Katharina Melanchthon.

geb. 1497. gest. 1557.

Man kann Luther nicht ohne Melanchthon nennen, wir wollen auch Katharina Luther nicht ohne Katharina Melanchthon haben. Melanchthon, der zarte nach Leib und Seele, der sanftmütige und von Herzen demütige, der von tausend Sorgen und Bedenklichkeiten umgetriebene, der von ganz Deutschland und noch weiter in Anspruch genommene, der Tag und Nacht in Studien, Büchern und Briefen vergrabene, der viel auf Geschäftsreisen abwesende, der für Andere sich selbst vergessende und verzehrende „Präzeptor Deutschlands,“ das Urbild eines treufleißigen, nur dem Berufe lebenden, wissensdurstigen und wissensmächtigen, eines wahrhaft humanen, d. h. gottseligen und menschenfreundlichen Gelehrten, konnte wohl eine Gehilfin brauchen, die ihm die Kraft seines Leibes, das Heiligtum seines Hauses, das Kleinod seines Herzens, die Ruhe seines Lebens pflegen und hüten wollte mit sanftem und stillem Geiste, mit tätiger Hand und frommer Treue. Der erste Theologe des evangelischen Deutschlands sollte in seinem Hause und in seiner Hausfrau ein großes, weithin leuchtendes Beispiel geben, wie der Ehestand ein gottgeordneter und heiliger, ein eheloses und familienloses Leben aber nicht ein vollkommeneres und verdienstlicheres sei, wie die Hausfrau mit der von ihrem Mann ihr in die Hand gegebenen Bibel in der Mitte ihrer Kinder und Hausgenossen das allgemeine Priestertum der Christen an ihrem Teil verwirklichen und die Pfarrfrau insbesondere jene wahre Freiheit, zu welcher Christus Mann und Weib und alle Stände befreit („emanzipiert“) hat, darstellen könne. Gleichermaßen musste wohl das Haus des ersten Gelehrten des evangelischen Deutschlands zeigen, wie die Gelehrsamkeit und die Häuslichkeit, das stille Studierzimmer und die nach außen tätige Liebe, wie die Wissenschaft und die Gottseligkeit, Aristoteles und Paulus, Plato und Johannes sich vertragen, und wie in einem Professorenhause Christus nicht bloß unter den Göttern Griechenlands in ein Pantheon zu einem Kultus des Genius versammelt, sondern als Gott über Alles gelobt in Ewigkeit zu aller guten und bösen Zeit, die Seele, das Glück und der Trost auch des gelehrtesten und berühmtesten Hauses sein könne und wolle. Es musste Melanchthons Gattin vorbildlich zeigen, wie die Hausehre eines deutschen Professors, wie eine deutsche Professorenfrau miterfahren und mitbewähren soll, dass „Christum lieb haben besser ist denn alles Wissen,“ und dass „züchtig sein, den Mann und die Kinder lieben, sittig sein, keusch, häuslich, gütig, dem Mann untertan, nicht Lästerin, sondern gute Lehrerin sein“ der tröstlichste Hausschatz ist gegenüber dem alten unglücklichen Verse, der zu den Schätzen, die Äskulap, und zu den Ehren, die Justinian darbiete, scheel sehend jammert: At nos grammatici turba misella sumus! („Aber wir Grammatiker, wir sind ein armes Geschlecht.“)

Philipp Melanchthon (geb. 1497) machte sich im August 1518 von Tübingen aus auf die Reise nach Wittenberg, wohin ihn der Kurfürst als Professor der griechischen Sprache berufen. Über Augsburg, wo die Bayern ihn für Ingolstadt gewinnen wollten, Nördlingen, Nürnberg, Leipzig zog er auf seinem Rösslein, und bereits am 29. August hielt er seine Antrittsrede mit so unerhörtem Beifall, dass Luther nur Glück wünschen und neidlos bewundern, aber auch nur fürchten konnte, es möchte der schwächliche junge Mann, der noch nicht zwanzig Jahre alt, fast noch wie ein Knabe aussehe, die Wittenberger Luft und Lebensart nicht aushalten, zumal bei so spärlicher Besoldung. Am 9. Februar 1520 schreibt Luther an Spalatin, er hätte schon lange gerne für Melanchthon eine passende Frau gewünscht, denn er wisse, wie leicht solchen großen Geistern etwas zustoße und wie Melanchthon gerade um seinen Körper und sein Hauswesen sich gar nichts kümmere, leider aber sei derselbe gar nicht zum Heiraten geneigt. Spalatin nannte ihm eine passende Jungfrau, aber Luther wagte es nicht, dem Melanchthon, der ganz und gar nicht zum Heiraten sich schicken wollte, eine bestimmte Person vorzuschlagen; er selbst ist ja noch weit entfernt, nach dem Beispiele seines Amtsbruders Agricola von Eisleben, sich in die Ehe zu begeben. Indessen höhlt ein Tropfen den harten Stein aus, wie sollte nicht das weiche Gemüt eines Melanchthon sich haben von so treu meinenden Freunden unter das sanfte Joch der Ehe biegen lassen? Am 15. August 1520 schreibt der 23jährige Philippus: „Man gibt mir nun Katharina Krapp zur Frau (die Tochter des Bürgermeisters Hieronymus Krapp zu Wittenberg); ich will nicht sagen, wie unerwartet es mir ist und wie kühl ich dabei bin, aber das Mädchen ist von solchen Sitten und von solcher Gemütsart, wie ich es mir nur wünschen konnte. Ich folgte dem Rate meiner Freunde“. „Gewiss ist sie eines bessern Mannes wert, aber Gottes Wille mag nun also sein. Ich bringe mich um meine Studien, um mein einziges Vergnügen, indem ich dem Rate und Willen meiner Freunde folge und heirate.“ Luther wurde für den Verursacher dieses Schrittes ausgeschrien, er erklärte auch, er kümmere sich nichts um das Geschrei, er habe es dem Manne und dem Evangelium zu lieb getan, in der Hoffnung, Philippus werde, wenn verheiratet, länger leben, während er bei seiner bisherigen Lebensweise es schwerlich lange dauern würde. Um nun die „bösen Zungen“ zum Schweigen zu bringen, wurde die Hochzeit beschleunigt und auf den 6. November, den Tag nach Katharinen, verlegt. Melanchthon hätte sie gerne noch lange, lange hinausgeschoben, aber, so schreibt er an Spalatin, „die Freunde meinten es anders und ich habe, ihnen folgend, es früher geschehen lassen.“ So kam denn für den guten Mann der nicht ersehnte Tag; Luthers eigene Eltern und Schwestern beehrten seines Philippus Hochzeit mit ihrer Gegenwart samt andern angesehenen und gelehrten Männern. Seinen Zuhörern kündigte Melanchthon dieselbe in lateinischer Sprache an mit den Versen:

Fröhlich und gern ruht aus von Studien heute Philippus, \\
Pauli heilige Lehr‘ trägt er Euch heute nicht vor.

Das klingt wie gute Miene zum bösen Spiel, denn, ach! die Studien, die Bücher, die edle Zeit, die er nun mit einer Frau teilen soll – und einen ganzen langen Hochzeittag das Schreiben und Lesen nun aussehen sollen, welch eine harte Aufgabe, welch ein herbes Opfer für den jungen deutschen Professor!

Indessen ließ er sich doch nicht bloß als Opfer geduldig zur Schlachtbank der Ehe führen, er zeigte sich auch bald als einen treuen und freudigen Priester des ehelichen Heiligtums, das seine Katharina ihm schmücken und pflegen sollte. Melanchthon, als ein Schriftgelehrter zum Reiche Gottes geschickt, wusste auch Altes und Neues aus dem reichen Schatze seines Wissens hervorzubringen, wo es sich darum handelte, den Ehestand als Gottes Ordnung hoch hervorzuheben. Zu eigenster Überzeugung wie Luther hatte er das große Geheimnis der Ehe zumal aus der Schrift tief genug erkannt, um durch Wort und Tat es gegen die katholische Kirche zu retten, welche die Ehe einerseits zum Sakrament hinaufschraubt und andrerseits als des Priesters unwürdig herabsetzt.

