Gerhardt: Paulus G., lutherischer Prediger und nächst Luther der größte Dichter geistlicher Lieder deutscher Zunge (1607–1676), stammte aus Gräfenhainichen, in welcher damals kursächsischen Stadt sein Vater, Christian G., Bürgermeister war. Aus seinem Leben sind außer für die Geschichte seines Kampfes gegen die Edicte des großen Kurfürsten verhältnißmäßig nur wenige Daten bekannt; theilweise ist erst in neuester Zeit Sagenhaftes, das von ihm erzählt wurde, wieder von dem geschichtlich Beglaubigten ausgeschieden; für anderes sind jetzt wenigstens sichere Anhaltspunkte gewonnen. Daß er am 12. März 1607 und zwar alten Stiles (Die Gregorianische Kalenderreform von 1582, die zehn Tage übersprang, wurde in protestantischen Ländern erst 1700 eingeführt.) geboren (oder getauft) ist, wird auf sicherer Kunde beruhen, obschon diese Angabe, soweit unser heutiges Wissen reicht, erst im J. 1740 auftritt und bis zum J. 1866 eigentlich unbeachtet blieb. Seine Mutter war eine Enkelin des im J. 1570 als Hofprediger zu Dresden verstorbenen Gallus Döbler. Seinen Vater hat er wahrscheinlich früh verloren.
Vom 4. April 1622 bis zum 12. Decbr. 1627 war er Schüler der Fürstenschule zu Grimma; zwei Jahre vor ihm war sein Bruder Christian hier aufgenommen. Diese Schule zeichnete sich durch frommen Sinn und strenge Zucht aus; daß unser G. dort Lobenswerthes geleistet, beweist ein noch vorhandenes Zeugniß. Ob er zu denjenigen Schülern gehörte, welche, als im J. 1626 eine gefährliche Seuche in Grimma ausbrach, von der Erlaubniß, nach Hause zu reisen, Gebrauch machten, wissen wir nicht. Daß er am 2. Januar 1628 zu Wittenberg inscribirt wurde, sieht aus dem zu Halle (handschriftlich) vorhandenen Album jener Universität fest. Wittenberg war damals noch der Sitz einer gemäßigten und lebensvollen Orthodoxie, voll warmen Interesses für die Bedürfnisse der Kirche. Unter seinen dortigen Lehrern ist der Professor der Theologie Paulus Röber als besonderer Freund der Orgel und des geistlichen Liedes und auch als Dichter geistlicher Lieder bekannt. Eine andere Universität noch zu besuchen, mögen ihn unter anderm auch die traurigen Kriegszeiten gehindert haben; von Mitteln scheint er nicht ganz entblößt gewesen zu sein. Im J. 1642 wird er sich noch oder wieder in Wittenberg aufgehalten haben, da sich unter den gedruckten Gedichten, mit welchen der Hamburger Jacob Wehrenberg zu seiner am 26. April 1642 daselbst erfolgten Promotion beglückwünscht wurde, als letztes ein lateinisches Epigramm in vier Distichen von ihm befindet. Nicht viel später treffen wir ihn in Berlin an, wo er im J. 1643 seinem Freunde, dem Archidiaconus zu St. Nicolai, Joachim Fromm, zu seiner Hochzeitsfeier mit Sabina Barthold in einer Ode Glück wünschte; diese Ode ist das früheste deutsche Gedicht Gerhardt’s, dessen Entstehungszeit nachweisbar ist; die Schwester der Braut seines Freundes wurde später seine Frau. Daß er um diese Zeit und bis zum J. 1651 im Hause seines künftigen Schwiegervaters, des Kammergerichts-Advocaten Andreas Barthold, als Hauslehrer thätig gewesen sei, ist eine keineswegs sichere Annahme; nachweisbar ist nur, daß er im J. 1651 in diesem Hause zu Berlin wohnte. Er war bis dahin ohne Amt; im J. 1643 nennt er sich selbst noch einen Studiosen der Theologie, im J. 1651 wird er vom Berliner Ministerium (d. h. der lutherischen Stadtgeistlichkeit) als Candidat der Theologie bezeichnet. Wir werden auch hierfür die Erklärung in den allgemeinen Zuständen finden, die in Folge des langen Krieges eingetreten waren; wird uns doch nicht nur berichtet, daß viele Gemeinden gänzlich zerstört waren, sondern auch, daß in anderen aus Mangel an Einkünften für die geistlichen stellen diese jahrelang unbesetzt blieben oder doch nur von einem Studiosen aushülfsweise verwaltet wurden.
