(Geb. 24. Juni 1683, gest. am 23. Februar 1719.)
„Saget unter den Heiden, daß der Herr König sei, und habe sein Reich, soweit die Welt ist, bereitet„
(Ps. 96, 10.)
Bartholomäus Ziegenbalg ist der Erstling derer, die aus der deutschen evangelischen Kirche das Wort vom Kreuze unter die Heiden gebracht haben. Er ist zu Pulsnitz in der Oberlausitz am 24. Juni 1683 geboren. Schon frühe war er eine Waise; aber den Tod seiner Aeltern hat er sich zum Gedächtniß in seine Brust eingeschrieben. „Ich weiß mich noch zu erinnern, erzählte er später, wie meine Mutter auf dem Todtenbette uns Kinder alle zu sich kommen ließ, und zu uns sagte: Liebe Kinder! ich habe euch einen großen Schatz gesammelt, einen sehr großen Schatz habe ich euch gesammelt. Als dann meine älteste Schwester sie fragte: Liebe Mutter, wo habt ihr doch diesen Schatz? so antwortete sie: Suchet in der Bibel, meine lieben Kinder! Da werdet ihr schon finden; den ich habe jedes Blatt mit meinen Thränen benetzt.“ Der Vater hatte sich schon lange vor seinem Tode einen Sarg machen, und in seine Wohnung stellen lassen. Er lag einst krank darnieder. Da brach in Pulsnitz eine Feuersbrunst aus. Die Flammen wälzten sich auf sein Haus. Da legten die Kinder den kranken Vater in ihrer Herzensangst in seinen Sarg und trugen ihn auf den Markt. Da ist er unter freiem Himmel verschieden.
Solche Lebensereignisse mußten in Ziegenbalgs Brust einen tiefen, religiösen Ernst erzeugen. Auf dem Gymnasium zu Görlitz gab ihm Gott einen Freund, der ihm ein Wegweiser zum Leben wurde. Mit diesem betete er täglich, trieb täglich mit ihm das Wort Gottes, und ging dann mit ihm aufs Feld, wo derselbe ihm zeigte, wie man sich in Anschauung der Creaturen Gottes ergötzen, und ein jedes Geschöpf zu seiner Bekehrung gebrauchen könnte.“ Doch bald stand Ziegenbalg wieder allein; seine Mitschüler verspotteten ihn, und er mußte schon jetzt schwere Glaubenskämpfe durchmachen. Von dieser Zeit schreibt er: „Ich wurde von Gott gleichsam wie verlassen, indem ich seine tröstliche Gemeinschaft in meiner Seele nicht mehr empfinden konnte. Hingegen sah ich bei mir und bei allen Menschen Nichts als Jammer, Elend und Herzeleid. vor innerster Betrübnis meines Herzens konnte ich mit Niemand reden, hatte auch nicht eine Seele, der ich meinen Zustand hätte offenbaren, indem ein Jeder meinte, es wäre nur eine bloße Melancholie, die durch Lustigkeit mußte vertrieben werden. mir ekelte vor allen weltlichen Dingen, und ich konnte in Nichts meine Rufe und mein Vergnügen finden.“ Der tief bekümmerte Jüngling wandte sich an August Hermann Francke in Halle. Auf seinen Rath ging er auf das Friedrichs Gymnasium nach Berlin, wo sich der damalige Direktor, Joachim Lange, und Spener, seiner annahmen. „Da hörte ich die Prinzipien der wahren Weisheit so rein und deutlich, daß ich mich höchlich erfreute!“ jauchzt Ziegenbalg. Nächst Gott, bekannte er später oft, habe er das Meiste diesen beiden Lehrern zu verdanken.
