Wolfgang von Anhalt

Wolfgang Fürst von Anhalt

Fünf deutsche Reichsfürsten waren es, die im Juni 1530 zugleich mit zwei Reichsstädten die Augsburgische Confession unterzeichnet hatten. Der Fünfte unter jenen Reichsfürsten, welche Gut und Blut für das Bekenntniß des evangelischen Glaubens einsetzten, ist Wolfgang, Fürst zu Anhalt, aus dem altberühmten Geschlechte der Grafen von Asanien, Stammverwandter und Zeitgenosse jenes Fürsten Georg des Gottseligen, der als Landesherr zugleich evangelischer Prediger war und das Bisthum zu Merseburg verwaltete.

Fürst Wolfgang ist am 1. August 1492 zu Köthen geboren: sein Vater, Fürst Woldemar, ist früh (1508) verstorben, seine Mutter Margarethe, Tochter eines Grafen Günther zu Schwarzburg, hat bis zum Jahre 1539 gelebt. Frömmigkeit und Tapferkeit waren in dem Anhaltischen Fürstenhause erbliche Tugenden: er hörte in seiner Jugend von den Kriegsthaten seiner Vettern im kaiserlichen Heere in Italien: er sah in seiner Nähe die Beispiele andächtiger Kirchlichkeit in seiner Muhme Scholastica, Aebtissin des Stiftes zu Gernrode, und seinen Vettern Wilhelm und Adolf, von welchen der Erstere allen fürstlichen Ehren entsagt hatte und in der Kutte des Bettelmönchs als Bruder Ludwig durch die Straßen der Stadt Magdeburg wandelte, der Letztere aber als Bischof zu Merseburg starb und bei vieler Einsicht in die Gebrechen der Kirche doch nie dazu gelangte, sich mit Luthers kühnen Schritten verständigen zu können. Fürst Wolfgang war der Erste aus dem Hause Anhalt, der sich für Luthers Sache entschied, und nach und nach folgten ihm in dieser Richtung sämmtliche jüngere Glieder der Familie. Die Scheidung zwischen dem jüngern Geschlecht, welches sich dem neu hervorbrechenden Lichte des Evangeliums zuwendete, und zwischen den Aelteren, die im Gehorsam der römischen Kirche blieben, war unvermeidlich. Doch brachte die Glaubenstrennung hier nicht einen solchen Riß hervor, wie in dem Sächsischen Fürstenhause, und dieß mag wohl vorzüglich dem milden freundlichen Sinne Wolfgangs zuzuschreiben sein, der versöhnend wirkte, ohne seiner Entschiedenheit Abbruch zu thun.

Schon als Knabe von acht Jahren (1500) wurde er zu seiner Ausbildung nach Leipzig gesendet und kaum hatte er das sechzehnte Jahr zurückgelegt, so wurde er durch seines Vaters frühen Tod (1508) zur Regierung der ihm zugefallenen Landestheile, Köthen, Ballenstädt, Sandersleben, halb Bernburg und halb Jerbst berufen. Sein einziger Bruder Woldemar war als Kind gestorben: von seinen beiden Schwestern verheirathete sich die jüngere Barbara, wie er selbst noch ein Knabe war (1503), während die ältere Margarethe zehn Jahre später (1513) dem verwitweten Herzog zu Sachsen Johann dem Beständigen, nachmaligem Kurfürsten, ihre Hand reichte. Wolfgang aber hat zwar mancher fürstlichen Braut beim Einzug in ihre neue Heimath das Ehrengeleite gegeben, ist aber selbst nie in die Ehe getreten.

