Philipp Friedrich Hiller

Philipp Friedrich Hiller.

Philipp Friedrich Hiller, der Assaph Alt-Würtembergs, geboren am 6. Januar 1699 in Mühlhausen an der Enz, wo sein Vater Pfarrer war, war frühe schon in der Leidensschule geübt, wie er denn bereits im zweiten Jahr ein vaterloser Waise ward, und als achtjähriger Knabe mit seinem nunmehrigen Stiefvater, dem Bürgermeister Weiß in Vaihingen vor den mordbrennerischen Franzosen, die damals plötzlich ins Land eingefallen waren, eine gefahrvolle Flucht durchmachen musste. Das waren Vorbilder seines ganzen künftigen Lebens, in welchem er durch viele Anfechtungen von außen und innen sich durchschlagen musste, aber auch – wie ihm dies gleichfalls in seiner Kindheit schon durch Rettung von mehreren augenscheinlichen Todesgefahren vorgebildet war – die treue Durchhilfe Gottes reichlich erfahren durfte.

Solche notgepresste Herzen gaben aber von jeher den besten Klang zum Lobe der herrlichen Gnade Gottes.

Des Vaters Beruf sollte auch sein Beruf werden, und so kam er als vierzehnjähriger Knabe in die evangelische Klosterschule nach Denkendorf bei Esslingen, wo er vom J. 1713 – 1716 unter der Geistespflege J. A. Bengels stand, der damals gerade Klosterpräzeptor daselbst geworden war und vor des jungen Hillers Ohren seine Antrittsrede „über den Fleiß in der Gottseligkeit als dem zuverlässigsten Hilfsmittel zur Erwerbung echter Gelehrsamkeit“ gehalten hatte. Der Geist dieses Mannes, auf dessen Stirne einst ein Jüngling das Wort „Ewigkeit“ zu lesen meinte, also dass er darüber Buße tat und selbst auch ein gesegneter Wegweiser zur Ewigkeit wurde, wirkte unter der echt kirchlichen, mit Gebet und Betrachtung des Wortes Gottes reichlich durchwobenen Klosterzucht, wie sie in diesen Pflanzschulen für den Kirchendienst damals noch zu Hause war, mächtig auf sein zartes Gemüt und der Umgang mit diesem seine Schüler stets auch seelsorgerisch beratenden Lehrer hatte den entscheidendsten Einfluss auf seine ganze Lebens- und Geistesrichtung. Nachdem er dann noch von 1716 – 1719 die Klosterschule zu Maulbronn durchlaufen und sofort im Stift zu Tübingen vom J. 1719-1724 Philosophie und Theologie studiert hatte, vikarierte er fünf Jahre lang an verschiedenen Orten Württembergs und kam dann vom J. 1729 – 1731 als Informator zu dem Marktvorsteher von Müller in Nürnberg. Hier war er sehr viel im Geist gebeugt und angefochten, hier war es aber auch, dass ein Lied P. Gerhard’s, das schöne Jesuslied: „O Jesu Christ, mein schönstes Licht“ die Wünschelrute für ihn wurde, die ihn in seinem gottinnigen Gemüt die reiche Quelle der geistlichen Dichtkunst finden ließ. Dieses von Gerhard über ein Gebet in Arndt’s Paradiesgärtlein gedichtete Lied weckte in ihm die heilige Sangeslust, 301 Lieder über sämtliche Gebete des Arndt’schen Paradiesgärtleins zu dichten – die Früchte seiner ersten Liebe zu Christo.

Nicht lange nach seiner Rückkehr ins Vaterland wurde er 1732 Pfarrer in Neckargröningen bei Ludwigsburg, wo er dann auch an der Pfarrtochter von Hessigheim eine „Gehilfin recht nach seinem Herzen, wie er sich eine solche von Gott erbeten hatte, die Gott liebe und die ihn liebe“, gefunden hat. In 37jährigem Ehestand, der mit 11 Kindern gesegnet war, hat er mit ihr stets von Einem Teller gegessen, – so innig Eins waren die Zwei geworden. Auf dieser damals armen Pfarrei lebte er bei allem Mangel und Entbehren doch vergnügt in seinem Gott, musste aber, gerade als seine Frau in den Umständen ihrer ersten Geburt war, abermals vor den einfallenden Franzosen flüchten und eine harte Notzeit durchmachen. Sein Sinn dabei war aber der:

Schickst du mir auch alle Tage \\
Meine Plage,
Du, als Vater, brauchst die Ruten\\
Nur zum Guten; \\
Schweig ich kindlich in Geduld. \\
Mir bleibt wohl bei Deiner Huld.

