Meletius von Antiochien

Die hervorragende Erscheinung des Bischofs Meletius von Antiochien, welche uns, in der zweiten Hälfte des vierten Jahrhunderts auf dem Gebiet der morgenländischen Kirche, dem Schauplatz der heftigsten Lehrstreitigkeiten, wie der verderblichsten Kirchenspaltungen entgegentritt, können wir nicht zum Gegenstand unserer Betrachtung machen, ohne die gewaltigen Bewegungen in das Auge zu fassen, welche damals die Kirche in Lehre und Leben erschütterten und in welche er mit seiner Person, einem Leben und Wirken verwickelt war.

 

Gleichzeitig mit dem äußeren Siege der Kirche über die heidnische Welt entbrannte im Innern der Kirche ein heftiger Streit, welcher sich um die Lehre von der heiligen Dreieinigkeit, insbesondere um die Frage wegen des Verhältnisses des Sohnes zu dem Vater und zu der geschaffenen Welt drehte. Freilich erschien die arianische Irrlehre, daß der Sohn nicht gleichen Wesens mit dem Vater von Ewigkeit, sondern nur ein durch den Willen Gottes vor der Erschaffung der Welt aus Nichts ins Dasein gerufenes Geschöpf und Mittelwesen zwischen Gott und Welt sei, durch das Bekenntniß der ersten allgemeinen Kirchenversammlung zu Nicäa (325), daß der Sohn aus dem Wesen des Vaters gezeugt und nicht geschaffen, also ewigen und mit dem Vater gleichen Wesens sei, äußerlich überwunden. Aber die inneren Gegensätze der Parteien, der entschieden arianischen, welcher viele morgenländische Bischöfe angehörten, und derjenigen, welche die Gleichwesenheit des Sohnes mit dem Vater bekannte, waren keineswegs dadurch aufgehoben. Zwischen beiden mitteninne stand, nach beiden Seiten hinüber schwankend, die von dem Bischof Eusebius von Cäsarea repräsentierte theologische und kirchliche Mittelpartei, welche zu Nicäa ursprünglich die meisten Anhänger zählte aber zuerst theilweise unter dem Einflusse des Kaisers und durch die Liebe zum Frieden bewogen mit ihrer unbestimmteren Lehre von der Unvergleichbarkeit des Sohnes mit allen Geschöpfen und seiner vollkommenen Wesensähnlichkeit mit dem Vater dem Bekenntniß von der Gleichwesenheit sich anbequemte und dann in dem weiteren Verlaufe des Kampfes zwischen dem Arianismus und den Anhängern des nicänischen Symbols unter der Führung des Bischofs Eusebius von Nicomedien, der seit 338 Bischof von Constantinopel war, als diejenige Partei sich heraus bildete, welche lehrte, daß der Sohn von Ewigkeit aus dem Wesen des Vaters gezeugt sei, aber nur ähnlichen Wesens mit ihm und ihm untergeordnet sei, und später als semiarianische Partei bezeichnet wurde.

 

