Ludwig IX. wurde seinem Vater, Ludwig VIII. (damals noch Dauphin von Frankreich), in demselben Jahre (1215) geboren, in welchem Papst Innocenz III. auf der 4. Lateransynode den Gipfelpunkt päpstlicher Macht und päpstlichen Glanzes feierte, und durchlebte die Zeit, in welcher das Papstthum seinen Kampf um die Weltstellung mit Kaiser Friedrich II. führte. Sein Großvater Philipp und sein Vater dienten dem Papstthume mit ihren Zügen gegen die Albigenser, während ihm seine kluge und fromme Mutter Blanca in der Stille die sorgfältigste Erziehung angedeihen ließ. Kaum 11 Jahre alt, fiel ihm die Krone zu, als seinen Vater nach der Belagerung von Avignon der Tod ereilte (1226). Wie die Frömmigkeit der Mutter des Königskindes Seele hütete, so wußte ihre Klugheit ihm die Krone zu bewahren gegen die aufrührerischen Barone des Reichs. In diesen Kämpfen zeigte der 13jährige König, der sich nicht abhalten ließ, sein Heer zu begleiten, einen solchen Muth und solche Festigkeit des Charakters, daß die Feinde seines Thrones den Muth verloren und Frieden und Verzeihung suchten.
Im 19. Jahre seines Alters trat Ludwig die Regierung selbständig an und vermählte sich bald darauf mit Margarete, der ältesten Tochter des Grafen Raimond von der Provence, welche ebensosehr wegen ihres unerschrockenen Muthes als wegen ihrer Frömmigkeit von den Zeitgenossen geehrt wurde. Wenn aber auch dann noch die Königin Mutter oft und entscheidenden Einfluß ausübte, so haben wir dies keineswegs der Schwäche, sondern nur der großen Pietät des frommen Königs zuzuschreiben. Eine bald nach seinem Regierungsantritte unternommene durchgreifende Reform der Justiz, eine Abstellung eingerissener Mißstände in der Verwaltung, strenge Wahrung der militärischen Ehre seiner Offiziere gegenüber dem ungeistlichen Gebahren einer verderbten Geistlichkeit, Abwehr aller Uebergriffe des päpstlichen Stuhles in die besondern Rechte der gallicanischen Kirche einem Innocenz gegenüber zeugt wahrlich nicht von Unselbständigkeit. „Wir verbieten hiemit – heißt’s in einer Reichsverordnung – ausdrücklich die unerträglichen Eintreibungen der von dem römischen Hofe verordneten Geldauflagen der Kirche unsres Reichs, wodurch dasselbe elendiglich verarmt ist, wofern solches nicht aus rechtmäßiger Ursach und mit Unsrer und des Reiches Bewilligung geschieht.“ Und dabei gerieth er nie wie andre Fürsten in Fehde mit den Päpsten, die ihm das Zeugniß ungeheuchelter Frömmigkeit und kirchlicher Treue nicht versagen konnten. Seine Gerechtigkeit und Friedensliebe verschafften ihm zum öftern das Amt eines Schiedsrichters zwischen andern Fürsten. Der fromme König liebte den Frieden, aber er fürchtete auch den Krieg nicht!