Viele lehrreiche Bemerkungen darüber gibt er in einer Betrachtung über das Evangelium von der Hochzeit zu Kana im ersten Bande seiner Postille. Auf die gegenseitige Liebe der Geschlechter zu einander weist er als auf einen gottgeordneten und gewollten Gegenstand hin, in welchem die größten Geheimnisse verborgen liegen. Zwei Personen habe Gott zur Fortpflanzung des Geschlechtes verbunden, damit er so eine Kirche bildete, um in der Gemeinschaft verherrlicht zu werden. (Die Ehe als der Ort, dadurch die Kirche Gottes auf Erden vermehrt und verbreitet werde, ist darum auch in den alten lutherischen Kirchenordnungen so hoch und heilig gehalten.) „Mehr“, setzt Melanchthon hinzu, „könne er nicht darüber sagen, und die tieferen Ursachen müssten wir im ewigen Leben lernen.“

„Es ist eine bewunderungswürdige Sache“, fuhr er fort, dass die erste Liebe immer eine reine, keusche ist, darin Jüngling und Jungfrau sich wie im Himmel befindet und keines wagt, in Gegenwart des Andern ein unschönes Wort zu sagen oder gar einen unedlen Wunsch zu hegen. Gewiss, die erste Liebe erinnert an das verlorene Paradies.“ Wie tief die Liebe der Geschlechter in der gottgeschaffenen Natur begründet sei, dafür zieht Melanchthon zwei scherzhafte Geschichtchen an, womit er seinen eigenen, reinen, kindlich heitern Sinn bekundet. „Ein Eremit“, sagt er, „hatte einstmals seinen Sohn mit in die Stadt genommen und dieser hatte da zuerst Jungfrauen gesehen. Er fragt den Vater: was sind denn das für Tiere? Der Vater verwundert, dass er sogleich auf die Mädchen achtet, antwortet: „es sind Gänse.“ „Ah“, äußerte drauf der Sohn: „hätten doch auch wir solche Gänse!“ Für noch sinniger erklärt Melanchthon das andere, das er selbst in ein lateinisches Sinngedicht brachte: Ein Jüngling sprach einst zu einer Jungfrau, die ihn beständig anblickte: „sie möchte doch zur Erde sehen.“ Witzig antwortete sie: „Du bist von der Erde, also musst du vielmehr herniederblicken. Das Weib ist vom Manne genommen, warum sollte ich nicht den Stoff betrachten, aus dem ich entsprungen bin?“ Welch eine unendlich menschlichere und göttlichere Ansicht bezeigen doch die Väter unserer evangelischen Kirche durch Wort und Tat von dem Stande, den Gott selbst im Paradiese eingesetzt und worauf er seinen Segen gelegt und den Christus im Neuen Testamente bestätigt – als jene großen, aber überall, wo sie über das Schriftwort hinausgehen, nur scheingroßen Väter der alten katholischen Kirche, welche die Ehelosigkeit als Heiligkeit, die Ehe als „Chorführerin aller Tragödien des Lebens“ hinstellen!

Der junge Meister Philippus fand aber auch an seiner Katharina, was ihr Name bedeutet, eine reine, eine feine und treue Lebensgefährtin und führte mit ihr eine wahrhaft glückliche Ehe. Die leiblichen Trübsale, die dieser heilige Stand nach des Apostels Wort mit sich bringt, blieben allerdings nicht aus, aber sie förderten das Glück dieser christlichen Eheleute. Katharina gebar zwei Töchter und zwei Söhne: Anna, Philippus, Georg und Magdalena.

Schon im Jahre 1524 erfreute ihn die Geburt seiner ersten Tochter Anna, eines ausbündig holdseligen Kindes, wie Luther es nennt. Da eröffnet sich uns nun ein Blick in Melanchthons Herz und Haus, so schön als der in seines Freundes Luther. Hat das kindliche Gemüt Melanchthons überhaupt die Kinderwelt mit fast übergroßer Zärtlichkeit umfasst, wie teuer waren ihm erst die eigenen Kinder! Seine Anna war und blieb sein Liebling. Sie war auch ein äußerst gutes und begabtes Kind, fromm, folgsam und züchtig; ihrer Mutter war die Geburt dieses Kindes sehr hart angekommen, auch das machte die mit solchen Schmerzen und Sorgen Erstgeborene dem Vater um so kostbarer. Einst kam das kleine Kind ins Zimmer und fand ihn weinen. Da geht es hin, nimmt sein Schürzchen und sucht ihm die Tränen aus den Augen zu wischen. „Dieser Beweis ihrer Teilnahme“, schreibt er an seinen Freund Camerarius, „drang mir tief ins Herz.“ Einmal ist seine Tochter über Gebühr lange vom Hause weggeblieben. Als sie zurückkommt, fragt er sie scherzend, was sie denn nun der Mutter, die sie tüchtig auszanken werde, sagen wolle? „Nichts“, entgegnete das Kind. Dieses Wort machte ihm große Freude und er wendete es nachher öfters gegen die Lästerungen seiner Feinde an. Ein anderes Mal sitzt er in der Kinderstube, das Wiegenband in der einen, ein Buch in der andern Hand. Da tritt ein französischer Gelehrter ein und verwundert sich hoch, den berühmten Mann an solchem Orte bei solchem Amte zu finden. Philippus aber rühmt die Pflicht des Familienlebens und den Dank der Kinder gegen Gott auf solche Weise, dass der gelehrte Fremdling mit sehr belehrter Miene davonging. In der Kinderstube, im Familienkreise sah Melanchthon mit Wonne die „kleine Kirche.“

An einer Stelle der Postille, wo er von der Zärtlichkeit spricht, welche den Eltern gegen ihre Kinder eingepflanzt ist, dabei das Beispiel des Agefilaus erwähnt, wird man unwillkürlich an ihn selber erinnert. Er sagt: „Siehe, wenn wir Kinder haben, küssen wir sie, wie stellen wir uns so närrisch; wenn das ein Stoicus sieht, möchte er’s tadeln, oder wenigstens denken: „was ist das für ein Geck?“ Bekannt ist das Beispiel des Agefilaus. Ein Fürst kam einst zu ihm, als er schon Greis war und eben mit seinem Sohne Archidamus spielte. Der alte Vater ritt mit dem Sohne auf dem Stocke und lehrte den Sohn auf dem Stocke reiten. Da jener nun plötzlich dazu kam, sagte Agefilaus: „Ich bitte dich, sage Niemand etwas, bis du selbst Söhne haben wirst.“ Er deutete das mit an, dass die Zuneigung, welche der Vater gegen seine Kinder hat, sich nicht von Andern fordern lasse.“ – War nun Melanchthon ein so glückseliger Kinder- und Hausvater, wer konnte glücklicher in seinem Glücke sein, als Melanchthons Gattin? Und an wen konnte er sich hinwiederum zuversichtlicher nächst Gott anlehnen, als an die geisteskräftige, unermüdliche, selbstlos ihm dienende Gattin, die uns sein Busenfreund Camerarius schildert als eine sehr fromme Frau, die ihren Mann aufs innigste liebte, als eine überaus fleißige und geschäftige Hausmutter, in Sitten und Leben völlig untadelig, stets auf das Eine bedacht, was Not ist, und in diesem frommen und tugendsamen Eifer die einfachste in Kleidern und Epeisen.“ Sie scheint ihrem Manne, der selbst ohne Vermögen war, kein größeres Vermögen in die Ehe gebracht zu haben; dafür brachte sie ihm das größte Vermögen, das man haben kann, nämlich „Gottseligkeit mit Genügen.“

Nicht um sich Geld zu verschaffen, sondern um seine Pflicht zu tun, gab sich der große Gelehrte mit Privatunterricht von Knaben in seinem Hause ab, wozu nur ein anderer Professor noch sich hergab. Es war teure Zeit, die Besoldung wurde nicht aufs Pünktlichste ausbezahlt, es geschieht ihm schwer sich durchzuschlagen, aber es ist ihm doch eine angebotene Zulage von 200 Gulden zu viel, er will durch Sparsamkeit und Häuslichkeit lieber zurecht kommen, als durch sein Amt und seine Feder reich werden. Gerne zwar möchte er seinen Kindern ein kleines Erbe hinterlassen, wenn er es auf ehrliche Weise könnte. Aber er kann und will nicht schmutzig sein, er gibt sich zufrieden, seinen Kindern einst nichts als ein bisschen Ruhm und Erziehung zum Erbe geben zu können.

Katharina aber, statt aus diesem Ruhm und dieser Gelehrsamkeit ihres Mannes eine Erwerbsquelle zu machen, statt ihn zum Geldverdienen zu drängen, oder um des geringen spärlichen Lebens und Einkommens willen ihn zu quälen, oder die Gastfreundschaft und die Almosen, um die eines Melanchthons Haus von allen Seiten und nicht immer bescheiden angesprochen wird, „mit Murmeln“ zu üben, Katharina, ihres Mannes würdig, gibt sich gerne zufrieden, dass er ihr in den vier ersten Jahren der Ehe auch nicht ein einziges neues Kleidungsstück gekauft hat. Das durfte er als ein Zeichen seiner und ihrer Häuslichkeit gegen Spalatin rühmen.

