(gest. 16. December 999.)
„Und die Könige sollen deine Pfleger, und ihre Fürstinnen deine Säugammen seyn.“ (Jes. 49, 23.)
Die Adelheid, von welcher hier erzählt wird, ist, wie ihr Name klingt, edel und von Adel an Geburt und Gestalt, an Herz und Geist, und an Bewährung des Lebens, eine Rose in deutschem Garten.
Sie war die Tochter des Königs Rudolph von Burgund. Da Adelheid zur Jungfrau aufgeblüht war, wurde ihre Schönheit und die glänzende Begabung ihres Geistes gepriesen. Aber das Preiswürdigste muß Schild und Wehr mitbringen, da eben ihm die härtesten Gefahren drohen. – Die holdselige Königstochter ward dem König Lothar von Italien zum Weib gegeben. – Dieser Fürst war gütigen Herzens, doch nicht ritterlicher Art, und vielfach angefochten vom Trotz der Gewaltigen seines Reichs. Vor Allen neidete ihm Markgraf Berengar seine Krone. So war’s nun diesem eine unverhehlte Freude, als nach wenigen Jahren sein König Lothar starb. Aber Adelheid stand ohne mütterlichen Trotz am Sarg des Gemahls; weinend ahnte sie schwere Tage. Denn so plötzlich und eigenthümlich hatte den König der Tod ereilt, daß man sich in‘s Ohr raunte, er sei am Gift Berengars gestorben, welcher des Thrones und des Scepters heftig begehre. Und ohne Zaudern setzte er sich gewaltsam in Besitz aller Ehren und Schätze des Königs.
Die Königinn Adelheid aber, daß sie nicht etwa entfliehe, mit Roß und Reisigen wiederkehre, und wider ihn Panier aufwerfe, ließ der Kronräuber ergreifen, und von ihren Pagen und Edelfrauen getrennt, nur mit einer Dienerinn in ein tiefes, düsteres Verließ bringen. Auf ihrem Gang zum Kerker letzte sich Witta, Berengars Weib, an dem bleichen, betrübten Angesicht der Gefangenen. Ja, es überkam die Tückische eine dämonische Wollust der Rache und Schadenfreude, daß sie wie wahnsinnig ihre Hände an die edle Adelheid legte, die königlichen Kleider ihr vom Leibe riß, ihr das lange blonde Haar raufte, und sie schlug, bis sie wund und blutig ward. Wie weh war da der geschändeten Königinn im einsamen Kerker!
Aber dennoch war Gott ihr Trost. Und der Hüter Israels schläft noch schlummert nicht. Dieweil Berengar triumphierenden Stolzes sich als König von Italien ausrufen ließ, war’s der treue Bischof Adelhard, der, unterrichtet von Adelheids Geschick, auf Hülfe sann. Einem eben so frommen als rüstigen und klugen Mann aus seinen Geistlichen, Martin genannt, übertrug er, Trost und Rettung der Gefangenen zu bringen. Diesem gelang es, auf heimlichen Wegen bis in den Kerker der Königinn vorzudringen. mit unsäglicher Mühe brachte er von der Mitte des Gefängnisses aus einen unterirdischen Gang durch die Burgmauer in’s Freie zu Stande. Da sie nun endlich nächtlicher Weile heraustraten, geführt von dem treuen, beständigen Martin, gedachten die frohen Frauen des Wortes, das geschrieben steht: „Aber der Engel des Herrn that in der Nacht die Thür des Gefängnisses auf, und führete sie heraus;“ und erlabten sich der frischen, würzigen Luft, und die Königinn schaute zu den funkelnden Sternen auf, und pries die Barmherzigkeit Gottes.
Aber eilenden Fußes entfernten sich die Entronnenen aus der Nähe des Schlosses, daß nicht die Häscher Berengars sie ergriffen. Nach etlichen Stunden gelangten sie an einen See, der war dicht von Schilf und Weidengebüsch umstanden. Weil nun die Nacht verdämmerte, und die helle Morgenröthe anbrach, verbargen sie sich dahinter im Moor und Riethgras, bis zum sinkenden Abend. Sie zitterte vor Frost und Angst; denn so ist ein Sumpfvogel aufrauschte, meinen sie schon, die Hand des Verfolgers strecke sich nach ihnen aus. Auch stellte sich der Hunger ein. Da gewahrte sie ein Fischer, welcher des Nachts an seinem Netze arbeitete; ihn jammerte der Schmachtenden und Erschrockenen. Er hieß sie getrost herzu kommen, und an seinem brennenden Feuer sich wärmen, und erquickte sie auch mit Speise und Trank. Also gestärkt flohen sie weiter in die Nacht hinaus. Bei scheinendem Tageslicht bargen sie sich heut in Wäldern, morgen in hohen Kornfeldern. Berengar, als ihm die Flucht angesagt wurde, ward bleich vor Zorn und Schreck, ließ seine Reiter aufsitzen, und den Flüchtigen auf der entdeckten Spur nachjagen. Diese waren nun wie gehetzte Rehe ohne Ruhe und Athem vor ihren Verfolgern. Einstmals sauste die gewappnete Schaar neben dem Feld vorüber, da die Frauen wieder in hohem Korn ihr Versteck hatten. Weh! einige der Reiter halten an, und biegen, Verdacht schöpfend, mit ihren langen Speeren weithin die Halme zurück. Schon sehen die Geängsteten die blinkenden Lanzenspitzen wie Schlangen, durch die Aehren nach ihnen hin stechen; schon will der Schrei des Entsetzens verrätherisch laut werden: da werden die Speere zurück gezogen. Die Reiter, meinend, sie hätten sich getäuscht, werfen sich auf’s Roß, und jagen ihren Gesellen nach. Denn der Engel des Herrn war um die Flüchtlinge gelagert. Auch war nun das Ende ihrer traurigen Flucht vorhanden. Martin nämlich, der voraus geeilt, und seinem Bischof gemeldet, was geschehen, war von diesem mit einer großen Schaar Gewappneter der Königinn entgegen geschickt worden. Sie wurde bald gefunden, und in Mitten der bischöflichen Mannen sicher zur Burg Canossa geleitet. Sie sollte bald noch glücklichere Tage erleben. Der deutsche König Otto hatte die Kunde von der Frevelthat Berengars vernommen. Ritterlich und rasch, wie er war, eilte er mit mächtigem Heer und fliegendem Banner über die Alpen nach Italien hinab. Im Fluge nahm er die Burgen und Städte des Feindes, und zog triumphirend in Pavia ein. Mit glänzendem Geleit ließ er Adelheid herbei führen, und bot ihr ihren mit deutschem Schwert wieder gewonnenen Thron dar und zugleich seine Hand. Gern ward die junge königliche Wittwe ihres Erretters Gemahlinn, und schenkte ihm ihr Recht auf die italienische Königskrone.