Daß G. nicht unthätig gewesen und nicht unbekannt geblieben war, davon zeugt das Schreiben des genannten Ministeriums aus dem J. 1651, in welchem dieses dem Magistrat zu Mittenwalde, der sich an dasselbe wegen eines Nachfolgers für den verstorbenen Propst Göde gewandt hatte, eben unsern G. zu dieser Stelle warm empfiehlt. Der letztere wird hier als eine Person bezeichnet, „deren Fleiß und Erudition bekannt, die eines guten Geistes und ungefälschter Lehre, dabei auch eines sehr friedliebenden Gemüthes und christlich untadelhaften Lebens ist, daher er auch bei Hohen und Niedrigen unseres Ortes lieb und werth gehalten und von uns allezeit das Zeugniß erhalten wird, daß er auf unser freundliches Ansinnen zu vielen Malen mit seinen von Gott empfangenen werthen Gaben um unsere Kirche sich beliebt und wohlverdient gemacht hat.“ Der Schluß dieses Zeugnisses kann nur darauf gehen, daß G. in Berlin oftmals die Prediger auf der Kanzel vertreten hat; womit er sich sonst beschäftigt, bleibt beim Mangel jedes genaueren Hinweises darauf ungewiß; wahrscheinlich ist, daß er Unterricht ertheilt hat. Daß einzelne Ausdrücke in seinen Liedern allenfalls auch darauf weisen, daß er wol Feldprediger könne gewesen sein, ist an sich kaum zuzugeben; weitere Folgerungen hieraus zu ziehen, ist gewiß zu gewagt. Doch daß er damals schon als Dichter geistlicher Lieder bekannt gewesen sein muß, darf nicht unerwähnt bleiben; er hatte nicht nur seine Theilnahme an freudigen und traurigen Erlebnissen im Kreise der ihm befreundeten Familien in manchem ernsten Gedichte ausgesprochen, wie uns dergleichen aus den J. 1643–51 noch fünf gedruckt vorliegen, sondern in dem Johann Crüger’schen Gesangbuche von 1648 (praxis pietatis melica) sind schon 18 seiner Kirchenlieder aufgenommen, von denen einzelne auch schon früher gedruckt sein können, und von anderen Liedern Gerhardt’s, die für unsere heutige [776] Kenntniß zuerst in späteren Drucken vorliegen, wird mit mehr oder weniger Wahrscheinlichkeit angenommen, daß sie auch aus dieser Zeit sind. Johann Crüger, Cantor an der Nicolai-Kirche und Lehrer am Gymnasium zum grauen Kloster in Berlin, gehörte zu dem Kreise, in welchem sich G. damals bewegte und ist nicht unwahrscheinlich mit ihm befreundet gewesen, vgl. über ihn Bd. IV, S. 623 f. Crüger kann die Gerhardt’schen Lieder in dieser Anzahl wol nur von ihm selbst erhalten haben; die späteren Auflagen seines Gesangbuchs enthalten dann noch mehr Lieder Gerhardt’s; er hat sie in den Gemeindegebrauch eingeführt, wie auch die Melodien zu ihnen zum Theil von ihm herrühren.
In Folge des erwähnten Zeugnisses erhielt G. den Ruf nach Mittenwalde; am Dienstag, den 18. November 1651, wurde er in Berlin als Propst der Kirche zu Mittenwalde ordinirt. Bei dieser Gelegenheit schrieb er in das „Verzeichniß der Ordinanden“, daß die in den symbolischen Büchern der lutherischen Kirche einschließlich der Concordienformel enthaltene Lehre „sich auf die deutlichsten und festesten Zeugnisse der prophetischen und apostolischen Schrift gründe, und daß er bis an sein Lebensende, wenn Gott ihm gnädig sei, bei ihr unverrückt bleiben wolle“. In Mittenwalde soll ihm der bei seiner Berufung übergangene Diaconus das Leben schwer gemacht haben; auch sonst sollen die Verhältnisse ungünstig gewesen sein.
Am Sonntage, den 11. Febr. 1655, wurde G. zu Berlin mit Anna Maria Barthold (geb. den 19. Mai 1622) getraut; es mag dann auch einem Wunsche seiner Frau entsprochen haben, daß er im J. 1657 einen Ruf nach Berlin mit großer Freude annahm. Als nämlich hier der Propst Vehr zu St. Nicolai gestorben und der Archidiaconus Lilius in dessen Stelle gewählt war, bot der Magistrat G. das erledigte Diaconat an, der, als er im Juli 1657 das neue Amt antrat, wohl nicht ahnte, welche Schwierigkeiten ihm in dieser Stellung bereitet werden würden. Während seines nicht einmal 6jährigen Aufenthaltes in Mittenwalde hat er ungefähr die Hälfte der Lieder, die wir von ihm kennen, gedichtet. G. stand in Berlin in gutem Andenken; er hat hier in den ersten Jahren sein neues Amt in Frieden zum Segen seiner Gemeinde und unter wachsender Beliebtheit geführt; er ist auch unschuldig an dem erneuten Ausbruch des Streites zwischen Lutheranern und Reformirten, der nun bald erfolgte, hat aber dann freilich, als der Streit entbrannt war, als lutherischer Geistlicher, wie es Amt und Gewissen von ihm forderten, so offen und entschieden in ihm Stellung genommen, daß auch er von den Folgen desselben hart getroffen wurde.
