Barbara von Roll.

1502-1571.

Als Sprössling einer Familie, die in den drei Kantonen Bern, Uri und Solothurn sich auszeichnete und in letzterem Kanton jetzt noch in hohem Ansehen steht, wurde Barbara von Roll geboren zu Solothurn, den 4. Dez. 1502, und war die Tochter des Hans von Roll, der 1475 das Bürgerrecht daselbst erworben, 1499 durch seine Tapferkeit zu dem Siege der Eidgenossen bei Dornach das Seinige beigetragen hatte, und nachher verschiedene Staatsämter bekleidete. Über ihre früheren Lebensjahre sind keine Nachrichten auf uns gekommen. Als ausgezeichnet durch Schönheit, Geist und seltene Kenntnisse schildern sie nicht bloß Familiennachrichten, sondern auch solche Berichterstatter, die ihr nicht nahe angehörten.

Noch in der ersten Blüte ihrer Jahre verheiratete sie ihr Vater 1519 an Hieronymus von Luternau, dessen Familie schon 1429 das Bürgerrecht zu Bern erworben hatte, indessen doch noch im Aargau zurückblieb. Er war der Sohn Hans Sebastians von Luternau, eines angesehenen Mannes, der mehrere Herrschaften besaß, und 1491 das Schultheißenamt in Aarau bekleidete. Die jungen Eheleute scheinen schon frühzeitig, und noch ehe die Religionsveränderung in Bern tiefere Wurzeln schlug, sich zu Solothurn niedergelassen, oder doch nähere Verbindungen daselbst eingegangen zu haben; denn bereits 1523 legte das Ehepaar 300 rheinische Goldgulden von der Mitgift, welche Barbara von ihrem Vater empfangen hatte, die demnach für jenes Zeitalter sehr ansehnlich gewesen sein muss, bei der Stadt Solothurn an Zinsen; 1540 wurde er zum Sekelmeisteramte erhoben. Früher und später erscheint er auch unter denen, die an den auswärtigen Kriegszügen Teil nahmen, und nach 1547 wurde ihm eine wichtige Sendung zu Teil, indem er mit drei andern eidgenössischen Ratsherren im Namen der Eidgenossenschaft die Patenstelle bei der Taufe einer französischen Königstochter vertrat.

Hieronymus von Luternau starb schon 1549, und von dieser Zeit scheint der besondere und merkwürdige Wirkungskreis der Witwe von Luternau, oder wie die alten Schriften sie einfach nennen, der Barbara von Roll, eine immer größere Ausdehnung erhalten zu haben. Ihre Ehe war kinderlos geblieben. Einsam stand sie da; aber ihr frommes Gemüt vermochte zu ertragen, was ihr zu tragen beschieden war. Sie verschloss sich nicht in ihre Wohnung, noch weniger entsagte sie der Welt. Gerade auf der entgegengesetzten Bahn suchte sie Trost, Erholung und Beruhigung, und zwar keineswegs auf dem Wege der Behaglichkeit oder der Zerstreuung, sondern in Mühseligkeiten, Anstrengungen und Hingebungen, vor denen sonst zartere Naturen ängstlich zurückbeben. Sie fasste nämlich den Entschluss, von nun an ihre Zeit und ihr Vermögen den Kranken ausschließlich zu widmen, und sich zur Erreichung dieses Zweckes auch wissenschaftlich immer mehr zu befähigen.
Die Verhältnisse der damaligen Zeit waren ganz geeignet, einem Gott und die Brüder liebenden Herzen den Gedanken einzugeben, für Heilung und Pflege der Kranken sein Möglichstes zu tun. Die Arzneikunde lag darnieder, sie wurde fast überall nur als eine freie, keinerlei höherer Aufsicht unterworfene Kunst oder vielmehr als Handwerk betrieben. Jede Willkür hatte freien Spielraum. Die Heilarten wurden so viel als möglich in das Dunkel von Geheimnissen gehüllt, und die schlaue Gewinnsucht hatte geräumiges Feld. Es ist bekannt, dass sich in den Zeiten vor und nach der Reformation die Juden unter andern einträglichen Berufszweigen auch der Arzneikunst widmeten, und, wenn nicht als öffentlich angestellt, doch als Privatärzte.

Es ist natürlich, dass bei einer solchen Preisgebung einer der wichtigsten Lebensbeziehungen edle Gemüter den Entschluss fassten, die Lücke möglichst auszufüllen, und wenigstens in ihren näheren Verhältnissen dem so tief gefühlten Bedürfnis abzuhelfen. Zwar wurde wenigstens teilweise Abhilfe auch von Seiten der damaligen Regierungen angestrebt. Jede größere oder kleinere Stadt hatte außer ihren Ringmauern eine Pflegeanstalt für Angehörige oder Fremdlinge, die an einer ansteckenden Krankheit darnieder lagen, innert den Ringmauern aber Spitäler zum bleibenden Aufenthalt für presthafte oder hochbetagte arme Bürger, und Herbergen zum Wohnort für durchreisende, auf der Reise erkrankte Personen. Besonders wetteiferten die Schweizerstädte mit einander schon frühe in Anlegung und Begabung von Spitälern. Dadurch wurde allerdings zur Erleichterung armer Kranken etwas geleistet, doch im Ganzen weit weniger, als man gewöhnlich glaubt. Diese Spitäler waren ausschließlich städtische Anstalten, so dass, wer außer dem engen Stadtbann wohnte, keinen Anspruch auf eine Versorgung hatte. Auch waren sie vor der Reformation meistens in einem so kleinen Maßstabe angelegt, dass selbst von den Berechtigten nur Wenige Aufnahme fanden, und der kleine Raum wurde noch dadurch verengt, dass man Stuben und Betten an solche hingab, welche für eine Einkaufssumme lebenslängliche Versorgung suchten. Von eigentlichen Kranken wurden nur die Allerverlassensten und Notdürftigsten aufgenommen. Wer immer noch, wie elend und gebrechlich er sein mochte, sich auf der Straße oder vor den Kirchthüren herumschleppen konnte, um dort das Almosen zu suchen, dem war die Aufnahme verschlossen.