Unter dem eifrig arianisch gesinnten Kaiser Constantius wurden seit 353 die Bekenner des nicänischen Glaubens aufs heftigste verfolgt, indem die Partei der strengen Arianer und die eusebianische Mittelpartei mit einander gemeinschaftliche Sache wider die machten. Aber diese Vereinigung brach bald wieder auseinander, als die entschiedenen Anhänger der arianischen Lehre in der weiteren scharf verstandesmäßigen und schriftwidrigen Entwickelung derselben bis zu der Behauptung fortschritten, daß der Sohn dem Vater in Allem unähnlich sei. Nun wandten sich Viele, die sich früher aus Unkenntniß über die inneren Gegensätze, um die es sich handelte, in gutem Glauben an die Mittelpartei angeschlossen hatten, der nicänischen Lehre zu. Noch mehr Anhänger gewann dieselbe, als mit dem Tode des Constantius 361 die nicänische Richtung, deren hervorragendster Vertreter der durch viele Leiden und Verfolgungen hindurchgegangene glaubensstarke und heldenmüthige Athanasius, Bischof von Alexandria in Aegypten, war, zunächst im Abendlande wieder zur herrschenden wurde und dann auch im Morgenlande mehr und mehr zur Geltung gelangte. Dazu trugen nicht wenig die heftigen Verfolgungen bei, mit welchen der entschieden arianisch gesinnte Kaiser Valens im Morgenlande nicht blos gegen die Anhänger des Athanasius, sondern auch gegen die Semiarianer wüthete, deren Reihen nun durch Uebertritt zu der ersteren Partei sehr gelichtet wurden. Aber schon vor diesen Verfolgungen hatten die aus der Verbannung, in die die Constantius geschickt hatte, zurückgekehrten bekenntnißtreuen Bischöfe denen, die in den früheren Verfolgungen nur aus Menschenfurcht und Schwachheit des Fleisches dem Bekenntniß des nicänischen Glaubens untreu geworden waren, durch freundliches brüderliches Entgegenkommen die Rückkehr zu demselben möglichst erleichtert. Eine zahlreiche Synode, welche 362 in Alexandria unter dem Vorsitz des Athanasius abgehalten wurde, verfuhr mit Milde und Schonung gegen diejenigen, die sich unter dem Druck der kaiserlichen Gewalt aus Schwäche zur Annahme des arianischen Bekenntnisses hatten bestimmen lassen. Wir wünschen, jagten sie, daß wer noch fern von uns steht und sich den Arianern zugesellt zu haben scheint, von einem Wahnsinn zurücktrete, so daß Alle überall sagen mögen: Ein Herr, ein Glaube; denn was ist so herrlich und lieblich, als daß, wie der Sänger jagt, Brüder einträchtig bei einander wohnen (Ps. 133, 1). Allein in der antiochischen Kirche dauerten die durch den Arianismus verursachten Spaltungen zu großem Schaden nicht blos der Gemeinde in Antiochien, sondern auch der gesammten Kirche, wie wir sehen werden, sehr lange Zeit ununterbrochen fort. Bald nach dem Jahr 360 wurde der Bischof Meletius die Veranlassung zu einer neuen Gestaltung dieser kirchlichen Zwistigkeiten, die sich in der nach einem Namen genannten Kirchenspaltung darstellte, obwohl er keineswegs selber die unmittelbare Schuld an dieser Spaltung trug, sondern mit seiner Person und seinem Amt nur der nicht gewollte Anlaß zum erneuerten Ausbruch der längst schon vorhandenen kirchlichen Differenzen wurde. In Antiochien hatte sich nämlich schon seit dem Jahr 330 eine tiefgehende Kirchenspaltung vollzogen. Die zur Herrschaft gelangte arianische Partei hatte den Bischof Eustathius, einen entschiedenen Vertreter des nicänischen Bekenntnisses, seines Amtes entsetzt, und einen Arianer an seine Stelle berufen. Die Folge davon war, daß ein großer Theil der Gemeinde, der sich in treuem Festhalten an dem Bekenntniß der Gottgleichheit des Sohnes dem arianischen Kirchenregiment nicht unterwerfen wollte und dem Bischof Eustathius mit unveränderter Liebe anhing, sich unter dem Namen der Eustachianer als eine besondere Kirchengemeinschaft bildete. Als nun im J. 360 einer von den vielen seitdem schnell auf einander gefolgten arianischen Bischöfen von Antiochien, mit Namen Eudorius, fein Amt niederlegte, um sich nach dem Siege, welchen eine Partei über die semiarianische Richtung davon getragen hatte, an Stelle des abgesetzten Bischofs Macedonius von