Joachim Mörlin

Joachim Mörlin

Joachim Mörlin wurde am 6. April 1514 zu Wittenberg geboren. Sein Vater, Jodocus Mörlin, war damals Professor der Metaphysik, ergab sich aber bald nachher der Theologie und wurde auf Luther’s Veranlassung Pastor zu Welschhausen bei Coburg. Joachim ging in seinem 18. Jahre nach Wittenberg, wo ihn besonders Luther begeisterte. 1539 wurde er dessen Capellan und schon 1540 Doctor der Theologie. Noch in demselben Jahre berief ihn auf Luther’s Rath der Graf von Schwarzburg zum Prediger nach Arnstadt. Ungerechtigkeiten, in’s Besondere Wucher des dortigen Magistrats gegen das Hospital, veranlassten ihn zu scharfen, Anfangs geheimen, später öffentlichen Rügen, und als der Graf einen Menschen wegen Entwendung einiger Fische aufhängen liess, eiferte Mörlin dagegen auf der Kanzel. Heftig darüber angefeindet schrieb er an Luther, der ihm 1543 am Tage Cäciliä erwiderte, „dass er dem Zorn Raum geben, weichen und den Staub von den Füssen schütteln sollte.“ Die Absetzung gestattete ihm bald keine Wahl mehr. Er verliess die Stadt und besuchte Luther, dessen Abschiedsworte lauteten: „Lieber Dr. Mörlin, thut nicht sorgen. Sie werden’s versuchen, der Kaiser und Papst, wie sie das Evangelium dämpfen, aber umsonst. Gott wird’s wohl machen. Hier wehre ich den Antinomis, und draussen wachsen sie mir dieweil über den Kopf.“

1544 folgte Mörlin einem Rufe zum Prediger und Superintendenten in Göttingen, wo er im Genuss der Liebe seiner Gemeinde bis 1548 ungestört wirkte. Aber das Interim brachte neue Kämpfe und Leiden. Er predigte heftig dagegen. „Hierdurch“ – so berichtet Rehtmeyer – „ist einer von den Bürgern dergestalt bewogen und angefeuert worden, dass er in der folgenden Nacht das kaiserliche Mandat ab- und entzweigerissen und an einen übeln Ort geworfen. Hierauf hat ein R. Rath. D. Moerlinum mit seinen Collegen den 28. Sept. auf das Rathhaus gefordert und gebeten, sie wollten des Interims halben säuberlich thun und doch nicht so hart verfahren. Sie antworteten aber, sie könnten Gewissens halber keine Stunde warten, dieses Buch zu widerlegen und zu verwerfen; wie sie denn auch gethan.“ „Nachher, als den 1. November 1549 M. Antonius Corvinus mit seinem Collegen (er hiess Walther Höcker) von Herzog Erich zu Braunschweig und Lüneburg gefangen und zum Kalenberg gefänglich verwahret war, so wurden auch den 17. Decemb. Briefe an den Rath zu Göttingen gesandt, mit Befehl, dass sie D. Morlinum unverzüglich vor Untergang der Sonne aus seinem ganzen Fürstenthum verweisen sollte. Der Rath aber und die Gemeine wollten nicht alsbald darein willigen, bis der Herzog zum andern und dritten Mal den Befehl mit angehängten scharfen Bedrängungen wiederholte. Desswegen der Rath den 17. Jan. 1550, als der grösste Theil des Volkes in ihren Zünften noch darüber berathschlagte, zu ihm kommen und ihm die Dimission, wiewohl ungern, ertheilet. Weil aber der Fürst das Volk im ganzen Lande aufbieten lassen, damit er ihn zu seinen Händen bekommen möchte, und ihm nachher daher von den fürstlichen Reutern allenthalben der Weg verschlossen war, so erbarmte sich die alte, gottselige Fürstinn Elisabeth, H. Erich’s Mutter, über ihn und liess ihm zu wissen thun, weil es nicht anders sein könnte, wie er sich sollte zur Reise schicken; und sollte sich bald aufmachen, wenn sie ihm mit eigenen Händen schreiben würde, und mit rother Seide vernähet. Also ist er ohne Furcht um 8 Uhr am hellen Tage aus der Stadt Göttingen gezogen, da ihn denn ein Stattlicher vom Adel, der alten Herzoginn Hofmeister, Jobst von Hohnstein (er selbst nennt ihn Leopoldum von Hanstein) mit 14 Reutern den 20 Januar unter Gottes und der heiligen Engel Geleit durch unbekannte Wege bis nach Oldendorp gebracht hat. Nachgehends ist ihm seine Frau mit Kinder gefolget.“ (R.).

