Georg Wagner

Als das helle Licht des Evangeliums von Wittenberg aus ganz Deutschland erfüllte, ward auch Baiern davon berührt. Wie anderwärts die Fürsten dem Evangelium Raum boten, so auch im Anfang die Herzöge von Baiern. Das Brüderpaar Wilhelm und Ludwig, von denen jeder ein Gebiet beherrschte, verwandelten jedoch bald ihre Neigung für das Wort Gottes in Feindschaft. Schon im Juli 1523 wurde in München ein Bäcker auf Befehl des Herzogs Wilhelm enthauptet. Ihm folgten um des Evangeliums willen noch manche andere Zeugen der Wahrheit. Viele flohen nach Augsburg, welches Herzog Wilhelm „die Grube aller lutherischen und andern verdammten Ketzereien“ nannte. Wer aber in seine Hände fiel, mußte bluten. In Landsberg starben neun Männer den Feuertod, in München wurden 29 Männer ersäuft, drei andre Männer mußten mit ihren Frauen auf den Scheiterhaufen steigen, weil sie nicht zum Glauben der römischen Kirche zurückkehren wollten. Am 16. August 1527 starb der edle Märtyrer Leonhard Käser den Feuertod

In demselben Jahre mußte ein andrer Prediger des Evangeliums sein Leben endigen, weil er nicht widerrufen wollte. Er war von Emmeringen in Baiern und hieß Georg Wagner, in der lateinischen Sprache Carpentarius genannt. Sein Lebensgang ist uns nicht näher bekannt. Kurz, er kennt, liebt und verkündigt das Evangelium. Manche haben behauptet, er sei ein Wiedertäufer gewesen, aber so weit wir die Untersuchung kennen, finden wir nichts von der Wiedertäuferei, wohl aber die mehr reformirte Auffassung der heiligen Schrift. Er war ein Mann, dessen Herz ruhte in Christo. Seine letzten Reden bewiesen das. Er saß im Falkenthurm in München. Als das Schlußurtheil über ihn gefällt war, holten ihn am 8. Februar 1527 zwei Henker ab, um ihn zum Richtplatz zu führen. Auch Barfüßermönche erschienen, um den Blutzeugen zu geleiten und auf ihre Weise zu trösten. Wagner bat sie, ihn zu verschonen und lieber in ihre Klöster zurückzukehren. Was sie ihn lehren und womit sie ihn trösten wollten, das könne er nicht brauchen.

In Begleitung der Schergen kam er vor das Rathhaus. Hier wurden ihm noch alle Artikel, die er bekannt und vertheidigt hatte, vorgelesen. Es waren ihrer hauptsächlich vier. Der erste verwarf die Behauptung der römischen Kirche, als könne ein Priester einem Menschen in der Ohrenbeichte seine Sünden vergeben. Zweitens hatte er die Lehre, nach welcher der Meßpriester das Brod in den Sohn Gottes verwandelte, verworfen, und damit zusammenhängend sprach er aus, er könne nicht glauben, daß ein Mensch unsern Herrn Gott vom Himmel zu holen vermöge. Nach dem vierten Punkte, der ihm vorgehalten wurde, läugnete er, daß die Wassertaufe den Menschen ohne weiters selig machen könne. Man gab sich noch alle Mühe, ihn zum Widerrufe und Abfalle zu bewegen, und scheute sich nicht, ihn zu plagen. Er aber blieb fest und unerschütterlich. Unter andern fragte ihn Einer: „Mein Freund Georg, fürchtest du dich denn nicht vor dem Tod, den du leiden sollst? Willst du nicht lieber frei sein und zu deinem Weib und deinen Kindern gehen?“ Zarte Bande waren mit diesen Fragen angeregt, Wagner verleugnete sie nicht, aber er kannte ein höheres Ziel, das ihm jetzt so nahe stand. In diesem Sinne erwiderte er: „Wenn mich der Richter freigeben wollte, wohin sollte ich lieber eilen, als zu meinem herzlieben Weib und Kindern?“ „Widerrufe nur,“ sagte Jener, „so kannst du wieder frei werden.“ „Nein,“ sagte Carpentarius, „es sind mir zwar mein Weib und Kinder so lieb und werth, daß ich sie dem Herzog von Baiern um all‘ sein Land und Leute, Geld und Gut nicht geben wollte, aber doch habe ich Gott noch viel lieber, um welches willen ich sie auch gerne verlasse.“