Was gerade damals im einzelnen der Kampf, der seit dem Uebertritt des Kurfürsten Sigismund zur „reformirten Religion“ in Brandenburg nie völlig geruht hatte, hier wieder so heftig ausbrechen ließ, ist nicht ganz klar; die Vorgänge in Berlin standen mit den kirchlichen Bewegungen im übrigen Deutschland in Wechselwirkung. Namentlich hatte der, wie sie die Sache ansehen mußten, für die Lutherischen schimpfliche Ausgang des Casseler Religionsgespräches vom J. 1661 die Wittenberger und alle am Bekenntniß haltenden Lutheraner in eine große Erregung gebracht. Der große Kurfürst, welcher nach dem Frieden vom J. 1660 seine Sorge den inneren Angelegenheiten seiner Länder zuwandte, hatte befohlen, daß in den Berliner Magistrat auch reformirte Mitglieder aufgenommen werden sollten; dieses und anderes empfanden die Lutheraner als einen Eingriff in ihre Rechte, und sie befürchteten noch weitere Einbußen. Einzelne lutherische Prediger ließen sich maßlose Angriffe gegen die Reformirten namentlich auf der Kanzel zu Schulden kommen, wie sie doch schon durch das Edict Sigismund’s vom J. 1614 streng untersagt waren; als ein besonders heftiger Eiferer wird ein College Gerhardt’s, der Prediger Reinhart, genannt. Nun erließ Kurfürst Friedrich Wilhelm am 2. Juni 1662 ein Mandat, in welchem er das Edict von 1614 erneuert und „das unselige Verdammen und Verketzern auf der Kanzel“ untersagt. Da er aber in dieser gut gemeinten und im übrigen vortrefflichen Verordnung „die evangelisch-reformirte Religion“ schlechthin als die „wahre“ bezeichnete und auch als seine Hoffnung aussprach, daß dereinst, wenn Gott „die völlige Erleuchtung“ gebe, sich alle seine Unterthanen zu dieser wenden würden, so war die Folge, daß die Lutheraner in ihrem Mißtrauen gegen seine Maßnahmen und ihrem Widerwillen gegen die Reformirten nur bestärkt wurden. Der nach seiner Ansicht günstige Ausgang des Casseler Colloquiums veranlaßte ihn darauf, auch seinerseits ein Colloquium zwischen seinen reformirten Hofpredigern einerseits und den lutherischen Ministerien von Berlin und Cöln an der Spree andererseits zu veranlassen; und an demselben Tage, an welchem er den Befehl hiezu an das Consistorium sandte, dem 21. August 1662, erließ er auch ein Verbot für alle Brandenburger, welche Theologie und Philosophie studiren wollten, die Universität Wittenberg zu besuchen, was zu hindern er freilich nach der Bestimmung des westfälischen Friedens nicht befugt war.
Die Ministerien waren zuerst Willens, das Colloquium abzulehnen; wir haben noch Gerhardt’s motivirtes Bedenken gegen dasselbe. In den Verhandlungen, die nun stattfanden, und bei dem Colloquium selbst, welches doch zu Stande kam, lernen wir G. als einen tüchtig geschulten und in der lutherischen Dogmatik und Polemik gründlich bewanderten Theologen kennen; wenn seine Gutachten auch nach der Weise jener Zeit in einer uns wenig ansprechenden Form und einem wunderbaren Gemisch von Lateinisch und Deutsch, bei welchem das letztere sich namentlich steif und ungewandt ausnimmt, abgefaßt sind, so fehlt es ihnen doch nie an Klarheit und Scharfsinn, und er scheint eben um seiner hervorragenden theologischen Bildung willen ganz besonders mit der Ausfertigung der Antworten und Vorlagen abseiten der lutherischen Ministerien betraut worden zu sein. Wer ihn nur aus diesen Arbeiten kennte, würde freilich schwerlich auf die Meinung kommen, daß derselbe Mann auch im Stande sein könnte, vortreffliches als Dichter zu leisten.
Das Colloquium, welches in siebzehn Sitzungen vom 1. September 1662 bis zum 29. Mai 1663 stattfand, hatte den beabsichtigten Erfolg, die Lutheraner und Reformirten einander näher zu bringen, in keiner Weise; im Gegentheil, der Erfolg war nur eine größere Gereiztheit auf beiden Seiten. Die von dem Kurfürsten befohlene Fortsetzung desselben unterblieb deshalb auch, und so sah sich der letztere dann veranlaßt, am 16. Septbr. 1664 ein abermaliges Edict zu erlassen, welches schärfer als das vorige den reformirten und lutherischen Predigern und Lehrern „bei Vermeidung der Remotion von ihrem Amte, auch dem Befinden nach anderer Animadversion und Bestrafung“ befahl, sie sollten einander nicht schelten und verunglimpfen, „noch auch streitige Consequentien, welche sie beiderseits nicht geständig, als ihre eigentlichen Lehren ihnen aufbürden noch beimessen, am allerwenigsten aber auf die Kanzel bringen“. In diesem Edict befahl der Kurfürst außerdem, daß wenn jemand sein Kind ohne Exorcismus taufen lassen wollte, „der desfalls angesprochene Prediger ohne Erwartung ferneren Befehls die Taufe also verrichten solle“. Dieses Edict erregte nun eine Bewegung unter den lutherischen Geistlichen vor allem in Berlin, wie sie noch nicht dagewesen war; man sah den lutherischen Glauben durch dasselbe gefährdet; das Verbot der Polemik wurde als eine Behinderung, den eigenen Glauben zu bekennen, empfunden; die Päpstler genössen größerer Protection abseiten des Kurfürsten als die Lutheraner. Und soviel war ja außer Frage, daß es sich um eine Gleichstellung, wenn nicht um eine Bevorzugung der Reformirten in einem bis zum Uebertritt Sigismund’s durchweg lutherischen Lande handelte, die der lutherischen Kirche nicht gleichgültig sein konnte.
