Katharina Zell

Matthäus Zell, vormals Professor und Rector der Universität zu Freiburg im Breisgau, seit 1518 Leutpriester zu St. Lorenz an dem Münster zu Straßburg, war der erste evangelische Pfarrer d. h. Prediger und Seelsorger dieser wichtigen Reichsstadt. Sein Leben hat der Unterzeichnete anderwärts nach den Quellen dargestellt.

Mit Zell’s Wirken auf das Innigste verbunden war dessen Ehefrau Katharina, eine wackere Frau, wohlbegabt an Verstand und Gemüth; mit Beredsamkeit und nicht geringem Muthe ausgerüstet, mit einem menschenfreundlichen, dem Herrn Christo innig zugewandten Herzen voll warmen Eifers für das Evangelium, steht diese merkwürdige Frau da, als eines der schönsten Denkmale der oberrheinischen Reformationsgeschichte in Glaube und Liebe, in Treue und Thatkraft. Es mag sein, daß Frau Katharina Zell in ihrem Eifer zuweilen zu weit gegangen sei, daß sie in spätern Jahren vornehmlich, nach ihres Gatten Tod, sich in Streitigkeiten gemischt habe, wie ihr vielleicht nicht zustand; daß ferner in ihren schriftlichen Aeußerungen sich ein Selbstgefühl, eine Art von Selbstgefälligkeit finde, die allerdings nicht zu rühmen; – auf jeden Fall bleibt Frau Zell ein nicht minder bemerkenswerthes, ehrwürdiges Bild aus der bewegten Zeit der Reformation. Ihre Lebensgeschichte ist ein ergänzender Theil in der Localgeschichte dieser Periode und es kann von Matthäus Zell nicht gesprochen werden, ohne daß der Frau Katharina Zell ehrende Erwähnung geschehe.

Charakteristisch ist noch folgende Zusammenstellung. Butzer, Zell’s Amtsgenosse, nennt achselzuckend unsern Zell als „von einem Weibe beherrscht“. Frau Katharina Zell dagegen bezeugt, wie sie in Allem ihrem Manne gefolgt sei und ihres Mannes Ehre und Willen ihr als das Höchste auf Erden gegolten habe. Es sind zwei Willen, die dasselbe Ziel erstrebten auf verschiedenen Wegen. Dieß ist ein durchsichtiger Blick in das Leben der Reformatoren und auch anderer Leute, bis in die einfache Pfarrwohnung herab. Wie aus Kleinem oft Großes entstehe, unter der leitenden Hand der göttlichen Fürsehung, mag sich hier ahnen lassen. Auf jeden Fall verdient es Frau Katharina Zell, die ehrenwerthe Gattin des Reformators, die edle Menschenfreundin, die geübte und geistreiche Schriftstellerin, als „ein Stücklein von der Ripp des seligen Matthis Zellen“, wie sie selber sich nennt, hier aufgeführt zu werden. – Auch fand sie auswärts, obwohl ziemlich selten, Anerkennung. Gottfried Arnold erwähnt ihrer neben der gelehrten Olympia Fulvia Morata; Joh. Georg Müller, in seinen Reliquien, hat ihr ein Denkmal gestiftet und während der plumpe Waislinger auch über Frau Katharina Zell seinen Geifer ausgelassen hat, ließen ihr die Geschichtschreiber der elsässischen Reformation die ihr gebührende Ehre widerfahren. Ihr Ehrengedächtniß wurde erneuert bei Anlaß der Jubelfeier der Reformation 1817, indem zu Straßburg das Facsimile eines Briefes von Luther, nebst einigen Notizen über die Frau von Matthäus Zell, an welche dieser Brief geschrieben ist, in Druck erschienen ist. Allein diese Nachrichten sind nur kurz und dürftig-). Frau Katharina war zu Straßburg geboren, um das Jahr 1497, aus einer ehrbaren Handwerkerfamilie, der Vater war Schreiner. Einen wohlbegabten Geist und ein warmfühlendes Herz hatte sie. Diese Naturgaben wurden erhöht durch eine sorgfältige Erziehung, welche dieselben entwickelte und ihren Sinn auf’s Geistliche richtete. „Von Mutter Leibe an“, schreibt sie, „hat mich der Herr gezogen und von Jugend auf gelehrt; darum hab‘ ich mich auch seiner Kirche, nach dem Maße meines Verstands und der verliehenen Gnade, zu jeder Zeit fleißig angenommen und treulich gehandelt, ohne Schalkheit und mit Ernst gesucht, was des Herrn Jesu ist; daß mich auch in meiner frühen Jugend alle Pfarrherrn und Kirchenverwandten geliebt und geehrt haben. Deshalb auch mein frommer Matthäus Zell zur Zeit und Anfang seiner Predigt des Evangeliums mich zur ehelichen Gesellin begehrt hat, dem ich auch eine treue Hülfe in feinem Amt und Haushaltung gewesen bin, zur Ehre Christi, welcher auch dessen Zeugniß geben wird am großen Tag seines Gerichts, daß ich treulich und einfältig gethan habe, mit großer Freud und Arbeit, Tag und Nacht meinen Leib, meine Kraft, Ehre und Gut, dir, du liebes Straßburg! zum Schemel deiner Füße gemacht habe. Dieß hat auch mein frommer Mann mir herzlich gern zugelassen, und mich sehr darum geliebet, sich selbst und sein Haus meiner oft ermangeln lassen, und mich gern der Gemeinde geschenket“.