Bei der Hinführung zum Richtplatze machte sich der eben angeführte Gelehrte abermals an Wagner mitten auf dem Markte, um ihn zum Widerrufe zu bewegen. „Mein Freund Georg,“ sagte er, „ich glaube das Sakrament des Altars, und nicht bloss das Zeichen.“ Wir verstehen ihn, er meinte die Verwandlung des Brodes und Weines in den Leib und das Blut Christi. Deshalb antwortete ihm Wagner: „ich halte das Sakrament des Altars, wie ihr es nennt, für ein Zeichen des Leibes und Blutes Jesu Christi, der für uns in den Tod des Kreuzes gegeben worden ist.“ Da wandte sich auch ein Prediger am Dom zu München, Namens Schritter, an den Zeugen mit einem scheinbar unverfänglichen Vorschlage: „Georg,“ sagte er, „willst du nicht glauben an das Sakrament, so setze doch zum wenigsten deine Hoffnung auf Gott, und sprich: Ich bin meiner Sache gewiß. Gleichwohl will ich, wenn ich mich geirrt habe, es mir lassen leid sein und mich bekehren.“ Diese Versuchung abweisend antwortete Wagner: „Gott läßt mich nicht also irren.“ Der schon mehrmals genannte Schulmeister, wie ihn der alte Bericht tituliert, zeigte ihm jetzt einen Ausweg, indem er sagte: „Lieber, übereile dich nicht, erwähle dir einen frommen Christen, es sei Schritter oder ein Andrer, welchem du dein Herz eröffnest, zwar nicht beichtweise, sondern allein rathsweise.“ „Das werde ich nicht thun,“ erwiderte Georg, „denn ich habe es nicht nöthig.“

Nach diesem Gespräche fing der genannte Domprediger an, das Vater Unser dem zum Tode Verurtheilten vorzubeten. Als er den Anfang sprach: „Vater unser, der du bist in dem Himmel,“ fiel ihm Georg in die Rede mit den Worten: „Fürwahr mein Gott, du bist unser Vater, und kein andrer. Heute an diesem Tage begehre ich, bei dir zu sein.“ Der Vorbeter fuhr mit der ersten Bitte fort: „Geheiliget werde dein Name.“ Georg fügte hinzu: „Ach mein Gott, daß dein Name recht geheiligt würde!“ Der Domprediger: „Dein Reich komme.“ Georg: „Heute darf ich hineinkommen.“ Bei der dritten Bitte: „Dein Wille geschehe auf Erden, wie im Himmel,“ sagte Georg: „Hie bin ich, Vater, dein Wille geschehe, und nicht der meine!“ Schritter: „Unser täglich Brod gib uns heute.“ Georg: „Der Herr Jesus Christus, das rechte Brod, sei heute meine Speise.“ Schritter: „Vergib uns unsre Schulden, als wir vergeben unsern Schuldigern.“ Da wandte sich Georg an die Umstehenden: „Lieben Freunde, ich will Allen gerne vergeben, sowohl meinen Freunden, als auch meinen Feinden.“ Und als der Domprediger mit den zwei letzten Bitten schloß: „Führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Uebel,“ schloß auch Georg mit dem sehnlichen Seufzer: „O mein Gott und Herr, du wirst mich ohne allen Zweifel erlösen, denn auf dich allein habe ich gehofft.“ Nun ging Schritter an den christlichen Glauben, indem er sagte: „Ich glaube an Gott den Vater, allmächtigen Schöpfer Himmels und der Erde.“ Georg fügte bei: „Ach mein Gott, auf dich allein hoffe ich, an dich allein glaube ich und an keine Kreatur. Aber sie haben mich von dir abwenden wollen. Stärke mich, o Herr!“ Aehnliches setzte er den beiden andern Artikeln des Glaubens bei.