Im Jahre 1703 bezog er die Universität Halle. Er wurde hier durch Francke tiefer in den Erlöser und in die Erkenntnis seiner Sündhaftigkeit hineingeführt. Sein Geist wurde zerknirscht; er fing an, sich für einen Prediger des göttlichen Wortes unwürdig zu halten, und beschloß, die Theologie zu verlassen, und Ackerbauer zu werden. Es ging mir bald, sagt er, wie dem Jonas, der gleichfalls von einer solchen schweren Bürde befreit werden mußte. Denn ob ich gleich nicht, wie Jonas, ins Meer geworfen wurde, so mußte ich doch unter schweren Züchtigungen die Hand Gottes fühlen, so daß ich mich endlich dem Willen Gottes gefangen geben mußte.“ Er offenbarte auch diesmal den Zustand seiner Seele dem geisteserfahrenen Francke. Dieser erhielt den Jüngling für den Dienst Gottes. Ein Wort besonders, welches er bei dieser Gelegenheit gegen ihn äußerte, ist tief in Ziegenbalgs Seele eingedrungen. „Wenn man Eine Seele unter den Heiden rechtschaffen zu Gott führt, so ist solches ebensoviel, als wenn man in Europa hundert gewinnt, indem diese täglich genugsam Mittel und Gelegenheit zu ihrer Bekehrung haben, jenen aber diese mangeln.“ Er blieb Theologe, und zog bald darauf als Lehrer nach Merseburg. Sein hallescher Freund von der Linde schloß sich hier mit ihm zu Einem Herzen und seiner Seele zusammen. Ziegenbalg wurde indessen bald als Lehrer nach Erfurt berufen. Von der Linde gab ihm das Geleite. Ehe sie schieden, gaben sie sich unter freiem Himmel vor Gottes Angesicht die Hände, und schwuren: „Wir beide wollen in der Welt nichts Anderes suchen, als die Verherrlichung des göttlichen Namens, die Ausbreitung des göttlichen Reichs, die Fortpflanzung der göttlichen Wahrheit, das Heil unseres Nächsten und die stete Heiligung unserer eigenen Seelen; wir mögen auch noch sie viel Kreuz und Leiden deshalb begegnen.“ Ziegenbalg war kaum zwei Monate in Erfurt, als körperliches Leiden ihn zwang, in seine Heimath zu seiner Schwester zu reisen. In Jahresfrist wurde er Prediger in der Nähe Berlins. Doch nun war seine Rüstzeit zu Ende. Sein Herr und Meister rief ihn in seinen Weinberg. Wir wollen sehen, woher ihm dieser Ruf kam.
Im Monat März des Jahres 1705 saß König Friedrich IV. von Dänemark in seinem Zimmer, und laß mehrere Bittschriften durch. in seiner derselben hat eine Witwe für sich und ihre fünf Kinder um Hülfe. Ihr Mann und ihr ältester Sohn waren auf der dänischen Besitzung Trankebar in Ostindien im Dienst des Königs von den Heiden ermordet worden. Dieser geringfügige Brief ist sehr wichtig geworden. König Friedrich fühlte in seinem Innern eine große Unruhe. Er nahm die Karte von der Küste Coromandel, auf der Trankebar liegt, legte den Finger darauf, und sagte: „Hier wohnen die Heiden, die das Licht der Welt nicht kennen, obgleich die Sonne so heiß und hell auf ihre Häupter scheint. Sie sollen nicht verloren werden. Es soll dort ein Licht angezündet werden, heller, als das der Leuchtthürme auf den Felsen der gefährlichen Küsten. Ich will Männer aussenden, die das Evangelium verkündigen, ihre Seelen zu retten für das ewige Leben.“ Er ließ sogleich seinen Hofprediger Lütkens kommen, theilte ihm seinen Entschluß mit, und trug ihm auf, sich nach tauglichen Männern in Dänemark umzusehen. Aber da war Niemand zu finden, der um Christi willen sein Vaterland verlassen wollte. „Das thut mir wehe, sagte der König, daß mein Land keine solche Rüstzeuge hat. Das ist keine feine Gottesgelahrheit, in der keine Liebe für die armen, verfinsterten Heiden lebt. Nun, so schreibt nach Deutschland!“ Man wandte sich an Francke, und dieser schlug Ziegenbalg vor, als den Mann, der den König gebrauchen könnte. Freudig nahm dieser den Ruf an. Sein Freund, Heinrich Plütschau aus Mecklenburg, schloß sich ihm an. Viele schüttelten über den unerhörten Entschluß der beiden jungen Männer die Köpfe. Sie aber empfahlen sich Gott, zogen im Oktober 1705 nach Kopenhagen, wurden hier zu Predigern des Evangeliums unter den Heiden ordiniert, und stachen schon am 29. November in See. Nach einer glücklichen Fahrt stiegen sie am 9. Juli 1706 zu Trankebar ans Land. Hier wurden sie jedoch von den dänischen Beamten und Kaufleuten sehr kalt empfangen. Man ließ sie bis zum Abend in der großen Hitze erst außerhalb der Stadt, dann auf dem Marktplatz stehen. Diesen Empfang sahen sie an, als vom Herrn geschickt, daß sie Nichts von Menschen, Alles