Hedwig, Königin von Polen, Herzogin von Litauen.

geb. 1371. gest. 1399.

Mehr als in andern Zeiten waren durch das Mittelalter hindurch die fürstlichen Frauen Trägerinnen des Geistes der Zeit und Werkzeuge seiner Wirkungen; das Bürgertum hatte noch keine Gestalt gewonnen, die Bildung und Frömmigkeit war in die Einförmigkeit der stillen Klöster gebannt, so konnten neben den die Zeitgeschichte bildenden Fürsten fast nur die Fürstinnen in das offene Licht heraustreten. Daher sollen uns noch einige gekrönte Frauen die Brücke zu derjenigen Frau bilden, mit welcher die Frau des schlichten deutschen Bürgerhauses nach evangelischer Ordnung zu voller und höchster Ehre kam.

Ludwig von Anjou, König von Polen, überließ während seiner zwölfjährigen Regierung sein Land den innern Zerwürfnissen und den Angriffen der äußern Feinde; bei seinem Tode 1382 hinterließ er zwei Töchter, Marie, die Gemahlin des Markgrafen von Brandenburg, und Hedwig, geboren 1371. Letztere war von ihrem vierten Jahre an mit dem jungen Herzog Wilhelm von Österreich verlobt, und wurde mit ihm erzogen. Die Polen erwählten die junge Hedwig zu ihrer Königin. Kaum fünfzehn Jahre alt, kam sie aus der Obhut ihrer Mutter auf den Thron. Ihre anmutsvolle Schönheit, ihre Züchtigkeit und Frömmigkeit entzückte das leicht erregliche Volk. Am Hedwigstage des Jahres 1385 wurde sie in der Hauptkirche zu Krakau feierlich gekrönt und mit voller Ausübung der königlichen Herrschaft bis zu ihrer Vermählung betraut.

Die schöne Frau war bescheiden und sanftmütig, wohl unterrichtet und fast gelehrt; sie war eine geborene Königin.

Der furchtbarste Feind Polens, Jagellon, Großherzog von Litauen, hörte von ihr und beschloss, sie zur Ehe zu begehren. Er erklärte sich bereit, mit seinen Großen und seinem Volke den Glauben der Polen anzunehmen, alle christlichen Kriegsgefangenen frei zu geben, seine Länder Litauen und Samogitien samt seinen russischen Eroberungen mit Polen zu vereinigen und dem Königreiche die losgerissenen Provinzen wieder zu erobern. Auch erbot er sich, den Herzog Wilhelm von Österreich für die Abtretung der Verlobten zu entschädigen. Das gefiel den polnischen Großen. Aber Jagellon war aus halbwildem Heidenvolke und Hedwig liebte den Herzog Wilhelm leidenschaftlich.

Ihre Mutter, die Königin Elisabeth von Ungarn, sollte entscheiden, und sie entschied für die Heirat Jagellons um der zu hoffenden Verbreitung des christlichen Glaubens willen. Die Edlen des Landes stimmten desgleichen zum Besten Polens und der christlichen Religion. Eine Gesandtschaft wurde an Jagellon geschickt, er solle selber um Hedwig werben, welche sich den angegebenen Gründen nicht ganz entziehen konnte. Indessen erfuhr Wilhelm, was ihn bedrohe, und er eilte nach Krakau. Man wehrte ihm den Eintritt ins Schloss, so besuchte Hedwig den Geliebten im Franziskaner-Kloster, und verbrachte mit ihren Ehrenfräulein und Rittern manche fröhliche Stunde in allen Züchten bei dem schönen fürstlichen Jüngling. Sie beschloss, ihn vor Jagellons Ankunft zu heiraten. Die Großen des Landes erfuhren es und trafen ihre Maßregeln; als Hedwig zum großen Schlosstore kam, fand sie es verschlossen. In Verzweiflung griff sie nach einer Axt, um in unmächtigem Zorne Riegel und Schloss zu durchhauen. Niemand wagte ihr zu nahen, nur der greise Großschatzmeister bat sie, ihre Liebe dem Wohle des Vaterlandes und die Wünsche ihres Herzens denen ihrer Untertanen, ihre Leidenschaft der Sache der Religion zum Opfer zu bringen. Da ließ Hedwig schweigend die Axt fallen und kehrte mit heißen Tränen in ihre Gemächer zurück. Herzog Wilhelm, für sein Leben besorgt, floh aus Krakau.