Sie hätte namentlich anfangs gerne dem schwächlichen Manne mehr mit guter Speise zugesetzt, die er auch wohl zu würdigen wusste. Er hatte sich in Tübingen an die größte Einfachheit gewöhnt und oft Fleisch und Gemüse mit der Suppe seines Nachbars vertauscht. In Wittenberg ließ sich diese Enthaltsamkeit nicht immer durchführen und er beklagt sich oft bitter über die „üppige“ Lebensweise, in die man hineingezogen werde, und über „unsere Frauen, welche glauben, wir seien nicht satt oder sterben Hungers, wenn wir nicht vollgestopft sind wie Würste, d. h.: so mit Speise und Trank angefüllt, dass wir nichts mehr hinunterbringen können. Solche Gefräßigkeit war ehedem nicht. Wie einfach hielt Reuchlin sich und mich! Er wurde aber auch über 70 Jahre alt. Wie mäßig war mein Vater, der niemals mehr als ein Gericht aß. Wie unmäßig bin ich dagegen, der ich doch ziemlich mäßig zu sein glaube!“ … Nun, seine Katharina wusste sich in ihn zu schicken, und sie wird wohl hin und wieder ihn dennoch mit einem guten Stücklein überlistet und getröstet haben, wenn er aus Speise und Trank sich allzu sehr ein Gewissen machen wollte. Andererseits wusste sie wohl, wer nicht im Kleinen spart, kann nicht im Großen geben. Und Geben war ihr eine Lust. Wenn Melanchthon die Güte selber war, wie Luther, wenn er aufopferungsfreudig sich selbst und das Seine vergaß, nur um Andern Wohltat erweisen zu können, wenn er hierzu oft selbst seine kostbaren Becher zu den Kaufleuten trug, um sie zu versetzen; so war darin seine Hausfrau mit ihm ein Herz und eine Seele. Camerarius sagt von ihr, sie sei freigebig und wohltätig gegen Alle, für die Armen zumal in solcher Weise besorgt gewesen dass sie, beim Austeilen von Gaben ohne Unterschied, nicht bloß ihres Vermögens und ihrer Kräfte vergaß, sondern auch bei Andern sich zuweilen aufs Inständigste und mit fast ungestümer Fürbitte für sie verwendete. Das konnte sie, die „nichts auf kostbare Mahlzeiten oder vornehme Kleidung gab“, die nicht auf das Ihrige sah, sondern auf das, was des Andern ist, wie es einer Bekennerin des Evangeliums geziemt.

Sie hatte wie Melanchthon einen schwächlichen Körper. Bald litt sie an der Leber, am Stein, am Fieber. Ihrem Manne schlug die Wittenberger Luft nicht zu, von 1525 an hören seine Klagen über entsetzliche Schlaflosigkeit, dann über die ihn niederdrückende schmerzhafte Steinkrankheit nicht mehr auf. Wenn er mit diesem Körper dennoch diese unermessliche Tätigkeit seines Geistes und Berufes aushalten sollte, so musste er sich an die pünktlichste Lebensordnung halten und seine Hausfrau, statt ihm seine Kreise zu stören, zu seinem und ihrem Gewinn die strengste Hausordnung aufrecht erhalten. Morgens um 2 oder 3 Uhr fand man ihn schon in seiner Studierstube, und zwar im Sommer und Winter. Am Tage las er drei oder vier Collegia, wohnte den Konferenzen der Professoren bei und arbeitete alsdann bis zum Abendessen. Nach demselben ging er zu Bette gewöhnlich um 9 Uhr. Er erbrach keinen Brief mehr am Abend, um nicht durch Sorgen im Schlafe gestört zu werden. Weil ihn seine Freunde am Rheine häufig mit gutem Wein beschenkten, so trank er vor dem Abendessen noch ein Glas. Seine Lebensweise war überhaupt sehr regelmäßig. Er aß täglich ein Mal, höchstens zwei Mal, und ganz einfach. Kostbare Gerichte liebte er nicht, dagegen Suppe, Fische, Gemüse und Eier.

Über Tisch war er sehr gesprächig, an Stoff fehlte es natürlich einem Manne nicht, der so große Kenntnisse besaß und zugleich die Bekanntschaft mit Fürsten, Staatsmännern und anderen berühmten Leuten gemacht hatte. Er liebte Munterkeit und anständigen Scherz. Er begann alle seine Geschäfte im Namen Gottes und vor Gottes Angesichte. Man kann gewiss sagen, sein ganzes Leben war ein Gebet. Nach dem täglichen Morgengebete las er einen Abschnitt aus der heiligen Schrift, dann warf er einen Blick in den Kalender, um sich der kirchlichen Zeit, in der er gerade lebte, und der Männer Gottes, deren Namenstage gerade dastanden, zu erinnern. Erst nachdem er sich auf solche Weise durch Wort und Gebet geheiligt hatte, ging er an seine Arbeiten oder schrieb die dringendsten Briefe. Das Mittagsmahl wurde immer zur bestimmten Stunde gehalten. Dabei wurde nicht bloß das Tischgebet, sondern auch das apostolische Glaubensbekenntnis gesprochen.

Welchen Segen, welche Förderung ihres innern Lebens und ihres Haushaltes musste Katharina von dieser festen christlichen Wohlordnung haben, die als ein Band des Friedens die Gatten, das Gesinde und das ganze Haus umschlang. In der Tat, was war es doch ein Gewinn fortan für Mitlebende und Nachkommen, dass die Reformation nun das Wort Gottes auch in den Bürgerhäusern, nicht bloß in den Klöstern und Kirchen reichlich wohnen ließ und in der Lutherbibel auch den Hausfrauen eine Vorratskammer der Lehre, des Trostes an die Hand gab, um im Hausgottesdienst Priestertum zu üben, besonders in Zeiten, worin sie hilflos, auf sich selbst beschränkt, vergehen müssten in ihrem Elende, wenn Gottes Wort nicht ungeteilt und unverfälscht ihr Trost sein könnte. Und wahrlich, auch Frau Melanchthon bedurfte dieses Brünnleins Gottes in den viel heißen Tagen ihres Ehestandes zu Ertragung des Kreuzes, womit dieses stille und einfache Haus fast unausgesetzt heimgesucht war!

Im Januar 1525 gebar Katharina ihren ersten Sohn Philippus nicht ohne Gefahr ihres Lebens. Denn drei Tage vorher war sie in der Küche bei einem Geschäft etwas unvorsichtig und fiel mit dem Leibe hart auf den Boden, eine schwere vorzeitige Geburt war die Folge; der Erstgeborne selber war und blieb so elend und kränklich, dass sie kaum hoffen konnte, ihn auferziehen zu dürfen. Dennoch wurde ihre Muttertreue belohnt, der kleine Philippus blieb am Leben; dem Vater zwar nicht an Geistesgaben, doch an Herzensgüte ähnlich, wurde er Rechtsgelehrter und starb als Protonotarius der Universität zu Wittenberg, achtzig Jahre alt und kinderlos, nachdem er in seinem hohen Alter noch in ein Stammbuch geschrieben: „Ich wünsche abzuscheiden und bei Christo zu sein, den 9. August 1603.“

