Joachim von Watt

Joachim von Watt (Vadian)

Wenn die Reformation bemüht war, die bisher zwischen Priestern und Laien bestehende große Kluft auszufüllen, so konnte sie dafür kein offenkundigeres Zeugniß ablegen, als das, daß sie einem Laien den Namen und Beruf eines Reformators beilegte. Vadian, der Humanist, Dichter, Polyhistor und St. Galler Stadtarzt ist zugleich der Reformator seiner Vaterstadt. Er hat keine priesterliche noch klösterliche Vorbildung oder Verbildung erhalten, sondern sein theologisches Wissen sich erst nach Bedarf als Reformator angeeignet; er hat nie unter dem Druck der Priesterherrschaft geseufzt; auch von inneren Kämpfen, unter denen er eine Pflichtencollision zwischen Kirchen- und Bibelglauben zum Entscheid gebracht hätte, ist uns nichts bekannt. Als Humanist hatte er erst die religiösen Fragen unberücksichtigt bei Seite liegen lassen und stand in Gefahr, nach dem Vorgang von hundert Anderen aus lauter Furcht vor Einseitigkeit im vollsten Sinne einseitig und haltungslos, weil ohne Gott zu werden; aber die urkräftige Schweizernatur arbeitet sich durch die gefährliche Krisis hindurch, ohne Schaden an der Seele zu nehmen; unter der raschen Entwicklung des Verstandes wird wohl die des Herzens gehemmt, aber nicht unterdrückt und erstickt, und der Dichter, der sich eben erst noch vom Heerde des Mariencultus das Feuer seiner Begeisterung geholt hatte, kommt aus Herzensdrang zur Anbetung des Liebenswürdigsten und Schönsten unter den Menschenkindern, dessen Geschichte und Wirklichkeit schöner ist als alle Gebilde menschlicher Phantasie in Marien- und Heiligenlegenden. In stiller Arbeit des Geistes reift sein Entschluß, seinem Gott und seiner Vaterstadt das größte Opfer zu bringen – die Verzichtleistung auf Würden und Ehren, welche er schon besitzt und die ihm bei Fortsetzung der alten Laufbahn in sicherer Aussicht stehen, denn die Ehre bei Gott und der Name eines biedern Schweizerbürgers stehen ihm höher; die Verzichtleistung auf den anregenden Verkehr mit den Männern und Jüngern der Wissenschaft, denn aus dem Worte Gottes holt er sich nun seine tägliche Nahrung, an den Krankenlagern lernt er mehr, als er ehedem auf den Kathedern gelehrt hat, und die Nähe eines Zwingli und Oecolampad ersetzt ihm reichlich den unmittelbaren Umgang, in welchem er bisher mit den Gelehrten verkehrt hatte.

So kehrt Vadian aus der großen Stadt, in welcher er sich das Bürgerrecht eines Gelehrten und den Lorbeerkranz eines Dichters erworben hat, in die kleine, bisher nur von industriellen Interessen bewegte Heimathsgemeinde zurück, nicht aus dem Beweggrund eines Cäsar, lieber der Erste in St. Gallen als nur unter den Ersten in Wien zu sein, sondern mit dem einzigen Ehrgeiz, seiner Vaterstadt mit dem Besten zu dienen, was er kann, weiß und hat. Sein Entschluß gleicht nicht einem schnell auflodernden und ebenso schnell wieder in Asche zusammensinkenden Strohfeuer; er ist gestählt mit beharrlicher Geduld und ruhig überlegender Mäßigung. Erst muß der Bürger, der sechszehn Jahre von Haus abwesend gewesen ist, sich m die heimathlichen Personen und Zustände wieder hineinleben und sich allmählich die Werkzeuge ausersehen und heranbilden, durch welche er die Reformation durchzusetzen gedenkt. Jahr um Jahr vergeht in bedächtlichen Zurüstungen, aber in der Zwischenzeit erstarkt der weise Zauderer in Glaubenskraft und Glaubenserkenntniß. Der Laie versammelt einige zugängliche Priester St. Gallens um das Wort Gottes, das er ihnen mit seinen antiquarischen Kenntnissen auslegt und mit seinem lebendigen Glauben lebendig macht. Was Vadian im Studierzimmer ihnen mittheilt, das predigen sie, wenn auch noch schüchtern, von den Kanzeln herab. Daneben kehrt der Stadtarzt in den Häusern von Reich und Arm ein, leiblicher und geistiger Noth steuernd, hier mit irdischem, dort mit himmlischem Brod labend und belebend; kann er die Heilsbedürftigen nicht zur Kirche weisen, weil in ihr die Finsterniß noch mehr geliebt wird als das Licht, so heißt er sie auf die Zunftstuben der Handwerker gehen, wo ungeweihte Laien, welche die Salbung des Geistes empfangen haben, in fremden Sprachen die Großthaten Gottes erzählten.