Constantinopel in den Besitz des Bisthums daselbst zu versetzen, wurde in Antiochien eine neue Bischofswahl nöthig. Nach langem Streit darüber wurde von der immer noch herrschenden arianischen Partei Meletius, der, aus der Landschaft Meliteme in Armenien stammend, wegen seines ausgezeichnet frommen und strengen Lebens früher zum Bischof von Sebastie in Armenien ernannt war, dann aber dieses Amt aufgegeben hatte und sich jetzt in Beröa aufhielt, zum Bischof erwählt. Er war früher ein Mann von noch unentschiedener oder wenigstens von nicht scharf ausgeprägter dogmatischer Richtung gewesen, zeichnete sich aber durch innige Frömmigkeit aus und stand deswegen in hohem Ansehn. Man wählte ihn in der Meinung, an ihm einen kräftigen Vertreter der arianischen Lehre zu gewinnen. Aber man täuschte sich in ihm. Er war ohne Zweifel schon zu dieser Zeit der athanasianischen Lehre, die seiner praktisch-christlichen Richtung und einem religiösen Bedürfniß mehr zusagen mußte, als die arianische, wenigstens doch schon in dem Grade geneigt, daß es nur einer äußeren Veranlassung für ihn bedurfte, als Anhänger derselben sich öffentlich darzustellen. Der Inhalt seiner von Epiphanius uns überlieferten Antrittsrede läßt uns freilich noch nichts von dem Bekenntniß der Gleichwesenheit des Sohnes mit dem Vater und seiner ewigen Erzeugung aus dem Wesen des Vaters, die er später entschieden bekannte, erkennen. Der Kaiser Constantius befand sich gerade zur Zeit des Amtsantritts des Meletius in Antiochien, und er wollte denselben nöthigen, bei dieser Gelegenheit gleich von vornherein eine dogmatische Ueberzeugung auszusprechen. Nach seiner Verordnung sollten die ausgezeichnetsten Redner unter den anwesenden Bischöfen an dem Tage des Amtsantritts des Meletius über die Worte Sprüchw. 8, 22 nach der Uebersetzung: „Der Herr hat mich geschaffen,“ welche die Arianer zur Stützung ihrer Lehre, daß der Sohn Gottes ein Geschöpf sei, anzuführen pflegten, öffentlich predigen, und zuletzt mußte Meletius eine Antrittspredigt auch im Anschluß an diese Worte halten. Er redet hier nun von der Gleichheit des Sohnes mit dem Vater nur im Sinne der Aehnlichkeit, welche der Sohn als das Abbild des Vaters, als hervorgegangen aus dem Vater zu bleibendem eigenem Dasein, an sich trage, und spricht überhaupt in ganz ähnlichen mehr unbestimmten, blos an das Wort der Schrift sich anschließenden Ausdrücken, wie die älteren Vertreter jener Mittelpartei, namentlich Eusebius von Cäsarea und Cyrillus von Jerusalem. Vor allen Aeonen, vor aller Schöpfung ist ihm der Sohn vom Vater erzeugt; aber eine von Ewigkeit geschehene Zeugung lehrt er noch nicht. Er betont, daß von dieser Zeugung des Sohnes durch den Vater jede sinnliche Vorstellung fernzuhalten sei, daß kein menschlicher Verstand sie begreifen könne, und daß daher die heilige Schrift, in Ermangelung irdischer Beispiele zur erschöpfenden Bezeichnung der Sache verschiedene Ausdrücke gebrauche, die sich scheinbar widersprächen, aber in der That sich einander ergänzten. Alles menschliche Erkennen sei Stückwerk, welches erst aufhöre, wenn das Vollkommene kommen werde. Er sagt in aufrichtiger Demuth: „Wenn wir uns dazu verleiten lassen, über das zu reden, worüber wir nicht reden dürfen, so ist zu befürchten, daß wir am Ende dadurch auch verscherzen, über das reden zu können, worüber wir sonst Macht haben. Denn aus dem Glauben muß man reden, nicht nach dem, was geredet wird, glauben.“ Es ist sehr bezeichnend für den praktisch christlichen Standpunkt des Meletius, wenn er gleich von Anfang in dieser Predigt davon ausging, daß Gemeinschaft mit Christo, Christum in sich selbst haben, die Grundlage des ganzen christlichen Lebens sei, daß Keiner das Wort der Wahrheit verkündigen könne, in dem nicht Christus wohne und aus dem nicht Christus rede, daß aber auch nur, wer den Sohn habe, den Vater haben könne. „Wir werden aber,“ sagt er weiter, „in der Gemeinschaft mit dem Sohne nur bleiben, wenn wir ihn vor Gott und den auserwählten Engeln bekennen, aber auch vor Königen ihn zu bezeugen uns nicht schämen.“