aber von ihm erwarten sollten. Sie schreiben: „Da wir keinen Menschen in der Nähe hatten, den wir um Rath fragen konnten, wie dies, oder jenes angefangen werden sollte, so gingen wir allezeit zu unserm lieben Vater im Himmel und trugen ihm Alles im Gebet vor, wurden auch von ihm erhört, und mit Rath und That unterstützt. Nahmen wir unsere Zuflucht zu Andern hier in Indien, um sie um Rath zu fragen, so wurden wir noch weit mehr, als in Europa, von unserm Unternehmen abgeschreckt, da uns allezeit die Unmöglichkeit, unser Ziel zu erreichen, vorgehalten wurde. Nun fanden wir auch wirklich viele und große Schwierigkeiten, und konnten uns, wenn wir sie ansahen, keinen sonderlichen Eingang bei den Heiden versprechen. Doch ließen wir den Muth nicht sinken, sondern lasen fleißig zu unserer Stärkung im Glauben die Apostelgeschichte, und benutzten dabei alle die Mittel, welche wir für nothwendig erachteten, unser Amt im Segen anzufangen.“
Die Heiden, welchen Ziegenbalg das Heil in Christo verkündigen sollte, waren die Hindus. Ihre oberste, allgegenwärtige, allwissende und ewige Gottheit ist Brahm, oder Barabrahma. Aus ihm sind drei Götter entsprungen. Brahma, der Schöpfer, Wischnu, der Erhalter und Schiwa, der Zerstörer der Welt. Wischnu hat sich neunmal den Menschen in verschiedener Gestalt offenbart, als Fisch, Schildkröte, Schwein, Löwe, Zwerg, Riese u. s. w. Außerdem sind aus Brahma viele andere Götter hervorgegangen, Alles in Allem 330 Millionen. Ein Götzenbild des Schiwa beschreibt Ziegenbalg: „Es steht in einer großen Pagode, hat drei Augen, unter welchen das eine in der Stirn ist, und Alles verbrennen soll, was es ansieht. Auf beiden Seiten hat er acht Hände, zusammen sechzehn, in welchen er ganz besondere Dinge hält. An seinem Halse hängt eine Schelle, wie die Kühe sie zu haben pflegen. An der Stirn hat er einen halben Mond, und ist mit Schlangen und Tigern bekleidet.“ – Die Hindus sind in vier Klassen, oder Kasten eingetheilt. Jede ist von der andern scharf abgesondert; keine darf sich mit der andern vermischen; was der Vater ist, muß auch der Sohn werden. Die unterste Kaste ist ganz verachtet; die ihr Angehörigen werden als ganz andere, geringere und unreine Geschöpfe betrachtet, und dürfen nicht einmal berührt werden. Die aus der obersten Kaste aber, die Brahminen, halten sich den Göttern verwandt, und erhalten allen andern in der niedrigen Knechtschaft. Diese Kasteneintheilung ist für die Fortschritte des Evangeliums ein mächtiges Hinderniß gewesen. – Um selig zu werden, martern und quälen sich die Hindus in unmenschlicher Weise. Da gibt es Büßer, die sich alle Tage einige Stunden an den Füßen über ein Feuer aufhängen lassen; andere, die auf Pantoffeln mit eisernen Nägeln gehen, wieder andere, die sich mit dem nackten Leibe viele Meilen im glühenden Sande fortwälzen, bis sie ohnmächtig liegen bleiben. Welche Verfinsterung! –
Außer den Hindus gab es noch andere Heiden, die man Portugiesen nannte. Früher hatten nämlich die Portugiesen das Land inne gehabt; sie hatten sich mit den Heiden vermischt, und ihre heidnischen Nachkommen wurden mit ihrem Namen benannt. Einen dritten Theil der Bevölkerung bildeten die Muhamedaner.
Vor allen Dingen mußten die Missionare die Sprachen derer lernen, denen sie das Evangelium verkündigen wollten. Das Portugiesische hatten sie bald gelernt. Aber wer sollte sie das Tamulische lehren, welches die Hindus sprachen, wo es keine Wörterbücher, keine Hülfsmittel gab? Der Herr schaffte auch hier Rath. Sie fanden einen gelehrten Hindu, Aleppa, der durch seinen Umgang mit Europäern mehrere europäischen Sprachen gelernt hatte. Ziegenbalg konnte das Tamulische bald so fließend reden, wie sein liebes Deutsch. Im November 1706 begannen die Catechisationen in portugiesischer, im Januar 1707 in tamulischer Sprache. In letztere Sprache übersetzte er auch Luthers Katechismus, kräftige Gebete und geistliche Lieder. Bald sah er den Segen seiner eifrigen Arbeit. Schon am 12. Mai 1707 konnten fünf Sklaven getauft werden. Dabei breiteten die Boten Christi ihre Arbeit auch auf die Europäer aus. Jeden Mittwoch hielten sie in der dänischen Zionskirche zu Trankebar in deutscher Sprache eine Betstunde, welche von sehr Vielen besucht wurde. Christen, Heiden und Muhamedaner waren davon mächtig bewegt, sodaß sich das Gotteshaus allezeit mit Zuhörern füllte.