Im Jahre 1244 drangen die Heerhaufen der von den Mongolen aufgelösten Chowaresmier im Bunde mit dem Sultan von Aegypten in das heilige Land ein, eroberten nach der Schlacht bei Gaza Jerusalem, zerstörten das heilige Grab, warfen die Gebeine der Könige in’s Feuer und schütteten die frevelhaftesten Greuel und Verwüstungen über Land und Leute aus. Als die herzzerreißenden Nachrichten davon nach dem Abendlands kamen, lag König Ludwig in einer schweren Krankheit danieder. Die Folgen des letzten Krieges mit England hatten ihn im December 1244 auf’s Krankenlager geworfen. Die Aerzte verzweifelten an seiner Genesung. Seine Gemahlin und seine Mutter waren vom tiefsten Schmerze ergriffen, den nicht bloß ihre Umgebung, sondern ganz Frankreich theilte. In den Kirchen der großen Städte wurden Bittfahrten veranstaltet. Die nächst wohnenden Bischöfe und Barone des Reichs begaben sich nach Paris, wo sie zwei Tage in ängstlicher Spannung abwarteten, was Gottes Rath über den König beschlossen habe. Am 23. December lag Ludwig fast den ganzen Tag starr und bewußtlos da. Eine der beiden Hofdamen, die an seinem Bette aufwarteten, hielt ihn schon für todt und wollte eben ein Tuch über sein Angesicht decken, als die andre behauptete, daß sie noch ein leises Athmen bemerke. In dem Augenblicke gab der HErr dem Kranken die Sprache wieder. Er verlangte, daß ihm ein Kreuz angeheftet werde, genug, um zu wissen, was in seiner Seele vorgegangen war. So erfreut die Königin Mutter auf die Nachricht von der eingetretenen Besserung herbeieilte, so bestürzt wurde sie über den Anblick des Kreuzes, welches man aus einem Stückchen Seide geschnitten eben an seine Schulter geheftet hatte. Alle Vorstellungen und Bitten vermochten ihn nicht von seinem Entschlusse abzubringen. Vielmehr warb er während des folgenden Jahres um Theilnehmer. Die unlustigen Hofleute zwang er endlich durch eine List zum Beitritte. Die Pelzmäntel, welche sie herkömmlich am Weihnachtsfeste als königliches Geschenk entgegennahmen, überreichte er ihnen in einem matterleuchteten Saale, von wo aus sie zur Frühmesse gingen. In der hellerleuchteten Kirche bemerkte einer auf des andern Schulter zum allgemeinen Schrecken ein Kreuz von seiner Goldstickerei. „Halb lachend, halb weinend“ bequemten sie sich, aber nicht ohne den König mit dem Spitznamen eines „neuen Menschenfischers“ zu belohnen.
Unter den Hindernissen der Ausführung des Zuges war nicht das geringste der geschichtlich große, aber doch persönlich oft sehr kleinlich geführte Streit zwischen Papst Innocenz IV. und Kaiser Friedrich II., der seit seinem Kreuzzuge (1228) eigentlich als König von Jerusalem anzusehen war. Zwei Jahre hindurch geführte Verhandlungen ließen Ludwig die schmerzlichste Erfahrung davon machen, eine wie undankbare Aufgabe es ist, zwischen zwei solchen Gegnern vermitteln zu sollen. Als er endlich 1247 mehr mit Friedrich als mit dem Papste überein gekommen war und keinen deutschen Angriff auf sein Reich zu befürchten hatte, glaubte er, die Ausführung nicht länger aufschieben zu brauchen. Er berief eine Versammlung der Großen des Reichs nach Paris, um die Reichsangelegenheiten zu ordnen. Da unternahmen es die Königin Blanca und der Bischof von Paris auf den Wunsch der Reichsbarone noch einmal, ihn von seinem Vorhaben abzubringen, indem sie ihn auf die Ungültigkeit seines Gelübdes hinwiesen, das er in einer Zeit gethan, wo er ruhiger Ueberlegung nicht fähig gewesen sei. „Wohlan l rief der König, meint Ihr das, so gebe ich Euch hier das Kreuz zurück.“ Damit riß er dasselbe von seiner Schulter und übergab es dem Bischofe. Ehe aber die beiden Zeit hatten, ihre Freude zu äußern, fuhr er mit fester Stimme fort: „Haltet Ihr denn dafür, daß ich jetzt weder krank an Körper noch schwach am Geiste bin? – Nun, so fordere ich das heilige Zeichen zurück und werde nicht eher Speise zu mir nehmen, bis Ihr meine Forderung erfüllt habt.“ Weder der Bischof noch die Mutter wagten nun noch ein Wort zu sagen.