Er war ein Fürst von ansehnlicher Statur, ausgezeichnet durch Gewandtheit und Leibesstärke, in allen ritterlichen Uebungen trefflich geübt, dabei heiter und lebenslustig in seiner Jugend. Das Ritterthum, das vor seinem Absterben am Hofe des Kaiser Maximilian I. noch seine letzten Blüthen trieb, wurde von ihm geliebt und gepflegt, und er hat manche Lanze im Turnier eingelegt, bevor im Mannesalter ernstere Kämpfe sein Herz bewegten. Noch im Frühjahr 1521 auf dem Reichstage zu Worms, wo er vom jungen Kaiser Karl V. die Belehnung mit seinen Erblanden dem Herkommen gemäß empfing, ließ er sich mit dem Herzog Heinrich von Braunschweig in einem Turnierrennen sehen, worin beide Fürsten so, unsanft auf den Sand gesetzt wurden, daß ihnen das Blut aus Mund und Ohren drang. Noch als siebzigjähriger Greis saß er kräftig mit ritterlichem Anstand zu Pferde. Aber bei aller Munterkeit war er doch schon in jüngern Jahren für ernstere Betrachtungen empfänglich und als sein Vetter Adolf ihm als Knabe die Frage vorgelegt hatte, ob er wohl gedächte in den Himmel zu kommen, erwiderte er eben so offenherzig als vernünftig: „Ja traun! aber, ob Gott will, zur Zeit noch nicht! für den Himmel bin ich getauft; ich hoffe aber noch eine Zeit lang hier auf Erden zu bleiben und darnach ewig bei Gott zu bleiben.“ Nachhaltiger als jene Frage wirkte auf ihn die überraschende Entschließung eines Freiherrn von Sternberg, der am Hofe zu Weimar einer großen Festlichkeit mit Turnier und Tanz und allerhand Pracht und Genuß beigewohnt hatte. Aber als er am andern Morgen Saal und Rennbahn verödet und wüste gefunden, war er von einem so tiefen Gefühl der Nichtigkeit aller vergänglichen Lust übernommen worden, daß er den Entschluß faßte, der Welt zu entsagen, und sogleich zu einem Kloster in Arnstadt ritt, sein Pferd einem Diener überließ und die Mönchskutte anlegte. Dieses Ereigniß hat Fürst Wolfgang öfters erwähnt und noch im Alter fast nicht ohne Thränen erzählen können. Ebenso unvergeßlich war ihm eine Aeußerung seines Schwagers, des Herzogs Johann von Sachsen, der bei Erwähnung der glänzenden Feste, an welchen er in seiner Jugend am Hofe des Kaisers Maximilian Theil genommen, allezeit die Rede geführt: „Er wüßte mit Wahrheit zu sagen, daß Keiner jener Freudentage ihm ohne ein tiefes Gefühl von Traurigkeit verflossen wäre.“ Wolfgang selbst ging mehrere Jahre lang mit dem Gedanken um, in seiner Residenzstadt Köthen ein Kloster anzulegen, hatte auch schon die päbstliche Bewilligung dazu erlangt, als die neuen Bewegungen der Kirche sein Gemüth auf andre Bahnen führten, wo er mitten in der Welt den Frieden in Christo finden sollte, den auch kein Kloster geben kann. Im Jahre 1510 soll er auch in Rom gewesen sein.

Zwar fehlt uns noch eine urkundliche Geschichte seines Lebens, aus welcher wir eine genaue Nachricht von der Entwickelung seines Glaubens schöpfen könnten. Aber das ist unzweifelhaft, daß er früh in dem benachbarten Anhaltischen Lande von Luthers Person und Wirken in Wittenberg Kenntniß nehmen konnte und seit dem Jahre 1517 von allen Fortschritten der sächsischen Reformation genau unterrichtet war. Denn sein Oheim Fürst Adolf war als Bischof von Merseburg schon amtlich genöthigt, den Gang der Ereignisse, die sein Bisthum, zu welchem auch die Stadt Leipzig gehörte, so nahe berührten, zu überwachen. Fürst Adolf war ein frommer Herr, der die Schäden der Kirche zum Theil kannte und beklagte: er schätzte auch Luthers große Gaben und tiefe Erkenntniß der heiligen Schrift, nahm aber Anstoß an dessen heftigen Streitschriften und besonders an seinen Angriffen gegen das Pabstthum, hatte deshalb auch im Jahre 1519 die Veranstaltung der Leipziger Disputation als kirchengefährlich zu hindern versucht und im Februar 1520 ein versöhnliches Schreiben Luthers zwar achtungsvoll, aber doch mit entschiedenem Tadel seines Verfahrens beantwortet. Das Urtheil dieses Verwandten, eines so würdigen Bischofs, mußte den jungen Fürsten Wolfgang vorsichtig machen, bis er selbst durch eigne Anschauung sich ein unabhängiges Urtheil bilden konnte. Dieß geschah, als er im April 1521 den Mann Gottes auf dem Reichstag zu Worms sah und hörte. Von dieser Zeit an war sein Herz für Luther entschieden; doch hütete er sich vor übereilten Schritten und begünstigte erst nur im Stillen, was von erweckten Bürgern der Stadt Zerbst ausging. Diese veranstalteten, daß am 18. Mai 1522 Luther in Zerbst predigte und bald darauf ein Wittenberger Lector, ein Schüler Luthers, als Prediger an der Kirche der Barfüßer angestellt wurde: sein Name war Johann Luckow. Vom Jahre 1525 an trat Fürst Wolfgang entschieden mit seinem Bekenntnisse hervor und schloß sich dann auch im folgenden Jahre dem erneuerten Vertheidigungsbündniß zwischen dem Kurfürsten Johann von Sachsen und dem Landgrafen Philipp von Hessen an. Im Jahre 1529 unterzeichnete er zu Speier die Protestation der evangelischen Reichsstände, 1530 die Augsburgische Confession und 1531 die Urkunde des Schmalkaldischen Bundes.

