die ersten Missionare der Brüdergemeinde in Westindien.
Der Herr Zebaoth rüstet ein Heer zum Streit (Jes. 13, 14.)
Der Graf von Zinzendorf hatte schon im Jahre 1715 auf dem Pädagogium in Halle mit seinem Herzensfreunde Friedrich von Wattewille einen Bund gemacht zur Bekehrung der Heiden, und zwar nur solcher, an die sonst Niemand sich machen würde. Dieser Bund war lange ohne Thaten geblieben. Im Jahre 1728, als die Brüdergemeinde sich schon auf seinen Gütern angesiedelt hatte, fanden des Grafen Gedanken bei der Gemeinde Anklang. Manche wurden willig gemacht, Hand ans Werk zu legen, wenn der Herr ihnen Gelegenheit dazu geben würde.
Im Sommer 1731 begab sich Zinzendorf nach Kopenhagen, um der Krönung des Königs Christians VI. beizuwohnen. Diese Reise wurde für die Mission der Brüdergemeinde entscheidend. In dem Dienste des Oberstallmeisters, Grafen von Laurwig, diente ein Neger aus Westindien, Namens Anton, als Kammermohr. Er erzählte einigen Brüdern, die der Graf mitgenommen hatte, unter ihnen dem David Nitschmann, daß er schon oft in St. Thomas, einer westindischen Insel, einsam am Seeufer sitzend, Gott gebeten habe, daß er ihm Licht in seiner Finsterniß geben möge. Auf wunderbare Weise habe es Gott gefügt, daß er nach Kopenhagen gekommen, und hier im Christenthum unterrichtet und getauft sei. Er erzählte von dem Elende der Negersclaven auf St. Thomas, von ihrer Sehnsucht, und besonders von der Sehnsucht seiner Schwester Anna, Gott kennen zu lernen, ohne daß sie Zeit und Gelegenheit dazu hätte. Die Erzählung des Negers ging dem David Nitschmann durch die Seele. Zinzendorf hätte gern auf der Stelle Boten des Heils nach St. Thomas geschickt. Kurz darauf, nachdem der Graf nach Herrnhut zurückgekehrt war, erzählte er am 23. Juli der Gemeinde von dem Neger Anton, und von der Noth der Schwarzen auf St. Thomas. Durch seine Erzählung fühlten sich zwei junge Brüder, Johann Leonhard Dober und Tobias Leupold in ihrem Herzen angetrieben, diesen Armen das Evangelium zu verkündigen. Es waren innig verbundene Freunde; aber an diesem Tage sagten sie einander Nichts von dem, was in ihnen vorging. Am folgenden Morgen hatte Dober noch denselben Trieb, und als er sein Loosungsbüchlein aufschlug, traten ihm die Worte entgegen: „Es ist nicht ein vergeblich Wort an euch sondern es ist euer Leben, und das Wort wird euer Leben verlängern. 5. Mos. 32, 47. Denn wahrlich bleibt’s dabei, daß der wahrhaftige Zeuge heißt Amen mit dem Namen, und die Verheißung nur in Jesu Namen sei; Ja, Amen treuer Zeug‘! Ja, Amen, Amen.“ Dem Dober war es ein göttlich Amen auf die Gedanken seines Herzens. Am Abend ging er mit Leupold hinaus aufs Feld. Dober spricht von dem Bericht des Grafen, und von den Gedanken, die er in ihm erregt hatte. Da schließt auch Leupold sein Herz auf; alle Ungewißheit über ihr Vorhaben ist verschwunden.
Singend zogen die Beiden mit andern Brüdern nach Herrnhut zurück. Als sie zu des Grafen Haus kamen, trat dieser mit Magister Schäfer mitten unter sie, und sprach: „Herr Magister, hier unter diesen Brüdern sind Boten zu den Heiden in St. Thomas, Grönland, Lappland u. s. w.“ Beide erhielten durch diese wenigen Worte, die der Graf mit sichtbarer Glaubensfreudigkeit sprach, neuen Muth, und beschlossen, ihn mit ihrem Geheimniß bekannt zu machen. Bei verschlossener Thüre schrieben sie ihm von ihrem Vorsatz, und überreichten den Brief heimlich, der mit den Worten schließt: „Lieber Bruder, behalten Sie es bei sich, und überlegen es, und seinen Sie so gnädig, und lassen uns Ihre Gedanken darüber wissen! Der Herr aber führe uns allezeit recht, aber rauhe Wege!“ Der Graf las den Brief mit großer Freude, und theilte ihn ohne Nennung der Namen der Gemeinde mit.
