Anna Maria Gerhardt

Erst in seinem 45. Lebensjahre 1651 hatte der berühmte Liederdichter Paul Gerhardt, als Probst zu Mittenwalde 4 Meilen von Berlin die erste feste Anstellung erhalten, dennoch ließ er es von da an noch 3 Jahre anstehen, bis er sich zu einer ehelichen Verbindung entschloß und um die Hand der ältesten Tochter des Kammergerichtsadvokaten Andreas Bertholdt in Berlin, Anna Maria, ward, die er nach ihren vortrefflichen Eigenschaften von von früheren Jahren her kannte, da er als Lehrer ihrer jüngeren Geschwister längere Zeit in dem Hause ihrer gottesfürchtigen Eltern gelebt hatte. Am Sonntag Septuagesimä den 11. Febr. 1655 wurde im Hause der Brauteltern seine Ehe vom Probst Vehr eingesegnet und Tags darauf begaben sich die Neuverlobten miteinander nach Mittenwalde. Was Gerhardt in seinem an außerordentlich schweren Erfahrungen so reichen Leben an dieser edlen Frau gehabt, ersieht man am besten aus nachfolgenden Aufzeichnungen in ihrer Familienbibel, welche sie dort mit eigener Hand eingetragen hat.

„Am Sonntag Cantate, den 19. Mai 1622, ward ich geboren. – Es sei denn daß Jemand geboren werde aus dem Wasser und Geist, so kann er nicht in das Reich Gottes kommen. Was vom Fleisch geboren wird, das ist Fleisch, und was vom Geiste geboren wird, das ist Geist (Joh. 3, 5. 6.). HErr, zu mir komme Dein Reich.“

„Am Dienstage, den 21. Mai, ward ich durch die heilige Taufe meinem HErrn Jesu Christo zugeführt. – Ihr seid Alle Gottes Kinder durch den Glauben an Christum Jesum. Denn wie Viele euer getauft sind, die haben Christum angezogen (Gal. 3, 26. 27.). HErr, laß mich Dein Kind sein!“

„Am 14. Dezember 1651. Meine liebe, selige Mutter wird zu St. Nikolai begraben. Nach fünfjährigen, schweren Leiden hat der HErr sie erlöset von allem Uebel und ihr ausgeholfen zu Seinem himmlischen Reiche! Selig sind, die reines Herzens sind; denn sie werden Gott schauen (Matth. 5, 8.). Ach, HErr, werde ich dann meine gute Mutter wieder sehen? Laß mich reines Herzens sein und bleiben!“

„Am 11. Februar 1655, Sonntag Septuagesimä. Der ehrwürdige Herr Probst Vehr segnet in meines Vaters Hause den Bund meines Herzens mit meinem lieben Paul Gerhardt ein. – Freuet euch, seid vollkommen, tröstet euch, habt einerlei Sinn, seid friedsam, so wird der Gott der Liebe und des Friedens mit euch sein (2 Kor. 13, 11.).“

„Tags darauf Abreise und Einzug in Mittenwalde. Unsern Eingang segne Gott.“

„Am 19. Mai 1656. Unser erstes Kind Maria Elisabeth, wird geboren an meinem eigenen Geburtstage. Meine Seele erhebet den HErrn und mein Geist freuet sich Gottes, meines Heilandes; denn Er hat die Niedrigkeit Seiner Magd angesehen; Er hat große Dinge an mir gethan, der da mächtig ist und des Name heilig ist (Luk. 1, 46-49.). Ach wie kann der HErr uns arme Menschen so unaussprechlich glücklich machen.“

„Am 10. Okt. 1657. Mein theurer ehrwürdiger Beichtvater, Herr Probst Vehr, geht zu seiner ersehnten Ruhe ein. Mir ist, als hätte ich meinen zweiten Vater verloren, hat er mich doch als ein geistlicher Vater gezeugt in Christo Jesu durch das Evangelium, und hat meine Seele geliebet und gepfleget, bis Christus eine Gestalt in mir gewonnen hat. Gedenket an eure Lehrer, die euch das Wort Gottes gesagt haben, welcher Ende schauet an und folget ihrem Glauben nach (Hebr. 13, 7.).“

„Am 14. Januar 1657. Unser Kind, Maria Elisabeth, stirbt, kaum acht Monden alt. HErr, warum nimmst Du mir meiner Augen Lust und meines Herzens Freude? Doch ich will nicht klagen und weinen. Schlaf wohl, mein Kind, in deinem Ruhebettlein! Wenig und böse war die Zeit deines Lebens, du lieber, flüchtiger Gast auf Erden! Der HErr hat’s gegeben, der HErr hat’s genommen; der Name des HErrn sei gelobet (Hiob 1, 21.).“