Im Frühjahre 1248 traf man in ganz Frankreich ernstliche Zurüstungen zum Kreuzzuge. Es war der sechste in der Reihe der Züge, von welchem wir zu kurzer Charakterisirung das Wort wiederholen: „wenn auch nicht klar im Licht, doch reich an Kraft und Glut!“ Wie in dieser ganzen Unternehmung der Christenheit kirchliche und weltliche Tendenzen, geistlicher und ungeistlicher Sinn sich seltsam verquickten, so bestanden auch die Vorbereitungen in einem wunderlichen Gemische von heitern Abschiedsfesten und ernsten Andachtsübungen. Der fromme König forderte alle seine Lehnsmänner auf, jede Klage, die sie wider ihn hätten, vorzubringen und versprach unbedingte Abhülfe. Die meisten Barone folgten diesem Beispiele. Im ganzen Lande hielt man Bittfahrten. Von St. Denys aus, wo der König seine letzte Andacht verrichtete, reiste er in einfachster Bewaffnung und Kleidung, die er in seinem ganzen spätern Leben nicht wieder änderte, nach der Hafenstadt Aiguesmortes ab. Er trug seitdem weder Pelzwerk noch Kleider von Scharlach und andern grellen Farben, Sporen von Eisen u. s. f. Die Barone richteten sich nach ihm, so daß man im ganzen Heere kein gesticktes Kleid erblickte.
Am 25. August, dem Tage, welchen späterhin die Kirche im Kalender dem Andenken Ludwig’s weihte, bestieg er das Schiff. Wir können hier nicht die Unternehmung in ihrem genaueren Verlaufe verfolgen, obgleich sich uns daraus durch viele kleine Züge das Bild des Königs vervollständigen würde. Der unglückliche Angriff auf Aegypten, welches Ludwig richtig als den Schlüssel zum heiligen Lande erkannte, der 4jährige erfolglose Aufenthalt in Palästina, von wo er sich erst auf die Nachricht vom Tode seiner Mutter hinwegbegab, zeugen von seiner hochherzigen Tapferkeit wie von seinem demüthigen Duldersinne. Wir beschränken uns darauf, der Biographie seines treuen ihm nahestehenden Seneschalls Joinville einige Charakterzüge zu entnehmen und hier einzufügen.
Die sorgfältige fast überängstliche Erziehung seiner katholisch frommen Mutter war von bleibendem Einflusse auf sein ganzes Leben. Sie suchte ihm die strengsten Ordensgeistlichen zu Lehrern und Beichtvätern. Noch als König hatte er einen solchen, der ihn durch regelmäßige Geißelungen unerträglich quälte. Doch fügte er sich gelassen, und erst nach dem Tode desselben gab er dem Nachfolger halb scherzend zu verstehen, daß er doch Unbilliges von ihm gelitten habe. Auch seine Gemahlin hatte unter diesem Einflusse mitzuleiden. Nur mit Erlaubniß der Mutter durfte Ludwig sie besuchen und auch dann begleitete sie ihn. Einst war er ohne diese Erlaubniß zu ihr gegangen, als sie krank daniederlag. Als beide in innigem Gespräche sich erlabten, hört der König die Fußtritte seiner Mutter; er kann nicht mehr entfliehen und verbirgt sich hinter den Bettvorhängen. Die Mutter tritt ein, ihre Blicke mustern in gewohnter Weise das Zimmer, sie entdeckt den Sohn, zieht ihn aus dem Versteck hervor und führt ihn mit dem Bedeuten zur Thür hinaus, daß er hier nichts zu thun habe. Entrüstet rief Margarete: „Mein Gott, Mutter, was macht Ihr? Wollt Ihr mich meinen Herrn und Gemahl weder im Leben noch im Tode sehen lassen?“ Dann sank sie in Ohnmacht. Ludwig, besorgt um das Leben seiner Gemahlin, kehrte nun zwar wieder zurück, doch ohne der Mutter das Unziemliche ihres Benehmens auch nur durch einen Blick fühlen zu lassen.
Ludwig’s Frömmigkeit trug allerdings häufig ein römischkatholisches Gepräge. Wenn wir ihn bei der Befestigung von Cäsaren in der Reihe der übrigen Pilger Körbe mit Erde auf seinen Schultern herbeitragen sehen, wofür der päpstliche Legat einen besondern Ablaß verheißen, so zahlte er damit der Kirche seiner Zeit, deren Kind er war, seinen Tribut. Aber durch das Studium der heiligen Schrift und der Kirchenväter hatte er auch vielfach eine reinere Erkenntniß gewonnen. Dem wundersüchtigen Aberglauben gegenüber, pflegte er wohl ein Wort des Grafen Simon v. Montfort anzuführen. Als dieser nämlich eingeladen wurde, mitanzusehen, wie Christus in der Gestalt eines Kindes bei einer geweihten Hostie erschiene, habe er erwiedert: „Geht nur hin, die ihr nicht glaubet; ich für mein Theil glaube, was der HErr gesagt, ohne zu sehen; das ist der Vorzug, den wir vor den Engeln haben; sie glauben, was sie sehen, wir glauben, was wir nicht sehen.“ Und zu seinem Sohne sagte Ludwig einst: „Du irrst sehr, wenn du glaubst, daß milde Stiftungen, Gaben an die Mönche u. dgl. von der Sündenschuld befreien; nur das Leben im Glauben, der Wandel in der Liebe und vor Allem die Gnade Gottes macht uns selig.“ Ein solcher Ausspruch ist viel für seine Zeit.