Noch in demselben Jahre wurde Mörlin Domprediger in Königsberg. Mit A. Osiander, der wegen des Interims aus Nürnberg vertrieben, dort Anstellung als Professor und Prediger gefunden hatte, gerieth er sofort in die heftigste Fehde. Osiander hatte schon früher die Lehre von der Rechtfertigung durch den wesentlich innewohnenden Christus verkündigt; aber zum Gegenstande öffentlichen Streites wurde sie erst, nachdem sie von ihm in einer Disputation im J. 1550 geltend gemacht und mit ungebürlicher Behandlung seiner Gegner vertheidigt war. Mörlin wurde ihr entschiedenster Widersacher und fuhr fort, sie nach Osiander’s Tode (1552) gegen dessen Schwiegersohn, den Hofprediger Funk, zu bekämpfen. Doch Herzog Albrecht von Preussen war dem Osiandrismus von ganzer Seele zugethan und gab im Jan. 1553 strengen Befehl, diese Lehre nicht anzugreifen. “D. Morlinus aber hielt am Sonntage Estomihi eine scharfe Predigt, darin er zuletzt seine Zuhörer ermahnte, sie sollten zwar dem Fürsten den schuldigen Gehorsam leisten, diesem mandato aber sollten sie nicht folgen, sondern thun, was er thun wollte, nämlich, das Mandat wollte er nicht annehmen, sondern dawider unerschrocken reden und predigen, so lange er seinen Mund regen könnte, wenn ihm auch die Obrigkeit sein Hab und Gut, sein Weib und Kind, ja sein Leben nehmen wollte.“ Hierauf erfolgte vom Herzoge Mörlin’s Amtsentsetzung und Landesverweisung. Der Rath aber sandte ihn vorläufig „auf gemeine Unkosten“ nach Danzig. „Unterdessen war man auf Mittel und Wege bedacht, wie der Fürst zu besänftigen wäre, damit man mit seinem Willen D. Moerlinum wieder zurückbekäme. Es haben sich auch viele vornehme Frauen aus Denen vom Adel und andere Bürgerstandes zusammengethan, welche, mit ihren Kindern 400 Personen ungefähr, den 27. Martii, da der Fürst aus M. Funkens, Pastor in der Altstadt daselbst, Predigt kommen sollte, um 8 Uhr Vormittags nach dem Schlosse gegangen und seiner erwartet. Als nun der Herzog angekommen, haben sie sich vor dem Thor auf beiden Seiten bis an das Schloss getheilet, dass er zwischen ihnen hat können durchgehen. Wie der Fürst auf die Brücke gekommen, haben sie demselben gebührliche Reverenz erzeiget, sind auf die Kniee gefallen und haben ihre Hände aufgehoben. Der Fürst hat erstlich auf beiden Seiten die Knäblein und Mägdlein ungnädig angesehen, hernach aber das Gesicht von ihnen abgewandt, bis er abgestiegen; da sind drei Adelige und sonst eine ehrbare Frau zugetreten und haben dem Herzoge eine Suppli übergeben. Dieser aber hat dieselbe nicht annehmen wollen, sondern sie damit abgewiesen, er könnte sie in diesem Falle nicht hören, sie sollten also ihres Weges gehen, sie würden doch Nichts erlangen. Und wie sie mit ihrer Bitte nicht ablassen wollen, hat er sich in’s Gemach begeben und die Frauen draussen stehen lassen. Hierauf haben sich die Frauen zur Herzoginn gewandt und endlich Dieses erhalten, dass sie die Supplik angenommen. Allein, wie auch die Fürstinn Nichts erlangen können, sind erstlich die Knaben in ihrer Ordnung, hernach die Mägdlein, dann die erwachsenen Jungfrauen und endlich die Frauen in richtiger Procession auf dem Schlossplatze daselbst um den Brunnen herumgegangen und haben erstlich das Lied: Ach Gott vom Himmel, sieh darein, hernach: Es woll uns Gott genädig sein, gesungen, endlich zum Valet angestimmt: Erbarm dich mein, o Herre Gott, und sich also wieder nach Hause begeben. Dem Markgrafen Wilhelm als er dies Jammern und Rufen gen Himmel angehört, sollen die Thränen über die Backen geflossen sein. Welches wir hier desswegen wiederholen wollen, damit man daraus abnehme, wie beliebt dieser Mann zu Königsberg müsse gewesen sein, obwohl nicht zu leugnen, so Viel aus seinen Actionen offenbar, dass er manchen Verdruss durch seine natürlich Hitze sich ohne Noth über den Hals gezogen.“ (R.).

