Thomas von Westen

(Gest. am 9. April 1727.)

„Fahret auf die Höhe, und werfet eure Netze aus, daß ihr einen Zug thut!“ (Luc. 5, 4.)

In der nördlichen Provinz Norwegens, Finnmarken, wohnen die Lappen, oder Finnen. Je nach ihren Wohnsitzen theilen sie sich in Berg-, Strom- oder Seelappen. im Ganzen sind ihrer etwa 11,000 Seelen. Den Kern bilden die Berglappen. Diese schweifen auf ihren Rentieren und Schlitten, Jahr aus, Jahr ein, auf ihren schneeigen Bergen umher, und müssen an die acht Wochen im Jahr des Sonnenlichts entbehren. Die Strom- und Seelappen sind noch tiefer gesunken, als jene, und leben von der Fischerei. Noch bis ins siebenzehnte Jahrhundert hinein behaupteten unter ihnen die Götzen fast ungebrochen ihre Gewalt. Freilich waren hier und da Pfarreien im Lande gegründet, und mehrere Könige von Norwegen und Dänemark hatten befohlen, daß die Lappen das Christenthum annehmen sollten. Zwangsweise ließen sie nun ihre Kinder wohl taufen; aber es war etwas ganz Gewöhnliches, ihnen die Taufe durch ein besonders dazu angestelltes Zauberweib wieder abwaschen zu lassen, und es umzutaufen. Dann trug ein solches Kind zeitlebens einen Ring auf der Brust, zum Zeichen, daß es zu den väterlichen Göttern umgetauft sei. Bequemte sich ein Finne, dem christlichen Gottesdienste beizuwohnen, so opferte er eilend seinem Hauptgötzen, dem Saivo und dem Sarrakka, einen Hund zur Sühne. Wollte er zum Tische des Herrn gehn, so bat er beim ersten besten Bach seine Götzen um Verzeihung. Die Hostien behielten sie im Munde, nahmen sie nach der Feier heraus, hefteten sie an eine Mauer, und durchschossen sie mit einer Kugel. Das Blut, welches angeblich herausfloß, wurde im Laufe der Büchse aufgefangen, und nun traf jeder Schuß. Im Jahre 1658 machte sich der von den Schweden vertriebene evangelische Bischof Erich Bredul auf, und predigte in den Finnmarken Christum, den Gekreuzigten. Aber seine Stimme verhallte wie die eines Predigers in der Wüste; denn nach seinem Tode fand sich Niemand, der sein Werk fortsetzte. Erst im Jahre 1703 erweckte Gott den Lappen einen neuen Boten des Evangeliums. Das war der Schullehrer Isaak Olsen. Dieser schlichte Mann arbeitete vierzehn Jahre hindurch mit treuer Hingabe an den Seelen seiner Finnenkinder, die er sich auf seinen Reisen mühsam zusammenbetteln mußte. Es waren aber nur einzelne Garben, die er einsammeln konnte; jedoch durch ihn wurde König Friedrichs IV. thätige Liebe zu den Finnen erweckt. Und der gute Hirte machte sich auf, und zeigte ihm den Mann, den er sich zu seinem Werke ausgerüstet hatte.

Thomas von Westen ist im Jahre 1682 zu Drontheim geboren. Von Jugend auf übte ihn Gott in der Schule der Noth und der Selbstverleugnung. Sein Vater hatte zehn Kinder zu versorgen, und wollte ihn nicht studieren lassen. Aber der Knabe war nicht von den Büchern fortzubringen. Und eines Tages fand man ihn im Heuschober versteckt, ein lateinisches Vokalbuch in der Hand. Endlich ergab sich sein Vater; aber er sollte nun nach dessen Willen Medicin studieren, und er wäre so gern ein Prediger geworden. Schon hatte er seine medicinischen Studien beendet, und wollte zum Doktor promovieren; da starb sein Vater. Wäre seine Neigung zur Theologie nicht so groß gewesen, so würde sie die Probe, die er jetzt durchmachen mußte, nicht bestanden haben. Er mußte sehr kümmerlich leben, hatte nur einen Tag um den andern die bescheidenste Kost zu essen, und bewohnte mit einem Freunde, der eben so arm war, wie er, Ein Zimmer. Beide zusammen hatten nur Einen Anzug; wenn der Eine ausging, mußte der Andere zu Hause bleiben. Als er seine Studien vollendet hatte, berief ihn Peter der Große zum Professor nach Moskau. Friedrich IV. aber machte ihn zu seinem Bibliothekar, vorerst ohne Gehalt. Drei Jahre blieb von Westen auf diesem Posten. Eine fromme Witwe speiste und kleidete ihn, und in ihr fand er die ihm von Gott geschaffene Lebensgefährtin. Im Jahre 1710 wurde er zum Pfarrer nach Wedonn, im Stifte Drontheim, berufen. Auch diesen Weg sollte er unter schweren, äußeren Nöthen antreten. Die ganze Habe seiner Frau und seine Büchersammlung ging in einem Schiffbruch verloren; die älteste seiner beiden Stieftöchter fand in den Wellen ihr Grab. Dies war der Schluß seiner Vorbereitung zum Pfarrer.

