geb. zu Zschepe bei Wurzen den 3. Dec. 1483, studirte zu Wittenberg seit 1502 mit grossem Erfolge Theologie und wurde daselbst 1511 Doctor und Professor. Als einer der Ersten bekannte er sich öffentlich zu Luther’s reformatorischen Thaten, begleitete ihn zur Disputation nach Leipzig (1519) und zur Verantwortung nach Worms (1521) und sass auf der unbekannten Reise nach der Wartburg mit ihm im Wagen, unterrichtet von dem Überfall, aber nicht von dem Asyl. Auch war es Amsdorff, bei dem Luther einkehrte, als er im November heimlich und verkleidet von der Wartburg auf kurze Zeit nach Wittenberg kam. Als in demselben Jahre die Augustiner zu Wittenberg die katholische Messe abschafften, wurde, in Luther’s Abwesenheit, Amsdorff sammt den übrigen Gliedern der Facultät von dem Churfürsten zu einem Gutachten aufgefordert. Dieses erklärte die Messe für eine Profanation des heil. Abendmahles und bewirkte ihre Einstellung in allen Kirchen Wittenbergs. 1524 wurde dem Churfürsten von einem Ungenannten ein Buch übersandt, welches die Lehren der katholischen Kirche vom freien Willen, vom Verdienst der Werke und von der Tradition einer verwerfenden Beurtheilung unterzog; bald darauf erschien es mit einer Vorrede von Amsdorff, in welcher aus der heil. Schrift die Nachweisung versucht war, dass der Papst der Antichrist sei.
Als Luther im J. 1524 in Magdeburg gepredigt und die seit 1522 von Miritz, Widensee und Fritschahns zu Stande gebrachte Reformation besigelt hatte, erklärte er vor dem Bürgermeister Sturm und den Bürgern, dass sie sich auf Amsdorff wie auf ihn selbst verlassen dürften und versprach, ihn zu senden. Bald darauf wurde Amsdorff Prediger zu St. Ulrich und Superintendent in Magdeburg. Achtzehn Jahre lang übte er hier eine tief eingreifende reformatorische Wirksamkeit. Die Domprediger, welche besonders seine Lehre von dem allein rechtfertigenden Glauben angriffen, zogen sich vor der angenommenen Disputation bald scheu zurück. Die Freundschaft mit Luther dauerte ununterbrochen fort. 1525 wurde er von diesem zur Hochzeit und 1529 zur Taufe seiner zweiten Tochter, Magdalena, eingeladen; doch musste er sich als Pathe durch Heinrich Dichlensis, Pfarrvikar des Probstes zu Wittenberg, vertreten lassen. Am 27. Oktober 1529 schrieb Luther an Amsdorff: „Ich freue mich Eurer Freude, mein lieber Amsdorff, über unsere Marburger Synode, die zwar dem äusserlichen Ansehn nach ganz klein, aber von nachdrücklicher Wirkung ist. Das haben die Gebete der Frommen zuwege gebracht, auf das Jene, auf solche Art zu Schanden gemacht, aufhören, sich zu rühmen und gedemüthigt werden. Gott sei Preis und Ehre.“ (Schütz, Luther’s ungedr. Briefe. Deutsche Ausg. I. 8. 135)
Von Magdeburg aus machte Amsdorff verschiedene Reisen zur Organisirung des lutherschen Kirchenthums. So ging er 1528 auf bitten des Senats nach Goslar, wo er nach Wittenbergischem und Magdeburgischem Ritus die Kirchenordnung feststellte und dem Johann Amandus, einem ehemaligen preussischen Mönche, die Inspection übertrug. 1531 reiste er eben dahin, untersuchte die durch Zwinglische Ketzerei zweier Geistlichen entstandenen Zwistigkeiten, setzte die Irrlehrer, Grawart und Knyge, ab und ergänzte sie durch rechtgläubige Prediger. 1537 war er auf dem Convente in Schmalkalden zugegen. Er hielt hier mit grossem Freimuth eine Predigt, deren Luther in den Tischreden folgendermaassen gedenkt: „Einem Prediger ist sonderlich hoch von Nöthen, dass er die zweierlei Sünder wohl wisse und könne unterscheiden, nämlich unbussfertige und sichere, sonst ist die ganze Schrift zugeschlossen. Darum, da Amsdorff zu Schmalkalden vor vielen Fürsten anfing zu predigen, sagte er mit grossem Ernst: Dies Evangelium gehört zu den Armen, Betrübten, nicht euch Fürsten, Herren und Hofleuten, die ihr stets in Wollust und Freuden lebt, in aller Sicherheit, ohne alle Anfechtung.“
Wider seinen Willen und zur grossen Betrübniss der Gemeinde musste Amsdorff 1542 eine neue Stellung übernehmen. Julius Pflug war 1541 ohne Einwilligung des Churfürsten von dem Domcapitel zum Bischofe von Naumburg erwählt. Der zürnende Churfürst annullirte diese Wahl und übertrug die Würde Amsdorff, stellte ihn den Ständen des Stiftes zu Naumburg in Gegenwart des Herzogs Ernst von Lüneburg als Bischof vor und Luther weihete ihn unter Assistenz der Superintendenten von Naumburg, Altenburg und Weissenfels am 20. Januar 1542 feierlich ein. In Voraussicht der starken Anfechtung dieses Schrittes ging an demselben Tage eine ausführliche Vertheidigungsschrift von Luther aus. Sie vermochte kaum die Evangelischen zu beruhigen. Vorzüglich aber grollten die Katholischen, am meisten der Kaiser, welcher dem klagenden Jul. Pflug erwiderte: Habe eine Zeit lang Geduld; deine Sache wird meine Sache sein. Übrigens trat Amsdorff die weltliche Macht des Bisthums an einen churfürstlichen Beamten ab und bezog den nur geringen Gehalt von 600 Gulden. Seine glaubenstreue und feste Amtsführung blieb leider nicht unbeschattet durch seine Heftigkeit, die ihn hinriss, 1544 eine Münze schlagen zu lassen, die auf der einen Seite einen Cardinalskopf mit der Beischrift: Effigies cardinum mundi, auf der andern einen Narren mit der Beischrift Effieminati dominabuntur eis abbildete.