Den eigentlichen Hauskranken zu Stadt und Land war also durch die Errichtung der Spitäler im Ganzen wenig geholfen. Hilfe konnte diesen nur dadurch kommen, dass die ärztliche Kunst im Allgemeinen gehoben wurde. Und dies geschah denn auch allerdings mit dem Wiederaufleben der Wissenschaften im Zeitalter der Reformation. Einstweilen war die Beihilfe einer Frau, wie unserer Barbara, von hohem Segen.

Vermutlich hatte sie schon früher die Pflanzenkunde lieb gewonnen. Sie machte aber aus dieser Wissenschaft nicht bloß eine Liebhaberei, sondern ihre Bemühungen gingen dahin, die heilenden und lindernden Kräfte der Pflanzen, die seltenen Kräuter und die verborgenen Wurzeln kennen zu lernen. Sie scheint nicht bei demjenigen stehen geblieben zu sein, was vorhandene wissenschaftliche Hilfsmittel oder eine allgemeine Anschauung ihr bekannt gemacht hatten, sondern sie umstreifte die an Schätzen der Natur so merkwürdige Umgegend ihres Wohnsitzes Solothurn. Einöden und Wälder, Felsen und Berge waren ihr nicht zu entlegen oder zu beschwerlich, um nicht da ihren Forschungen die sorgfältigste Folge zu geben. Ihr genügte es nicht, das, was sie bedurfte, aus der Hand gemieteter Personen zu erhalten; sie selbst wollte, so viel als es ihr möglich war, Alles in bester Beschaffenheit und Vollkommenheit zur Hand bringen, und so hielten beschwerliche Pfade, Hitze und raue Witterung sie selten ab, wenn die Jahreszeit oder die Gegend, in welcher die Nachspürung gemacht werden musste, es forderten, dass der Augenblick sorgfältig und anhaltend benutzt wurde. Die Arzneimittel, deren sie sich bediente, wurden von ihr selbst in einer kleinen Hausapotheke, die sie sich zu diesem Zwecke errichtet hatte, bereitet.

Die gründlichen Kenntnisse, welche sie sich über die Heilkräfte der Pflanzen und über die Natur der Krankheiten selbst erworben hatte, setzten sie in den Stand, mit Einsicht und daher auch mit Erfolg die Kranken zu behandeln. So ausgerüstet war sie die Zuflucht hilfsbedürftiger Menschen geworden. Diese ersetzten ihr den Mangel eigener Kinder, und sie waren gleichsam ihre Familie, die sie zu warten und zu pflegen berufen war.

Ihr Tagewerk begann mit dem Besuch aller armen Kranken, von deren Zustand sie Kunde erhalten hatte. Sie widmete ihre Aufmerksamkeit zunächst den in und um Solothurn wohnenden Kranken; aber der glückliche Erfolg ihrer Kuren verbreitete ihren Ruhm so, dass allmählig aus entfernten und endlich aus ganz entlegenen Gegenden Hilfsbedürftige zu ihr die Zuflucht nahmen. Was ihren Ruf bei dem Volke besonders erhöhte, war ihre Uneigennützigkeit. Milderung des menschlichen Elends war das einzige Ziel, nach welchem sie strebte. Jedes Geschenk und jede angebotene Belohnung wies sie zurück. „Umsonst habe ich es erhalten, umsonst gebe ich es, gebt den Armen, was Ihr mir bestimmt habet!“ war die einfache Antwort, die sie Jedem gab, der ihr etwas anbot. Nichtsdestoweniger war ihre Beflissenheit und Anstrengung so groß, dass sie bei einer wirklichen Anstellung und übernommenen Berufspflicht nicht größer hätte sein können. Sie beschränkte sich nicht darauf, die Hilfsbedürftigen zu sich kommen zu lassen, sie wanderte selbst von einem Krankenbette zum andern. Schwere und ansteckende Krankheiten, unzugängliche, ärmliche und abschreckende Lagerstätten hielten sie nicht zurück, und es war nicht bloß die leibliche Hilfe, die sie brachte, sie fasste auch das ewige Wohl derer, die sich ihrer Pflege anvertrauten, ins Auge. Angefochtenen brachte sie als ein geistlicher Arzt den Balsam des Lebens: den Sterbenden erleichterte sie durch Hinweisung auf die unendliche Barmherzigkeit Gottes den Übergang; die Gesundgewordenen ermahnte sie zum Dank. Kurz, wohin sie ihre Schritte wandte, verbreitete sie leiblichen und geistlichen Segen.