Weiter erzählt dieselbe Katharina Zell, vornehmlich in Beziehung auf ihre spätere Wirksamkeit: „Ich bin seit meinem zehnten Jahre eine Kirchenmutter, eine Zierde des Predigtstuhls und der Schule gewesen, habe alle Gelehrte geliebt, viele besucht und mit ihnen mein Gespräch, nicht von Tanz, Weltfreuden, noch Fastnacht, sondern vom Reich Gottes gehabt. Deshalb auch mein Vatter, Mutter, Freunde und Bürger, auch viele Gelehrte, deren ich viele besprochen, mich in hoher Lieb, Ehr und Furcht gehalten haben. Da aber meine Anfechtung um des Himmelreichs willen groß ward und ich in all meinen schweren Werken, Gottesdienst und großer Pein meines Leibes, auch von allen Gelehrten kein Trost, noch Sicherheit der Lieb und Gnade Gottes konnte finden, noch überkommen, bin ich an Seel und Leib bis auf den Tod krank und schwach worden und ist mir gangen, wie dem armen Weiblein im Evangelio, das alles sein Gut bei den Aerzten immerdar verlor; da es aber von Christo höret und zu ihm kam, da wurde ihm durch denselbigen geholfen. Also mir auch, und manchen bekümmerten Herzen, die damals mit mir in großer Anfechtung, viel herrlicher alter Frauen und auch Jungfrauen, die meiner Gesellschaft begierig und mit Freuden meine Gespielen waren. Und da wir in solcher Angst und Sorg der Gnaden Gottes stunden, und aber in allen unsern vielen Werken, Uebung und Sacramenten derselbigen Kirche nie keine Ruh finden mochten, da erbarmte sich Gott unser und vieler Menschen, erweckte und sandte aus, mit Mund und Schriften, den lieben und jetzt seligen Doctor Martin Luther, der mir und Andern den Herrn Jesum Christum so lieblich fürschriebe, daß ich meinte, man zöge mich aus dem Erdreich herauf, ja aus der grimmen, bitteren Hölle in das lieblich süß Himmelreich, daß ich gedacht an das Wort des Herrn Christi, da er zu Petro sprach: „Ich will dich zu einem Menschenfischer machen und hinfüro sollt du Menschen sahen“. Und hab mich Tag und Nacht bearbeitet, daß ich ergriffe den Weg der Wahrheit Gottes, welcher ist Christus, der Sohn Gottes. Was Anfechtung ich darüber aufgenommen, da ich hie das Evangelium habe lernen erkennen, und helfen bekennen, das laß ich Gott befohlen sein.“

Wenige ihres Geschlechts möchten wohl ein ähnliches Bekenntniß abzulegen im Stande sein. Frühe schon hatten sich also in diesem reichen Gemüth die Elemente des Christenlebens entwickelt; eifriger, demüthiger Glaube, thätige oder doch nach Thätigkeit sich sehnende Liebe und eine Thatkraft und Hingebung, wie sie selten gefunden werden.

Am 3. December 1523 verheirathete sich Katharina Schütz, in ihrem 26. Lebensjahre, mit Hl. Matthäus Zell, Pfarrer zu St. Lorenz in dem Münster zu Straßburg. Martin Butzer, der schon früher in die Ehe getreten war, segnete diesen Bund ein; zum Schluß der heiligen Handlung feierte das neue Ehepaar das heilige Abendmahl unter beiden Gestalten. Die weiten Räume des Münstergebäudes waren dabei gedrängt voll Menschen, die Alle ihre frohe Beistimmung bezeugten. Frau Zell ward eine fromme, thätige, treue, verständige Hausfrau nicht bloss, sondern auch eine Helferin ihres Mannes im Amt, eine rechte Diaconissin, im apostolischen Sinne des Wortes.