Nach solchen Gebeten fragte ihn der Schulmeister: „Georg, glaubst du so stark an Gott deinen Herrn, als du es mit dem Munde bekennst?“ „Es würde mir schwer fallen,“ antwortete der Gefragte, „ja es würde unmöglich sein, den Tod zu leiden, wenn ich nicht von Herzen glaubte, was ich mit dem Munde bekenne. Denn ich habe wohl gewußt, daß ich um Christi willen leiden müßte, wenn ich ihn bekennen und ihm nachfolgen würde. Ach mein Gott, wo des Menschen Schatz ist, da ist auch sein Herz.“ Darauf fragte ihn der Domprediger: „Georg, hältst du es für nöthig, daß man für dich nach deinem Tode bete, so will ich für die Erlösung deiner Seele eine Messe halten.“ Georg gab zur Antwort: „So lange die Seele in diesem meinem Leib sein wird, so lange bittet Gottes Sohn für mich, daß er mir wahre Geduld, Demuth und einen christlichen Glauben verleihen wolle, auf daß ich diese Marter desto standhafter ertragen könne. Wenn aber Leib und Seele von einander geschieden sein werden, alsdann habe ich keines Betens mehr vonnöthen.“

Unter solchen Reden kam man auf dem Richtplatz an. Der Henker band den edlen Märtyrer auf die Leiter. Da that Georg seinen Mund auf und erklärte dem Volke etliche Punkte des christlichen Glaubens. Einige fromme Christen traten zu ihm mit der Bitte, ein Zeichen von sich zu geben, wenn er in’s Feuer geworfen würde, woran sie seinen Glauben zu erkennen vermöchten: „Das soll das Zeichen sein, antwortete er, daß, so lange ich meinen Mund aufthun kann, ich den Namen Jesu Christi bekennen will.“ So fest stand dieser Mann. Eben richteten ihn die beiden Henker mit der Leiter auf, da sagte er zu einem christlichen Freunde, der zugegen war: „Gute Nacht!“ und bat ihn mit fröhlichem Angesichte um Verzeihung. Sobald ihn aber der Henker in’s Feuer stieß, rief er mit lauter Stimme: „Jesu, Jesu!“ Und als der Scherge abermals mit dem Haken auf ihn stieß, hörte man noch etliche Male den süßen Jesusnamen aus seinem Munde, und dann verschied er.

Das geschah am 8. Februar 1527 in der Stadt München.

Karl Friedrich Ledderhose in Neckarau.

Evangelisches Jahrbuch für 1856
Herausgegeben von Ferdinand Piper
Siebenter Jahrgang
Berlin,
Verlag von Wiegandt und Grieben
1862

 

Heinrich von Zutphen

Heinrich von Zutphen

Zu Meldorf in Süderdithmarschen hatten der dasige Pastor Nicolaus Boje und eine daselbst wohnende Witwe Wiebge Junge geb. Nanne von der evangelischen Predigt gehört, mit welcher zu Bremen ein Mönch, Heinrich von Zütphen, aufgetreten wäre und fortwährend Beifall fände. Derselbige nach seiner Geburtsstadt so genannt, sein Familienname Möller, auch ein Augustinermönch wie Luther, war aus den Niederlanden nach Wittenberg gereist, um von Dr. Luther den wahren Glauben und das rechte Predigen zu lernen. Wohl ausgerüstet ging er in sein Vaterland zurück: daselbst fing er zu Antwerpen zu predigen an, ward aber in’s Gefängniß gebracht. Mit Hülfe evangelischgesinnter Freunde entfloh er und kam über Wittenberg nach Bremen, woselbst er in der Ansgarii-Kirche von 1522 an mit großem Beifall und gesegneter Arbeit predigte.

