Eustasius.

Es war eine große Zeit, da die germanischen Nationen mit der Urkraft ihres Wesens, eine nach der andern, dem Christenthum zugeführt wurden. Die rauhen Naturen waren in einer vielgestalteten, sagenreichen, mit allen Interessen des nationalen Lebens eng verknüpften Religion aufgewachsen, die ihnen vollkommen genügte, und nicht entrissen werden konnte, ohne sie von ihren Vätern zu trennen und auf ganz ungewohnte Bahnen zu lenken. Es war am schwersten ihnen beizukommen, wo sie mitten in den altgewohnten Gauen des geliebten Vaterlandes täglich die Spuren alten Götterdienstes vor Augen hatten, und auf den Fußtapfen ihrer Altvordern zu wandeln glaubten. Als Gegner mußten ihnen Alle erscheinen, welche zu ihnen kamen, um ihnen ihre Sagen und Götterlehren verdächtig zu machen und das Aufgeben derselben als eine heilige Pflicht zu empfehlen. Zur Wuth steigerte sich leicht ihr Wahneifer für die vaterländischen Sitten und Gebräuche; ihre Wälder und Felder wurden oft vom Blute derer geröthet, welche mit kühner Entschlossenheit, aber waffenlos, herbeieilten, um sie von ihrem alten Aberglauben zu heilen, zumal da es meist Fremde waren, welche unter ihnen auftraten, um zugleich ihre Nation und ihre Religion zu bekämpfen. Mit größerer Weisheit und Geduld suchten andere an deren Stelle demselben Werke zu dienen; und auch sie retteten wohl ihr Leben und wurden vor dem Märtyrertode, den sie nicht scheuten, behütet: aber nur sehr langsam gedieh das mit Begeisterung und Aufopferung unternommene Werk: und oft mit den Personen zugleich verschwanden die Spuren, welche die Füße der Boten Gottes auf deutschem Boden eingedrückt hatten. Einzelne Seelen hatten sie gewonnen; die Völker aber waren unüberwunden und hielten das Erbe vergangener Zeiten um so hartnäckiger fest.

Die Betrachtung der Ereignisse, welche hier vorgehen, nimmt unsere ganze Theilnahme in Anspruch. Wir sehen nicht ohne lebendige Anregung unseres eigenen nationalen Bewußtseins, mit welcher zähen Festigkeit unsere Altvordern an den geweihten Plätzen festhielten, und mit welcher unüberwindlichen Kraft sie das Schwert für ihre Götter und die ihrer Väter führten. Und doch neigt sich nothwendig das Herz den Männern zu, welche die Ausbreitung und Befestigung des Christenthums und damit die Grundlegung der Kultur sich zur Lebensaufgabe machten und als Träger einer neuen Lebensweise muthig und thatkräftig sich selbst zum Opfer brachten. Die Idee der Religion zeigt sich auf beiden Seiten wirksam: die Gottesverehrung im Geist und in der Wahrheit nur, auf der einen, freilich auch da keineswegs in voller Reinheit, aber auch so ist sie die Grundlage geworden, auf welcher sich die deutsche Nation zu höherer Geltung in der Welt erhoben hat.

Eustasius gehört zu den Männern, welche unter germanischen Völkern und in deutschen Landen in solcher Weise gewirkt haben, und wenn auch seine Erfolge nur im Allgemeinen bekannt, im Einzelnen dagegen in Dunkel gehüllt sind und nicht denen eines Severinus oder eines Bonifacius gleichgeachtet werden dürfen, so ist Doch auch sein Name unvergeßlich und darf in der Reihe der Apostel unseres Vaterlandes nicht verschwiegen werden. Auch solche Männer, deren Leben, wie es überliefert ist, mehr dem katholischen, als dem evangelischen Bewußtsein entspricht, werden bei uns freudig als Mitbegründer des Reiches Gottes in unserem Vaterlande gewürdigt und anerkannt. Wir lassen uns keine der Erinnerungen entgehen, welche aus jener reichen Zeit auf unsere Tage gekommen sind.