Außer den Kirchen ists auch in der Rathsstube noch Dämmerung. Da beruft das allgemeine Vertrauen den Stadtarzt zur Würde und Bürde des Rathes: die Pflicht jedes Bürgers, das Beste der Stadt zu rathen und zu fördern, wird zur beschworenen Amtspflicht; wie einen Luther sein Doctoreid, so treibt einen Vadian sein Rathseid trotz aller Schwierigkeiten vorwärts zu gehen, aber auch mit Weile zu eilen. Erst muß der Rath selbst durch Ausstoßung der Altgläubigen, durch Befestigung der Schwankenden und Unentschiedenen gewonnen sein, ehe die weltliche Obrigkeit mit heiligen Händen das heilige Werk anfassen kann. Und doch wie nöthig wird es, daß die Obrigkeit die Reformation als Panier aufwirft, ehe ihr die in der Bürgerschaft gährende Bewegung über den Kopf wächst! Auch im Rath erringt sich Vadian bald unbedingtes Vertrauen; er steht an der Spitze der Obrigkeit, noch ehe er Bürgermeister ist, und als er es wird, ist es nicht sowohl das Ansehen seines Amtes, als das seiner Person, womit er die Rathsherren für die von ihm vertretene Sache gewinnt. Er gibt den Ton zu allen Verhandlungen an, sie singen ihm nach, und schließlich vollstreckt er nur, wozu sie ihm gesungen haben. Er ist im Rath allgewaltig, während er Alles der freien Abstimmung des Rathes anheimgibt, er herrscht, je weniger er seine Herrschaft und Ueberlegenheit fühlen läßt. So führt er, nachdem er sich im Stillen seine Gehilfen in der Kirche, im Volke und im Rath herangezogen hat, die Reformation durch in langsamem aber sicherem Gang, alle Fäden der Bewegung in fester Hand haltend, nirgends zwingend, aber überall treibend, die ganze Verantwortung auf sich nehmend, aber das Verdienst des Gelingens gern Andern überlassend. Wie vielleicht nirgends geht in St. Gallen bürgerliche und kirchliche Reform Hand in Hand mit einander; die beiden Abwege, auf welche die Entwicklung der Reformation, bald mehr, bald minder, in Deutschland und in der Schweiz sich verirrte, werden glücklich vermieden: dort eine Ueberholung der nationalen durch die kirchliche, hier eine Ueberholung der kirchlichen durch die bürgerliche Reform. Erscheint darum leicht dort die Reformation einseitig als Gottes-, hier einseitig als Menschenwerk, so tritt sie uns in St. Gallen als das entgegen, was sie in Wahrheit überall ist: als ein gottmenschliches Werk, weder als Octroyirung von oben, noch als Octroyirung von unten, sondern als eine göttliche, durch menschliche Werkzeuge, durch das Volk selbst vollzogene That.

Hierin besteht einerseits das besondere Interesse, welches die Lebensbeschreibung Vadians gewährt, aber auch andererseits die besondere Schwierigkeit, welche sie dem Erzähler bietet. Vadian ist in der Kirche und auf dem Rathhaus Reformator, ohne sich in den Vordergrund zu stellen; er ist die Seele der ganzen Bewegung, aber man sieht ihn nicht; er verdunkelt seine Person geflissentlich, damit die Sache, die ihm am Herzen liegt, desto mehr glänze. Es war in St. Gallen ein offenkundiges Geheimniß, daß Vadian Alles leite und ordne, aber der demokratische Takt der Stadt und des Raths hinderte, daß das Geheimniß ausgeredet wurde. Die Reformation von St. Gallen ist nächst Gott sein Werk; aber Vadian hat kein größeres Bestreben, als das, sie zum Werke der Bürgerschaft zu machen. Der Biograph muß darum viele Ereignisse in seine Erzählung einweben, welche, wenn auch Vadians Name nicht ausdrücklich genannt wird, ohne ihn ebenso unerklärt wären, als Vadians Lebensbeschreibung unvollständig ohne ihre Erwähnung. Ob der Verfasser dieser Biographie überall die rechte Auswahl getroffen und das rechte Maß gehalten hat, wagt er selber nicht zu bejahen; daß er sich mit Liebe und nicht ohne inneren Beruf dieser Arbeit unterzogen, wird, wie er hofft, die folgende Schilderung lehren.