Jetzt stand er mit festem Glauben in den vordersten Reihen der evangelischen Bekenner und war entschlossen, Land und Leute, auch Leib und Leben für das Evangelium zu lassen. Als auf dem Reichstag zu Augsburg die Evangelischen hart bedrängt wurden, erklärte er freimüthig: „Er wolle lieber Land und Leute verlieren und an einem Stecken davon gehen, denn daß er sollte eine andre Lehre annehmen und dulden.“ Auch stand er dem Markgrafen Georg von Brandenburg zur Seite, als dieser dem Kaiser seinen Kopf darbot, lieber zu sterben als das Evangelium zu verleugnen. Bei den Verhandlungen über die Unterzeichnung der Augsburgischen Confession rief er aus: „Ich habe manchen schönen Ritt andern Leuten zu Gefallen gethan: warum sollte ich denn nicht, wenns noth wäre, auch meinem Herrn und Erlöser Christo Jesu zu Ehren und Gehorsam mein Pferd satteln und mit Dransetzung meines Leibes und Lebens zu dem ewigen Ehrenkränzlein im himmlischen Leben eilen.“ Seiner Mutter schrieb er damals: „Ich hoffe zu Gott, Er wird sein göttliches Wort wohl erhalten, obs gleich dem Teufel und aller Welt leid ist.“ Und weiter: „Der Teufel hat jetzt viel zu schaffen; aber wir haben einen Trost, daß Gott sein Herr und Meister ist, der wird ihm seine Anschläge wohl zu Trümmern stoßen.“

Beim Ausbruch des Schmalkaldischen Krieges hielt Wolfgang treulich zu dem Kurfürsten Johann Friedrich von Sachsen und zog sich dadurch die Reichsacht zu, welche der Kaiser Karl V. am 12. Januar 1547 über ihn aussprach. Dieß konnte ihm im Anfang bei den überlegenen Streitkräften der Verbündeten nichts schaden. Aber als nach der unglücklichen Schlacht bei Mühlberg (24. April 1547), wo Johann Friedrich in Gefangenschaft gerieth, Alles verloren war, mußte auch Wolfgang landflüchtig werden und der erzürnte Kaiser vergab seine Lande an einen Spanier, Grafen Sigismund von Ladron. Damals bewährte der treue Bekenner in der schweren Trübsal seine Glaubensstärke und ritt getrost unter dem Gesang „Ein feste Burg ist unser Gott“ durch die Thore seiner Stadt Bernburg, ohne zu wissen, wo er eine sichere Zufluchtsstätte finden würde. Anfangs verbarg er sich verkleidet in einer Mühle, dann für längere Zeit in dem Waldgebirge des Harzes. Es währte mehrere Jahre, ehe des Kaisers Zorn sich milderte, und erst nach dem Passauer Vertrag (1552) erhielt er seine Erblande zurück, nachdem er viele Demüthigungen und schwere Verluste erlitten.

Schöne Zeugnisse von seiner Treue im evangelischen Glauben und Bekenntniß ziehen sich durch sein Leben hindurch. Wir erinnern nur an sein Verhalten in den Jahren 1541, 1557 und 1561. Im Jahre 1541 auf dem Reichstage zu Regensburg wohnte er den Verhandlungen bei, durch welche zwischen den Katholischen und Evangelischen eine Einigung gestiftet werden sollte, um bis zu einem künftigen allgemeinen Concil einstweilen den Friedensstand zwischen beiden Parteien aufrecht zu erhalten: dieß war das sogenannte Regensburger Interim. Hier drohte die Gefahr, daß man um des äußern Friedens willen die Perle der evangelischen Wahrheit unter der Form einer scheinbar fast gleichlautenden Lehre, die sich aber nach Belieben drehen und wenden ließe, preisgäbe. Dazu erbat sich der gewissenhafte Fürst zuvor Luthers Fürbitte: dieser aber stärkte ihn in seiner großartigen Weise durch ein Schreiben vom 12. März und sprach ihm heiligen Muth ein, indem er schloß: „Befehle hiermit Ew. Fürstl. Gnaden dem lieben Gott, in deß Sachen E. F. Gn. ein Legat worden ist: der gebe E. F. Gn. ein Herz, das da fühle und erfahre, daß sie Gottes Legat sind, so wirds fröhlich und getrost sein. Denn das ist auch allezeit mein Trost gewesen bisher, daß ich gewiß bin gewesen, die Sache, so ich führe, nicht mein, sondern Gottes sei; der habe Engel genug, die mir beistehen, oder wo sie mich hier lassen, doch dort und besser empfahen. Amen.“ In diesem Geiste hat sich dann auch der fromme Fürst in Regensburg treu und tapfer bewährt. Im Jahre 1557 war ein evangelisch gesinnter Markgraf von Brandenburg, Namens Sigismund, Verweser des Erzstifts Magdeburg, scheute sich aber aus Menschenfurcht, aus Rücksicht auf den Kaiser, an den Domen zu Magdeburg und zu Halberstadt die päbstlichen Gebräuche abzuschaffen und der evangelischen Predigt freien Lauf zu lassen. Wie dieß der Fürst Wolfgang vernahm, vermahnte er denselben freundlich, Christum zu bekennen vor den Menschen, auf daß ihn Christus wiederum bekennen möchte vor seinem himmlischen Vater. Als aber im Jahre 1561 auf dem Fürstentag zu Naumburg die Augsburgische Confession in veränderter Ausgabe unterzeichnet werden sollte, da schrieb er in gewissenhafter Vorsicht dem Kurfürsten August von Sachsen: „Ich bin erbötig, die Confession, wie sie zu Augsburg kaiserlicher Majestät übergeben und vom Kurfürsten Johannes und andern Fürsten, auch mir, unterschrieben, wiederum zu unterschreiben, doch daß die jetzige der vorigen ganz gemäß, und nichts darin verändert sei. Denn Eure Liebden haben zu bedenken, in was für Leichtfertigkeit und Beschwerung es mir gereichen wollte, wenn ich mich entschließen könnte, eine andere Confession zu unterschreiben, denn wie der kaiserlichen Majestät zu Augsburg übergeben worden.“