Wenige Tage nach diesem Vorfalle erhielt Mörlin einen Ruf zum Superintendenten nach Braunschweig. Er nahm denselben an und trat im Monat Juli in den neuen Wirkungskreis. Auch dieses Mal hatte er einen unruhigen Anfang. Herzog Heinrich der Jüngere belagerte seit dem 18. Sept. 1553 die Stadt. Am 11. October flog eine zwölfpfündige Kugel in Mörlin’s Haus, doch ohne einen Menschen zu beschädigen. Der Vertrag, welcher am 20. October zwischen dem Herzoge und der Stadt abgeschlossen wurde, sicherte die Freiheit des lutherschen Gottesdienstes bis zum Concilio, und Mörlin konnte im Frieden wirken. „Alsbald fing er in seinen Wochenpredigten an, den Psalter mit grosser Verwunderung auszulegen. Den 27. November 1554, da er den XI. Psalm erklärte (wiewohl er’s sonst fast in allen Predigten zu thun pflegte) bat er getreulich für das graue Haupt zu Preussen, mit Vergessung aller von ihm begegneten Widerwärtigkeiten.“

Noch in demselben Jahre empfing er an dem auf seine Empfehlung zum Coadjutor berufenen Martin Chemnitz einen treuen Mitarbeiter. Er nahm in Braunschweig und von hieraus den lebhaftesten Antheil an den Streitigkeiten über das Abendmahl, über die Rechtfertigung, die guten Werke, den freien Willen, die Adiaphora u.s.w. und war auf verschiedenen Conventen thätig. Seine Kirchenzucht war streng. Unter seinem Präsidium wurde am 17. Juli 1555 beschlossen und am 6. Sonntage nach Trinitatis von allen Kanzeln abgekündigt „dass Diejenigen, welche ungeachtet aller treuherzigen Vermahnungen zum längsten in zween Jahren nicht zum heiligen Nachtmahl des Herrn gewesen, wo sie also verstürben, nicht nach christlichem Gebrauch sollten begraben werden; auf dass sie sich nicht dermaassen ihrer schweren Sünden vor Gottes Gericht theilhaftig machten, sondern ihren Unwillen und Strafe nach Gottes Befehl wider ihre Bosheit offentlich bezeugten, vielweniger zuliessen, dass man fromme, gehorsame Christen und die halsstarrigen Unchristen für gleich Viel achte und also aus der heil. christlichen Religion ein unnöthig Ding machte.“ Zur Zeit der Pest im J. 1566 erwies sich Mörlin als einen unerschrockenen Diener Gottes und schrieb an den zaghaften Superintendenten Eilhard Stygenbode zu Peine einen glaubensmuthigen Brief. Dieser ist lateinisch mit eingestreuten deutschen Exclamationen abgefasst und enthält folgende Stellen: „Gnade und Friede durch Christus, durch Christus sage ich, der die Sünde, der das anklagende Gesetz, also vielmehr jenes Thierchen, welches Pest heisst und unendlich geringer ist, als jene, besiegt hat. Warum seid Ihr denn so furchtsam, lieber Bruder, bei diesem linden Lüftchen, das Niemand verletzt, Niemanden auch nur ein Haar auf dem Haupte bewegt ohne Den, an welchen wir nicht allein glauben, sondern der uns ganz ergreift, und uns nicht allein in seinen Schutz ausser sich, sondern in sich selbst aufnimmt, ganz und gar.“ „Die Zahl Eurer Tage ist beschrieben, bevor Ihr im Mutterleibe empfangen wurdet; diese Zahl wird die Pest nicht verwirren, nicht der giftige Satan, nicht einmal alle Pforten der Hölle.“ „Lasst derhalben gehen, lieber Herr Eilhard, und die Welt mit Pestilenz geschlagen werden, so gross als Essigkrüge, Euer ist die Berufung, unter die Leute zu gehen, sprecht aus dem Munde Christi, nicht des Fleisches: Wo ist der Tod? Wo ist die Pest? Wo ist der Teufel? Hier bin ich, zwar schwach, aber eben desswegen meine Zuflucht zu Dem nehmend, der meine Stärke ist und meine Festigkeit gegen alle Unternehmungen, List und Gewalt der Finsterniss! Und gehet nur dem Teufel zum Trotz frei heraus, wohin Euch der Beruf und die Noth des Nächsten fordert. Gott schickt die Pest, nicht die Pest Gott, nach seinem Willen. Der fromme Gott ist unser, darum heisst er unser Gott.“ „Ich strecke mich täglich demüthig zu seinen Füssen. Will er mich haben, so weiss ich, wo ich hin soll, und ist der Himmel mein, mein, mein, wenn ich tausendmal viel schwächer wäre, so dass die Herrlichkeit des Ruhmes sein ist.“ „Dieses schreibe ich mit gutem und brüderlichem Sinn; denn Ihr seid mir lieb, wie Ihr Christo lieb seid. Der behüte Euch! Unsere Pfosten sind bezeichnet mit dem Blute, wessen? Der behüte Euch abermals und in Ewigkeit. Amen (d. 22. Febr. 1566).“