Die Hauptquelle, aus welcher er schöpfte, war die Vadians Namen tragende Stadtbibliothek St. Gallens, in ihr zumeist die aus zwölf Foliobänden bestehende Sammlung authographischer Briefe, darunter vieler an Vadian, einiger von ihm. Ihre Benutzung wird wesentlich erleichtert durch den sorgfältigen Index, welchen Mittelholzer dazu lieferte. In derselben Bibliothek befindet sich der ganze handschriftliche Nachlaß Vadians, deren wiederholt versuchter Druck allein mehrere Dutzend Quartbände füllen würde. J. M. Fels, gew. Professor der Theologie am Collegium in St. Gallen, gab sich die Mühe, diese ihrem Gehalt nach sehr ungleichen Manuscripte zu durchgehen und einen sorgfältigen Auszug daraus zu fertigen, den er in zwei reinlich geschriebenen Heften unter dem Titel „Der Geist aller handschriftlichen Werke des Dr. Joachim von Watt“ zum Druck bestimmte. Er blieb aber bloß im Manuscript und wurde bei dieser Arbeit öfter zu Rathe gezogen. Endlich finden sich in dieser unter einer liberalen Leitung stehenden Bibliothek die meisten Schriften Vadians, auch die in Wien erschienenen, welche sonst sehr selten erhalten wurden. Neben Vadians eigenem Nachlaß enthält diese Bibliothek auch zwei für das Leben des Reformators reiche Ausbeute bietende Manuscripte seines Freundes Johannes Keßler, nemlich Vadians kurze Biographie unter dem Titel: „Vita Joachim Vadianus“ und dann die, einige Anhänge ausgenommen, mit dem Jahre 1539 geschlossene Reformationschronik, von ihm selbst Sabbatha genannt. Sie ist ein überaus wahrheitsgemäßes, treues, wenn auch häufig gar ungeordnetes Tagebuch aus der damaligen Zeit, aus welchem wir Vieles in der nachfolgenden Schilderung entlehnten, und über dessen naivkindlichen Styl uns schon hier die Erklärung belehren mag, welche Keßler von dem Namen seiner Chronik gibt. Er sagt in der Vorrede oder Zueignung an seine Kinder: „Nun möchtet ihr sprechen, wiewohl ich mich deß nit zu euch verseh: Ja, Vater, du hast viel geschrieben und Müh und Arbeit unserthalb gehabt; uns wäre lieber, hättest du die Sättel ausbreitet, Arbeit und Sorg tragen, wie du uns Reichthum, Geld, Hab und Gut verlassen möchtest. Liebste Kinder, solchem Eintrag zu begegnen, hat mich zu einem Theil verursachet, diese Chronik Sabbatha zu nennen, damit ich gleich auf solche Frage mit dem Titel Antwort gebe. Denn ich meines Handwerks halb an der Sorge, wie ihr zeitlich erhalten werdet, nichts nie versäumt, sondern für und für gearbeitet zu den Zeiten und Stunden, so man arbeiten soll, als ob ich nit einen Buchstaben zu schreiben wüßte. Allein hab ich mich hierob finden lassen an den Sabbaten, das sind an den Feiertagen und Feierabendstunden, so männiglich von der Handarbeit ruhet und müßig geht, zu Nacht schlaft oder unter Abend Kurzweil treibt. Denn ich nit leichtlich glaube, daß ein Mensch, er sei ja in was Berufung er wolle, seiner endlichen Handthierung so steif und gänzlich ergeben obliege, der nit von etwas, entweder Kurzweil oder Erquickung, nebenzu fallend angefochten werde und zum Theil zu gelegenen Stunden demselbigen nachhänge. Die Studierens pflegen, spazieren die nit unterweils auf einer blumenreichen Matte? Arbeiten die Handwerksleute zu allen Stunden, theilen nit etliche ihre Sinne und Gedanken auf kunstreich Schießen, beide mit Pulver und Armbrust, etliche auf Fechten, etliche kämpfen mit Laufen und Springen; etliche, so böser geartet sind, achten Kurzweil Essen, Trinken, Fressen, Spielen, Huren u. s. w. Braucht dieses Alles nit viel Weil, Zeit und Hab und dient zu keinem Handwerk: noch will es Jedermann verantwortet haben, so man spricht, es geschehe an Feiertagen und Feierabend. Sollte es dann mir Einigem verderblich sein, so ich müßig bin, in so ehrbaren gottseligen Händeln viel zu schaffen haben, wie Publius Scipio Africanus gesprochen hat: Sollt ich allein in unersättigem Git Tag und Nacht zabeln, und wie Salomon spricht in seinem Psalmen 127, das arbeitselig Brod essen, ob ich keinen ernährenden und für mich sorgtragendsn Gott erkannte; so wir doch vielmehr von Gott erschaffen sind, sein Wort und Wunder in allen seinen Werken wahrzunehmen, damit wir zu seiner Forcht, Lieb, Erkenntniß, Lob und Preisen bewegt werden. Vielmehr solltet ihr also gedenken: Wie viel hat unser Vater uns Geld erspart, das er zu diesen Feierstunden hätte mögen mit Anderen unnützlich verzehren und an Leib, Ehr und Gut geschwächt werden!“ Diese Chronik hat insofern einen amtlichen Character an sich, als sie von dem bedenklichen Magistrat im Jahr 1556 zu einer Censur ausgebeten, aber ohne Rüge ihrem Verfasser wieder zugestellt wurde. Einige interessante Notizen zur Lebensgeschichte Vadians bot auch die Durchsicht der Schriften von Johann Rütiner, dem Freunde Keßlers, die in zwei, freilich zum Theil fast unleserlichen Bänden zerstreute Notizen über die Reformationszeit enthalten.