In der evangelischen Kirche Norwegens sah es damals traurig aus. Unter den 5 – 6000 Seelen der Gemeinde des von Westen fanden sich eine Bibel und zwei oder drei Gesangbücher. Westen und sechs andre Geistliche, eng mit ihm verbundene Freunde, schildern in einem Briefe an den dänischen König den trostlosen Zustand der Kirche folgendermaßen: „Die Wege Zions in diesem Reich liegen ganz öde. Es ist keine Kirchenzucht mehr in diesem Lande; der Bindeschlüssel ist ganz vergraben, der Löseschlüssel ganz gemißbraucht, die Kanzel leider meistentheils ohne Furcht, der Beichtstuhl mehr zur Förderung des Reichs des Bösen, als zur Abschaffung der Sünden. Hurerei hat so überhand genommen, daß die Wächter des Heiligthums täglich Sodoms Strafe über dieses Land befürchten müssen. Trunkenheit ist keine Sünde mehr, Zank und Neid zur Sitte geworden, falsch Gewicht und Maß hält man für erlaubten Gewinn, Unwissenheit in Sachen der Seligkeit für den wahren Glauben, Fluchen und Schwören sind die gewöhnliche Sprache, Sabbathschänderei eine gleichgültige Sache…Wenige Kinder Gottes ausgenommen, so ist kein Unterschied zwischen uns und unsern heidnischen Vorfahren, als der bloße Name „Christen.“ Diese sieben Männer waren hell leuchtende Sterne, – man nannte sie auch das Siebengestirn, – und damals vom Herrn zu einem Salz der norwegischen Kirche bestimmt. Der hellste Stern unter ihnen war von Westen. Ohne Menschenfurcht erhob er für seinen Herrn und Meister seine Stimme, deckte Armen und Reichen, Vornehmen und Geringen, ihre Sünden auf, strafte im Namen Gottes die ganze Kirche, und lud mit dringendem Mahnen alle Sünder zum Kreuze Jesu Christi. Die Feindschaft der Welt erwachte bald. Spott und Schmach war der Lohn des treuen Hirten; ja, seine Gemeinde ging in ihrem Kampfe gegen Gott so weit, daß sie beim Könige auf seine Amtsentsetzung antrug. Wie Westen wirkten auch seine Freunde; wie er, mußten auch sie Verachtung und Hohn einärnten. Die Sieben standen aber in der Kraft Gottes unerschütterlich. Sie wandten sich in einem Briefe, als dem wir oben Einiges mitgetheilt haben, an den König um Hülfe. Dadurch mehrte sich der Ingrimm der Feinde. Bischof Krog von Drontheim wurde der erbitterte Feind des Siebengestirns. Mancher der Brüder fing an, zu zittern; von Westen stand ohne Furcht. „Ist es denn unsere Sache, sagte er, unsere Ehre, die wir verfechten? ist es nicht die Sache Jesu, für die wir streiten? Sollen wir denn der Verspottung seines Reichs und seiner theuren Wahrheit zusehen, ohne darüber zu klagen? Und wer soll klagen, wenn nicht seine eignen Diener? Und wem soll’s geklagt werden, wenn nicht seinem Gesalbten?“ Und ihre Klage verhallte nicht in den edlen Königsherzen, und bei seiner frommen Gemahlin, der Königin Luise. Die schreiendsten Nothstände wurden gehoben, sodaß von Westen an seinen Freund Engelhardt, einen aus dem Siebengestirne, schreiben konnte: „Ein Purimsfest müsse man halten!“