Die Furcht Gottes regierte ihn in allem seinem Thun; sie war ihm für die ernsten Aufgaben seines Lebens die sichere Norm, für die heitern Unterhaltungen die feste Schranke. Er litt nicht, daß diese ernste Schranke in seiner Gegenwart überschritten wurde. Bei der Tafel, wo einmal von Krankheiten die Rede war, richtete er an Joinville die Frage: ob er lieber eine Todsünde begangen haben oder aussätzig sein wolle? Als dieser im Schauder vor der ekelhaften Krankheit ausrief: „Lieber 20 Todsünden als aussätzig sein!“, schwieg der König, nahm ihn aber später bei Seite und sagte ihm: „Wie konntet Ihr so reden? Wisset Ihr nicht, daß es keinen ärgern Aussatz giebt, als die Sünde? Stirbt der Mensch, so geneset er von dem körperlichen Aussatze, die Sünde aber haftet fort und fort an seiner Seele und bringt ihn zur Verdammniß, wenn er nicht vorher Buße gethan und von Gott begnadigt ist.“ Diesen Worten folgte noch eine herzliche Ermahnung.
Eine gleiche Gottesfurcht suchte er seinen Kindern einzuflößen. Jeden Abend versammelte er sie, um sie „die Furcht Gottes zu lehren“, hielt ihnen die Verheißungen und Drohungen Gottes vor und erzählte ihnen auch wohl Beispiele von guten und schlechten Fürsten. Seinem ältesten Sohne Ludwig, welcher vor ihm starb, sagte er einst bei solcher Gelegenheit: „Ich wollte lieber, es käme ein Schotte oder sonst ein fremder, um das Volk meines Königreichs nach mir gut und gesetzlich zu regieren, als daß du es einst schlecht und vorwurfsvoll regiertest.“ – Ein Brief an seine Tochter Isabella, Königin von Navarra, beginnt mit den Worten: „Meine liebe Tochter, ich beschwöre dich, unsern HErrn aus aller deiner Macht zu lieben, denn ohne das kann ein Mensch nichts Gutes haben; nichts ist so würdig unsrer Liebe, als der HErr, zu dem alle Creatur sagen kann: HErr, du bist mein Gott und hast mir nur Gutes gethan, – der HErr, der seinen Sohn in die Welt gesandt und in den Tod gegeben hat, um uns vom ewigen Tode zu erlösen. Ihn lieben, meine Tochter, wird dein eigner Nutzen sein und das Maaß dieser Liebe muß sein, ihn ohne Maaß zu lieben. Er ist würdig von uns geliebt zu werden, denn er hat uns zuerst geliebt.“
Man wußte, daß Ludwig an manchen Festtagen sich ganz dem Lesen und der Betrachtung des Wortes Gottes widmete und nicht minder, daß ein Gotteswort, daran er sich erinnerte oder erinnert wurde, von Einfluß auf seine Entschließungen war. So wählten einst die Verwandten eines vornehmen Verbrechers den Charfreitag, an welchem der König den ganzen Psalter durchzulesen pflegte, um sich den Zutritt zu ihm zu verschaffen und für jenen um Gnade zu bitten. Ludwig hielt mit Lesen inne, als die Bittenden eintraten, legte den Finger auf den Vers, den er eben lesen wollte und nachdem er die Bitte angehört, gab er eine gewährende Antwort. Kaum hatten sich die Bittenden entfernt, so las der König weiter und fand unter seinem Finger den Spruch: „Der HErr ist gerecht und hat Gerechtigkeit lieb.“ Sogleich ließ er den Oberrichter kommen, und als er von demselben hörte, wie arg der Gefangene gefrevelt hatte, ließ er ihn jenem Spruche gemäß sofort strafen. Mit gleicher Entschiedenheit unterwarf er sich selbst dem Worte Gottes gegenüber den Gefühlen seines Herzens.
