Anna Katharine Stark wurde den 3. Juli 1659 von christlichen Eltern zu Gotha geboren, von Jugend auf in der wahren Gottesfurcht erzogen und zu allem Guten angeleitet. In ihrem 13. Jahre nahm sie ihr Großvater, der sächsische Hofcaplan und Consistorialassessor Abraham Geißbach zu sich und vollendete ihre Erziehung. Während der fünf Jahre, die sie in seinem Hause zubrachte, saß sie oft an dem Bette des alten kränklichen Mannes und las ihm aus der Bibel oder aus Erbauungsbüchern vor, während ihre Gespielinnen weltlichen Zerstreuungen nachgingen, aber es war ihr dies eine heilsame Vorbereitung auf ihren nachmaligen Pfarrfrauenberuf. Im Jahr 1677 kam sie in das Haus des Generalsuperintendenten Dr. Tribbekov, dessen Frau sie von da an 15 Jahre lang in der Führung des Hauswesens unterstützte. Sie erwarb sich dabei solche Uebung und Erfahrung, daß M. Johann Hieronymus Wiegleb, Lehrer am Gymnasium zu Gotha, nachmals Diakonus zu Glaucha bei Halle, sich 1692 mit ihr in der gewissen Ueberzeugung verloben konnte, er werde an ihr eine eben so geschickte Hausfrau als eine gottesfürchtige Gattin finden. Und wie sie sich von Jugend auf stets eines sehr stillen und ehrbaren Wandels beflissen, und gegen ihre Eltern und Großeltern alle kindliche Ehrerbietung bewiesen, so war sie auch ihrem Gemahl mit der herzlichsten Liebe ergeben, und stand seiner Haushaltung auf’s Musterhafteste vor. Ihre Kinder hatten an ihr eine zärtlich besorgte Mutter, die ihnen mit Gebet und einem stillen, von aller eiteln Weltförmigkeit entfremdeten Lebenswandel das schönste Vorbild gab, dabei regierte sie ihr Gesinde mit christlicher Weisheit und Gelindigkeit. An Kreuz und Leiden fehlte es ihr nicht, aber es ward ihr sichtbar von Gott gesegnet zu einem Förderungsmittel in allen Guten.
Kurz ehe Wiegleb nach Glaucha berufen wurde, hatte sie eine schwere, höchst gefährliche Krankheit zu bestehen, aber sie genoß unter derselben reichlich die Erquickung des göttlichen Trostes. Es ward ihr zwar von da an das Leben noch volle 17 Jahre gefristet, aber sie blieb eben immer schwach und kränklich, und sehnte sich je länger je mehr abzuscheiden und daheim zu sein bei dem HErrn. Nichts war ihr schmerzlicher, als daß sie endlich, wegen zunehmender Schwächlichkeit den öffentlichen Gottesdienst nicht mehr besuchen konnte, aber sie las um so fleißiger zu Hause das Wort Gottes und unterhielt in ununterbrochener Gebetsübung stillen und kindlichen Umgang mit Gott. Täglich suchte sie Zeit zu gewinnen, um sich an einen einsamen Ort zurückzuziehen, wo sie vor Gott ihre Kniee zu beugen, und Ihm das Heil der Ihrigen und der ganzen Gemeinde an Sein Vaterherz zu legen Gelegenheit fand. Leute, welche unbemerkt sie bei diesem Gebet belauschten, konnten nicht genug davon sagen, wie tief sie sich vor Gott wegen ihres Sündenelendes demüthige und beuge, mit welcher Glaubenszuversicht sie zu dem Gnadenthrone JEsu Christi dringe, wie flehentlich sie um Vergebung ihrer Sünden, und um den Gnadenbeistand des heiligen Geistes zu einem recht frommen und christlichen Wandel bete.
Sie bewährte die Aechtheit ihrem Glaubens namentlich auch durch Bescheidenheit, Dienstfertigkeit und Versöhnlichkeit im geselligen Umgang und durch Mildthätigkeit gegen die Armen, denen sie nicht nur selbst mit Freuden gab, was sie von ihrem eigenen Vermögen geben konnte, sondern wozu sie auch noch Andere ermunterte.
