Johann Arnd

Johann Arnd

General-Superintendent zu Celle.

(Geb. 27. December 1555, gest. 11. Mai 1621.)

„So euch die Welt hasset, so wisset, daß sie mich vor euch gehasset hat.“ (Joh. 15, 18.)

„Ich hielt mich nicht dafür, daß ich etwas wüßte unter euch, ohne allein Jesum Christum, den Gekreuzigten.“ (1. Cor. 2, 2.)

Zu denjenigen Männern der evangelischen Kirche, welche nicht bloß für ihre Zeit mit dem größten Segen gewirkt haben, sondern noch fort und fort von dem heilbringenden Einfluß sind, gehört besonders Johann Arndt, der Verfasser der „vier Bücher vom wahren Christenthum.“ Es ist dies eines der herrlichsten Erbauungsbücher unserer Kirche, und unzählige Christen haben aus ihm Belehrung, Ermunterung und Trost geschöpft, und schöpfen noch immer reichlich. Viele sind dadurch auf den rechten Weg gebracht worden. Ich erinnere nur an die Salzburger, bei welchen es ganz besonders mitwirkte, daß sie zur Erkenntnis der Wahrheit kamen, und in derselben so weit gestärkt wurden, daß sie um ihres Glaubens willen Verfolgungen mit Freuden duldeten.

Johann Arndt wurde am 27. Dezember 1555 zu Ballenstädt im Anhaltschen geboren. Schon in seinem zehnten Jahre verlor er seinen Vater, der daselbst Prediger war, und wurde genöthigt, seine Vaterstadt zu verlassen. Gott sorgte aber wunderbar für ihn, und erweckte mehrere wohlthätige Leute, die sich seiner annahmen. Durch ihre Unterstützung bildete er sich auf den Schulen zu Aschersleben, Halberstadt und Magdeburg aus. Das Beispiel seines frommen Vaters, der ihn schon im zarten Kindesalter mit dem Heilande bekannt und vertraut gemacht hatte, der frühe Tod desselben, die selbstgemachte Erfahrung, daß Gott die Waisen versorgt, sowie viele körperliche Leiden und Gefahren, aus denen der Herr ihn gnädig errettete, hatten schon sehr früh den Geist des lebendigen Christenthums in ihm erweckt. Dennoch neigte er sich mit besonderer Vorliebe zum Studium der Medicin, und war fest entschlossen, wenn es ihm möglich seyn würde, ein Arzt zu werden. Deshalb beschäftigte er sich mit den Naturwissenschaften und den einzelnen Zweigen der Arzneikunde, behielt aber die schöne Sitte des älterlichen Hauses bei, täglich in der h. Schrift zu lesen, und erwählte die Schriften Luthers, Bernhards von Clairvaux und des Thomas von Kempis zur täglichen Lektüre. „Was gilt’s,“ pflegte seine Mutter zu sagen, wenn er sich über den hohen Genuß, den ihm diese Schriften gewährten, mit Begeisterung aussprach, „was gilts, er vertieft sich in dieselben noch dermaßen, daß ich ihn doch noch einst im Chorrocke seines Vaters sehe!“ Aehnlich wie bei Luther, rief der Herr einen anderen Entschluß bei Arndt hervor. Er wurde lebensgefährlich krank, und that auf dem Krankenbette ein Gelübde, daß, wenn ihn Gott wieder gesund machen würde, er sich ganz seinem Dienst weihen wollte. Der Herr nahm das Gelübde gnädig auf: er wurde wieder gesund, und er hat, so viel an ihm war, das Gelübde treulich gehalten.