Wie ihn die göttliche Weisheit tüchtig machte, auch die weltlichen Dinge recht zu beurtheilen, so trieb ihn die bessere Erkenntniß der Wahrheit und des Willens Gottes nur zu größerem Eifer, auch seines weltlichen Berufes mit Treue zu warten. Der Herr hatte ihn dazu auch mit natürlichen Gaben ausgestattet, die Seine Gnade in ihm vermehren und verklären konnte. Ohne Schmeichelei erkannte der Kreis seiner Rathgeber ihm den Preis der Weisheit und des Scharfsinns zu. In wichtigen Dingen hörte er alle Meinungen mit Aufmerksamkeit an, ging dann, ohne ein Wort zu sagen, einige Tage damit um, Alles zu überdenken und legte ihnen dann seine Entschließung in ungemein klarer Fassung als eine gereifte Frucht vor. Mit großer Leichtigkeit und Sicherheit durchschaute er die schwierigsten Verhältnisse, so daß er von andern Fürsten häufig zum Schiedsrichter in ihren Streitigkeiten aufgerufen wurde. „Fast ganz Europa – sagt ein neuerer Schriftsteller – wanderte nach der Eiche zu Vincennes, wo der heil. Ludwig, von den Waffen oft verrathen, christliche Justiz übte.“ Es bezieht sich der Ausdruck darauf, daß Ludwig jedem seiner Unterthanen gestattete, auch auf seinen Spaziergängen sein Recht bei ihm zu suchen. Da ließ er sich dann unter einem der Bäume seines Parks nieder, um die Sache zu durchdenken und sein Urtheil zu fällen. Man hat lange in Vincennes und andern Residenzstädten solche Plätze mit Verehrung gezeichnet und gezeigt.
Stellen wir uns aus solchen Zügen das Bild Ludwig’s zusammen, so wird es uns erklärlich, daß er bei seinen Zeitgenossen weniger laut gefeiert als still geachtet war. Er hat die Mitwelt nicht durch glänzende Thaten in Erstaunen gesetzt, aber er hat die Nachwelt durch seine strahlenden Tugenden mit Bewunderung erfüllt. Der Griffel der Geschichte zeichnet ihn nicht im Strahlenglanze weltlichen Ruhmes, sondern im Heiligenscheine aufrichtiger Frömmigkeit.
Nach seiner Rückkehr vom Kreuzzuge fand Ludwig ein in allen Verhältnissen und allen Theilen ziemlich zerrüttetes Reich. Die Hand einer Frau war nicht kräftig genug, um Willkür und Widerstreben überall im Zaume zu halten. Die folgenden Jahre waren darum für ihn nicht Jahre der Ruhe, sondern angestrengtester Arbeit, darunter seine Gesundheit zu leiden hatte. In dieser Zeit gründete er auch zu besserer Ausbildung der Geistlichen die berühmte Schule zu Paris, welche nach seinem Beichtvater Robert Sorbon noch heute den Namen der „Sorbonne“ trägt. Aber unter allen Arbeiten, Sorgen und Mühen erlosch nie der brennende Eifer um die Befreiung des heil. Landes in seinem Herzen. Er hatte sich gewöhnt, sie als die Hauptaufgabe seines Lebens anzusehen. Der erneute Nothschrei der Christen im Morgenlande seit 1260 fachte diesen Eifer zur Flamme des Entschlusses an. Nicht irrten ihn die Bedürfnisse seines Volkes und Landes, nicht die abmahnenden Bitten seiner Umgebung, nicht die entschiedene Weigerung seines treuen Joinville, der erklärte, er meine Gott besser zu dienen, wenn er seine Untergebenen schütze und regiere, und der in seinem Werke die Ueberzeugung ausspricht: die den König in der abermaligen Unternehmung bestärkt hätten, hätten sich einer Todsünde schuldig gemacht, weil sie des Königs gewisser Tod sein würde. Er war wirklich so hinfällig, daß er weder Fahren noch Reiten vertragen konnte.
