gest. 374.
Die griechische Kirche glänzte in den ersten Jahrhunderten im vollen Glanz der neuen Lehre und des neuen Lebens, das durchs Evangelium ans Licht gebracht worden ist. In welche Dämme der neue Lebensstrom eingeschlossen wurde, vielleicht eingeschlossen werden musste, damit er durch die Welt, die seiner nicht wert war, sicher hindurchgeleitet würde, und was die Frauen daran gearbeitet haben, das hat Basilius und Gregor mit ihrer Mutter und Schwester uns gezeigt. In der einmal eingeschlagenen Richtung zur Weltentsagung, zur Ehelosigkeit und zum Mönchtum sollte das Christentum, das in der morgenländischen (griechisch-russischen) Kirche bald der härtesten und bis heute ungebrochenen Erstarrung anheimfiel, zu tausendfacher Neugestaltung und Neubelebung der Völker wie der Länder ins Abendland weiter strömen. Ehe wir ihm dahin folgen betrachten wir noch zwei aus der griechischen Frauenwelt hervorstrahlende Sterne, die leibliche Mutter und geistliche Tochter des letzten großen Vaters der morgenländischen Kirche.
Im Jahr 347 ist Johannes geboren, dem eine spätere Zeit in Anerkennung seiner ausgezeichneten Beredsamkeit den Namen Chrysostomus (Goldmund) gab. Seine Geburtsstadt ist Antiochien, eine der vier großen Hauptstädte der damaligen Welt, die Hauptstadt des ganzen römischen Asiens. Sein Vater hieß Secundus, und war ein höherer Offizier, die Mutter Anthusa. Beide waren von edler Abkunft, beide Christen. Der Vater starb früh. Um so treuere Führerin und Erzieherin wurde ihm die Mutter. In ihrem 20sten Jahre wurde sie Witwe und blieb es. Das Andenken an ihren Gatten und die Erziehung ihres Sohnes füllte ihre Seele aus. Das riss selbst den heidnischen Redner Libanius zu der Äußerung hin: Was für wunderbare Frauen gibt es doch unter den Christen!
Die treffliche Erziehung, die sie ihrem Johannes gab, spiegelt sich in dem Leben des Mannes. Wenn er später so gediegene Lehren über christliche Erziehung gab, so hat er wohl aus eigenen Erlebnissen geschöpft, und wenn er von dem sittlichen Einfluss christlicher Frauen sprach, so schwebte ihm sicherlich das Bild seiner Mutter vor. Die Erziehung ihres Sohnes leitete sie in wahrhaft edler und freier Weise. In der Schule des Libanius, des berühmtesten der damaligen heidnischen Sophisten, wurde er in der Beredsamkeit gebildet. Bald zeigte er, dass er zum Redner geboren sei; Libanius hielt ihn vor Allen hoch; als es mit ihm zu Ende ging (395), und seine Freunde ihn fragten, wen er wohl zu seinem Nachfolger wünschte (es war zu einer Zeit, als Chrysostomus längst in die kirchliche Laufbahn eingetreten), antwortete er: „den Johannes, wenn ihn mir die Christen nicht entrissen hätten.“ Vielleicht wäre es um diesen auch geschehen gewesen, und die Welt hätte einen großen heidnischen Redner, aber keinen christlichen Bischof gewonnen, hätte die Mutter nicht zugleich den Samen christlicher Frömmigkeit schon frühe in das Herz ihres Johannes ausgestreut. „Die Lehren der Bibel,“ sagte unser Vater später, „sind wie eine Quelle, welche die Seele bewässert.“ Sie bewässerte auch die Seele des Knaben und Jünglings, und stand ihm schützend zur Seite in des Libanius Hörsaal.
Nach Vollendung seiner wissenschaftlichen Bildung ergriff er, wie dies manche später berühmt gewordene Kirchenväter getan haben, den Beruf eines Rechtsanwalts, die gewöhnliche Laufbahn junger Männer, die sich für die Beredsamkeit ausgebildet hatten und höhere Staatsämter anstrebten. Aber der Unruhe, die mit diesem Stande verknüpft war, und der schlechten Künste, wie sie zumal damals bei dem gesunkenen öffentlichen Leben im Schwange gingen, und die seiner schon früh erstarkten sittlichen Gesinnung ein Gräuel waren, bald überdrüssig, wuchs in ihm das Verlangen, sich ganz der Beschäftigung mit den göttlichen Dingen zu weihen. Er hatte einen Freund, Basilius, beide waren ziemlich gleichen Alters, trieben die nämlichen Studien, hatten Eine Sorge, Ein Herz, Einen Sinn. Basilius aber, nach zurückgelegten Studienjahren, hatte sich dem geistlichen Leben gewidmet, während Chrysostomus die weltliche Laufbahn betrat. Der Umgang wurde dadurch zerrissen, doch blieb die Freundschaft wie zuvor. Nachdem nun aber Johannes seines bisherigen Lebens satt wurde, sein Haupt, wie er sagte, wieder über die Wellen dieses Lebens emporhob, so reichte ihm der Freund beide Arme. Vielleicht noch mächtigeren Einfluss hatte der Bischof Antiochiens, der edle Meletius, dessen Unterricht er drei Jahre lang genoss, worauf er sich taufen ließ.
