Johannes Brenz.

Unter den Herzogen Ulrich und Christoph wurde Württemberg evangelisch. Beiden diente der Mann, welcher für den Reformator des Landes gilt, als Hauptgehilfe: Johannes Brenz.

Dieser, den 24. Juli 1499 in Weil der Stadt geboren, genoss das Glück, rechtschaffene, treubesorgte Eltern zu haben, den Stadtschultheißen Martin Brenz und seine Gattin Katharina geb. Hennig. Den begabten Sohn gaben sie schon frühe weg in die Lateinschulen Heidelberg und Vaihingen an der Enz, auf denen er frühe so weit kam, im dreizehnten Jahre die Hochschule Heidelberg (1512) zu beziehen. Brenz hörte hier philologische und philosophische Vorlesungen, wurde 1516 Baccalaureus, 1517 Magister und ging dann zum theologischen Studium über. Demselben kam die Disputation, welche Luther den 26. April 1518 zu Heidelberg hielt, entscheidend zu Hilfe. Brenz wurde, wie seine Freunde Bucer, Schnepf, Pelikan, von Bewunderung hingenommen, besuchte nachher den Reformator und war von Stund an der Seine. Bald bekam er auch Gelegenheit, hiervon Zeugnis abzulegen. Als Regens der Schwabenburse, der er 1519 geworden war, hielt er über das Evangelium Matthäi Vorlesungen, welche die Studenten so massenhaft besuchten, dass der Neid sie niederlegte, weil er die geistliche Weihe noch nicht erhalten habe. Nun erwarb er dieselbe 1521 in Speier und hielt zu Weil die erste Messe. Daselbst nahm die Reformation auch einen Anlauf, den jedoch Österreich bald unterdrückte. Den ihr zugetanen Eltern von Brenz wurde hart zugesetzt: sie starben im Elend und konnten ihre Ruhestatt nur außerhalb der Stadt, in ungeweihter Erde, finden. Der Sohn setzte, nach Heidelberg zurückgekehrt, seine Studien fort, vertiefte sich mehr und mehr in die Schriften Luthers (Kommentar zum Galaterbrief, Sendschreiben an die kaiserliche Majestät und den christlichen Adel deutscher Nation, von des christlichen Standes Besserung rc.), verfolgte die Bannflüche Roms gegen den Ketzer, den Spruch der Acht über ihn und seine Jünger auf dem Reichstag zu Worms, wurde selbst mit seinem Freunde Pelikan in Untersuchung gezogen und des Rechtes, Vorlesungen zu halten, verlustig erklärt. Eben jetzt erging an den abgesetzten Dozenten ein Ruf nach Schwäbisch Hall. Er hielt am 8. September 1522 eine Probepredigt und wurde mit allen Stimmen zum Pfarrer an St. Michael gewählt. Kaum dreiundzwanzig Jahre alt, begann er schon die erste Hälfte seiner öffentlichen Wirksamkeit mit ruhiger Nachdenklichkeit. Schrittweise ging er an die Reformation des Gemeindelebens, las anfangs noch die Messe mit der Erklärung, sie sei kein Opfer, predigte Tag für Tag das Wort Gottes vom Glauben und von der Liebe, hob das allgemeine christliche Priestertum hervor, das jeder Christ an seinem Nebenmenschen üben möge. Das wirkte so, dass nach etlichen Jahren die Messe ganz abgeschafft, die Priesterschaft (Barfüßler) entlassen, ihr Kloster zu einem Gymnasium eingerichtet, der Gottesdienst gemäß dem Evangelium geordnet wurde. Bald unterbrach diese Bemühungen der Bauernkrieg, der auch das Gebiet von Hall anfocht, jedoch wesentlich durch Brenz‘ Einwirken einen Abschluss fand. Als er auf Ersuchen seine Vorträge (d. 16. März 1525) dawider einem Ratsherrn zur Veröffentlichung übersandte, sprach er sich bleibend aus: „Ich bin nit sonderlich lustig, viel meiner Predigt durch den Druck an den Tag zu stellen; nicht dass ich mich der Unwahrheit oder Lichtscheue besorge. Denn ich gewiss bin, dass ich Christum und denselben Gekreuzigten lehre, auch leiden mag, dass ein jedweder von Gott gelehrt meine Predigt urteile, sondern dass gelehrter und höher Begabte, denn ich bin, berufen seien, das Evangelium durch den Druck zu handeln. Werde ich doch aus Not gezwungen, diese Predigt vom Gehorsam der Untertanen gegen ihre Obrigkeit an das Licht zu geben.“ Er wandte sich nach Besiegung des Aufstandes ebenso stark wider die Behörden, welche den Sieg böslich ausnutzen wollten. „Gott hilft nicht, dass man sich bösern, sondern sich bessern soll. Darum, ehrsame Herren, wollet nicht durch eure Schatzungen die Gnade Gottes verschütten, Gott hält hoch über dem Seufzen der Armen, dieweil er sich selbst ihnen zum Vater versprochen hat.“ Brenz durfte sich der Arbeit an der Gemeine wieder zuwenden. Er veröffentlichte 1526 den ersten Entwurf einer Kirchenordnung, 1527 und 1528 seine Katechismen, mit welchen er dem von Luther (1529) voraneilte. Den Gelehrten sehen wir erstmals in seiner Erklärung des Evangeliums Johannis (1527) und im „Syngramma“ (1529) auftreten. Es handelte sich um das Abendmahl und er sprach sich noch beinahe dem späteren Calvin ähnlich aus. Erst von dem Tage zu Worms (1. Oktober 1529) an, wo er Luthers Bekanntschaft erneuerte, trat er für dessen Ansicht von der Streitfrage mit Entschiedenheit ein. Wenn auch der Zweck dieser Verhandlung, das Einverständnis von Luther und Zwingli, durchaus nicht erreicht wurde, „wiewohl wir uns, ob der wahre Leib und das Blut Christi leiblich in Brot und Wein sei, dieser Zeit nicht verglichen haben,“ so wurden doch im übrigen gemeinsame Glaubenssätze von den Parteien (Luther, Melanchthon, Jonas, Osiander, Brenz und Agricola – Ökolampadius, Zwingli, Bucer und Hedio) friedsam unterzeichnet und versprach man sich, verletzende Streitschriften gegeneinander zu lassen. Auch war die persönliche Bekanntschaft jener Männer von Wert. Brenz traf in Worms erstmals mit Ulrich, dem vertriebenen Herzog von Württemberg, der in Begleitung des Landgrafen von Hessen anwesend war, zusammen und äußerte sich prophetisch: „Wer sollte nicht wünschen, dass es mit Gott gelinge, diesen Fürsten wieder einzusetzen? Doch ist es besser, dies für jetzt im stillen zu wünschen, als laut auszusprechen.“ Auf dem Reichstag zu Speier schlossen die Haller Abgeordneten sich dem Proteste nicht an: darüber hielt Brenz eine Strafpredigt (Luk. 12,8-10), welche nachträglich gewissermaßen zur Beistimmung bewog.

Seine 22 Predigten, den Türkenkrieg betreffend, begleitete Luther mit einem Vorwort. Sie gaben den Rüstungen Recht, ermunterten aber vor allem, „im Glauben zu Jesus Christus als der zu unserm Heil aufgerichteten Schlange emporzublicken“. Die Türken wurden zwar im Oktober 1529 vor Wien geschlagen, verblieben jedoch eine Gefahr, der neben den religiösen Fragen auf dem Reichstag in Augsburg der Kaiser zu wehren gedachte. Zu demselben sandte Hall zwei Vertreter und Brenz folgte der Einladung des Markgrafen Georg von Brandenburg, dem er ein Gutachten gegen ein Bündnis der Fürsten wider den Kaiser gestellt hatte, ihn zu begleiten. Von Ende Mai bis Anfang Oktober dauerte sein Aufenthalt in Augsburg, reich an Erfahrungen, welche den Mann vollends ausbilden sollten. Karl V. kam von einem längeren Besuche bei Papst Clemens VII., der ihn zum Kaiser gekrönt hatte, den 15. Juni 1530 in Augsburg an, stets umgeben von den blutdürstigen Papisten. Brenz berichtet an seine Kollegen in Hall: „Der heilige Geist wird freilich, da man ihm seinen Wagen, das Wort Gottes, genommen hat, nicht nach Augsburg kommen können.“ Mehr und mehr legte sich Niedergeschlagenheit auf die Vertreter des Evangeliums, besonders auf Melanchthon. Mächtig wandte sich an diesen von Koburg aus der gebannte Luther und schrieb auch an seinen Brenz: „Verdanken wir etwa der Sorge und dem Kummer unsrer Vorfahren, dass wir sind, was wir sind? Geschieht nicht alles durch die Weisheit Gottes, der auch nach uns noch Schöpfer sein und bleiben wird, wie er es vor uns war und heute noch ist? Als die Papisten Hus verbrannten, da war ihnen nichts gewisser, als dass der Papst nun selber Gott sein würde, und doch war er nie verachteter, als von jenem Tage an. Sollte ich auch durch sie umkommen, so werde ich mich an dem Ungeheuern noch gewaltiger rächen, als mir lieb ist. Der mich erschaffen hat, wird der Vater meines Sohnes, der Gatte meines Weibes, der Rat meiner Bürgerschaft, der Prediger meiner Gemeinde und dies alles weit besser sein, als ich selbst es bin. Doch was rede ich von solchen Dingen mit dir, der du durch Gottes Gnade in allem größer bist, denn ich? Vielleicht, dass Melanchthon, welcher meint, dass ich ein Mensch und meine Worte schlechte Menschenworte sind, an die er sich wenig zu kehren hätte, durch euch, die er für Gottesmänner halten muss, sich eher bekehren lässt. Und ob wir auch alle der Verachtung wert sein mögen, so soll man die Psalmen, die Apostel, Christum selbst nicht verachten, die uns so vielfach zurufen: Seid getrost, fürchtet euch nicht, hofft, seid männlich und unverzagt.“ Brenz antwortete: „Wenn ich einem auf Erden zu Dank verpflichtet bin, so bist es du. Fahre fort, mein Vater, uns in unsrer Anfechtung zu trösten. Wegen Melanchthons darfst du nicht in Sorge sein. Er ist zwar tief bekümmert, aber sein Kummer treibt ihn nur zu um so brünstigerem Gebete. Wie würde man beten, wenn nicht Kummer auf uns lastete? Wie den Glauben durch die Verheißung stärken, wenn der Glaube nicht durch Anfechtungen geprüft würde? Hoffe daher das Beste von Philippus: er hat von Haus aus den heiligen Geist zum Tröster, so dass er meiner Ermahnung, als eines schwachen Menschen, nicht bedarf.“ So stand Brenz überhaupt mit seiner kräftigen Ruhe zwischen dem schüchternen Melanchthon und heldenmütigen Luther mitten inne. –