Während so die Kirche in Norwegen eine gnädige Heimsuchung des treuen Gottes erlebte, erhielt im Jahre 1715 das Missionscollegium in Kopenhagen die Weisung vom Könige, an die Finnische Mission Hand anzulegen. Die Königl. Worte sind hellsuchende Edelsteine, und dürfen hier nicht fehlen: „Nachdem die göttliche Vorsehung und Liebe uns eine Neigung geschenkt hat, unsere Unterthanen in den Finn. und Lappmarken, die noch in Blindheit und Unwissen von Gott leben, zur seligmachenden Erkenntniß zu führen; so versehen wir uns zu euch, daß ihr dies große Werk mit allem Fleiß und Eifer euch wolltet angelegen sein lassen, ob und Gott vielleicht Gnaden geben möchte, sowie wir es von seiner Barmherzigkeit hoffen, unsere große Sehnsucht und herzliches Verlangen nach der Bekehrung dieser Armen und Erfüllung gehn zu sehen.“ Das Missionscollegium erkannte, daß das Gelingen der Mission davon abhinge, daß man einen Mann fände, den Gott selbst zum Missionar zubereitet hätte. Ein solcher Mann war von Westen, das sahen Alle, die geistliche Augen hatten. Er wurde am 28. Februar 1716 zum Rektor des Kapitels Drontheim, und am 14. März zum Vikar und Bevollmächtigten des Missionscollegiums ernannt. In den Augen der Welt war es freilich eine Thorheit, daß er eine einträgliche Stelle und alle Bequemlichkeit des Lebens aufgab, um die Mühen und Gefahren eines Boten Christi zu übernehmen. Aber von Westen nahm sogleich den Ruf an. „Die frommen Herren schreiben, antwortete er dem Collegium, sie zweifeln nicht an meinem Eifer und meiner Treue; allein ich zweifle gar sehr an mir selbst, verlasse mich aber auf Gott, der das, was schwach ist vor der Welt, erwählet, auf daß er zu Schanden mache, was stark ist. Und nun in Jesu Namen! Ich berathe mich nicht lange mit Fleisch und Blut, sondern mache mich gleich künftigen Montag reisefertig, da ich dann auch mit aller Treue, so weit Gott einem gebrechlichen Menschen Gnade schenkt, die übrigen Punkte der Instruktion erfüllen werde!“ Nur Eins machte ihm das Herz schwer: die Sorge für seine Gemeinde, daß sie nicht wieder in die Hände eines Miethlings gerathe. Er schrieb an den König: „Habe ich Gnade gefunden vor den Augen Ew. Majestät, möge dann mein Angesicht nicht beschämt werden! Ich reise von meinen Schafen, und verlasse eine Gemeinde, gegen die mein Herz ausgebreitet war, und das ihrige gegen mich. Sie stehen um mich her mit Weinen, die Hände ausstreckend, wie die Jünger zu Cäsarea. Kaum erlaubt mir ihr Heulen, diese unterthänigen Zeilen an meinen König zu schreiben. Mit Thränen und inniger Betrübniß des Geistes schreibe ich, und könnte ich mit einem guten Gewissen dem Rufe Gottes mich entziehen, so bliebe ich noch hier. Aber die Liebe Christi dringt mich, und meine liebe gegen meinen König überwindet mich.“ – Das war dieselbe Gemeinde, die noch vor sechs Jahren gegen ihn tobte, und ihn gern verjagt hätte; jetzt bot sie dem Könige die Hälfte des Vermögens aller Einwohner an, wenn sie nur ihren lieben Seelsorger behalten dürfe. Zu seinem und ihrem Troste wurde Engelhardt zu seinem Nachfolger ernannt. Kaum war von Westen in Drontheim angekommen, so zog er sogleich unter die Lappen. Am 20. Mai 1716 segelte er mit Kjeld, Stub und Jens Bloch ab. Er ging zuerst zu den Seelappen, weil diese norwegisch verstanden. Die Liebe Christi lehrte und drang ihn, das Elend der Finnen zu studieren, und die Macht, welche dem Mitleiden gegeben ist, that ihm die Thüre zu den Herzen derselben auf. Er begnügte sich nicht allein mit Predigen, das so oft über die Köpfe hinrauscht, sondern er nahm „die einzelnen Seelen von dem Volke besonders,“ und ging ihnen in großer Geduld nach.