Nach der kurzen Lebensskizze, welche Keßler von seinem Freunde Vadian hinterließ, wurde dessen Leben zum Gegenstand zweier, freilich höchst oberflächlicher Monographien gemacht, zuerst von dem ehemaligen Rector des St. Galler Gymnasiums Christian Huber: „Ehren Gedechtnuß deß Hochgeachten, Woledlen, Vesten, Hochgelehrten, Fürnemmen, Fürsichtigen, Frommen und Wolweisen Herrn Joachim von Watt; St. Gallen 1683,“ dann von dem bereits genannten J.M.Fels in seinem „Denkmal schweizerischer Reformatoren, St. Gallen 1819.“ Erstere Schrift ist überaus mangelhaft und nicht frei von vielen Unrichtigkeiten; letztere ist zwar mit Fleiß und Umsicht gearbeitet, gibt aber über Vadians Leben nur einen kurzen Abriß, um in ausführlicher und tendenziöser Weise die Fehde Vadians mit dem Schwärmer Schwenkfeld zu besprechen. Viel besser als diese Biographieen Vadians ist die Bearbeitung, welche Joh. Jakob Bernet dem Leben Johann Keßlers angedeihen ließ (St. Gallen 1826); sie gründet sich auf fleißiges Studium der Manuscripte und große Zuverlässigkeit in der Darstellung.

Schließlich sind die Schriften über die Geschichte St. Gallens zu erwähnen, welche bei dieser Arbeit zu Rath gezogen wurden; Marx Haltmayer’s Beschreibung der eidgenössischen Stadt St. Gallen Gelegenheit, Geschichten und Regiment (St. Gallen 1683), ein veraltetes, wenig brauchbares Werk; J. von Arx, Geschichte des Kantons St. Gallen in 3 Bdn. (St. Gallen 1810-13), eine Arbeit nicht ohne tüchtige Quellenstudien, aber getrübt durch katholische Parteifärbung, weniger in dem, was erzählt, als in dem, was mit Stillschweigen übergangen wird; G. L. Hartmann, Geschichte der Stadt St. Gallen (St. Gallen 1818), eine getreue, aber ohne Uebersicht gegebene Darstellung; endlich A. Näf, Chronik oder Denkwürdigkeiten der Stadt und Landschaft St. Gallen (Zürich 1851 fg.); dieses Werk zeugt von großem Sammelfleiß, behandelt aber den Gegenstand in alphabetischer Lexiconsweise, so daß die Reformation in einer noch nicht erschienenen Lieferung erst später darin erzählt werden soll; gleichwohl verdankt unsere Biographie diesem Werke des Herrn Präsidenten von St. Gallen manche Förderung. Manche Fingerzeige boten auch die Biographieen der Freunde Vadians. Für die Periode der St. Galler Wiedertäufer bietet die treffliche Schrift von C. A. Cornelius „Geschichte des Münsterischen Aufruhrs, 2. Buch die Wiedertaufe“ (Leipzig 1860) treffliche Anhaltspunkte.