Am 29. Juli langte der Neger Anton in Herrnhut an. In einer Gemeindeversammlung theilte er sein Anliegen in holländischer Sprache mit; der Graf war sein Dolmetscher. Er erzählte von dem Elend der Neger, von ihrer Blindheit und von ihren gräulichen Sünden. Viele, sagte er, würden die Botschaft vom Heilande mit Freuden aufnehmen; seine Schwester Anna sehne sich danach. Aber wegen ihrer vielen Arbeiten sei es schwer, ihnen nahe zu kommen, es sei denn, daß der Missionar selbst Sclave werde. Dober und Leupold erklärten, sie wären bereit, Sclaven zu werden, wenn sie dadurch nur Eine Seele gewinnen könnten. Aber ihr Vorhaben fand wenig Beifall in der Gemeinde. Es erschien ihnen als ein gutgemeinter Einfall junger Leute, der nicht auszuführen sei. Der Aelteste, Martin Linner, meinte, die Gemeinde könne seinen Gehülfen Dober nicht entbehren; er selbst war dem Grabe nahe, und gedachte in Dobers Hände sein Aeltestenamt niederzulegen.
So ging ein ganzes Jahr hin; alle Vorstellungen bei der Gemeinde waren vergebens. Da endlich fragte der Graf unsern Dober, ob er damit zufrieden sei, daß man den Willen des Herrn durch das Loos erforsche. Dieser antwortete: für ihn wäre es nicht nöthig; die Gemeinde möge thun, was sie für gut halte. er zog das Loos; es lautete: „Lasset den Knaben ziehen!, der Herr ist mit ihm.“ Jetzt war die Sache entschieden; die Gemeinde bestätigte Dobers Beruf; Linner ertheilte ihm in ihrem Namen den Segen. Leupold zog für dies Mal nicht mit. An seine Stelle war David Nitschmann getreten, der freudig Weib und Kind verließ, um die Mission unter den Negern beginnen zu helfen.
Am 21. August, Morgens drei Uhr, verließen die Heidenboten Herrnhut. Zinzendorf begleitete sie bis Bautzen, wo er ihnen seinen väterlichen Segen ertheilte. Ihre ganze Instruction war, sich in allen Dingen von dem Geiste Jesu Christi leiten zu lassen. Der Graf gab einem jeden einen Dukaten zur Reise; jeder hatte selbst vorher drei Thaler bei sich. Zu Fuße wanderten sie über Wernigerode, Braunschweig und Hamburg Kopenhagen zu. Unterwegs hatten sie manche Einwürfe gegen ihre Vorhaben zu hören. Die meisten hielten eine Mission unter den Negersclaven für unmöglich. Dober pflegte zu antworten: „Ich wundere mich selbst, wenn ich an mein Vorhaben denke; ich kann aber doch nicht anders, als meinem Triebe einfältig folgen, und dem Willen Gottes, wie ich glaube, dadurch dienen.“ Nur die edle Gräfinn von Stolberg in Wernigerode bewies sich ihrem Vorhaben geneigt, und unterredete sich theilnehmend mit ihnen. Sie sagte ihnen: „Gehet hin, und wenn sie euch auch todt schlagen um des Heilands willen, er ist Alles werth!“ Die Brüder langten am 15. September in Kopenhagen an. Auch hier hörten sie die so oft gemachten Einwendungen. Selbst Zinzendorfs Freunde wollten sie nicht unterstützen; sie meinten, arme Europäer wurden wegen der Theuerung der Lebensmittel in Westindien nicht bestehen können. so fragte sie der Oberkammerherr von Pleß: „Wie werdet ihr in St. Thomas durchkommen?“ Sie antworteten: Wir wollen als Sclaven mit den Negern arbeiten.“ Er sagte darauf: „Das könnt ihr nicht; das wird durchaus nicht zugelassen.“ Nitschmann erwiederte: „So will ich denn auf meinem Handwerk als Zimmermann arbeiten.“ – „Wie aber der andere, der Töpfer?“ – Nitschmann gab zur Antwort: „Den will ich schon miterhalten.“
Dazu kam, daß der Neger Anton jetzt ganz anders gesinnt war, als früher. Er hatte den Einflüsterungen Anderer sein Ohr geliehen und widerrief nun Alles, was er in Herrnhut von der Sehnsucht der Heiden gesagt hatte. Doch gab er ihnen, da er sie nicht von ihrem Vorhaben abbringen konnte, einen Brief an seine Schwester mit. In allen diesen Widerwärtigkeiten blieben die Brüder dem treu, der sie berufen hatte. Einmal befanden sie sich wegen ihres Fortkommens in der größten Verlegenheit. Da fiel ihnen die Stelle in ihrem Loosungsbüchlein in die Hände: „Sollte er etwas sagen, und nicht thun? Sollte er etwas reden, und nicht halten?“ Und alle Zweifel und Besorgnisse waren geschwunden.