„Es ist ein Prediger ins Land gekommen, der die Finnen lieb hat,“ dies Gerücht ging vor ihm her, und bald versammelte sich in den Hütten, wo er einkehrte Alte und Junge um ihn, denen er in aller Einfalt biblische Geschichten erzählte, den Katechismus lehrte, Lieder vorsang, Sprüche auslegte. Hier und da bauten die Finnen aus eigenen Mitteln kleine Bethäuser, in denen ihnen das Wort Gottes reichlich gepredigt wurde. Denn Stub blieb als Missionar in Ost-Finnmarken, Bloch in West-Finnmarken, und beide setzten die gesegnete Arbeit Westens fort. Dieser zog weiter nach Norden, wo Unwissenheit und Aberglaube besonders groß waren, Auf Kähnen fuhr er über die stürmischen Binnenseen, oft in großer Gefahr, und besuchte die Fischerhütten der Finnen. Die Meisten meinten, alles Glück würde von ihrem Handwerk weichen, wenn sie ihrem Heidenthume entsagten, und hierin wurden sie, es ist schrecklich, zu sagen, von so vielen Namenschristen bestärkt, denen das Geld der Finnen lieber war, als ihre unsterbliche Seelen. Doch auch hier ist manches Samenkörnlein auf fruchtbares Land gefallen, und hat später reiche Frucht getragen.“ Als von Westen zurückkehrte, und die Erfahrungen seiner ersten Reise überblickte, war seine Freude groß. „Gott behielt fast überall den Sieg, schreibt er ans Collegium. Ihr würdet vor Freude sterben, wenn ihr selbst wüßtet, wie viele Seelen gerettet, wie viele Prediger ihr erweckt, wie viele Herzen ihr geöffnet habt, allein dadurch, daß ihr Evangelisten aussendet. Und nun, seit getrost, hoffet auf Gott, der euch schon große Sachen gezeigt hat! Er wird euch bald größere zeigen; die Engel gehen auf und nieder auf der Leiter des Menschensohnes.“

Von Westen kehrte am 5. November 1716 nach Drontheim zurück. Er brachte zwei Finnenkinder mit, die er in seinem Hause erzog, um sie später als Boten Christi zu den Ihrigen zurückzusenden. Von dieser Zeit an bildete er auf eigene Kosten Finnen zu Missionaren heran. So ging das Werk des Herrn im Segen weiter. Aber um so grimmiger wurde Bischof Krog. Er erließ sogar an alle Prediger der nördlichen Gegenden ein Schreiben, in welchem er sie vor Westen warnte. Aber der Pfeil prallte auf ihn selbst zurück; der Prediger wurden immer mehr, welche erkannten, daß er wider Gott stritt. Im Jahre 1717 ordnete der König die Erbauung einer Reihe von neuen Kirchen und Kapellen in Finnmarken an. Missionskatecheten wurden angestellt, deren jeder zwei fähige Finnenkinder zu Schullehrern heranbilden sollte. Krog war deswegen ein so großer Feind der Mission, weil er an ihrer Spitze einen schlichten Mann sah, der Nichts als seinen Glauben hatte. Darüber schreibt Westen: „es ist mir eine Herzensfreude, wenn ich von der irdischen Weisheit Nichts weiß, und ich bemühe mich täglich, sie mehr und mehr zu verlieren. Gottes Reich wird nicht durch Machiavellum (ein Politiker), sondern durch Paulum erbaut; auch ist es mir eine große Ehre, daß Gott in meiner Niedrigkeit und Untüchtigkeit geehret werde; denn desto größere Schande hat Satan davon, wenn sein Gezelt von einem Aschenbrode umgeworfen wird. Seelen zu retten, dazu gehört mehr Liebe und Eifer, als ein raffinierter Sinn. Ich rühme mich nur meiner Schwachheit, daß Christi Kraft und Weisheit in mir mächtig seyn möge.“