„Am 28. April 1657. Mein lieber Schwager der Archidiaconus Joachim Fromm, stirbt, 62 Jahre alt. Verzage nicht, liebe Schwester Sabine, Gott ist der Witwen und Waisen Vater. So lange ich lebe und mein lieber Gerhardt, sollst du mit deinen Kindern keinen Mangel haben. – Selig sind die Knechte, die der HErr, wenn Er kommt, wachend findet (Luk. 12, 37.).“

„Am 28. Mai 1657. Mein lieber Herr wird nach Berlin als Diaconus zu St. Olai berufen. Ach, liebes Vaterhaus, ich soll dich wiedersehen, aus dieser Fremde wieder in die Heimath! Kann wieder stehen und beten an meiner Mutter Grabe. Wie gut und gnädig ist der HErr! Solches geschieht auch vom HErrn Zebaoth; denn Sein Rath ist wunderbarlich und führet es herrlich hinaus (Jes. 28, 29.).“

„Am 12. Jan. 1658. Unser zweites Sind, Anna Katharina, wird geboren und am 15. Darauf vom Herrn Archidiaconus Reinhart getauft. So hast Du, HErr, die Wunden wieder geheilt, die Du geschlagen hast. Ach, segne uns dies Kind, wenn es Dir wohlgefällig ist! – Es ist vor eurem Vater im Himmel nicht der Wille, daß Jemand von diesen Kleinen verloren werde (Matth. 18, 14.).“

„Am 25. März 1659. Unsere Anna Katharina wird in ihr Ruhekämmerlein getragen. Ach, soll ich denn sein wie Eine, die ihrer Kinder beraubt wird? Warum, HErr, züchtigest Du mich so sehr? Wie habe ich’s verschuldet, daß Du auch diese Freude in Herzeleid verwandelst? – Mein Gerhardt tröstet mich und spricht: Was weinest du? Das Kind ist nicht gestorben, sondern es schläft! Ja wohl, es schläft, aber so fest, daß es die Mutterstimme nicht mehr aufwecken kann! Ich weiß, HErr, Du hast Macht, zu thun mit dem Deinen, was Du willst, aber laß mich weinen und klagen. Lasset die Kindlein zu mir kommen und wehret ihnen nicht, denn solcher ist das Reich Gottes (Marc. 10, 14.).“

„Am 30. Nov. 1660. Geburts- und Sterbetag unseres dritten Kindes, Andreas. Leben und Tod, Freude und Leid, aufgerichtet und niedergeschlagen: beides in wenig Stunden! HErr, Du weißt, was ein Mutterherz tragen kann, darum will ich meine Hand auf meinen Mund legen und schweigen! Du hast gesagt: ein Weib, wenn sie gebieret, so hat sie Traurigkeit, denn ihre Stunde ist gekommen; wenn sie aber das Kind geboren hat, denkt sie nicht mehr an die Angst um der Freude willen, daß der Mensch zur Welt geboren ist! Ja, HErr, die Angst ist vorüber, aber die Traurigkeit will nicht weichen! Muß ich nicht sagen, wie Jakob: Ihr beraubet mich meiner Kinder; Joseph ist nicht mehr vorhanden, Simeon ist nicht mehr vorhanden, Benjamin wollt ihr auch hinnehmen; es gehet Alles über mich HErr, nun weiß ich’s, ich bin es nicht werth, daß ein Kind mich Mutter heiße! Ach, vergib mir meine Sünden — aber die Angst meines Herzens ist groß; reiße mich aus meinen Nöthen!“

„Am 25. August 1662. Der HErr hat sich meiner Noth erbarmt und meiner Sünden Schuld nicht angesehen. Heute wurde unser viertes Kind, Paul Friedrich, durch die heilige Taufe in die Gemeinschaft mit Christo aufgenommen. Meine Freude ist größer, denn mein Dank. Zwar ist die Schwachheit meines Leibes groß, – meine Kraft gebrochen! Ich weine still, wenn mein Kind an der Amme Brust liegt und nicht an der Mutterbrust! Und doch ist’s mein Kind! HErr, wolltest Du mir dieses Kind lassen! Doch nicht wie ich will, sondern wie Du willst! Trachtet am ersten nach dem Reiche Gottes und nach Seiner Gerechtigkeit, so wird euch alles Uebrige zufallen (Matth. 6, 33.).“

„Am 23. Okt. 1664. Nun bist du eingegangen zu deines HErrn Freude, mein theurer, seliger Vater! Heute haben sie dich, du frommer Knecht, in dein Todtenkämmerlein getragen. Nimm deines Kindes Dank mit hinauf und grüße die liebe selige Mutter. Ach, mir ist zuweilen, als würde ich euch, ihr guten, seligen Eltern, recht bald wiedersehen! Des HErrn Wille geschehe! – Mein Vater und meine Mutter verlassen mich, aber der HErr nimmt mich auf (Ps. 27, 10.).“