Nach der Schlacht bei Mühlberg (1547) wurde Amsdorff verwiesen und Julius von Pflug in das Bisthum eingesetzt. Jener begab sich wiederum nach Magdeburg, dem gemeinsamen Zufluchtsorte aller vom Kaiser verfolgten lutherischen Theologen. Die Magdeburger waren die entschiedensten Feinde des Interim; sie erklärten, weder durch das Interim, noch durch das Exterim, sondern durch das Wort Gottes selig werden zu wollen. Ihren Hunden und Katzen gaben sie den Namen Interim, und weil in ihrer Stadt viele verbotene Druckschriften herauskamen, so nannte man sie die Canzlei Gottes oder das niedersächsische Bethulien. Hieraus ist klar, dass Magdeburg viel Verwandtes und Anziehendes für Amsdorff hatte und dass er dort auf seinem eigentlichen Boden war. Wirklich konnte selbst die Belagerung Magdeburg’s (1550) sein eifriges Lehramt in Nichts beschränken.
Von Magdeburg aus half Amsdorff den Söhnen des gefangenen Churfürsten 1548 die Universität Jena zu gründen, welche unter seinem andauernden Einflusse dem melanchthonischgesinnten Wittenberg gegenüber zur Burg des strengen Lutherthums sich erbauete. Er wohnte ihrer Einweihung bei, und wenn er auch nicht, wie vielfach behauptet wird, Professor derselben gewesen ist, so muss er doch als Mitglied der dort erstarkten Partei vor allen Andren angesehen werden.
Leider zeigte er sich in der Lehre von den guten Werken, nach einem richtigen Ausdruck, „lutherischer als Luther“, indem er gegen Georg Major, der 1551 die Nothwendigkeit der guten Werke zur Seligkeit behauptete, den Satz aufstellte, dass gute Werke zur Seligkeit schädlich seien. Obwohl nun die mildere Partei hieran grossen Anstoss nahm, so wurde doch Amsdorff von den strengeren Lutheranern stets zu den rechtgläubigen Lehrern gezählt, indem sie den Sinn seiner Ansicht dahin verstanden, dass das Vertrauen auf gute Werke zur Seligkeit schädlich sei. Diese Auslegung wird auch durch Amsdorff’s Ausführungen und Erläuterungen seines paradoxen Satzes begünstigt, u.a. durch folgende: „Derhalben sage ich, Nicolaus von Amsdorff, wer diese Worte, wie sie dastehen (gute Werke sind nothwendig zur Seligkeit), lehret und prediget, dass derselbe ein Pelagianer, Mameluk und verlungerter Christ und zwiefältiger Papist ist.“ „Wir verdammen die Präposition: Gute Werke sind von Nöthen zur Seligkeit; denn die Worte, wie sie da stehen und lauten, können nicht anders verstanden werden, denn dass die Werke die Seligkeit verdienen;: darum können und sollen wir sie in unseren Kirchen nicht dulden noch leiden.“ Nur als Bedingung, nicht als nothwendige Beweisungen und Früchte der Seligkeit verwarf Amsdorff die guten Werke: „Dieweil die Werke“ – sagt er – „so die zehn Gebote Gottes fordern, der Seligkeit effectus und Früchte sind, so können sie nicht sein causa sine qua non salutis seu justitiae“ „Dieweil gute Werke hier auf Erden zu diesem Leben von Nöthen sind, unsere Seligkeit (so wir bereits ohne Werke aus Gnaden haben) vor Gott und den Menschen damit zu bezeugen, so können sie nicht von Nöthen sein zur Seligkeit, wie Georg Major lüget. Denn wer aus Gnaden durch den Glauben selig worden ist, der thut danach aus Art und Natur der Wiedergeburt gute Werke hie in diesem und zukünftigem Leben. Darum können die guten Werke zur Seligkeit nicht von Nöthen sein, wie Georg Major schwärmt und heuchelt.“ „Dieweil auch einer wie der Andere selig wird, der Alte wie der Junge, der sich zeitig bekehrt, wie Der, so sich in der letzten Stunde bekehrt, nämlich allein aus Gnade, durch den Glauben, ohne alle Werke, so können gute Werke zur Seligkeit nicht von Nöthen sein.“ „Sonst wissen wir wohl, dass ein Christ, der durch den Glauben selig ist, gute Werke in diesem Leben thun soll und muss, wie die ganze Schrift saget, zeuget und gebeut; dass sie aber zur Seligkeit sollten von Nöthen sein, Das sagt sie an keinem Orte; aber oft und viel sagt sie: Wer glaubt, Der wird selig.