Diese unleugbare Gefahr für seine Kirche, in der er geboren und erzogen und der er mit Herz und Kopf zugethan war, rechtfertigt auch Gerhardt’s Verhalten in diesen Kämpfen. Eine Eingabe der lutherischen Geistlichen an den Kurfürsten, welche auch von G. unterzeichnet ist, in welcher sie bitten, ihnen nichts zuzumuthen, was sie von der gesammten lutherischen Kirche trennen würde und aus welcher ihre Gewissensnoth aus jeder Zeile ersichtlich ist, sandte der Kurfürst, der von seinem reformirten Standpunkt aus sich in ihre Bedenken garnicht hineinversetzen konnte, sehr ungnädig zurück; er verlangte nun, daß sich sämmtliche Prediger durch Unterschreibung von Reversen verpflichten sollten, dem Inhalte dieses und der früheren Edicte nachleben zu wollen, widrigenfalls sie ihrer Aemter zu entsetzen seien. Jetzt wandten sich die Geistlichen in ihrer vermehrten Angst an die theologischen Facultäten zu Helmstädt, Jena, Leipzig und Wittenberg und an die Ministerien zu Hamburg und Nürnberg, indem sie ihnen Exemplare des Edictes vom 16. Sept., das im ganzen Lande verbreitet worden war, zusandten, und fragten, ob man sich Gewissenshalber durch einen Revers verpflichten könne, dem Edicte nachleben zu wollen. Von diesen erbetenen Gutachten fiel nur das Nürnberger dem Edicte günstig aus; dieses soll den Johann Fabricius zum Verfasser haben, einen Theologen, der der sogen. Melanchthon’schen Richtung zugethan war; die Helmstädter durften nicht antworten; alle übrigen sprachen sich mehr oder weniger entschieden gegen die Forderungen des Edictes oder die Motive zu denselben aus und wiesen auf die gefährlichen Folgen hin, die es haben müßte, demselben auf die Weise, wie es verlangt sei, nachzukommen.
Der Kurfürst vermerkte es besonders übel, daß sein Edict auswärtigen Collegien zur Censur übersandt war, und befahl nicht nur den Geistlichen, die erhaltenen Antworten in einer dazu auf den 28. April 1665 angesetzten Sitzung seines Consistoriums im Original abzuliefern, sondern zugleich, nunmehr alsbald ihnen den schon früher geforderten Revers abzunehmen; und an diesem Tage wurden dann, um ein Exempel zu statuiren, auf ausdrückliches Verlangen des Kurfürsten, der Propst Lilius und der Prediger Reinhart, beide Collegen Gerhardt’s an der Nicolaikirche, von ihren Aemtern removirt; der erstere, weil die anderen sich in ihrem amtlichen Verhalten hauptsächlich nach ihm richteten, der andere, weil er vor allem die anderen vom Revers abhalte. Eine Bittschrift des Magistrats der Stadt Berlin, neue Eingaben der Prediger, in deren einer sie ihre Gewissensbedenken gegen das Edict ausführlich wieder darlegten, ja selbst mehrfache auf die Streitpunkte genau eingehende Verwendung der Stände für die abgesetzten Prediger erreichten nur, daß dem Lilius wegen seines hohen Alters noch Bedenkzeit gegeben wurde; Reinhart, der auch schon früher durch seine Heftigkeit Anstoß gegeben hatte, blieb abgesetzt und fand hernach in Leipzig eine neue Stellung. Lilius ließ sich später, namentlich durch ein Schreiben seines in Baireuth als Hofprediger lebenden Sohnes bewegen, erst mündlich und hernach am 3. Januar 1666 schriftlich zu geloben, dem Edicte gemäß leben zu wollen, allerdings mit dem Vorbehalt, „nach wie vor bei erkannter und bekannter rein-lutherischer Lehr und Glauben“ zu verbleiben. Der Kurfürst residirte damals in Cleve. In seinem Schreiben an das Consistorium zu Berlin, durch welches Lilius wieder eingesetzt wird, – es ist vom 31. Jan./10. Febr. (n. St.) 1666 datirt, – heißt es am Schlusse: „und weil wir uns erinnern, daß noch mehr vorhanden, so den Revers nicht von sich gegeben, von denen insonderheit der Pfarrer zu St. Nicolai Paulus G. die andern nicht wenig von Unterschreibung des Reverses dehortiret, als befehlen wir euch gnädigst, denselben von euch zu fordern und zu Ausstellung des Reverses, daß er unsern Edicten gehorsamst nachkommen wollen, anzuhalten, und da er solches zu thun sich verweigert, ihn gleichfalls mit der Remotion zu bedräuen, welche ihr dann auch, da er solche beständig verweigern wird, in unserm Namen anzudeuten“. Am 6./16. Februar forderte das Consistorium G. vor und verlangte, daß er den „gewöhnlichen Prediger-Revers“ ausstellen solle; als G. erklärte, das nicht zu können, und die ihm angebotene achttägige Bedenkzeit nicht annahm, da er sich schon längst bedacht habe und wol nicht ändern werde, wurde ihm sogleich im Namen des Kurfürsten die Remotion angesagt. Das Consistorium meldete dem Kurfürsten diesen Ausgang am 13./23. Februar.