Im Juni 1718 trat der eifrige Evangelist, begleitet von den beiden Finnen, seine zweite Missionsreise an. Nach einer beschwerlichen Fahrt landeten sie in Waranger, der Hauptstation Ostfinnmarkens, von wo aus sie das Land hin und her durchzogen. In Tana fand er eine neue Kapelle, und in ihr eine große Menge Volks, der er predigen konnte: „Ihr waret weiland Finsterniß, nun aber seid ihr ein Licht in dem Herrn.“ In Porsanger, der Hauptstation von West-Finnmarken entsagten viele Zauberer ihrer vorwitzigen Kunst. Andere bekannten, sie hätten seit zwei Jahren keine rechte Lust mehr am Götzendienst gehabt; jedoch noch dann und wann ein Rentier geopfert, um sicher zu gehen, wenn etwa Saiwo doch etwas sei, sodaß er in seinem Zorne sämmtliche Rentiere vertilgen könnte. Auch von diesen Hinkenden auf beiden Seiten ließen sich nicht wenige überwinden. In Alten, hoch auf dem Gebirge, schleppten die Finnen zum Bau der Kirche das Holz auf 129 Rentieren hinauf. In den Nordlanden hatte Westen eine beschwerliche Winterreise. Aber in dem Herzen der Finnen wurde es Frühling. „Wenn ich auch, schrieb er über diese Zeit, an meinem Leibe in dieser harten Winterszeit Zeichen davontragen mußte, so tragen auch wohl alle die Seelen, die ich pflege, Zeichen von der Kraft Christi.“ In Lödingen zogen ihm 300 heilsbegierige Seelen bittend entgegen. Den Winter über blieb er bei einem Freunde, besonders mit dem Unterricht von sechs Finnenkindern beschäftigt. In einem Bericht an das Missionscollegium schüttete er sein Herz recht aus, sowohl seine Freude ober das Werk Gottes unter den Finnen, als seine Trauer über die Hindernisse, welche die Norweger denselben in den Weg legten. Diese verderbten namentlich durch ihren Branntwein Leib und Seele des armen Finnenvolkes, und verfolgten die, welche sich von den Abgöttern zum lebendigen Gott bekehrt hatten, mit teuflischem Spott. Sogar christliche Prediger trieben den Branntweinhandel. Es schnitt Westen tief in die Seele hinein, wenn die Finnen fragten: „Vater, sollen denn die Norweger nicht eben so gut, als wir, Gott fürchten?“ Er wandte sich an den König um hülfe, und dieser that, was er konnte, dem Unwesen zu steuern.“

