Das Land Iberien liegt wohlgeborgen zwischen zwei großen Meeren und zwei großen Gebirgsketten: in der Richtung von Osten nach Westen zwischen dem kaspischen und schwarzen Meere, nach beiden Seiten von Bergen gedeckt: in der Richtung von Norden nach Süden zwischen den kaukasischen und armenischen Bergen. Die Nachbarschaft könnte an die heidnischen Sagen erinnern, welche schon die Knaben in der Schule zu lernen anfangen, ohne in den tieferen Sinn einzubringen, an die Sage vom Prometheus und seiner Strafe im Kaukasus, an die Fabeln von Kolchis und Phasis, von dem goldnen Vließe und der Argo, von Jason und Medea. Iberien ist später unter dem Namen Georgien bekannter geworden: und jetzt bildet es die russische Provinz Grusien. Der Landstrich ist von der Natur reichlich ausgestattet. Getreide, Wein und Oel gedeihen in Fülle und in vorzüglicher Güte. Und wer hätte nicht von der Schönheit der Menschen in Georgien am Kaukasus, den südlichen Nachbarn der Tscherkessen, etwas gehört? Der Hauptstrom hieß sonst Cyrus, jetzt Aur. Die Hauptstadt ist jetzt Tiflis: in den ältesten Zeiten war die Hauptstadt Mtskhetha (Mezchita) genannt, in uralter Zeit von Mitsthethos erbaut. Aber welche Veränderungen sind seit zwei Jahrtausenden über das Land ergangen! und wie ist es jetzt beschaffen? Seit 1807 befinden sich die sämmtlichen Archive des Landes mit allen historischen und wissenschaftlichen Schätzen in Petersburg. Damit scheint die Geschichte des alten Landes Iberien für jetzt abgeschlossen zu sein.
In eben diesem Lande Iberien finden wir am Anfange des vierten christlichen Jahrhunderts mitten unter dem heidnischen Volke eine christliche Magd, von welcher uns noch aus demselben Jahrhundert durch einen Fürsten dieses Landes, Namens Bacurius, wohlverbürgte Kunde zugekommen ist, aber nicht ihr Name: darum heißt sie Christiane d. h. Christin. Sie war entweder durch Kriegsgefangenschaft in die Iberische Sklaverei gerathen, oder durch ein anderes widriges Ereigniß zur Flucht gezwungen und auf dieser der Dienstbarkeit in der Fremde verfallen. Ohne Zweifel stammte sie aus dem benachbarten Lande Armenien, in welches schon seit dem zweiten Jahrhunderte die Botschaft von Christo wenigstens einigen Eingang gefunden und endlich auch den König des Landes gewonnen hatte. Aber in Iberien war es noch finstre Nacht, als die Jungfrau daselbst ankam, wie ein Licht an einem dunkeln Ort. Zunächst war es der schlichte Wandel im einfältigen Glauben, mit welchem sie zeugte, treu, nüchtern, züchtig, wie sie war: sie fastete, sie betete, sie blieb oft in der Stille, entfernt von dem Treiben der Menschen: das mußte befremden, der Abstand gegen das heidnische Leben trat auch ohne Wort hervor. Man fragte bald: woher kommt das? Ihre Antwort war: Nicht aus mir selber! Und nun zeugte sie auch durch das Wort von Christo, dem wahrhaftigen Gotte, wie einst Petrus. (Matth. 16,16.) Die Heiden verwunderten sich, denn es war ihnen ein Neues: aber das war auch alles, weiter reichte der erste Eindruck nicht. Später geschah es, so berichtet die Sage, daß ein todtkrankes Kind nach der Sitte des Volkes von der Mutter überall herumgetragen wurde, ob etwa Jemand ein Heilmittel gegen die Krankheit hätte. Die Mutter geht von Haus zu Haus; aber all ihre Mühe war vergeblich gewesen. In der Angst und Sorge geht sie nun auch zu der christlichen Magd. Diese nimmt das Kind und setzt es auf ihre Decke und betet darüber zum Herrn. Da wird das Kind gesund unter Anrufung des Namens Jesu Christi. So gibt sie es der Mutter zurück.