 

Diesem vor dem Kaiser ohne Menschenfurcht gesprochenen Wort, entsprach er mit der That in dieser Rede selbst. Denn trotz seiner Zurückhaltung mit dem Bekenntniß des nicänischen Glaubens, dem er mit voller Ueberzeugung noch nicht zustimmen konnte, mußten die Arianer und namentlich die arianische Hofpartei doch in dem, was er als seine dogmatische Ueberzeugung und als ein Bekenntniß vom Verhältniß des Sohnes zum Vater aussprach, einen unzweifelhaften Gegensatz gegen ihre Lehre erkennen. Er wurde sofort seines Amtes entsetzt, nachdem er dasselbe noch nicht dreißig Tage verwaltet hatte, und wurde aus Antiochien nach feinem Vaterlande Meliteme verbannt. In wie hohem Grade er schon in dieser kurzen Zeit sich die Liebe der Gemeinde erworben hatte, davon ist ein Beweis, daß, als ihn der Präfekt aus der Stadt hinausbrachte, das Volk sich sammelte und mit Steinen nach demselben warf, so daß Meletius mit seinem Mantel ihm das Haupt verhüllen mußte, um ihn zu schützen. An seine Stelle wurde ein entschieden arianisch gesinnter Bischof, Euzoius, berufen; die Kluft zwischen der herrschenden arianischen Partei und den Anhängern der athanasianischen Lehre war in der antiochenischen Kirche von Neuem befestigt.