Konnte den Reformatoren selbst, die alle Theologen und Priester waren, die Gesellschaft und eifrige Mitwirkung des Polyhistors, Humanisten, Arztes und Staatsmannes weder zum Vorwurf noch zur Unehre gereichen, so möge auch Vadians Lebensbeschreibung sich würdig anschließen der Reihe der edlen Bilder, mit denen der Ahnensaal der reformirten Kirche billig geschmückt wird!

Erstes Buch.

Die Zeiten vor der Reformation.

I. Die Vaterstadt.

Keine Stadt konnte durch ihren geschichtlichen Ursprung enger mit dem Katholicismus verwoben und verwachsen sein, als es St. Gallen war. Die Stadt war ursprünglich nur eine Colonie, welche sich um den Schirm und Segen des Klosters her in dessen schlechthiniger Abhängigkeit ansiedelte. Das Kloster aber hatte zu seinem Stifter Gallus oder Gilian, der um das Jahr 560 in Irland aus einer vornehmen Familie geboren, 590 mit seinem Lehrer Columban sein Vaterland verließ, um sich durch das Frankenreich in den fernen Osten zur Bekehrung der Heiden zu begeben. Nachdem der kühne und beredte Gallus, der die deutsche Sprache sich rasch angeeignet hatte, in Begleitung seines Meisters in Tuggen, Arbon und Bregenz für das Christenthum gewirkt hatte und Columban wieder abreisen mußte, blieb Gallus, angeblich durch eine Krankheit gebunden, an den Ufern des Bodensees zurück. Columban sah in dieser Entschuldigung blos einen Vorwand, unter welchem sich Gallus in der Schweiz eine selbstständige Wirksamkeit und eigenes Ansehen erwerben wolle, und verbot seinem Schüler bei der Abreise, je wieder, so lange er am Leben sei, Messe zu lesen. Gallus beobachtete diesen Befehl seines geistlichen Vaters. Sobald er genesen war, suchte er sich mit einigen Gefährten, die sich ihm anschlossen, in der Wildniß eine neue Stätte zu einer Zelle, welche zunächst der Stamm eines Klosters, vermittelst desselben aber der Mittelpunkt eines großen Kreises werden sollte. Sie kamen zum Flüßchen Steinach, singen dort einige Fische, und während sein Begleiter Magnoald beschäftigt war, diese zu backen, ging Gallus bei Seite zum Gebet. Als er aufstand, blieb er am Dorngesträuch hängen und siel zu Boden. Er sah darin eine göttliche Weisung hier zu bleiben, steckte ein aus einer Haselruthe geformtes Kreuz in die Erde und befestigte die Reliquien, die er bei sich trug, an dem Kreuz. In der folgenden Nacht, so fährt die Legende in ihrer Erzählung fort, kam ein Bär, um die Reste der Mahlzeit zu verzehren. Gallus gebot ihm, Holz zum Feuer herzuzubringen, und der Bär gehorchte. Darum wird Gallus mit dem das Holz tragen den Bären abgebildet, wie auch das Kloster bis zu seiner Aufhebung diese Scene auf seinen Münzen führte. Sofort errichtete Gallus an dieser Stelle eine Kapelle, und aus dieser Kapelle enstand, von dem alemannischen Volk, dessen heiligstes Gotteshaus sie war, getragen und gehoben, die große, reiche, gefürstete Abtei St. Gallen, welche den Namen ihres Stifters in den folgenden Jahrhunderten verherrlicht und in der ersten Hälfte des Mittelalters sich um christliche Religion und Kirche, besonders aber um die Pflege der Künste und Wissenschaften hoch verdient gemacht hat. Die Gründung des Klosters St. Gallen erfolgte im Jahr 614. Gallus starb 640: aber zu seinem Grabe wurden viele Wallfahrten unternommen, und so kam es, daß die einsame Zelle allmählig eine bedeutende Stiftung ward: denn nicht nur in der nächsten Nähe besaß das Kloster Grundeigenthum und Gefälle, sondern auch im Innern der Schweiz, im Breisgau, in Schwaben und Franken, ja sogar in der Lombardei.

