Ulrich Zwingli, geboren 1484 zu Wildenhausen im Toggenburger Schweizerländehen, wo sein Vater Amtmann war, ging von humanistischen Studien aus, durch welche er sich auf den Hochschulen zu Bern Wien und Basel eine hohe Bildung erwarb, und griff zur Bibel, als der Drang sich in ihm regte, in der Welt Etwas zu schaffen, das besser sei, als die verderbte Gegenwart. Er war ein praktischer Mensch mit klaren nüchternen Blicken, dessen Sinne auf das Wirkliche gingen. Vom innerlichen Leben hielt er nicht viel, wenn es sich nicht äusserlich verwerthete, und die ungemeine Thatkraft, welche seine Nerven spannte, liess ihn sofort die Mittel zu seinen Zielen ergreifen. Nicht den Glauben bloss, auch Staat Becht und Sitte wollte er reformiren. Die bürgerliche Gesellschaft, nach dem Vorbild der ersten Christengemeinden errichtet, auf demokratischer Grundlage in Liebesgemeinschaft, aber unter strenger Polizei und Regierung von frei gewählten Aeltesten, – das erschien ihm als das rechte Ideal eines werkthätigen Christen. Es verschmolz sich darin der republikanische Sinn seiner heimathlichen und der antiken Welt mit den christlichen Ideen.
Zwingli wurde in seinem zweiundzwanzigsten Jahre Pfarrer zu Glarus, machte sechs Jahre später als Feldprediger drei Feldzüge mit, für den Pabst und gegen die Franzosen, und erhielt dann die Predigerstelle an der berühmten Wallfahrtskirche zu Mariä Einsiedeln. Hier predigte er bereits gegen die Uebertreibung des Mariendienstes, trat aber im Uebrigen, während der Zeitgeist und Bibelstudien ihn mehr und mehr zu protestantischen Ansichten führten, so vorsichtig auf, dass er Ansehen und Vertrauen bei den Prälaten genoss und vom Pabste ausser einem Jahrgehalt die Ehrenstelle als Akoluthenkaplan erhielt. Als ausgezeichneter Prediger und fein gebildeter Mann wurde er zu Ende des Jahrs 1519 als Pfarrer an das grosse Münster in Zürich berufen. Seine erste Neujahrspredigt liess merken, dass er sich für die Reformation entschieden habe. Er predigte unter Anderm gegen das Reislaufen in fremden Söldnerdienst, und gegen die Jahrgelder, welche vornehme Familien dafür bezogen, dass sie diesen Handel begünstigten. In dem Ablasskrämer Samson nahm er sich seinen Tetzel aufs Korn, die Züricher mussten Samson die Thore verschliessen. Bald aber widerhallte Zwingli’s Kanzel von eindringlichen Predigten, worin er gründliche Erneuerung des öffentlichen wie des häuslichen Lebens nach einfach christlichen und republikanischen Grundsätzen forderte. In seinem Innern ergriffen rief das Volk: „Recht hat der Zwingli!“, und ein grosser Theil der Gebildeten stimmte ein. Da seine Collegen mit Klagen über ketzerische Ansichten gegen Zwingli auftraten, liess der Rath Befehl ausgehen, es solle im ganzen Kanton das Wort Gottes nach dem Evangelium gepredigt werden. Als die Dominikaner heftiger angriffen, ladete der Rath alle Theologen, welche Zwingli widerlegen könnten, zum feierlichen Religionsgespräch ein. Die Gebildeteren strömten zu Hunderten herbei, die Reden und Gegenreden zu hören. Zwingli vertheidigte seine 67 Artikel wider Cölibat, Messe, Beichte, Fegfeuer, Kirchenbuße und Bannstrahl so eindringlich, dass er von jetzt an gewonnen Spiel hatte. Vergebens suchte man von Rom aus auf ihn einzuwirken: er glaubte nicht, dass man dort ernstlich die Reformation wolle. In einem zweiten Religionsgespräch, dem fast tausend Menschen beiwohnten, trat er gegen Bilderdienst Messe und Klöster auf, und der Rath musste jetzt zustimmen, als Zwingli den ganzen Gottesdienst auf evangelischem Fusse einrichtete. Bilder und Altäre, Kreuze Lichter und Orgeln warf er aus den Kirchen, Alles sollte nackt und einfach sein, damit Nichts für Herz und Phantasie übrig bleibe, was in der Kirche den Verstand von seinem ernsten Denken abziehe. Er wurde jetzt auch Rektor des Gymnasiums, und legte sein fertiges Glaubenssystem in dem Buche De falsa et vera religione nieder.
Natürlich war einer Natur, wie Zwingli, das Mystische im Abendmahl unverständlich, er setzte es zu einem blossen Liebes- und Gedächtnissmahl herab. Weil Luther aber an der Gegenwart Christi unter den Gestalten des Brodes und Weines festhielt, und beide Reformatoren auch auf der Marburger Disputation sich nicht einigen konnten, so gesellten sich die Schweizer Strassburger und andere oberdeutschen Städte nicht zu den Augsburger Confessionsverwandten. Damit trat der Zwiespalt zwischen der nieder- und oberdeutschen Kirchenreformation, der in ihrem sittlichen und staatlichen Wesen wurzelte, offen zu Tage.
Unterdessen griff die Reformation in Zwingli’s Geiste weiter in der Schweiz um sich. Er aber wollte zugleich eine politische Umgestaltung des Landes durchführen: die beiden Hauptkantone, Bern und Zürich, sollten gleichsam die Stelle der Aeltesten in der Gemeinde einnehmen. Es kam darüber zum Kriege mit den Urkantonen, welche auf ihrem eigenen Sinn bestanden und die alte Religion und das Reislaufen nicht fahren liessen. Zwingli, ehrlich und tapfer wie sein ganzes Wesen war, zog mit Wort und Schwert in’s Feld. In der Schlacht bei Kappel 1531 wurde er mit den Besten von Zürich erschlagen, und der Feind verbrannte seine Leiche und streute die Asche in alle Winde.
Historische und biographische Erläuterungen zu Wilhelm von Kaulbach's Zeitalter der Reformation von Franz Löher Stuttgart Verlag von Friedrich Bruckmann 1863