Eustasius war aus burgundischem Geschlecht und von vornehmer Abkunft. Als Columbanus, über dessen Leben bereits in diesem Jahrbuche Bericht erstattet worden ist, auf der Insel der Heiligen, Irland, und von dem Kloster Bankor her in diese Gegenden von Gallien gelangte, um als Verkünder des Evangeliums dem Herrn zu dienen, war dies Land von einer bunten Völkermischung bewohnt, und in christlicher Beziehung in Verfall, Schnell eilten fromme Gemüther ihm zu und gesellten sich in Hingebung und Verehrung den Männern bei, die mit Columbanus im engen Bunde vereinigt thätig waren. Es gab keinen andern Weg, zum Ziele zu gelangen, als Klöster zu errichten und sie zu Culturstätten zu machen, um von ihnen, wie von festen Plätzen aus, den Kampf mit Irrthum und Verkehrtheit aufzunehmen. Eustasius erlebte in der Nähe seiner Heimath die Gründung der Klöster von Anegray, Lureuil und Fontenay, und beobachtete die schweren Arbeiten, welche Columbanus seinen Mönchen zumuthete, um durch Vorbild und Beispiel das lebendige Wort zu unterstützen. Männer des Friedens, rastlos in ihrer Arbeit, abgehärtet durch Mangel, stark in Bekämpfung einer noch ungebrochenen Natur, durch keine Leiden abgeschreckt, gewannen sie sich überall Nacheiferung und staunende Verehrung. Da legte auch Eustasius, von dem Anblick so seltener Tugenden ergriffen, das Mönchsgelübde nach Columbanus Auffassung ab und hat daran mit Ausdauer bis an sein Ende festgehalten. Dadurch hat sein Leben seine eigenthümliche Gestalt gewonnen. Die That, auf welche es vorzugsweise ankam, war die Ueberwindung des Heidenthums in allen seinen Formen und die Einführung des Christenthums in die Gemüther, beides aber in der damaligen, mehr äußerlichen und auf asketische Werkthätigkeit gerichteten Weise. Studien und Gelehrsamkeit standen auch hier in hohen Ehren. Die Lectüre der Bibel und anderer Andachtsbücher war die Hauptforderung, ihre Erklärung der Beruf der Aebte und Häupter der Mönche; mit einem Exemplar der Bibel zog man sich zuweilen in die Einsamkeit zurück, um in ihre Geheimnisse einzudringen. Das praktische Leben aber nahm die besten Kräfte in Anspruch. Man wollte Christi Vorbilde folgen, seine Armuth und Enthaltung theilen und durch Alles dies dem Herrn sich nähern und ähnliche Werke wie er vollbringen. Man enthielt sich möglichst sinnlicher Genüsse; man mied die Welt mit ihren Zerstreuungen, floh das eheliche Leben, ertödtete das Fleisch, betete und fastete; man trug geduldig das zugefügte Unrecht, übernahm demüthig auch die schwerste und niedrigste Arbeit, man nannte nichts sein Eigenthum als die tägliche Arbeit und die Nachtwachen, genoß die ärmlichste Nahrung, trug die einfachste Kleidung, kurz man suchte in äußerlicher Strenge des gesamten Lebens den Ruhm des alten Mönchthums zu erreichen oder zu überbieten. Die Regel des Columbanus ist nicht leer an Bestimmungen, welche die innere Gesinnung an die Spitze stellen, in Allem Maß zu halten und jede Uebertreibung zu meiden befehlen; sie fordert die liebevollste Theilnahme an dem Schmerz der Brüder, thätige Unterstützung aller Leidenden und Bittenden, Uebung lebendigen und innerlichen Christenthums, die Unterdrückung aller Ausbrüche der Zwietracht und des Hochmuths im eigenen Leben und in der Welt durch Milde und Freundlichkeit, Sanftmuth und Mäßigung; zugleich aber führte die Regel ein solches Brechen des eigenen Willens, so peinlichen Gehorsam, so strenge Zucht, so viele körperliche Strafen, so viele formelle und mönchische Grundsätze ein, daß die Glieder seiner Gemeinschaft eine sehr schwierige Stellung hatten. Eustasius unterzog sich derselben mit Freudigkeit. Als Columbanus im Jahre 610 aus seinem Wirkungskreise vertrieben wurde, weil er sich der Unordnung und Sittenlosigkeit widersetzte, welche am Hofe des Königs Dietrich II. eingerissen war, und namentlich dadurch die Königin Brunhilde verletzt hatte, durfte ihn Eustasius in die Verbannung nicht begleiten; vielmehr blieb er in Lureuil zurück und wurde bald zum Abte dieses Klosters ernannt. Fünfzehn Jahre blieb er an der Spitze des Klosters und diente den Zwecken desselben ganz im Sinne seines Meisters, dessen Grundsätzen er während seines ganzen Lebens treu blieb. Fast 600 Mönche hat er in dieser Zeit geleitet, und theils unter ihnen manche würdige Freunde gefunden, theils ausgezeichnete Männer für ihren Beruf vorgebildet, die ihm mit ganzer Seele ergeben blieben. Lureuil gewann durch ihn hohen Ruhm und große Bedeutung in jenen Tagen und hat durch seine fortgesetzten Bemühungen unter allen Gründungen des Columbanus in Gallien am tiefsten auf die Zeitgenossen eingewirkt.