Ziegenbalg hielt es für nothwendig, ein eigenes Versammlungshaus für seine Zuhörer zu erbauen. aber woher sollte er das Geld nehmen? Das hatte er von seinem väterlichen Freunde A. H. Francke gelernt, der ohne Geld große Häuser bauen konnte. Er und Plütschau gaben ihr Gehalt zu dem Baue; auch mancher Andere trug dazu bei. Dreißig Heiden waren die Bauleute. „Unter großer Armuth, schreibt Ziegenbalg, fingen wir im Glauben und Vertrauen auf den Herrn an, in der Stadt auf eine großen Straße mitten unter den Heiden zu bauen, und obschon wir bei der damaligen Lage der Dinge nicht wußten, wie wir diesen Anfang zu Ende führen sollten, stärkte uns Gott bei unsern Widerwärtigkeiten so im Glauben, daß wir auf denselben Alles, was wir von unserm Gehalt erhielten, und was wir zuvor erübrigt hatten, verwendeten. Viele spotteten unser, aber Einige wurden zum Mitleid bewegt, so daß sie uns bei unserm Baue halfen.“ Am 14. August 1707 stand die Kirche fertig da. Sie wurde Neu-Jerusalem genannt. Christen und Heiden versammelten sich zu ihrer Einweihung. Ziegenbalg predigte in tamulischer, Plütschau in portugiesischer Sprache. Jeden Sonntag wurde in beiden Sprachen gepredigt, Mittwochs, Freitags und Sonntags über Luthers Katechismus katechisiert. Am 15. September fand zum ersten Male in Neu-Jerusalem die h. Taufe und das h. Abendmahl statt. – Eine besondere Fürsorge wendete Ziegenbalg den Kindern zu. im Jahre 1707 wurden eine tamulische und eine portugiesische Schule gestiftet; er übernahm die Aufsicht über die erstere, Plütschau über die letztere. Seit dem 28. Mai stand ihnen ein eingeborner Catechet zur Seite. Kleider, Bücher, und Kost erhielten die Kinder von den Glaubensboten. Da gab es denn oft eine große Noth. Ziegenbalg hat sich oft des Abends zu Bett gelegt, ohne zu wissen, woher er die Bedürfnisse für den folgenden Tag nehmen sollte. Und bei all‘ seiner Armuth wurde er noch wunderbar von dem Herrn geprüft. Im Jahre 1708 landete ein dänisches Schiff, welches für die Mission 1000 Thaler vom Könige brachte. Aber beim Ausschiffen sank das Missionsgeld auf den Meeresgrund, und ist nie wieder ans Tageslicht gekommen. Ein zweites Schiff, welches andere 1000 Thaler überbringen sollte, litt Schiffbruch; auch dieses Geld ging verloren.