Das zunächst in die Augen fallende dieses schönen Berufs that sich kund bei ihr durch Werke unermüdlicher Wohlthätigkeit gegen Nothdürftige überhaupt und insbesondere gegen bedrängte, verfolgte, flüchtige Glaubensgenossen. Wir lassen auch hier am liebsten die edle Frau selber Zeugniß geben:

„Ich hab schon im Anfang meiner Ehe viel herrlicher gelehrter Leute in ihrer Flucht aufgenommen, in ihrer Kleinmüthigkeit getröstet und herzhaft gemacht, wie Gott im Propheten lehrt, unterstütze und stärke die müden Kniee. Das hab ich nach meinem Vermögen, und gegebner Gnaden Gottes gethan, da einmal fünfzehn lieber Männer aus der Markgrafschaft Baden mußten weichen, sie wollten dann wider ihr Gewissen thun, unter welchen ein gelehrter, alter Mann war, heißt Doctor Mantel, der mich sammt andern zu Baden innen ward, zu mir kame, Rath und Trost von mir begehrte, da er mit Weinen sagte: „Ach ich alter Mann mit viel kleiner Kinder“! Da ich ihm aber Mathäi Zellen Haus und Herberge zusagte, wie ward sein Herz erfreuet und seine müden Kniee gestärket! Dann er Angst und Schrecken versucht hatte, vier Jahre schwer gefangen gelegen. – Im 1524. Jahre mußten auf Eine Nacht anderthalb hundert Bürger aus dem Städtlein Kenzingen im Breisgau entweichen, kamen gen Straßburg, deren ich auf dieselbe Nacht achtzig in unser Haus aufgenommen und vier Wochen lang nie minder dann fünfzig oder sechzig gespeiset, darzu viel frommer Herren und Bürger steuerten und halfen erhalten. – Im 1525. Jahre, nach dem Todtschlag der armen Bauern, da so viel elender erschrockener Leut gen Straßburg kamen, hab ich sie mit Meister Lux Hackfurt, den gemeinen Almosens Schaffner, nebst zwei ehrsamen Witwen, die Kräftinnen genannt, in das Barfüßer Kloster geführt, da es eine große Menge ward und hab viel ehrlicher Leute, Mann und Weib angerichtet, daß sie ihnen dieneten und große Steuer und Almosen gegeben wurden“.

Dieselbe erzählt an einer andern Stelle, wie ihr Mann solche Werke der Barmherzigkeit ihr herzlich gern zugelassen; „er hat mich um so mehr, sagt sie, darum geliebet, sein Leib und Haus meiner vielmehr lassen ermangeln und mich gern der Gemeinde geschenket; mir auch solches nicht mit Gebot, sondern mit freundlicher Bitt, solchem weiter nachzukommen an seinem Ende befohlen; dem ich auch, wie ich hoff, treulich nachkommen bin, da ich noch zwei Jahr und eilf Wochen nach Zell’s Abschied im Pfarrhaus geblieben, die Verzagten und Armen aufgenommen, die Kirche helfen erhalten, und derselbigen Gutes gethan habe, in meinen Kosten, ohne Jemandes Steuer.“ Unter andern rief sie nach Straßburg in ihr Haus den treuen frommen Prediger, Marx Heilandt, von Calw im Württemberger Land, damals verjagt, „durch mich beschrieben hieher“, sagt Frau Zell, „kam er hie auf den Predigtstuhl und hat auch hie sein Leben geendet“. – Frau Zell fuhr fort in diesem Sinne zu handeln und wo ein wohlthätiges Werk zu vollbringen war, da war sie eine der Vordersten, die Hand anlegten und das Ihre nicht sparten. Als im Jahr 1543 in Folge der Reformation, und da Straßburg ein von alter Zeit her berühmter Bildungsort war, sich eine bedeutende Zahl armer Schüler in dieser Stadt zusammengefunden hatte, da war Frau Zell eine der thätigsten, um denselben ein Unterkommen zu verschaffen. Sie fanden dasselbe in dem ehemaligen Wilhelmskloster und Frau Zell pflegte ihrer auf die treueste Weise. Sie half nach Kräften dazu mit, daß das noch jetzt bestehende Studienstift, St. Wilhelm genannt, zu Stande kam.

