Corbinian

Sanct Rupert ist als der Apostel Alt-Baierns zu betrachten, sofern er, nach vereinzelten Anfängen der Christianisierung durch Eustasius, Agilus und andere in dem Land zwischen Donau, Lech und Enns um das Jahr 700 das Werk der Bekehrung vollendet hat. Dieses Werk zu befestigen und auch für Bayern die durchgreifenden Schritte des großen Apostels der Deutschen, Bonifacius, vorzubereiten, war die Aufgabe des heiligen Corbinian, der, als sie ungesucht, vielleicht unter fränkischem Einfluß, ihm geworden war, das Werk mit dem ganzen Eifer eines strengen, nächst dem Herrn der Kirche nur Rom über sich erkennenden Asceten erfaßte.

Corbinian ist zu Chartres, bei Melun an der Seine, als der Sohn eines gewissen Waldekise und einer frommen Mutter Corbiniana nach der Mitte des siebenten Jahrhunderts geboren. Der Vater starb vor des Kindes Geburt; Corbiniana ließ ihn in der Taufe nach dem Vater nennen, gab ihm aber in der Folge ihren eigenen Namen. In strenger Zucht und ernster Bußübung, unter anhaltendem Studium, besonders der heiligen Schrift, wuchs der Knabe heran. In reiferen Jahren bezog er in seinem Heimathsort, um ganz der Beschaulichkeit und der Unterweisung frommer Jünglinge zu leben, bei der Kirche des heiligen Germanus von Paris eine Wohnung für sich und wenige Schüler. Aber bald strömte das Volk in Scharen herbei, ihn predigen zu hören, seine Uebung der Barmherzigkeit durch reiche Spenden zu unterstützen. Arme und Reiche empfahlen sich seiner Fürbitte; selbst der Majordomus Pippin schickte mit solcher Bitte einen Vertrauten zu Corbinian. Als der Zulauf immer größer wurde, machte ihn der Verlust der Einsamkeit und Armuth ganz unglücklich. Vierzehn Jahre hatte er in seiner Zelle gelebt, da beschloß er, beim heiligen Stuhl in Rom für sich und seine Genossen einen verborgenen Winkel zu erbitten, wo er wieder in Stille dem Dienste seines Herrn leben könnte. Aber der Papst erkannte seinen reinen Eifer und seine hohe Begabung und wollte nicht, daß ein solches Licht unter den Scheffel gestellt werde. Daher weihte er ihn zum Priester und führte ihn rasch durch die einzelnen Grade empor zur bischöflichen Würde. Corbinian unterwarf sich demüthig der nicht gesuchten Ehre und nahm das Pallium an, welches ihm als wanderndem Bischof ein freies Wirken an beliebigem Orte zuwies. So kehrte er nach Gallien zurück, und wieder floß die Rede von seinen Lippen wie Honigseim vor Versammlungen aus allen Ständen. Auch am Hofe wird er mit Ehren überhäuft. Aber am glücklichsten ist er in seinem Gotteshaus, wo er der Andacht, dem Predigtamt und der Wohlthätigkeit lebt, bis der Zudrang der Gläubigen ihn nach sieben Jahren zur abermaligen Flucht nöthigte. Wieder wollte er in Rom Hilfe suchen. Diesmal reiste er, statt durch das von seinem Ruf erfüllte Frankreich, durch Alemannien und Baiern, im letzteren Lande da und dort dem neubekehrten Volke predigend (um 721). Herzog Theudo versucht vergeblich, ihn als Bischof in seinem Fürstenthum (in Regensburg?) festzuhalten. Auch Grimoald, Theudo’s Sohn, der in Freising als Herr von Oberbaiern residierte, vermochte nicht, ihn für seine Landeskirche zu gewinnen. Darum gab er dem Geleite, welches den Reisenden über die Alpen bringen sollte, den Auftrag, an der bairischen Grenze – in Süd-Tyrol – Anstalten zu treffen, daß Corbinian auf der Heimreise wenn nöthig mit Gewalt, nach Freising zurückgebracht werde. In Pavia erweist der Longobardenkönig dem trefflichen Prediger hohe Ehre und sorgt für sicheres Geleite bis zum Ziel der Reise. Hier, in Rom, trägt Corbinian dem Papst, zuerst beim allgemeinen Empfang, dann unter vier Augen seine Bitte um Aufnahme in ein Kloster oder um Erlaubniß, in die Einöde zu gehen, auf’s beweglichste vor. Der Papst befragt seine Räthe, welche einstimmig sich dahin äußern, daß eine solche Kraft einer weiteren Wirksamkeit erhalten werden müsse. Traurig, aber mit dem Gehorsam eines Sohnes, schied der abermals in seiner Hoffnung Getäuschte. Als er sich wieder auf bairischem Boden befand, ward er zu Majas, dem Befehl des Herzogs Grimoald gemäß, gefangen genommen und an den Hof in Freising gebracht. Er weigert sich, vor dem Herzog zu erscheinen, so lange er seines Bruders Theudobald Witwe Piltrud als Weib besitze. Da der gestrenge Mann beiden keinen Zweifel an seiner auch vor dem Geschick eines Johannes des Täufers nicht zurückbebenden Entschiedenheit läßt, unterwerfen sie sich seinem Gebot. An der Marienkirche zu Freising errichtete nunmehr Corbinian seine bischöfliche Kathedra, erbaute auf einem Berge neben der Stadt eine Kirche zu Ehren St. Stephans, um welche sich bald die Benedictiner-Abtei Weihenstephan