicht nach seinen Wünschen, sondern nur in Beugung unter die als göttlich erkannte Vocation hatte Leyser das Hofpredigeramt übernommen. „Wie ungern ich gefolgt,“ – schreibt er in der Vorrede zu seinem Regentenspiegel – „das weiss mein Gott und Herr, bei welchem gewiss unvergessen ist, was mit seiner göttlichen Güte ich für ein demüthig Gespräch gehalten, und wie fleissig ich gebetet habe am 12. October 1593 draussen in der Haide, da ich Dresden wieder ansichtig worden, und wusste, dass man mit mir darin von dieser Vocation, darin ich noch zu Tage bin, handeln würde.“ L. hatte in seinem Amte die Freude, das Sprüchwort, „ein Prediger, der bei den Zuhörern, sonderlich aber bei der Obrigkeit, für und für in Gunsten bleibt, müsse des Strafamtes vergessen haben“ in Anwendung auf seine Person zu Schanden zu machen; denn er strafte und blieb doch in Ehren, wenn er auch zwischendurch einmal wegen seiner strengen Beobachtung der Kirchenordnung der Dresdener Papst genannt wurde. Die Zeit, welche ihm seine eigentlichen Berufsgeschäfte übrig liessen, widmete er der Erziehung der sächsischen Prinzen, von denen Christian II. 1598 die Regierung übernahm, dem Kampf gegen Jesuiten; Calvinisten und Samuel Huber, sowie der Ausarbeitung zahlreicher Schriften. Im Juni 1607 begleitete er seinen Fürsten Christian II. nach Prag und hielt dort auf dessen Befehl zwei Predigten, eine über die guten Werke und die andere über die Rechtfertigung vor Gott. Als die Jesuiten seine Worte zur Schmach der lutherschen Kirche verdreht hatten, gab er diese ausgezeichneten Predigten in Druck und schrieb überdies eine besondere Vertheidigung derselben. Im Anfange des Jahres 1609 nahmen seine Kräfte merklich ab. Doch ergab er sich nicht an das Leiden, sondern visitirte noch die Universitäten zu Leipzig und Wittenberg. Sehr geschwächt kehrte er nach vier Wochen zurück, predigte jedoch bis Misericordias Domini in Dresden, medicinirte im Mai, folgte dann der churfürstlichen Familie auf verschiedenen Reisen mit der Predigt, arbeitete darauf eine Zeitlang, ohne zu predigen, in Dresden, hielt am 4. Sept. in grosser Schwachheit die Landtagspredigt, kehre nach Dresden zurück, absolvirte die churfürstliche Familie am 1. October, „that selbst auch sein richtig Bekenntniss, lässt sich absolviren, braucht sich öffentlich in der Hofkirche mit herzlichem Verlangen des heiligen Nachtmahls, befindet am innerlichen Menschen neue macht, dass er sich wie ein Adler erhub, wandelte und nicht müde wurde; fuhr derwegen in der Arbeit daheim zu Haus abermals fort, hielt an und bracht’s in etlichen Stücken weit, also dass mir und Anderen, die wir ihn besuchten und alleweg an der Arbeit fanden, vielmals die Gedanken zustanden, er würde bei den Büchern und an der Arbeit bleiben und darob selig und im Frieden hinfahren, kam uns auch wohl zu Sinn, was jener fürnehme Fürst sich verlauten lassen: Imperatorem stando mori oportet. Und Dies hat er dermaassen in Gewohnheit gebracht, dass er sagte, er wollte lieber sich todt arbeiten, als lange auf dem Bette siechen.“ (Jenisch.) Mit dem neuen Jahre 1610 musste er dennoch von seinen Arbeiten zurücktreten. Nachdem er knieend das heil. Abendmahl empfangen, suchte er das Lager, um es nicht wieder zu verlassen. Aber auch jetzt noch wirkte er in Segen durch seine Gebete und erbaulichen Ansprachen an Familie, Freunde und Collegen, bis er am 22. Februar 1610 still und sanft im Herrn verschied. Am 1. März wurde er in Gegenwart einer zahlreichen Trauergemeinde in der Sophienkirche zu Dresden begraben. Sein College, Paul Jenisch, hielt ihm die Leichenrede über 1. Sam. 25,1.
