Makrina

gest. 379.

Es war die Heldenzeit der Kirche. Noch war sie gesund, freilich konnte krankhafte Überreizung hier, Abspannung dort in solcher außerordentlicher Zeit nur zu leicht eintreten. Der Märtyrerruhm war verlockend, bald drängten sich die Christen, Jünglinge und Jungfrauen auch zum Martyrium. Da gab es neue Aufgaben auch für die Frauen. So konnte der 17jährige Origenes (geb. 185) nur dadurch zurückgehalten werden, die Marter seines Vaters Leonidas zu teilen, dass seine treffliche Mutter in sein Schlafzimmer ging und ihm die Kleider versteckte. Andrerseits blieb es die höchste Ehre einer Familie, wenn ein Vorfahre Blutzeuge gewesen war.

So hielt es der heilige Ambrosius sich zum größten Ruhm, dass seine Muhme oder Großmuhme, die heilige Sotheria, unter Diocletian geblutet. Unter diesem Kaiser tobte sich der Feind gegen die Christenheit aus. Unzählbar ist die Schar der Blutzeugen, welche die Geschichte und die ausschmückende Sage in dieser Zeit mit der Marterkrone schmückt. Die Frauen wetteiferten mit den Männern in Eifer und Treue. Die heilige Agnes, der Qual und der Schande nicht achtend, darum wunderbar der Qual und der Schande entnommen, wurde von den Blumenkränzen des christlichen Dichters umwunden mit ihrem Lamme nun das Sinnbild und Vorbild frommer Jungfräulichkeit, dem die heiligen Katharinen und Dorotheen, die heiligen Jungfrauen zu Tausenden und „elf Tausenden“ sich anschlossen. Lassen wir unsern katholischen Brüdern die fromme Dichtung, so bleibt uns noch genug der Wahrheit verbürgt in Geschichten und Namen wie jener Viktoria, der wir als einer unter Vielen gedenken. Diese junge Christin wurde in der letzten und größten Verfolgung unter Diocletian und Galerius (303 n. Chr.) mit andern gefangenen Christen vor den Statthalter zu Karthago geschleppt. Ihr Vater und Bruder waren noch Heiden. Der Bruder Fortunatianus war herbeigekommen, um sie zur Verleugnung zu bewegen und ihr die Freiheit zu verschaffen. Da sie standhaft erklärte, sie sei eine Christin, gab der Bruder vor, sie sei ihrer Sinne nicht mächtig. Aber sie sprach: „das ist mein Sinn und den habe ich nie verändert.“ Als der Statthalter sie fragte: „Willst du mit deinem Bruder gehen?“ antwortete sie: „Nein, denn ich bin eine Christin, und die sind meine Brüder, welche Gottes Gebote halten.“ Das besiegelte sie mit ihrem Tode. Gleichermaßen wusste jene Natalie das Wort zu üben: „So Jemand zu mir kommt und hasst nicht seinen Vater, Mutter, Weib, Kinder, Brüder, Schwestern, auch dazu sein eigen Leben, der kann mein Jünger nicht sein“ (Luk. 14,26.). Als sie hörte, dass ihr Gemahl Adrianus zu Nikomedien gefänglich eingezogen und mit Ketten belastet war, erschrak sie im Gedanken, er möchte etwas Unrechtes getan haben. Wie sie aber hörte, dass er um des Bekenntnisses willen mit 33 Andern ins Gefängnis geworfen war, schwand ihre Angst, und nur die Besorgnis blieb, ihr Mann möchte durch den Anblick der Marter der Andern verzagt werden und in Gefahr der Verleugnung geraten. Um dies zu verhüten und ihm die Märtyrer-Krone zu sichern, ging sie zu den Henkern und bat sie, sie möchten doch bei der Hinrichtung ihren Mann zuerst vornehmen. Dies geschah und Natalie ward nun Witwe. Vom Statthalter nachher zum Weibe begehrt, entfloh sie aufs stürmische Meer, von dem ihr Schiff dem nachsegelnden Verfolger zu Trutz durch Gottes Schutz in den sicheren Bergungsort getragen wurde.