Die Bestürzung über die Absetzung Gerhardt’s war um so größer, als er ganz besonders geachtet und beliebt war und Niemand fassen konnte, wodurch der sanfte und friedliebende Mann dem Kurfürsten solchen Anstoß gegeben. Die Vorsteher der Gewerke wandten sich an den Rath, derselbe wolle beim Kurfürsten vermitteln, daß dieser „fromme, ehrliche und in vielen Landen berühmte Mann“ ihnen möge gelassen werden; es sei „mehr als bekannt, daß dieser Mann nimmermehr wider seiner kurfürstlichen Durchlaucht Glauben oder deren Genossen geredet, geschweige geschmähet hätte, sondern er hat alle und jede zum wahren Christenthum durch Leben und Lehre bis dato geführet und keine Seele mit Worten oder Werken angegriffen“. Der Rath von Berlin verwandte sich darauf auch schon in einem Schreiben vom 13./23. Februar bei dem Kurfürsten für G.; er sagt unter anderm: „Freilich ist es an dem, daß vielbesagter Herr G. sich allemal in seinen Predigten also erwiesen, daß er Ew. kurfürstl. Durchlaucht Religion niemals mit einem Worte gedacht, zu geschweigen, daß er auf dieselbe geschmähet oder gescholten haben sollte; und wie sein Leben darauf bestanden, also daß wir beider Religionen Zugethane ihm wohl das Zeugniß geben können, daß er bishero einen untadelhaften Wandel ohne einige Aergerniß gegen jedermann geführet, sogar daß auch Ew. kurf. Durchl. kein Bedenken tragen lassen, in dero Märkisches Gesangbuch, so unter dero hohen Namen im J. 1658 allhier ausgegangen, seine geistlichen Gesänge oder Lieder, deren eine ziemliche Anzahl, im Druck zu geben und publiciren zu lassen“. In einem späteren Schreiben der Gewerke an den Rath zu Berlin in derselben Angelegenheit heißt es: „Es ist doch eine große Angst das Gewissen; es lässet sich zwar weder sehen noch hören, aber die Empfindlichkeit hat man Tag und Nacht; dahero auch fr. kurf. Durchl. so hochlöblich aller dero Unterthanen Gewissen ungekränket freilassen und behalten wollen, so gar daß sie auch Katholiken, Juden, Wiedertäufer und Weigelianer in ihren Landen ohne einige Subscription dulden und leiden; warum sollen denn wir Lutheraner und unsere Prediger, die wir keine Untreue erwiesen, sondern bei fr. kurf. Durchl. zu Kriegs- und Friedens-Zeiten Gut, Ehr’ und Blut angesetzet und noch aufzusetzen uns hiemit erklären, deterioris conditionis sein?“
Obwol der Kurfürst anfänglich nichts davon wissen wollte, daß G. ein so friedliebender Mann sei und sich keinerlei Schmähungen der Reformirten habe zu Schulden kommen lassen, auch nicht zugab, daß der geforderte Revers ihm Gewissensbedenken machen könne, so machte doch schließlich das wiederholte Zeugniß des Magistrates und die Verwendung der Stände, die sich bei diesem Anlaß überhaupt über sein willkürliches Kirchenregiment beklagten, auf ihn Eindruck und, nachdem er nach Berlin zurückgekehrt war, ließ er am 9./19. Jan. 1667 dem Magistrat mündlich durch den Oberpräsidenten Otto von Schwerin anzeigen, daß er dafür halten müsse, G. habe die Meinung der Edicte nicht recht begriffen, und daß er ihn, weil er sonst keine Klage wider ihn vernommen, wieder in sein Amt einsetze. Noch an demselben Tage erhielt G. durch einen Geheimsecretär des Kurfürsten Mittheilung hievon, jedoch mit dem Zusatze, der Kurfürst lebe der Zuversicht, daß G. sich auch ohne Revers seinen Edicten gemäß zu bezeigen wissen werde. Dieser Zusatz, den G. als dem Sinne des Kurfürsten entsprechend ansah, obschon ihm von anderer Seite mitgetheilt war, er sei „ohne alle Subscription und Condition“ wieder eingesetzt, machte ihm nun aber gerade neue Bedenken; er hielt ja eben den Gehorsam gegen die Edicte für unvereinbar damit, „daß er bei allen seinen lutherischen Glaubensbekenntnissen und namentlich bei der Concordienformel gelassen werde“.