Im Anfange des Jahres 1386 kam Jagellon in Polen an. Hedwig hatte einen Vertrauten entgegengesandt, um über seine Person und Sitten Bericht zu erhalten. Der Herzog, hieß es, sehe gar nicht so erschrecklich aus, sein zwar langes Gesicht sei nicht abstoßend und seine Sitten seien ernst und fürstlich. Doch ergab sich Hedwig lange noch nicht; ihr Herz hing an Wilhelm, eine Trennung vom Verlobten galt ihrem Gewissen als Ehebruch.

Indessen hielt Jagellon am 12. Februar seinen feierlichen Einzug in Krakau und besuchte alsbald die Königin, die inmitten ihrer Frauen in blendender Schönheit strahlte. Es kostete noch einige Zeit, da wurde ihr Wille erstürmt. Als die fünfzehnjährige Königin alles Widerstreben vergeblich sah, ging sie mit schwarzem Schleier zur Hauptkirche, weinte und betete drei Stunden lang vor dem Bilde des Gekreuzigten, riss zu seinen Füßen gleichsam ihr Herz aus ihrem Herzen und bedeckte beim Hinweggehen das Christusbild mit ihrem schwarzen Schleier. Dieses Zeichen ihrer Trauer sollte für ewige Zeiten dort aufbewahrt bleiben, und noch jetzt hängt ein Schleier über dem „Kreuze der Hedwig.“

Hierauf erklärte sie sich zur Heirat bereit, lediglich aus Rücksicht auf ihr Volk und ihren Glauben. Am 14. Februar wurde Jagellon vom Erzbischof von Gnesen getauft und mit Hedwig vermählt, drei Tage nachher war seine festliche Krönung.

Einmal mit Jagellon verheiratet wandte ihm Hedwig auch alle Liebe und Treue zu. Bald nachher führte er sie nach Großpolen, wo ihre Holdseligkeit die Zerwürfnisse zwischen den Großen mit ausgleichen sollte. Der Hof war zu Gnesen. Zu seinem Unterhalte wurde eine große Steuer auf die Bauern gelegt und fast all‘ ihr Vieh in Beschlag genommen. Weinend kamen sie mit Weib und Kind zur Königin. Hedwig tief gerührt von ihren Klagen, machte ihrem Manne dieses Unrecht begreiflich und ließ Alles zurückgeben. „Das Vieh ist ihnen wiedergegeben, aber,“ so rief sie aus, „wer wird ihnen ihre Tränen wiedergeben?“

Mit Hedwigs Hilfe war bald Frieden und Sicherheit hergestellt. Im Frühjahre darauf (1387) führte Jagellon seine Gemahlin nach Litauen, damit sie ihre neuen Untertanen kennen lerne und Zeugin ihrer „Bekehrung“ zum christlichen Glauben wäre. Alle Götzen des Landes ließ er umwerfen, die ewigen Feuer auslöschen, die heidnischen Götterhaine niederhauen. Um die Taufhandlung abzukürzen, der sich das ganze Volk unterwerfen musste, teilte man die Litauer, jedes Geschlecht für sich, in gesonderte Scharen ein; jede Schar besprengte man massenweise mit Weihwasser und gab Allen, die dazu gehörten, denselben Namen.

Die erste Abteilung Männer erhielt den Namen Peter, die erste Abteilung Frauen den Namen Katharina und so weiter, nur die Edlen und ihre Familien erhielten die Taufe besonders. So war Litauen „bekehrt“.