In den Zeiten der Verfolgungen wurde nun das Heimweh nach einer andern Welt das vorherrschende Gefühl der edelsten Gemüter. Die fromme Verzichtung auf die unschuldigen Freuden der Welt, die Entsagung wurde immer mehr oberster Grundsatz; dem Paulus von Theben nach zogen die Einsiedler sich ganz aus der Welt zurück in Wüsten und Höhlen; Antonius (270-356) gab dieser Weltflucht das Gepräge einer Regel der Vollkommenheit in Armut und Fasten und Beten. Als vollends durch Constantin den Großen die Kirche und ihre Todfeindin, die Welt, sich versöhnte und vermengte, da gab es erst rechten neuen inneren Kampf anstatt der bisherigen äußern Verfolgung. Die strengste Entsagung und Enthaltsamkeit kämpfte gegen den in die Kirche aufgenommenen Weltsinn; Schauspiel, Tanz, Eid, Ausleihen auf Zinsen und zweite Ehe wurde für sündlich erklärt. Da hierzu sich nicht die Masse verstehen konnte noch mochte, so bildete sich ein höherer Rang völligster unnatürlicher und übernatürlicher Entsagung für die „vollkommenen“ Christen und eine niedere Sittlichkeit des erlaubten Genusses für die gemeine Christenheit. Dort ward geistlicher Hochmut, hier das äußerliche Abmachen und Abkaufen durch Fasten, Almosen und Gebete die Klippe, an welcher das aus dem Fahrwasser des lauteren, einfältigen, nüchternen Schriftwortes getriebene Schifflein Petri nach tausendjähriger Irrfahrt zerschellen ging.

Wie sich mitten zwischen diesen zwei Gefahren die katholische Kirche entwickelte, welchen Beitrag zu ihrer Geschichte nach ihrer Licht- und Schattenseite das weibliche Geschlecht gab, und welche Vorbilder für alle Zeiten, die seit Constantin dem Großen beginnende Weltzeit des Christentums in ihren ausgezeichnetsten Frauenbildern darbietet, des wollen wir jetzt uns in einer Reihe von edlen, auch in Verirrung großen Gestalten – „mit Zittern“ freuen.

Zwei Brüder, Basilius der Große und Gregor von Nyssa, waren es vor Allem, welche der neuen Geistesströmung die breiten und tiefen Ufer bauten, in denen sie durch die Welt und nicht von der Welt dahinziehen sollte. Diese zwei Brüder waren die Söhne ihrer Großmutter, die Zöglinge ihrer Schwester Makrina. Basilius der Große ist zu Cäsarea in Kappadocien ums Jahr 330 geboren. Sein Vater stammte aus Pontus von einer Märtyrerfamilie; seine Mutter war eine Kappadocierin. Die Familie war angesehen von jeher, doch ihr bestes Teil war ihre Frömmigkeit. Makrina, die Großmutter väterlicherseits, hatte als eifrige Christin sich in der diokletianischen Verfolgung mit ihrem Gatten in die unzugänglichen Waldungen des Pontus flüchten müssen, wo sie sieben Jahre lebten von Hirschen in ihrer Einsamkeit ernährt. Der Großvater mütterlicherseits hatte in der Verfolgung des Maximin sein gutes Bekenntnis mit dem Tode besiegelt. Diese Frömmigkeit ging auf die Eltern des Basilius über. Sein Vater war Lehrer der Beredsamkeit in Neucäsarea. Die Mutter Emmelia hatte – ausgezeichnet durch ihre Schönheit – um den Gefahren der vielen Bewerbungen um sie zu entgehen Vater und Mutter waren tot – den Antrag dessen angenommen, der als der Frömmste galt.

