In den Tagen, da Ulrich Bischof von Augsburg war, lebte in der Stadt Constanz am Bodensee ein anderer Bischof, Namens Conrad, der war ein Freund Ulrichs, und war ihm gleich an Frömmigkeit und guten Werken. Er stammte aus dem uralten und hohen Geschlechte der Welfen, das berühmt war im ganzen Schwabenlande, und aus dem nachher große Herzoge und mächtige Könige entsprossen sind. Und obwohl er groß und angesehen war vor der Welt durch Adel und Reichthümer, so war er doch größer durch seine Tugenden, denn er strebte vor Allem nach der Gerechtigkeit, die vor Gott gilt. Der Bischof von Constanz erkannte die Gaben seines Geistes, und er wurde zum Propste gewählt. Da zeigte er sich gerecht im Großen wie im Kleinen, und geschickt in allen Sachen der Kirche; er war reich an gutem Rathe, beredt in Worten, fromm in Werken, ein Fürsprecher der Armen und ein Schutz der Unterdrückten. Alle aber bewunderten ihn, daß er in jedem Geschäfte als ein anderer Mensch an Gaben erscheine, er aber war immer derselbe in Liebe und Demuth.
Darauf starb der Bischof von Constanz, und Ulrich kam aus Augsburg ihn zu bestatten, und fand die ganze Stadt und das ganze Land voller Trauer. Alle kannten Ulrich als einen weisen Mann, darum baten sie ihn, er möchte ihnen rathen, wen sie zum Nachfolger des Gestorbenen wählen sollten. Ulrich aber versammelte die Priester und das Volk und sagte: „Wählet den Propst Conrad, sein Wandel ist untadelig, er ist ein Bischof, wie der Apostel ihn beschreibt.“ Da riefen Alle aus einem Munde: „Gott hat uns einen Bischof gegeben nach unserm Wunsch und Gebet.“ Das geschah im Jahre 934.
Conrad aber wurde ein wahrer Bischof, wie Ulrich es vorher verkündet hatte, und die Armen priesen ihn als ihren rechten Vater. Denn von seinem eigenen Gute baute er in der Stadt ein Hospital, darin gab er zwölf Armen eine Freistätte, und jedem Dürftigen, der dort anklopfte, wurde aufgethan, und er fand Speise und Trank, und Hülfe und Rath. Auch haute er Kirchen und stiftete Stellen für Priester, und nirgends schonte er seines Vermögens, sondern gab mit vollen Händen.
Als er alles geordnet hatte, bekam er große Sehnsucht, das Land der Verheißung mit eigenen Augen zu sehen; und er fuhr über das Meer nach Jerusalem. Da betrat er die Stätten, wo einst die Patriarchen wandelten, und die Propheten des alten Bundes geweissagt hatten, und der Weltheiland am Kreuze gestorben war. Da er aber Alles gesehen hatte, kehrte er gestärkt im Glauben in das Vaterland zurück. Und daheim schaltete und waltete er wieder wie zuvor in Liebe und Gerechtigkeit. Unter allen Bischöfen aber Hatte er keinen treuern Freund, als Ulrich von Augsburg. Denn sie lebten wie Brüder mit einander, und beriethen das Wohl ihrer Kirchen und erbauten sich in Gesprächen. Und oft zog Conrad nach Augsburg hinüber, und dann kam Ulrich wieder zu ihm nach Constanz.
Eines Tages aber, da sie wieder in Constanz beisammen waren, gingen sie den Rhein hinab nach Laufen, nicht weit von der Stadt Schaffhausen. Laufen aber war eine feste Burg, und liegt hart am Ufer des Flusses. An dieser Stelle ist noch heute ein großes Wunder zu sehen. Denn da ist ein mächtiger Wasserfall, wo sich der Rhein mit seinem ganzen Gewässer in einen tiefen Abgrund stürzt, und von der Gewalt des Falles erdröhnt die Erde rings umher, und den Donner des Sturzes und das Brausen des wilden Stromes hört man weit in das Land hinein bei Tag und Nacht. Und es sprudeln die schäumenden Wellen so weiß, wie die Flocken des frisch fallenden Schnee’s; wer es aber in der Nacht sieht, der meint, es sprühen feurige Funken aus dem Flusse umher. An dieser Stelle standen die beiden Bischöfe, und ihr Herz war voll tiefer Schauer über die Größe Gottes in seinen Werken. Als sie nun hinabblickten in das brausende Wasser, da sahen sie zwei Vögel, die umkreisten die Felsen, an denen sich die Wellen brachen, und flatterten angstvoll hin und her. Bald wurden sie von dem stürzenden Gewässer in die Tiefe hinabgeschleudert, bald tauchten sie aus dem Schaume wieder hervor, und kämpften so gegen die Gewalt des Stromes eine Zeit lang. Bei diesem Anblicke mochte man wohl des Menschen gedenken und seiner unsterblichen Seele, wie sie kämpfe und ringe mit der Welt und mit dem Strome der Sünden und Uebel. Die beiden Bischöfe aber dachten der Seelen der Abgeschiedenen und ihres Geschickes und sie wurden tief bewegt in ihrem Herzen und gingen hin zu beten. Da sie aber wieder zur Stätte kamen und hinabschauten in den Abgrund, verschwanden die Vögel vor ihren Augen, und Ulrich und Conrad kehrten zurück, ein Jeder in seine Stadt.
Darauf lebten sie noch lange zusammen als Freunde und treue Arbeiter im Weinberge des Herrn. Und als Ulrich abgerufen wurde aus diesem Leben, folgte ihm Conrad bald nach, und er starb am 26. November des Jahres 976.
Köpke in Berlin.