Die Rede, die den Reichstag am 20. Juni 1530 eröffnete, hielt es für nötig, „dass der Kaiser und König Ferdinand ihre Schwerter gegen die verkehrten Störer der christlichen Religion schärfen, damit alles wieder einträchtig unter der Kirche Roms lebe, anders könne der Frieden nicht hergestellt werden, außer wenn diese Ketzerei, die ganz Deutschland durchdrungen habe, mit der Wurzel durch das Schwert ausgerottet werde. Dann erst könne man hoffen, den Türken aus den Grenzen zu vertreiben rc.“. Die protestantischen Fürsten wurden empört und ihre Geistlichen hatten Mühe, sie von gewaltsamen Schritten abzuhalten. Am 24. Juni schreibt Brenz an Eisenmann: „Die Religionssache hat den Ausschlag genommen, dass der Kaiser morgen um 2 Uhr nachmittags unsre Konfession, welche ihm die evangelischen Fürsten übergeben werden, hören will. Wir haben nämlich mit Melanchthon, dem Verfasser, ein Bekenntnis unsrer Lehre niedergeschrieben, und zwar sehr glimpflich und bescheiden. Die Fürsten bitten darin, dass der Streit friedlich beigelegt und der Frieden aufrecht erhalten werde. Wollen die Gegner nicht nachgeben, so werden die Fürsten sich auf ein künftiges Konzil berufen. Denn in dieser Sache können wir den Kaiser nicht als Richter anerkennen. Man hat hier mancherlei Vermutungen über die Zukunft. Soll ich meine Ansicht aufrichtig gestehen, so sehe ich, dass die größten Gefahren bevorstehen. Unsre Fürsten sind sehr standhaft im Bekenntnis des Evangeliums, und wenn ich ihren Mut betrachte, muss ich mich sehr schämen, dass wir Bettler gegen sie uns über dem Bekenntnis des Evangeliums vor der kaiserlichen Majestät so sehr fürchten.“ Die hier angedeutete Mitarbeit Brenz‘ an der Augsburger Konfession geht auch aus andern Berichten hervor. Ihre Vorlesung dauerte zwei Stunden, worauf sie der Kaiser durch Eilboten an den Papst sandte und zur Widerlegung die katholischen Theologen beorderte. Letztere fiel aber so verworren, unverdaut, gewalttätig, blutdürstig und grausam aus, dass Meister Dr. Eck sie nochmals ausarbeiten musste. „Gestern,“ meldet Brenz am 4. August, „wurde die Antwort unsrer Gegner vor dem Kaiser und den Ständen des Reichs vorgelesen. Alles war im Geiste des Cochläus, Fabers und Ecks abgefasst. Ein tolles Machwerk, so dass ich mich des römischen Namens schäme, weil sie für ihre Religion nicht Männer suchen, welche dieselbe wenigstens klug und geschmackvoll uns Ketzern darzustellen wissen. Zwar der Kaiser beträgt sich, wie man sagt, neutral; denn als unsre Konfession vorgelesen wurde, schlief er ein, und als die Antwort der Gegner vorgelesen wurde, schlief er wieder unter fortwährender Verhandlung ein. Fürwahr, der Kaiser ist ein guter Mann, der in der Sache nichts treibt, sondern nur getrieben wird. Doch ich schreibe dir dieses, dass du’s nicht öffentlich, sondern nur unsern Brüdern bekannt gebest, damit es nicht scheine, als verspotten wir die kaiserliche Majestät. Am Schluss der Vorlesung dieser Gegenartikel forderte der Kaiser, dass wir alle denselben unsre Zustimmung erteilen. Täten wir das nicht, so würde er seines kaiserlichen Amtes zu warten wissen und als Vogt der römischen Kirche nicht abstehen der christlichen Religion. Unsre Fürsten verlangten sodann eine Abschrift jener Artikel, um darauf zu antworten. Wir haben keine Hoffnung dazu, sehen übrigens, wie lächerlich die Sache betrieben wird. Der Kaiser zwingt uns zu seinem Glauben und doch besinnt er sich, ob er uns denselben schriftlich übergeben wolle. Kurz, ein Schwindelgeist hat die Papisten ganz besessen.“ Es drohte Gewalt gegen die Protestanten. Der Landgraf Philipp von Hessen entwich am 6. Mai. Dies veranlasste den Aufzug milderer Saiten. Etliche Religionsgespräche wurden (den 16. August, 24.-29. August) gehalten, zu denen Melanchthon unsern Brenz beizog, den er „lieber als jeden andern bei sich im Konzilio habe, denn da wäre Verstand und Beständigkeit, Rat und Tat beieinander“. Äußerstes (die Messe, die bischöfliche Gewalt rc.) wollte sich der sehnliche Wunsch Melanchthons nach Einigung gefallen lassen. „Wir machen,“ schreibt Brenz, uns die Freiheit und Reinheit der Lehre zur unerlässlichen Bedingung.“ An letzteren scheiterte jedoch der letzte Versuch einer Einigung. „Wie taugt Christus zu Belial?“ „Genug, genug,“ rief Luther, „der Papst will’s nicht, und Luther will’s nicht, heim, heim!“ Die bewiesene Nachgiebigkeit hatte nur üble Nachreden zur Folge: „Der große Haufen verleumdet uns, wir seien von den Papisten durch Geld bestochen. Von allen Seiten haben wir Ratgeber, darin jeder nach seiner Meinung bessere Bedingungen gestellt hätte. Das ist der Lohn unsrer Sorge und Mühe.“ Melanchthons Apologie der Augsburgischen Konfession, an der Brenz mitgearbeitet hatte, wurde schlechtweg abgewiesen, die „Sekte“ für widerlegt erklärt, ein für die Protestanten äußerst ungünstiger Abschied (22. August) verkündigt, nur auf ein Konzil vertröstet, welches der Papst (er hatte bereits erklärt, in gar nichts nachzugeben) innerhalb von sechs Monaten einberufen werde. Von den freien Städten widerstanden Ulm, Frankfurt, Hall. Unmittelbar vor der Abreise schrieb den 1. Oktober Brenz: Noch vor kurzem hatte ich Hoffnung auf den Frieden. Jetzt sehe ich ein großes Gewitter über uns hereinziehen. Die papistischen Fürsten schließen Bündnisse mit dem Kaiser zur Ausrottung unsrer Lehre. Unsre Fürsten beharren auf ihr. Was lässt sich da voraussehen? Der Herr erhalte unsre Kirche und das wird er auch gewiss durch Christus, unsern Heiland!“

In Hall angekommen, beantwortet Brenz alsbald (4. Okt.) einen Brief Luthers, den er in Augsburg auf die Zusendung seiner Erklärung des Propheten Amos erhalten hatte. Darin hieß es: „Darf ich Kleines mit Großem vergleichen, so habe ich von dem vierfachen Geiste Elias (1. Kön. 19) den Wind, das Erdbeben und das Feuer, das Felsen zerbricht und Berge zerreißt, ihr aber das erfrischende, stillsanfte Sausen der Luft empfangen; also geschieht’s, dass auch mir eure Schriften und Worte annehmlicher sind. Doch tröste ich mich, dass ich denke, ja gewiss weiß, wie der himmlische Vater in seinem großen Hause auch eines und andern harten Menschen bedarf gegen die harten, und eines rauen wider die rauen, als eines groben Keils auf grobe Klötze. Und wenn Gott donnert, braucht er nicht nur den Regen zum Begießen, sondern auch den Donner zum Erschüttern, und den Blitz zur Luftreinigung, auf dass die Erde desto besser und reichlicher Frucht gebe.“ Darauf erwidert Brenz äußerst bescheiden: spricht seine Bewunderung über den Mann aus, der bei so großen Gaben sich unter die Geringen erniedrige und dadurch das Wort Christi so schön erfülle: der Größte unter euch soll der Geringste sein. Über den Reichstag äußert er sich am Schluss: „Du lachst vielleicht, dass nach so langer Zeit nichts zustande gekommen. Ich habe dagegen die Überzeugung, dass nie ein Reichstag gehalten wurde, auf dem nach viel Arbeit mehr erzielt wurde, als auf diesem, nachdem nichts gehandelt worden. Was sind aber jene Ereignisse? Ich will’s euch kurz sagen. Unsre Gegner stellten sich auf dem Reichstage als wahre Pharaone und Antichristen heraus. Vorher setzte man immer noch einige Hoffnung auf sie, sie werden auf irgend eine Weise zur Besinnung kommen und ein fleischernes Herz gewinnen. Nun aber, da alles versucht ist, so dass wir uns deshalb das Schlimmste nachsagen lassen mussten, erkennen sie uns nicht an, sondern verdammen uns im Gegenteil und sind wie rasend. Früher bekannten sie auf Reichstagen frei, dass in ihrer Kirche viel Irrtümer und Missbräuche seien, jetzt aber geben sie das nicht mehr zu, sondern erklären höchstens, weil vielleicht einige Irrtümer in der Kirche stattfinden könnten, wollten sie ein Konzil veranstalten. Welche Unverschämtheit! Diese kam auf dem Augsburger Reichstage zu Tage und das wirst du nicht für nichts erklären.“ –