Leyser war als Prediger ein entschiedener Feind alles Gesuchten und Gekünstelten. Dies beweisen nicht nur seine Predigten, sondern auch viele seiner ausdrücklichen Äusserungen. „Ich bekenne gern“ (sagt er im Anhange zu seinen Prager Predigten), „dass (Wie Pater Andreas mir fürgeworfen hat) nicht grosse Kunst nach der rhetorica und artibus darinnen zu finden sei; sondern, wie ich sie de simplici et plano gethan habe, also habe ich sie ebenermaassen schlecht und einfältig jetzo auch geschrieben. Denn in diesem Fall folge ich gern dem heiligen Apostel Paulo, welcher also schreibet: Mein Wort und meine Predigt war nicht in vernünftigen Reden menschlicher Weisheit, sondern in Beweisung des Geistes und der Kraft, auf dass der wahre Glaube bestehe nicht auf Menschenweisheit, sondern auf Gottes Kraft. Jenisch hebt seinen Widerwillen gegen alles „Geflickte und Gespickte“ besonders hervor, und Leyser selbst spricht sich in einer Leichenrede auf seinen Collegen Tragen gegen alle „Prangerei, hohe Stolzen und Gerumpel“ mit grosser Missbilligung aus, wogegen er die Predigten lobt, welche nicht dem gährenden Moste, sondern dem stillen, abgelagerten Weine gleichen, gleichwohl Stacheln ihm Gemüthe der Zuhörer zurücklassen und überdies so verständlich sind, „dass auch des Schusters und des Schneiders Magd etwas Nützliches zur Gottseligkeit daraus machen und behalten können.“ Man darf hieraus nicht auf Nachlässigkeit in L.’s Predigten schliessen; vielmehr sind sie gründlich und in guter Ordnung ausgearbeitet, zuweilen in synthetischer Form.
Homelitische Schriften: Anzugspredigt. Wittenb. 1577. 4. Predigt: also hat Gott die Welt geliebt. Dresd. 1595. 4. Eine Predigt von der Gnadenwahl auf den churfürstl. Hause Lichtenberg. Dresd. 1597. 4. Einweihungspredigt. Dresd. 1595. Einweihungspredigt der neuen Schlosskirche zu Pilnitz. 1597. 4. VIII Busspredigten nach der Ordnung des Catech. Lutheri. Dresd. 1599. 8. Glückwunschpredigt beim Antritt der Regirung Christian II., über Ps. 10. Dresd. 1601. 4. Landtagspredigt zu Torgau 1601 d. 9. Dec. gehalten. Leipz. 1601. 4. Ehrenpredigt bei dem Beilager Churf. Christian II. Dresd. 1602. 4. Trauungspredigt bei dem Beilager Herzog Johann Georg I. Dresd. 1604. 4. Regentenspiegel auf dem Landtage zu Torgau, aus dem 101. Psalm, benebst zwei Predigten beim Anfange und Ausgange des Landtags. Leipz. 1605. 4. Zwo christl. Predigten: Eine von den guten Werken; die andere von dem Artikel: Wie der sündige Mensch vor Gott gerecht und selig werde. Leipz. 1607. 4. Himmelfahrtspredigt. Leipz. 1602. 4. Himmelfahrtspredigt, durch Dionysius Hali publicirt. Leipz. 1608. 4. Leichenpredigten: Methodus concionandi. Witeb. 1595. 8. Von anderen Schriften z.B. Commentariorum in Genesin Tomi VI. Lips. 1604. Harmonia evangelistarum continuata ad Chemnitianam harmoniam et a Gerhardo absoluta. Francof. 1611. 4. Adami vitae (wo die oratio funebris von Hutterus. Witeb. 1610. 4. sich im Auszuge findet), p. 379. Jenisch, eine christl. Predigt beim Begräbniss des weiland Ehrwürdigen, Achtbaren und Hochgelahrten Herrn Policarpi Lyseri. Dresd. 1610. 4. Officium pietatis, quod Polycarpo Lysero debuit et persolvit pronepos. Leipz. 1706. Rehtmeyer’s Kirchenhistorie, Bd. 4. S. 23 ff. Tholuck, der Geist der lutherischen Theologen Wittenbergs im Verlaufe des 17. Jahrhunderts. Hamburg u. Gotha, 1852. S. 4 ff. Zeissler, Geschichte der sächs. Oberhofprediger. Leipzig 1856. S. 23.
Die bedeutendsten Kanzelredner der lutherschen Kirche des Reformationszeitalters, in Biographien und einer Auswahl ihrer Predigten dargestellt von Wilhelm Beste, Pastor an der Hauptkirche zu Wolfenbüttel und ordentlichem Mitgliede der historisch-theologischen Gesellschaft zu Leipzig Leipzig, Verlag von Gustav Mayer. 1856