Als der erste Klosterabt gilt Othmar (720-760), der später als Märtyrer heilig gesprochen wurde. Unter ihm erhielt das Kloster vom Frankenkönig Pipin das wichtige Recht der freien Abtswahl, und bald folgten andere Privilegien, durch welche sich das Bisthum Konstanz in seinen Rechten beeinträchtigt fand, so daß sich von dieser Zeit her die eifersüchtigen Conflikte zwischen dem Kloster und dem Bischofsitz Konstanz datiren. Bald darauf wurde auf Pipins Wunsch zur Conformirung mit den fränkischen Klöstern die Regel Columbans mit der Benedictinischen vertauscht. Große Verdienste um das Kloster erwarb sich namentlich der Abt Gotzbert (816 bis 837). Dieser, einem der angesehensten Geschlechter des Thurgaus entstammend, wahrte unter kaiserlichem Schutz die Rechte des Stifts gegen die bischöflichen Eingriffe und Uebergriffe und begann einen regelmäßigeren Bau des Klosters und der Kirche. Unter seiner umsichtigen Leitung kam namentlich die Klosterschule in einen immer blühenderen Zustand. Sie zerfiel in eine äußere und eine innere, letztere für diejenigen, welche sich dem Klosterleben widmen wollten, und Kaiser und Könige holten sich aus diesem Bildungssitz ihre Geheimschreiber. Schon gegen Ende des neunten Jahrhunderts zählte die Klosterschule dreihundert Zöglinge. Ebenso legte Gotzbert den Grund zu der kostbaren Sammlung litterarischer Schätze, durch welche das Kloster jetzt noch so berühmt ist. Besonders berühmt waren seine Mönche als Bücherabschreiber; die Sauberkeit, Eleganz, Pracht und Kunst ihrer zahlreichen Handschriften hatte nirgends ihres Gleichen. Hohe Verdienste erwarben sich die St. Galler Mönche neben den eigentlich gelehrten Studien durch die eifrige Pflege der alemannischen Muttersprache. Baukünste, Sculptur, Malerei, Kirchengesang und Dichtkunst erreichten hier im 9., 10. und 11. Jahrhundert eine alle anderen gleichzeitigen Leistungen überragende Blüthe.

Das eilfte Jahrhundert brachte dem Gotteshaus unruhige Zeiten, ja selbst seine Aebte vertauschten oft die Bücher gegen die Waffen, und die Epoche, in welcher die Abtei als eine Leuchte in weiter Ferne dastand, war für immer vorüber. Der kriegerische Abt Nortpert lebte in beständiger Fehde mit dem Bischof Romuald. Beide fügten einander durch Ueberfälle, mit wenig Volk sengend, mordend und raubend, größeren Schaden zu, als gleichzeitig in anderen Ländern große Heerhaufen verübten. Ein Unglück für das Kloster war die Erhebung seines Vorstandes zum Fürstabt im Jahr 1204, indem hierdurch dem schon vorher darin herrschenden kriegerischen Geiste Nahrung gegeben und neuer Anlaß geboten wurde, die Blüthe der Litteratur vollends ganz von dem Stifte abzustreifen. Dieser erste Fürst Ulrich VI., Freiherr von Hohensax war so verweltlicht, daß er am Charfreitag Mannschaft zum Entsatz einer benachbarten belagerten Burg anführte, während einer seiner Nachfolger auf die Bemerkung eines Herzogs, daß ein dem Irdischen abgestorbener Mönch in weltlichen Dingen nicht mitzusprechen habe, sich für „einen Mönch im Kloster, aber für einen Fürsten am Hofe“ erklärte. Mehrere der späteren Aebte verstanden sich nicht einmal auf das Schreiben und trugen außer dem Kloster, vornemlich am Hofe, oft weltliche Kleidung; auch war ihre eigene Hofhaltung so kostbar, daß sie bisweilen in die Ferne gingen, um Ersparnisse machen zu können. Neben dem Kriegshandwerk bildete nun die Jagd eine Hauptbeschäftigung der Mönche. Im Stifte wurden Jagdhunde, Falken und abgerichtete Habichte in nicht geringer Anzahl gehalten, bis die Visitatoren der Benedictinerklöster im Jahr 1469 dem Umfug zu steuern versuchten und den Conventualen geboten, von der Jagd mit Hunden und Federspiel ganz abzustehen.