 

Aber zu gleicher Zeit entstand nun auch unter den Gegnern des arianischen Bekenntnisses in Antiochien eine Spaltung, die ihren Ausgangspunkt in der Person des Meletius hatte. Die Eustathianer hatten ihn, weil er von den Arianern eingesetzt war und sein Bekenntniß nicht entschieden athanasianisch war, von Anfang am als rechtmäßigen Bischof nicht anerkannt, sondern an Eustathius als dem allein rechtmäßigen Inhaber des Bischofsstuhles treu festgehalten. Auch nachdem dieser gestorben war, beharrten sie dabei, dem Meletius ihre Anerkennung zu versagen. Sie blieben eine abgesonderte Partei, unter der Führung eines Presbyter Paulimus, der bisher schon ihre gottesdienstlichen Versammlungen in der Neustadt von Antiochien geleitet hatte, und mieden jede Kirchengemeinschaft mit dem Theil der Gemeinde, welcher dem Meletius treu geblieben war und seine Versammlungen in der Altstadt von Antiochien hielt. Diese Spaltung wurde durch kirchliche Einflüsse und Einwirkungen von Außen her noch mehr befestigt.

 

Die Schritte, welche die Synode zu Alexandrien im J. 362 that, um dieser Spaltung ein Ende zu machen, konnten nicht zum Ziele führen, da man sich einseitig auf den Standpunkt der eustathianischen Partei stellte, an diese allein das zur Beilegung des Streites verfaßte Sendschreiben richtete, und überdies den Führer derselben, den Presbyter Paulinus, zum Bischof von Antiochien weihte, den die Meletianer nun ohne Weiteres als ihr Haupt anerkennen sollten. Ein großer Theil derselben verweigerte entschieden diese Anerkennung. Meletius kehrte bald darauf mit Erlaubniß des Kaisers Julian aus der Verbannung nach Antiochien zurück; seine Anhänger schlossen sich jetzt um so fester um ihn als ihren Bischof zusammen. Die Spaltung dauerte in der antiochemischen Kirche fort, auch nachdem die Herrschaft des Arianismus, gegen den beide Parteien gekämpft, ein Ende genommen hatte. Ja, die gesammte Kirche wurde nach und nach in diese Spaltung hineingezogen. Nach dem Vorgang der alexandrinischen Kirche und ihres angesehenen Hauptes, des Bischofs Athanasios, trat die gesammte abendländische Kirche auf die Seite des Paulinus und seines Anhangs, während fast die ganze morgenländische Kirche Meletius als rechtmäßigen Bischof anerkannte und mit ihm in Kirchengemeinschaft stand. Inzwischen bewies Meletius eine Friedensliebe unausgesetzt, indem er keine sich ihm darbietende Gelegenheit zur Ausgleichung des für die ganze Kirche verderblichen Streites unbenützt vorüberließ. Unter seiner Leitung erklärte sich eine 363 in Antiochien abgehaltene Synode ausdrücklich zu dem wesentlichen Inhalt des nicänischen Bekenntnisses. Aber trotzdem hielt der um dieselbe Zeit in Antiochien anwesende Athanasius nur Kirchengemeinschaft mit Paulinus. Auch die Verfolgungen, welche über sämmtliche Bekenner des nicänischen Glaubens kamen, als unter Kaiser Valens der Arianismus in der morgenländischen Kirche wieder zur Herrschaft gelangte, konnten den Riß nicht heilen. Auch Meletius wurde von dieser Verfolgung betroffen, und mußte von Neuem seine Gemeinde verlassen. In Verbindung mit Basilius bewies er sich als ein tapferer Vertheidiger der Lehre, welche ausgerottet werden sollte, arbeitete aber auch an der Ermöglichung des Kirchenfriedens zwischen dem Orient und Occident unermüdlich fort. Das Gewicht einer edlen, in immer weiteren Kreisen hochgeehrten und geliebten Persönlichkeit und seines ächt christlichen, wahrhaft geistlichen Charakters fiel bei diesen Bestrebungen mit in die Wagschaale, um ihnen einen günstigen Erfolg zu verheißen. Dazu kam die innige Verbindung, in welcher er mit den hervorragendsten Theologen der morgenländischen Kirche stand, die für das nicänische Bekenntniß litten und stritten und mitten unter den schwersten Kämpfen und Verfolgungen seine Fahne hoch hielten, so daß er vor den Augen der gesammten Kirche, die ihn mit diesen nur zusammenschauen konnte, als tapferer Streiter für die lautere Wahrheit erscheinen mußte. Besonders stand er mit den drei größten Lichtern des Orients, mit Basilius von Cäsarea, mit dessen Bruder Gregor von Nyssa und mit dem Freunde beider, Gregor von Nazianz, n innigster Verbindung und erfuhr von diesen die kräftigste Unterstützung bei seinen Bemühungen um Aufhebung der Spaltung beider Kirchen. Zunächst tritt uns eine Verbindung mit Basilius als eine sehr lebhafte und innige entgegen. Während Basilius zwischen ihm und Athanasius zu vermitteln suchte, schickte er auch Gesandte nach dem Occident, um die Hülfe der abendländischen Kirche für die unter der arianischen Verfolgung seufzende morgenländische Kirche zu erlangen und die Einheit beider wiederherzustellen. In Bezug auf Ersteres schreibt er an die Abendländer: „durch ihren Beistand müsse der Glaube im Orient wiederhergestellt werden, und es sei nun die Zeit für sie gekommen, dem Orient für die von dort empfangenen Güter ihren Dank zu beweisen.“ Und in Bezug auf Letzteres schreibt er an die Presbyter zu Tarsus: „der Zustand der Kirche gleicht einem alten Kleide, welches durch die geringste Veranlassung leicht zerrissen wird und nicht wieder ein Ganzes, wie es war, werden kann. In einer solchen Zeit bedarf es des Eifers und vieler Sorgfalt, um für die Gemeinden etwas Gutes zu stiften. Das Gute besteht aber darin, daß das bisher Getrennte geeinigt werde. Einigung aber würde werden, wenn wir in den Dingen, in denen wir den Seelen nichts schaden, den Schwachen uns anbequemen wollten.“ Aber der Hochmuth und die Beschränktheit des römischen Bischofs Damasus und das tiefgewurzelte Vorurtheil der von ihm abhängigen abendländischen Theologen gegen die Lehre der morgenländischen vereitelten diese Bemühungen um Herstellung der kirchlichen Einheit. Umsonst war die zweimalige Absendung von Presbytern der meletianischen Gemeinde nach Rom. Meletius hatte den Schmerz, während er um des nicänischen Bekenntnisses willen Verfolgungen erduldete, von einer römischen Synode 377 den arianischen Ketzern beigezählt zu werden. Er konnte, als die Verfolgung nach dem Tode des Valens 378 aufhörte, zu einer Gemeinde zurückkehren und bekannte sich auf einer 379 in Antiochien abgehaltenen Synode von Neuem zu der nicänischen Lehre, wie er sie bisher in der Verfolgung standhaft vertreten hatte. Nachdem die Verhandlungen mit dem römischen Bischof wegen Anerkennung seiner Rechtmäßigkeit wieder aufgenommen waren, und durch Gregor von Nazianz in Constantinopel, welcher sich seiner Sache mit eifrigem Wort und Zeugniß wider die auch dort eingedrungene Spaltung annahm, der Zwiespalt beseitigt worden war, wurde Meletius auf Grund des von dem morgenländischen Kaiser Theodosius im J. 380 erlassenen Gesetzes, nach welchem nur diejenigen, welche der Lehre von der Gleichwesenheit des Sohnes mit dem Vater zugethan wären, im Besitz der Kirchen verbleiben sollten, von dem kaiserlichen Befehlshaber als rechtmäßiger Bischof von Antiochien anerkannt, und die beiden antiarianischen Parteien daselbst trafen die Vereinbarung, daß wenn einer von den beiden Bischöfen stürbe, der überlebende allein Bischof der ganzen Gemeinde sein und kein neuer Bischof von der betreffenden Partei gewählt werden sollte.