Mörlin’s Verdienste um Braunschweig werden von Rehtmeyer in folgendem Gesammtlobe beurtheilt: „Er war ein vortrefflicher und eifriger Theologus, der durch seine Beredtsamkeit, Klugheit, Treue und Ansehn die Braunschweigische Kirche in guten Stand gebracht. Unter seiner Aufsicht ist der weltliche und häusliche Stand am ruhigsten und glücklichsten gewesen. Gegen die Vertriebenen und Armen hat er sich oftmals über Vermögen sehr freigebig bezeuget, und ist vor seiner Thür ein jeder Armer mit Geld und Brodt begabet. Seinem Amt hat er mit höchstem Ernst und Eifer, auch löblichem Exempel vorgestanden und oft scharfe Strafpredigten gehalten; dennoch ist er sowohl bei E. E. Rath und Bürgern, als bei seinen Collegen wegen seiner Gottesfurcht und sonderbaren Aufrichtigkeit überaus lieb und angenehm gewesen, indem er seine Kirche und Gemeine herzlich geliebt und das Ministerium in Ehren gehalten; wie denn die Prediger seine Treue und Fleiss oft gerühmt, mit was Ehren er sie tractiret, da D. Medler (M.’s Vorgänger) ihrer nicht geachtet, sondern Alles allein ausrichten wollen. Über des seligen Lutheri Lehre hat er steif gehalten, wider alle damals entstandene schädliche Irrthümer sich geleget, als wider die Majoristen, Osiandristen, Synergisten, Calvinisten cet., wie seine runden und wohlgegründeten Propositiones und Streitschriften ausweisen. So hat auch das hiesige Ministerium durch seine gute Anführung dawider privatim und publice gelehret und bei seinem Abschiede sich darüber vereiniget und erkläret. Insonderheit hat er vom heil. Abendmahle die Meinung Lutheri behalten, quod Christi corpus in, cum et sub pane sit: dass der Leib und das Blut Christi wahrhaftig und wesentlich in, mit und unter dem Brodte und Weine sei, wie er denn oft im Munde geführet: Du muss nicht sagen Mum, Mum, sondern du musst sagen, was dieses ist, das der Priester in der Hand hat. Von Luther’s Catechismo hat er sehr Viel gehalten und denselben der lieben Jugend trefflich vorgetragen, so dass D. Chemnitius von ihm schreibt: „Ich gedenke oft an den guten Moerlinum, wie er pflegte mit der Catechismuspredigt zu prangen und dazu so freudig war, wenn die Zeit herbeikam, dass er die jährlich auf die Quartal oder halbe Jahr predigen möchte, und die christliche Lehre daraus einfältig seinen Zuhörern erklären; Das zog er ihm zum höchsten Ruhme, wenn er damit seine Kunst beweisen möchte.“ Die jungen Prediger, so erst in’s Amt gekommen, hat er gepflegt also anzureden: Arbeite redlich, meine es treulich und bete fleissig, so giebt Gott seinen Segen reichlich. Also ist er ein Mann gewesen, der alles Ruhmes, Ehre und Hochachtung würdig, und der Das, was sonst einem Christen von Glück oder Unglück zu begegnen pflegt, gering achtete.“