Nachdem er auf den Universitäten Helmstädt, Wittenberg, Basel und Straßburg studirt hatte, wurde er als Hülfsprediger und als Lehrer an de Bürgerschule zu Ballenstädt berufen. Den sprechendsten Beweis für sein gesegnetes Wirken als Schulmann liefert schon die Thatsache, daß er sich bereits nach den ersten Wochen seines Amtsantritts auf fast wunderbare Weise theils das vollste Vertrauen der Aeltern seiner Zöglinge, theils die unbedingteste Liebe und Ergebenheit dieser letztern zu erwerben gewußt hatte, und daß ihm manche seiner damaligen Schüler später, im gereiften Alter, das Geständniß ablegten, daß sie das Gute, das etwas an ihnen sei, nächst der Gnade Gottes, seiner Unterweisung zu verdanken hätten. Er verwaltete aber auch sein Amt mit großer Treue und Gewissenhaftigkeit, und ließ es vor Allem seine Sorge seyn, sie Gott durch sein Wort erkennen zu lehren, und sie zu dem Heilande hinzuführen. Freilich mußte er auch schmerzliche Erfahrungen machen, wenn böse Buben sich seiner Zucht widersetzten, und sogar ihre Aeltern sie in Schutz nahmen. Später, wie wir hören werden, war er mit der Beaufsichtigung einer großen Anzahl von Schulen beauftragt, und da hat er es erst recht deutlich erkannt, daß ihn Gott so treu geleitet, und ihm zu den für seine spätere Amtsführung so nöthigen Erfahrungen verholfen hatte. Aber schon am 30. Oktober 1583 wurde er als Pfarrer zu Badeborn, einem Dorfe im Anhaltschen berufen. Bei seiner gesammten Amtswirksamkeit ging er davon aus, daß, wer als Prediger oder Lehrer auf Andere segensreich wirken wolle, vor allem bei sich selbst dies Werk zu beginnen habe. Er ließ sich daher das Wort des Apostels: „Habet nun acht auf euch selbst!“ auf das Ernsteste gesagt seyn. Um sich recht kennen zu lernen, uns sich tüchtig zu machen, kannte er keinen bessern Weg, als das reine Licht des Wortes Gottes. um aber dieser Frucht des Bibellesens desto gewisser zu seyn, so ließ er das Gebet der erste dabei seyn. Was seine Predigten und andere Reden betrifft, so verwandte er auf sie den größten Fleiß, und nur mit Widerwillen konnte er es anhören, wenn sich manche vermeintlich hohen Geister es zum großen Ruhme anrechnen wollten, daß sie ihre Predigten nicht ausarbeiten, und kaum einige Stunden des Nachdenkens gebraucht hätten. Der Hauptzweck aber, welchen er bei seien kirchlichen Vorträgen verfolgte, war ein anderer, als seine Zuhörer zu erbauen auf den Grund der Apostel und Propheten, da Jesus Christus der Eckstein ist. um sie für diesen Glauben empfänglich zu machen, suchte er sie zur wahren Erkenntniß ihrer selbst zu bringen, da er wohl wußte, daß nur dann ein rechtes Verlangen nach dem Heil in Christo entstehen konnte. Er drang aber auch auf ein neues Leben in Christo, auf den wahren Glauben, der durch die Liebe thätig ist, während so oft der Glaube zu einem Ruhekissen für die Sünde gemacht würde.

Noch wichtiger aber, als sein eigentliches Predigtamt, war ihm die Seelsorge. So oft es daher Zeit und Umstände gestatteten, suchte er die Mitglieder seiner Gemeinde auf, und benutzte jede ihm sich darbietende Gelegenheit, da nachzuhelfen, wo es gerade Noth that. Er war unermüdet darauf bedacht, Entzweite zu versöhnen, Laue anzufeuern, Pflichtvergessene an ihre Obliegenheit zu erinnern, den Niedergebeugten Trost und Erquickung, den Schwachen Kraft und den Irregeleiteten Licht aus dem Evangelio zu bringen. Den Armen und Nothleidenden suchte er nach Kräften auch leibliche Hülfe zu gewähren. Und hierin sah er sich durch seine brave Gattinn auf das Kräftigste unterstützt, indem sie zahlreichen Kranken und Armen in der Gemeine theils die nöthige Kost oder Kleidung verabreichte, theils dieselben in ihren Häusern aufsuchte, und entweder selbst ihnen Pflege angedeihen ließ, oder auf andere Weise Rath schaffte. Auch die Katechismuslehre des Sonntags Nachmittags hielt er mit den Kindern sehr eifrig, um diese gleichfalls frühe zu ihrem Heilande hinzuführen.