Auch in Mühlhausen, seinem Geburtsort, wo man ihn 35 Jahre zuvor als einen schwächlichen Waisen hinweggetragen hatte, und wohin er nun im J. 1736 als Pfarrer berufen wurde, blieb die Anfechtung nicht aus. Hier wurde er durch separatistische Bestrebungen, die in seiner Gemeinde zu Tag traten, vielfach geübt, bis er nach 12 Jahren am 11. Juni 1748 zur Pfarrei Steinheim bei Heidenheim auf dem sogenannten Aalbuch, einem Teil der schwäbischen Alb, befördert wurde. Hier führte ihn Gott auf schweren Kreuzeswegen vollends erst recht hinein in die Tiefen der Leidensnächte und Demütigungen. Da konnten dann aber auch seine köstlichsten Leidensfrüchte reifen. Nicht nur, dass er mehreremal in Gefahr war, seine treue Gehilfin in tötlichen Krankheiten zu verlieren, im dritten Jahr seiner Amtsführung traf ihn auch der schwere Schlag, durch eine immer mehr zunehmende Heiserkeit die vorher so klangreiche Stimme zu verlieren, so dass man ihn, obgleich er noch Worte machen konnte, selbst bei mäßiger Entfernung nicht mehr verstand. Nun konnte er nicht einmal seine Söhne mehr selbst informieren, sondern musste sie mit viel Geldaufwand in entfernte Schulen schicken; noch viel weniger konnte er seinen öffentlichen Dienst an der Gemeinde und insbesondere das Predigtamt versehen; doch besorgte er die Privatseelsorge noch selbst und hielt Sonntags Erbauungsstunden in seinem Hause, öfters auch Kinderlehren, wobei er Jung und Alt in der Nähe befragte. Er musste aber eben nun einen Vikar annehmen, was den ihm seither stets beschiedenen Kampf mit Mangel und Entbehrung nur noch vermehrte. Das aber war die empfindlichste Presse seines Gemüts, so von seiner lieben Kanzel und dem kräftigen, allseitigen Wirken in seiner Gemeinde ausgeschlossen zu sein; denn alle ersinnlichen Mittel konnten den Klang seiner Stimme nicht wieder wecken, und die dringendsten Gebete, die er Gott opferte, führten ihn nur zu der Überzeugung, dass es Gottes Wille nicht anders war, als ihn in dieser Schwachheit mit allgenugsamer Gnade zu bewähren.

Und so geschah es auch. Gerade in dieser Unbrauchbarkeit machte ihn der weise Gott nicht nur Einer Gemeinde, sondern der ganzen Kirche viel brauchbarer, als zuvor. Die schwere Anfechtung lehrte ihn nämlich um so ernstlicher aufs Wort merken und führte ihn um so tiefer in die heilige Schrift hinein, dass er aus ihren edlen Bergwerksgründen in den köstlichsten Bibelsprüchen ein Goldkörnlein ums andre zu Tage schaffte und darüber aus vollem Herzen ein Lied ums andre sang, wovon er dann die meisten – im Ganzen sang er 1078 Lieder – nach dem Vorgang von Bogazky’s Schatzkästlein gesammelt herausgab unter dem weltbekannten Namen: „geistliches Liederkästlein“, in der Hitze der Trübsal wohl ausgereifte Früchte eines alten, bewährten Jüngers Christi. Es geht die Sage, er habe manche dieser Lieder in seiner Gartenlaube sitzend und die Harfe spielend gedichtet und die Seinen haben sie ihm, wenn er sie mit seiner heisern Stimme erstmals aussprach, wie sie ihm aus dem Herzen quollen, geheim nachgeschrieben, worauf er sie später verbessert und bereinigt in jene Sammlung aufgenommen. Der erste Teil derselben vom Jahr 1762 enthält Lieder zum Lobe Gottes; und zu solchem Lobe hatte er bei aller Bedrängnis immer auch noch Grund und Ursach genug selbst in seinen äußerlichen Umständen. Denn sehr oft und viel, und gewöhnlich wenn die Not am größten war, kamen von auswärts Geschenke an Geld und Lebensmitteln ohne Namen an ihn, wodurch gläubige Seelen ihm ihre Dankbarkeit für die aus seinen Liedern und Schriften empfangene geistliche Stärkung und Tröstung tatsächlich zeigen wollten. So durfte er geradezu von der Hand seines ihm wohlvertrauten fürsorglichen himmlischen Vaters leben, der ihn dadurch wie im Bitten und Anhalten, so auch im Danksagen und
Loben üben wollte. Recht erfahrungsmäßig und von Grund der Seele konnte er drum singen:

Wenn wir von Tag zu Tagen
Die Notdurft überschlagen,
Und rechnen dann die Menge,
So sind wir im Gedränge.
Doch wenn wir mit Vertrauen
Ihm auf die Hände schauen,
So nähret allerwegen
Uns ein geheimer Segen.

Wie dieses mag geschehen,
Das kann man nicht verstehen;
Allein man sieht am Ende:
Es ging durch Gottes Hände.
Man wundert sich und preiset
Den Herrn, der uns gespeiset;
Man glaubt von Herzensgrunde
Und dankt mit frohem Munde.