 

Zur Besiegelung der Wiederherstellung des nicänischen Bekenntnisses und zur Feststellung einer näheren Bestimmung der nicänischen Lehre berief Kaiser Theodosius 381 ein allgemeines Concil nach Constantinopel. Es versammelten sich daselbst im Mai dieses Jahres etwa 150 Bischöfe aus den östlichen Provinzen des Reichs zu einer Synode, die allerdings nur halb so zahlreich war, wie die zu Nicäa, und weder den römischen Bischof noch einen Abgeordneten desselben in ihrer Mitte sah, aber trotzdem wegen der Wichtigkeit der auf ihr festgestellten Lehrsätze dem nicänischen Concil als das zweite allgemeine Concil der Kirche gleichgestellt und auch von der römischen Kirche alsbald anerkannt worden ist.

 

Aus Antiochien war nicht Paulinus, sondern Meletius zum Concil berufen worden. Wegen eines hohen Alters, einer ausgezeichneten persönlichen Eigenschaften und ächten Frömmigkeit allgeliebt und verehrt, führte er den Vorsitz in der Versammlung, und war als ein solcher, wie die Liebe Gregors ihn uns in einem Gedicht als einen Mann von Gottseligkeit und Einfalt, schlichtem Charakter und gottbegeistertem Sinn, von ruhig mildem Blick und kühnem mit Bescheidenheit gepaarten Muth vor Augen malt, ohne Zweifel vor allen Andern für dieses ehrenvolle Amt geeignet; denn ein Bild ficht scharf genug ab von dem Bilde, welches uns Gregor von dem Charakter und der Haltung der meisten auf diesem Concil versammelten Bischöfe entwirft. Das Erste, womit die Synode unter dem Vorsitz des Meletius sich zu beschäftigen hatte, war die Ordnung der kirchlichen Verhältnisse in Constantinopel. Die frühere Wahl des Maximus wurde untersucht und für ungültig erklärt. Weder er, noch die von ihm zu irgend einem geistlichen Amt Geweihten sollten als Geistliche angesehen werden, und Alles, was mit ihm und von ihm vorgenommen worden war, sollte null und nichtig ein. Nachdem der bischöfliche Stuhl förmlich für erledigt erklärt worden, wurde zur Wahl eines rechtmäßigen Bischofs geschritten, welche dadurch, daß sie von der Synode selbst vollzogen wurde, eine besonders hohe Bedeutung erhielt und dem Gewählten ein sehr hohes Ansehn verlieh. Dieser war der als Vertheidiger und Vorkämpfer des nicänischen Glaubens glänzend bewährte Gregor von Nazianz, bei dem zu seinen hervorragenden Geistesgaben und zu einer Tüchtigkeit in der Rede und im Regiment noch die Beliebtheit beim Kaiser und beim Volk und das Ansehn, in dem er bei den Geistlichen stand, hinzu kamen, um seine Stellung im Patriarchat der Welthauptstadt so glänzend als möglich zu machen. Freilich fehlte es auch nicht an Bedenken und Widerspruch in Betreff einer rechtmäßigen Erhebung zu diesem Amte. Indessen die ehrwürdige Auctorität des Meletius, der sich Alle beugten, hob diese Bedenken. Nachdem Gregor diese Würde früher abgeschlagen hatte, nahm er sie auch jetzt nicht gern an; er verstand sich dazu nur, weil die Synode ihn zum Träger derselben erwählte und weil er die Hoffnung hegte, jetzt als rechtmäßiger Bischof von Constantinopel. Vieles zur Aussöhnung des durch die meletianische Spaltung in Antiochien veranlaßten Kirchenstreits beitragen zu können. Meletius ertheilte ihm an der Spitze der ganzen Synode unter einer glänzenden kirchlichen Feier die Weihe. Aber bald darauf starb er in sehr hohem Alter. Bei dem feierlichen Leichenbegängniß, welches ihm zu Ehren in Constantinopel veranstaltet wurde, zeigte sich in deutlichster Weise, welch‘ ungetheilte und allgemeine Verehrung er genossen hatte. Von einer anfangs unbestimmten und etwas zerfließenden Richtung in seinen dogmatischen Anschauungen hatte er sich frei und selbständig zu der festen und unerschütterlichen Ueberzeugung von der ewigen Gottheit des persönlichen Logos, der in Christo Fleisch geworden, entwickelt und für diese Wahrheit tapfer gestritten und standhaft gelitten. Der von blinden Eiferern selbst während einer Kämpfe und Leiden für diese Wahrheit als ein Feind derselben, als ein Ketzer Geschmähte war geschmückt mit der Märtyrer- und Siegerkrone, welche ihm die das nicänische Bekenntniß bestätigende Synode zuerkannte, dahin geschieden. Diese verlor in ihm ihren geistlichen Vater und weisen Leiter. Die allgemeine Liebe, deren Gegenstand seine vom Frieden Gottes mild durchleuchtete Persönlichkeit war, die Ruhe, Klarheit und Festigkeit eines ganzen Wesens, und vor Allem die Frömmigkeit und Gottseligkeit, welche das Gepräge eines ganzen Lebens und Wandels ausmachte, hielten in der Synode die Leidenschaften nieder, nöthigten die leicht aufbrausenden Elemente derselben zur Mäßigung und Ruhe und ließen Streit und Zwietracht nicht aufkommen. Ein Zeugniß von dieser Bedeutung des Mannes sind die Lobreden, welche die angesehensten Bischöfe zu seinem Gedächtniß hielten, und von denen die des Gregor von Nyssa uns aufbewahrt ist. Von Constantinopel wurde eine Leiche in feierlichem Zuge, auf dem sie in den Städten überall mit Gesang eingeholt und geleitet wurde, nach Antiochien gebracht, wo sie bestattet wurde. Chrysostomus hielt einige Jahre später eine Lobrede zu seinem Gedächtniß, welche bezeugt, daß er bei der Gemeinde in Antiochien in gesegnetem Andenken stand. Auf Siegelringen und an den Wänden der Stuben konnte man daselbst ein Bild finden, und Eltern gaben ihren Söhnen einen Namen, um sein Gedächtniß in den Familien treu zu bewahren und durch den Namen selbst den jungen Gemüthern eine Mahnung zur Nacheiferung zu geben.