So verlebte hier Arndt sieben glückliche und gesegnete Jahre, und noch bis auf den heutigen Tag haben sich Spuren des durch ihn gestifteten Segens in Badeborn erhalten. Noch immer lebt er im Andenken der dortigen Gemeinde fort, und sein wahres Christenthum und Paradiesgärtlein ist in vieler Händen. Da brach aber ein großer Sturm über ihn aus. Der Fürst Johann Georg von Anhalt befahl allen seinen Geistlichen, bei Strafe der Absetzung, den Exorcismus (die Abschwörung des Teufels) bei der Taufe fahren zu lassen. Dieser religiöse Gebrauch war schon lange von einem Theil als schriftwidrig bestritten worden. Selbst ganze lutherische Länder hatten ihn abgeschafft., z. B. Würtemberg. Indeß neigte der Fürst Anhalts allerdings zur reformierten Confession hin. Da Arndt die Abschaffung des Exorcismus nicht mit seinem Gewissen vereinigen konnte, und sich entschieden weigerte, so wurde er im Jahre 1590 abgesetzt, und Landes verwiesen. Zweimal verwandten sich seine Pfarrkinder für ihn bei dem Fürsten; sie wurden indeß abschlägig beschieden.

Jedoch der Herr hatte schon für seinen aus dem Vaterlande verstoßenen Knecht gesorgt. Er bekam nämlich zu gleicher Zeit einen Ruf nach Mansfeld und nach Quedlinburg. Er folgte dem letztern. Auch hier wirkte er in demselben Geiste, wie in Badeborn. Er war die ganze Woche darauf bedacht, an den Krankenbetten und in den Hütten der Kranken und Armen Trost und Erquickung zu spenden, und diesen die rechte Seelenarznei zu geben. Und der Herr war mit ihm uns seinem Worte. Er hatte die Freude, herrliche Früchte wahrzunehmen, und Viele in der Gnade wachsen zu sehen.

Allein nach einiger Zeit erwachte auch hier der Verfolgungsgeist wider ihn. Einige Leute, die durch seinen Eifer und das Haus Gottes, durch sein lauteres Zeugniß gegen die im Schwange gehenden Laster, und sein Dringen auf thätigen Glauben, theils in ihrem Weltsinn sich bestraft, theils in Verfolgung selbsterwählter Himmelswege sich gestört fühlten, erregten eine Verfolgung gegen ihn.

Der Haupträdelsführer war der Bürgermeister Lüders. Es gelang ihm sogar, ihm vielfach sein Einkommen zu schmälern, so daß er bei seinem nachmaligen Abgange von hier sich beklagen mußte, während der neun Jahre seiner Amtsverwaltung nur dreimal seine volle Besoldung erhalten zu haben. Seine Wohnung ließen sie gänzlich zerfallen, und es wurde so arg, daß Sparren, Balken und Boden über seinem Haupte verfaulten. Unter diesen Umständen blieb er daher nicht einmal von Nahrungssorgen befreit, was ihn um so mehr schmerzte, als er jetzt seinem Zuge zur Mildthätigkeit nicht so folgen konnte, wie er wünschte.

Doch dabei blieb es nicht. Weil jene Menschen sich durch seine Zeugnisse getroffen fühlten, so suchten sie ihn durch Schmähungen und Lästerungen aller Art bei seiner Gemeinde zu verdächtigen. Bald bezeichnete man ihn als einen überspannten Schwärmer, bald als einen ungläubigen Freidenker. Seine Freimüthigkeit, mit der er ohne Ansehn der Person strafte, mußte elende Rache seyn u. dgl. m. Besonders trug man sich mit Erdichtungen wegen seines häuslichen Unfriedens herum. Und wenn gleich Leute, die täglich in seinem Hause ein- und ausgingen, versicherten, nie auch nur eine Spurt davon bemerkt zu haben, so mußte es einestheils seine pharisäische Verstellungskunst seyn, anderntheils die Klugheit seiner Frau, welche solches zu verhüllen wußte. Ja, es kam so weit, daß man unter seiner Predigt lärmte, lachte, uns so auf schamlose Weise den Gottesdienst störte.