Doch nicht bloss an Armen und Flüchtigen bewies Zell’s Hausfrau ihre Liebesthätigkeit. Sie gefiel sich besonders im Umgang mit gelehrten und berühmten Männern, die ihren Gatten besuchten; auch unterhielt sie sich mit nicht wenigen derselben in Briefwechsel. So gedenkt sie selber des Bischofs von Straßburg, dem sie „rauhe Briefe“ geschrieben habe. Auch an Dr. Luther schrieb sie mehrmals und erhielt von ihm freundliche Antwort. Eine Glanzperiode in ihrem thätigen Hausleben war die Zeit, als im Spätjahr 1529 die berühmtesten oberdeutschen und schweizerischen Theologen auf das Religionsgespräch zu Marburg reisten. „Ich bin, so erzählt sie selber, vierzehn Tag Magd und Köchin gewesen, da die lieben Männer Oecolampad und Zwingli im 29. Jahr hie zu Straßburg waren, daß sie sammt den Unsern gen Marburg zu Doctor Luther reiseten“.

Wie ihr Gatte, so missbilligte auch Frau Zell die Abendmahlsstreitigkeiten und überhaupt die manchfachen Lehrhändel in der jungen evangelischen Kirche. Sie erkannte das Wesen dieser letztern im liebethätigen Glauben und nicht im Festhalten an gewissen Worten und Formeln. Daher geschah es, daß sie nicht selten durch ihre freimüthigen Aeußerungen mit den lehreifrigen Collegen ihres Mannes in Conflict kam, insbesondere mit Martin Butzer, der in diese Lehrstreitigkeiten als Friedensstifter vielfach verflochten war und der in einem ungedruckten Brief sich äußert: „Frau Zell sei eine tadellose Frau, doch habe sie zu viel Selbstliebe.“

Nachdem endlich im Jahre 1536 die Wittenberger Concordie abgeschlossen worden, unternahm der schon alternde Zell noch eine Reise zu Dr. Luther nach Wittenberg, gleichsam zur Versiegelung des Friedens. Seine Gattin begleitete ihn. Sie erzählt: „Ich bin eine schwache Frau, habe viel Arbeit, Krankheit und Schmerzen in meiner Ehe erlitten, hab dennoch meinen Mann so lieb gehabt, daß ich ihn nit allein hab lassen wandeln, da er (1538) unsern lieben Doctor Luther, und die Seestädte bis an das Meer, ihre Kirchen und Prediger, hat wollen sehen und hören, hab ich meinen alten fünf und achtzig jährigen Vater, Freunde und Alles hinter mir gelassen und bin mit ihm wohl dreihundert Meilen aus und ein auf derselbigen Reis gezogen. So bin ich mit ihm in das Schweizerland, Schwaben, Nürnberg, Pfalz und andre Ort gereiset, diese Gelehrten alle auch wollen sehen und hören, auch ihm zu dienen und Sorg auf ihn zu tragen, wie er es denn wohl bedurft hatte, daß ich mehr denn sechshundert Meilen mit ihm in seinem Alter gereiset mit großer Mühe und Arbeit meines Leibes, und großen Kosten unserer bloßen Nahrung, das mich aber nit gedauert, und noch nit reuet, sondern Gott darum danke, daß er mich solches Alles sehen und hören hat lassen.“

Die Wohlthätigkeit und Gastfreundschaft der Frau Zell war weitherzig und umfassend. In völliger Uebereinstimmung mit ihrem Gatten wiederholte die edle Frau oft: „Es soll jeder seinen Zugang zu uns haben und Alle, so den Herrn Christum für den wahren Sohn Gottes und einigen Heiland aller Menschen glauben und bekennen, die sollen Theil und Gemein an unserm Tisch und Herberg haben, wir wollen auch Theil mit ihnen an Christo und im Himmel haben, er sei wer er woll‘ . Also hab ich, mit Zell’s Willen und Wohlgefallen, mich vieler Leut angenommen, für sie geredt und geschrieben, es seien die so unserm lieben Dr. Luther angehangen, oder Zwinglin, oder Schwenkfelden und die armen Taufbrüder, reich und arm, weis oder unweis, nach der Red des heiligen Pauli, Alle haben zu uns dürfen kommen. Was hat uns ihr Namen angegangen? Wir sind auch nit gezwungen gewesen, Jedes Meinung und Glaubens zu sein, sind aber schuldig gewesen, einem Jeden Liebe, Dienst und Barmherzigkeit zu beweisen, das hat uns unser Lehrmeister Christus gelehrt.“