Obschon er deshalb vorläufig einen Theil seiner Amtsverrichtungen wieder wahrnahm, so bat er doch den Magistrat um seine Fürsprache bei dem Kurfürsten, daß ihm unter Erlassung des Gehorsams gegen die Edicte gestattet werden möge, bei den Bekenntnissen seiner Kirche zu verbleiben. In einem unmittelbaren Schreiben an den Kurfürsten legte er dann diesem die ganze Noth seines Gewissens offen dar. Aber diese Gewissensbedenken des Lutheraners machten auf den Kurfürsten von seinem Standpunkte aus keinen Eindruck; er antwortete am 4./14. Februar dem Magistrate, wenn G. sein Amt nicht wieder antreten wolle, so möge der Magistrat für eine anderweitige Besetzung seiner Stelle sorgen. Hiermit war für G. die Sache entschieden. Der Magistrat hoffte anfangs freilich, daß G. noch werde wieder sein Amt übernehmen können, und zögerte darum mit der Wiederbesetzung der stelle so lange als irgend möglich; das geschah auch aus dem Grunde, wie angegeben wird, um G. den theilweisen Genuß des Einkommens belassen zu können. –
G. blieb zunächst ruhig in Berlin; was davon berichtet wird, daß er aus der Stadt ausgewiesen sei, ist ebenso ungeschichtlich wie die weiteren Erzählungen von seinen Erlebnissen auf der Flucht mit Weib und Kindern. Er litt auch äußerlich keinen Mangel; nicht nur sorgte seine Gemeinde freiwillig für ihn, sondern der Herzog Christian zu Sachsen-Merseburg setzte ihm auch, als G. einer Berufung nach Merseburg nicht folgte, für die Zeit seiner Amtlosigkeit einen Jahresgehalt aus.
Ueber den Fortgang dieses kirchlichen Streites sei hier nur in der Kürze erwähnt, daß der Kurfürst auf wiederholte Eingaben der Stände am 6. Juni 1667 auf die Ausstellung der Reverse verzichtete und am 6. Mai 1668 in einer Declaration seine Edicte in einer solchen Weise einschränkte, daß G. sich wol mit ihnen hätte befreunden können; die Erwähnung der streitigen Lehrpunkte auf der Kanzel und die Vertheidigung der eigenen Kirchenlehre solle nicht verboten sein, sondern nur das lieblose Verketzern und Verdammen der Anderslehrenden; daß G. sich dieses aber niemals hatte zu Schulden kommen lassen, ist durch ausdrückliche Zeugnisse festgestellt. Obschon G. diese ihm günstige Wendung der Dinge noch in Berlin erlebte, ist an eine Wiedereinsetzung in sein Amt dann doch wol von keiner Seite gedacht. Die Art, in welcher der Kampf theilweise schon vor seinem Rücktritt geführt und dann namentlich nach demselben vom Magistrat und einigen Predigern fortgeführt war, konnte ihm nicht gefallen. Er hatte außerdem auch anderes Leid zu tragen. Von seinen fünf Kindern, zwei Töchtern und drei Söhnen, starben vier sehr früh; nur ein Sohn, sein viertes Kind, der im August 1662 geborene Paul Friedrich, überlebte ihn; am 5. März 1668 starb auch seine Frau, erst 46 Jahre alt. –
Seit seiner Anstellung in Berlin im J. 1657 hat er von den 120 Liedern, welche die erste Gesammtausgabe derselben umfaßt, wahrscheinlich noch 32 gedichtet; in die Zeit nach seiner Remotion im Februar 1666 fällt dann die Herausgabe dieser Sammlung seiner Lieder durch Johann Georg Ebeling, vgl. Bd. V, S. 525, welche zuerst in den J. 1666 und 67 (nicht 1662) in Frankfurt a. d. O. und Berlin erschien; es ist undenkbar, daß G. bei ihr nicht irgendwie betheiligt gewesen sein sollte, wie denn Ebeling die früher nicht gedruckten Lieder Gerhardt’s doch auch höchst wahrscheinlich von ihm selbst erhalten hat. Auch sonst war G. nicht ohne mannigfache Thätigkeit; es hat die Vermuthung, daß er Unterricht ertheilt habe, manches für sich. Dennoch sehnte er sich von Berlin fort. Als deshalb im September 1668 an ihn die Anfrage aus Lübben in der Niederlausitz, welche damals zu seiner Heimath Kursachsen gehörte, erging, ob er das dortige Archidiaconat übernehmen und zu dem Zwecke daselbst eine Gastpredigt halten wolle, kam er dieser Einladung nach; am 4./14. October predigte er dort und erklärte sich dann Tags darauf zur Annahme der stelle bereit unter der Bedingung, daß seine Amtswohnung, die sich in einem traurigen Zustande befand, vorher genügend restaurirt werde. Als dann die förmliche Wahl ihm angezeigt war, nahm er dieselbe von Berlin aus am 6. November an. Der Amtsantritt verzögerte sich aber und zwar größtentheils wegen der Lässigkeit, mit welcher der Bau betrieben wurde, bis zum Juni des folgenden Jahres. In der Zwischenzeit war auch seine Schwägerin, die schon erwähnte Ehefrau des Predigers Fromm, die als Wittwe ihm sein Hauswesen geführt hatte, gestorben, was ihn auch seinerseits länger, als er gewollt hatte, in Berlin aufhielt. In Lübben hat er dann noch sieben Jahre gewirkt; an trüben Erfahrungen hat es ihm auch dort nicht gefehlt; am 7. Juni 1676 ist er daselbst in seinem 70. Jahre gestorben (oder begraben). Kurz vor seinem Tode setzte er für seinen einzigen überlebenden, damals 14jährigen Sohn eine Art Vermächtniß auf, in welchem er ihm goldene Lebensregeln gibt und ihn namentlich zur Treue gegen seine Kirche ermahnt.