Ziegenbalg begann um diese Zeit eine sehr wichtige Arbeit, die Uebersetzung des Neuen Testaments ins Tamulische. Er war bis zum 23. Kapitel im Matthäus gekommen, da wurde er dieser segensreichen Arbeit auf eine gewaltsame Weise entrissen. Er schreibt: „Gott gab zu Allem reichen Segen, was wir in seinem Namen anfingen. Jedoch hatten wir harten Widerstand, und zwar nicht sowohl von den Heiden, als von den europäischen Christen. Auch der Commandant selbst und der ganze Rath fing an, uns konträr zu werden, sodaß sie nicht nur in keinem Stück uns behülflich werden wollten, sondern auch auf alle Weise solches h. Werk zu verhindern sich bemühten. Unsere Gemeinde wurde wöchentlich vermehrt, und es mußten Heiden, Mohren (so nennt er die Muhamedaner), und Christen bekennen, daß solches ein göttliches Werk wäre. Gleichwohl wollten solches die Obersten allhier nicht erkennen, sondern fuhren fort in ihrem Haß und Neid, daß sich sogar auch die Heiden nicht wenig daran ärgerten. Je mehr wir die Wahrheit redeten, desto heftiger wurden wir verfolgt, sodaß sie endlich die ganze Gemeinde auszurotten gedachten.“ Als er in Folge dessen bei dem Könige Beschwerde führte, schickte Hassius, der dänische Commandant, Soldaten in seine Wohnung, um ihn in den Kerker abzuführen. Der Schuldlose fiel auf die Kniee ,und betete mit solcher Inbrunst, daß selbst die Soldaten davon ergriffen wurden. Dann folgte er diesen, und zog mit Gesang und Gebet in’s Gefängniß ein. Hier wollte er an der Uebersetzung des Neuen Testaments weiter arbeiten; aber der Commandant versagte ihm Feder, Dinte und Papier. Der Märtyrer beweis wahrhaft christlichen Geist. Am Neujahrstage 1709 schrieb er an seinen Feind aus dem Kerker einen Brief, worin es heißt: „Ob Sie mir bisher Alles verbieten können, was ich öfters von Ihnen verlangt, so haben Sie mir doch niemals zu verbieten vermocht, daß ich nicht für Sie hätte beten können, und werden auch fürderhin mir solches nicht verbieten können. – Ich bezeuge hiermit vor dem allwissenden Gott, vor meinem allergnädigsten Könige und vor der ganzen evangelischen Christenheit , daß ich rein und unschuldig am Blute derjenigen Heiden bin, die aus Enthaltung meines Amtes durch Ihre Schuld verloren gehen sollten. Ach, bedenken Sie also wohl, was Sie thun, sintemal Sie nicht wider mich, sondern wider Gott und Ihren König streiten!“ Das heißt feurige Kohlen auf des Feindes Haupt sammeln. Bald darauf wurde Ziegenbalg freigelassen; seine Haft hatte vier Monate gedauert. –
Ziegenbalg war wieder frei; aber damit war die Noth nicht vorüber. Noch immer kam kein Geld aus Europa; ihr geringes jährliches Gehalt von 200 Thaler blieb auch aus. Und doch wollten ihre Heidenkinder gespeyst sein. Da kam Geld. Einer brachte 40 Thaler, ein anderer 20, und so kam im Ganzen an 200 Thaler zusammen; und endlich, am 20. Juli 1709 kam ein Missionsschiff mit 3000 Thalern, welche die Christen Deutschlands und Dänemarks gesammelt hatten. Aber mehr als das waren drei neue Arbeiter, die auf demselben Schiff ankamen: Joh. Ernst Gründler, Joh. Georg Böving und Polycarpus Jordan. –
Für ein Drittheil des aus Europa angekommenen Geldes wurde ein geräumiges Missionshaus gekauft, das die Missionare mit Dienern und Schülern bezogen. Sie wollten beständig um die Heidenkinder seyn, weil die dafür hielten, daß der Herr aus ihnen seine Rüstzeuge für die Hindus wählen müßte. „Die Erfahrung hat uns gelehrt, sagt Ziegenbalg, daß, wenn man gute Christen haben will, so muß man fleißig mit Gottes Wort an der Jugend arbeiten.“ Indessen sollte er selbst nur ein Bahnbrecher für spätere Streiter des Herrn seyn. Er sollte arbeiten auf Hoffnung. Kanabadi Wathiar, der bei seiner Taufe am 19. Okt. 1709 den Namen Christian Friedrich erhielt, schien freilich eine Säule des Missionswerks zu seinen Landsleuten werden zu wollen. Er litt sogar viel Schmach und Verfolgung um Christi willen. Dann aber gewann der die Welt wieder lieb, wurde katholisch, und hat endlich als Götzenpriester ein trauriges Ende genommen. Solche Erfahrungen mußten Ziegenbalg in der Seele wehe thun. Aber im Glauben arbeitete er muthig fort, ob der Herr nicht seinen Segen gäbe. Und der fehlte auch nicht ganz. Die Gemeinde der Heidenchristen bestand aus etwa hundert Gliedern, und zu Ende des Jahres 1709 kamen siebenzehn neun hinzu. Unterdessen setzte er die Uebersetzung des Neuen Testaments ins Tamulische mit eisernem Fleiße fort. Im Frühjahre 1711 war das große Werk beendet. Er konnte nun sagen: „das ist hier in Indien ein Schatz, der alle andern irdischen Schätze übertrifft.