Mit zunehmender Schwachheit wuchs auch ihre Begierde zu sterben, und da ihr die Zeit zu lang werden wollte, flehte sie den HErrn recht ernstlich an, er möchte sie doch bald erlösen; so erzählte sie eines Morgens: „Ich habe dem HErrn JEsu in der vergangenen Nacht das kananäische Weiblein und alle, denen Er geholfen, vorgehalten und ihn dringend gebeten, daß er mir doch die Liebe beweisen und Seinen Vater im Himmel bitten wolle, daß Er mich zu Sich in den Himmel nehmen möge.“
Den 11. Februar 1719 Morgens 8 Uhr, da sie immer schwächer wurde, ließ sie ihren Mann rufen und sagte ihm: „Nun hat der HErr mein Gebet erhöret und will mich ausspannen. Singe mir doch den Vers: Nun bitten wir den heiligen Geist.“ Nachdem dies geschehen war, betete er auch mit ihr und übergab sie ganz an den HErrn Jesum, auf daß Er Sein Leiden, Sterben, Auferstehen und Himmelfahren, so wie Seine Fürbitte zur Rechten Gottes, ja Sein ganzes Verdienst ihr wolle zu gut kommen lassen, damit sie gereinigt in Seinem Blute, gerechtfertigt in Seinem Namen und geheiliget durch Seinen Geist zu Seinem Vater kommen und ewig selig werden möge. Nach diesem Gebet reichte sie ihrem Manne die Hand, dankte für seine Liebe und Treue, und bat ihn, ihr auch noch einige Passionslieder zu singen. Sie erzählte nun auch, wie es ihr in der verflossenen Nacht so geworden sei, als ob Gott zu ihr sagte: „Nun ist alles vorbei, nun will ich dich erlösen von allem Bösen!“ Bald aber störte sie der Gedanke: Sie möchte sich vielleicht damit versündigt haben, daß sie so gar dringend um ihre Auflösung gebeten und Gott es gleichsam vorgeschrieben habe, wie bald Er sie erlösen sollte. Sie betete daher, Gott möge es ihr verzeihen, wenn sie zu weit gegangen sein sollte; worauf sie ihr Tochtermann auf den ihr jederzeit gar wichtigen Spruch hinwies: „Ich weiß, an wen ich glaube, und bin gewiß, daß Er meine Beilage mir bewahren kann bis an jenen Tag.“
Als man sie fragte, über welchen Text ihre Leichenpredigt gehalten werden solle, so antwortete sie: „Ich habe schon oft gesagt, man solle ja mit mir nicht die geringste Weitläufigkeit machen, sondern mich in der Stille begraben; ich verlange gar kein Lob und keinen Ruhm; will man aber zur Erbauung Anderer etwas an meinem Grabe reden, so wird sich der passende Text schon finden.“ Darauf segnete sie in herzlichem kräftigem Gebete ihre Kinder, wie auch ihren lieben Mann und Tochtermann mit aufgehobenen Händen, wünschte ihnen Allen den göttlichen Segen, und bezeugte zugleich, wie sie bisher fleißig für sie, besonders an Sonn- und Festtagen, wenn sie in die Kirche gehen sollten, gebetet habe, auf daß durch das Wort Gottes, das sie verkündigen, viel Gutes ausgerichtet werden möge, und versicherte sie ihrer Ueberzeugung, daß sie selig von hinnen scheide. Indes verzog es sich, ihrer großen Schwachheit ungeachtet noch immer mit ihrer Auflösung, so daß sie in der Betrübnis darüber sagte: „Ich meine, daß Gott noch nicht kommt und mich abfordert, wie wohl ich so schwach bin, daß ich Niemand mehr hienieden etwas nützen kann; indessen habe ich Gott mein Herz hingegeben, ich halte mich an die Wunden JEsu, der wird sich meiner erbarmen und mich erlösen und ausspannen.“
Den 13. Februar, als sie Abends so schwach war, daß sie die Zunge vor Schwachheit fast nicht mehr bewegen konnte, fing sie auf einmal zu Jedermanns Erstaunen an auszurufen: „Viktoria! Hallelujah! Lobet den HErrn, alle Lande sind Seiner Ehre voll!“ Darauf mußte man etliche Loblieder mit ihr singen, sie dankte herzlich für die Erquickung, die ihr dadurch geworden, und legte sich dann mit fröhlichem Gemüthe zur Ruhe nieder. Bald aber kehrten die Bangigkeiten zurück, und der Wechsel zwischen heiterer, stiller Ergebung in den Willen Gottes, und ernstlichem anhaltendem Flehen um Abkürzung ihrer Leiden und baldige Erlösung dauerte noch gegen sechs Tage. Sie wurde unter dieser Geduldsprüfung immer kindlicher und hingebender, und lernte immer gelassener warten auf die Stunde des HErrn.
Als Wiegleb am Sonntag Estomihi den 19. Februar aus der Kirche kam, fand er sie todesschwach; betete noch eins mal über sie, und übergab sie segnend in die ewige Liebe Gottes, dabei hielt sie die Hände andächtig gefaltet, und verschied bei vollem Bewußtsein, während man ihr den Vers sang;
O Jesu, meine Wonne!
Komm bald und mach‘ Dich auf,
Geh‘ auf, ersehnte Sonne,
Und förd’re deinen Lauf.
O JEsu, mach‘ ein Ende
Und führ‘ uns aus dem Streit!
Wir heben Haupt und Hände,
Nach der Erlösungszeit.