Nach diesem Mann verlangte die beiden zu Anfang Genenneten und andere fromme Leute, daß sie ihn nach Meldorf bekämen und sandten ein Schreiben an ihn, daß er käme, ihnen das Wort Gottes zu verkündigen und sie aus dem Rachen des Antichrists zu reißen, weil derselbige so gewaltig regierte bei ihnen. Heinrich’s Freunde in Bremen wollten ihn gern behalten, fürchteten alles für ihn in Dithmarschen, er aber wußte sie zu trösten und beschloß dahin zu gehen, reiste am Montag nach dem ersten Advent ab und kam in den letzten Tagen dieser Woche glücklich über Brunsbüttel in Meldorf an, wo ihn seine Freunde mit großem Frohlocken empfingen, 1524. Aber seine Feinde ruhten auch nicht. Eine alte Schrift damaliger Zeit sagt, der Teufel roch den Braten und ward zornig mit seinen Leuten. Meldorf hatte ein Augustinerkloster, der Prior Torneborch machte sich Sonnabends nach Heide zu den 48 Verwesern (Herrn Regenten) des Landes, welche daselbst beisammen waren, gab ihnen Nachricht, daß ein Ketzerprediger, Heinrich von Zütphen mit Namen, ans Bremen nach Meldorf gekommen sei, wo man eben so viel Wesens aus ihm machen würde wie in Bremen, zur Verkehrung der ganzen Landschaft. Torneborch fand besonders Gehör bei einem Landesverweser Peter Nanne, der ein Bruder war von jener Wiebge Junge und bei dem Landschreiber Herrn Günther Werner. Diese Beiden stellten der Versammlung vor: Wenn die Ketzerei bei ihnen einrisse, wie dann das Marienlob bald fallen, Zwiespalt und Aufruhr entstehen würde, darüber sie ihre Freiheit verlieren könnten, daß sie dagegen sich Gunst und Gnade erwerben würden, wenn sie den Kerl verbrenneten. Es wurde indessen doch kein Todesurtheil gesprochen, sondern sie gaben dem Prior einen Brief mit, an das Kirchspiel Meldorf, und einen an den Pastor Boje, des Inhalts: Sie sollten den Mönch nicht predigen lassen, sie sollten ihn fortjagen bei der höchsten Strafe, nach Gelegenheit des Landes. In der Nacht auf den Sonntag ließ der Prior diesen Brief dem Pastor insinuieren, dieser erklärte darauf: dem Befehl kann ich nicht willfahren, die 48er haben um Kirchensachen sich nicht zu bekümmern, das kommt der Gemeine zu und hier hat, (Meldorf war damals eine Stadt) Bürgermeister und Rath zu sprechen. Heinrich war eben sowohl nicht erschrocken, als Boje ihm hiervon Nachricht gab und da er hörte, was Landes-Recht und Brauch war in solcher Sache, erklärte er: Ich will meinem Beruf nachkommen, will predigen so lange als es der Gemeinde gefällt, denn man muß Gottes Wort mehr gehorchen als der Menschen, will Gott, daß ich in Dithmarschen sterben soll, so ist der Himmel mir hier so nahe, als anders wo, – ich muß doch um Gottes Wort willen mein Blut noch vergießen.