“ Ein katholischer Priester, Johann Fereira d’Almeida, der zur evangelischen Kirche übergetreten war, hatte das Neue Testament ins Portugiesische übersetzt. Aus England kam im August 1712 eine Missionsdruckerpresse an. Schul- und Gesangsbücher, Schriften von Spener und Francke wurden in der Landessprache, (aber mit lateinischen Lettern), gedruckt, und unter die Heiden geschickt. Bald kam auch aus Deutschland eine Druckerei mit tamulischen Lettern an; und nun konnte der Druck des Neuen Testaments sogleich vor sich gehen. Das Werk hatte seinen Lohn. So bekam Ziegenbalg einst einen Brief von einem Hindu, in dem es heißt: „Ich spreche allezeit: „Herr, vergib mir meine Sünden, die, welche ich weiß, und die, welche ich nicht weiß! Daß ich so weit gekommen bin, dazu sind mir Ihre Bücher behülflich gewesen; sonst wäre ich ein Thier geblieben.“ – Um dieselbe Zeit, – am 19. Juli 1712, – stellte König Friedrich IV. eine Urkunde aus, nach welcher jährlich 2000 Thaler zur Besoldung von 4 Missionaren, und zur Unterhaltung der Schulen und anderer Missionsanstalten überwiesen wurden. Ziegenbalg beschränkte seine Wirksamkeit nicht bloß auf Trankebar; er wollte den Trost aller Heiden auch in das Innere des Landes bringen. So unternahm er mehrere Reisen, zuerst am 23. Juli 1708 nach Nagapateam, einer holländischen Kolonie an der Küste. Er knüpfte mit vielen Brahmanen und andern Heiden Gespräche an, in denen er sie von ihrem eitlen Glauben auf Jesum hinwies. Manche dieser Gespräche hat er uns aufbewahrt, und wir müssen seine Weisheit bewundern, wie er den Götzendienst bekämpft, und von seinem Glauben Rechenschaft gibt. Einst sammelte sich eine Menge Volks um den Sprechenden, und Ziegenbalg erwarb sich durch sein freundliches Benehmen und seine Reden so die Liebe der Heiden, daß sie ihm ihre Kinder zuführten, sie zu segnen. Damit die ersten Eindrücke nicht wieder verloren gingen, trat er mit ihnen in einen Briefwechsel. – Im folgenden Sommer drang er in das Königreich Tanjour ein, dessen König ein großer Feind der Christen war. Als seine Begleiter das Ziel ihrer Reise erfuhren, erschraken sie. Er aber sagte: „Ist Gott mit uns, so kann uns Niemand schaden!“ Indessen hat Jemand ein verzagtes Herz, so gehe er zurück!“ Niemand kehrte zurück. Als sie ins nächste Dorf kamen, kleidete sich Ziegenbalg nach Landessitte, mit einem weißen Gewande, Turban und rothen Pantoffeln. In der Stadt Perumulei traf er eine ansehnliche Versammlung von Heiden. Sie fragen ihn, woher er komme, und wohin er wolle. Er antwortete: „Ich bin ein Priester, und suche solche Leute, welche sich Gottes Wort verkündigen lassen wollen.“ „O, entgegneten die Heiden, so bist du gewiß der junge Priester von Trankebar, der auf Malabarisch predigen kann.“ Es fand sich, daß ein Bramine kürzlich seine Predigt in Trankebar gehört. Die Freude, Bekannte zu finden, wurde ihm bald getrübt. „Wir wundern uns sehr, sagte man ihm, daß Du dich so weit ins Land wagst; denn eine solche Reise kann dir große Gefahr bringen, und wir rathen Dir, als Freunde, umzukehren, sonst möchtest Du heute noch unglücklich werden.“ Auf seine Frage, wie man denn sogleich wissen könnte, daß er von Trankebar gekommen sei, antworteten sie: „Wenn eine Kuh von Trankebar ausgeht, und kommt in unser Land, so gibt Niemand darauf Acht; denn solche Kühe gehen haufenweis hier im Lande, und das ist nichts Neues; aber kommt ein Elephant von Trankebar in unser Land, das werden alle gewahr, und betrachten ihn als ein Wunderwerk, weil Elephanten bei uns etwas Neues sind. So auch, wenn ein einfacher Mann, einer von unseres Gleichen, von Trankebar komm, der wird nicht einmal gefragt, wo kommst Du her, und wo reisest Du hin? Denn er ist gleich uns, und gehört zu unserm Volke. Aber wenn Du von Trankebar kommst, ist es gleichsam, als wenn ein Elephant käme, weil Du ein weißer Priester bist, und allezeit von göttlichen Dingen redest. Deshalb kannst Du nicht verborgen b leiben.