 

Nach Meletius Tode hätte gemäß der oben erwähnten Vereinbarung die unglückselige Kirchenspaltung ein Ende haben sollen. Aber die Synode gab den eindringlichen Ermahnungen Gregors, ihres jetzigen Leiters, durch Anerkennung des schon bejahrten Paulinus der Kirche den Frieden wieder zu geben, kein Gehör. Die Bischöfe der syrischen Kirchenprovinz setzten es durch, daß der Presbyter Flavian, der mit Meletius nach Constantinopel gekommen war, zum Nachfolger desselben gewählt und von der Synode bestätigt wurde. Damit war nicht blos für die Gemeinde in Antiochien, sondern auch für die ganze Kirche der alte Zwiespalt erneuert, indem eine unter dem römischen Bischof Damasus abgehaltene Synode dem Flavian und seinen Anhängern die Kirchengemeinschaft verweigerte. Erst dem nach Constantinopel berufenen Chrysostomus gelang es 398, den Flavian mit dem Bischof Theophilus von Alexandrien auszusöhnen und durch diesen die Kirchengemeinschaft mit dem Abendland wieder herzustellen. Trotzdem verblieb noch ein Rest der Eustathianer in der Separation, die erst 415 damit endete, daß der Bischof Alexander von Antiochien mit einer Gemeinde an einem Festtage an ihrem Gottesdienst Theil nahm und sie dadurch zur Kirchengemeinschaft zurückführte. Nachdem an die Stelle des von einem Bischofsamt zurückgetretenen Gregor der bisherige Senator und Prätor, Nektarius, ein Mann von sanftem und mildem Charakter, der aber noch nicht einmal die Taufe empfangen hatte, gewählt worden war, fand das Concil, wie es scheint, unter dem dominierenden Einfluß des durch seinen theologisch-wissenschaftlichen Geist alle Andern überragenden Bischofs Gregor von Nyssa. Es faßte jetzt die Beschlüsse, durch welche es für die Verfassung und für die Lehre der gesammten Kirche von epochemachender Bedeutung wurde. Hinsichtlich der Verfassung wurde festgesetzt, daß der Bischof von Constantinopel als Bischof von Neu-Rom den zweiten Rang nach dem römischen Bischof haben sollte. Hinsichtlich der Lehre wurde das nicänische Bekenntniß mit hinzugefügter Verwerfung der ihm entgegenstehenden Häresien bestätigt. Unter den Zusätzen, die es zu demselben machte, war der wichtigste der, welcher die bis dahin noch sehr unbestimmte Lehre vom heiligen Geist betraf. Im Gegensatz gegen die durch 36 Bischöfe vertretene Partei der Macedonianer oder Pneumatomachen, die nach dem Vorgange eines früheren Bischofs von Constantinopel, Namens Macedonius, zwar nicht mehr mit den s. g. Semiarianern eine bloße Wesensähnlichkeit des Sohnes mit dem Vater, sondern seine Wesensgleichheit mit demselben anerkennen, aber doch entschieden diese Wesensgleichheit dem heiligen Geiste nicht zuerkennen wollten, sondern die Lehre aufstellten, daß derselbe dem Vater untergeordnet und ein Geschöpf sei, machte die Synode unter Verwerfung dieser Lehre einen Zusatz zu dem nicänischen Bekenntniß, in welchem die Gleichwesenheit mit dem Vater auch auf den heiligen Geist ausgedehnt, dieser nehmlich als „der vom Vater ausgehende, regierende, lebendigmachende Geist, der mit dem Vater und Sohne zugleich angebetet und verehrt werde“, bezeichnet wurde. Dadurch kam die Lehre vom heiligen Geist und somit auch die Lehre von der Dreieinigkeit zu einem vorläufigen symbolischen Abschluß. Ebenso verwarf diese Synode die Irrlehre des Bischofs Apollinaris von Laodicäa, welche die vernünftige menschliche Seele in Christo leugnete und an deren Stelle das Göttliche in ihm, den Logos setzte, und behauptete dagegen die volle Wahrheit wie der göttlichen so der menschlichen Natur in Christo nach Leib und Seele. Von diesem Punkt aus erfolgte dann in den folgenden Jahrhunderten die weitere Entwicklung der Lehre von der Person Christi hinsichtlich der göttlichen und der menschlichen Natur in ihm und des Verhältnisses. Beider zu einander. In einer