Durch ihre Standhaftigkeit und Freudigkeit wurden nach und nach Manche in ihrer Ansicht umgestimmt. Die beiden Hofprediger Reuß und Blum wurden ihre Freunde, und gewannen andere vornehme Personen für das Unternehmen. Die Königinn bezeigte ihre Theilnahme; die Prinzessinn Charlotte Amalie ließ ihnen eine Beisteuer zur Reise und eine holländische Bibel zustellen. Einige Staatsräthe entließen sie mit den Worten: „So geht denn in Gottes Namen! unser Heiland hat Fischer erwählt, sein Evangelium zu predigen, und er selbst war ein Zimmermann, und eines Zimmermanns Sohn.“ Durch Vermittlung des königlichen Mundschenken Martens ließ sich der Kapitän eines holländischen Schiffes bereit finden, sie mit nach St. Thomas zu nehmen. DasUeberfahrtsgeld bezahlten Freunde in Kopenhagen; sie versorgten den Nitschmann auch mit dem nöthigen Zimmerhandwerkszeug. So stachen sie am 8. Oktober 1732 in See. –
Als sie am 13. Dez. in St. Thomas ans Land stiegen, hieß die Loosung des Tages: „Der Herr Zebaoth rüstet ein Heer zum Streit. (Jes. 13, 14.)
Rüstet euch, ihr Christenleute,
Die Feinde suchen euch zur Beute,
Ja, Satan selbst hat eu’r begehrt.“
Am folgenden Tage, einem Sonntage, überlegten die Brüder, wie sie sich in dem fremden und theuren Lande am besten einrichten könnten. Sie sollten bald erfahren, wie sich ihre heutige Loosung: „Er macht es wunderbarlich; wir aber sehen ihm zu;“ (Richt. 13, 19.) an ihnen erfüllen sollte. Noch rathlos, was sie thun sollten, empfingen sie die Einladung eines Pflanzers Lorenzen, in sein Haus zu kommen, er wolle sie mit Allem versorgen. Ohne ihr Wissen hatte sie nämlich ein Freund in Kopenhagen an denselben empfohlen. Ein schwerer Sorgenstein war dadurch von ihrem Herzen genommen. Noch an demselben Tage begannen sie die Missionsarbeit. Zunächst wurde die Schwester Antons, Anna, aufgesucht. Sie diente mit ihrem Bruder Abraham auf einer Plantage. Sie lasen ihr den Brief Anton’s vor, worin er seine eigene Bekehrung erzählte, und sie ermahnte, seinem Beispiele zu folgen. In dem Briefe kam die Stelle vor: „Das ist aber das ewige Leben, daß sie dich, daß du allein wahrer Gott bist, und den du gesandt hast, Jesum Christum, erkennen.“ In einem Gemisch von Deutsch und Holländisch verkündigten sie den Negern die Erlösung durch Christum; sie setzten ihnen auseinander, daß dies nicht bloß die Weißen angehe, sondern auch die Schwarzen. Den Sklaven ging ein neues Licht auf; freudiges Händeklatschen war ihre Antwort. Sie hatten bisher gemeint, nur für die Weißen sei Jesus in die Welt gekommen. einen riesen Eindruck von dem Tage nahmen Anna und Abraham mit; von der Stunde an sahen sie die Missionare als Boten des Himmels an.