Aber seine Thätigkeit blieb nicht auf dieses Kloster eingeschränkt.

Als König Chlodwig zur Regierung gekommen war, wünschte er Columbanus wieder nach Gallien zurückzuführen. Zu diesem Behuf sendete er Eustasius nach Bobbio bei Pavia, wo Columbanus unter den Longobarden in der alten Weise wirkte, und trug ihm auf, durch Bitten und Ueberredungen denselben für seine Wünsche zu gewinnen. Alles aber war vergebens, da Columbanus an dem ihm von Gott angewiesenen Berufe festzuhalten entschlossen war. Eustasius kehrte mit wichtigen Briefen an den König zurück und hatte wenigstens die hohe Freude genossen, den alten geliebten Lehrer wieder zu begrüßen, und aus diesem letzten Zusammensein neue Kräfte für seine Lebensaufgabe geschöpft.

Mit dem Mönche Agil, einem seiner vertrautesten Schüler, wurde er von einer fränkischen Synode 613 zur Ausführung einer Missionsreise abgesandt, welche beide, weil sie auch Columbanus Wünschen entsprach, gern übernahmen. Sie besuchten zuerst die Waraster, welche am Doubs wohnten, sodann die Bayern, vorzüglich an der Donau, und bekehrten viele Glieder dieser Nationen zum Christenthum, ohne daß wir Genaueres darüber zu berichten wüßten.

Die letzten Jahre des Eustasius wurden durch eine Streitigkeit getrübt, welche ihm aus dem eigenen Kreise entstanden war. Ein Mönch Agrestius, früher Secretair des genannten Königs Dietrich II., hatte plötzlich allen seinen weltlichen Beschäftigungen und Besitzungen entsagt, war Mönch geworden und wollte als Missionar wirksam sein, ohne die rechte Vorbereitung zu haben. Wie Eustasius vorhergesagt, war seine Reise zu den Bayern fruchtlos. Da wandte er sich zu andern Ansichten und bekämpfte seinen Lehrer und Freund.

Columbanus Regel hatte einige Abweichungen von den römischen Gebräuchen in Gallien eingeführt. Diesen Eigenthümlichkeiten, welche Eustasius von Columbanus angenommen hatte, setzte sich Agrestius entgegen. Auch dafür ward eine Synode berufen, in der eine Versöhnung zu Stande kam, welche aber, weil ungern von Agrestius angenommen, bald wieder aufgehoben wurde. Erst Agrestius Tod endete die daraus hervorgehenden Kämpfe, welche sich lediglich auf vorgeschriebene Gebete, Tonsur und andere Aeußerlichkeiten bezogen, an denen viele nicht unbedeutende Geistliche für und wider Eustasius Theil nahmen.

Eustasius führte ein sehr thätiges Leben: wir haben zu bedauern, daß die Wundererzählungen des Mönches Jona aus Bobbio der Biographie fast allen andern Stoff entzogen haben. Deßungeachtet beobachten wir in ihm eine Lebensreinheit, wie wir sie in jener Zeit selten bemerken, eine Weisheit in der Behandlung der Gemüther, ein Vertrauen auf die innern Kräfte des Gebets, eine immer bewährte Bereitwilligkeit zu Liebesthaten, welche uns von seinem Charakter ein erfreuliches Bild gibt. Er hat viele Herzen gewonnen und durch seine Schüler und gleichgesinnten Zeitgenossen, auch Frauen, wie die Aebtissin Fara oder Burgundofara, seine Wirksamkeit erweitert und über den Tod hinaus fortgesetzt. Er blieb verehrt und hochgehalten, bis Gott ihn aus seinem mühevollen Berufe durch einen sanften Tod abrief, der ihn in Lureuil in seinem Kloster mitten unter seinen Untergebenen traf. Er starb am 28. April des Jahres 625. Seine Gebeine ruhen in Vergaville unweit Dieuze in Lothringen in einer Benedictinerabtei. Nach seinem Scheiden erlosch bald die Regel des Columbanus; Benedicts Regel trat mit dem Vorwiegen Roms an ihre Stelle, nicht ohne das Bewußtsein davon, da sie wußte, daß sie mit der des Columbanus in so wesentlichen Dingen übereinstimme: die Männer Irlands aber und ihre Genossen haben sich bis auf den heutigen Tag den Ruf ächter Liebe zum Herrn und einer darauf gegründeten folgenreichen Wirksamkeit erhalten.

 

  1. Ranke in Berlin.