Mit Begeisterung begrüßten die neuen guten Christen ihre sechzehnjährige Königin. Auf Hedwigs Rat stiftete Jagellon in den Hauptstädten Kirchen und Anstalten. Nachdem also das katholische Christentum in Litauen „festbegründet“ war, zogen sie nach Krakau zurück (1388). Da wurde der Friede ihrer Ehe durch Verleumdung und Eifersucht gestört. Man beschuldigte Hedwig heimlichen Umgangs mit Herzog Wilhelm während ihrer Vermählung, da er als Kaufmann verkleidet in Krakau war. Die Sache kam vor Gericht und Hedwig ging glänzend gerechtfertigt hervor. Der Ankläger musste zur Strafe sich unter eine Bank bücken und erklären, er habe gewissenlos gegen die tugendhafte Königin gebellt, und dann dreimal das Gebell eines Hundes nachahmen. Fortan verlebten Jagellon und Hedwig ihre Tage in ungetrübter Eintracht.

Als im Jahre 1390 Jagellon sein Litauen gegen die deutschen Ritter verteidigte, sammelte die neunzehnjährige Königin ein Heer und führte die begeisterten Polen, zu Pferde an der Spitze ihrer Geschwader, gegen Ungarn, nahm durch Sturm oder Unterhandlung die Städte und Festungen ein und eroberte ganz Rotrussland1Rotruthenien, auch Rothreußen oder Rotrussland oder Roth-Reußland oder Rot-Reußen war ein historisches Teilgebiet der Rus. Es umfasste die heutige Westukraine sowie Teile Ostpolens. Seine Ausdehnung veränderte sich im Laufe der Jahrhunderte einige Male. wieder, das ihr eigener Vater von Polen abgerissen hatte. So dem Wohle ihres Vaterlandes hingegeben, verewigte sich die ritterliche Frau in den Herzen der Polen.

Gleich darauf zog sie nach Schlesien und nahm dem Herzoge von Oppeln die Provinz wieder ab. Weiterhin suchte sie den Frieden mit den deutschen Rittern zu vermitteln und überall das Beste ihres Landes zu erwirken.

Wie sie groß war gegen den Feind und auf dem Throne, so war sie noch größer daheim im stillen Walten. Die freie Zeit, welche Kriege, Unterhandlungen und Regierung ihres Landes ihr ließen, verwandte Hedwig aufs Lernen, auf Werke der Barmherzigkeit und fromme Übungen. Nie sah man sie im Zorne, nie stolz, hochmütig oder eitler Zerstreuung hingegeben. Jedem Prunke war sie abgeneigt, gern schloss sie sich ins Kämmerlein, um mit Gott allein zu sein. Gegen Arme, Witwen, Waisen, Fremde und Pilger war sie grenzenlos großmütig, gegen alle Leidenden voll liebender Teilnahme. Man warf ihr Verschwendung vor, denn wo sieht man nicht scheel, wenn Eines gütig ist? Ihre geistigen Beschäftigungen galten besonders der heiligen Schrift, die sie fleißig las und zum ersten Mal ins Polnische übersetzen ließ. Eben so fleißig las sie die heiligen Reden und Betrachtungen der großen Kirchenväter Augustin, Gregor, Hieronymus, Ambrosius und Bernhard; auch diese ließ sie ins Polnische übersetzen. So war sie gläubigen Sinnes und erleuchteten Geistes, fertig zu treiben das Evangelium des Friedens. Wir neigen uns vor der Königin, die das Schwert fürs Vaterland in der Hand schwingt, aber tiefer noch beugen wir uns vor der Fürstin mit der Bibel in der Hand.