Schrecken, Kummer und Nachtwachen hatten in dieser Notzeit, zu der die Ängsten des Bauernkrieges kamen, unserm Melanchthon so sehr und fast noch mehr zugesetzt als seiner Gattin. Schlaflosigkeit tötete ihn fast; da hatte sie doppelt zu pflegen und zu wachen Tag und Nacht, für Kind und Gatten. Nachdem er im folgenden Jahre das Gymnasium in Nürnberg eingeweiht hatte, fiel er (im August 1526) aufs Neue so darnieder, dass er und sein Arzt zwölf Tage lang an seinem Aufkommen verzweifelten. 1527 geht er zur Messe nach Leipzig, kehrt aber so elend zurück, dass er sich nur durch die einfachste Lebensordnung erhalten kann. Während er dann im Juli und August auf einer Visitationsreise war, brach in Wittenberg die Pest aus, von der auch die Dienstmagd Katharinens hingerafft wurde. Sie eilte nun mit den Kindern zu ihm nach Jena, wohin die Universität flüchtete. Im Oktober liegt dann Melanchthon an der Kolik darnieder. Am 25. November, während er mit Luther zu Torgau arbeitete, wurde Katharina von einem Sohne entbunden, der den Namen Georg erhielt. Je größer die Mutter- und Vaterfreude an dem „allerliebsten“ Kinde war, desto heißer war der Schmerz, als auch dieses wieder heimgehen sollte. Am 26. Juli 1529 trifft die Nachricht vom Tode seiner Mutter ein, am 15. August stirbt der kleine Georg am englischen Schweiß. Da ist der ohnehin von Leibesschwachheit beschwerte Mann den ganzen Sommer über „in Trauer und Tränen.“ Was mochte die Frau durchmachen am Totenbette des Kindes und an der Seite des Gatten, der zugleich über die Not der Kirche so betrübt war, dass kein Tag war, an dem er nicht zu sterben wünschte! Wie war da „Geduld der Heiligen“ nötig, wenn gerade die Elternfreuden, in denen beide Gatten ihr einziges Erdenglück sahen, durch so mannigfaltigen Kummer getrübt wurden! Aus ihrer und seiner Erfahrung heraus sagte der zartfühlende Mann in der (lateinischen) Postille: „Kein Schmerz kann nächst dem Gefühle des Zornes Gottes größer für die Natur des Menschen sein, als Elternschmerz beim Leiden und Unglück der Kinder. Dieses Schmerzgefühl bleibt, so lange die Natur gesund und nicht vom Teufel berückt ist.“ „Nichts ist mir,“ schreibt er an einen Freund beim Tode seines zweijährigen Georg, „nichts ist mir jemals teurer gewesen, als dieser Knabe. Es leuchteten aus ihm außerordentliche Geistesgaben hervor. Welcher Schlag mir sein Verlust ist, das kann ich nicht mit Worten beschreiben.“ Luther selbst schreibt am 17. August an Jonas: „Unserm Philippus hat der Herr am vergangenen Sonntage seinen Sohn Georg genommen. Da kannst du nun denken, welche Mühe und Sorge wir haben, dass wir diesen Mann von dem zartesten und empfindsamsten Gemüte trösten. Außerordentlichen Schmerz verursacht ihm der Verlust des Sohnes, da er bisher noch nicht in solcher Lage gewesen ist. Du weißt, wie viel daran gelegen ist, dass dieser Mann lebe und erhalten bleibe; wir Alle sind mit ihm krank und betrübt.“ Am Ende des Monats schrieb Luther abermals an denselben Jonas: „Noch klagt Philippus. Wir Alle gehen ihm zur Seite, wie es sich für uns in Bezug auf einen Mann der Art gebührt. Möchten doch zu ihrer Demütigung vielmehr alle Timonseelen solches zu tragen genötigt sein, die vor Stolz auf ihre Weisheit nicht wissen, einen wie großen Vorzug diese einzige Person von allgemeiner Bedeutung, wenn auch fündig und schwach, vor vielen, ja vor allen Tausenden von Hieronymi, Hilarii und Macarii voraus hat, welche allzumal nicht wert sind, meinem Philippus die Schuhriemen aufzulösen.“ Wenn so die Freunde zu Mitleid und Fürbitte sich aufgefordert fühlten, wie musste Katharina den eigenen Schmerz über dem des Mannes vergessen, nur damit dieser getröstet würde!

Doch auch die Zeit heilt Wunden, und der bevorstehende Augsburger Reichstag entzog ihn dem häuslichen Leide. Die Vollendung und Übergabe der Konfession zu Augsburg musste auch für die ferne Gattin ebenso viel Freude als die nachherigen fruchtlosen Friedensbemühungen Trauer bereiten. Während Melanchthon mit der Apologie seiner Konfession beschäftigt ist, schenkt ihm seine Frau (10. Juli 1531) eine zweite Tochter, Margaretha. Mit diesem ihrem letzten Kinde trat eine kurze Erquickungszeit im Melanchthonschen Hause ein, und damit es auch an äußerem Behagen nicht fehle, schreibt im Jahre 1535 der Kurfürst Johann Friedrich an Katharinens Vater, er wolle auf seine Kosten ihr Haus und Hof vergrößern, wie es der Zuwachs der Familie wünschen ließ. König Heinrich von England schickte ein Geschenk von 200 Dukaten, und auch an andern Ehren und Ehrengaben, besonders an ehrenvollen Berufungen Melanchthons bald nach England, bald nach Frankreich, bald nach Tübingen rc. fehlte es nicht. Dafür fehlte es auch in guter Zeit nicht an Unruhe, Arbeit und Sorge. Melanchthon entwickelte eine unglaubliche, nur mit der Arbeitsamkeit Luthers vergleichbare Tätigkeit – sind doch von ihm noch bei 7000 Briefe und kleinere Arbeiten vorhanden, ungezählt aber sind die Ausgaben von alten Schriftstellern, die er besorgt, die Vorreden, die er zu fremden Büchern geschrieben, die Gutachten, die er gestellt, die Vorlesungen über Klassiker und Bibel, die er gehalten, die Geschäftsreisen, die er so unaufhörlich zu Beratungen, Disputationen und Visitationen zu machen hatte, dass er 1533 seine Privatschule wegen der vielen Reisen aufgeben musste. Im Jahre 1535 ging er mit Weib und Kind nach Jena, um mit den englischen Gesandten über Vereinigungspunkte zwischen der deutschen und englischen Reformation zu verhandeln, von da musste er im Februar 1536 krank und allein nach Wittenberg. Dann war er wieder in Torgau, in Leipzig, wieder in Wittenberg, dann mit seiner Frau in Leipzig, dann in Heidelberg; in Tübingen weilte er bis zum Oktober in Sachen der Universität, ging dann über Nürtingen, Ellwangen und Nürnberg wieder nach Hause, tief bekümmert und wahrhaft gequält über die Uneinigkeit der Evangelischen, welche der milde Mann so gerne ausgeglichen hätte. Welchen Wiederhall das Alles im Hause und im Gemüte der Gattin fand, können wir uns denken; das war allerdings nichts weniger als ein ruhiges Studierstuben Stillleben, das unsere Reformatoren führen konnten, und das ihre Frauen miterlitten, miterkämpft, mitdurchgebetet haben!

Nun wurde es aber ganz besonders laut im Melanchthonschen Hause, als am 6. November 1536 die älteste und geliebteste Tochter Anna mit Georg Sabinus Hochzeit machte. Doch sollte diese Verbindung leider eine Quelle schwersten Jammers für Melanchthon und seine Gattin werden. Sabinus zeigte sich bald als einen eitlen, selbstgefälligen und ruhmsüchtigen Mann, der keinem fremden Rate folgte. Melanchthon beklagte es nachher bitter, dass er nicht genauer nach des Sabinus Horoskop gesehen, als er um seine Tochter gefreit habe, denn der Mann sei, wie er nachher gefunden, in der Konjunktion des Saturn und Mars geboren – man weiß ja, wie damals Natur und Geschick eines Menschen unter dem Einflusse der Gestirne gedacht wurde, und Melanchthon hielt auf dergleichen Zeichen und Vorzeichen so viel als Luther selbst. Im Jahr 1523, in einem Alter von 15 Jahren, war er von Brandenburg, seinem Geburtsorte, nach Wittenberg gekommen und wegen seiner vortrefflichen Anlagen, besonders in der Poesie, hatte ihn Melanchthon, in dessen Hause er als Schüler wohnte, lieb gewonnen. Später studierte er zwar die Rechte, aber nebenbei beschäftigte er sich noch eifrig mit dem klassischen Altertum, und konnte im Jahr 1538 vom Kurfürsten Joachim von Brandenburg als Professor der schönen Wissenschaften nach Frankfurt a. d. O. berufen werden. Aber Sabinus war ehrgeizig, hochfahrend, rau und zornig gegen seine stille, milde Gattin, und bald zeigte sich die Ehe als eine ganz unglückliche.