Das Gerücht von dieser Heilung geht von Mund zu Mund: es gelangt bald auch zu den Ohren der Königin, welche an schwerer und schmerzlicher Krankheit hart darnieder lag. Die Königin schickt nach der Jungfrau, aber diese scheut sich, nach dem Schlosse zu kommen: es dünkt ihr zu anmaaßlich und vermessen, und für das weibliche Geschlecht insbesondere nicht schicklich; sie war sich auch wirklich keiner eigenen Wunderkraft bewußt und wollte nicht damit sich selbst groß machen. Da läßt sich die kranke Königin in die Hütte der Magd tragen; und hier geschieht der hohen Patientin auf Anrufung des Herrn Jesus, wie dem kranken Kinde geschehen war: sie geneset alsbald. Die Magd aber verkündet, daß nicht sie, sondern Gott in Christo, welcher das Gebet in Christi Namen erhöre, der Kranken Gesundheit und frisches Leben wieder geschenkt habe. So kehrt die Königin erfreut und verwundert in ihren Palast zurück, sie eilt zum Könige; sie preiset Christum als ihren Arzt und Helfer, sie bittet ihren Gemahl, zum Dienste des wahren Gottes sich zu bekennen, und das Volk dazu anzuleiten. Der König freut sich des Wunders um der Gattin willen, aber er zögert, etwas weiteres zu thun: die Königin erinnert ihr Anliegen mehr als einmal, aber der König verschiebt die Ausführung stets auf eine gelegenere Zeit.
Endlich geschieht es, daß ihn auf einer Jagd mitten am Tage urplötzlich ein dicker Nebel wie die finsterste Nacht befällt. Er wird von seinem Gefolge getrennt, er kann nicht rückwärts, nicht vorwärts. In der Angst ruft er nach seinen Göttern, aber umsonst. Die Finsterniß wird immer drückender: er weiß nicht aus, noch ein. Da erinnert er sich des Herrn, der Gebete erhören kann, er ruft zu dem Gotte der Sklavin. Er betet zu Christo: wenn er wirklich Gott sei, wie die Sklavin seiner Gattin bezeuget habe, so möge er ihn aus dieser Finsterniß befreien; er gelobt zugleich auf ein solches Zeichen seinen unsichtbaren Erretter schuldigermaaßen anzubeten. Da wird plötzlich aus der Nacht wieder lichtheller Tag, wie vorher aus hellem Tage plötzlich Nacht geworden war.
Der gerettete König eilt jetzt zu seiner Gattin zurück, um nun sein Gelübde und ihre Bitte zugleich zu erfüllen. Die Magd wird herbeigerufen: sie erzählt alles, was sie weiß, von der Offenbarung Gottes in Christo, sie erzählt, wie sie festiglich glaubt, von dem Heiland der Welt, in dem allein Heil ist. Sie gibt auch Unterricht, so gut sie kann, über christlichen Gottesdienst und christliche Gebetesweise.
Von der Botschaft ergriffen, predigen nun der König und die Königin selbst; durch ihn werden viele Männer gläubig, durch sie viele Frauen: so wird ausdrücklich berichtet.
Auf den Rath der Magd wird auch der Bau einer christlichen Kirche beschlossen; die fremde Jungfrau beschreibt die Form des Baues, so gut sie kann. Das Werk wird mit Eifer begonnen. Bald ist die Kirche vollendet und zum Gottesdienste zugerichtet.
Jetzt fehlte es nur noch an geweihten Priestern und an einem Bischofe. Auf den Rath der Jungfrau wurde deshalb eine Gesandtschaft an den Kaiser Konstantin abgeordnet. Der Kaiser gewährt die Bitte, denn er freute sich über diese Kunde viel mehr, als er sich über irgend einen Zuwachs fremder Reiche zur Römischen Weltherrschaft hätte freuen können. Ein alter armenischer Schriftsteller nennt die Jungfrau, um sie nicht ohne Namen zu lassen, Nunia; und den König nennt er Miranus. Nach ihm ist die Jungfrau eine der heiligen Frauen gewesen, deren Konvent durch ein widriges Ereigniß aufgelöset und zur Flucht genöthigt war, auf welcher Nunia nach der Hauptstadt Mezchita verschlagen ward.
Von dem weiteren Leben der merkwürdigen Jungfrau schweigen übrigens die Nachrichten gänzlich. Ihre Person tritt hinter der großen Angelegenheit, um die es sich handelt, mehr als in anderen Erzählungen gleicher Art zurück. Wie der Name, so bleibt auch das fernere Schicksal und das Ende der fremden Magd fremd und im Dunkel; es wird auch wohl dunkel bleiben, bis am Ende Alles wird offenbar werden.