In Hall fand Brenz viel Arbeit, um der in seiner Abwesenheit eingerissenen Unordnung wieder zu steuern. Es fügte sich aber auch gegen Ende von 1530 das Glück seiner Verheiratung mit einer jungen Witwe des Rates Wezel, Margarete geb. Gräter, Schwester des Pfarrers Gräter in Hall. „Gott segne deine Heirat,“ rief Melanchthon ihm zu: sie war auch lange gesegnet. Zum Bündnis, das die protestantischen Fürsten damals gegen die drohende Verfolgung in Schmalkalden schlossen, trat Hall nicht bei: Brenz widerriet es, weil man wider den Kaiser das Schwert nicht brauchen dürfe. Da die Türken 1532 das Reich wieder in Angriff nahmen, zog der Kaiser mildere Saiten auf und schenkte den Protestanten durch den Religionsfrieden zu Nürnberg (23. Juli 1532) einige Ruhe. Man wollte den Versicherungen der Majestät nicht glauben, wogegen vom Rate zu Hall ein gestrenger Befehl erging und Brenz die berühmte Predigt hielt. Wie sehr ihn die höchsten Fragen umtrieben, ergibt sein damaliger Briefwechsel mit Luther und Melanchthon. Über die Rechtfertigung z. B. äußert er, sie werde so wenig als durch die Werke vom Glauben bewirkt, sondern allein vom Erlöser selbst; nur angeeignet vom Glauben. Sonst falle man in die Scylla, während man der Charybdis entgehen wolle. Gegen die Wiedertäufer, welche sich auch in und bei Hall regten, wandte sich Brenz mit Ernst, verwarf jedoch, wie Luther, die Todesstrafe für sie. Nach außen war namentlich seine Mitarbeit an der Ansbach-Nürnbergschen Kirchenordnung, welche viel Nachahmung fand, von Wert: er hatte sich auf Wunsch des Landgrafen Georg sechs Wochen lang nach Nürnberg begeben (1532). Zumeist von Belang erscheint, was und wie Brenz für Württemberg zu wirken angefangen hat. Kaum war Herzog Ulrich, der von Österreich verbannte, langjährige Flüchtling, durch die siegreiche Schlacht bei Lauffen, welche sein Vetter Philipp, der Landgraf Hessens, geschlagen, auf den Thron zurückgekehrt und vom Jubel des Volks in Stuttgart (1539) empfangen worden, begann er Verhandlungen, die längst vorbereitete Reformation des Landes durchzuführen. Ambrosius Blaurer und Erhard Schnepf arbeiteten die Stuttgarter Konkordia 1534 aus. Diese hatte jedoch keinen genügenden Erfolg, indem sie den Zwiespalt „ob und unter der Steige“, dort Zwinglis, hier Luthers Lehre, nicht aufhob. Den 15. Juli 1535 wurde Brenz berufen, an der ersten, von Schnepf entworfenen Kirchenordnung tätig zu sein. Zu Schmalkalden war er im Gefolge des Herzogs Ulrich (Anfang 1537) bei den Verhandlungen, musste jedoch vor ihrem Schluss heimreisen und übertrug an Bugenhagen die Vollmacht, für ihn zu zeichnen. Wiederum kam er auf Einladung des Herzogs 1537/38 nach Tübingen, die verrotteten Zustände der Universität neu zu gestalten, hielt auch Vorlesungen über Exodus und Psalm 51, hörte selber Kollegien über Mathematik und Astronomie, predigte das Wort öfters. Dazwischen fällt seine Beteiligung am „Uracher Götzentag“ (September 1537), wo die Frage von den Bildern zur Erörterung kam und Brenz nur für Entfernung der ärgerlichen stimmte. Von Hall aus, wohin er 1538 zurückgekehrt war, zogen ihn die vergeblichen Besprechungen von Hagenau, Worms, Regensburg öfters weg. Lieber daheim als Prediger tätig, erließ Brenz 1543 eine Frucht seiner bisherigen Erfahrungen: „Ordnung der Kirchen, in eines ehrbaren Rats zu schwäbisch Hall Obrigkeit und Gebiet gelegen“, ein Werk, das weit und breit Nachahmung fand. Seine gelehrten Studien, in denen er gerne „die große Not der Gegenwart vergaß und in der Betrachtung dessen, was der Herr für uns getan, ausruhte“ (Homilien zum Evang. Lucae, Kommentar zum Levitikus, über das Buch Esther, Brief an Philemon rc.), verschafften ihm auch verschiedene Berufungen auf Universitäten. Indes verblieb er seiner Gemeinde treu. Zu Regensburg 1546 war noch eine Besprechung von Theologen, welcher er, Trübes ahnend, beiwohnte. Den 17. Februar schrieb er einen Brief an Luther voll Klagen: „Unterstütze uns mit deinem Gebete, dass wir von diesen Ottern und Teufeln befreit werden; doch was kann uns Übles geschehen, da der Sohn Gottes bei seinem Vater für uns Wache hält und zu seiner Rechten sitzt.“ Luther hatte jedoch einen Tag vorher sein Haupt geneigt. Erschüttert wendet sich Brenz den 23. Febr. 1546 an Amsdorf in Wittenberg: „Was ihr von dem Tod Luthers, meines allezeit von ganzem Herzen verehrten Lehrers und Vaters in Jesu Christo mitteilt, hat mich aufs Tiefste betroffen. Ich zweifle zwar nicht, dass ihm, der einen so guten Kampf gekämpft, die Krone der Gerechtigkeit beigelegt sei und von allem Übel, so dieser Welt bevorsteht, befreit, nun mit Christo selig lebe. Was aber die Kirche für eine Wunde durch dieses teuren Mannes Tod erlitten, wird sich, ach, ich fürchte es, im Erfolg öffentlich darlegen. Wer wird meinem Haupt Wasser und meinen Augen Tränenquellen geben, dass ich beweine nicht die Erschlagenen, sondern die Verlassenen der Tochter meines Volkes. Aber Christus, wirst du sagen, ist nicht gestorben, der lebt ja noch und sitzt zur Rechten des Vaters. Wohl, aber das erwählte Rüstzeug Christi ist uns entzogen. Der Hingang der Helden pflegt gemeiniglich der Vorbote schlimmer Ereignisse zu sein rc.“