Wahrlich diese häuslichen Sorgen und Kümmernisse wären neben den Amtsmühen und Berufssorgen, die seinen Tag zu Hause und auf Reisen unausgefüllt ließen, Glaubensprüfung und Geduldsübung genug gewesen, aber „wenn einmal das Unglück kommt, so kommt es mit Haufen.“ Den ärgsten Schlag erhielt Melanchthon von seinem eigenen Gewissen. Er und Luther hatten dem Landgrafen Philipp von Hessen die Doppelehe, die derselbe eingehen wollte, abgeraten zwar, aber schließlich als ein geringeres Übel leider doch zugestanden. Melanchthon musste (3. März 1540) selber Zeuge der Vermählung des Landgrafen mit Margarethe von Saal werden und als jener das Ärgernis öffentlich zu machen drohte, fiel der arme Melanchthon aus Grämnis und Schwermut zu Weimar in eine tödliche Krankheit. Als er nun so heftig krank lag und es mit ihm so gefährlich stund, ließ der Kurfürst bei Tag und Nacht Luthern und Melanchthons Sohn von Wittenberg holen. „Die fanden,“ so erzählt ein Zeitgenosse, „seine Augen schon gebrochen, allen Verstand gewichen, die Sprache entfallen, das Gehör vergangen und das Angesicht schlaff und eingefallen. Dazu kannte er niemand, aß und trank nichts. Als ihn nun Lutherus so unbekenntlichen ansieht, erschrickt er über die Maßen und spricht zu seinen Gefährten: behüt Gott, wie hat mir der Teufel dies organon geschändet! kehrte sich alsbald zum Fenster und betete ernstlich zu Gott. Alda, saget Lutherus, musste mir unser Herrgott herhalten. Denn ich warf ihm den Sack vor die Türe und rieb ihm die Ohren mit allen promissionibus exaudiendarum precum, (Verheißungen der Gebetserhörung) die ich in der heiligen Schrift zu erzählen wusste, dass er mich musste erhören, wo ich ans ders seinen Verheißungen trauen sollte. Hierauf er greift er Philippum bei der Hand und spricht: Bono animo esto, Philippe, non morieris!((Sei guten Mutes, mein Philippus, du wirst nicht sterben!)) Obwohl Gott Ursache hatte zu töten, so will er doch nicht der Sünder Tod, sondern dass er sich bekehre und lebe. Er hat Lust zum Leben und nicht zum Sterben. Hat Gott die allergrößten Sünder, die je auf Erden kommen, als Adam und Eva zu Gnaden wieder berufen und angerufen, viel weniger will er dich, mein Philippe, verstoßen, noch in Sünden und Schwermut verderben lassen. Darum so gib dem Trauergeist keinen Raum, und werde an dir selbst kein Mörder, sondern vertraue dem Herrn, der töten und wiederum lebendig machen, verletzen und verbinden, schlagen und wieder heilen kann. Denn Lutherus wusste wohl seines Herzens und Gewissens Anliegen. In solchem Ergreifen und Aussprechen fängt Philippus an, wieder Atem zu holen, konnte aber doch lange nichts reden bis über eine gute Weile. Da wendete er sein Angesicht stracks auf Lutherum, und fängt an, ihn um Gotteswillen zu bitten: er wolle ihn nicht länger aufhalten; er sei jetzo auf einer guten Fahrt, er solle ihn lassen hinziehen; es könne ihm doch nichts besseres wiederfahren.

Mitnichten, saget Lutherus, Philippe, du musst unserm Gott noch weiter dienen. Also wurde Philippus je länger je mehr munterer, und ließ ihm Lutherus eilends etwas zu essen vorrichten, und brachts ihm selber. Aber Philippus weigert sich davor. Da nötigt ihn Lutherus mit diesen Dräuworten und sagte: hörst du, Philippe? kurzum du musst mir essen, oder ich tue dich in den Bann! Mit diesen Worten wurde er überdräuet, dass er aß, doch gar wenig, und also gemach wieder zu Kräften kam.“

Melanchthon selbst erzählte, wie ihm in dem Todeskampfe das Schriftwort: „ich werde nicht sterben, sondern leben und des Herrn Werke verkünden!“ als an die Wand geschrieben vorgekommen und sein mächtiger Trost geworden sei. Kaum hergestellt darf er aber nicht einmal seine Gattin begrüßen, er muss mit nach Eisenach zum Konvent, dann nach Worms, von wo aus er den Doktor Fuchs in Tübingen wegen seiner eigenen Hinfälligkeit zu Rate zieht, während seine Frau zu Hause ebenfalls schwer krank darnieder liegt, die er erst im Januar 1541 wieder sieht, aber nur, um ihn im März schon wieder zum Konvent nach Regensburg ziehen zu lassen. Da wird er auf der Reise aus dem Wagen geworfen und bricht fast den rechten Daumen; in Regensburg selbst muss er durch Luther, der in Wittenberg die neue Gefahr vernommen, vor Giftmischern gewarnt werden. So musste Katharina in fortwährenden Ängsten schweben!

Kaum ist er wieder zu Hause und wohl, dabei nach Luthers Wort arbeitsamer als je und als jemand, „ein wahrer Atlas, der Himmel und Erde auf seinen Schultern trägt,“ so muss Katharina zu ihrer Tochter Anna, die ihre vierte Tochter gebären sollte. Glücklich zurückgekehrt, findet sie ihren Gatten von Unterleibsschmerzen gequält und bald durch die Nachricht vom Tode seiner Schwester und Schwägerin in Trauer versetzt. Eine rechte äußere Freudigkeit und Ruhe kehrte nun schon nicht mehr in dem Hause ein. Am 29. Jan. 1543 schreibt Melanchthon an Mykonius in Gotha: „ich bin so von Schmerzen und Arbeiten erdrückt, dass ich oft an die Flucht denke, und wenn mich nicht das Alter und die Verzweiflung an einem längeren Leben festhielten, so würde ich mich nach irgend einem verborgenen Schlupfwinkel umsehen.“ Allein er muss eben arbeiten, er muss reisen, er muss sich in Ärger und Sorge verzehren; er, der bei all seinem besten Willen zugleich bestverleumdete Mann. Die Mutter wird auch nicht immer mit den Kindern fertig, von Bonn aus muss Melanchthon seinen herangewachsenen Sohn Philippus ermahnen, doch der Mutter recht zu folgen, deren Stütze er sein müsse. Aber der junge Philippus macht seiner Mutter ein schweres Herzeleid durch seine Verlobung mit Margaretha Küffner von Leipzig unter Vorwissen ihrer, aber nicht seiner Eltern. Als Katharina es erfuhr, war sie heftig dawider und wollte es rückgängig machen. Wie die Verlobte das hört, stellt sie am 8. Januar 1544 „dem züchtigen und gelehrten Gesellen Philippo Melanchthon dem Jüngern meinem guten Gönner zu handen“ einen jammervollen Brief, worin sie ihm erklärt, dass ohne ihre und seine Bewilligung das Band nicht zerrissen werden könne. „Und macht mich armes Mägdlein diese neue Mär zu diesem neuen Jahr ganz betrübt und verrenkt, kann und mag weder essen noch trinken, weder schlafen noch wachen, also bin ich gar in meinem Gemüt zerrückt, und ich besteh, so dieser Sach nicht recht geholfen werd, werde es mir großen Schaden tun und wird mich und euch nicht Leib und Leben, sondern den ewigen Zorn Gottes und seine Strafe und das ewige Nagen des Gewissens betreffen wiewohl ich nicht getan, wie ihr euch oftmal verflucht, wo solche Zusage von euch nicht gehalten werde, dass ihr Gottes Angesicht nimmermehr besehen wollt, auch ewig des Teufels fein.“ Den Brief las der Sohn der Hauptsache nach seinem Vater vor und, so schreibt er dem Mädchen, „nach der Vorlesung hat mir mein Vater geantwortet, es nehme ihn sehr Wunder, dass ihr so sehr jetzt treiben mögt, weil ihr doch wohl wisst, dass die Mutter noch sehr heftig sei, würde sie aber ein wenig linder, wollt er der Sache bald raten – denn er habe mit nichts merken lassen, dass er solche Ehe zu zerreißen gesinnt sei.“