Nach dreijähriger Vorbereitung nahm er 1270 Abschied von seinem Reiche und seiner Gemahlin. Der Plan, zunächst Tunis zu erobern, um von da nach Aegypten zu gehen, steigerte den Mißmuth seiner Begleitung, ja erweckte geradezu den Verdacht eines dynastischen Interesses wegen des Abfalls des Sultans von Tunis von Neapel und Sicilien, welches eben sein Bruder Karl von Anjou erworben hatte. Bald nach der Ankunft in Africa wurde auch Ludwig von dem Fieber ergriffen, welches unter der Hitze des africanischen Sommers in seinem Heere ausbrach. Drei Wochen lang kämpfte er, ohne sich zu schonen, mit der Macht seines rastlosen Geistes an, bis er zusammenbrach. „Laßt uns sorgen, daß das Evangelium in Tunis gepredigt und gepflanzt werde; o, wer ist fähig, dies Werk zu vollbringen!“ Das war sein letzter Wunsch. Dann traten Fieberphantasien ein, in denen man ihn oft rufen hurte: „wir gehen – wir gehen nach Jerusalem!“ In der dürftigen Hülle dieser Sehnsucht nach dem irdischen Jerusalem dürfen wir die höhere Sehnsucht seines Herzens nach dem himmlischen Jerusalem durchfühlen.
In der Morgenfrühe des 25. August schmetterten helle Trompetenklänge vom Meere her durch die schwüle Luft der Trauerstille im königlichen Heerlager. Karl von Anjou fand seinen Bruder nicht mehr am Leben, nachdem er sich ausgeschifft hatte. In „derselben Stunde, in welcher sein Heiland verschied“, war der fromme König auf seinem mit Asche bestreuten Lager, die Hände kreuzweis auf die Brust gelegt, die Augen gen Himmel gerichtet, mit den Worten verschieden: „HErr, ich will in dein Haus gehen, in deinem heiligen Tempel will ich anbeten und deinen Namen verherrlichen!“
Kurz vor seinem Ende hatte er seinem Sohne und Nachfolger Philipp, welcher bald darauf mit den irdischen Ueberresten seines Vaters, seiner Gemahlin, eines Bruders, eines Oheims und eines Schwagers nach Frankreich zurückkehrte, um sie in den königlichen Grabgewölben von St. Denys beizusetzen, eine Schrift übergeben, die er in den letzten Tagen mit zitternder Hand aufgesetzt hatte. Wir geben dieses denkwürdige Testament, welches in den verschiedenen Geschichtswerken nur lückenhaft mitgetheilt wird, in hoffentlich vollständiger Zusammenstellung. Danach lautet es also:
„Mein theurer Sohn! Das erste, wozu ich dich ermahne, ist, daß du Gott liebest von ganzem Herzen, denn ohne dies kann kein Mensch selig werden, und hüte dich wohl, etwas zu thun, was ihm mißfällt; denn du solltest lieber wünschen, alle Arten von Qualen zu erdulden, als zum Tode zu sündigen. Wenn dir Gott Trübsal sendet, nimm sie willig an und danke ihm dafür. Denke, du hast es verdient, und es wird dir Alles zum Besten dienen. Wenn er dir Glück schenkt, so danke demüthigst dafür und laß dich nicht dadurch zum Stolz und Uebermuth oder einem andern Laster verleiten; denn man darf Gott nicht herausfordern mit seinen eignen Gaben. Nimm dich wohl in Acht, daß du nur mit klugen und braven Leuten Umgang pflegest, die nicht von Begierden beherrscht sind. Wähle dir weise Beichtväter, die dich recht berathen in deinem Thun und Lassen. Stelle dich so, daß deine Beichtväter und Freunde sich nicht zu fürchten brauchen, dir deine Fehler aufzudecken. Wohne dem Gottesdienste mit aller Andacht bei. Meide eitle Zerstreuung und bete zu Gott mit Herz und Mund; höre das Wort Gottes und wende es auf dein Herz an. Gegen Arme sei mitleidig, habe ein Herz für ihre Noth und fei bereit, nach Kräften ihnen zu helfen. Kummer wird dir so wenig wie einem andern