Die Eltern besaßen ein großes Vermögen, ihr höchster Schatz waren aber ihre vier Söhne und fünf Töchter, unter denen Makrina die älteste, Basilius der älteste war. Die ersten Jahre seiner Kindheit verlebte er in ländlicher Einsamkeit bei seiner Großmutter Makrina. Nie hat er die tiefen Eindrücke vergessen, welche die Reden und Beispiele dieser ehrwürdigen Frau auf seine zarte Seele gemacht. Erwachsen und in Cäsarea wohl geschult zog er zum Studium nach Konstantinopel und Athen. Mit ausgezeichneter Gelehrsamkeit von da (359) zurückgekehrt, trat er auf den Wunsch seiner Mitbürger einige Zeit als Lehrer der Beredsamkeit auf. Aber Makrina, seine Schwester hatte sich mit ihrer Mutter Emmelia in die Einsamkeit zurückgezogen, den Bruder für dieselbe Lebensweise zu gewinnen und den Versuchungen der Welt zu entziehen, war ihr Hauptanliegen. Und es gelang ihr; Basilius trotz aller Bitten der Behörde von Neucäsarea entschloss sich, ganz von der Welt sich zurückzuziehen und „Gott zu dienen.“ Er besah sich das Mönchtum in andern Ländern, schenkte sein ganzes Vermögen den Armen und zog nach Pontus an das Ufer des Flusses Iris, gegenüber dem Landhause seiner Großmutter, da er erzogen worden war, unfern dem Kloster, wo in reizender Gegend Emmelia mit Makrina und andern Jungfrauen lebte, denen letztere vorstand.

Die stille Einsamkeit war ihm „der Anfang der Reinigung für die Seele, denn das einzige Mittel, die Seele zur Ruhe zu bringen, ist die Lossagung von der ganzen Welt.“ Doch schon nach einem Jahre wurde er in die Unruhe der Welt und der Kirche zurückgerufen. Zum Presbyter in Cäsarea (364) erwählt, lebte er übrigens mönchisch in Gemeinschaft mit Mönchen fort. Er war aber zu Größerem berufen. Als Bischof von Cäsarea musste er die (arianischen) Feinde der Gottheit Christi bekämpfen und das Steuerruder der Kirche führen. Daneben tat er, zumal in dem Hungerjahre 368 durch die Predigt der Buße und durch das Beispiel seines Wohltuns Wunder an den Herzen der Wucherer und der Armen. Seine Mutter Emmelia war eben gestorben, ziemliches Vermögen fiel ihm zu. „Nun habe ich, schreibt er einem Freunde, auch den einzigen Trost im Leben, den ich hatte, wegen meiner Sünden verloren. O lache nicht über mich, dass ich in diesem Alter meine Verwaisung beweine, und verzeihe mir, wenn ich die Trennung von einer Seele nicht geduldig ertrage, mit welcher ich im Übrigen nichts Vergleichbares sehe.“ Mit dem gewonnenen Gute tat er, wie ihn seine Mutter gelehrt, nur Gutes. Von allen Gegenden waren Bedürftige nach der Hauptstadt geeilt. Täglich, so lange die Hungersnot dauerte, versammelte Basilius sie um sich und verteilte unter sie Speisen, die er in großen Kesseln herbeibringen ließ. Er selbst war sorgsam bedacht, dass Jeder etwas bekäme. So wurden Alle gespeist, von jedem Alter und Geschlecht, auch die Kinder der Juden; sie wurden gespeist auch mit geistlicher Speise.