Inzwischen war in Preussen der Hass gegen den Osiandrismus immer heftiger geworden. Funk vermochte, selbst als er widerrufen hatte, nicht wieder zu Ehren gelangen. Ihm, als dem Beichtvater des Herzogs, wurde die Schuld von der Verletzung der Landschaftsprivilegien aufgebürdet, und er endete sein Leben auf dem Schaffot (1566). Als jetzt die Herzoginn von Mäckelnburg bei ihrem Vetter, dem Herzoge Albrecht, Mörlin vertrat und jener überdies vernahm, wie Mörlin „in allen Predigten hier zu Braunschweig treulich für das alte graue Haupt in Preussen zu beten beföhle,“ wurde er milder gegen ihn gesinnt und rief ihn in einem sehr freundlichen Schreiben 1567 nach Königsberg zurück. Mörlin wurde hier Bischof von Samland, stellte sofort in der Repititio corporis doctrinae christianae die reine luthersche Lehre wieder her und pries trotz seiner Liebe zu Braunschweig die Gnade Gottes für seine Wiederberufung. Er wolle nicht ein Fürstenthum darum nehmen – erklärte er – dass er die Braunschweigische Kirche verlassen habe. In den Worten, die er von Königsberg aus an seinen Freund Lampe in Braunschweig schrieb: “homines hic nos esuriunt et sitiunt, aber Braunschweig ist mein Herz“ lag dem Knechte Gottes der Ton auf der ersten Hälfte. Es waren ihm indess nur noch wenige Jahre zugezählt. Häufig von Steinplagen heimgesucht starb er zu Königsberg den 23. Mai 1571 an den Folgen einer schmerzlichen Operation.