Alles dieses überwand Arndt mit großer Geduld, Sanftmuth und Treue, und erfüllte mit gleicher Liebe an Freunden wie an Feinden seine Seelsorgerpflichten. Dies zeigte sich besonders während einer im J. 1598 grassirenden Pest, welche in Quedlinburg in einem Jahre 3000 Menschen dahinraffte. In die niedrigsten Häuser ging er hinein, in denen oft ein so übler Geruch verbreitet war, daß die Einwohner kaum selbst davor bleiben konnten. Er kroch gleichsam den ganzen Tag in der größesten Hitze auf der Gasse und allen Winkeln umher, und begleitete die an der Pest Gestorbenen zu Grabe. Er predigte von Trinitatis bis Michaelis alle Tage, und erklärte den ganzen Psalter. Ueberdies hielt er viele Leichenpredigten, und besorgte nicht selten bei Solchen, deren nächsten Angehörigen bereits sämmtlich ausgestorben, oder mit der scheußlichen Krankheit noch behaftet waren, die Bestattung des Leibes in eigener Person und mit eigener Hand. Und wenn er dann des Abends, oft bis zur Erschöpfung müde, spät von seiner Arbeit heimkehrte, so ließ ihn die Liebe für seine Pflegebefohlenen auch dann noch nicht ruhen, sondern er that noch manches brünstige Gebet für sie.

Eben, als die Seuche anfing, nachzulassen, berief ihn die Stadt Braunschweig an ihre Hauptkirche. Nachdem er die Sache sorgfältig vor Gott überlegt, reiste er hin, hielt die Probepredigt, und schickte sich an, sein neues Amt zu übernehmen. Aber nun lernte Quedlinburg einsehen, welchen Schatz es verlieren sollte. Hatte man ihm früher sein Amt auf jede Weise zu verleiden gesucht, so war man jetzt aufgebracht, daß er fortgehen wolle. Man bezweifelte seine Lauterkeit, da er eine bessere Stelle annehmen wolle; man beschuldigte ihn der Undankbarkeit gegen eine Stadt, die ihn einst so gastfreundlich aufgenommen habe. Man drohte ihm, seine Besoldung nicht auszuzahlen. Wolle er seine Abschiedspredigt halten, so werde man ihm die Kirche verschließen u. dgl. m. Arndt wurde dadurch in kummervolle Verlegenheit gesetzt, und sah sich genöthigt, nach Braunschweig zu schreiben, man möge seine Abholung noch einige Zeit verschieben. Endlich gelang es durch gütliche Unterhandlung, daß er im Jahre 1599 ruhig scheiden konnte, und mit ehrenvollen Zeugnissen entlassen wurde.