Etliche Monate später kam sein Galaterbrief heraus, den er hatte dem Reformator widmen wollen, ihm, „der das in der dichtesten Finsternis Begrabene wieder zu Tage gefördert rc.“. Es brach nun der schmalkaldische Krieg aus, der einen so schlimmen Verlauf nahm. Brenz beschreibt uns in einem Brief an Major in Wittenberg das Elend. „Ich danke dir, dass du mir in diesen Kriegszeiten so manchen Trost zusendest durch deine Briefe und frommen Büchlein. Ach, dass der Ausgang dieses Krieges wäre so glücklich gewesen, als wir gehofft hatten. Es wären nicht so viele fromme Leute so großen Gefahren ausgesetzt worden und ich selbst wäre kein Vertriebener. Aber weil es der Herr für jetzt anders beschlossen hat, so wollen wir uns unter seinen Willen beugen. Nach dem Abzug des verbündeten Heeres, nachdem der Kaiser Nördlingen, Dinkelsbühl und Rottenburg wieder in seiner Gewalt hatte, mussten auch unsre Bürger sich ergeben. Der Kaiser kam gnädig zu uns, und weil mein Haus, sowie die Häuser der übrigen Kirchendiener, nach dem Herkommen von der Beherbergung der Soldaten frei waren, so glaubten wir unsre Sachen und Schriften nirgends sicherer, als in unsern eignen Häusern, wie denn auch andre Leute Habseligkeiten bei uns niederlegten. Allein gleich beim Einzug des Kaisers drangen, während ich von Haus abwesend war, einige Trabanten in unsre Gasse und brachen überall die Türen auf, wo man sie ihnen nicht öffnete. Als ich nach Haus kam, sah ich, dass gerade die Trabanten mit Händen und Füßen, ja mit Hellebarden gegen die Türe meines Hauses stießen. Einer von ihnen, der mich für den Besitzer des Hauses hielt, setzte mir die Hellebarde auf die Brust und drohte, mich zu durchbohren, wenn ich nicht sofort öffnen würde. Ich öffnete und sie folgten mir, ich weiß nicht wie viele. Ich setzte ihnen vor zu essen und zu trinken, was ich hatte. Indessen warf ich meine Schriften und Briefe in die mit Schlössern versehenen Pulte. Als nun die Trabanten anfingen zu lärmen, schickte ich die Meinen aus dem Hause und folgte ihnen bald nach, indem ich das Haus mit allen Gerätschaften den Trabanten überließ. Tags darauf kam ein spanischer Bischof mit seinem Gefolge und seinen Eseln, jagte die Trabanten hinaus und nahm selbst Besitz von meinem Haus, das ich jetzt nicht mehr betreten durfte. Der Bischof machte sich alsbald über meine Bibliothek her, ließ die Schreibpulte aufbrechen und fing an, alle Papiere und Briefe, von denen er einige auf den Boden warf, zu durchsuchen. Unter diesen fand er auch mehrere Briefe von Freunden an mich und die Konzepte einiger von mir über den gegenwärtigen Krieg geschriebene Briefe, die mich in die größte Gefahr brachten, außerdem einige Predigten über den Krieg: dass nämlich die Verteidigung nicht ungerecht und keine Verletzung des Glaubens sei; denn wir könnten sonst Gott in diesem Kriegszug nicht um Hilfe anrufen, was ich der Gemeinde auseinandersetzen musste. Die Sache wurde an den Kaiser gebracht, und zwar, wie es so zu gehen pflegt, entstellt und vergrößert. Die Gefahr nötigte mich, zuerst Schlupfwinkel in der Stadt aufzusuchen. Da aber der Rat mich nicht schützen konnte, so drangen meine Freunde in mich, die Stadt zu verlassen, um mir und ihnen aus der Not zu helfen. Denn so weit war es gekommen, dass sich auch die Bürger meinetwegen fürchten mussten, und mir und meiner Familie in der ganzen Stadt kein andrer Schlupfwinkel blieb, als ein sehr enger Raum. Da habe ich erfahren, was es heißt: Du hast meine Bekannten ferne gemacht von mir rc. Ich verließ daher die Stadt am Johannisabend und ließ mein Weib und meine sechs Kinder mit aller meiner Habe, die ich schon für verloren achtete, zurück. Ich hatte fremde Kleider an, und zwar mehr schmutzige Lumpen, irrte die ganze Nacht auf den Feldern umher, nur mit einem Begleiter und kaum gegen die heftige Kälte geschützt. Du kannst dir denken, dieses Herumirren war mir bitterer als der Tod. Bald war es der Gedanke an die Gefahren der Meinigen, bald an die meiner Freunde und an die Not, die ihnen die bei mir vorgefundenen Briefe verursachen könnten, bald der an die Konfiskation meines zwar nicht großen, doch immer einige Zeit zum Unterhalt meiner Familie hinreichenden Vermögens, der mich quälte. Wurde mein Vermögen eingezogen, so wusste ich wohl, in welches Elend das meine Familie stürzen musste. Außerdem musste ich besorgen, den Spaniern in die Hände zu fallen, die in der Nachbarschaft und auf den Feldern, durch die ich gehen musste, herumlagen. Du wirst fragen, warum ich die Briefe nicht verbrannt oder an einen sichern Ort gebracht habe? Antwort: Ich dachte nicht, dass es in meinem Hause Gefahr haben könnte, da es keine Soldaten beherbergen durfte. Und ich hebe dergleichen auf wie einen Schatz. Aber wie? Es ist gewiss nichts ohne den Willen des Herrn geschehen. Und doch steht in den schriftlichen Sachen nichts, was nicht die reinste Wahrheit wäre und sich vor einem billigen Richter verteidigen ließe. Aber freilich, wo ist Billigkeit im Krieg? Sollte das unglückliche Ereignis mir zugerechnet werden, so hatte auch David nicht recht, dass er auf der Flucht bei Abimelech einkehrte und Anlass gab, dass so viele Leute getötet und die Stadt zerstört wurde (1. Sam. 21). Dazu kam noch ein andres Unglück. Du hast mir ein Büchlein geschickt mit dem Titel: Declaratio Caroli ad Barum etc. Dieses kam nicht zuerst an mich, sondern, ich weiß nicht wie, an die Edelleute und andere in der Nachbarschaft, die unsrer Stadt nicht hold sind. Diese ließen es endlich wohl durchlesen und nicht wenig beschmutzt in meine Hände kommen, und streuten bei dem Heer des Kaisers aus, es sei eine Schrift voll Schmähungen und Lästerungen in die Stadt geschickt worden, um da durch den Druck bekannt gemacht zu werden. Als nun meine Mitbürger den Kaiser um Gnade baten, war der Hauptvorwurf, der ihnen gemacht wurde, dass sie den Druck solcher Schmähschriften gegen den Kaiser erlauben: sie hätten verdient, dass man die Stadt niederreiße. Da jedoch das Büchlein weder bei uns gedruckt wurde, noch jene überhaupt darum wussten, so erhielten sie Verzeihung. Du siehst also, selbst dein Büchlein wäre beinahe Anlass geworden zur Verheerung der Stadt. O Himmel und Erde, was sind das für Zeiten und was wird noch über die Welt ergehen! Doch ändert der Kaiser die Religion noch nicht in den zu Gnaden angenommenen Städten, tut auch den Kirchendienern nichts zu Leid, und auch ich wäre wohl nicht in diese Gefahr gekommen, wenn sie mir nicht durch meine sehr mäßigen Predigten und meine Gebete um Sieg für die Unsrigen wäre bereitet worden. Denn wir haben öfters die Formel gebraucht, welche Dr. Pomeranus oder Philippus vorgeschrieben hat. Ich habe dir dies alles umständlich geschrieben, damit du dir das Schicksal deines unglücklichen Freundes, der in seinem höheren Alter noch als ein Vertriebener herumirren muss, in deinen Gebeten vor dem Herrn empfohlen sein lässt. Dem Philippus wollte ich nicht schreiben, um nicht zu dem Übermaß von Kummer, das, wie ich weiß, ihn dermalen drückt, auch noch den um mein Elend hinzuzufügen. Mein Mut ist allerdings durch Gottes Gnade noch ungebrochen. Wenn mich aber nicht das Schicksal der Meinigen denn um sie bin ich sehr besorgt bekümmerte, so müsste ich von Eisen sein, und wie könnte ich sonst den Herrn um die Rettung anflehen. Ich bin entblößt von aller menschlichen Hilfe und weiß nicht, wohin ich mich wenden soll. Aber ich zweifle nicht, je mehr ich zerschlagenen und demütigen Herzens bin, desto näher ist mir der Herr, der allem noch einen glücklichen Ausgang verleihen wird. Ich werde auch ferner noch tragen können, was mir zugeschickt wird. Bitte du den Herrn Philippus (Melanchthon), dass er auch für mich zu Gott bete. Ich hätte auch dann dem Dr. Joachim Camerarius geschrieben, aber ich weiß nicht, ob man Briefe mit Sicherheit abschicken kann; denn nachdem das Heer von uns abgegangen war, hörten wir, Herzog Moritz belagere Wittenberg, und die hohe Schule sei von Herrn Philippo und dir nach Magdeburg verletzt worden. Indessen wissen wir über die hessischen und sächsischen Angelegenheiten nichts Gewisses. Du wirst mir daher einen angenehmen Dienst erweisen, wenn du dem Camerarius gelegentlich einiges über mein Schicksal schreibst. Während ich das schreibe, verweilt der Kaiser noch in Hall, und ich befinde mich sechs bis sieben Meilen weit entfernt in einem Schlupfwinkel unter freiem Himmel in Erwartung einer Nachricht von meiner Familie und Habe. Was aus Straßburg und Ulm werden wird, weiß ich nicht. Kurz, wohin ich sehe, überall brennt die Fackel des Krieges und alles ist kaiserlich. Darum, wenn es kein Land mehr gibt, das mich aufnehmen kann, so bitte ich den Herrn, dass er mich in den Himmel aufnehme.“ Als der Kaiser am Ende von 1547 aus Hall weggezogen war, kehrte Brenz, von den Hallern dringlich gebeten, zurück, jedoch nicht auf lange. „Das Interim“ erschien: „Der Kaiserl. Majestät Erklärung, wie es der Religion halber bis zum Austrag des gemeinen Konzilii gehalten werden solle.“ Brenz konnte sich nicht enthalten, hiergegen stark zu sprechen. Es wurde bekannt, und Granvella, der Kardinal und kaiserliche Kanzler, sandte nach Hall einen Kommissär, der dem Rate befahl, den Missetäter auszuliefern. Die Ratsherren wurden eidlich verpflichtet, Stillschweigen zu halten. Einer jedoch trat erst nachher ein und ließ gleich nach der Sitzung ein Zettelchen ausgehen: „Fliehe, fliehe, Brenz, so rasch wie möglich!“ Freund Isenmann überbringts (24. Juni 1549), als die Familie zur Feier des Geburtstags ihres Hauptes beisammen saß. Stumm erhob sich Brenz und verließ die Seinen. Auf der Straße begegnet ihm der Kommissär und lädt ihn auf den andern Tag zum Essen ein. „So Gott will,“ antwortet Brenz und eilt zum Tor hinaus. Da bot ihm bei Tag der dichte Wald ein Versteck; wenn es dunkel wurde, kamen die Seinigen mit ihm an einem unbekannten Ort zum Gebet zusammen. Hören wir ihn selbst sich in einem Brief aussprechen: „Gnade und Friede durch Christum! Obwohl ich nicht zweifle, mein Bruder, dass ihr Freunde schon genug beschwert seid von dem allgemeinen Unglück, das in dieser für unsre Kirche so unheilbringenden Zeit auch bis zu euch gedrungen ist, so kann ich doch nicht umhin, dir zu schreiben, wie es mir, meinen Kollegen und meiner Kirche ergangen ist. Denn schon die Mitteilung schafft im Unglück Linderung. Nachdem meine Mitbürger notgedrungen das Interim angenommen, fuhr ich fort, nach meiner Weise zu predigen. Als ich aber am Johannistag abends von der Predigt nach Hause kam, ließ mir ein Freund sagen: ich möge so eilig als möglich fliehen. Ich gehorchte, hoffte aber, bald wieder heimkehren zu können, sobald ich einmal die Ursache meiner Flucht wüsste. Êrst des andern Tages sagte man mir, der Kaiser habe meinen Mitbürgern befohlen, mich gebunden nach Augsburg zu liefern, weil ich in öffentlicher Predigt den Kaiser verdammt und die übrigen Fürsten mit Schimpfworten belegt hätte. Ich habe nun zwar meine Meinung vom Interim im stillen dem Rat schriftlich übergeben, aber in der öffentlichen Predigt des Interims nie mit einem Wort erwähnt; auch kam mir niemals in den Sinn, gegen die höchsten Würden des Reichs je ein Schimpfwort fallen zu lassen, sondern ich fuhr in meiner gewohnten Weise fort, einige Stellen der Schrift in der Kürze zu erklären. Deswegen entschuldigte mich der Rat, der wohl wusste, dass mir offenbares Unrecht geschehe, bei dem Kaiser mit der Bitte, wenn man ihm nicht glaube, einen eignen Abgeordneten hierher zu schicken, der auch die Zeugnisse einzelner Bürger hören könnte. Aber gegen den Biss der Verleumder gibt es kein Mittel, Der Unwille über meine Predigten war sehr groß; und weil die Bürger den Befehl nicht befolgt, sondern durch die Finger gesehen hätten, um mir noch Zeit zum Fliehen zu lassen, so erhielt die spanische Besatzung in Heilbronn den Befehl, nach Hall zu ziehen und dort das Interim selbst einzuführen. Während die Soldaten noch auf dem Wege waren, wurden auch meine Kollegen (Gräter und Isenmann) vertrieben, weil sie erklärt hatten, sie wollen und können nicht Messe lesen. Bald wurde auch meine Ehefrau, die seit vielen Monaten an der Schwindsucht hart darniederliegt, von meinen Freunden genötigt, das Wichtigste von unsern Habseligkeiten zu verkaufen, das Minderwichtige aber dahinten zu lassen. Jetzt nahmen die Soldaten Besitz von der Stadt. Sogleich eilte der Hauptmann mit seiner Wache und mit Steinmetzen in mein Haus, es zu plündern und wenn ich etwas innerhalb der Mauern verborgen hätte, sie niederzureißen. Da er aber nichts als einige Kleinigkeiten fand, nahm er ein Verzeichnis darüber auf und verließ das Haus wieder, ohne etwas zu verletzen. Bald wurden auch die Kirchendiener auf dem Lande, die sich weigerten, Messe zu lesen, verjagt. Unter diesen sind nicht nur ehrbare und gelehrte junge Männer, sondern selbst Greise, deren Schicksal mich in meinem eignen Exil tief bekümmert.‘