Eben weil ihr Herz so warm war für Andrer Noth, fiel es der wackern Frau so schwer, daß frühe schon in der evangelischen Kirche der alte Pharisäergeist sich regte, nämlich die Verfolgungssucht gegen Andersgläubige, zunächst gegen die Wiedertäufer. Sie äußert sich hierüber also gegen die Verfolger: „Die armen Täufer, da ihr so grimmig zornig über sie seid, und die Obrigkeit allenthalben über sie hetzet, wie ein Jäger die Hund auf ein wild Schwein und Hafen, die doch Christum den Herrn auch mit uns bekennen, im Hauptstück, darinnen wir uns vom Pabstthum getheilt haben, über die Erlösung Christi, aber sich in andern Dingen nit vergleichen können, soll man sie gleich darum verfolgen, und Christum in ihnen, den sie doch mit Eifer bekennen, und viel unter ihnen bis in das Elend, Gefängniß, Feuer und Wasser bekannt haben? Lieber gebet euch die Schuld, daß wir in Lehr und Leben Ursach sind, daß sie sich von uns trennen. Wer Böses thut, den soll eine Obrigkeit strafen, den Glauben aber nit zwingen und regieren, wie ihr meinet, er gehört dem Herzen und Gewissen zu, nit dem äußerlichen Menschen. Leset alle alten Lehrer und die, so auch das Evangelium bei uns wiederum erneuert haben, zuvor unsern lieben Luther und Brenzen, der noch lebet, was er geschrieben hat von ihnen, und sie so hoch beschirmet, daß eine Obrigkeit nit mit ihnen zu thun hab, dann in bürgerlichen Sachen. Leset es in dem Büchlein, das der gut Mann Martinus Vellius an den Fürsten und Herzog Christofel zu Württemberg geschrieben hat, nach des armen Serveti Todbrand zu Genf, da er für und zu dieser Zeit aller Frommen, Verständigen, Gelehrten . . . Rede und Meinung fleißig zusammengezogen hat, wie man mit irrenden Menschen, die man Ketzer nennt, soll handeln. – Wenn euch die Obrigkeit folgete, so würde bald ein Tyranney anfangen, daß Städt und Dörfer leer würden. – Straßburg stehet noch nicht zum Exempel, Schand und Spott dem Teutschen Land, sondern vielmehr zum Exempel der Barmherzigkeit, Mitleidens und Aufnehmung der Elenden; ist auch noch nit müd worden, Gott sei Lob, und ist mancher armer Christ noch darinnen, den ihr gern hättet gesehen hinaus treiben. Das hat der alte Matthäus Zell nit gethan, sondern die Schafe gesammelt, nit zerstreut; hat auch in solches nie gewilliget, sondern mit traurigem Herzen und großem Ernst, da es die Gelehrten auch einmal also bei der Obrigkeit anrichteten, öffentlich auf der Kanzel und im Convent der Prediger gesagt: ich nimm Gott, Himmel und Erdreich zum Zeugen an jenem Tag, daß ich unschuldig will sein an dem Kreuz und Verjagen dieser armen Leute“. –

Unter all‘ den vielen Fremden, welche Gastfreundschaft im Zell’schen Hause genossen, war’s insbesondere Caspar Schwenkfeld, der schlesische Edelmann, welcher als Vertriebener im Jahre 1528 nach Straßburg kam, der den meisten Anklang fand. Die Innerlichkeit seiner Religionsauffassung, sein achtungswerther Charakter und seine auserlesene, adeliche, äußere Erscheinung gewannen ihm das Herz des Zell’schen Ehepaars. Je mehr er von den Predigern als Kirchenfeind angefochten war, desto mehr fühlte sich Frau Zell von seiner Lehransicht angezogen. Sie ehrte ihn als einen frommen, obwohl irrenden, aber sehr demüthigen Mann. Auch nachdem Schwenkfeld die Stadt Straßburg verlassen hatte, blieb Frau Zell im Briefwechsel mit ihm. Mehrere dieser Briefe sind gedruckt in Schwenkfeld’s Epistolar; andere sind bloss handschriftlich vorhanden. Diese Briefe sprechen alle gegenseitige innige Hochachtung, Liebe und Geistesgemeinschaft aus. Schwenkfeld nennt sie „herzliebe Frau Katharina“, wünscht ihr Beständigkeit und Wachsthum im Glauben und für ihren Hauswirth Meister Matthäus Zell bittet er, „der Herr Jesus Christus wolle ihm in wahrer Einfalt des heiligen Geistes sich selbsten mit Fried und Freud im Herzen zu erkennen geben, daß er mit dem lieben alten Simeon vor seinem End nu recht wahrhaftig das Bekenntnis möge singen.“ – In einem ungedruckten Briefe (19. Oct. 1553) erzählt Frau Zell: „Mein lieber Mann hat mir Plath und Weile gegeben, ist mir auch auf alle Art förderlich gewesen, zu lesen, hören, beten, studieren, hat es mir früh und spät, Tag und Nacht vergönnt, ja große Freud daran gehabt, ob es schon mit Nachlassung seiner Leibeswartung und Schaden seines Haushaltens geschehen wäre. Er hat mir auch nie gewehret, mit euch (Schwenkfeld), dieweil ihr in Straßburg gewesen, zu reden, zu euch und euch zu mir zu gehen, euch zu hören, Guts zu beweisen, oder euch hernach zu schreiben, hat mich nie darum gestraft oder gehasset, sondern vielmehr deshalb mich sehr geliebet.“

