Fridolin

Durch Christen im römischen Kriegsheer war das Bekenntnis von dem Gekreuzigten frühzeitig zu unsern deutschen Vorfahren gekommen, zur Zeit der christlichen römischen Kaiser waren im südwestlichen Deutschland einzelne christliche Gemeinden gegründet worden: Bregenz, Arbon, Konstanz, Chur, Augst und andre. Darauf brachen die heidnischen Alemannen, die ihre Gottheiten in den heiligen Hainen verehrten und Pferde und Kinder als Opfer schlachteten, erobernd ein, und besaßen die Lande am Oberrhein seit der Mitte des vierten Jahrhunderts. Als seit der Schlacht bei Zülpich 496 der König der Franken, Chlodwig, die nördlichen Alemannen bezwungen und das Christenthum angenommen hatte, und zwar nach der rechtgläubigen, nicht nach der arianischen Lehre, war er nach Ermordung aller seiner Verwandten Alleinherr der fränkischen Völker und Schirmherr der christlichen Kirche im Abendland bis zu seinem Tode im Jahre 511 nach Christo.

Das Christenthum aber kann und soll nicht durch Ansehen und Gewalt der Hohen dieser Welt, nicht durch Unterdrückung und Blutvergießen ausgebreitet werden, auch genügt hiefür nicht der Lehre Richtigkeit. Dazu ist eine andere Kraft nöthig, die Kraft eines göttlichen Lebens, das in Liebe und Leiden Gott und den Menschen geopfert ist. So war es eine Fügung Gottes, daß, um bei den Völkern des südlichen Deutschlands dem Christenthum den rechten innern Grund zu verschaffen, eine Reihe lebendiger, durch den Wandel der Liebe predigender und zu Leiden bereitwilliger in diese Lande kamen, die Missionare aus Irland. Hier war seit dem zweiten Jahrhundert das Christenthum einheimisch, zahlreiche Schulen und Klöster gegründet mit Ordnung des Lebens und Eifer der Wissenschaft, von hier zogen die Männer voll Weisheit und Liebe über das Meer nach Deutschland, um den Heiden das Evangelium zu predigen und den Grund des Glaubens zu legen, aber auch den Christen das Bild einer wahren Nachfolge Jesu und eines Lebens in ihm und für ihn darzustellen.

Der erste unter diesen irischen Missionaren, den man kennt, war Fridolin, der Alemannen-Apostel, der Stifter von Säckingen. Ein Angehöriger dieses Klosters, Balther, hat zu Ende des zehnten Jahrhunderts sein Leben geschildert. Fridolinus, auch Fritoldus genannt, war aus Niederschottland oder Hibernia (Irland), von einem vornehmen Geschlechte, wollte sich aber seines leiblichen Adels nicht erheben, sondern freute sich mehr des hohen Geschlechtes, von dem unser Herr Christus spricht im Evangelium: wer meines Vaters Willen thut, der ist mein Bruder, Schwester und Mutter. Darum gebrauchte er seinen Reichthum an weltlichem Gut so, daß er sich gegen Arme und Reiche als einen fröhlichen Geber bewies, um dadurch die Leute für den Herrn zu gewinnen. Von Jugend auf bemühte er sich um Kunst und Weisheit, aber die Streitweisheit der Schulgelehrten behagte ihm nicht, auch wollte er nicht den heidnischen Weltweisen, sondern der göttlichen Weisheit seine Bildung verdanken. Sein vom Irdischen zum Himmlischen gerichtetes Gemüth trieb ihn zum geistlichen Stande. Er wollte ein emsiger Diener Gottes sein. In fast allen Städten seines Vaterlandes zog er umher, um die Christen im Glauben zu stärken und heidnisches Wesen zu vertreiben. Und das that er nicht aus Anmaßung, sondern mit Willen der Bischöfe und auf des Volkes Begehren, um als ein getreuer Knecht das von Gott verliehene Pfund zwiefältig wiederzugeben. So galt er im ganzen Lande als hochgeachteter Priester, die Freigebigkeit, womit er sein Gut an Verwandte, Freunde und Arme austheilte, erwarb ihm allenthalben Ruhm.