Basilius, der Vorkämpfer des Glaubens im Morgenlande, der kluge, milde und starke Lenker der Kirche, der Begründer und Ordner des Mönchslebens, der gewaltige Prediger, der treue Seelsorger, ist auch ein Hauptanfänger der wohltätigen Anstalten geworden, in welchen die katholische Kirche eine ihrer größten Zierden hatte. Gleich im Anfang seiner bischöflichen Laufbahn (370) errichtete er in einer Vorstadt Cäsareas ein großes Gast- und Krankenhaus, das nachher Basilios nach ihm genannt wurde. Es war bestimmt, Durchreisende aufzunehmen, und Kranken, besonders Aussätzigen, die sonst von Menschen ängstlich vermieden wurden, liebreiche Aufnahme zu verschaffen. Basilius selbst besuchte und küsste sie als Brüder, damit andern ein Beispiel zu geben, auch diesen ekelhaften Krankheiten brüderliche Hilfe zu leisten, oder wie sein Bruder Gregor von ihm sagt, um die Menschen zu überzeugen, dass wir als Menschen die Menschen nicht verachten, noch durch unsere Grausamkeit gegen sie Christum, das Haupt Aller, schänden, sondern ihr Unglück zum eigenen Heil benutzen und von Gott Barmherzigkeit borgen sollen, die wir der Barmherzigkeit so sehr bedürfen. In diesem Hause wurden Krankenväter und Ärzte angestellt, Lasttiere für Reisende angeschafft, Wegweiser angenommen, Handwerker besoldet, um für die Lebensbedürfnisse zu sorgen, ja selbst die Gewerbe eines verfeinerten Lebens zu treiben. Für die Arbeiter wurde ein eigenes Gebäude neben dem Gast- und Krankenhause erbaut. Und zu dem großen Bau scheint Basilius die sämtlichen Kosten bestritten zu haben.

Beim Tode des Basilius war sein jüngerer (um 335 geborener) Bruder Gregorius anwesend. Dieser – von Kind an zur Gelehrsamkeit und stiller Forschung sich leiblich und geistig berufen achtend – zog von dem Lehrstuhle der Beredsamkeit zu seinem Bruder und zu seiner Schwester nach Pontus in die Einsamkeit, nachdem Basilius und Makrina ihn für das „jungfräuliche Leben“ gewonnen. Die Ehe galt ihm als die dunkelste Nachtseite des menschlichen Lebens, als die Chorführerin aller irdischen Trauerspiele: Enthaltung von der Ehe nennt er die Bedingung jener geistigen Jungfräulichkeit, welche frei von allen sinnlichen Banden in der vollkommenen Liebe zu Gott, in der Anschauung des ewigen Vaters ihre Weihe hat. Nicht dass der Körper gequält werden solle, aber enthalten soll er sich um den Geist in seiner freien Bewegung zum Vater der Geister nicht zu hemmen. Er war mit Theosebeia („Gottseligkeit“), einer Christin, vermählt, aber er beklagt die Bande, die ihn damit an die Welt verstrickt, die Zeit, die er an die Welt und ihr Treiben verloren; nun lebte er in stiller Einkehr nur der heiligen Schrift und den Werken der Kirchenlehrer. Aber er sollte nicht bloß sich von der Welt enthalten, er sollte auch in der Welt leiden und streiten lernen, er musste Bischof in Nyssa werden, so wollte sein Bruder Basilius. Bald genug erhoben sich die Feinde der Gottheit Jesu (die Arianer) wider ihn und er wurde abgesetzt (376). Doch nach zwei Jahren durfte er aus der Verbannung zurückkehren in die Mitte seiner ihn mit Liebe umfangenden Gemeinde. Jetzt kam aber neue Trübsal. Kurz nacheinander wurde sein Bruder Basilius und seine Schwester Makrina, deren geistlicher Leitung er so viel zu verdanken hatte, von seiner Seite gerissen (379). Dem Basilius hatte er die Augen zugedrückt und die Lobrede gehalten, in der er ihn mit Paulus, Johannes dem Täufer, Elias und Moses vergleicht. Im Herbste desselben Jahres wollte er auf der Rückkehr von der Kirchenversammlung zu Antiochien seine teure Schwester besuchen und kam zu ihrem Tode. Das schönste Denkmal, das er ihr sehen konnte, war die Beschreibung ihres Lebens und Sterbens.