Getreu auch ihrer Liebe zur Wissenschaft unterhielt sie auf ihre Kosten eine Menge armer Studenten in den gelehrten Schulen. Für die besten Jünglinge Litauens stiftete sie (1397) eine große, prächtige, hohe Schule zu Praga, um den neuen Samen des Glaubens zu begießen, den ihr Mann in seinem Lande ausgestreut hatte. Sterbend vermachte sie alle ihre Edelsteine, Geräte und Barschaften dem Bischof und Kastellan von Krakau zu Gründung einer Hochschule in dieser Stadt. Gemeinschaftlich mit ihrem Manne gründete sie eine Menge anderer religiöser Stiftungen, Kirchen, Hospitäler und Klöster. Besondern Sinn und Eifer hatte sie für die heilige Musik, auch die förderte sie durch eine besondere Anstalt.

Kein Wunder, wenn sie der Liebling des Volkes und die Allverehrte in der weiten christlichen Welt ward.

Nur ein Schmerz betrübte Polen unter dem Zepter der Vielgeliebten. Sie war kinderlos. Da verbreitete sich am Ende des Jahres 1398 die Nachricht durchs jubelnde Land, sie werde demselben einen Erben ihrer Tugenden hinterlassen. Kurze Zeit vor ihrer Niederkunft musste Jagellon in den Krieg ziehen. Während seiner Abwesenheit empfahl er ihr in seinen Briefen, Sorge zu tragen, dass die Vorbereitungen zu ihrer Entbindung mit aller Königspracht getroffen und Gold und Perlen nicht gespart würden. Hedwig antwortete: „Ich habe längst auf die Pracht dieser Welt verzichtet, jetzt beim Herannahen des Todes, dem so oft eine Gebärerin ausgesetzt ist, will ich mich nicht damit umgeben; nicht durch Gold und Edelsteine, sondern durch Ergebung und Demut gedenke ich dem allmächtigen Gott angenehm zu sein, der die Einsame zur fröhlichen Kindermutter macht und auch mir die Gnade der Mutterschaft gewährt hat.“

Am 14. Juni 1399 gebar sie eine Tochter, die alsbald in der Hauptkirche getauft wurde und zu dem königlichen Namen Elisabeth nach ihrem Taufpaten, dem Papste, den Namen Bonifazia erhielt. Kaum aber hatte Hedwig dem heißersehnten Kinde das Leben gegeben, so wurde ihr Zustand bedenklich. Die kleine Elisabeth selbst starb nach drei Tagen. Hedwig, der man es verschweigen wollte, ahnte und wusste es mit dem tiefen Gefühle der Mutter. Bald darauf begehrte sie die Sterbsakramente, nahm zärtlich Abschied von ihrem Gemahl, und gab in der Mittagsstunde des 17. Juli ihren Geist auf, erst achtundzwanzig Jahre alt.

Der päpstliche Gesandte bestattete sie in der Hauptkirche von Krakau, links vorm Hochaltare. Die Liebe des Volkes sah ihr als einer Heiligen nach. Jagellon, der sich nach ihrem Rate wieder vermählte, bewahrte den Trauring seiner liebsten Gattin als seinen kostbarsten Schatz, und vermachte ihn sterbend, als eine bleibende Mahnung zum treuen Dienste gegen das Vaterland, das Hedwig so sehr geliebt, dem Bischofe von Krakau, der ihm in einer Schlacht das Leben gerettet hatte.

Auf ihr Grab wurde die (lateinische) Inschrift gesetzt: „Hier liegt Hedwig, Polens Stern – sie wusste ihr Herz durch Vernunft zu zügeln und heldenhaft sich selbst zu überwinden. Sie war der Reichtum der Geistlichkeit, der Thau der Armen, die Säule der Kirche, der Schmuck des Adels, des Bürgers fromme Schützerin. Mächtig wollte sie nicht sein, sie war lieber milde. Ach, die Trösterin der Armen und Leidenden, unsere Mutter und Herrin, unsere Hoffnung und Zuversicht ist verschwunden. O König der Polen, nimm diese Königin der Polen auf und lass sie in Deinem Paradiese sein!“