Frau Zell bewies übrigens ihre geistige Thätigkeit nicht bloss durch ihre fleißige Correspondenz, sondern auch durch mehrere Schriften, die sie bei verschiedenen Anlässen veröffentlichte zum Frommen der ihr so theuern evangelischen Kirche. So ließ sie im Jahr 1524 eine Entschuldigung des Matth. Zell erscheinen, die aber von der Obrigkeit eingezogen wurde und wahrscheinlich nicht mehr vorhanden ist. In demselben Jahr verfaßte sie eine Trostschrift „an die leidenden christgläubigen Weiber der Gemeine zu Kenzingen meinen Mitschwestern.“ 150 Bürger von Kenzingen waren damals um ihres evangelischen Glaubens willen durch östreichische Soldaten aus der Stadt Kenzingen, im Badischen Lande, vertrieben worden; sie fanden gastliche Aufnahme in Straßburg und besonders im Zell’schen Hause. Im Jahr 1534 schrieb Frau Zell eine Vorrede zu dem bei Jakob Frölich in Straßburg erscheinenden Abdruck des Michael Weisse’schen Gesangbuchs, unter dem Titel: „Von Christo Jesu, unserm säligmacher, seiner Menschwerdung, u. s. w. etlich christliche und tröstliche Lobgesäng, aus einem fast herrlichen Gesangbuch gezogen.“ In der Vorrede sagt Frau Katharina Zell: „dieweil so viel schandlicher Lieder von Mann und Frauen, auch den Kindern gesungen werden, in der ganzen Welt, in welcher aller Laster, Buhlerey und anderer schandlicher Ding, den Alten und Jungen fürtragen wird, und die Welt je gesungen will haben, dunkt es mich ein sehr gut und nutz Ding seyn, wie dieser Mann (Michael Weisse) gethan hat, die ganz Handlung Christi und unsers Heils in Gsang zu bringen, ob doch die Leut also mit lustiger Weis und heller Stimmen ins Heil ermahnet möchten werden, und der Teufel mit seinem Gsang nit also bei ihnen Statt hätte.“ Uebrigens war dieses von Frau Zell bevorwortete Gesangbuch keineswegs ein Gemeindegesangbuch, ein solches gab es damals noch nicht. Aber die gangbarsten Kirchenlieder finden sich in allen damaligen Liedersammlungen wieder, und so auch in dieser. – Unter viel Arbeit, Mühe und Liebesthaten alterte Frau Zell. Sie war aber noch rüstig als ihr ehrwürdiger Gatte starb, am 9. Januar 1548 im 71. Lebensjahr. Noch in der letzten Nacht hatte Zell seine Frau gebeten, „sie solle seinen Helfern (Diaconen, Unterpredigern) sagen, daß sie Schwenkfeld und die Täufer in Frieden lassen, und Christum predigen“ . Herzerhebend war Zell’s Hinscheiden und rührend ist der Bericht, den dessen Gattin uns davon hinterlassen hat. Betend für seine Gemeinde entschlief er. Die treue Gattin hatte seiner bis zum letzten Athemzug gepflegt und auch bei dessen Leichenbegängnis^ bewies sich Frau Zell als glaubensstarke Christin. Durch den Magistrat ward ihr vergönnt, noch längere Zeit in der Pfarrwohnung zu verbleiben.

Die stückweise Einführung des Interim in Straßburg fiel ihr gar schwer, als eifriger Protestantin. Es ist ein Band von Interimsschriften erhalten worden, welcher der Frau Zell gehörte und dem sie schriftliche Randnoten beigegeben hat. Wir theilen hier nur einige dieser charakteristischen Aeußerungen mit:

„O Straßburg, wie willst du bestehen um deines Unglaubens willen. Nimmt Gott Matthis Zellen bald davon, lug um wie es dir wird gehn!“

Und ferner: „Oh Herr Jesu, was hast du uns heiliger Lehr, Lüt und Bücher geben, erbarm dich auch unserer Nachkommen. Kath. Zellin.“ – „Oh Herr Christus, mach mich fromm in dir; mein Herz soll solchem Recht nimmermehr abfallen. Katharina Zellin.“

Diese Aeußerungen deuten auf die Gemüthsstimmung hin, welche in dem Herzen der Frau Zellin von jetzt an die herrschende wurde. Es erfüllte sie eine Sehnsucht, ein Heimweh nach der Vergangenheit, das durch die Umstände noch gesteigert wurde und zwar auf sehr empfindliche Weise.