Des Morgens stand er auf der Kanzel, das Evangelium des 2. Advents, Lucä 16, 25-36: „Und es werden Zeichen geschehen.“ war wie gewählt. Welchen Eindruck diese Predigt machte, kann man aus dem allgemeinen Urtheil darüber abnehmen: der heilige Geist spricht aus ihm, denn er hat uns ganz entzündet und angesteckt. Nachmittags hat er wahrscheinlich wieder und über die Epistel gepredigt; angemerkt findet sich der gebrauchte Spruch, Röm. 15, 1: „Wir aber, die wir stark sind, sollen der Schwachen Gebrechlichkeit tragen und nicht Gefallen an uns selber haben!“ So wohnet die Demuth jeder Zeit in Einem Hause mit dem Muth. Am Mittwochen wieder zweimal und das Volk lief aus allen Winkeln zu Haufen, so auch des Freitags. In diesen Predigten vornämlich wurde das Volk überzeugt, daß die Mönche und Pfaffen bisher mit lauter Lug und Trug umgegangen waren. Heinrich wurde gebeten, bei ihnen zu bleiben, wenigstens Weihnachten noch. Während er so in Meldorf predigte, bewirkte der Prior einen Befehl von den 48ern, man sollte Heinrich nicht predigen lassen, bei Strafe von 1000 rhein. Gulden und das Kirchspiel solle am Montag einige Bevollmächtigte nach Heide schicken, da die Landschaft wichtiger Dinge wegen zusammen käme. Mit großem Widerwillen und Zorn wurde dieser Brief angehört, weil solcher Brief ganz gegen Verfassung und Landesbrauch anging. „Jedes Kirchspiel im ganzen Lande kann ja Priester einsetzen und absetzen, wie es will! Sie greifen zu weit, das können wir und müssen wir nimmer leiden.“ Sie beschlossen, Bevollmächtigte hinzuschicken mit freundlichen und ernsthaften Vorstellungen. Diese aber halfen nichts, die Herren waren zu sehr erbost, der eine sagte dieß, der andere sagte das, und sie konnten nicht zum Schluß kommen. Zuletzt trat der alte weise Peter Detlefs von Delve hervor und sagte: „Wir wissen ja, lieben Freunde, daß in allen Ländern großer Zwiespalt über den Glauben ist, Leute wie wir, ungelehrte, unverständige Menschen in solcher Sache, können nicht richten, darum laßt das unsere Meinung sein, daß wir die Sache aufschieben bis zu einem allgemeinen Concilium, welches ja binnen Kurzem gehalten wird, wie unser Herr Landschreiber berichtet; was dann unsere guten Nachbaren halten und glauben werden, dasselbige, denke ich, nehmen wir auch an; ist es aber der Fall, was man sagt, daß Gottes Wort nicht genugsam klar gelehrt wird und jemand ist, der es klarer und reiner lehren kann, wollen wir das nicht verbieten, denn wir können keinen Aufruhr haben; – darum sei jeder zufrieden und lasse die Sache auf sich beruhen bis zu Ostern, mittlerweile wird es sich von selbst schon ausweisen, was recht und was unrecht ist.“ Die Rede fand Beifall, davor denn ja auch kein Bauer sich schämen darf, und was Peter Detlefs wollte ward beschlossen. Die Meldorfer aber zogen mit großer Freude nach Hause, brachten der Gemeinde diese angenehme Botschaft und Jeder hoffte, daß die Sache nun wohl gut gehen würde.

Die Mönche und andere Feinde hatten sich den Ausfall in Heide nicht also gedacht und mußten nun dafür sorgen, daß das angelegte und angeblasene Feuer nicht wieder kalt würde. Torneborch reiste nach Lunden zu den dortigen Mönchen und brachte durch diese zu wege, daß einige angesehene Männer zum Rathschlagen zusammen kämen, namentlich Peter Nanne, Claus Rode, Peter Swyn; diese wollten nicht recht in die Sache eingehen, sagten: Wir haben ja nach Meldorf geschrieben, wenn es nöthig thut, wollen wir noch einmal. „Nicht schreiben, sie werden wieder schreiben und ihr werdet in die Ketzerei verflochten, wir müssen der Sache anders beikommen. Das beste Mittel ist, wir nehmen ihn des Nachts gefangen und verbrennen ihn, bevor die Landschaft und das Volk es gewahr wird.“ Der Anschlag gefiel Peter Nanne und er übernahm das Weitere. Er ging zum Landschreiber Günther und in dessen Hause wurde beschlossen, einige große, starke, verwegene Leute zu Hülfe zu rufen, welche wiederum andere an sich ziehen sollten und mit diesen zu erscheinen in Hemmingstedt den 10. December gegen Abend, wenn die Betglocke schlüge. Wie auch geschah.