Es ist in dieser Uebersicht des Gerhardt’schen Lebens nicht des Einflusses gedacht, den die fromme Gemahlin des Kurfürsten Louise Henriette auf seine Restituirung im Januar 1667 gehabt; was darüber erzählt wird, scheint nur Vermuthung zu sein. Obwol sie, die ja selbst geistliche Lieder dichtete, G. höchst wahrscheinlich persönlich, jedenfalls aber aus seinen Liedern kannte, wie schon daraus folgt, daß ihre Lieder zuerst mit Gerhardt’schen in dem Runge’schen Gesangbuche vom J. 1653 erschienen, und obwol bekannt ist, daß der Kurfürst gern auf ihren Rath hörte, so läßt sich doch weder von ihr noch von dem ihr eng befreundeten Oberpräsidenten Otto von Schwerin, der gleichfalls ein tieffrommer Mann war und wie sei geistliche Lieder verfaßte, nachweisen, daß sie sich für G. beim Kurfürsten verwandt hätten; und Schwerin war als rechte Hand des Kurfürsten und als Vorsitzender des Consistoriums gerade derjenige, durch den die Befehle und Antworten des Kurfürsten in der Gerhardt’schen Sache ergingen. Ob das mit beider streng reformirten Standpunkt zusammenhängt, oder ob nur für uns wegen mangelnder Nachrichten darüber nicht mehr erkennbar ist, was sie für G. zu thun versuchten, muß dahingestellt bleiben; daß beiden die Milde und echte Frömmigkeit Gerhardt’s ebensowenig wie seine einzigartige Bedeutung als Dichter verborgen bleiben konnte, darf gewiß gesagt werden. Auch das möge hier noch ausdrücklich erwähnt werden, daß wir nicht wissen, was den Kurfürsten bewogen hat, in seinem Erlaß vom 31. Januar 1666 aus Cleve plötzlich ein so scharfes Vorgehen gegen G. zu verlangen; aus der Art, wie G. in einem seiner Lieder sich darüber äußert, „daß man ihn an hohen Orten… mit bösen, falschen Worten sehr übel angebracht“, muß wol geschlossen werden, daß Neider ihn verleumdet haben.
Als Dichter geistlicher Lieder sieht G. auf einer Höhe, die seither nicht wieder erreicht ist. Die Wahrheit und die Innigkeit seiner Empfindungen, die Gewißheit seines Glaubens, das Volksmäßige und dabei die schöne Sprache und Form, in welcher letztern Hinsicht die durch Martin Opitz in der deutschen Litteratur verursachte Bewegung für ihn nicht ohne merkbaren Einfluß gewesen ist, haben seinen Liedern gleich, als sie bekannt wurden, die Herzen aller deutschen evangelischen Christen, gleichviel welcher Confession, geöffnet und lassen einen großen Theil derselben auch heute noch mit Recht zu den bekanntesten und beliebtesten gehören. Viele von ihnen sind deshalb von Anfang an in die Kirchengesangbücher aufgenommen und gleich den besten Liedern aus der Reformationszeit seitdem Gemeingut der deutschen evangelischen Christenheit geworden. Wir erinnern nur an die Lieder: „Befiehl du deine Wege“, „Ein Lämmlein geht und trägt die Schuld“, „Ich singe dir mit Herz und Mund“, „Ist Gott für mich, so trete“, „O Haupt voll Blut und Wunden“, [782] „Sollt’ ich meinem Gott nicht singen“, „Zeuch’ ein zu deinen Thoren“. Man könnte aus seinen Liedern ein vollständiges Gesangbuch zusammenstellen, so sehr umfassen sie alle kirchlichen und häuslichen Verhältnisse, wovon ihre Anordnung in der Ausgabe Wackernagel’s ein deutliches Bild gibt; eben gerade neben den classischen Liedern des 16. Jahrhunderts und mit mehr Recht als die schönsten aus der Zeit nach G. werden gerade seine besten Lieder den Grundstock des deutschen evangelischen Gesangbuchs aller Zeiten bilden; das ist der ihnen gebührende Ruhm. Sie haben ihren ganz eigenthümlichen Charakter. Es ist nicht mehr vor allem die bekennende Gemeinde, die auch im Liede die ewigen Grundwahrheiten des Evangeliums bezeugt, wie in den Tagen der Reformation; der Sänger spricht schon zunächst im eigenen Namen; während Luther singt: Ein’ feste Burg ist unser Gott, und betet: Erhalt uns Herr bei deinem Wort, heißt es bei G: „Ist Gott für mich, so trete“; „Mein erst Gefühl sei Preis und Dank“. Palmer hat es mit Recht in dieser Hinsicht als bezeichnend gefunden, daß etwa der achte Theil aller Lieder Gerhardt’s mit Ich anfängt, während kein Lied Luther’s so beginnt. Gerhardt’s