“ (Aus der Schrift: Unterschreibung des Herrn Niclas Amsdorff’s der Sächsischen Kirchencensuren wider Doctor Georg Major. Maghde. 1553. 4.) Ambsdorff blieb fest bei seinem Satze und vertheidigte ihn noch 1559 in einer besonderen Druckschrift. Die Concordienformel hat mit Anerkennung seines richtigen Sinnes den Ausdruck verworfen. „Was die Proposition belangt“ – so sagt sie – „dass gute Werke zur Seligkeit schädlich sein sollten, erklären wir uns deutlich also: Wenn Jemand die guten Werke in den Artikel der Rechtfertigung ziehen, seine Gerechtigkeit oder das Vertrauen der Seligkeit darauf setzen, damit die Gnade Gottes verdienen und dadurch selig werden wollte, so sagen wir nicht hierauf, sondern sagt Paulus selbst und wiederholt’s zum dritten Male Phil. 3,8.9., dass einem solchen Menschen seine Werke nicht allein unnützig und hinderlich, sondern auch schädlich seien; es ist aber die Schuld nicht der guten Werke an ihnen selbst, sondern des falschen Vertrauens, so wider das ausdrückliche Wort Gottes auf die Werke gesetzt wird. Aber hieraus folgt keineswegs, dass man (simpliciter und also) bloss dahin sagen solle: Gute Werke sind dem Gläubigen zu oder an ihrer Seligkeit schädlich; denn in den Gläubigen sind gute Werke, wenn sie (propter veras causas et ad veros fines, das ist) in der Meinung geschehen, wie sie Gott von den Wiedergeborenen erfordert, eine Anzeigung der Seligkeit, Phil. 1,20., wie der Gottes Wille und ausdrücklicher Befehl ist, dass die Gläubigen gute Werke thun sollen, welche der heilige Geist wirkt in den Gläubigen, die sich auch Gott um Christi willen gefallen lässt, ihnen herrliche Belohnung in diesem und dem zukünftigen Leben verheisst. Desswegen auch diese Proposition in unseren Kirchen gestraft und verworfen wird, dieweil sie, also bloss gesetzt, falsch und ärgerlich ist, dadurch Zucht und Ehrbarkeit geschwächt, das rohe, wilde, sichere, epikuräische Leben eingeführt und gestärkt werden möchte; denn was Einem zu seiner Seligkeit schädlich ist, davor soll er sich ja mit höchstem Fleisse hüten. Weil aber die Christen von den guten Werken nicht abgehalten, sondern zum Fleissigen dazu vermahnt und angehalten werden sollen, so kann und soll die blosse Proposition in der Kirche nicht geduldet, geführt und vertheidigt werden.“ (Concordienformel, Th. 2, Abschn. 4). Durch diese Erklärung ist die Proposition Amsdorff’s unschädlich gemacht, er selbst aber in der altlutherschen Kirche trotz derselben in hohem Ansehn verblieben, und mit dem leisen Tadel „er habe richtiger gefühlt, als gesprochen“ (melius sensit quam locutus est. Seckendorf) davongekommen. Nur die katholische Kirche kennt eine besondere Secte der Amsdorffianer. Besonnener erwies sich Amsdorff in seiner Stellung zu den Flacianischen Streitigkeiten. Die Sünde, so erklärte er, sei ein Accidens, aber ein starkes Accidens.
Schon gegen Ende des Jahres 1550 hatte er den Ruf eines Superintendenten nach Eisenach angenommen. In dieser Stellung war es ihm vergönnt gewesen, den 1552 aus der Gefangenschaft zurückkehrenden Churfürsten Johann Friedrich zu empfangen, zu absolviren und ihm mit dem heiligen Abendmahl die Sterbestunde zu erleichtern (1554). Seines eigenen Todes stets eingedenk lebte er in der Nähe seines, neben seinem Bette stehenden Sarges noch bis zum 14. Mai 1565. Still und gottselig war das Ende des zwei und achtzigjährigen Greises.
Die bedeutendsten Kanzelredner der lutherschen Kirche des Reformationszeitalters, in Biographien und einer Auswahl ihrer Predigten dargestellt von Wilhelm Beste, Pastor an der Hauptkirche zu Wolfenbüttel und ordentlichem Mitgliede der historisch-theologischen Gesellschaft zu Leipzig Leipzig, Verlag von Gustav Mayer. 1856