Makrina war, wie wir wissen, die erste Frucht der Verbindung der Eltern. Sie erhielt ihren Namen nach der frommen Großmutter. Sie hatte aber noch einen geheimen, den die Mutter Emmelia – in Allem göttlichen Wink und Führung verlangend – in folgendem Gesichte überkommen hatte. Als die Zeit herbeigerückt war, da sie gebären sollte, kam ihr im Schlafe vor, als trage sie in den Händen, was sie noch unter dem Herzen hatte, und sie sah eine Erscheinung, hehrer als menschliche Form und Gestalt, die ihrer Tochter den Namen der heiligen Thekla gab, welche als „Schülerin des Paulus,“ von dem Freier, dem sie entfloh, der Obrigkeit ausgeliefert, von den wilden Tieren aber verschont und auch wunderbar aus den Flammen errettet, endlich im Frieden entschlafen, von der griechischen Kirche als erste Märtyrin hoch verehrt war. Dreimal wiederholte die Gestalt den Namen Thekla, dann verschwand sie. Emmelia erwachte sofort und gebar, und so leicht, dass vom Traum erwachen und das Geträumte in Händen haben Eins war. – Dieser Name, so verstand die Mutter, sollte das künftige Wesen und Leben der Tochter andeuten. Er machte ihr zugleich eine ernste christliche Erziehung ihres Kindes zur doppelten Pflicht. Makrina wuchs auf unter mütterlicher Obhut. Kaum wagte es die Mutter, sie den Händen der Amme anzuvertrauen. Dem Kindesalter entwachsen zeigte sie sich in allen Kenntnissen ihres Alters gelehrig, und was ihr auch die Eltern anweisen mochten, überall waren ihre Naturgaben ausgezeichnet. Das Streben der Mutter ging dahin, die Tochter wohl zu erziehen; aber nicht, wie bei vielen Müttern, ging ihre Absicht auf eine glänzende Außenseite, auf einen Schatz jener Kenntnisse, die das junge Alter meist aus dem Lesen von Dichtern sich anzueignen pflegt. Sie hielt es für entehrend und ungeziemend, dass das zarte und bildsame Gemüt bald mit den grässlichen Geschicken der Weiber, die den Trauerspiel-Dichtern meistens den Stoff liefern, bald mit den Abgeschmacktheiten und Unsittlichkeiten des Lustspiels bekannt, ja befleckt würde. Vielmehr was aus der vom göttlichen Geiste eingegebenen Schrift für jenes Alter leicht und passend war, das sollte Makrina erlernen: die Sprüche Salomonis, und vor allem darin, was Leben und Sitten bilden könnte. Doch auch die Psalmengesänge waren ihr nicht unbekannt, von denen sie gewisse Abschnitte zu bestimmten Zeiten las. Des Morgens, wenn sie aufstand, oder wenn sie zu oder von der Arbeit ging, zum Tisch oder vom Tisch, oder zu Bette oder in die Kirche zum Gebet, immer hatte sie das Psalmenbuch als einen freundlichen Begleiter bei sich, der sie nie verließ.

In dieser Weise erzogen, auch in Wahrheit geschickt, erreichte sie das zwölfte Jahr – das Alter, in dem im Morgenlande die Jungfrau sich entwickelt. Makrina blühte wundersam im Schmucke der Jugend; ihre Schönheit, wie sehr man sie auch verbergen wollte, konnte doch nicht verborgen bleiben. Im ganzen Vaterland kam ihr nichts gleich; ihre Gestalt und Anmut vermochte selbst die Hand des geschicktesten Malers nicht würdig zu erreichen. Ein Schwarm von Freiern nahte sich. Der Vater aber, verständig und von hoher praktischer Umsicht, wollte sofort einen durch Herkunft und Adel der Gesinnung ausgezeichneten Jüngling. Große Hoffnung erweckte der junge Mann, vor Gerichte war er ein beredter Sachwalter der Verfolgten. Die schönen Hoffnungen brach der Tod.