Da erfaßte ihn der Drang, um Gottes Willen Freunde, Verwandte und das liebe Vaterland, die Stätte eines für die Seele gefährlichen Ruhmes zu verlassen, und wie einst Abraham auszuziehen auf Gottes Befehl. Er wußte nicht, in welche Theile der Welt Gott seinen Lauf richten würde. Große Trauer erhob sich bei Geistlichen und Laien, daß man seine Wohlthaten, seine Lehre, seinen Rath, sein heiliges Vorbild verlieren solle. Auch ihm war es schmerzlich, aber er blieb standhaft. Bis an’s Meeresufer begleiteten ihn die Freunde, noch hoffend auf Aenderung seines Sinnes. Aber des Morgens gab er ihnen seinen Segen, und sie mußten ihn scheiden sehen über das Meer. Das mag am Anfang des sechsten Jahrhunderts gewesen sein, in den Tagen König Chlodwig des ersten, des Frankenkönigs. In Gallien, wohin er gekommen war, erfuhr er von dem Manne, in dessen Haus er am ersten Tage ausruhete, daß etliche Leute des Landes den Gott des Himmels und Jesum Christum verehren, andere noch Heiden seien. Da begann Fridolin, frei von Menschenfurcht, in göttlicher Liebe den Samen der christlichen Lehre auszustreuen bei Deutschen und Welschen, und durchzog ganz Frankreich, bis er zu der Stadt Pictavium kam, die heut zu Tage Poitiers heißt, wo er längere Zeit blieb und durch seine lieblichen Predigten die Herzen gewann. Hier war das Heiligthum Sanct Hilarius des Bischofs, des eifrigen Kämpfers gegen die Irrlehre und treuen Hirten, den Fridolin hoch verehrte. Aber das Kloster lag fast in Trümmern, die irdischen Ueberreste des Bekenners vergessen unter verfallenen Mauern. Dem sehnlichen Wunsche Fridolins, die Gebeine des Heiligen aufzufinden, und sein Heiligthum und den Gottesdienst wiederherzustellen, wurde in einem Gesichte Gewährung verheißen. Fridolin offenbarte das seinen Brüdern und dem Bischofe der Stadt, ohne dessen Erlaubnis er nichts thun wollte. In Begleitung der ganzen Geistlichkeit zog der Bischof mit ihm an die Stätte, wo Hilarius Gebeine ruheten. Da wurde er von Allen zum Abte des Klosters erwählt mit Vollmacht zu Ausführung seines Werkes. Lange weigerte er sich, endlich ersuchte er den Bischof, mit ihm zum Könige zu gehen, um dessen Hülfe zu erbitten. Sie zogen hin, der Bischof zu Rosse, der Abt zu Fuß. Der König Chlodwig, der seit 507, wo er die Westgothen überwunden, Herr über Poitiers war, empfing sie ehrenvoll, behielt sie zur Mahlzeit, und genehmigte nicht nur das Vorhaben, sondern versprach auch Silber und Gold und Edelgesteine zum Bau des Heiligthums. Der Bau wurde rasch vollbracht, Hilarius Leichnam darin niedergelegt, und Fridolin nahm ein Stücklein davon, um es auf ferneren Pilgerfahrten mitzutragen. In dieser Zeit, als eben aus Northumberland über’s Meer zwei Priester gekommen waren, ihren Vetter Fridolin aufzusuchen, erschien ihm Hilarius zum zweitenmale, und ermahnte ihn jetzt, da seine Vettern an diesem Orte den Gottesdienst besorgen könnten, nach seinem frühern Vorhaben weiter zu ziehen, bis zu einer im Rheine gelegenen Insel in Alemannien. Der Bischof, der eben auf Fridolins Gebet von einem todähnlichen Lähmungsanfalle hergestellt worden, vernahm wie die Einwohner der Stadt mit großen Leidwesen von seiner Abreise. Aber er ließ sich nicht zurückhalten und trat mit einigen Genossen seine Pilgerfahrt an. Zuerst ging er zum Könige, und erhielt von diesem Erlaubnis, auf der noch unbekannten alemannischen Insel zu räumen, zu reuten und zu bauen was nöthig wäre.