Auch in den neun Jahren seines Aufenthalts in Braunschweig fand Arndt, neben vieler Liebe in seiner Gemeinde, und großer Achtung bei Hohen und Niedrigen, viel Noth, Haß und Verfolgung. Besonders schwere Leiden stürmten auf ihn ein, als er im Jahre 1605 das erste Buch seines wahren Christenthums herausgab. Es hat dies Buch, wie er es selbst ausspricht, den Hauptzweck, die Christen von dem todten Glauben ab- zu dem lebendigen hinzuführen, was der Apostel mit den Worten ausdrückt: „Ich lebe, aber doch nun nicht ich, sondern Christus lebet in mir.“ (Gal. 2, 20) Diese Aufgabe ist auch herrlich gelöst, und gleich nach dem ersten Erscheinen fand das Buch eine außerordentlich freundliche Aufnahme. Es erwarb sich bald auch außerhalb Braunschweigs viele Freunde, und nahm seinen Gang durch ganz Europa. Zahlreiche Gelehrte und hochangesehene Fürsten dankten ihm, und baten um Fortsetzung der Schrift. Aber gerade je lauter der Beifall war, den seine Schriften fanden, desto mehr hatten sie bei mehreren seiner Amtsgenossen den glühendsten Neid erregt. Die Braunschweiger Prediger klagten ihn auf der Kanzel als Schwärmer und Ketzer an, warten im Beichtstuhle vor seinen, wie sie sagten, schädlichen und gefährlichen Lehren. Indem er nämlich zu sehr auf die rechtschaffene Erneuerung des Geistes, auf ein Leben in Christo dringe, und dabei Worte gebrauche, die ihnen unbekannt, also verdächtig waren, trete er der Lehre von der Rechtfertigung aus Gnaden zu nahe. Ja, sein eigener College an der Martinskirche, Denecke, that es allen andern weit zuvor, lief von Haus zu Haus, um Arndt zu verdächtigen, weil dieser nämlich mehr Liebe in der Gemeinde genoß, als er. Trotz aller dieser Unannehmlichkeiten nahm er einen Ruf nach Halberstadt, wenn er sich gleich äußerlich dadurch gebessert hätte, nicht an, sondern ließ sich durch seine ihm treu gebliebenen Pfarrkinder, und den ihm gewogenen Bürgermeister Kale bereden, zu bleiben. Wohlthuend mag im diese Anerkennung gewesen seyn; aber gleich darauf begann die harte Belagerung der Stadt durch den Herzog Heinrich Julius vom 16. Oktober 1605 bis Ende März 1606. Die Drangsale derselben hatte Arndt durchzumachen. Unsägliches Elend und große Theuerung, ja theilweise Hungersnoth waren die Folgen. Arndt litt unsäglich dabei. Auch trat die Feindschaft gegen seine Bemühungen um Belebung des wahren Christenthums immer heftiger auf. Man hörte nicht auf, ihn des Irrthums anzuklagen, daß nicht Gottes Gnade allein Alles thue bei unserer Bekehrung und Seligkeit, sondern der Mensch das Wichtigste mitwirken müsse, oder ihn als einen Schwärmer zu verschreien. Wo er hinkam, fühlte er sich beengt durch das Mißtrauen, welches ihm bewiesen wurde.

Da beriefen ihn im Jahre 1608 die Grafen von Mansfeld als Pastor und Beisitzer der Consistoriums nach Eisleben, und dankbar nahm er den Ruf, der ihn aus dem streitsüchtigen Braunschweig befreite, als Gottes Hand an. Hier ging es ihm, die erste Zeit abgerechnet, in den drei Jahren seiner dortigen Amtswirksamkeit 1608 – 1611, gut. Hier hatte er endlich einige Ruhe vor seinen Feinden; er fand offene und ihm sehr zugethane Herzen an dem Grafen von Mansfeld und an dem Superintendenten Schleupner; letzterer war sein aufrichtiger Freund. Daher konnte er auch die lange versprochenen vier Bücher vom wahren Christenthum herausgeben. Er schrieb auch die geistige Seelenarznei wieder die abscheuliche Seuche der Pestilenz. Diese trat nämlich im Jahre 1610 auch in Eisleben mit großer Gewalt auf. Arndt’s Wirken während derselben war eben das, wie früher in Quedlinburg. Er selbst machte sein Testament, und dachte ernstlich an sein Ende. Und wahrlich, es war allein die Hand des Herrn, die ihn behütete, und ihm aufs Augenscheinlichste bewies, daß der 91. Psalm seine volle Geltung noch nicht verloren hat.

Im Jahre 1611 folgte er einem Rufe als Generalsuperintendent des Fürstenthums Lüneburg nach Celle. Es kostete ihm freilich manche bittern Kämpfe, da der Graf von Mansfeld und seine Gemeinde alles aufboten, ihn zu behalten. In seiner neuen Stellung waren seine äußeren Verhältnisse wesentlich verbessert, und jetzt konnte er wohlthun und mittheilen nach Herzenslust. er hat es auch gethan. Alles Beichtgeld z. B. warf er jedesmal, ehe er zur Kirche hinausging, in den Armenkasten. Auch seine amtliche Wirksamkeit wurde viel ausgedehnter und einflußreicher. Bald finden wir ihn auf Visitationsreisen, bald in den Sitzungen des Consistoriums weise Anträge stellend, bald sämmtliche Schulen des Landes besuchend. Und in welchem Geiste, mit welcher Weisheit, und mit welchem Segen er seinen Berufsgeschäften oblag, dafür ist der sprechendste Beweis, daß sich unter seiner Leitung sowohl das kirchliche Leben, als besonders das Schulwesen wunderbar herrlich umgestaltetet. Und manche seiner trefflichen Einrichtungen verdankt Lüneburg ihm noch jetzt. So hervorragend jedoch auch seine Stellung war, nie machte sie ihn die rechte Stellung zu Christo vergessen. Er rühmte sich am allerliebsten seine Schwachheit, auf daß die Kraft Christi bei ihm wohne.