Die Jungfrau hatte erfahren, wem sie bestimmt war, die Wahl des Vaters nannte sie sofort ihre Ehe, und als ob, was jener beschlossen, Wirklichkeit geworden wäre, entschied sie sich für die übrige Zeit ihres Lebens Jungfrau zu bleiben. Und dabei blieb sie fester als man von ihrem Alter hätte erwarten dürfen. Denn obschon ihre Eltern öfters in sie drangen, hinweisend auf die Schar der Bewerber, die der Ruf ihrer Schönheit herbeigezogen, sie meinte, es wäre unangemessen, und unerlaubt, jene Ehe, mit der sie ihr Vater ein für allemal gebunden, zu brechen, und nach einer zweiten gezwungen zu schauen: es sei naturgemäß nur Eine Ehe, wie auch nur Eine Geburt und Ein Tod; den in Gott Lebenden müsste man aber in Hoffnung der Auferstehung ja nicht für tot achten, nur ferne sei er; Sünde dann wäre es, dem fernen Verlobten die Treue nicht zu bewahren. Das war ihre Ansicht, worin sie ihren zwei Brüdern voranging, das ihr Entschluss. Diesem nicht untreu zu werden, beschloss sie, sich keinen Augenblick von der Mutter zu trennen. Darum pflegte diese zu sagen, die übrigen Kinder habe sie nur eine bestimmte Zeit unter dem Herzen getragen, Makrina aber immer. Und ihr Aufenthalt bei der Mutter brachte dieser weder Mühe noch Last. Sie war ihr statt vieler Dienerinnen. In dieser Art vergalten sich beide gegenseitig ihre Liebesdienste: die Mutter hütete die Seele der Tochter, die Tochter sorgte für die leiblichen Bedürfnisse der Mutter und stand ihr in allen häuslichen Geschäften, besonders seit des Vaters Tode, hilfreich zur Seite, so Martha wie Maria.

Um diese Zeit kehrte Basilius von der hohen Schule zu Athen zurück. Makrina wollte in ihm viel weltlichen Sinn, viel Stolz, auf seine Weisheit und Beredsamkeit finden. Sie drang mit solcher Gewalt in ihn, der Welt, Ruhm fahren zu lassen, dass der Bruder nicht vermochte ihr zu widerstehen. Wie er sich nun in die Einsamkeit zurückgezogen, der Kasteiung sich ergeben, haben wir oben gesehen.

Was schon längst in dem Herzen der Tochter und Mutter schlummerte, brachte ein schweres Ereignis, das über die Familie hereinbrach, zur Reife. Von den vier Brüdern hieß der zweite, der auf Basil folgte, Naukratius, ein Jüngling, reich begabt an Leib und Seele, und zu allem geschickt. Er war ein ausgezeichneter Sachwalter geworden, hochgeehrt von Allen. Da, im 22. Jahre, tritt in ihm eine völlige Umwandlung ein; was er in Händen hat, lässt er dahinten und zieht sich mit einem getreuen Diener Chrysaphius in eine Einöde zurück. Am Flusse Iris im tiefsten Walde fand er ein einsames, dichtbeschattetes, von überhangenden Felsen bedecktes Plätzchen; hier, ferne von dem Getümmel der Stadt, des Kriegs- und Gerichtswesens, siedelte er sich an, sich und der Askese lebend. Einigen Greisen, die auch dort lebten, verschaffte er zugleich – ein geübter rüstiger Jäger wie er war – ihren Unterhalt. Ins fünfte Jahr hatte er so gelebt. Er war auch wieder einmal, wie gewohnt, zur Jagd ausgezogen, den Greisen ihre Nahrung zu erjagen; da brachte man ihn tot nach Hause mit seinem treuen Diener. Die Mutter war gerade drei Tagereisen weit entfernt. Sie war allezeit und in Allem fest und gefasst gewesen; diese Botschaft übermannte ihre Natur; es war der liebste Sohn gewesen, der so hatte enden müssen; ohnmächtig stürzte sie zusammen. Doch Makrina, größer als der Schmerz, blieb aufrecht, und stützte und hielt auch die Mutter durch ihre Stärke.

Die Kinder waren versorgt, die häusliche Last großenteils unter die Söhne verteilt. Was hinderte an einem klösterlichen Stillleben? Längst war Makrina geneigt gewesen, die bisherige Lebensweise aufzugeben und ein beschauliches Leben zu führen; bei ihrer jetzigen Seelenstimmung musste der Mutter ein solcher Lebensplan nur erwünscht kommen.

So zog nun die Tochter die Mutter, wie die Mutter einst die Tochter gezogen.