Mit dem Tode Zell’s und der Abreise Butzer’s nach England, trat in Straßburg eine große Aenderung ein in dogmatisch-theologischer Hinsicht. Die freiere, vermittelnde, ächt evangelische Ansicht und Auffassung der Kirchenlehre, wurde allmählig verdrängt durch starre Eiferer für das, was sie orthodoxes Lutherthum nannten. Diese Leute, meist jüngere Prediger, verfuhren mit rücksichtsloser Schroffheit, ja mit bitterer Feindschaft gegen die alten, ehrwürdigen Lehrer und Reformatoren der straßburgischen Kirche, welche Frau Zell so werth hielt. Am empfindlichsten aber schmerzte es sie, als ihr gleichsam aus ihrem eigenen Hause ein Widersacher erwuchs. Dr. Ludwig Rabus von Memmingen war Pflegling im Zell’schen Hause gewesen als unbemittelter Jüngling, der sich dem evangelischen Lehramt widmete. Frau Zell erwies sich ihm als treu sorgende Mutter. Der junge Rabus war wohl begabt und entwickelte ein nicht geringes Rednertalent. Er wurde bald ein Lieblingsprediger des Volkes in Straßburg und nach Zell’s Tode ward Rabus als dessen Nachfolger erwählt. Von jetzt an steigerte sich sein heftiger Charakter je mehr und mehr. Anfänglich war es das Interim und der Chorrock, gegen die er sich entsetzte und ereiferte. Bald aber warf sich seine scharfe Polemik auf die frühern Zustände der straßburgschen Kirche, auf die Lehransichten der Reformatoren und auf den gutmüthigen Schwärmer Schwenkfeld. In harten Ausdrücken ließ er sich gegen Beide aus nicht bloss im Privatgespräch, sondern auch in öffentlicher Predigt. Frau Zell, als „noch ein Stücklein von der Ripp des seligen Matthis Zellen“, konnte dies neue Wesen nicht ertragen. Sie übernahm die Ehrenrettung der Geschmäheten. Zuerst mündlich, dann schriftlich. Rabus antwortete der würdigen Frau auf die gröbste Weise, von Ulm aus im Jahre 1557, wohin er als Superintendent war berufen worden. Sein Brief beginnt also: „Dein heidnisch, unchristlich, erstunken und erlogen Schreiben ist mir zukommen den 16. Aprilis, welcher der Charfreitag gewesen, da ich sonst mit Predigen ziemlich unruhig und beladen. Dieweil ich dann in selbigem, giftigen, neidischen, erstunkenen und erlogenen Schreiben befunden, ob dich Gott wunderbarlich heimsucht, dennoch kein Besserung an dir zu verhoffen, sondern du für und für in schrecklichen Irrthumben, falscher Zeugniß und teuflischem Ausgeben verstockter Weise verharrest“ u. s. w. Auf solche Anrede antwortete Frau Zell mit ebensoviel Sanftmuth als Ernst, mit richtigem Verstand, warmem Gefühl und in bibelfestem Ton. Wir theilen nur Einiges aus ihrer Verantwortung mit, die sie im Jahre 1557 an die ganze Bürgerschaft der Stadt Straßburg gerichtet, in Druck ausgehn ließ: „Lieber Herr Ludwig, ich hab euch zu Straßburg vor einem Jahr einen freundlichen, mütterlichen, wahrhaftigen Brief, aus großen Ursachen geschrieben und zugeschickt, denselben habet ihr mir unfreundlich und zugeschlossen wiederum geschickt und nit gewüllt lesen. Das hat mir wohl weh gethan, als einer die euch geliebet, auch Ehr und Gutes bewiesen, nach meines frommen Mannes Abscheiden, auch helfen fürdern nach meiner Maß, dahin ihr gekommen seid. Ich hab es wohl aber auch mit Geduld können aufnehmen und tragen als einen Mangel und Unerfahrenheit eines jungen Mannes, der zu früh und vor der Zeit auf den Altar gesetzet ist worden, hab gedacht Jahr und Verstand kommen mit der Zeit miteinander, der Herr Christus könne alle Ding ändern und Verstand geben. Habs demselbigen also befohlen und kein arges Herz gegen euch getragen, wiewohl es euch übel angestanden ist“. – „Ach Gott, wie seid ihr doch, lieber Herr Ludwig, so blind, daß ihr meinet, die Leut seien Narren und verstehen nit, wann sie die Bücher lesen, was Schwenkfeld schreibe, red‘ und lehre, und was ihr vielmal aus Unverstand, auch vielleicht eitel Ehre und eigen Gesuch, redet und lehret! Und ihr sollet es nit zürnen, ihr lernet erst aus Schwenkfeld’s Schriften viel von Christo reden, auch zu Zeiten dasselbig in euern Predigen, und fluchet ihm dannoch gleich darauf; gleichwie die armen Päbstler aus unsers lieben Dr. Luther’s seligen Büchern haben etwas gelernet und ihn darnach verdammen; und wann ihre Bücher nicht noch vorhanden wären, dürften sie wohl sagen, Luther redete die Unwahrheit von ihnen, sie hätten nit also gelehret. Luget! machet euch ihrer nit theilhaftig, es wird euch sonst gehn wie dem Propheten Bileam: was du fluchest, will ich segnen.“ – An einer andern Stelle sagt dieselbe: „O seliger Wolf Capito, Caspar Hedio, Matthäus Zell, wie ruhet ihr so wohl in Christo, die so treulich gehandelt, und eure Mitarbeiter nit also dem Teufel übergeben habt, deß müsset ihr jetzt im Grund verachtet werden, (aber ohn Zweifel hoch vor Gott geehrt). Ich glaub‘ aber, lebtet ihr jetzt noch bei uns, man hüge (hiebe) euch wiederum mit Ruthen, ihr müßtet schweigende Kinder werden und bei denen die ihr geboren wiederum in die Schulen‘ gehn, und Krummes für Schlechtes (Gerades) lernen. Gott hat euch aber aus Gnaden, vor dem und viel Unglück hinweggeruckt, ihm sei darum Lob. Amen.“