Menschen erspart werden, da wende dich bald an deinen Beichtvater oder sonst einen treuen Menschen, der dein Leid mitfühlt und trägt. Sorge, daß du treue, erfahrene Männer in deiner Umgebung hast, seien es Geistliche oder Laien. Die Bösen entferne von dir und höre gern fromme Reden öffentlich und sonderlich. Empfiehl dich der Fürbitte frommer Personen. Liebe das Gute, hasse das Böse. Dulde es nicht, daß Jemand so frech ist, in deiner Gegenwart ein verwerfliches Wort zu reden. Verletze Niemandes Ehre weder öffentlich noch heimlich. Dulde nicht, daß man in deiner Gegenwart respectwidrig von Gott und seinen Heiligen rede. Vergiß nicht, Gott zu danken für alle Wohlthaten, welche du von seiner Güte empfängst, auf daß du mehr empfangen kannst. Sei unersättlich in der Gerechtigkeitspflege und siehe weder rechts noch links, sondern entscheide stets nach Recht und Gewissen. Unterstütze die Klagen des Armen gegen den Reichen, bis die Wahrheit an den Tag kommt. So mache es auch bei Prozessen, welche gegen dich selbst anhängig gemacht werden, weil das deine Räthe in der Uebung der Gerechtigkeit stärkt. Findest du fremdes Gut bei dir, was du selbst oder deine Beamten oder deine Vorfahren genommen, und es weist sich so aus, so zaudre nicht, es zurückzugeben; ist es zweifelhaft, so erforsche es sorgfältig durch verständige und rechtschaffene Leute. Bemühe dich eifrig, daß deine Unterthanen in Frieden unter deinem Regimente leben. Gegen deine Diener sei bieder, freigebig und ein Mann von Wort, daß sie dich fürchten und lieben als ihren Herrn. Halte die Rechte und Freiheiten der Städte aufrecht, welche deine Vorfahren ihnen ertheilt haben und verscherze nicht ihre Gunst, damit dich deine Feinde und deine Barone fürchten. Verleihe die geistlichen Pfründen gewissenhaft nur an tüchtige Männer. Hüte dich, Krieg anzufangen, vorzüglich gegen Christen, ohne daß du dazu gezwungen seist. Die Zwistigkeiten und Fehden deiner Unterthanen untereinander suche auf alle mögliche Weise beizulegen. Trage Sorge für gute Richter und andere Beamte und unterrichte dich fleißig über ihre Amtsführung. Suche die Verbrechen auszurotten, besonders das Fluchen. Dein Hauswesen richte sparsam und ordentlich ein. Endlich bitte ich dich, mein Sohn, daß du meiner an meinem Ende gedenkest und für meine arme Seele Messe lesen, Fürbitten thun und Almosen im ganzen Reiche austheilen lässest. Zuletzt gebe ich dir allen Segen, den ein guter Vater nur seinem Sohne geben kann. Gott gebe dir Gnade, seinen Willen täglich zu thun, also daß er auf alle Weise geehrt werde und daß wir nach diesem Leben zusammen bei ihm sein können und ihn ohne Ende in seinem himmlischen Reiche fürchten, lieben und loben. Amen.“ Welch‘ ein Zeugniß, welch‘ ein Denkmal für den gottesfürchtigen König – diese Worte, die sich eben so sehr durch ihre schmucklose Einfalt als durch ihren geistvollen Inhalt auszeichnen! Heiliger Ernst und herzliche Liebe, klare Erkenntniß und reiche Herzens- und Lebenserfahrung spricht sich in gleichem Maaße in ihnen aus und Bossuet legt dem Großvater Ludwigs XV, den er als Dauphin unterrichtete, mit Recht über dasselbe die Aeußerung in den Mund: „Es ist das schönste Erbtheil unseres Hauses, welches wir für einen höheren Schatz achten müssen als das Königreich, welches er seinen Nachkommen übergeben hat.“
A. Rische in Schwinkendorf bei Malchin.
Evangelisches Jahrbuch für 1856 Herausgegeben von Ferdinand Piper Siebenter Jahrgang Berlin, Verlag von Wiegandt und Grieben 1862