prächtigen Handschrift der griechischen Reden des Gregor von Nazianz in Paris, die aus dem 9. Jahrhundert stammt, befindet sich vor der Rede, welche den Titel: „auf die Ankunft der ägyptischen Bischöfe“ führt, ein merkwürdiges sinnreiches Miniaturbild, auf welchem dieses zweite allgemeine Concil zu Constantinopel dargestellt ist. Oben in der Mitte des Bildes steht ein Thron, zu dessen Linken der Kaiser Theodosius sitzt, mit einem Namen bezeichnet, und zu dessen beiden Seiten die Bischöfe im Halbkreise ihre Plätze einnehmen. Unten in der Ecke links vom Beschauer kniet Macedonius, ebenfalls mit einem Namen bezeichnet, die Hände emporgehoben; in der Ecke rechts hat die jetzt weggerissene Figur des Apollinaris ihre Stelle gehabt; zwischen beiden steht ein Tisch, auf welchem die Rollen ihrer vom Concil verworfenen Schriften liegen. Von diesem Tisch im unteren Theil des Bildes wenden sich die Blicke unwillkürlich wieder zu dem in gleicher Linie oben recht absichtlich, wie es scheint, in hervorragender Stellung gezeichneten Thron empor; denn hier ist die höchste Bedeutung des Bildes zu suchen. Niemand thront auf demselben, nicht der Kaiser nicht ein Bischof; wohl aber ruht darauf ein großes aufgeschlagenes Buch,- die heilige Schrift, – in aufrechter Stellung, erhaben über Kaiser und Concil, zum Zeichen und Zeugniß, daß Gottes Wort allein den Vorsitz führen, eine Entscheidung allein bei dem Streit menschlicher Meinungen gelten, eine Auctorität allein bei allen Berathungen und Beschlüssen die höchste Quelle und Richtschnur sein sollte, und daß die Synode nur unter dem unsichtbaren Haupt der Kirche, das mit einem Wort und Geist in ihrer Mitte sei, versammelt sein wollte. Daß diese Idee von dem den Vorsitz führenden Worte Gottes nicht erst eine künstlerische Erfindung späterer Zeit und als ein von reformatorischen Gedanken nachfolgender Zeiten in die Vergangenheit zurückverlegtes Ideal anzusehen ist, sondern jener Zeit selbst angehört, in der das Concil gehalten wurde, wird durch ausdrückliche Zeugnisse von den beiden nächsten allgemeinen Concilien, besonders aber durch die Bemerkung des Bischofs Cyrill von Alexandrien bestätigt, welcher in Bezug auf das dritte allgemeine Concil zu Ephesus 431 jagt: „Zu einem Beisitzer und Haupt machte es Christum; denn auf heiligem Thron lag das göttliche Evangelium, welches den heiligen Priestern beinahe laut zurief: „Haltet ein gerechtes Gericht.“ Das ist ein Beweis dafür, wie die Kirche zu dieser Zeit trotz vielfacher Abirrung von dem reinen Wort der Schrift, der sie sich bis dahin bereits schuldig gemacht, doch noch den Grundsatz von der Autorität der heiligen Schrift als der alleinigen Quelle der lauteren göttlichen Wahrheit, und der höchsten Instanz zur endgültigen Entscheidung über Wahrheit und Irrthum in den kirchlichen Lehrsatzungen aufrecht erhielt und zur Geltung brachte, wenn gleich das Verhalten und Verfahren ihrer Diener weder auf dem zweiten allgemeinen Concil, auf welches uns jenes Bild hinweist, noch auf den folgenden jenem Grundsatz keineswegs immer und überall entsprach. Jener Grundsatz aber enthielt die Wahrheit, aus welcher nach vielen Jahrhunderten stetig zunehmender Abirrung der Kirche von dem lauteren Worte Gottes der Strom der Reformation zu ihrer Erneuerung durch die lebendig machende Kraft des Evangeliums sich ergossen hat, und ist auch für die Kirche der Gegenwart eine ernste und heilsame Mahnung, daß sie, nur auf diesem Felsengrund gegründet, den Stürmen der Welt und des Unglaubens trotzen, und alle unchristliche und widerchristliche Lehre von der heiligen Dreieinigkeit und von Christo dem wahren Gottes- und Menschensohn durch die Macht der ewigen Wahrheit und mit den Waffen des Geistes von Oben, der in alle Wahrheit leitet, überwinden kann.

 

David Erdmann in Breslau.