Das war ein verheißungsvoller Tag. Die Freudigkeit und der Muth der Brüder wuchs. Sie besuchten die Neger an den Sonnabenden und Sonntagen, und erwarben sich nach und nach ihr Zutrauen und ihre Liebe. Dazu trug besonders die Herzlichkeit im Umgange bei, welche die Brüder mit der Verkündigung des Evangeliums verbanden, und welche einen um so größern Eindruck machen mußte, da die Neger sonst von den Weißen wie die Hunde behandelt wurden. Bei den weißen Einwohnern gingen die Brüder durch gute und böse Gerüchte. Die Einen ehrten und achteten sie, daß sie um Christi und der Heiden Seligkeit Vaterland und Freundschaft verlassen hatten; die Andern verspotteten sie als Thoren, ja schalten sie als Verführer, die man je eher, je lieber aus dem Lande fortjagen müßte. Selbst die Neger lachten, wenn ein Mann von ihrem Elende sprach, der viel ärmer und unglücklicher sei, als sie selbst. Doch das waren Beide ja schon gewohnt, und ließen sich nicht irre machen, sondern fuhren fort, in des Herrn Namen an den Seelen der Heiden zu arbeiten. Beide hatten zu leiden von dem ungesunden Klima, und hatten mehrere heftige Anfälle von Krankheiten zu bestehen.
Für ihr äußeres Fortkommen hatte vorerst Lorenzen gesorgt, da er sie in sein Haus aufnahm. Da es sie aber schmerzte, auf Kosten eines Andern zu leben, so hatte Nitschmann sein Zimmerhandwerk betrieben, und so Beide unterhalten. Jedoch sein Auftrag von der Gemeinde ging nur dahin, Dober nach St. Thomas zu begleiten, hier ihm die ersten Einrichtungen treffen zu lassen, und dann nach Herrnhut zurückzukehren. So mußte letzterer darauf bedacht seyn, selbst sich sein Brod zu verschaffen. aber alle seine Versuche, sein Töpferhandwerk zu treiben, mißlangen, theils wegen des schlechten Thons, theils weil er keinen ordentlichen Brennofen hatte. Nichts desto weniger wollte er Nitschmann, als sich im April 1733 eine Schiffsgelegenheit nach Kopenhagen zeigte, nicht zurückhalten, besonders da ihm der Gedanke an Frau und Kinder desselben, die er in Herrnhut zurückgelassen hatte, große Sorge machte.
Die Freunde setzten Dober zu, mit nach Europa zurückzukehren; es würde ihm ja unmöglich seyn, ohne Nitschmann auf St. Thomas zu bestehen. Aber er war der festen Zuversicht, daß der Herr ihn nicht verlassen, noch versäumen werde. Seinen freudigen Muth drückt er in einem Briefe an die Gemeinde in Herrnhut aus, den er Nitschmann mitgab: „Er ist Haupt, und wir sind Glieder. Ich habe manche Angst gehabt, und doch keine Leiden; der Heiland sei dafür gelobt! Es hat mir zum Nutzen und zur Stärkung gedient. Und wenn ich den ganzen Weg betrachte, den mich der Herr geführt hat, so muß ich sagen: ich bin viel zu wenig aller der Vatertreue. Denn er hebt und trägt der Seinen kleine Zahl; und es hat sich doch auch schon bewiesen und gezeigt, daß Er es ist, der uns gesandt hat, obwohl wenige dem Evangelio gehorsam sind. Ich bitte euch, geliebteste Brüder, daß ihr meiner gedenkt, und kämpfen helfet über dem Evangelio und meinem Beruf, den ich auf den Heiland angefangen habe, daß ich darin treu sey, und der Herr die Herzen öffnen möge. Denn ich glaube, daß ich durch die Handreichung eures Gebets, und durch die Gnade unseres Heilandes nicht werde zu Schanden werden in meiner Hoffnung.“ Am 24. Juli sah Nitschmann die Seinigen in Herrnhut wieder.