Unter seinen Schriften, die er in dieser Zeit verfaßte, verdienen besonders folgende erwähnt zu werden: die treffliche Postille über die Sonntagsevangelien, seine Auslegung des ganzen Psalters und Predigten über den lutherischen Katechismus. Außerdem gab er die deutsche Theologie, und eine von ihm selbst verfertigte Uebersetzung der Nachfolge Christi von Thomas von Kempen heraus, und fand mit diesen Schriften Eingang bei den Erbauung suchenden Christen. Im Jahre 1618 verfaßte er eine neue, den Bedürfnissen des Landes entsprechende Kirchenordnung, durch die er sich große Verdienste um Kirche und Schule erwarb. So dringt er z. B. auf sofortige Errichtung von deutschen Landschulen, die damals nirgends zu finden waren. Gänzlich neu war ferner die Anordnung regelmäßiger Kirchenvisitationen.

Von allen Seiten, von Nah und Fern gingen Sendschreiben ein, welche den aufrichtigen Dank aussprachen für den Segen, den seine Schriften gestiftet hatten. So schrieben ihm z. B. der Herzog Georg Rudolph zu Liegnitz, der Hofprediger Weber zu Ohrdruff, der Prediger Enopius aus Reval, und tausend andere achtbare Männer Briefe voll Anerkennung und Verehrung. Selbst römisch-katholische Prälaten verehrten seine Bücher vom wahren Christenthum hoch. Der schwedische Generalfeldhauptmann, Jakob de la Gardie, liebte dies Buch so sehr, daß er es nicht bloß in Friedenszeiten fleißig las, sondern es auch in Kriegszeiten zu Feld stets mit sich führte und gebrauchte, wie Alexander den Homer. Aber auch vielfache Klagen wurden gegen ihn noch immer erhoben, und seine Rechtsgläubigkeit stark und heftig bezweifelt. Manche herbe, bittere Stunde mögen ihm diese Angriffe bereitet haben. Oft und schlagend hat er sich gegen die Vorwürfe der Ketzerei und Schwärmerei vertheidigt, und seine Uebereinstimmung mit der Lehre der h. Schrift und den symbolischen Büchern nachgewiesen.