So wird denn nun in derselben Kirche, in der ich fünfundzwanzig Jahre lang das Evangelium gepredigt habe, die Messe wieder eingeführt. Da hast du, Bruder, die Größe und Schwere des Unglücks, das auf uns liegt. Die Spanier halten Stadt und Land besetzt und quälen unsre Bürger in bekannter Weise. Der Götzendienst wird in meiner Kirche wieder hergestellt; ich und meine Amtsgenossen irren als Verbannte umher; mein Weib kann vor Schwäche kaum auf die Füße stehen; meine kleinen Kinder leben unter Fremden. Wohin ich komme, heißt man mich weiter fliehen, weil ein Preis auf mein Haupt gesetzt sei. In dieser Not tröstet mich mildiglich und stärkt mich der Herr, der bei denen wohnt, die demütigen Geistes und zerschlagenen Herzens sind. Würde man mich nicht für vermessen halten, so würde ich nicht anstehen, mit der Gnade des Herrn meine Mitbürger selbst mit meinem Leben von den Spaniern zu befreien. Denn wenn meinetwegen dieses Unglück über die Stadt gekommen ist, so lasse ich mir gerne gefallen, wie einst der Prophet Jonas ins Meer geworfen zu werden. Vorerst bin ich verborgen, freilich kaum, und kann nur warten auf den Sieg der Wahrheit. Siehe, wie die Augen der Knechte sind in den Händen ihrer Herren, so erheben sich unsre Augen zu dem Herrn unserm Gott, bis er sich unsrer erbarme. Das wird er auch sicherlich tun um seines Sohnes, unsers Heilandes, willen, in dessen Namen wir das dulden. Kannst bu, so wirst du uns große Freude machen, wenn du über eure Angelegenheiten mit nur wenigen Worten schreibst. Wir empfehlen uns alle deiner und der Deinigen christlichen Fürbitte.“ – Der Flüchtling nahm noch von seinem todkranken Weib Abschied und wandte sich, verschiedenen Einladungen ausweichend, nach Württemberg, dessen Herr sich seines Elends „fürstlich, treulich, christlich angenommen“. Herzog Ulrich ließ ihn an der Grenze durch einen Sekretär abholen und auf das Bergschloss Hohenwittlingen, in der Nähe von Urach geleiten, ohne selber diesen Ort kennen zu wollen. Hier gab der Exulant einen Kommentar zu den Psalmen 93 und 130 heraus (autore Wittlingio). Die Spanier suchten ihn unter anderem auf dem württembergischen Schloss Rothenberg auf. Ihre vergeblichen Fahndungen bewogen den Herzog, den Schützling außerhalb des Landes unterzubringen. Er sandte dem Armen Geld und Brenz wanderte vermummt über Straßburg und Mömpelgard nach Basel, durfte daselbst von alten und neuen Freunden viel Freundliches genießen, arbeitete seinen Kommentar zum Jesaias aus und machte namentlich die Bekanntschaft mit Prinz Christoph von Württemberg. Dieser hatte schon zuvor seine Schriften kennen gelernt und freute sich sehr, ihn zu finden: er nahm zwei seiner Töchter zu sich auf. Nun traf die Nachricht ein, dass deren Mutter den 18. November 1548 gestorben sei, längerem Siechtum erlegen. Der Witwer war nicht mehr zu halten: er ging, abermals vermummt, nach Stuttgart, um seine Waisen zu sehen. Teilnehmend empfing ihn der Herzog, dem er seinen tiefen Dank für die der Entschlafenen und ihren Kindern erwiesenen Wohltaten ausdrückte. Des Bleibens war jedoch kurz. Ein geheimer Eilbote brachte dem Herzog aus München die Nachricht, es habe der Kaiser einen Kommissär beauftragt, Brenz lebendig oder tot abzuführen. Ulrich eröffnet’s dem Verfolgten: „Ich will keine Schuld an eurem Blute haben, rettet euch, wohin ihr wollt; sagt mir nichts davon; wenn ihr Gott lieb seid, wird er über eurem Leben wachen.“ Brenz eilte weg, sah zum sternbesäeten Himmel auf, warf sich in seinem Zimmer auf die Knie, kaufte noch einen Brotlaib, wandelte durch die Straßen und gelangte zuletzt vors alte Ständehaus, das offen stand, stieg unbemerkt vier Treppen hinauf und verkroch sich unter dem Dach hinter einem Holzstoß. Andern Tages rückte der Gesandte des Kaisers mit spanischen Scharen ein, besetzte die Tore der Stadt, auch die Zimmer des Herzogs, mit Wachen, durchsuchte sämtliche Häuser, zuletzt auch das Ständehaus. Ein Soldat stieß die Klinge durch den Holzstoß, Brenz musste sich ausbeugen. Umsonst, hieß es. Die Häscher zogen ab. Gegen vierzehn Tage dauerte dies Durchsuchen der ganzen Residenz. Wie konnte sich Brenz mit seinem Brotlaib erhalten? Eine Henne schlich Tag für Tag hinter seinen Holzstoß und legte dahin ein Ei, wie dereinst Elias durch Raben gespeist wurde. Nach dem Wegzug der Spanier verfügte sich Brenz alsbald zum Herzog, der ganz verblüfft seine Hand ergriff, ihn ans Fenster führte, mit ihm auf die Knie sich warf zum Lob des Herrn, den Geretteten umarmte. Solches erzählt und glaubt man in Schwaben, wenn’s auch an geschichtlichen Beweisen und Gegenbeweisen fehlt. Andern Morgens eröffnete ihm der Herzog: „Lieber Brenz, ihr könnt für jetzt nicht öffentlich leben, und ich kann euch gegen des Kaisers Macht nicht länger sichern; weil aber an der Erhaltung eures Lebens gar viel liegt, so will ich euch zu meinem Burgvogt in Hornberg (bei Zwärenberg im Oberamt Calm) machen, wo ihr unter dem Gewand eines weltlichen Beamten den Nachstellungen eurer Feinde verborgen bleiben könnt. Hierbei habt ihr für eure Kinder Brot und könnt sie selbst erziehen. Nur müsst ihr, um nicht verraten zu werden, einen andern Namen führen. Voll tiefen Dankes begab sich Brenz dahin. Um diese Zeit schlug er eine Berufung nach Magdeburg aus: „Ich wollte gern, es ist aber ein Fürst, der mich durch die Gnade des Sohnes Gottes in meines Lebens Fahr mit seiner eignen Fahr aus des Löwen Rachen errettet hat. Ihm habe ich zugesagt, zu warten. Und es ist ehrlich, Glauben zu halten. Auch bin ich um der großen Wohltaten willen, die mir der Fürst erzeigt hat, verpflichtet, nach auswärts abzulehnen rc.“ Unter dem Namen „Huldreich“ (Johannes) Engster“ (Brenz griechisch) blieb er ein Jahr lang auf dieser Wartburg mit seinen Kindern, gab den Katechismus in zweiter Auflage heraus und vollendete den Jesaiaskommentar. Im Spätsommer 1550 berief ihn der Herzog wieder in seine Nähe nach Urach, woselbst Freund Isenmann, gleichfalls aus Hall vertrieben, Stadtpfarrer geworden war. Dieser gab ihm, der im benachbarten Dorfe Mägerkingen Wohnung genommen hatte, seine Tochter Katharina den 7. September 1550 zur zweiten Gattin.

Kurz hernach, den 6. November 1550, wurde Herzog Ulrich von hinnen genommen: der hochbegabte, schwergeprüfte Fürst, zu dessen Verdiensten es gehört, in Württemberg die Reformation angebahnt, für sie den rechten Mann in Brenz auserlesen und edelmütigst unterstützt zu haben. Sein Sohn Christoph kam auf den Thron. An ihm hatte früher schon Calvin „einen wunderbaren Gleichmut, Unerschrockenheit gegen alle Stürme, Bereitwilligkeit, lieber unter dem Banner des Kreuzes Christi zu streiten, als mit der Welt zu triumphieren“, gerühmt, ihn prophetisch als einen Fürstenspiegel gezeichnet. Herzog Christoph, der die Bekanntschaft mit Brenz in Straßburg nicht vergessen und ihm einen Ruf nach England abgeraten hatte, zog nun den Verbannten zu sich, seines Rates unter den schwierigen Verhältnissen zu genießen. Zunächst wurde Brenz nach Sindelfingen, einem Städtchen in der Nähe Stuttgarts, versetzt. In erster Linie handelte sich’s um das Konzil zu Trient, auf den 1. Mai 1551 ausgeschrieben, dem der Herzog nicht ausweichen konnte. Brenz musste hinreisen und überbrachte seine „Confessio Württembergica“. Diese behandelt, noch ausführlicher als das Augsburger Bekenntnis, in 35 Artikeln die Grundsätze der Evangelischen gegenüber den Katholiken. Sie machte bedeutsamen Eindruck, aber die Versammlung zu Trient zerstob unter dem Feldzug des Kurfürsten Moritz gegen den Kaiser. Brenz kehrte den 17. April nach Tübingen zurück, wo der Herzog sich aufhielt, und gab immer noch unter dem Namen „Huldreich Engster“ eine Beschreibung jenes unredlichen Konzils heraus.

Moritz von Sachsen drang siegreich vorwärts und nötigte den Kaiser zu dem Paussauer Vertrag (2. August 1552), dem in ergänzender Weise der Augsburger Religionsfriede (26. Sept. 1555) nachfolgte: den Anhängern der Augsburgischen Konfession wurde nicht nur völlige Gewissens- und Religionsfreiheit, sondern auch politische Rechtsgleichheit, wie den Katholiken, und Fortbesitz der bereits eingezogenen Kirchengüter zugesichert. Ein stattlicher Erfolg, namentlich der festen Ruhe Christophs in den Verhandlungen zu verdanken, dem Brenz ein treffliches Gutachten (Epitome consilii Brentii de restauranda concordia inter diversarum religionum asseclas, de anno 1559) geliefert hatte. Dem Tage von Passau folgte gleich der Vergleich zwischen König Ferdinand und Herzog Christoph, durch den dieser als Herr von Württemberg anerkannt wurde. Den 13. August 1552 hatte das Interim, der Chorgesang, das Messelesen rc. der Papisten ein Ende. Brenz bewies aus dem Passauer Vertrage der Fürsten Reformationsrecht (consilium de abroganda missa nec non genuino intellectu Pataviensis transactionis). Auf sämtliche Pfarrstellen wurden wieder evangelische Prediger, so weit man hatte, gegeschickt. Endlich kam auch an Brenz, der von Sindelfingen aus nach Ehningen bei Herrenberg hatte der Pest wegen versetzt werden müssen, die Beförderung auf die Propstei der Stiftskirche Stuttgart (1553). Der „Bestallungsbrief“, den 24. September 1554, ordnete die Besoldungsverhältnisse für Brenz. Er bekam zugleich die Generalsuperintendenz über die gesamte Kirche Württembergs, die Vorstandschaft am Konsistorium, den Sitz im Geheimen Rate, dazu den Auftrag, die Hochschule Tübingen, das dortige Stift und die Klöster des Landes jährlich zu visitieren. Dazu gehörte der staunenswerte Fleiß, in dem er mit Herzog Christoph gewetteifert hat. Hand in Hand führten beide nun die von Herzog Ulrich begonnene Reformation des Landes durch. Die verschiedenen Ordnungen des letzteren kamen verbessert und vermehrt heraus (Der Armenfasten 1552 Ehewesen 1553 Von der Kirche 1553). Für das Tübinger Stift, welches Ulrich 1536 errichtet hatte, sowie für die Vorseminare wurden 1557 Normen gegeben und, ja nicht zu vergessen, die Volksschulen geschaffen. Dies alles wurde von der „großen Kirchenordnung“ zusammengestellt: „Summarischer und einfältiger Begriff, wie es mit der Lehre und Zeremonien in den Kirchen unsers Fürstentums, auch denselben Kirchen anhangenden Sachen und Verrichtungen, bisher geübt und gebraucht, auch fürohin mit Verheißung göttlicher Gnaden gehalten und vollzogen werden soll“ (Tübingen 1559). Das Kirchenrecht Württembergs hat heute noch diese Sammlung, trotz aller Veränderungen, als Grundlage. Den Gemeinden ist unter anderm ein Veto gegen die Bestallung ihrer Geistlichen eingeräumt: „So die Kommun einen redlicher und ehrhafter Ursachen willen rekusiert, soll derselben keiner wider ihren Willen aufgebunden werden, es wäre denn die Rekusation aus liederlichen Ursachen, Unverstand oder eigenwillig fürgenommen worden, worauf die Kirchenräte besonders aufzumerken haben.“ In betreff des „Kirchengutes“ heißt es, dass dasselbe, „ohne gemindert oder geschmälert zu werden, bei der Kirche möglich und unwiderruflich bleiben und davon nichts hingegeben oder alieniert werden soll“. Der aus ihm gebildete „Kirchenfasten“ bekam die Bestimmung, der Kirche zu guter und nützlicher Haushaltung zu verhelfen, zur Unterhaltung und Besoldung der Geistlichen, der Schulmeister und deren Kollaboratoren, Herstellung der nötigen Gebäude, Handreichung der Armen, auch allen und jeden andern gegenwärtigen und künftigen der Kirchen Notdurften. Seine Verwaltung wurde dem Kirchenrat übertragen, der Überschuss (das „Residium“) vertragsmäßig zu den allgemeinen Landesanlagen verwendet. An dem Aufbau dieser Verordnungen half besonders der herzogliche Rat M. Kaspar Wild mit, gleichsam die rechte Hand von Brenz, derselbe, welcher auch im Auftrag des Herzogs das Landrecht überarbeitete. Die Fäden des ganzen Systems beisammen zu halten: hierzu gehörte die Willigkeit und Fähigkeit eines Herzogs Christoph, wie der weise Rat, welchen er stets von seinem ergebenen Diener Brenz einholte, dass dem so seltenen Vertrauen, worin ein Fürst und ein Pfarrer miteinander für das Reich Gottes wetteiferten, zugesetzt worden, lässt sich erwarten und blieb von verschiedenen Seiten keineswegs aus, jedoch stets umsonst. Einen Versuch dieser Art strengte die Schrift eines früheren Beichtvaters von Karl V., dann theologischen Professors in Dillingen, des Dominikanermönchs Peter a Soto an: „Behauptung des katholischen Glaubens gegen die Artikel der Württembergischen Konfession“, Köln 1552; dem Herzog aus Rücksicht auf sein Seelenheil“ gewidmet. In der Entgegnung („Apologie der Württembergischen Konfession“ 1553), ebenfalls dem Herzoge gewidmet, wird Brenz etwas bitter: „So wollen sie dich und das Heil deiner Seele von dem Mönchsgürtel und der Kapuze, von mönchischen Träumen und Irrtümern abhängig machen. Doch da der Asot in seiner Schrift unehrerbietig nicht bloß gegen die heilige Schrift, sondern selbst gegen den Sohn Gottes ist, dessen Ehre und Majestät er dem Tand menschlicher Werke zur Seite stellt, so ist nicht zu befürchten, dass deine Hoheit sich durch das Geschrei dieses unbekannten Mönchleins, wie er sich selbst nennt, von der Erkenntnis der reinen Lehre, von der Pflicht eines christlichen Fürsten abbringen lasse.“