Zu bestimmter Zeit kamen sie in Hemmingstedt, eine halbe Meile nördlich von Meldorf, zusammen, bei 500 Mann stark. Zuerst wurden die Wege, die nach Meldorf gingen, besetzt, damit keiner hinkommen und warnen könne, dann machte man dem Haufen bekannt, was geschehen sollte; allein dieser entsetzte sich vor solcher That. Die Hauptleute mußten mit schwerer Brüche drohen, die Mönche mußten einige Tonnen Bier zum Besten geben, da gingen sie voll und toll darauf los. Gegen Mitternacht zogen sie in Meldorf ein. Alle lagen im tiefsten Schlafe. Aber im Kloster war man munter und wach. Hier bekamen sie Licht und Fackeln. Ein Verräther, Namens Johann Maaß der Große, der im Predigerhause Bescheid wußte, stieg in die Bodenlucke und machte von innen die Hausthür auf. Den Pfarrherrn Boje rissen sie hinaus auf die Straße und schrien, er solle mit, andere dagegen, sie sollten ihn gehen lassen, dazu hätten sie keinen Befehl; den guten Heinrich konnten sie erst nicht finden, sie schrien: „wo ist der Mönch? wo ist der Mönch?“ bis sie den auch trafen, rissen ihn aus dem Bett, schlugen und stießen ihn, banden ihm die Hände fest auf den Rücken und zogen also mit ihm fort. Sie rissen so fürchterlich mit ihm herum, daß selbst sein arger Feind Peter Nanne sich erbarmen mußte und sagte, sie sollten ihn los machen, er ginge wohl von selbst. Darauf ward ein großer Kerl gerufen, Bolke Johann aus dem Dorfe Lieth, der sollte ihn leiten, wo der Unmensch aber nur Gelegenheit sahe, da führte er den armen Mann durch Pfützen und durch junges Eis, daß ihm das rothe Blut aus den Fußen sprang. In Hemmingstedt hielten sie wieder an. Heinrich war ganz erschöpft, er konnte nicht weiter und mußte es doch. Er bat, sie möchten ihm ein Pferd geben. Da singen sie an zu lachen: ob man dem Ketzer noch ein Pferd halten solle! man fragte ihn, auf welche Art er in’s Land gekommen sei und was er hier verloren habe, worauf er mild und freundlich antwortete, daß sie in ihrem Gemüth sehr bewegt wurden, da hieß es: Nur weg! Nur weg! sprecht ihr mit ihm, so macht er euch zu Ketzern. Also ging es wieder vorwärts nach Heide zu, das ist noch eine halbe Meile weiter.

In Heide brachte man ihn in einen Hauskeller, hier trieb man allerlei Spektakel mit ihm, wie ein plumpes und dummes Volk es nicht anders kann, bis der Landschreiber Günther zu ihm hinab stieg und ihn fragte, ob er nach dem Bischof in Bremen geschickt werden, oder ob er seinen Lohn in Heide empfangen wolle. Heinrich antwortete: Habe ich etwas Unchristliches gelehrt oder gethan, so könntet ihr mich wohl darum strafen, der Wille Gottes geschehe! Hört, lieben Freunde, sagte Günther, er will in Dithmarschen sterben. Morgens 8 Uhr traten sie auf dem Markt zusammen, Rath zu halten, was jetzt weiter mit dem Ketzer zu machen sei. Da schrien sie Alle: Zum Feuer! Zum Feuer! und die Kehlen, die noch etwas heller waren, setzten hinzu, so werden wir heut bei Gott und Menschen Ehre erwerben, er muß sterben. So wurde die Unschuld verdammt, unverhörter und unbezeugter Weise.