In einem Alter von 70 Jahren trat der noch rüstige und ritterliche Fürst sein Erbe an die nächsten Lehnsvettern ab und behielt sich nur einige wenige Besitzungen und Einkünfte vor (1562), nahm sich aber um so mehr der Armen, der Schulen und Kirchen an und nährte seinen Glauben reichlich durch Gottes Wort, welches er so liebte, daß fast nicht ein Tag verging, wo er nicht eine Predigt hörte. Er residierte in dieser Zeit erst in Koswig, später (seit dem Herbst 1564) in Zerbst, wo er die verfallene Bartholomäuskirche durch einen bedeutenden Bau wieder herstellte. „Ich will, ob Gott will, diesen Vogelbauer vollends bauen helfen“, sprach er, „ehe denn ich sterbe: der allmächtige Gott wolle nachher gute Singvögel hinein bescheren.“ Sehr nahe ging ihm zu Anfang des Jahres 1565 der Tod seines Freundes, des Grafen Wolfgang zu Barby, dessen Bestattung er beiwohnte und dessen nachgelassene Söhne er fleißig zur Gottesfurcht und brüderlicher Eintracht vermahnete. „Nun sind sie Alle dahin“, sprach er, „meine lieben alten Freunde, und ich bin allein noch übrig“, und sang sich häufig Luthers Sterbelied: „Mit Fried und Freud ich fahr dahin.“ Im Mai desselben Jahres besuchte er noch einmal Dresden und erquickte sich bei dem Kurfürsten August von Sachsen: als er die Stadt wieder hinter sich hatte, schlug er gegen sie mit der Hand ein Kreuz und sagte ihr für immer Lebewohl. Sein Wahlspruch war: Christus spes una salutis (Nirgends Heil als in Christo). Im September 1565 überfiel ihn ein heftiges Fieber und in dieser Krankheit hatte er auch im Geiste den Todeskampf zu kämpfen, genas aber wieder. Seitdem bereitete er sich noch mehr zum Heimgang, ließ sein Sterbekleid anfertigen und ordnete Alles genau für sein Begräbniß an. Endlich am 23. März 1566 Sonnabend vor Lätare kurz vor Mitternacht ist er sanft und selig entschlafen und am 27. März im Chore der Bartholomäuskirche in Zerbst beigesetzt worden, wo sein Bildniß mit Grabschrift noch zu sehen ist. Sein Beichtvater, der Pfarrer an der Bartholomäuskirche in Zerbst, Abraham Ulrich aus Cranach in Franken hat ausführlich sein erbauliches Ende beschrieben und seiner frommen Stiftungen gedacht. Er war eine Zierde des Anhaltischen Fürstenhauses, ein Vorbild für evangelische Fürsten. Philipp Melanchthon rühmt von ihm: „Es wird Keiner wiederkommen, der ihm gleich sei im Ansehn bei den Fürsten, in Liebe gegen Kirchen und Schulen, im Eifer Einigkeit zu erhalten und Leib und Leben für den Glauben dran zu setzen.“

  1. E. Schmieder in Wittenberg.

Die Zeugen der Wahrheit
Dritter Band
Piper, Ferdinand (Herausgeber)
Verlag von Bernhard Tauchnitz
Leipzig 1874