Nun war Dober allein auf St. Thomas. Seine äußere Lage gestaltete sich nach des Bruders Abreise günstiger, als seine Freunde erwartet hatten. Etwa drei Wochen nach Nitschmanns Abreise wurde ihm von dem neuen Gouverneur der Insel, Gardelin, angeboten, Haushofmeister bei ihm zu werden. Er nahm das Amt unter der Bedingung an, daß er dadurch in seinem Missionsberufe nicht beschränkt werden sollte. Er hatte jetzt ein glänzendes Auskommen, aber er fühlte sich nicht glücklich. In einem Briefe aus dieser Zeit spricht er mit Besorgniß und Scham über seine Stellung. Er sagt: „Die Schiffsleute, die mich bisher so verspottet hatten, verwunderten sich darüber, und preisten mich glücklich; mir aber war etwas ängstlich dabei, wiewohl mir mein Herr gleich Erlaubniß gegeben, zu gewissen Zeiten auszugehen, wohin ich wollte, wenn ich nur meine Sachen in Ordnung hielte. Da war ich nun einige Zeit, hatte Eine Tafel mit dem Gouverneur, und mit Einem Worte, wie die Leute sagen, was man sich wünschen kann. Ich schämte mich aber so sehr, daß es meinem ersten Plane nicht gemäß war, nämlich ein Sklave auf St. Thomas zu seyn; und die ganze Lebensart war mir so ungewohnt und unangemessen, daß ich manchmal ganz betrübt darüber war. Ich mußte mein Herz darüber zufrieden stellen, daß ich gewiß wußte, es wäre nach des Herrn Führung geschehen. Denn ich hatte einen festen Bund mit ihm gemacht, keine Condition bei irgend Jemand zu suchen, sondern mich kindlich und blindlings seiner Providenz zu überlassen.“
Nachdem er eine Krankheit zu Anfang des Jahres 1734 überstanden hatte, bat er Gardelin um seine Entlassung. nur ungern entließ ihn dieser. Am 19. Januar 1734 schieden die Beiden. Dober zog nach Tappus. Seinen Unterhalt verdiente er sich mit Wachen. Im Hause des Gouverneurs hatte er im Ueberfluß gelebt, jetzt war er wieder in Armuth versetzt; Brod und Wasser waren meist seine einige Kost. Doch das wog die Freude reichlich auf, daß er jetzt nach Herzenslust an seinen Negern arbeiten konnte. Ueber Anna und ihren Mann, der auch angefangen hatte, auf den Weg des Lebens zu merken, und über Abraham konnte er sich herzlich freuen. Denn es zeigten sich deutliche Spuren von ihrem Wachsthum in der Gnade und Erkenntniß des Heilands. Konnte Anna doch schon folgendes Bekenntniß ablegen: „Wenn ich die ganze Welt haben könnte, und mich das vom Heiland abhielte, so wollte ich mir nicht die Mühe geben, und sie ansehen.“ und ein anderes Mal, als Dober sich nach ihrem Befinden erkundigte, antwortete sie: „Gott sei Dank! ganz wohl. Ich habe zwar den ganzen Tag vor Arbeit keine Zeit gehabt, mein Gebet mündlich zu thun; ich habe aber allezeit in meinem Herzen zum Heilande gerufen. Ich danke Gott für seine Gnade, daß ich mitten unter Andern bei ihm seyn kann.“
Im April 1734 änderte sich Dobers Lage von Neuem. Er nahm das ihm angetragene Aufseheramt auf einer Baumwollenplantage an. Achtzehn Neger waren unter seine Leitung gestellt. Dies schien seine Missionsarbeit zu begünstigen. Während sich ihm sie eine schöne Zukunft eröffnete, waren die Boten schon unterwegs, ihn abzurufen. Er hatte nun schon anderthalb Jahre lang keine Nachricht von Herrnhut bekommen. Am 11. Juni hörte er, daß ein Schiff angekommen sei. Da er eine kleine Meile vom Hafen entfernt wohnte, so schickte er einen Neger dahin ab, sich zu erkundigen, ob für ihn Nachrichten angekommen wären. Weil ihm dieser zu lange blieb, so ging er am Abend selbst hinaus, und setzte sich an ein Wachtfeuer, um die Ankunft des Negers zu erwarten. Auf einmal stand sein Herzensfreund Tobias Leupold nebst zwei andern Brüdern vor ihm. Dobers Freude war groß; sein Geist wurde ganz lebendig. Sie brachten die ganze Nacht mit einander im Gespräch zu, und es dünkte ihnen, als wäre es nur eine halbe Stunde gewesen. Es waren im Ganzen 14 Brüder und 4 Schwestern angekommen, die eine Colonie gründen, und die Neger den Heilsweg lehren wollten. Aber Dobers Wunsch, mit ihnen die Mission zu treiben, blieb unerfüllt. Die Brüder brachten im seine Berufung zum General-Aeltestenamte in Herrnhut; die Gemeinde erwartete seine Abreise mit der nächsten Schiffsgelegenheit.