Darauf wurde ausgerufen: Alle, welche den Mönch geholt haben, sollen sich mit Gewehren versehen und ihn hinausführen zum Feuer. Da banden sie ihm Stränge und Riemen um den Leib, um den Hals, um Hände und Füße und ein Jeder hielt ein Ende derselben in seiner Hand, schleppten ihn fort, einer zog hier-, der andere dorthin, bis östlich von Heide, wo das Feuer schon angezündet war. Auf Lütjenheide, da sie vorbeikamen, stand eine Hausfrau in ihrer Thür, die sah den Jammer an und weinte, das wurde Heinrich gewahr und sagte zu ihr: Liebe Frau, weint nicht über mich, denn das ist Gottes Wille! Als sie zum Feuer kamen, wo Heinrich sich vor großer Mattigkeit niedersetzte, trat der Vogt hervor und sprach das Urtheil mit den Worten: Dieser Bösewicht hat gepredigt wider die Mutter Gottes und den christlichen Glauben, aus welcher Ursache ich ihn verurtheile, anstatt meines gnädigen Bischofs in Bremen, zum Feuertode. Heinrich antwortete darauf: das habe ich nicht gethan, doch Herr, dein Wille geschehe! Darnach betete er seinen Glauben, schlug seine Augen aufwärts zum Himmel und sagte: Herr, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie thun! Dein Name ist allein heilig, himmlischer Vater!

Eine kleine Labung für Heinrich. Seine Meldorfer Freunde hatten ihn doch nicht alle verlassen. Pastor Boje mußte wohl zu Hause bleiben, den sie so böse zugerichtet hatten; aber Wiebke Junge wollte sich nicht halten lassen, sondern reiste sogleich hinterher. Wie mag Heinrich’s Herz erfreuet sein, als er Wiebke Junge sah! Sie wollte ihn noch retten, arbeitete sich durch das Volk, trat vor das Feuer und redete die Mörder mit freiem Muthe an: Was wollt Ihr? was macht Ihr? ich habe ihn gerufen, ich habe ihn in’s Land gebracht. Schlagt mich, peitscht mich, und ich will noch tausend Gulden dazu verlegen, wenn ihr den Mann frei lasset bis zum nächsten Montag, damit das ganze Land ihn verhöre und dann verurtheile! Ach! das half nichts, sie stießen sie zurück.

Wenn bei schlechten Menschen eine Fürbitte nicht hilft, so thut sie Schaden. Als Wiebke Junge weggestoßen war, drangen sie heftiger auf Heinrich ein. Johann Holm von Neuenkirchen schlug ihn mit einem Fausthammer, ein anderer mit einem Stoßdegen übern Kopf, ein anderer stach ihm in die Seite, in den Rücken, in die Arme, allenthalben, wo sie nur beikommen konnten, und das zwei volle Stunden, weil das Feuer nicht brennen wollte. Nackend im Regen und Schnee, über und über blutend, stand Heinrich vor dem Feuer, seine Hände gefalten, zum Himmel aufblickend. Zuletzt nahmen sie eine Leiter und banden ihn darauf, um ihn so in’s Feuer zu schieben. Da fing er an, seinen Glauben noch einmal zu sprechen, sie schlugen ihn aber auf den Mund, konnten ihm das nicht gönnen und sagten: Erst sollst du brennen, nachdem kannst du beten. So fürchterlich hielt der Mordgeist sie besessen. Sie banden ihm den Strang so fest um den Leib, daß ihm das Blut aus Nase und Mund lief, schoben ihn auf der Leiter über das Feuer, das schlecht brannte, mehr Rauch als Flamme gab. So lag Heinrich eine Weile. Da schlug ihn Johann von Neuenkirchen mit einem Fausthammer auf die Brust und tödtete ihm das Herz im Leibe. Jetzt regete er sich nicht mehr.

Da das Feuer gar nicht auflodern wollte, zogen sie den Leichnam vom Holzhaufen herunter, hieben Kopf, Hände und Füße ab, welche sie verbrannten, den Rumpf aber begruben sie an einer Stelle, die den Namen Mönchberg bekommen hat.

Solches ist geschehen 1524 am 10. und 11. December. Dreihundert Jahre später ist dieses Feld zu einem Begräbnißplatze für die Gemeinde Heide gemacht, geweiht, und Heinrich daselbst ein Denkmal errichtet worden. – Seit 1847 steht sein Name im Schlesw.-Holsteinischen Kalender unter Dec. 10.

Claus Harms in Kiel

Die Zeugen der Wahrheit
Dritter Band
Piper, Ferdinand (Herausgeber)
Verlag von Bernhard Tauchnitz
Leipzig 1874