Über Mörlin’s Predigten sagt sein Sohn Hieronymus in der Vorrede zu der von ihm herausgegebenen Evangelienpostille seines Vaters: „Es leben noch viel Leute, welche D. Mörlin herzlich gern und mit Lust haben hören, weil er im Leben war, predigen. Wiewohl die lebendige Stimme alle zeit mehr der Zuhörer Herzen durchdringet und beweget, aber doch auch in den Schriften der gottfürchtigen und hochbegabten Leute der Geist Gottes dabei ist und seine sonderliche Kraft von sich blicken lässt. Denn Das ist noch manchem redlichen Christen, Beide, allhie in Preussen und Deutschland, wohl bewusst und bekannt, dass mein lieber Vater D. Mörlin mit sonderlichen, schönen, fürtrefflichen Gaben von Gott begnadet gewesen, dass er den rechten Grund göttlicher Lehre durch Gottes Gnade wohl gefasst und verstanden, auch nicht ein Scheinheiliger, sondern mit allem Ernst gottfürchtig gewesen, dem auch nicht allein auf der Zunge Gottes Wort schwebte, sondern es stak ihm mitten im Herzen, dass Wort, Gebärde und Herz und Alles, was in ihm war, ernstliche Gottesfurcht war. Und er hatte (dass ich andere Gottesgaben in ihm auch dies Mal übergehe) eine sonderliche Gnade in der Predigt, Gottes Wort dem gemeinen Volke fürzutragen, also, dass er mit grosser Weisheit konnte erwählen und auslesen, was seinen Zuhörern am allernöthigsten, fruchtbarlichsten und heilsamsten war. Er konnte auch die Lehre also ordentlich setzen und abtheilen, dass man sie wohl und eigentlich merken konnte. Über Das hatte ihm Gott gegeben eine wohlberedte Zunge, dass er mit guten, eigentlichen, verständlichen Worten ohne allen Zwang und Affectation die hohen Geheimnisse Gottes konnte ausreden und dermaassen ausstreichen, dass Jedermann mit Lust und Liebe und grossem Nutzen ihm zuhörte. Er bearbeitete sich auch mit allem Fleiss, auf das Nächste, als er immer konnte, dem theuern Mann Gottes Luthero (welcher in Deutschland mit Predigen der ganzen Christenheit fürgegangen, und aus welches Predigten andere nützliche Prediger entstanden, und aus welches Postillen alle reinen Postillenschreiber jetziger Zeit in der Kirche Gottes entsprungen und hergeflossen, ob es gleich etliche kürzer, etliche länger, etliche was krauser machen) zu folgen, Beide, in Worten und in der Lehre selbst. Denn er von Jugend auf in der Schulen Lutheri erzogen, dass ich auch hoffe, es werden derenthalben solche Predigten meines Vaters gutherzigen Christen desto lieber und angenehmer sein. Zu Dem sind gegenwärtige Predigten meines Vaters nicht von Jemand unter dem Sermon nur aufgefangen und verzeichnet, sondern er hat sie mit eigener Hand aufgeschrieben und nur seine Gedanken von ersten also formiret und entworfen und hernach auf dem Predigtstuhl fürgetragen. Nun ist Das auch wahr, dass er, wenn seine lebendige Stimme dazu kommen, viel Dings, nachdem der Geist Gottes ihm es hat eingegeben, reichlicher, mit mehren Worten, Sprüchen, Gleichnissen ausgeführt. Jedoch sind die Hauptgründe seiner Predigten hierinnen verfasst und verzeichnet, daran das Allermeiste gelegen.“ Auch Luther gedenkt einer Predigt Mörlin’s und lobt ihre Popularität mit den Worten: „Mir hat M. Joachim Mörlin diesen Tag wohlgefallen mit seiner Predigt. Da handelt er vom Amt der Weiber oder der Mägde, nämlich, dass ein Weib gedenken sollte, dass sie in einem heiligen Stande lebte, item, ein Mann wäre im Hause Gottes Gabe. Eine Magd sollte auch wissen, dass ihr Stand heilig, und ihre Werke heilige, gute Werke wären. Dieses tragen die Leute mit heim; aber was aufgeblasen, hoch und heimlich Ding wäre, Das verstünde Niemand“ (Tischr.). Der Ton seiner Predigten ist im Ganzen still und mild, wird jedoch, auf besondere Veranlassung falscher Lehrer, stürmisch und heftig. Letzteres gilt vorzugsweise von den zu Königsberg (1551) gegen Osiander gehaltenen Predigten. Die Textanalyse ist kunstlos und allein auf die Erbauung gerichtet, die leider hie und da durch Einmischung lateinischer Sätze gestört wird.

Mörlin verfasste u.a. folgende Schriften: Epistola ad Andr. Osiandrum. 1551. 8. Contra sacramentarios disputationes duae: 1. de Coena Domini – 2. de communicatione idiomatum. 1561. 8. Von dem Berufe der Prediger, und wiefern die weltliche Obrigkeit Macht hat, selbige ihres Amts zu entsetzen. Eisleben 1565. 4. Postilla oder summarische Erinnerung bei den sonntäglichen Jahresevangelien und Catechismi, D. Joachimi Morlini, etwa Bischofes auf Samland. 1587. Aus den Concepten mit seiner eigenen Hand verzeichnet, treulich zusammengetragen (von Hieronymus Moerlin, Pfarrer zu Tilsit). Erfurt 1587. fol. Predigten über die Psalmen (herausgegeben von Demselben). Erfurt 1580. fol. Enchiridion, der kleine Catechismus Lutheri in Fragstücke verfasst. Leipz. 1560.

Die bedeutendsten Kanzelredner der lutherschen Kirche des Reformationszeitalters, in Biographien und einer Auswahl ihrer Predigten dargestellt von Wilhelm Beste, Pastor an der Hauptkirche zu Wolfenbüttel und ordentlichem Mitgliede der historisch-theologischen Gesellschaft zu Leipzig Leipzig, Verlag von Gustav Mayer. 1856