erhob; und in Majas, wo er bei den Gebeinen St. Valentins gebetet, läßt er diesem ein Gotteshaus errichten. Noch wurzelte das Leben seiner Umgebung tief im alten Heidenthum. Sein Verhältniß zum Hof war auch nach der Trennung des fürstlichen Paares durch den Haß der Herzogin und durch Corbinians fast überstrenges Eifern für kirchliche Zucht fortan gefährdet. Einst war er zur herzoglichen Tafel geladen und hatte, ehe man sich niederließ, die Speisen mit dem Kreuzeszeichen gesegnet. Während des Essens warf der Herzog nach Gewohnheit seinem Lieblingshund ein Stück Brot zu. Alsbald sprang der Bischof auf, stieß den mit silbernen Gefäßen bedeckten Tisch um und eilte davon, weil des Segens unwerth sei, wer ihn den Hunden vorzuwerfen sich nicht scheue, und er mit einem solchen das Brot nicht mehr theilen könne. Das wollte die verstoßene Herzogin sofort für ihre Zwecke nützen, indem sie Grimoald vorstellte, wie sehr sein fürstliches Ansehen unter solcher Schmach leide und wie er des Bischofs sich entledigen müsse. Aber der Herzog hielt für besser, dem Erzürnten Genugthuung zu leisten. Bald darauf reizte Corbinian den Haß des rachedürstenden Weibes noch mehr. Eines Abends begegnete er auf dem Weg zur Marienkirche einer Frau vom Lande, welche bei ihm schon früher wegen Ausübung von mancherlei Zauberkünsten verdächtigt worden war: Männer, mit reichen Geschenken beladen, folgten ihr. Auf die Frage des Bischofs, woher sie komme, antwortete das Weib: vom Hofe, wo sie das Söhnlein des Herzogs durch ihre Sprüche und Künste gesund gemacht und mit diesen Geschenken belohnt worden sei. Auf’s höchste erbittert springt Corbinian vom Pferd, züchtigt das Weib mit eigenen Händen und vertheilt ihre Geschenke am Thore der Stadt unter die Armen. Heulend, mit blutigem Antlitz und aufgelösten Haaren eilt die Mißhandelte zu Piltrud, welche jetzt den Todfeind rasch zu verderben beschloß. Ihr Geheimschreiber soll mit einigen Dienern den Bischof ermorden. Aber Erimbert, Corbinians Bruder, erfährt das Geheimniß und warnt den Bedrohten, worauf dieser mit seinem Clerus nach Majas entfloh (um 724). Vergeblich schickte Grimoald Gesandte dahin ab, Corbinian zurückzurufen. Dieser ließ antworten: die gottlose Isebel werde in die Grube, welche sie ihm gegraben, selber fallen und auch des Herzogs Tage seien gezählt. Rasch erfüllte sich die Ankündigung. Der Sohn und Erbe des Throns stirbt; die Franken unter Carl Martell fallen in’s Land ein, siegen in einer großen Schlacht und führen die Herzogin mit vielen Schätzen weg; Grimoald fällt durch Meuchelmord, während Piltrud in Italien im Elend endet. Das Herzogthum kam an Grimoalds Neffen Hucbert, der wieder ganz Baiern, aber in strenger Abhängigkeit vom Frankenreich, unter sich vereinigte. Nach seiner Thronbesteigung ist eine der ersten Sorgen Hucberts, den flüchtigen Corbinian an seinen Hof zurückzurufen und in alle Ehren wiedereinzusetzen. Doch nicht mehr lange sollte Corbinian sie genießen. Als er fühlte, daß sein Lebensende herannahe, ließ er durch seinen Bruder und designierten Nachfolger Erimbert bei dem Longobardenkönig Schutz für seine Stiftung in Majas, als seine letzte Ruhestatt, erwirken, und bestellte sein Amt und Haus. Noch am Tage seines Todes las er die Messe und nahm die heilige Wegzehrung, worauf er, kaum nach Hause zurückgekehrt, schmerzlos verschied (730, nach der kirchlichen Tradition am 8. September). Seine Priester bestatteten die Leiche, gegen das Testament, in der Marienkirche zu Freising. Aber anhaltender Regen zwang die Einwohner der Stadt, den letzten Willen des Todten zu ehren und die Leiche nach Majas, wo Corbinian neben St. Valentin ruhen wollte, zu verabfolgen. Als jedoch des Letzteren Gebeine durch die Longobarden nach Trient und durch eine longobardische Königstochter, welche den Baiernherzog Thassilo heirathete, nach Passau kamen, erwachte auch in den Freisingern wieder der Wunsch nach den Reliquien ihres Heiligen. Aribo, der dritte Nachfolger des Bischofs Corbinian, derselbe, dem wir auch die Lebensgeschichte seines großen Vorgängers verdanken, legte den Antrag auf Zurückführung der Gebeine einer Synode vor, und diese willigte ein, durch mancherlei Zeichen und Träume bestärkt (um 769). Damals hatte Bonifacius, in wiederholtem Besuch Baierns, die kirchliche Organisation des Landes unter den vier Bisthümern Salzburg, Passau, Regensburg und Freising längst vollendet; und wenn das im Uebrigen weit weniger begünstigte Freising fortan Jahrhunderte lang mit den glänzenderen Schwestern wetteifern konnte, so verdankte es dies zumeist seinem ersten Bischof, dem Franken Corbinian.

J. Hartmann in Schönthal in Württemberg.