Nach einer Reise nach Kopenhagen machte sich von Westen zum dritten Mal am 29. Juni 1722 auf den Weg zu seinen Lappen. Zu Bodöen baten ihn die Leute mit Thränen um Lehrer. Er errichtete Winterschulen, und nun kamen die Kinder weither; die meisten hatten nur drei Pfund Hafermehl auf die Woche mitgebracht, und sie salzten es stark, um so seine Kraft zu vermehren, daß es reichen möchte. Die am Schulbesuch verhindert waren, ließen sich die Buchstaben lehren; andere verbargen sich vor dem Spott der Norweger mit ihren Büchern in der Einsamkeit. Kam war ein Monat verflossen, so konnten schon Viele lesen; den Katechismus mußten sie auswendig. In Siumen hatten die Heiden sich fest vorgenommen, von Westen und seine Gefährten zu tödten, wenn sie kämen; aber als sie das Evangelium predigen hörten, und dem freundlichen Prediger ins Auge schauten, wurden sie andern Sinnes. Sie geleiteten ihn hernach über die Klippen ihrer unwegsamen Gebirge, und liefen ihm auf viele Meilen weit zum nächsten Predigt-Orte nach. Die Gräuel des Heidenthums unter den Finnen lernte von Westen auf dieser dritten Reise noch mehr kennen, als früher. Im Oktober 1722 schrieb er an das Collegium: „Ich habe nun fast jede Finnen- und Lappenbucht durchwandert, und einen großen Theil der Felsen in den Nordlanden. Der Herr hat reich und weit über meine Gedanken meine geringe Arbeit gesegnet, und gewiß, es war die höchste Zeit, daß Gott den armen, nordländischen Finnen und Lappen Hülfe sandte. Es waren ganze Buchten, wo kein Einziger war, der nicht den Teufeln opferte, ein jedes Haus und jede Gemeinde war eine Synagoge des Satans. Diese dritte Reise hat meine Kräfte am meisten mitgenommen; aber das ist ein Geringes gegen die Herzensfreude, daß, wenn der Tod Christi an meinem Leibe offenbar wird, sein Leben sich offenbaren kann in meinen gesegneten Kindern, den Finnen. Die im Anfange wie bittere Bären und Wölfe gegen mich waren, sind nun beriet, mir bis zum Ende der Welt zu folgen.“ Den ganzen Winter hindurch blieb von Westen in den Nordlanden. Auf den Felsen zu Overhalden, einem Arme der großen Bergkette Kjölen, wohne ein Finnenvölkchen, etwa 300 Seelen, die seit Menschengedenken nicht in die Thäler herabgekommen waren. Die Prediger am Fuße des Berges wußten kaum etwas von ihnen. Nun aber erscholl das Gerücht, daß von Westen auch zu ihnen wolle. Sie wandten allerlei Zaubereien an, um ihn abzuhalten; aber bald legten sie die Zauberstäbe zu seinen Füßen. Denn sie merkten, daß eine Liebe ihn herauftrieb, die ihn lehrte, arm zu werden mit den Armen, und selbst an ihrer Kost, Wasser und Wacholderrinde abgekocht, sich genügen zu lassen. Andere Selbstverleugnung bewies er an andern Orten. „Gelobt sei Gott, schrieb er beim Rückblick auf diese Reise, der mich durch so viele Fährlichkeiten und Kümmernisse und Anläufe des Satans endlich mit Garben voller Freude hieher geführt hat. Viele Wohlthaten hat Gott in meinem ganzen Leben mir erzeigt; aber seine Gnade gegen mich auf dieser Reise ist wie ein überströmender Becher.“

Unterdessen hatte König Friedrich von Bischof Krog von Westens geschwornen Feind, wegen vielfacher Verletzung seiner Amtspflichten entsetzen wollen, und hatte dem von Westen das Bisthum angeboten. Dieser aber warf sich vor ihm auf die Kniee, und hat ihn, er möchte doch über den alten Mann nicht eine so harte Strafe ergehen lassen, daß seine grauen Haare mit Gram in die Grube führen. Wenige Jahre später sollte er Bischof von Christiansand werden; aber auch diese Stelle schlug er aus. Er begehrte als ein einfacher Bote Christi unter seinen Finnen zu leben und zu sterben. Vierzehn Tage nachher, als er von seiner dritten Missionsreise zurückgekehrt war, zog er von seinem Freunde Skanke begleitet, von Neuem aus. Diesmal ging er nicht weit, zu den Finnen in Stördalen und Merager nur zwei Meilen von Drontheim. Es war eine Erquickungsreise, denn unter diesen seinen Kindern trug das Wort Gottes liebliche Frucht. „Ihr Weinen und ihre Thränen, erzählt Skanke, habe ich gesehen nicht allein reichlich fließend, sondern so, daß man denken sollte, sie müßten selbst hineinfließen und aufgelöst werden, nicht zu einer oder andern Stunde, sondern ganze Tage. Ich war bei ihren Gebeten gegenwärtig, und hörte diese nicht hervorgepreßt, sondern ausströmend; sie seufzen nicht allein, sondern schrieen um Gottes Gnade.“ Beim Abschiede schwammen die dankbaren Kinder ihrem lieben Vater nach, kletterten in seinen Kahn, umfaßten sein Kniee, und riefen: „Gott, erfreue den, der dieses ausdachte! Wollte Gott, diese Lehre wäre eher gekommen, so hätten wir längst allem Teufelswesen entsagt.“ – Aus dem Stift Christiania kam ein Finne, Lars Nielsen, nach Drontheim, und suchte „den guten Mann, der nimmer den Finnen Etwas zu Leide that.“ Er bat ihn, herüberzukommen, und sein Weib und seine Kinder und die andern Finnen zu bekehren. Westen wollte hin. Jedoch der Bischof Deichmann von Christiania war ein Feind der Mission, und dieselbe sollte sich nach den Statuten nur auf Finnmarken beschränken. Westen schrieb ans Collegium, er werde die Finnen auch ohne Weisung aufsuchen, „oder sollen einige hundert Finnenseelen allein aus Furcht vor dem Bischof Deichmann verloren gehen? Ist er doch nicht größer als Gott, oder ärger als der Teufel!“ Indessen wurde im vom Collegium befohlen, jene Finnen nicht aufzusuchen. Aber Deichmann konnte es nicht hindern, daß die armen Heiden in Haufen zu dem Manne Gottes nach Drontheim zogen, und von dort das Wort Gottes mit nach Christiania brachten. Von weit her kamen heilsbegierige Finnen, Greise, Jünglinge, Kinder, Mütter und Säuglingen auf den Armen. einst hatten sich drei Finnen aus Merager auf die Reise zu Westen begeben. Sie wurden unterwegs überfallen und ausgeplündert, und mußten umkehren. Aber sie kamen zum zweiten Male, um zu seinen Füßen den Heiland kennen zu lernen. – Im Jahre 1725 belief sich die Zahl der Christen in Finnmarken auf mehr denn 1700 Seelen. Der Arbeit der Missionare unter den Finnen kam von Westen durch seine „Anweisung für die Mission in den Nordlanden“ zu Hülfe, worin er seine reiche Erfahrung niederlegte, und seinen Nachfolgern den Weg zu den Seelen der Finnen wies.