Lieder sprechen seine eigenen persönlichen Erfahrungen aus, wie denn auch wahrscheinlich ein noch größerer Theil von ihnen, als diejenigen sind, von denen wir es noch jetzt wissen, in einem ganz speciellen Erlebniß im Kreise seiner Familie und Freunde ihren Anlaß haben. Aber doch ist unter seinen Liedern, soweit sie wenigstens zu seinen Lebzeiten in die Gesangbücher oder die Sammlung derselben aufgenommen sind, keines, in welchem nicht das persönliche Erlebniß so durch die Beziehung auf die ewigen Wahrheiten des christlichen Glaubens verklärt ist, daß es einen allgemein gültigen Charakter erhält; die irdische Schale der jedesmaligen Empfindung ist abgestreift, nur der ewige Wahrheitsgehalt ist geblieben; so können alle, die sich in ähnlichen Lagen befinden, ihre Gedanken und Empfindungen in ihnen ausgesprochen finden, falls nur die Voraussetzung des Sängers, die unumstößliche Wahrheit der evangelischen Lebensanschauung, auch die ihrige ist. In dieser Hinsicht haben seine Lieder Aehnlichkeit mit den Psalmen. Und wenn man mit Recht gesagt hat, Gerhardt’s Leben liege in seinen Liedern, so ist man doch auch oft im Suchen und Finden der persönlichen Beziehungen im Leben des Sängers fehlgegangen, wie hernach die Entdeckung früherer Drucke oder anderes bewies. Dichtete er auch nicht wie im Namen der Kirche selbst, so doch auch nicht als ein einzelner Mensch, sondern vor allem als ein lebendiges Glied der Kirche. Die erste Gesammtausgabe seiner Lieder, die schon oben genannte Ebeling’sche, umfaßte 120; in neuerer Zeit hat man außerdem noch 11 deutsche und 5 lateinische Gedichte von ihm entdeckt, welche recht eigentlich Gelegenheitsgedichte sind. Unter den späteren Ausgaben ist die von Johann Heinrich Feustking, zuerst Zerbst 1707 erschienen, deshalb wichtig, weil dieser Herausgeber den Text „nach des seligen Autors eigenhändigem revidirten Exemplar mit Fleiß übersehen“ zu haben erklärt; in der Vorrede dieser Ausgabe befindet sich auch das erwähnte Vermächtniß Gerhardt’s an seinen Sohn zum ersten Male abgedruckt. Der Text der Lieder in den ältesten Drucken bei Crüger oder Runge, dann bei Ebeling und endlich bei Feustking weicht nicht selten von einander ab, und es ist oft schwer zu entscheiden, welches wol der echte Gerhardt’sche sein mag; G. mag auch selbst Ueberarbeitungen vorgenommen haben. Eine äußerst genaue kritische Ausgabe, in welcher alle verschiedenen Lesarten vermerkt und der älteste Text der Lieder thunlichst festgestellt ist, hat J. F. Bachmann, Berlin 1866, besorgt; neue Titelausgabe 1877; hier sind außer den 131 deutschen auch die 5 lateinischen Gedichte abgedruckt. Auch die ältesten Drucke und früheren Ausgaben seiner Lieder sind hier vollständig verzeichnet und beurtheilt. In der Angabe der weiteren Litteratur über ihn ergänzt Bachmann die früheren Mittheilungen von E. C. G. Langbecker, Leben und Lieder von Paulus G., Berlin 1841. In diesem letzteren Werke sind die Urkunden über Gerhardt’s Kampf gegen die Edicte ausführlich mitgetheilt und nach ihnen sein Leben erzählt. Aehnliches leistet die Ausgabe von Schulz, Berlin 1842. Die sämmtlichen deutschen Lieder mit einer vortrefflichen biographischen und litterarischen Einleitung hat Karl Goedeke im J. 1877 als XII. Bd. der deutschen Dichter des 17. Jahrhunderts bei Brockhaus herausgegeben; diese Ausgabe ist wegen der Correctheit des Textes und der übrigen Zuthaten für den Gebrauch in weiten Kreisen jetzt am meisten zu empfehlen, während dem gelehrten Bedürfniß mehr die Bachmann’sche Ausgabe genügt. Sehr schön und brauchbar sind auch die seit 1843 wiederholt und in verschiedenen Formaten in Stuttgart und zuletzt in Gütersloh erschienenen Ausgaben von K. E. P. Wackernagel, in welchen freilich der Text und die Angaben über die Entstehungszeit der Lieder festgestellt sind, ehe die mitunter abweichenden Resultate der neueren Forschungen bekannt waren. (Wildenhahn’s Paul G. ist eine auf historischen Forschungen sich gründende, aber im einzelnen frei erfundene Erzählung.)
Bertheau.