Dober mußte folgen, obgleich es ihm wehe that. Noch im Monat Juni trat er aus seinem Amt auf der Plantage, um den Brüdern in Tappus mit Rath und That beizustehn.
Rührend war der Abschied von seinen Negern. Unter vielen Thränen empfahl er sie im Gebet dem Herrn. Er ermahnte sie zur Standhaftigkeit, zur Treue, zum Bleiben in dem, was sie gelernt hatten. mit einem Negerknaben von sieben Jahren, Oly, bestieg er am 12. August dasselbe Schiff zur Heimreise, welches die andern Brüder nach Westindien gebracht hatte. Am 5. Februar 1735 langte er wohlbehalten in Herrnhut an.
Das ist der Anfang der Mission der Brüdergemeinde in Westindien. Wie klein, wie arm ist er! In zwei Jahren waren nur vier Seelen gewonnen. Aber außer ihnen fanden sich gar manche Herzen, auf die der gute Same, den Dober unter Gebet und Thränen ausgestreut hatte, nicht vergebens gefallen war, sondern in welchen er nach seiner Abreise aufging, wuchs und Frucht brachte. Dieser kleine Anfang ist zu einem großen, prächtigen Baum erwachsen, sodaß viele tausend Neger sich von Herzen zu ihrem Gott und Heilande bekehrt haben.
Dober blieb nach seiner Rückkehr nicht immer in Herrnhut. Von ihm ging der erste Versuch der Brüdergemeinde zu einer Mission unter Israel aus. In den Jahren 1738 und 1739 hielt er sich mit seiner Frau in Amsterdam auf, und harrte der Zeit, wo ihm die Thür zu den verlorenen Schafen vom Hause Israel werde aufgethan werden. er wohnte in der sogenannten Judenhoeck in großer Armuth und saurer Arbeit, um sein eigen Brod zu essen, und verbrachte seine Zeit mit Beten, Weinen und Danken. Bezeichnend für ihn sind die Worte, die sich in einem seiner Briefe finden: „So herrlich es auch in der Gemeinde aussieht, so kann ich doch bei meinem Loose nicht fröhlich seyn, bis ich auch meinen Zweck an den Juden erhalten habe.“
Im Jahre 1741 legte er das bisher geführte General-Aeltesten-Amt nieder, und stand den Brüdergemeinen in England und Holland vor. Später wurde er zum Bischof der Brüdergemeinde geweiht. Er starb am 1. April 1766 zu Herrnhut. Wir müssen uns jetzt noch einmal nach David Nitschmann umsehen. Er wurde am 13. März 1735 in Berlin zum ersten Bischof der ev. Brüdergemeinde geweiht. Im J. 1742 war er zum zweiten Male in St. Thomas, und wurde auf der Rückreise nach Europa spanischer Gefangener. Die letzten Lebensjahre brachte er zu Bethlehem in Pennsylvanien zu, woselbst er schon früher Land gekauft, und die ersten Häuser hatte bauen helfen. Das Wohlergehn der Brüdergemeinde lag ihm sehr am Herzen, und wenn er etwas sah, oder hörte, das dem entgegen stand, so schmerzte es ihn auf das Empfindlichste. Er blieb unverrückt bei der alten Einfalt der ersten Brüder, und bei einer äußerst einfachen Lebensweise. Dabei war er ein abgesagter Feind alles Großthuns und jeder Gleichstellung mit der Welt. Ein Schlagfluß, der ihm die Zunge gänzlich lähmte, wurde nach einem nur dreitägigen Krankenlager in seinem 76. Lebensjahr die Veranlassung seiner Vollendung. Er starb am 8. Oktober 1772.
Dr. Theodor Fliedner, Buch der Märtyrer, Verlag der Diakonissen-Anstalt zu Kaiserswerth, 1859