Ist der eine Sturm vorüber, so kommt der andere. Der Schwiegersohn Sabinus, der unruhige Kopf und unglückliche Ehemann, findet sich als Professor in Frankfurt an der Oder nicht groß und glänzend genug. Aussicht auf eine höhere Stellung eröffnet sich 1543, als der Herzog Albert von Preußen auf den Gedanken kam, eine Universität zu Königsberg zu stiften. Die Hoffnung, durch Teilnahme an deren Stiftung großen Ruhm zu ernten, spiegelte ihm die Zukunft so golden vor, dass er kein Mittel zum Zwecke unversucht ließ. Er wollte herrschen, bei Hofe gelten, auch wohl seine Frau den Augen der Eltern entziehen, bei welchen sie ihren natürlichen Rückhalt sucht. Anna, bescheiden und still erzogen, konnte sich in der Verbindung mit diesem Manne immer weniger glücklich fühlen. Sie hat unter vielem Andern ihrer Mutter über das Schuldenmachen ihres Mannes zu klagen, wodurch auch sie in üblen Ruf gebracht werde, aber die Mutter solle dem Vater davon nichts sagen, sie habe schon so viel Unglück ertragen und wolle auch fernerhin aushalten. Sabinus dringt nun sogar auf Scheidung der Ehe. Er ist voll von Verwürfen über die Frau und voll Klagen und Anklagen gegen Melanchthon. Anna mit den Kindern war zu den Eltern gegangen und jetzt fragt Melanchthon seinen Schwiegersohn ernstlich, ob er kommen und sie in Liebe abholen wolle, oder da lassen, bis sie niedergekommen sei, oder ganz sich von ihr scheiden – es stehe ihm alles frei. Unterdessen wurde Sabinus, besonders durch Camerarius, der ihn auch immer bei Melanchthon vertrat, so vorteilhaft dem Herzoge empfohlen, dass er in der Tat zum ersten Rektor der neuen Universität ernannt wurde. Nun verlangt er, dass Frau und Kinder ihm gebracht werden. Melanchthon selbst will seine Anna mit zwei Töchtern zu ihm führen, die dritte aber lässt die Großmutter nicht von ihrer Seite. „Mir,“ so schreibt Melanchthon an Camerarius, macht die Reise meiner Tochter ungeheuer Sorge und Schmerz. Aber ich bitte Gott, dass er unsere Tränen ansehen wolle. Wenn du doch sähest, wie meine Tochter immer zu Hause war: sie ist still, bescheiden, mäßig, gar keine Zänkerin und nicht dumm.“ „So folgt denn, schreibt er den 10. Juni, die Mutter mit den zwei Kleinen voll des tiefsten Schmerzes ihrem Mann, er lässt sie nicht einmal die hiesige Magd mitnehmen, an die doch das eine Töchterlein in seiner Krankheit so gewöhnt war, dass es sich nur von ihr behandeln ließ; ach der Kummer wird ihr eine frühzeitige Geburt und den Tod bringen, wie sie selber ahnt, wenn nur nicht noch Traurigeres kommt; „ich flehe zu dem Sohne Gottes, der gesagt hat, kommt zu mir, die ihr mühselig und beladen seid, dass er sie behüte und regiere.“ Es vergrößerte seinen Schmerz, dass man ihm und den Seinen alle Schuld aufbürde und den Sabinus freispreche, der ihn und seine arme Gattin, so wie seine Tochter, nun acht Jahre lang so vielfach gequält habe, während dieser Schwiegersohn ihm noch wenig Freude gemacht. „Aber ich will des Herrn Zorn tragen, denn ich habe wider ihn gesündigt … am besten wäre es gewesen, wenn ich die Tochter zurückbehalten hätte“

Kein Wunder, wenn er auf diesen Sturm schwer er krankte. Im Anfang Juli war seine Steinkrankheit so bedenklich, dass man in Leipzig ihn schon tot sagte und sein Herzensfreund Camerarius eiligst nach Wittenberg kam. Dieser traf ihn kaum etwas besser und mitten in seinen unablässigen Arbeiten. Im Oktober brach zu neuem Schrecken die Pest in Wittenberg aus; noch stärker aber Luthers Zorn über Melanchthons Nachgiebigkeit gegen Bucer und die „Sakramentierer“ so dass Melanchthon Alles anwenden muss, sich bei Luther zu entschuldigen und falls dies nicht geriete, an einen Wegzug von Wittenberg denkt, wo Luthers unbeugsame Kraftnatur den weichen Melanchton beengt und drückt. Doch Luther gab sich zufrieden mit Melanchthons Erklärungen, und wer von Wittenberg weggehen sollte, das war nun nicht der weiche Melanchthon sondern der eiserne Luther.

Es kam das Unglücksjahr 1546. Das Tridentiner Konzil begann. Luther starb. Auf Melanchthons Schultern wälzte sich nun alle Last allein. Er wurde Vormund der Kinder Luthers. Der Schmalkaldische Krieg brach aus. Melanchthon muss mit Weib und Kind aus dem vom Kurfürsten Moritz belagerten Wittenberg im November nach Zerbst, nach Magdeburg fliehen. Am 29. Dezember kann zwar Katharina wieder in die befreite Stadt zurück, er selbst aber kommt erst im Januar nur auf drei Tage und muss gleich weiter von Ort zu Ort. Und nun trifft ein herbster Schlag den unstet umhergetriebenen Mann und seine verlassene Gattin. Ihre Enkeltochter, die sie nicht von sich gelassen, erkrankte am 2. März am Fieber; wenige Tage darauf geht die Nachricht ein, dass ihre geliebte schmerzenreiche Tochter Anna am 26. Februar zu Königsberg entschlafen sei. Das schlug den vielgeprüften Herzen die tiefste Wunde. Wie es unserer Katharina zu Mut war, das mögen wir aus ihres Gatten Worten wiederklingen hören, wenn er von Zerbst aus an Paul Eber nach Wittenberg schreibt: „Ich schicke Dir die Beschreibung des Todes meiner Tochter, die, wenn ich sie lese oder nur daran gedenke, den väterlichen Schmerz so steigert, dass ich Gefahr für meine Gesundheit fürchte. Nicht aus den Augen kommt mir der Anblick, den die weinende Tochter gewährte, als man sie fragte, was sie den Eltern wohl noch sagen möchte, und es fallen mir dabei verschiedene Dinge ein, welche mich ängstigen.“ Sein einziger Trost war, dass sie unter deutlichen Zeugnissen wahrer Liebe gegen Gott und ihren Mann verschieden; die Liebe, die er zu seinem Kinde fühlte, war ihm eine deutliche Erinnerung an die Liebe Gottes des Vaters zu seinem Sohne und zu uns. der Nacht, als sie verschied, erschien sie in der Gestalt einer Verstorbenen ihrem Vater im Traume. An seinen Freund Cruciger schrieb er kurz zuvor: „Ich liebte die Tochter mit einer von Gott in die Natur gepflanzten Liebe und die Liebe wurde durch das Mitleid stärker, nach dem sie in die traurige Sklaverei gekommen war; zumal da ich sah, wie viel herrliche Vorzüge in ihr angelegt waren. Daher kann ich nicht anders, als tief trauern, nun ihr frühzeitiger Tod dazu kommt. Auch steigert sich meine Trauer durch den Gedanken an den Fehler, den ich gemacht. Nicht ihre Schuld, sondern meine Achtlosigkeit hat sie in solchen Jammer gebracht. Da ich sie aber zehn volle Jahre lang täglich mit wahren Herzensseufzern Gott befohlen, so achte ich, dass sie durch Gott aus diesem Leben abgerufen worden, um aus ihrem Jammer befreit zu werden.“ Später schreibt er an Milich, er habe so lange Jahre her seine Tochter in seine unablässige Fürbitte eingeschlossen und er könne nicht glauben, dass das unerhört geblieben sei, zumal seit ihm einmal, da er in der Kirche war, ein helles höheres Licht erschienen sei zum Zeichen, dass Gott sich der Tochter in Gnaden annehmen wolle.

Nun wünschte Melanchthon, der alle Innigkeit seiner Liebe auf die verwaisten Enkel überströmen ließ, dass nebst der kleinen Katharina, welche eben die Großmutter mit der übrigen Familie gar nicht hatte von sich trennen lassen, den Großeltern wenigstens auch die noch jüngere Martha zur Erziehung und Versorgung überlassen werden möchte. In einem seiner Briefe aus dieser Zeit an Staphylus in Königsberg lesen wir: In Bezug auf die Töchter des Dr. Sabinus habe ich geschrieben, es sei meine Bitte, dass er sie mir alle, oder wenigstens einige davon geben wolle. Martha, weil sie etwas schwächlich ist, möchte ich durchaus hier bei der Schwester erziehen lassen, wo sie unter Gottes Beistand zärtlich gepflegt und eifrig zur Erkenntnis Gottes und zu ordentlicher Arbeit, in Gemeinschaft der Schwester, die nun schon liest und schreibt, angehalten werden sollte.“ Und an seinen Schwiegersohn schreibt der sanfte Mann bald darauf: „Ich wünsche, dass unsere Freundschaft beständig sei, und ich will sie auch treulich bewahren. Deine Kinder wenigstens will ich für die meinigen halten, und sie sind in der Tat auch die meinigen; ich liebe sie nicht weniger, als ich die Mutter geliebt habe. Dass ich aber meine Tochter mit einer großen Innigkeit umfasst habe, wissen Viele; auch ist diese mit ihrem Tode nicht erloschen, sondern durch Schmerz und Sehnsucht wird sie genährt. Da ich nun weiß, wie lieb sie die Kinder gehabt, so glaube ich ihre Neigungen auf mich übertragen zu müssen.“ Es ist leicht zu erachten, wie groß seine Freude war, als Sabinus dem ausgesprochenen Wunsche wirklich nachkam und bei seiner Reise nach Wittenberg im Herbste des Jahres 1547 ihm sogar drei Töchter und einen Sohn in seinem Hause zurückließ. Die Enkel waren nun seine Erheiterung und Erholung in den Tagen des Alters. Er nennt sie nur „seine süßen Töchterlein.“ Wahrscheinlich sprach das naive Urteilen und Reden der Jüngsten sein Gemüt so sehr an, dass er nicht selten selbst zu seinen Zuhörern davon plauderte. So bemerkt er einmal: „Martha heißt „Fraw Doktorinne.“ Meine Tochter sagte: „es ist ein feiner Name, wenn man sagt Frau Doktorinne.“„ An einer andern Stelle teilt er folgendes Liedchen von ihr mit:

„Lieben Kinderchen seid ihr fromm,\\
So kommt ihr in den Himmel; \\
Seid ihr aber nicht fromm, \\
So kommt ihr in die Hölle.“

Für die Mutter Katharina gesellten sich indessen zur Trauer um die Erstgeborene die schrecklichsten Steinschmerzen. Alle Mittel wollten nicht helfen, die Qual war unerträglich, die arme Frau jammerte und schrie vor Schmerz; Melanchthon erklärt ihre Ungeduld für sehr entschuldbar. Und dazu kam Krieg und Kriegsgeschrei in die Nähe. Am 24. April 1547 war die für die Evangelischen so unglückliche Schlacht bei Mühlberg, am 1. Mai musste Melanchthon mit seiner kranken Frau und mit Luthers Witwe auf die Flucht nach Braunschweig und Nordhausen; schon schickte er des Sabinus Tochter mit seinem eignen Sohn voraus in die Pfalz, um dann mit seiner Gattin und dem Hausrate nachzukommen. Indessen konnte er (26. Juli) doch nach Wittenberg zurückkehren, am 31. August kommt auch Katharina dahin, geht aber bald wieder nach Nordhausen zurück zu den Kindern. Im September kommt Sabinus mit allen seinen Kindern nach Wittenberg. Katharina aber wird in Nordhausen schwer krank, während ihr Gatte selbst in Wittenberg an Leib und Seele gefoltert darniederliegt. Zuerst eilt ihr Sohn Philippus, nachher auch ihr Gatte und Schwiegersohn zu ihr. Sie kehrt endlich im Oktober halb genesen nach Wittenberg. Schon am 29. Februar 1548 aber muss Melanchthon wieder vor dem erzürnten Kaiser Karl V. nach Klosterzelle fliehen. „Hie und da ist keine Ruh, die ist bei Gott, die suche du!“ so hieß es für dieses Haus.

Heil ihm, dass es Gott zu suchen und zu finden wusste. Unter den größten Steinschmerzen schrieb Melanchthon im Juni 1549 einen Katechismus für sein Töchterlein. Und so ging am 13. Febr. 1550 dem Hause denn doch auch wieder ein Licht der Freuden auf. Die zweite Tochter Magdalena (geb. 18. Juli 1531) verlobte sich mit dem trefflichen Doktor der Medizin, Caspar Peucer.

Katharina ging mit der glücklichen Tochter selbst nach Leipzig zur Messe, um die Einkäufe zu besorgen, und Alles geriet wohl. Am 28. Februar verlobte sich der Sohn Philippus, dessen Verhältnis mit Margaretha Küffner sich gelöst hatte, man weiß nicht, wie, mit einer ehrbaren Witwe; am 5. Mai war dessen Hochzeit, am 2. Juni die Hochzeit Magdalenens, am 28. Juni die des Sabinus mit seiner zweiten Frau, Anna, der Tochter des Königsberger Ratsherrn Christof Cramer – es war für Melanchthon eine große Freude, von ihm die freundliche Bemerkung zu hören, dass diese zweite Frau Ähnlichkeit mit seiner heimgegangenen Anna habe. Das war doch ein wenig heiterer Himmel; aber er bedeckte sich bald genug wieder. Am 18. Juli 1552 musste Katharina mit der Familie nach Torgau fliehen, weil in Wittenberg die Pest ausgebrochen. Am 15. Dezember wird Magdalene, Peucers Gattin, in Torgau erstmals glücklich entbunden, aber am 21. Dezember daselbst Katharina Luther begraben, mit welcher unsere Katharina Melanchthon so manche Freude und Ehre, aber auch so manches Leid geteilt in dem Maße, als Melanchthon von Anfang an doch nur an Luther eine ihm zusagende Gesellschaft in Wittenberg gefunden hatte.

Im folgenden Jahre (den 3. April) erlitt die indessen nach Wittenberg heimgekehrte Familie einen Verlust, der auch unserer vielduldenden Katharina einen gewaltigen Riss durch Herz und Leben machte. Johann Koch aus Ilsfeld bei Heilbronn am Neckar war 1519 durch Hieronymus Baumgärtner von Nürnberg dem Melanchthon zum Diener empfohlen worden. Von da an hat dieser Schwabe mit großer Treue in seinem Hause gedient, die Kinder aufgezogen und unterrichtet, ist dem ganzen Hauswesen als ein rechter Elieser vorgestanden und hat sich insbesondere seiner Hausfrau in Abwesenheit Melanchthons fast unentbehrlich gemacht; wie denn auch letzterer öfters von seinen Reisen aus an ihn schrieb und überhaupt große Stücke auf ihn hielt. Als Veit Dietrich in Nürnberg seine Predigten über den Seelenkampf des Sohnes Gottes dem Melanchthon schickte, schrieb dieser zurück, „ich werde sie sorgfältig lesen, mein Diener, welcher solche Schriften mit Begierde liest, lobt sie sehr.“ Nun sollte auch dieser treue Diener im Frieden Gottes fahren. Am 3. April 1553 starb er und Melanchthon zeigte den Tod seines lieben Hausgenossen der Universität öffentlich an mit folgenden Worten: „Mit Gottes Hilfe hat mein Diener Johannes, geboren am Neckar, 34 Jahre mit mir gelebt. Mit wahrer Frömmigkeit hat er Gott verehrt und gegen die Menschen war er gerecht, wahrhaftig und dienstfertig. Er war züchtig und ein Freund der Züchtigkeit. Die Zeit des Tages widmete er Morgens dem Lesen der heiligen Schrift und dem Gebete, alsdann der Pflege und dem Unterrichte meiner kleinen Söhne und Töchter, hierauf der Haushaltung. Er begleitete uns auf allen unseren Wegen in Zeiten des Kriegs und der Pest, und hat all mein Leben, meine Arbeiten und Kümmernisse gesehen. Und nie haben ihn uns die Zeiten geändert. Er hatte in seinem Wesen nichts Angelerntes, nichts Gemachtes oder Geschminktes. Da er anhielt am Lesen des Wortes Gottes und am Gebet, so strahlte in ihm der Sohn Gottes, die Sonne der Gerechtigkeit und zündete in ihm das Licht wahrer Tugend an. Er war mir nicht bloß ein treues liebes Familienglied, sondern auch ein biederer Ratgeber und äußerst verständiger Beurteiler in strittigen Lehrpunkten. Oft hat er mich klüglich gewarnt und auf Fragen über Lehrstreitigkeiten sein gewichtiges Urteil abgegeben. Er liebte die Einigkeit der Kirche so sehr, dass ihn nichts mehr schmerzte, als die Zwistigkeiten der letzten fünf Jahre. Dieser Schmerz hat auch seine Kräfte untergraben und nach und nach verzehrt. Nun ist er, wie ich nicht zweifle, in der Zahl derer, von welchen es heißt: selig sind die Toten, die in dem Herrn sterben; ihm selber ist mit seinem Hinübertritt in die Akademie des Sohnes Gottes und der Schar der Seligen im Himmel ein sehnlichster Wunsch erfüllt, mir aber eine tiefe Wunde geschlagen und nicht bloß diese Verwaisung sondern noch Anderes bewegt mich im Innersten. Aber ich bitte unsern Herrn Jesum Christum um Gnade und Euch um Fürbitte und Teilnahme bei der Beerdigung.“

Dieses dem Diener ausgestellte Zeugnis ist nicht minder bezeichnend und ehrenvoll für den Herrn und für die Frau, in deren nächster Umgebung und Dienstleistung solch ein Mann 34 Jahre lang mit Wohlgefallen wirkte. Der Todesfall griff aber auch Katharina so an, dass sie im April am dreitägigen Fieber schwer darnieder geworfen wurde.

Vom 1. Mai an kämpfte sie Wochen lang mit dem Tode. Mit zitternder Hand berichtet ihr Gatte seinem Freunde am 22. Mai, wie sie noch auf den Tod krank sei. „Meine Frau zehrt allmählig ab, nur dies lindert meinen Kummer, dass ihr Geist frei, bei vollen Sinnen und ruhig ist, dabei oft Sprüche hersagt und betet.“ Erst im Juli endete das Fieber, dafür stellten sich Anfänge von Wassersucht ein, damit es der Uhr ihres inneren Lebens ja nicht am vollen Gewichte, dem Läuterungstiegel nicht an Feuer gebreche.