Die Wohlthätigkeit, welche Frau Katharina während ihrer Ehe so reichlich und im Einverständniß mit ihrem würdigen Gatten, in so hohem Grade geübt hatte, wurde von ihr auch als Witwe fortgesetzt. Folgendes Beispiel mag dieß bezeugen. Als des Interims wegen im April 1549 die beiden Straßburger Prediger Butzer und Paul Fagius ihr Amt ablegen und nach England fliehen mußten, hinterließen sie der Witwe Zell, ohne deren Wissen, etliche Goldstücke, um dieselbe in ihrer bedrängten Lage zu unterstützen. Wie Frau Zell dieselben angewandt habe, erzählt sie selber in einem Brief an diese Männer: „Ihr habt mich mit dem Geld, so ihr mir heimlich in dem Brief hinterlassen, auf das äußerste betrübet. Auf daß aber meine Schamröthe eines Theils hingelegt werde, hab‘ ich euch eure zwei Stücke Golds wiederum in diesen Brief wollen legen, wie Joseph seinen Brüdern. Da ist ein des Interims wegen verjagter Prädikant mit fünf Kindern zu mir kommen, und eines Prädikanten Frau, deren Mann vor ihren Augen man den Kopf abgeschlagen hat. Die hab ich zehn Tag bei mir gehabt und hab das eine Stück Gold diesen Beiden zur Zehrung geschenkt, aber nicht mein, sondern euretwegen; das andre hab ich euch wiederum in diesen Brief gethan, daß ihr es selber sollet brauchen und ein andersmal nit so gütig seyn. Ihr werdet noch viel bedürfen, auch euer Volk (Familie), wenn es in Engelland euch nachkommen soll, und seid also Gott befohlen in seinem Schutz und Schirm ewiglich, wider alle seine und eure Feind!“ –

Das Todesjahr dieser ehrwürdigen Frau ist nicht bekannt. Aber noch am 3. März 1562 ließ sie sich durch Conrad Hubert, ihren bewährten Hausfreund, bei Ludwig Lavater von Zürich entschuldigen, daß sie diesem so lange nicht geantwortet habe; sie seye durch lange Krankheit halb todt und könne seit vielen Monaten sich der Feder nicht mehr bedienen.

  1. W. Röhrich in Straßburg

Die Zeugen der Wahrheit
Dritter Band
Piper, Ferdinand (Herausgeber)
Verlag von Bernhard Tauchnitz
Leipzig 1874