Sofort wurde der Entschluss ausgeführt. Die Dienerinnen wurden Genossinnen des neuen Lebens: aller Vorrechte, aller Würden begab man sich; es war ein Tisch, das gleiche Lager, die gleiche Lebensweise, und eine Ordnung, eine Zucht, ein Friede, eine Lebenshöhe, wie sie nur da möglich ist, meint Gregor, wo alle menschlichen Fesseln abgelegt, alle Eitelkeit der menschlichen Dinge abgetan ist; es war ein Leben nach der Ähnlichkeit der Engel.“ Da war kein Zorn, kein Hass, kein Neid, keine Verdächtigung, keine Ehr- und Ruhmgier, und was dergleichen mehr. Ihr Wohlleben setzten sie in Mäßigkeit, ihren Ruhm darein, dass sie nichts besäßen. Nur das Göttliche war ihre Sorge: das Gebet und das Psalmensingen.

In dieser Lebensrichtung sehen wir Makrina als Haupt; sie hat die Mutter, sie hat den Bruder Basil gezogen; auch der jüngste, Petrus, wurde in diesem Geiste gebildet. Wie er geboren wurde, war auch der Vater gestorben. Makrina wurde ihm sofort Vater, Lehrer, Hüter; Petrus ihr treuer Schüler. (Später ward er Bischof in Sebastopol).

Inzwischen war die Mutter alt und hochbetagt geworden. Als sie zu sterben kam, segnete sie ihre Kinder, die ferne waren und nah: Makrina und den jüngsten. „Dein seien sie, o Herr!“ betete sie und ging dann hinüber zu Gott. Sie hatte ihren Kindern befohlen, im väterlichen Grabmal sie beizusetzen: wie sie gewünscht, geschah ihr.

Auch in diesem Schmerz sehen wir Makrina fest. Noch ein dritter traf sie: der Tod des ältesten Bruders, des großen Basil. Welch‘ entscheidenden Einfluss sie auf das Leben und auf die ganze Denkweise des Letzteren ausgeübt, wissen wir: sie waren sich geistig verbunden. Wie hätte sie die Todesnachricht nicht aufs Schmerzlichste treffen sollen! Sie fühlte den Verlust, aber wie eine, die doch wiedergefunden hatte.

Basilius war im Jahre 379 gestorben. Es war neun Monate darnach oder etwas mehr, als Gregor von Nyssa, wie wir oben sahen, von der Versammlung zu Antiochien, der er beigewohnt, rückkehrend seine Schwester besuchte. Sie hatten sich schon seit acht Jahren nicht mehr gesehen. Was alles lag dazwischen! Er traf die Schwester krank, sterbend. Sie lag auf einem Bette, nur mit härenem Tuch bedeckt. Als sie den Bruder zu der Türe hereinkommen sah, richtete sie sich auf ihrem Lager auf und faltete die Hände. Dank dir, Herr Gott, betete sie, dass du auch das mir verliehen und was meine Seele wünscht, ihr nicht vorenthalten hast, sondern hast deinen Knecht getrieben, mich, deine Magd, zu besuchen.“ Und um den Bruder nicht trübe zu stimmen, suchte sie zu verbergen, wie schwer ihr das Atmen werde, gab sich ein fröhliches Aussehen und suchte selbst Anlass zu heitern Gesprächen. Als die Rede dann auf Basilius kam, konnte Gregor nicht mehr zurückhalten; er fühlte sich ergriffen, sein Gesicht verzog sich, Tränen entstürzten seinen Augen. Makrina aber blieb ruhig, und nahm vielmehr Veranlassung, von dem Tode des Bruders weg hinzuweisen auf die auch in trüben Schicksalen verborgene göttliche Vorsehung und über das künftige Leben zu reden. Und sie sprach wie vom göttlichen Geiste angeweht; der Bruder fühlte sich wie außer sich selbst versetzt in die himmlischen Wohnungen. Es war wunderbar zu schauen, diese Geisteskraft in dem vom Fieber ganz ausgedörrten Körper. In tiefem Zusammenhang sprach sie von der Seele des Menschen, von dem Grunde dieses Lebens im Fleisch, wie fern und warum der Mensch sterblich sei und wie unsterblich, und von der Auflösung und Rückkehr in jenes Leben. Das alles ging sie durch, klar, scharf, in bestimmter Ordnung: ihre Rede floss wie ein Wasser frisch und hell aus seiner Quelle.