Weit mehr zu schaffen machten ihm die Bewegungen der evangelischen Zank und Streitlust (rabies theologorun), welche sich mehr und mehr hob. Andreas Osiander, Professor in Königsberg, erregte, mit seiner mystischen Rechtfertigungslehre, gewaltige Bedenken, welche Brenz 1552 durch ein Gutachten zu mildern suchte. Dies warf auf ihn den Verdacht und Bezichtigung eines Abfalls von der Lehre Luthers. Er schrieb an Melanchthon: „Ich bin von einem solchen Abscheu gegen den giftigen Hader erfüllt, dass, so oft ich daran denke, ich mich entweder eilig zum Gebet oder zu meinen Freunden wende, um dieser ärgerlichen Gedanken los zu werden.“ Den „Hyperevangelischen“, welche Melanchthon und Brenz exkommunizieren wollten, das Handwerk niederzulegen, gelang endlich der preußischen Kirchenordnung (1558) und (1567) der neuen preußischen Konfession, einer Vorläuferin der Konkordienformel. Auf dem Gespräche zu Worms (1557), das die Katholiken und Evangelischen vereinigen sollte, versuchten die Theologen Jenas, an der Spitze Flacius, die Verdammung der Irrlehrer (Zwingli, Osiander, Adiaphoristen, Synergisten rc.) durchzusetzen. Melanchthon und Brenz widersprachen: obgleich sie das Irrige vollständig zugaben, sei’s nicht recht, solche Leute der Hölle zuzuwerfen; mit schonender Geduld müssten sie für die Wahrheit gewonnen werden. Darob wutentbrannt, verließen die Jenenser Worms. Die Katholiken gleichermaßen: das Gespräch nahm ein klägliches Ende. Betrübt, aber nicht hoffnungslos, drückte sich Brenz gegen Christoph aus: „Es kann nicht fehlen, dass die Spaltung der Unsern großes Ärgernis und den Papisten freudig Jubilieren bringe. Der Allmächtige hat nicht von uns gelassen: es kann ihm seine Schäflein niemand aus der Hand reißen. Die Welt mag nimmer ohne Ärgernis sein, das Unkraut wird für und für unter den guten Weizen gesät. Was durch fügliche Mittel ausgereutet werden mag, da ist Gott zu danken. Was aber nicht füglich sein mag, das muss man Gott bis zur Ernte auszureuten befehlen.“

Im folgenden Jahr (1558) hatte Brenz mit seinem Herzog auf den Reichstag in Frankfurt zu reisen. Für Karl V., der maßleidig den Thron verlassen, wurde Ferdinand als Kaiser bestätigt. Auch Brenz nahm auf Einladung am Krönungsmahl teil. Um dem Gerücht vom Zerfall der Evangelischen entgegenzutreten, wollte Christoph eine Generalsynode zustande bringen. Melanchthon und Brenz rieten ab. Indes gelang es, etliche Fürsten zum „Recesse“ zu vereinbaren, der über hauptsächliche Dogmen entschied. König Maximilian, der Sohn des Kaisers, äußerte seinen Glückwunsch an Christoph: „Durch solchen Weg der Vergleichung sticht man dem Papste den Hals ab, darum nicht wenig daran gelegen.“ Brenz, von amtlichen Geschäften heimberufen, war nicht mehr beim Schluss dieses Recesses anwesend, verteidigte denselben aber gegen die schnaubenden Jenenser in einer Schrift. Es gelang dem Recess die Versöhnung der Parteien allzuwenig. Zähestens an ihr hängend, ließ Herzog Christoph im nächsten Jahre (1559) Brenz ein Gutachten ausarbeiten, ob nicht eine Generalsynode zu diesem Zweck einberufen werden möge? Nein, antwortete Brenz, die Kluft würde sich steigern. „Denn wer unter den Fürsten wollte Konstantinus, wer unter den Theologen Lutherus sein? Ohne solche zwei Männer ist kein Frieden zwischen so haderischen, zänkischen, auch jungen und hitzigen Theologen zu hoffen, wenn man sie zusammenkommen lässt. Was ist zu tun? Luge ein jeglicher Fuchs seines Balges: habe jeder Fürst auf sein Fürstentum und auf seine Kirchen acht, dass darin friedlich regiert und gelehrt werde; erbiete sich gegen die andern seines möglichen Dienstes und befehle die Sache Gott nach dem Spruch: Befiehl dem Herrn deine Wege, der wird’s wohl machen.“ Cujus regio, ejus religio – der Grundsatz klopfte bereits an. Sogar Melanchthon musste sich vor seinem Hingange (19. April 1560) ähnlich aussprechen: der „platonischen Idee“ von der Einigung schoben die tatsächlichen Verhältnisse der Zeit immer starre Riegel vor. Die Zensoren Jenas ließen auch den Fürstentag zu Naumburg (1561), der auf den sehnlichen Wunsch Christophs Frieden bringen sollte, zu keinem genügenden Erfolge gelangen. Ebenso wenig vermochten die Tage von Bebenhausen (September 1563), von Ettlingen (Oktober 1563), Maulbronn (April (1564): Discordia verblieb, welche sich in einem neuen Schriftenwechsel hin und her erging. Überall wurde Brenz in Lehrstreitigkeiten verflochten. Schwabens Eigentümlichkeit zog von jeher allerlei Sektierer heran, der jungen Kirche Gefahr drohten. Brenz musste sich gegen Schwenkfeld wenden: das Religionsedikt von 1558 verpönte dessen Lehre, das Lesen und Verkaufen seiner Schriften bekam ein Verbot. Ebenso wurde der edle Pole Lasky, wegen abweichender Ansicht vom Nachtmahl, dieser Achillesferse der damaligen Gottesgelehrtheit, ausgewiesen, „Offenbar ist es besser, die Fremden, welche die Kirche mit ihren Dogma verwirren, einfach zu entlassen, als sich in lange Streitigkeiten mit ihnen einzulassen“: so herb kann ein Kirchenmann, trotz aller angeborenen Milde, werden. Streng verfuhr Brenz auch gegen den württembergischen Pfarrer Hagen, der mit Calvin in Briefwechsel stand und bei der Mutter Christophs, der Herzogin Sabina, zu Nürtingen viel verkehrte. Dieser wurde des Calvinismus angeklagt und ins Verhör der Behörde genommen. Als er sich auf Brenz‘ Erklärung von Joh. 6 berief, brach letzterer so heftig auf und aus, dass der Pfarrer um Verzeihung bat und seinen Beitritt zur Lehre Württembergs erklärte. Darauf ließ der Herzog (den 19. Dezember 1559) eine die Theologen und Kirchendiener des Fürstentums verpflichtende Norm ergehen „von der wahrhaftigen Gegenwärtigkeit des Leibes und Blutes Jesu Christi im heiligen Nachtmahle“. Der „Ubiquität“ wurde feierlich das Wort gesprochen. Hiermit hatte, dogmatisch angesehen, das gestrenge Luthertum in Württemberg den Sieg errungen. Melanchthon, der sich mehr und mehr der Ansicht Calvins vom Nachtmahl genähert hatte, schrieb an den Kurfürsten: Mit der alten, reinen Kirchenlehre streiten die württembergischen Artikel so gut, wie die der Papisten, eines Westfals rc. Aufs tiefste gereizt, nannte der sonst so friedsame, von Leiden und Anfechtungen vielbestürmte Magister Germaniel jene Norm ein „anmaßliches“ Werk, in „Hechinger Latein“ verfasst. Indes die Liebe höret nimmer auf. Seine letzten Briefe lauten: „Reverendo viro, eruditione et virtute praestanti D. Joanni Brentio, gubernanti ecclesiam Dei in regione Württembergensi, Fratri suo carissimo.“ Die Geschichte darf in den Hauptsachen die beiden Hauptvertreter Luthers, Melanchthon und Brenz, engverbunden ansehen. – dass keiner von beiden das theologische Doktordiplom erhielt, soll bis heute manchen vergeblich danach Strebenden trösten. –