“ Als Ziegenbalg sagte, es müsse den Heiden doch eine große Freude seyn, mit ihm sich über die Seligkeit unterhalten zu können, antworteten sie: „Vernünftige und wissbegierige Leute würden es als eine Freude betrachten, täglich mit Dir reden zu können; aber deren gibt es nur wenige im Lande, und sie vermögen Dich nicht aus den Händen der Feinde zu retten.“ Er erkannte, daß die Zeit für Tanjour noch nicht gekommen sei, und kehrte um. Zu Anfang des Jahres 1710 ging er nach Madras, und im folgenden Jahre zum zweiten Mal. Er predigte, wo er nur immer Gelegenheit fand, Christum den Gekreuzigten. Darüber hätte er bald sein Leben einbüßen müssen. In Tirupodi nämlich feierten die Heiden ein großes Fest. Viel Volks kam da zusammen. Auch Ziegenbalg eilte dahin, um am Götzenfest Siege für seinen Herrn zu gewinnen. Seine Reden ließen an manchem Herzen einen Stachel zurück. Er hatte fünf Tage meist barfuß wandern müssen. Seine Füße waren geschwollen; er ging, von Müdigkeit überwältigt, in ein Haus, um zu schlafen. Die Brahmanen faßten den Entschluß, ihn im Schlafe zu ermorden. Schon waren sie im Begriff, Hand an den Schlummernden zu legen. Da erwachte sein Begleiter David, ein erwachsener Schulknabe. Er hatte die Worte der Brahmanen gehört, und weckte den theuern Lehrer. Da gingen die Mörder scheu davon.
Ziegenbalg wurde in Madras krank. Er erholte sich nur langsam. Während dieser Zeit fing er an, Theile des Alten Testaments ins Tamulische zu übersetzen. Als er wieder zurückgekehrt war, beschränkte er seine Thätigkeit über Trankebar hinaus meist auf den Briefwechsel, den er mit Heiden und Muhamedanern angefangen hatte. Er bekam manche bittere, aber auch erfreuliche Briefe. Hier stehe einer: „Den Lehrern der Wahrheit in Trankebar falle ich zu Füßen, und bringe mein Anliegen in Demuth vor. Da ich erfahren habe, daß Sie mit Weisheit und Verstand und Heiligkeit begabt sind, und alle Zeit nach dem Gebot Ihres Gottes leben, auch täglich die drei Feinde, die Welt, die Sünde und das Fleisch überwinden, und überall die Wahrheit Ihres Gottes auszubreiten suchen und um de Wahrheit willen leiden, und doch nicht müde werden, Gutes zu thun, und Jedermann zu Diensten zu seyn, so zweifle ich nicht, sondern glaube fest, daß Sie in der andern Welt die Herrlichkeit, Krone und Scepter des Thrones Gottes empfangen werden. Aber wie nun, wenn eine schöne Blume gepflückt wird, der Stiel, ja die am Stiele sitzenden Dornen mitpflückt, und desselben Glückes theilhaftig zu werden pflegen, so wünsche ich unnützer Stiel und Dornen mit Ihnen, der Sie eine wohlriechende Blume sind, zu der Herrlichkeit jener Welt erhoben zu werden, und bitte, daß Jesus Christus mir helfen wolle, daß ich täglich Ihr Angesicht sehen und Ihre Dienste verrichten, und allezeit das Gesetz, das Gott gegeben hat, hören kann. Da ist mein Wunsch und demüthiges Begehren.“
Im Jahre 1711 war Plütschau nach Europa zurückgekehrt. Unsern Ziegenbalg hielt das Elend der Heiden zurück, obgleich die fünf Jahre, auf welche er sich für die Mission verbindlich gemacht hatte, um waren. Er wollte ihnen sein ganzes Leben widmen, „um dereinst mit den Brüdern vor dem Thron des Lammes zu treten.“ Aber drei Jahre später machte er eine Reise nach der Heimath, weil sie ihm für die Mission nöthig erschien. Er durchzog Dänemark und Deutschland, und entzündete vieler Herzen für das Werk der Heidenbekehrung. Der Fürst von Württemberg ließ für dasselbe in seinem ganzen Lande eine Sammlung veranstalten. Selige Tage verlebte er in Halle mit seinem Freunde A. H. Francke. In Merseburg vermählte er sich mit Maria Dorothea Salzmann. Am 10. August 1716 landete er wieder in Madras. Während seiner Abwesenheit hatte Gründler neue Schulen in Madras und Kudelur gegründet. Am 9. Februar 1717 wurde der Grund zu einer größeren Kirche in Trankebar gelegt. Ziegenbalg predigte über 1. Kor. 3, 11. Am 11. und 12. Oktober wurde sie eingeweiht, und ebenfalls Neu-Jerusalem genannt. Im folgenden Jahre besichtigte er die neue Schule zu Kudelur. Unterwegs und dort selbst redete er das Wort vom Gottes- und Menschensohne mit solchem Erfolge, daß sich auf einmal sieben Familien zum Unterricht im Christenthume meldeten, und 58 Personen durch die h. Taufe der Kirche hinzugethan werden konnten.