Seit der Verheiratung ihrer zweiten Tochter und ihres Sohnes, seit dem Tode ihres treuen Dieners fühlte sie sich, da ihr Gatte fortwährend durch Arbeiten und Reisen ihr entzogen war, gar sehr verlassen. Da war es ihr eine große Freude, dass Sabinus ihre zwei Enkelinnen brachte, deren Anblick und Umgang sie erheiterte und erleichterte in den sie heimsuchenden weiteren Ängsten. Melanchthon, das Jahr 1554 über viel am Steine leidend, wurde den 3. Juni 1555 sogar von einem polnischen Studenten mit dem Schwerte überfallen, als er einem nächtlichen Tumulte auf der Straße wehren wollte.

Eine letzte Mutterfreude und Sorge erlebte Katharina (1556, den 2. Februar) durch die Geburt einer dritten Enkelin von ihrer Tochter Magdalena, Dr. Peucers Gattin. Dann aber schreibt im Frühjahr 1557 Melanchthon an Camerarius: „Meine Frau sagt, sie wolle lieber aus diesem Leben scheiden, als noch länger mit beständigen Krankheiten zu kämpfen haben.“ Im Mai dieses Jahres dankt er seinem Freunde für Südfrüchte und Kirschensaft, den er ihr sandte. Aber leider hätten sie die Krankheit nicht gemindert, auch möge seine arme Frau, die täglich mit dem Tode ringe, dergleichen nicht genießen. „Mitleid und Schmerz,“ fährt er fort, „ergreift mich bei ihrem Anblicke, doch ist das immer mein Trost, dass sie fortwährend bei sich und ruhigen Gemütes ist. Und wenn sie ins Gebet geht und in die göttlichen Tröstungen, da spricht sie so, dass man sie festgegründet in der Erkenntnis des Sohnes Gottes und in der Hoffnung auf ewige Gemeinschaft mit der oberen Gemeinde weiß.“

Sie wurde noch einmal von den Pforten des Todes herausgerissen, aber nur um unter dem Kreuze noch völliger zum Eingange in die Herrlichkeit bereitet zu werden. Sie fasste ihre Seele in Geduld; das Psalmbuch war auch ihr die unerschöpfliche Trostquelle.

Man hörte häufig aus ihrem Munde das Gebet Psalm 71, 18: „Verlass mich nicht, Gott, im Alter, wenn ich grau werde.“ …

Und er verließ sie nicht, obwohl Freunde und Kinder sie verließen; ja ob auch ihr frommer, sorglicher Gatte im bösen Stündlein sie um seines Amtes willen allein lassen musste, der Herr war bei ihr. Melanchthon hatte gerade 1557 zu dem Religionsgespräch nach Worms reisen müssen, wo seine Gegner zornig und kampfbereit seiner harrten. Der gute herrliche Mann war seiner ganzen Natur nach zum milden Vermittler angetan. Aber es ging ihm, wie allen Vermittlern: er konnte es beiden aufeinander platzenden Parteien nicht recht machen. Vollends seit dem Tode des ihn kräftig anziehenden und haltenden Luther wurden ihm seine Lebensjahre zu wahren Kummerjahren durch die ewigen Angriffe und Streithändel. Er konnte nicht Hammer sein, so musste er Amboss werden. Und die eifrig ihre reine Lehre hütenden Lutheraner hämmerten unerbittlich auf den Mann los, der das Augsburger Bekenntnis zwar ihnen geschenkt, aber (1540) auch den reformirten Brüdern zu lieb, denen er sich in seinem Denken wahlverwandt fühlte, mit wenigen, doch verhängnisvollen Worten bei dem Artikel vom Abendmahl abgeändert hatte.

Noch war der Gang nach Worms ihm nicht der letzte Gang und Kampf, aber der schwerste wohl war er ihm durch den Abschied von der hinfälligen, lebenssatten und leidensmüden Gattin. Sein Schwiegersohn und Paul Eber begleiteten ihn, daheim lag auch sein Sohn krank, „welcher, obgleich er noch lebt, an Schwäche des Leibes und der Seele leidet.“ „Ich habe große Sehnsucht nach den Meinigen,“ schreibt er an seinen Freund, „und wollte lieber mit den mir so teuren Söhnen und Töchtern Gebete hersagen, als mich mit diesen giftigen Wortfechtern herumstreiten.“ Es ist als ob er eine Ahnung von dem gehabt hätte, was zu Hause vorging.

Am 27. Sept. 1557 war Katharina bedenklicher denn je erkrankt. Sogleich sah sie ihr Ende voraus, empfing das heilige Abendmahl und bat Gott, als sie sich legen musste, um Geduld. Sie wurde erhört. Auch nicht ein Wort der Ungeduld vernahm man, wohl aber konnte man deutlich sehen, dass sie ganz gerüstet auf ihr Ende sei. „In diesem Gehorsam gegen Gott,“ sagt ein alter Bericht, „und in häufigem Gebete zu dem Sohne Gottes ist sie in Christo so friedlich eingeschlafen, dass die umstehenden es kaum bemerkten.“ Es war am 11. Oktober Morgens 3 Uhr in ihrem 60. Jahre, im 37. ihrer Ehe. Als ihr Tod erfolgte, befand sich Melanchthon gerade in Heidelberg, wohin ihn der Kurfürst Ott-Heinrich eingeladen hatte, um mit Micyllus der dortigen Universität durch bessere Einrichtungen aufzuhelfen. Er hatte hier vergnügte Tage, da er, außer der Ehre beim Fürsten und allen Gelehrten, seinen lieben Bruder Georg umarmen durfte. Und nun kam auch noch sein teurer Camerarius. Dieser sah Melanchthons Glück und musste es stören, indem ihn die Universität Wittenberg beauftragt hatte, ihm die Trauernachricht zu überbringen. Als sie am folgenden Morgen im kurfürstlichen Garten spazieren gingen, entledigte sich Camerarius seines schmerzlichen Auftrags. Melanchthon blieb ruhig; zum Himmel blickend sagte er: „Lebe wohl, ich werde dir bald folgen!“ Er fing nun an, von der kirchlichen Not und den schweren Zeiten, die bevorstünden, zu sprechen; doch kehrte der Schmerz über den Verlust seiner Frau wieder zurück. An seinen Brudersohn Sigismund, der sich gerade damals in Wittenberg aufhielt, schrieb er einen herzlichen Brief, worin er seinen Schmerz über den Heimgang der geliebten Gattin ausspricht, und ihn auffordert, Vaterstelle im Hause zu vertreten. Auf das teilnehmende Schreiben der Universität Wittenberg, das Camerarius überbracht hatte, antwortete er am 31. Oktober: Obwohl er alle möglichen Trostgründe aufsuche, und an das Alter der Hingeschiedenen, an ihre heftigen Krankheiten, an künftiges gemeinsames Elend denke, so breche doch immer wieder die Liebe zu ihr und den Töchtern und Enkelinnen, die nun der mütterlichen Leitung und Pflege entbehren, mit solcher Macht hervor, dass er dem Schmerz fast unterliege. Aber er gedenke des Wortes: „Sei Gott untertan und bete;“ so flehe er denn aus ganzem Herzen für Kirche und Haus, dass der gute Hirte seine zarten Schafe in seinem Schoße tragen wolle.

Wie Katharina Luther ihrem Manne nicht die Augen zudrücken konnte, so konnte Melanchthon seine Katharina nicht sterben sehen, nicht ihrem Leichenbegängnisse beiwohnen, nicht einmal sogleich an ihrem Grabhügel seinen Schmerz ausweinen, er musste erst nach Worms zurück, dort zwecklos und freudelos weilen, ehe er nach Hause gehen durfte, um nach drei schweren Jahren, in denen er zwar noch die Geburt eines Enkels (Peucers Sohn) und die Verheiratung zweier Enkelinnen (von seiner Tochter Anna) erleben durfte, aber sonst manchen Schmerz und Tod miterleben musste, endlich aus dem Jammertale heim zu der vorangegangenen Gattin und Tochter zu gehen.

„Meine Zeit in Unruhe, meine Hoffnung in Gott,“ das dürfen wir füglich auf den Grabstein der beiden Katharinen schreiben, deren Namen mit Luther und Melanchthon für immer verknüpft ist. Im Rückblick auf ihr vielbewegtes, schmerzvolles Erdenwallen mögen wir, denen das Erbe der Väter mühelos in den Schoß gefallen, dankbar der Mühsal und Arbeit gedenken, welche diese Männer und Frauen es sich kosten ließen, um sich und uns die eine köstliche Perle zu gewinnen; und wenn wir Spätgeborenen weich und unlittig über böse Zeiten klagen wollen, so müssen jene, die ein Leben lang gelitten und gestritten, uns erinnern: „wir sind nicht besser, denn unsere Väter denn unsere Mütter alle.“