In seinen letzten Lebensjahren erlebte von Westen noch schmerzliche Erfahrungen. Die Finnen in Tidsfjord hatten ihre Katecheten erschlagen wollen, und unter denen zu Salten war ein falscher Prophet aufgestanden. „Der Teufel, schriebt der treue Knecht, fängt bei uns an, sich recht als ein wüthender Hund zu zeigen, der seinen alten Raub nicht fahren lassen will. Allein Christi Kraft wird ihn zerschmettern, und keineswegs zweifle ich, daß ich in dieser Sache fest stehen werde.

Auch fürchte ich mich nicht vor allen Teufeln, die in der Hölle sind, geschweige denn vor Menschen, dir auf Erden sind. Denn nun erst bin ich gestärkt und bereit, welche Stunde es auch seyn soll, zum rechten Bisthum, das ist, mein Amt unter den Heiden, und das Zeugniß Jesu mit meinem Blute zu bekräftigen!“ Täglich hoffe er, noch einmal eine Missionsreise antreten zu können; aber der Herr hatte es anders beschlossen. Eine schmerzhafte Krankheit rieb ihn, der durch viele Mühsale im Dienste des Herrn schon sehr schwach geworden war, vollends auf. Er starb am 9. April 1727 mit den Worten des Stephanus: „Herr Jesu, nimm meinen Geist auf.“ So arm war dieser Mann, der Viele reich gemacht hatte, daß die Kosten zu seinem Begräbniß von etlichen christlichen Freunden aufgebracht werden mußten; sein ganzes Vermögen hatte er für seinen Herrn aufgeopfert. An seinem Grabe redete Niemand; Aber besser als tausend Leichenpredigten war das Wort von ihm, das unter den Finnen durch viele Geschlechter von Mund zu Mund ging: „Der Lektor, der den Finnmann lieb hatte!“

Als der Sohn Friedrichs IV., König Christian VI. im Jahre 1733 den Dom zu Drontheim besuchte, fragte er die Umstehenden: „Wo liegt denn unser guter, seliger Lektor von Westen begraben?“ Der Bischof Hagerup antwortete: „Ew. Majestät stehen eben auf dem Grabe des seligen Mannes.“ „Nun, rief der König, so stehen wir auf dem Grabe eines Mannes Gottes!“

Dr. Theodor Fliedner,
Buch der Märtyrer,
Verlag der Diakonissen-Anstalt zu Kaiserswerth,
1859