„Am 6. Februar 1665. Heute führten wir unser fünftes Kind, Andreas Christian, durch die heilige Taufe dem HErrn Jesu zu. Möge mir der allbarmherzige Gott meine Sünde vergeben, aber meine Freude ist Wehmuth und Traurigkeit. Ich weiß, dies Kind bleibt mir nicht. Ich weiß es an dem Todeskeime, der in meinem Leibe ruht! – Alles, was von Gott geboren ist, überwindet die Welt, und unser Glaube ist der Sieg, der die Welt überwunden hat! (1 Joh. 5, 4.)“

„Am 24. September 1665. Schlaf wohl, mein kleiner Christian, ich wußte es ja, daß deine Wiege im Himmel bereitet war. Nun liegst und schläfst du bei deinen drei Geschwistern und den lieben Großeltern! Wie werden sie sich freuen, wenn du kommst; und deine Mutter weint! Nun Gott, Deine Hand ist noch nicht zu kurz geworden, diese Thränen zu trocknen! – Siehe, HErr, noch ein Kind ist uns geblieben, und länger geblieben als die andern vier. Soll noch einmal dein Todesengel in unser Haus kommen, HErr, sende ihn dann zu mir. Ich bin sehr müde und schwach! HErr, ich warte auf Dein Heil! (1 Mos. 49, 18.)

„Am 6. Febr. 1666. Mein lieber Herr ist heute seines Amtes entsetzt worden. Auch diese Prüfung noch! Meine Kraft ist schwach, aber der HErr weiß ja, wie viel ich noch tragen kann. Halte du aus, mein Gerhardt, schäme dich des Evangelii von Christo nicht und lege immerdar ein gutes Zeugnis ab vor vielen Zeugen. Ich folge dir in’s Elend, in die Wüste, in Noth und Tod. Fürchte dich nicht vor Denen, die wohl den Leib tödten, aber die Seele nicht tödten mögen. — Gerhardt, ich weiß, du rühmest dich nie, denn du bist sanftmüthig und von Herzen demüthig; aber jetzt rühme dich, laut und treu, – rühme dich des HErrn Jesu Christi. Bleibe treu, sieh nicht auf mich und unser Kind, ohne Gottes Willen fällt ja kein Sperling vom Dache – wir werden nicht Hungers sterben. Halt aus, mein Gerhardt, bis du gekommen bist zu dem Berge Zion und zur Stadt des lebendigen Gottes, zu dem himmlischen Jerusalem und zu der Menge vieler tausend Engel und zu der Gemeinde der Erstgebornen, die im Himmel angeschrieben sind, und zu Gott, dem Richter über Alle, und zu den Geistern der vollkommenen Gerechten, und zu dem Mittler des neuen Testaments, Jesu! – Gott segne dich, mein Gerhardt! Jetzt fühle ich, wie groß du bist, und wie gering ich bin, deine arme Magd!“

„Am 29. Febr. 1668. Gestern Abend warf ich ein wenig Blut aus, was die Meinen gar sehr erschreckte. Ich beruhigte sie, weil mir sonst kein Leid zufiel. Aber heute fühle ich’s – meine Kräfte schwinden mit jedem Augenblicke. Ein unheimlicher Hauch geht durch meine Glieder, der mich erkältet. Es wird wohl der Bote sein, der mich von hier abruft. Soll es also sein, HErr, so gib, daß ich die Schwachheit meines Herzens besiege. Dir befehle ich meinen lieben Eheherrn und mein einziges Kind, das Du mir armen, sündigen Magd aus großer Gnade gelassen hast. In Deine Hände befehle ich Seele und Leib! – Ich kann nicht mehr – die Hand zittert! Christus ist mein Leben und Sterben mein Gewinn (Phil. 1, 21.).“

Das Jahr 1668, von welchem die letzte dieser Aufzeichnungen herrührt, beraubte Gerhardt seiner frommen Lebensgefährtin. Sie erkrankte, wie sie oben selbst bemerkt, im Lauf des Februars an einem Brustübel, das mit bedenklicher Schnelligkeit zunahm. Gerhardt selbst veranlaßte sie, das h. Abendmahl zu empfangen, und in der Nacht nach dessen Genuß entschlief sie mit vollem Bewußtsein und großer Geistesklarheit, nachdem er ihr noch einige geistliche Lieder hatte vorlesen müssen, und sie von allen den Ihrigen herzlich Abschied genommen. Als ihre sterbliche Hülle am 18. März bestattet wurde, bewies die allgemeine freiwillige Theilnahme, welch‘ große Liebe und Achtung sie bei ihren Mitbürgern genossen.