Auch nach außen entfaltete Brenz im Gefolge seines Fürsten einen staunenswerten Eifer. Seiner Beratung hatten besonders Baden, die Rheinpfalz, Wesel, Jülich, Cleve, Braunschweig-Wolfenbüttel viel zu danken. Den Evangelischen Bayerns, von den Jesuiten abscheulich verfolgt, schrieb er einen Trostbrief, auf Jesaias 41 hinweisend. Ein Vorbote der Mission, schuf er in Urach eine Druckerei, worin unter seiner Aufsicht Übersetzungen der heiligen Schrift und evangelische Bücher herauskamen, um tausendweise nach Italien, Kärnten, Krain, Steiermark rc. versandt zu werden. Das Religionsgespräch zu Zabern in Elsass, dem er, mit Herzog Christoph, beiwohnte (Februar 1562), war nur eine teuflische Komödie, welche die Herren von Frankreich aufführten. Als der Herzog nach der Heimkunft von der abgeschworenen Verfolgung seiner Glaubensgenossen erfuhr, war er sehr betrübt und äußerte: „Adie France mit all deiner Untreue; so Gott will, soll sich’s noch fügen, dass man sagen wird, Württemberg habe den Franzosen auch ein Pössichen gemacht.“ Brenz wurde gar verleumdet, er hätte sich gegen die Calvinisten mitverschworen gehabt: was doch seinem durchaus wahren Charakter ganz unmöglich war, wenn er auch mit zunehmendem Alter von Leidenschaft gegen dogmatische Feinde nicht frei blieb. Der fortwährende Hader, besonders um das Nachtmahl, erregte freilich nach und nach auch seine Nerven, die vordem viel zu tragen vermochten, jedoch nie zu bösartigem Eifern. Zur Intrige fehlte dem hochbegabten Mann jede Fähigkeit. Ebenso ferne blieb er gewöhnlichem Ehrgeiz. Wir sahen ihn schon früher Anträge glänzender Stellungen ausschlagen. Er wollte Pfarrer bleiben und blieb’s. Die Seelsorge durchs Wort war ihm stetes Bedürfnis. Daher sein staunenswerter Fleiß im Predigen, das er lange jeden Tag trieb, dem auch die Menge seiner exegetischen Schriftstellerei diente. So sehr letzteres, dass man kaum zwischen praktischer und wissenschaftlicher Behandlung den Unterschied zu finden weiß. Mitten unter gelehrten Auslegungen treffen wir genug Stellen, die beweisen, warum er seine Kommentare Homilien benannte: weil sie der Vorbereitung auf seine vielen Sonntags- und Wochenpredigten galten, manchmal aus diesen erst nachträgliche Bemerkungen enthielten. Auch die Psalmenerklärung entstand aus Reden, die der Visitator in den Klöstern des Landes hielt. Seine Sonn- und Festtagspredigten gab M. Pollicarius (Frankfurt 1550) in einer Postille lateinisch heraus, jedoch mit Einschaltung von Kommentarstellen. Deutsch erschien (1556 und 1559) von seinem Freunde Gretter „Auslegung aller Evangelien und Episteln durch Johannes Brenz“. Nur einzelne Gelegenheitspredigten sind zuverlässig und völlig nach Form und Inhalt von ihm selber. Jedenfalls geben uns alle Predigten den Eindruck von seiner Äußerung: „Ich gehe niemals auf die Kanzel, dass ich nicht allemal mit einer neuen und größern Ehrerbietung und Sorgfalt gerührt werde, als zuvor, weil ich weiß, dass ich vor Gott und Engeln predige.“ Von der Anziehungskraft, womit sie wirkten, haben wir genug Beweise. Die Haller Gemeinde wurde tiefstens erfasst; aus der Umgebung wallfahrteten die Pfarrer und andre heran, sie zu hören; in Stuttgart sammelten sie lange Fürst und Bürger, hoch und niedrig scharenweise. Von einem Nachlass in späterer Zeit wird uns freilich auch berichtet. Es kam ein angesehener Pfarrer aus Lauingen einst in die Kirche, fand sie halb leer und äußerte hierüber verwundert: „Um so weniger Menschen willen würde ich kaum die Kanzel bestiegen haben.“ Brenz wies ihn beim Nachhausegehen auf einen Brunnen am Wege: Wisst ihr, was die größte Tugend dieses Brunnens ist? Er gibt, ob viele oder wenige daraus zu schöpfen kommen, immer gleich reichlich Wasser, und ist ein Vorbild für die Prediger des göttlichen Wortes.“ Wer sich so zu trösten weiß, bedarf keines weiteren Trostes. Luther äußert sein Gefallen in den Tischreden: „Es ist keiner unter den Theologen unsrer Zeit, der die heilige Schrift also erklärt und handelt, als Brentius, also, dass ich mich oft wundere über seinen Geist.“ Ein andermal schreibt er an diesen: „Vor allem halte ich die Gabe Gottes an euch hoch und teuer, dass ihr so treulich und lauter auf die Gerechtigkeit des Glaubens dringt, sintemal diese Lehre ist das Hauptstück und der Eckstein, welcher allein die Gemeinde Gottes zeugt, nährt, baut, erhält, beschützt, und kann ohne ihn die Gemeinde Gottes nicht eine Stunde bestehen, wie ihr denn wisst und fühlt. Darum dringt ihr so darauf; denn niemand kann recht lehren in der Kirche, der nicht an diesem Punkt, oder wie’s Paulus nennt, an dieser gesunden Lehre bleibt.“ Fürchtete Luthers feine Spürkraft, Brenz möchte von seiner Neigung, der Sittenlehre gerecht zu werden, sich zu weit hinreißen lassen? Er trieb sie weit mehr als die andern Prediger der Reformation und zeichnet sich eben dadurch aus, einer einseitig dogmatischen Behandlung nicht gehuldigt zu haben. Es ließe sich aus den verschiedenen Ausführungen leicht eine christliche Moral zusammenstellen, jedoch stets schriftgemäß begründet. In formeller Hinsicht ergeht sich Brenz nach seiner Natur mit großer Klarheit und Anschaulichkeit, mit Beispielen, Redensarten, Sprichwörtern, Bildern, auch heidnischen Aussprüchen, hauptsächlich Mustern aus dem alten und neuen Testament. Arm, nicht leer, an rhetorischem Schmuck, sind seine Reden um so mehr logisch geordnet und verraten manchmal schon unsre synthetisch-analytische Methode. Der Text wird meistens einfach, nicht allegorisch, ausgelegt und auf die Verhältnisse des Lebens angewendet, vielfach ein Hauptgedanke (Thema), sodann in einzelnen Teilen ausgeführt.

Ohne Bitterkeit prüft und verwirft er er gegebenen Ortes die katholischen Irrtümer und Missbräuche, voll Ernstes verweist er seinen Kirchengenossen das Kleben an bösen Gewohnheiten oder falschen Ansichten und möchte sie nach der vernünftigen, lauteren Milch begierig machen, damit sie durch dieselbige zunehmen. Wie sehr es Brenz verstand, von seiner Lutherischen Dogmatik auch keinen Gebrauch zu machen, zeigt ein Stück aus den Abendmahlspredigten von 1556, das wir mehr als die hoch und überhoch gelehrten Streitigkeiten um diese heilige Sache hören wollen. „Das Nachtmahl ist eingesetzt und verordnet zu einer Arznei wider alle leibliche und geistliche Anfechtung und Widerwärtigkeit. Wie? So höre ich wohl, das Nachtmahl ist eine Arznei wider die Pestilenz, wider das Fieber, wider die Armut, wider das Zipperlein oder Podagra, endlich auch wider den Tod? Ja, es ist eine Arznei wider solche erzählte Stücke, aber doch auf sein Bescheid und dass man’s recht verstehe. Denn in einer jeden Plage und Anfechtung, sie sei leiblich oder geistlich, eine gemeine oder eine sonderliche Plage, haben wir nicht allein Schmerzen und Wehtag, sondern werden auch darin von der Sünde, vom Zorn Gottes und der ewigen Verdammnis angefochten. Also wenn einer mit Armut beladen wird, so findet er Arznei wider die Armut im Nachtmahl. Als wie? Gibt man ihm im Abendmahl einen Säckel mit Geld? Nein, sondern wenn einer fromm ist, und mit der Armut beladen wird, so ficht ihn die Armut an, gedenkt, solche Armut habe er mit seinen Sünden verschuldet und sei demnach solche ein Anfang seiner ewigen Verdammnis. Damit nun ein solcher nicht verzweifle in seiner Armut, soll er sich der Zusagung Gottes erinnern, soll das heilige Evangelium von Vergebung der Sünden vernehmen und zum heiligen Sakrament gehen. Wo er solches recht tut, alsdann ist ihm die Armut nicht mehr schwer, sondern trägt sie mit Geduld und weiß, dass ihm Gott darin will gnädig sein rc. Also mag man auch reden von denen, die im Totenbette liegen und von dem Tod werden angefochten, nämlich dass man ihnen helfen soll mit diesem Sakrament und sie damit versetzen, nicht der Meinung, dass sie dadurch vom äußerlichen Tod errettet werden, sondern dass sie hiermit wider die Schrecken des Todes getröstet werden und wissen können, dass sie Gott durch seinen Sohn Christum im Tod zum ewigen Leben erhalten werde rc.“ Wie sehr es Brenz verstand, seine Predigt nicht bloß in persönlicher, sondern auch in allgemeiner Hinsicht nutzbar zu machen, beweist zur Genüge seine Rede von dem kaiserlichen Edikt, „den Frieden in der Religionssache zu Nürnberg aufgericht belangend“. Man hat ihr vorgeworfen, sie stelle sich zu sehr auf die Seite des Kaisers. dass dieser den Prediger getäuscht habe, bewies freilich die Geschichte. dass jedoch diese Täuschung eine bewusste gewesen, widerspricht allzu sehr der im ganzen Leben erprobten Wahrheitsliebe des Predigers. Ihm selber mag’s eine Warnung geworden sein, derartiges auf der Kanzel zu behaupten, wie wir denn Ähnlichem nicht mehr begegnen. Gottes Wort, nicht mehr und nicht weniger, zu verkündigen, diesem Zwecke galten seine sämtlichen Studien, die vielen exegetischen Behandlungen biblischer Bücher, welche zwischen theoretischer und praktischer Behandlung kaum unterscheiden lassen. So wurde Brenz ein Vorläufer der Predigt, welche nichts geben will und soll, als Gottes Wort, angewandt auf die Zeit, und welche dies tut in einer den Text möglichst voll auslegenden Weise. Neben Melanchthon brach er die Bahn der analytisch-synthetischen Methode. Noch bedeutender und einflussreicher wurde Brenz auf dem verwandten Gebiete der Katechetik. Er schrieb seine beiden Katechismen, den ersten 1527, den zweiten 1528, den dritten 1556, den vierten 1559. Der letztere wurde der württembergischen Kirchenordnung einverleibt. Zur Vergleichung dient sein Buch von 1551: Catechismus pia et utili explicatione illustratus. Der Unterschied von Luthers Katechismus (1529) gründet sich darauf, dass diesem das Bekennen, jenem das Belehren im Vordergrunde steht. Hierdurch erklärt sich der Unterschied in der Einteilung. Brenz behandelt 1. die Taufe, 2. den Glauben, 3. das Vaterunser, 4. die zehn Gebote rc. Wie sehr der Inhalt sonst mit Luther übereinstimmt, beweist schon, dass die württembergische Kirche später verdeutlichende Zwischenfragen Luthers mit aufgenommen hat. Brenz äußert über den Zweck der Erklärung vom Katechismus: er soll eine kleine Bibel sein zum Gebrauch in Kirche und Haus, wodurch die Kinder von früh an im Evangelium unterrichtet, namentlich von Vater und Mutter zum Glauben angehalten würden. Die Sonntagsruhe möge der Vater (als Hausbischof) dazu benutzen, seine Kinder in den Katechismus einzuführen. Tue das jeder Vater gewissenhaft, so würden es dereinst seine Kinder in ihren eignen Familien gleichfalls tun. So komme der Katechismus der ganzen Kirche zu statten: durch Familientradition. An ein kirchliches Institut scheint Brenz weniger noch gedacht zu haben. Erst später, in der Kirchenordnung von 1559, nähert er sich mehr unsrer „Kinderlehre“ durch die Bestimmung, der Pfarrer soll jeden Sonntag in einer besonderen Stunde einen Punkt oder Artikel“ des Katechismus kürzlich und verständlich auslegen, dass die Jungen nicht allein die Wörter gewöhnen, sondern auch einen guten, christlichen Verstand derselben überkommen: hernach soll er etliche der Jungen öffentlich verhören, damit hierdurch nicht allein derselben Jungen Geschicklichkeit erfahren werde, sondern auch die andern den Katechismum von ihnen lernen rc. Hieraus entwickelten sich dann die Katechismuspredigten und aus ihnen die Gottesdienste, welche man in Württemberg „Kinderlehren“ heißt. Mittelbar verdanken wir sie dem Brenzschen Katechismus, an dessen Hand sie gehalten werden.