Nachher theilte Adelheid mit Otto den hohen Glanz der deutschen Kaiserwürde. Ihre Milde hielt seine oft stürmische Kraft in Schranken, ihr kluger Rath ist ihm nicht selten ein Licht in Verlegenheit gewesen. Die fromme, glückliche, mit Kindern gesegnete Ehe dauerte 22 Jahre. und als Otto im Jahr 973 starb, verbarg sie ihren Wittwenschmerz in der Einsamkeit eines Klosters zu Quedlinburg. da ward sie eine Mutter der Armen und Elenden. Aber der Trost, den sie mit fürstlicher Freigebigkeit spendete, war ihr Ursache bittern Leides.
Ihr Sohn, Kaiser Otto II., war mit Theophania vermählt, einer stolzen Frau griechischen Herkommens, welche die deutsche Art nicht verstand. Sie neidete drum die rührende Liebe des Volkes zu ihrer alten Kaiserinn Adelheid, und suchte Ursache, ihr zu schaden. Das Herz ihres Gemahls wandte sie ränkesüchtig von de Mutter ab, durch die Beschuldigung, sie verschleudere die Güter, und hemme den Einfluß des Kaiser.
Gekränkt und tief betrübt, daß ihr die Liebe des Sohnes geraubt, und die Freude des Wohlthuns mißgönnt war, ging sie der unholdigen Schwiegertochter aus dem Weg. Sie nahm ihren Aufenthalt in Italien, und darnach bei ihrem Bruder Conrad im heimischen Burgund. Doch konnte Otto der verehrten Mutter nicht entbehren; die Kindesliebe brach durch alle Ränke hell hindurch. Er eilte zu ihr, und weinte heiße Thränen an dem treuen, selig bewegten Mutterherzen. Aber nur zu kurz war dies theure Glück. Der junge, ritterliche Kaiser wurde mitten aus weiten Plänen und großen Kämpfen durch den Tod 983 hinweggerafft.
Es kam eine verhängnisvolle Zeit. Des Kaisers Sohn, Otto III., war erst 3 Jahre alt beim Tode seines Vaters. Die Feinde gedachten sich diese rathlose Unmündigkeit zu Nutz zu machen; der gefährlichste war der Baiern-Herzog, des jungen Otto Oheim; er hatte Lust zur deutschen Königskrone.
Theophania, der Dinge nicht mächtig, war, ungeliebt vom Volk, nach Italien entwichen. Der Drang der Umstände beugte ihren Stolz, so daß sie bei ihrer Schwiegermutter Schutz suchte. Diese, wiewohl sie Sehnsucht nach klösterlicher Stille und verborgenen Liebesdiensten, gab nach, als sie auch von den Treuesten und Edelsten des Volkes dringend gebeten wurde, sich ihres Enkels und des hart bedrohten Reiches anzunehmen. Sie kehrte nach Deutschland zurück. Bald zeigte die glückliche Wendung der öffentlichen Angelegenheiten, wie viel ihr scharfer Blick und ihre muthige Entschlossenheit vermochte. unter dem Schirm der alten Kaiserinn gedieh das Reich und der Enkel, bis dieser, zum Jüngling herangewachsen, gleich seinem Vater und Großvater, an der Spitze eines stattlichen Heeres, nach Italien zog, um in Rom die deutsche Kaiserkrone auf sein Haupt zu setzen.
Da ging Adelheid, froh, daß sie es konnte, nach so hartem Tagewerk, in die Stille zurück. Das Reich, welches nicht von dieser Welt ist, war ihr Begehr. Dankbar ihrem Heiland für den Frieden dieser Hoffnung, wandte sie Kirchen und Klöstern reiche Schenkungen zu. In den letzten Tagen des Jahrhunderts ward ihr zu Theil, was sie geglaubt hatte. Am 16. Dezember 999 ging sie heim, und wurde im Kloster zu Selz bestattet. – Diese Adelheid war eine große Kaiserin, und, was noch größer ist, eine treue Magd des Herrn. –
Dr. Theodor Fliedner, Buch der Märtyrer, Verlag der Diakonissen-Anstalt zu Kaiserswerth, 1859