Valeria Anshelm.

Mit dem gelehrten und gebildeten Zürich wetteifert von Alters her nächst dem frommen und tätigen Basel das reiche und vornehme Bern; auch seine Frauen verstanden mit gutem Eifer, die Ehre Gottes zu fördern und die Ehre der Stadt als eines Vorortes der Eidgenossen zu erhöhen.

Valerius Anshelm, genannt Rud, gebürtig aus Rottweil und schon seit 1510 sesshaft in Bern, war Arzt, diente aber dem Stift Bern als Chorherr und „Schulmeister“. Seine vielen Kenntnisse, verbunden mit Edelsinn und Herzlichkeit, hatten ihm Freunde und Gönner in den höheren Ständen erworben. Man musste einen Mann lieb gewinnen, der nicht bloß seinem erlernten Berufe treu oblag, sondern seine Achtung vor Bibel und Gottes Wort ohne Scheu an den Tag legte. Man vertraute sich ihm um so lieber, weil er ein christlicher Arzt war. Der um Bern hochverdiente, in jeder Beziehung treffliche, Religion und Vaterland über Alles liebende, religiöse Freiheit und Bibelglauben mutvoll verteidigende schon oben genannte Großrat Niklaus Manuel war sein besonderer Freund. Als im Jahr 1522 die in Zürich schon seit 1519 eingeführte evangelische Lehre auch in Bern immer mehr Gönner fand, sprach Anshelm laut für sie, zog sich aber von Seiten des unbelehrbaren Pfaffenvolkes Hass und Verfolgung zu. Man nannte ihn einen Gotteslästerer, Kirchenfeind und Friedensstörer, weil er zur Ehre des Evangeliums sprach; konnte ihm aber nichts angewinnen. Niklaus Manuel wurde indessen 1523 als Landvogt nach Erlach berufen, und war mithin seinem Günstling nicht mehr an der Hand.

Auf einem Besuche in dem Kurorte Baden, den Anshelm mit seiner Gattin machte, hatte sich diese, nichts Arges ahnend, mit einem hochmütigen Propst eingelassen, der an der Speisetafel behauptete: „Es gebe keinen Seligmacher, außer Maria, unsrer Frau, sie sei aller himmlischen Gnaden Besitzerin und Spenderin, die einzige Himmelskönigin; vor ihr allein müssten sich alle Knie beugen; ihr allein müsste man Tempel und Altäre weihen, ihr zu Ehren müssten die Pfaffen ledig bleiben, und wenn einer zur Ehe schritte, so wäre das lästerlich und ein Gräuel vor Gott.“ Dagegen erhob sich mit männlichem Mute Frau Anshelm. „Das Alles,“ sagte sie, „dürfte dem gnädigen Herrn schwer zu erweisen sein, denn davon stehe keine Silbe in der Bibel; Maria sei bei aller ihrer Heiligkeit nur eine Frau wie andere, und statt Gnadenspenderin zu sein, des gnadenspendenden Sohnes so dürftig wie andere; selig machen könne sie gar nicht, das könne nur ihr Sohn; in diesem sei allein das Heil, auf ihn weise alle Schrift; übrigens sei Maria ein Muster reiner Jungfräulichkeit, des unbeschränktesten Gottesvertrauens und heiliger Demut, eine Magd des Herrn, wie sie sich selbst nenne; sie als Fürbitterin anzubeten, sei nicht biblisch. Wenn ihr,“ so fuhr sie fort, „als Mutter Gottes solche Ehre gebührt, so würde sich fragen lassen, was der Großmutter gebühre. In aufsteigender Linie käme man am Ende zu Adam, von welchem es heiße: „Der war Gottes.“ Diesen unbekannten Gott, geoffenbart in Christo, verkünde das Evangelium Jesu Christi; ein Evangelium Mariä anerkenne sie nicht. Da sie aus priesterlichem Geschlecht stamme, liege schon hierin ein Beweis, dass die Priesterehe biblisch, mithin das Priestereheverbot durchaus schriftwidrig und trotz allen päpstlichen Bullen zu verwerfen sei. Der gnädige Herr möchte doch an den Priester Zacharias denken, an seine Frau Elisabeth, an die Prophetin Hanna, die auch verehelicht gewesen usw.“ Der beschämte Pfaffe entfernte sich, wütend vor Zorn und kochte Rache. Plöglich hieß es in Bern: „Der Doktor Anshelm sei ein großer Ketzer, und seine Frau ein noch größerer; denn sie glaube nicht an den Papst und habe Maria gelästert.“ -“Was,“ schrie man, „ein Weib spricht so? Und öffentlich? Eine solche Lästerzunge solle man zum öffentlichen Widerruf zwingen; man soll das Weib in das Halseisen stecken und dann schwemmen.“ Die Gelinderen meinten doch: „Es wäre Schade um die Frau Doktorin, denn sie sei hübsch und ein Hauptweib; aber verbannen sollte man sie; denn das sei doch gar zu toll.“ Mit großer Mühe gelang es Anshelms Gönnern, dass man sich mit einer Geldbuße von 20 Pfund befriedigte, doch der Frau zur Pflicht machte, Absolution bei dem Bischof zu Lausanne nachzusuchen, was sie aber nie tat. Zu Bern nannte man sie seitdem nur „Unsre Frauen-Schwester.“

Mit dieser Strafe waren indes die rachsüchtigen Pfaffen nicht zufrieden; sie ruhten nicht, bis dem Arzte auch die Hälfte seines Einkommens genommen ward. Jetzt verleidete ihm der Aufenthalt in einer Stadt, wo, wie er sagte: „Der Teufel an allen Enden spucke, und seinen Sendlingen große Gewalt gebe, wo Verdienste übel belohnt würden, und der größte Aberglaube seine Verteidiger finde, wo kein ehrlicher Mann es wage, dem Schlangen- und Natterngezücht den Kopf zu zertreten, und wo die guten Geister alle geflohen seien oder stumm geworden wären.“ Er verkaufte nun Haus und Heimat und zog mit Weib und Kindern, zu großem Bedauern seiner Kranken, in sein Stammort Rottweil. Als aber nach wenigen Jahren Niklaus Manuel wieder von seiner Landvogtei nach Bern zurückkam, und die heuchlerischen Pharisäer mit der Geißel des Spottes verfolgte und aus dem Tempel jagte, als das Licht des Evangeliums endlich durchdrang, da wurde auch Anshelm wieder zurückberufen. Gerne kam er und verzieh den jetzt erschrockenen Prahlern ihr Unrecht. Die Gattin des trefflichen Arztes kam auch wieder mit ihm, munter und froh, und blieb, was sie vorher gewesen war, für Viele ein Seelenarzt, freundschaftlich verbunden mit einem Kreise trefflicher Frauen, welche vorher Nonnen, jetzt mit bewährten Freunden der Reformation sich verehelicht hatten. Anshelm selbst wurde Mitglied des Kleinen Rates, und konnte nun in Gemeinschaft mit seiner von Gott gelehrten Gattin doppelt zum leiblichen und geistlichen Heile seiner Mitbürger wirken.