Nicht so leicht konnte sich Gregor fassen. Er erging sich in den nahen Gärten, unter dem Schatten der Bäume; aber er konnte keine Ruhe finden, es schwebte ihm immer nur der Tod der geliebten Schwester vor. Da, als ob sie seine Gedanken erraten, ließ sie ihm sagen, er möchte guten Muts sein, die Krankheit habe sich zum Bessern gewendet. Freilich, sie fühlte bereits den nahen Sieg, hörte bereits den Ruf von oben.

Gregor besuchte sie wieder, er fand sie tief in Gedanken. Sie erzählte von den Eltern, den Kinder- und Jugendjahren, von den Ereignissen seitdem; sie erzählte alles so genau, so umständlich, als hätte sie es geschrieben. Das Ziel ihrer ganzen Erzählung aber war Dank gegen Gott. Der Tag darauf war ihr letzter. Es war Abend. Sie blieb immer heiter; sie sprach nicht mehr mit den Umstehenden, ihre Worte wurden zu Anreden an Gott und zu Gebeten, immer leiser, immer flüsternder. „Du, o Gott,“ betete sie, „hast mir die Todesfurcht genommen. Du hast verliehen, dass dieses Lebens Ende der Anfang des wahren Lebens ist. Du gibst die Leiber zu ihrer Zeit dem Todesschlaf hin und erweckst sie wieder aus dem Schlafe mit der letzten Trompete. Du vertraust unsere Erde, die du mit deinen Händen gebildet als eine Hinterlage der Erde an und nimmst, was du ihr gegeben, wieder von ihr, das was an uns sterblich und ungestalt ist, mit Unsterblichkeit und Schöne krönend. Du hast uns vom Fluch und von der Sünde befreit dadurch, dass du beides für uns geworden bist; du hast der Schlange den Kopf zertreten, hast die Tore der Unterwelt erbrochen, den, der die Macht des Todes hatte, überwunden und uns den Weg zur Auferstehung gebahnt. Du hast zum Verderben des Feindes und zur Sicherheit unsers Lebens denen, die dich fürchten, ein Zeichen aufgestellt, das Zeichen deines heiligen Kreuzes, dem ich verlobt bin von Mutterleib an. O sende mir den Engel des Lichtes, der mich führe an den Ort der Erquickung, wo das Wasser der Ruhe ist, in den Schoos der heiligen Väter! Du, der du das flammende Schwert zerbrochen und den Menschen, der mit dir gekreuzigt ist und zu deiner Barmherzigkeit flüchtet, dem Paradiese wiedergibst, gedenke auch meiner in deinem Reiche! Auch ich bin ja gekreuzigt mit dir; nichts scheide mich von deinen Auserwählten, nicht trete mir der Feind in den Weg, nicht mögen meine Sünden vor deinen Augen erfunden werden! Wenn ich aus Schwäche der Natur mit Wort oder Tat oder Gedanken gefehlt, so verzeihe mir das, der du die Macht hast, die Sünden zu verzeihen, dass ich erquickt werde und, wenn ich den Körper ablege, vor deinem Angesichte erfunden werde als die da keinen Makel hat an der Seele! Tadellos, makellos möge meine Seele in deine Hände aufgenommen werden als ein Brandopfer vor dir!“ So betete Makrina. Allmählig erstarb das Wort auf den Lippen; nur noch den Mund und die Hände sah man sie bewegen, ein Zeichen, dass sie noch immer betete. Dann zog sie einen langen, tiefen Seufzer und – sie hatte geendet. Der Bruder erwies ihr den letzten Liebesdienst und drückte ihr die Augen zu. Nach manchem Wechsel, nach mancher Trübsal und Prüfung, aber nachdem er Großes gewirkt und für alle Zeiten herrliche Werke vollendet, eilte auch er seinen Geschwistern nach ins Land des Friedens im 64. Jahre seines Lebens ums Jahr 395.