Zunächst halten wir historisch daran fest, daß es eine geringe Frau war, welche zuerst für Iberien das Amt der Mission verwaltet hat. So waren es auch Frauen, welche zuerst herzutraten und gläubig wurden, erst eine Mutter mit ihrem kranken Kinde, dann die Königin des Landes selbst. Unter einer Königin, Namens Thamar, gelangte das Land auch später am Ende des zwölften Jahrhunderts zu seiner weitesten Ausdehnung vom schwarzen bis zum kaspischen Meere, und in politischer wie in kirchlicher Beziehung zu seiner höchsten Blüthe. Den Grund dazu hatte Niemand anders gelegt, als eine geringe Magd: ihrem Gedächtnisse ist im Römischen Heiligen-Kalender der 15. December gewidmet, statt ihres Namens wurde sie als die Magd oder die Christin eingezeichnet. Der 15. December gilt mithin als ihr himmlischer Geburtstag: er erinnert wie jeder Kalendertag an den Tod, der auch uns nahe bevorsteht zu einem neuen Leben. Aber er kann uns zugleich, so oft er wiederkehrt, als ein Missionsfest dienen: er mahnt namentlich an die Mission, die auch den Frauen zu ihrem Theile befohlen ist; er mahnt an die innere und äussere Mission zumal, denn Christiane war in der Lage, daß sie mit einer auch die andere übte. In der Erzählung selbst berühren sich, wie in allen historischen Anfängen, Geschichte und Sage oder schriftliche und mündliche Ueberlieferung treuherzig und einfältig mit gleicher Wahrheit. Der Inhalt der Geschichte mahnt zugleich an das wunderbare Verhältniß des Menschen zu Gott durch Christum, wie es im Gebete gegeben und durch das Wort Gottes offenbaret ist, wie es in der Gebetserhörung sich selbst offenbart. So erkennen wir auch an diesen Thatsachen, wie Gott denen, die ihn anrufen, über alles ihr Bitten und Verstehen gibt, welches geschieht, indem ihnen zu dem Erbetenen dasjenige mitgegeben wird, ohne welches das menschliche Herz bei Befriedigung aller einzelnen ausgesprochenen Wünsche dennoch im tiefsten Grunde unbefriedigt bleibt. Die um leibliche Gesundheit bitten, erhalten Heilung und Erquickung für die Bedürfnisse der Seele zur Genesung. Die in der Nacht um das helle Tageslicht bitten, empfangen zugleich einen hellen Schein in’s Herz, der in das ewige Leben reicht. Und wie das mangelhafte Gebet, so wird auch der mangelhafte Glaube mittelst des Gebetes ergänzt; denn auch die werden erhört, und mehr als erhört, die noch nicht glauben, so sie nur einfältig bitten, und den guten Willen haben zu glauben, wenn ihnen ein Zeichen wird durch Erhörung. So schlicht und einfach die Sage ist, so führt sie doch in die Tiefen des Wunders überhaupt, in welchem sich jene Welt mit dieser berührt, durch welches die niedere Welt erinnert wird an die obere und an die Wirklichkeit der obern Welt mittelst lautpredigender Zeichen. Zugleich eröffnet uns die Geschichte, wie sie uns überliefert ist, einen Einblick in die unterschiedenen Wege und Weisen, in welchen sich die Liebe Gottes zu den einzelnen Menschen herabläßt: sie lehrt uns, wie die suchende Gnade, bald aus Leicht- und Weltsinn abgewiesen, bald in gemächlicher Sicherheit überhört, endlich doch den Sieg behält, dem Ueberwundenen zum Segen. So sehen wir auch, wie Menschenwitz und Menschenkraft erst gebrochen und alle Höhen eigener Hülfe abgetragen werden müssen, ehe die Kraft Gottes in dem Schwachen mächtig werden kann.
So ist nicht minder historisch gewiß, daß mit dem Christenthum auch hier wie überall sittliche Hebung und wissenschaftliche Regsamkeit begann: es erwuchs nun auch allmählig eine nicht unergiebige Literatur, erst kirchliche, dann weltliche und poetische. Und es hat sich das Christenthum unter den Iberiern, seit jenen Anfängen in der ersten Hälfte des vierten Jahrhunderts, wenn auch unter manchen Wandelungen und Verirrungen, in orientalischer Weise erhalten bis auf diesen Tag.
C. F. Göschel in Berlin.