Auf seiner Wanderung, die eine Reihe von Jahren dauerte, suchte der unermüdliche Mann allenthalben eingegangene Gotteshäuser wiederherzustellen und neue zu gründen. So baute er zuerst an der Roßel ein Kloster zu Ehren des heiligen Hilarius, das hieß Helera (St. Avoll), darauf in einem Thale über dem vogesischen Gebirge, und endlich in Straßburg. Von hier nahm er seinen Weg an dem Juragebirge hinauf und kam in das Land Rhätien (Graubünden) zu dem Bischof von Chur. Auch in dieser Stadt bauete er St. Hilarius eine Kirche. Zugleich erkundigte er sich bei den Leuten, ob sie keine vom Rhein umflossene unbewohnte Insel wußten. Auf ihren unsichern Bericht hin kam er endlich nach langem Irren bei dem ehemals römischen Orte Sanctio an den Rhein. Hier fand er eine Insel, die zur Ansiedelung geeignet schien, und forschte auf derselben nach einem geeigneten Ort zum Kirchenbau. Die argwöhnischen Umsassen kamen zornig herbei, tobten und schalten, und trieben ihn mit Peitschenhieben davon. Da er kein Ende dieser Feindseligkeit absah, ging er wieder nach Frankreich, wo inzwischen nach König Theuderichs Tod Chlodwigs Enkel Theudebert 536 den Thron seines Großvaters bestiegen hatte, derselbe König, durch welchen das Herzogthum Alemannien völlig mit dem fränkischen Reich vereinigt worden. Der schenkte Fridolin den Platz als Eigenthum, gab ihm eine Urkunde darüber mit seiner Hand besiegelt und schickte auch ein schützendes Geleite mit. Wer künftig Fridolin wollte den Platz streitig machen, dem sollte das Haupt abgeschlagen werden. Nun konnte Fridolin sicher das Eiland betreten nach der langen Wanderung, und erhielt in seinem Innern die Gewißheit, daß er hier bleiben solle. Da ging er mit seinen Jüngern aus, um eine Herberge zu suchen. Er fand sie in dem Hause eines angesehenen Mannes Namens Wacherus, dessen Frau anfangs den Pilgrimen viel Unfreundlichkeit bewies, endlich aber von dem Gatten, welcher gleich Zutrauen zu dem heiligen Fremdling gefaßt, besänftigt wurde. Fridolin taufte ihr neugebornes Töchterlein, übernahm die Pathenstelle und erzog das Mägdlein in der Lehre der heiligen Schrift. Sie soll später die erste Nonne in dem von Fridolin gestifteten Frauenkloster gewesen sein. Ihre Eltern leisteten von nun an Fridolin große Hülfe, während er auf seiner Insel arbeitete, sie zu ebnen und von Gestrüpp zu reinigen. Aber noch einmal regte sich die Feindschaft seiner Widersacher, die ihn durchaus vertreiben wollten. Es wurde ein Gerichtstag zur Besprechung der Sache an Ort und Stelle festgesetzt. Am Abend vorher ging Fridolin auf die Insel und legte mit Hülfe eines Freundes etliche Tannenbäume ins Wasser mit inbrünstiger Bitte zu Gott, er möge den Lauf des Wassers wenden gegen seine Feinde. Da soll er am Morgen, als er aus seiner Zelle trat, seine Bitte erhört gesehen haben. Der Fluß hatte sich auf das andere (schweizerische) Ufer gewendet, das vorher trocken war. Die Feinde waren beschämt und gewonnen.

Da stiftete Fridolin eine Kirche zu St. Hilarius Ehre und ein Frauenkloster, später auch eines für Mönche. Begabt wurde das Kloster Säckingen besonders von zwei Edlen in Glarus, Urso und Landulf. Sie schenkten ihm das Thal, dessen Namen Glaris vermuthlich von der Sankt Hilarius-Kirche sich her schreibt. Das Siegel der Kirche zu Säckingen stellt den Heiligen vor, wie er ein Gerippe an der Hand führt. Eine spätere Sage meldet, der eine Bruder Landulf habe die Schenkung bestritten, und das Gericht Fridolin auferlegt, den inzwischen verstorbenen Geschenkgeber Urso herbeizubringen, worauf er diesen aus dem Grab erweckt und hingeführt habe. Noch andere Wunder werden von ihm erzählt. Er starb, selig in Gott, wie er gelebt, am 6. März. Sein Todesjahr wird von Einigen um 550, von Andern weit früher gesetzt.

Der Sinn Fridolins war einfach, Glauben an den Herrn, Liebe üben, Christi Namen predigen, das war sein Streben. Darin bewies er großen Eifer, dafür erduldete er Entbehrungen, Mühseligkeiten und Gefahren. Von seiner Freundlichkeit und kindlichen Milde wird ein schöner Zug erzählt. Er hatte unter seinen Jüngern einen von besonders wildem und rauhem Wesen. Wenn nun zuweilen Knaben ihrer Gewohnheit nach auf die Obstbäume im Klostergarten stiegen und Fridolin dazu kam, so wartete er und ließ sie auf seinem Rücken hinabsteigen. Dann aber rief er: fliehet, damit nicht Jener kommt, der euch ohne Barmherzigkeit strafen wird.

Fridolins Stiftung, das Kloster Säckingen, wurde ein Ort der Predigt göttlicher Wahrheit und des Gebetes für die Umgegend, eine Stätte der Liebeserweisungen an Armen und Kranken zum Vorbild wahres Christenthums, ein Ort christlicher Bildung für die Mönche, eine Pflanzschule christlicher Hirten für alle jene Gegenden am Rhein und Schwarzwald. Die Stadt Säckingen hat kein Kloster mehr, aber manche Kirchen jener Lande tragen noch den Namen wie St. Hilarius so auch Fridolins, und auch die evangelische Kirche, wenn sie der Gründung des Christenthums in deutschen Landen gedenkt, bewahrt im Segen das Gedächtnis des Apostels der Alemannen.

Ernst Friedrich Fink in Illenau in Baden.