Jetzt war er ganz für das Christentum und die Kirche gewonnen. Aber welche Bahn sollte er betreten? Sollte er Geistlicher oder Mönch werden? Er schwankte, wie einst Basilius der Große. Hierhin zog ihn sein eben genannter, stille Beschaulichkeit liebender Jugendfreund, auch der Widerwille gegen die Welt, wie sie ihm in Antiochien zumal entgegentrat, der Ernst seines Charakters, dann der heilige Schein, in welchem der Jüngling das Mönchstum anschaute, wohl auch die Scheu vor der Größe des priesterlichen Berufes. Aber dort stand sein väterlicher Freund, der Bischof, der erkannte, welch‘ ein Segen der Kirche aus diesem Johannes werden könnte; dort stand vor Allem seine Mutter. „Als sie meine Neigung merkte,“ sagt Chrysostomus, „fasste sie mich bei der Hand, führte mich in eine besondere Kammer, hieß mich auf das Bett niedersitzen, in welchem sie mich geboren hatte, vergoss Ströme von Tränen und brach in noch kläglichere Worte aus. „Mein Sohn,“ sprach sie, „nach der Fügung der göttlichen Vorsehung sollte ich des Schutzes deines Vaters nicht lange genießen; sein Tod folgte gleich auf die Wehen, mit denen ich dich geboren hatte; dich machte er allzu früh zur Waise, mich zur Witwe. Die Beschwerden der Witwenschaft sind nur denen bekannt, die sie erfahren haben… Hinterlässt der Sterbende ein Kind und es ist eine Tochter, so macht das der Mutter wohl auch viele Sorgen, aber es geht noch ab ohne zu große Ausgaben und Ängsten; ein Sohn dagegen gibt täglich Anlass zu tausendfachen Bekümmernissen… Doch hat alles dies mich nicht bewegen können, eine zweite Ehe einzugehen oder einen andern Mann in das Haus deines Vaters einzuführen. Ich hab‘ ausgehalten in diesem Sturm und Ungewitter, ich bin dem Feuerofen der Witwenschaft nicht entflohen. Zum Ersten verließ ich mich auf die Gnade von oben. Hernach gereichte es mir zu keinem geringen Trost, dass ich dein Angesicht beständig sehen konnte, und auf ihm das Bild des Verstorbenen, das ich im Herzen trug. Darum bist du schon mein Trost gewesen, da du noch ein Kind warst und noch nicht reden konntest… Nun fordere ich von dir als einzigen Dank: mache mich nicht zum zweiten Mal zur Witwe und erwecke nicht aufs Neue den kaum besänftigten Schmerz; warte meinen Tod ab: vielleicht ist er nicht mehr ferne. Hast du mich dann der Erde übergeben und meine Gebeine mit den Gebeinen deines Vaters vereinigt, so reise so weit und wage dich auf ein Meer, wohin du willst. Allein so lange ich noch atme, so bleibe bei mir, damit du nicht Gott ohne Ursache beleidigest, wenn du deine Mutter, die es nicht verdient hat, in so viele Übel stürzest. Ich will dich ja nicht in weltliche Sorgen verwickeln, ich will dir alle Muße verschaffen… Schon dies sollte dich zurückhalten, wenn nichts Anderes. Du magst von Tausenden geliebt werden; es wird dir aber Niemand so viel Freiheit und Muße verschaffen, denn Niemand ist, dem dein Friede und deine Ehre so nahe am Herzen liegen.“ So sprach Anthusa. Den Wunsch der geliebten Mutter zog der Sohn seiner eigenen Neigung vor.
Meletius weihte ihn sofort zum kirchlichen Vorleser. Sein frommer Eifer und seine geistige Tüchtigkeit zogen nun bald die Blicke auf ihn. Er aber wich den Anträgen zu einem Bischofsamt in Antiochien aus Demut aus. Inzwischen starb seine Mutter, und nun ging er, wohin es ihn längst gezogen, auf die antiochischen Berge, um sechs volle Jugendjahre in Selbsterkenntnis, Gebet und heiliger Schrift zuzubringen, bis seine leidende Gesundheit ihn zwang, 380 nach Antiochien zurückzukehren. Von da begann sein großer, tatenreicher und leidensvoller Beruf als Diener, Vater, Lenker und Bekenner der streitenden Kirche, aus welcher er den 14. September 407, in der Verbannung ungefähr 60 Jahre alt bei Kommana in Pontus im 9. Jahr seiner Bischofswürde zu seinen Vätern und Brüdern sich sammelte und zu seiner Mutter in die triumphierende Kirche einging.