Für die Heranbildung von Geistlichen sorgte Brenz, im Einverständnis mit Herzog Christoph, durch die Gründung von Seminarien, in welche die vielen Mannsklöster umgewandelt wurden. Sie sollten Vorschulen für das höhere Seminar, Stipendium oder Stift, zu Tübingen sein. Letzteres hatte Herzog Ulrich 1536 errichtet und ihm nach dem Interim 1548 das Augustinerkloster eingeräumt. Es hob sich wesentlich durch die Verordnung Christophs vom 15. Mai 1557, worin mehr als 100 Landeskinder, in jenen Seminarien vorgebildet, für den Kirchendienst erzogen werden sollten. Über der Anstalt standen zwei Professoren, von denen einer auch Philosoph sein konnte; sechs tüchtige Magister hatten die Seminaristen an den Tagen, darin keine Kollegien gelesen wurden, durch „Repetitionen“ vorzubereiten und sonst ihre Studien zu leiten. Vorn stand angeschrieben: Claustrum hoc cum patria statque caditque sua. „Der Segen ist von diesem Hause nicht gewichen: Tausenden und Abertausenden ist es eine geistlich und leiblich nährende Mutter, für die Kirche und Schule eine unerschöpfliche Vorratskammer an brauchbaren Dienern geworden,“ sagt ein Geschichtsschreiber neuerer Zeit. Zweimal im Jahre visitierte Brenz diese Klöster als Vertreter der Kirchenbehörde. Bei seinen häufigen Besuchen zu Tübingen hielt er öfters Predigten in der Stadt und Umgebung. Der ganzen Universität erwies er, zur Beaufsichtigung als Kommissär des Herzogs bestellt, viel Aufmerksamkeit und Förderung. Alle Professoren sämtlicher Fakultäten mussten sich zur Augsburger Konfession feierlich bekennen.

Um noch einzelnes, das Gemeindeleben betreffend, anzuführen, hat Württemberg noch ziemlich unverändert ein Formular der Taufe; desgleichen die Vorbereitungspredigt für das Nachtmahl. Hierauf wurde nach Brenzscher Bestimmung „Jeglicher insonderheit verhört und nach Gelegenheit der Person freundlich unterrichtet“. Der privaten Absolution folgte dann die Lossprechung in der öffentlichen Beichte. Die Verkündigung und Einsegnung der Ehen soll in der Kirche stattfinden: Denn wiewohl der eheliche Kontrakt, gleich andern weltlichen Kontrakten, möchte auch wohl auf den Rathäusern oder andern öffentlichen Orten verrichtet werden, so ist doch, weil schon bald nach der Apostelzeit viele den ehelichen Stand für einen unheiligen erklärten, mit dem die Kirche nichts zu tun haben solle, die Vergewisserung ihrer göttlichen Zusammenfügung den Eheleuten in ihrem Gewissen nötig.“ Dem Pfarramte ließ Brenz nur das Recht einer „Excommunicatio minor“, Ermahnung zum Bußetun, Abmahnung vom Abendmahl; ein Recht zur „Excommunicatio major“ sprach er nach gerichtlichem Prozess einzig der Kirchenbehörde zu. Dem übertriebenen Eifern in der Praxis abhold, behauptete der orthodoxe Mann seine Freiheit auch in dogmatischer Hinsicht. Er legte z. B. die Höllenfahrt heterodor aus, wollte sie nur allegorisch verstanden wissen. Die jungen und hitzigen, haderischen und zänkischen Gottesgelehrten“, von denen jeder selbst wieder ein Papst hätte werden mögen, suchten überall Irrlehren hervor und warfen sie dem Greise mit gröblichem Scharfsinn vor. Mitunter schmerzten und ärgerten ihn solche Plänkeleien, die den Anbruch der Nachreformation verkündigten, so sehr, dass er auch noch schriftstellerisch dawider eingriff, mehr und mehr jedoch verzog er nur schweigend seine Miene. Den Widerwillen gegen die Nachtmahlslehre Calvins nahm er ungeschwächt ins Grab mit; während bei Luther noch Spuren von Ermäßigung sich regten. „Zum Alter kommen, wie zu einem Opferaltar, alle Übel zusammen,“ sagte Brenz aus eigner Erfahrung. Das fühlbare Schwinden der Kräfte bewog ihn von Anfang 1568 an, die Kanzel nicht mehr zu besteigen: er besuchte nur noch die Gottesdienste fleißig.

Am Ende dieses Jahres (den 28. Dezember 1568) ergriff ihn schwerstens der Hingang seines teuren Herzogs Christoph. „Wie gerne hätte ich sein Leben mit dem meinigen, ja, mit allem, was ich habe, vertauscht, wenn es mit Gottes Willen geschehen könnte.“ Der edle Verstorbene ließ den Brenzschen Kommentar zum Jesaias unter das Haupt sich legen. Wiewohl immer noch mit Rat und Tat sein Amt fortführend, suchte Brenz mehr und mehr daheim Ruhe. Die Familie war groß: neben der sorgsamen, trefflichen Gattin drei Kinder erster, zehn zweiter Ehe. Der älteste Sohn, Johannes, wurde schon frühe Professor der Theologie zu Tübingen. Auf einem Gute bei Bulach, Fautsberg, das der Ahnherr 1561 gekauft hatte, sammelte sich manchmal um ihn alt und jung. Daselbst auf Kinder und Kindeskinder erzieherisch einzuwirken, auch mit ihnen zu spielen, war ihm Bedürfnis und Genuss. Dort schrieb er 1566, als die Pest grassierte, sein Testament nieder, worin er seinen lutherischen Glauben feierlich bestätigt und neben verschiedenen Anordnungen seinen Hinterbliebenen dankbare Treue gegen Christophs Haus Württemberg ans Herz legt. Auch auf diesem Schlösschen, wie daheim in Stuttgart, war’s ihm eine Freude, Gäste bei sich aufzunehmen. Er war von jeher nicht köstlich noch prächtig, aber auch nicht rülzig und filzig, sondern seinem Stande gemäß ehrbar, mäßig, bescheiden, gegen arme Leute gar mitleidig und freigebig“. Dazu reichte sein Vermögen aus. Mit seiner Psalmenerklärung in Stuttgart beschäftigt, überfiel ihn Ende 1570 ein Schlag. Der ehrwürdige Mann, von stattlicher schlanker Gestalt, sank zusammen. Gebrochen war seine Kraft, wiewohl er wieder aufstand. Matt und satt zog sich der beispiellos fleißige, rührige Gelehrte zurück. Der Sabbath rückte nach dem langen, lauten Werktag still heran. Den 31. August berief er die Geistlichkeit Stuttgarts vor sein Bett, genoss mit ihnen, seiner Gattin und seinem ältesten Sohne das heilige Nachtmahl, ermahnte dringlichst zur Eintracht (Psalm 133), drückte Sehnsucht nach Vollendung aus. Kurz hernach von einem neuen Schlage berührt, fiel er in einen längeren Schlaf. Als er aus ihm erwachte, las ihm ein Amtsbruder das apostolische Glaubensbekenntnis vor und fragte den Sterbenden, ob er darauf scheiden wolle? „Ja“ dies war sein letztes Wort, mit sichtlich klarem Bewusstsein gesprochen. Brenz entschlummerte sanft mittags 1 Uhr den 11. September 1570. Die Beisetzung fand folgenden Tages mit außerordentlicher Teilnahme von hoch und niedrig statt. Hofprediger Bidenbach behandelte zum Abschied Apostelgesch. 20, 17-28. Neben der Kanzel in der Stiftkirche ruht sein Leichnam. Er hatte diesen Ort selber bezeichnet: „Hier soll mein Grab sein, damit ich, wenn jemals einer schriftwidrig predigen sollte, mein Haupt erheben und ihm zurufen kann: du lügst!“ Ein steinernes Denkmal, jetzt in der Sakristei befindlich, wurde dahin gesetzt: „Johannes Brenz, ein Schwabe von Abstammung, geboren zu Weil, der hochberühmte Gottesgelehrte, Propst in Stuttgart, Rat der durchlauchtigsten Herzoge zu Württemberg, einer der ersten Wiederhersteller der gereinigten Kirche. Die prophetischen und apostolischen Schriften hat er in Schulen, Predigten, auf Reichstagen und mittelst gründlicher Werke erläutert und verteidigt, die Verbannung seines Glaubens wegen standhaft erduldet, mit seinem Rate die Kirche und das gemeinsame Vaterland unterstützt, durch sein unbescholtenes Leben seinem Stande Ehre gemacht. Nachdem er in dieser seiner Laufbahn über fünfzig Jahre zum großen Nutzen der Kirche gearbeitet, entschlief er sanft in Christo und ward unter größter Trauer aller Frommen hier begraben den 11. (12.) September 1570, nachdem er sein Leben gebracht auf 71 Jahre 2 Monate und 17 Tage.“ Darunter in Öl gemalt: „Brenz, durch Rede und Schrift, durch frommen Glauben, Geradheit Höchlich berühmt: dies Bild stellet sein Antlitz dar.“

Zu Tübingen hielt Professor Dr. Heerbrand eine Trauerrede, die, reich an geschichtlichen Mitteilungen, als erste Biographie von großem Wert ist. Allerseits herrschte der Eindruck: „die Kirche hat ein herrlich Licht, das Vaterland einen Vater verloren.“

Brenz‘ männliche Nachkommenschaft starb im siebzehnten Jahrhundert aus, die weibliche lebt heute noch zahlreich: zu derselben gehört Johann Albrecht Bengel.