Der andre Teil seines Liederkästleins, wie der erste aus 366 Spruchliebern bestehend und von ihm nur zwei Jahre vor seinem Tod herausgegeben, enthält Betrachtungen des Todes, der Zukunft Christi und der Ewigkeit, denen die die Erscheinung Christi lieb haben zum Dienst aufgelegt. Auf was sein großer Meister Bengel, der heute noch als Prophet im Mund des Volkes lebt, in seinen unterdessen 1740 – 1748 erschienenen Schriften über die Offenbarung hingewiesen hatte, das begleiteten und belebten Hillers echt volksmäßig und gemütlich in klarer Schriftmäßigkeit und biblischer Einfalt ertönenden Liederklänge, also dass der Meister und der Schüler, jeder in seiner Weise, in weiten Kreisen eine Bereitschaft auf jenen großen Tag und die Nähe des Herrn und eine Sehnsucht nach der Vollendung des Reichs Gottes auf Erden weckten.

Während Hiller nun dadurch, so wie auch durch Ausarbeitung mancher andern erbaulichen Schriften, z. B. eines Systems aller „Vorbilder Jesu Christi durch das ganze Alte Testament“, in immer weiterem Umfang für die vaterländische Kirche im Segen wirkte, war er in dem kleinern Kreis seiner Gemeinde, obgleich er sie treulich mit der Wahrheit Gottes verpflegte, doch allerlei Schaden, Verdruss, heimlichen Tücken und offenbaren Widerwärtigkeiten ausgesetzt. Viele übelwollende Glieder der Gemeinde beurteilten nemlich die Krankheit ihres Pfarrers mitleids- und liebelos und wirkten für seine Entfernung. Solche Feindseligkeiten suchte er aber stets mit sanftmütigem Ernst zu beantworten, mehr noch aber mit priesterlicher Fürbitte zu vergelten. Sein Sinn war dabei der:

Uns bekriegen
Doch von innen Haß und Lügen
Kann’s gewinnen
Zwar von außen in der Welt;
Wer Geduld und Glauben hält.
Nichts heißt Schade,
Wenn nur Gnade
Unser Herz zufrieden stellt.

Da sein eignes Verhalten in Wahrheit und Gerechtigkeit war, so achtete er mutig die Gottlosen für nichts, dagegen die geringsten und verachtetsten Frommen mit aller herzlichen Liebe für hoch.

Wider alles Vermuten wurde seine schwächliche Gesundheit – sein Leib war schwach und klein – bis zum hohen Alter gestärkt, in welchem er stets frisch und grünend blieb und eine muntere Gottseligkeit zeigte, also dass sein Umgang lebhaft, gewürzt und angenehm war.

Zuletzt wurde er aber freilich des Lebens in gutem Frieden satt und in der Welt ein ganzer Fremdling, dass er gar manchmal ein kaum abgetrocknetes Auge den Seinigen von seiner Bet- und Studierstube mitbrachte und den Herrn oft und viel mit Sehnsucht bat: „nimm mich Müden bin im Frieden, dort wird Niemand lebenssatt.“ Ganz besonders wünschte er sich noch ohne langes Krankenlager aufgelöst zu werden und nach so viel Unruhe einen ruhigen Heimgang zu haben. Und diesen Wunsch erfüllte ihm auch sein treuer Gott, in dessen Arme er nach Vollendung seines 70. Jahres, als er die meisten seiner noch lebenden sechs Kinder versorgt sah, durch einen Schlagfluss, der ihn am 24. April 1769 befiel, ohne irgend einen Seufzer der Schmerzen fallen durfte. So tat ihm der Herr, wie er ihn gebeten hatte:

Herr! meine Leibeshütte
Sinkt nach und nach zu Grab;
Gewähre mir die Bitte
Und brich sie stille ab.

Gib mir ein ruhig Ende,
Der Augen matten Schein
Und die gefaltnen Hände
Laß sanft entseelet sein.

Laß meine letzten Züge
Nicht zu gewaltsam geh’n,
und gib, dass ich so liege,
Wie die Entschlafenen.

So schläft er nun jenem großen Tag entgegen, von dem er so viel gesungen; er lebt aber gleichwohl noch fort in seinen Liedern; die in der Kirche nicht nur, sondern auch und noch vielmehr in jeder der vielen religiösen Gemeinschaften Altwürtembergs, welcher Farbe sie auch angehören mögen, ertönen; denn sein Liederkästlein ist nächst der Bibel und Arndt’s wahrem Christentum eins der vielgebrauchtesten und gesegnetsten Bücher im frommen Schwabenlande, und die Stimme des stimmlosen Albpfarrers von Steinheim erschallt selbst an den Gebirgen des Kaukasus, an den Ufern der Weichsel und in den fernsten Wäldern Amerikas, wo Württemberger sich angesiedelt haben. Das ist der Lohn der Treue und Demut, womit er – wie sein Sohn, der nachmalige Prälat von Anhausen ums J. 1775 sich ausgesprochen – „seine vorzügliche Gabe und Geschicklichkeit in der Dicht- und Redekunst dem Wort Gottes aufgeopfert hat, nicht das Wort Gottes der Redekunst nach Art so vieler neumodischer Dichtkünstler.“

E. E. Koch in Heilbronn (früher in Großaspach).