Dies war aber auch einer der letzten Freuden, welcher der Herr seinem Knecht auf dieser Erde erleben ließ. Schon im Sommer 1718 fühlte Ziegenbalg heftige Magenschmerzen. Er arbeitete rastlos an der Uebersetzung des Alten Testaments. Am Neujahrstage 1719 predigte zum letzten Male in Neu-Jerusalem. Ein holländischer Arzt verordnete ihm die Stahlkur. Er wurde aber durch dieselbe so entkräftet, daß er die Nähe des Todes fühlte. Am 10. Februar übertrug er die Leitung des Missionswerks seinem Freunde Gründler. Nachdem er unter vielen Gebeten das h. Abendmahl genossen hatte, nach er in seinem Hause Abschied von seiner Gemeinde. Am 23. Februar verrichtete er mit seiner Frau die Morgenandacht. „Da dachte ich noch nicht, schreibt diese, daß dieser Tag sein Todestag werden sollte.“ Aber schon um neun Uhr zeigten sich die Vorboten des Todes. Da sagte einer der Anwesenden zum Sterbenden: „Der Heidenapostel Paulus begehrte abzuscheiden und bei Christo zu seyn.“ Ziegenbalg sagte mit schwacher Stimme: „O, recht gern! Er mache mich durch sein Blut rein von meinen Sünden, und mit Christi Gerechtigkeit bekleidet, lasse er mich von dieser Erde in sein Reich eingehn!“ Der Todeskampf trat an ihn heran. „Das ist der letzte Kampf! wurde ihm zugerufen, labt‘ muthig aus in Christi Kraft, und denke mit Paulo: ich habe einen guten Kampf gekämpft, ich habe den Lauf vollendet, ich habe Glauben gehalten; hinfort ist mir beigelegt die Krone der Gerechtigkeit, welche mir der Herr, der gerechte Richter, an jedem Tage geben wird!“ Der Sterbende sprach: „Ach, ja ich will mit Christo in diesem Kampfe aushalten, da ich eine so herrliche Krone empfangen möge!“ Kurz darauf seufzte er: „Ich kann fast nicht mehr sprechen; Gott lasse nur das, was ich gesprochen, in Segen seyn! Ich habe mich täglich dem Willen meines Gottes erbeten. Christus spricht: Vater, ich will, daß, wo ich bin, da soll mein Diener auch seyn!“ Als er das gesagt hatte, griff er nach einen Augen, und sprach: „Wie ists doch so hell! Es ist, als schiene mir die Sonne in die Augen.“ Aus seine Bitte wurde das Lied: „Jesus, meine Zuversicht“ gesungen und er in seinen Lehnstuhl gesetzt. Dann verschied er. Es war am 23. Februar 1719, Morgens gegen elf Uhr. Seine Gattin schreibt: „Mit welcher Geduld, Ruhe und vollkommener Ergebenheit in Gottes Willen er alle Schmerzen und seine ganze Krankheit trug, das wird meinem Herzen, so lange ich lebe, unvergeßlich seyn!“ Am folgenden Tage wurde er in Neu-Jerusalem neben dem Altar bestattet. Gründler hielt ihm die Leichenrede über Joh. 3, 29. 30: „Wer die Braut hat, ist der Bräutigam; der Freund aber des Bräutigams stehet, und höret ihm zu, und freuet sich hoch über des Bräutigams Stimme. Dieselbige meine Freude ist nun erfüllet. Er muß wachsen, ich aber muß abnehmen.“
Dr. Theodor Fliedner,
Buch der Märtyrer,
Verlag der Diakonissen-Anstalt zu Kaiserswerth,
1859