Arndt hatte schon den ganzen Winter von 1620 auf 1621 über Mattigkeit und Schlaflosigkeit geklagt, wahrscheinlich durch vieles Arbeiten entkräftet. Am 3. Mai 1621 wurde er bettlägerig. Er hatte an diesem Tage seine letzte Predigt gehalten über Ps. 126, 5 6: „Die mit Thränen säen, werden mit Freuden ernten; sie gehen hin und weinen, und tragen edlen Samen, und kommen mit Freuden, und bringen ihre Garben.“ Als er nach Hause kam, sagte er zu seiner Frau: „Ich habe jetzt meine Leichenpredigt gethan.“ Anfangs schien sein Uebelbefinden nicht bedenklich, da er nur an einer anscheinend leichten Halsentzündung litt. Aber bald trat ein heftiges Fieber hinzu, so daß er stets große Hitze und einen quälenden Durst empfand, und der Rest seiner Kräfte vollends verzehrt wurde. Es wurden viele Gebete für ihn, sowohl von den Seinen, als auch öffentlich in der Kirche von der Gemeinde und in den Schulen von den Kindern zu Gott emporgesandt; aber Arndts Stunde hatte geschlagen. Er wußte es auch und hatte sich daher gleich von Anfang der Krankheit an nicht mehr um seine Amtssachen, die ihm sonst so sehr am Herzen lagen, bekümmert, um sich gänzlich mit seiner Seele Heil beschäftigen zu können. Wohl hatte er oft die heftigsten Schmerzen, aber nie zeigte er auch nur die leiseste Spur von Unmuth und Ungeduld. Am 9. Mai, Morgens um 6 Uhr, ließ er seinen Beichtvater, Wilhelm Storch, zu sich fordern, um durch den Genuß des Leibes und Blutes Christi sich noch enger mit seinem Heilande zu vereinigen. Auf dem Stuhle sitzend, sprach er andachtsvoll seine Beichte, und genoß dann, im Beiseyn seiner Frau, seiner Amtsgenossen und Anderer das h. Abendmahl. Weil er jedoch immer schwächer wurde, so sprach ihm Storch die vornehmsten Trostsprüche der h. Schrift zu, die er gewöhnlich selber beschloß. Als ihn jener auch einmal angeredet: er, Storch, zweifle nicht, daß, gleichwie er bis dahin nie einem einigen Irrthum, so Gottes Wort zuwider, zugethan gewesen, sondern allezeit bei dem reinen, klaren, lautern Wort Gottes, bei den Schriften der Propheten und Apostel, bei der ersten und unveränderten Augsburgischen Confession und Concordienformel fest und standhaft geblieben, und alle Gegenlehren ernstlich und herzlich gehasset und verworfen, er auch also bei derselben Lehre und Glauben, wie er bisher dargestellt, öffentlich gepredigt und bekannt, durch Gottes Gnade beständig bis an sein Ende bleiben und verharren werde, – erklärte Arndt mit schwacher, aber vernehmlicher Stimme etliche Male: „Ja, das will und werde ich.“ Am 11. Mai, als an seinem Sterbetage, – es war ein Freitag, und an diesem Tag eine Sonnenfinsterniß, – betete er gegen Abend die Worte des 143. Psalms: „Herr, gehe nicht ins Gericht mit Deinem Knecht!“ Es wurde ihm geantwortet, es stände Joh. 5, 24: „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: wer mein Wort höret und glaubet dem, der mich gesandt hat, der hat das ewige Leben, und kommt nicht in das Gericht.“ Darauf schlief er ein wenig, erwachte aber bald wieder, schlug seine Augen auf, und brach in die Worte aus: „Wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des eingebornen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheit.“ Seine Frau fragte ihn, wann er die Herrlichkeit gesehen habe. Er antwortete: „Jetzt habe ich sie gesehen; ei, welch eine Herrlichkeit ist das! Die Herrlichkeit ist es, die kein Auge gesehn, kein Ohr gehört und in keines Menschen Herz gekommen ist; diese Herrlichkeit habe ich gesehn.“ Um acht Uhr fragte er, wie viel es schlüge. Um neun Uhr wiederholte er die Frage. Als ihm die Antwort wurde, sagte er: „Nun habe ich überwunden!“ Dies waren seine letzten Worte. Bis halb zwölf Uhr lag er nun stille, und entschlief dann sanft und selig unter den Gebeten der Umstehenden, im 66. Jahre seines Alters. Am 25. Mai wurde er, allgemein betrauert, in der Pfarrkirche in Celle zur Erde bestattet. Der Herzog Christian und seine Brüder wohnten der Feier persönlich bei. Die Leichenpredigt hielt ihm Storch über 2. Tim. 4, 6 – 8: „Ich werde schon geopfert, und die Zeit meines Abscheidens ist vorhanden. Ich habe einen guten Kampf gekämpft, ich habe den Lauf vollendet, ich habe die Krone der Gerechtigkeit, welche mir der Herr an jenem Tage, der gerechte Richter, geben wird; nicht mir aber allein, sondern auch allen, die seine Erscheinung haben.“

Johannes heißt der „Gnadenvolle,“ und mit Recht gebührt ihm der Name; ebenso wenig bedeutungslos war sein Name: Arndt, welches Adler heißt. Darauf zielt das alte Verslein:

„er soll, er soll Johannes heißen!
Denn seine Seel‘ ist gnadenvoll.
Die Welt mag ihn mit Schmähen schmeißen,
und auf ihn schütten Gall‘ und Groll, –
So bleibt er doch ohn‘ allen Streit
Der größte Adler seiner Zeit.“