In demselben Grade, in welchem das Kloster in wissenschaftlicher, sittlicher und ökonomischer Hinsicht mehr und mehr in Verfall gerieth, arbeitete sich die Stadt St. Gallen von kleinen Anfängen zu immer reicherem Bestand, aus der drückenden Abhängigkeit vom Gotteshaus zu stets größerer Selbstständigkeit heraus, in die Erbschaft der alten Frömmigkeit und Betriebsamkeit, ja selbst in den Besitz des Klosters einzutreten. Da der Grund und Boden, auf welchem durch erste Ansiedlung in dieser Gegend eine Ortschaft entstand und später die Stadt St. Gallen erbaut wurde, freies Eigenthum des Stiftes und unter seiner Landeshoheit gelegen war, so besaß die Stadt anfänglich keine eigene Gerichtsbarkeit noch sonstige besondere Rechtsame, weßwegen denn auch die Bewohner der Stadt während längerer Zeit als Stadtbürger immer noch Gottshausleute hießen. Die Stadtobrigkeit, nemlich Ammann, Räthe und Amtleute wurden von einem jeweiligen Klosterabt gewählt, damit sie in dessen Namen die Rechtspflege und dazu den einfachen Gemeindehaushalt besorgten.

Zwar befand sich die Stadt, in welcher sich schon zur Zeit des ersten Kreuzzuges Manufacturen heimisch gemacht zu haben scheinen, noch lange in einer großen und drückenden Abhängigkeit von der Abtei, doch wußte sie das öftere Zerfallen der äbtischen Finanzen und die innere Zerrüttung des Klosters klug auszubeuten und sich der Reihe nach viele städtische Freiheiten zu erwerben, bis sie im Jahr 1413 von dem Fürstabt als Reichsstadt anerkannt wurde. Eine fünf Jahre später ausgebrochene Feuersbrunst zerstörte zwar außer dem Kloster und Münster den größten Theil der Stadt; aber der in ihr damals schwungreich blühende Leinwandhandel verschaffte ihr die Mittel, nicht nur sich selber schöner und reicher wieder aufzubauen, sondern auch die zugesagte Hilfe für den Neubau des Klosters zu leisten. Doch mit ihren Leistungen an das Kloster steigerte sie auch ihre Forderungen an dasselbe. Nachdem die Bürgerschaft im Jahre 1442 dem König Friedrich, der ihr des Reiches ewigen Schirm zugesagt hatte, bei seiner persönlichen Anwesenheit in St. Gallen eidlich gehuldigt hatte, weigerte sie sich, den ihr vom Abt zugemutheten Huldigungseid zu leisten, zumal sie ihre von Kaisern, Königen und früheren Aebten erhaltenen Freiheiten durch mehrhundertjährige wichtige, dem deutschen Reiche wie der Abtei erwiesene Leistungen mühsam und theuer erworben habe. Der Abt verklagte deswegen die Stadt beim Kaiser, der Bürgermeister und Rath zur Nachgiebigkeit aufforderte. Fruchtlos waren lange Verhandlungen, bei denen die städtischen Abgeordneten die starken Worte fallen ließen: Sie hätten dem Könige geschworen als ihrem natürlichen Herrn, dem Abt aber werden sie nur den Leheneid leisten; er sei wohl erwählt zu einem Herrn des Gotteshauses, aber nicht, daß er ihr Herr sei; ob er vermeine, ihr natürlicher Herr zu sein? Als die Stadt im Jahr 1454 Aufnahme in den ewigen Bund der Eidgenossen erlangte und am 23. Juni der Bundesschwur von sämmtlichen ehr- und wehrfähigen Bürgern in Gegenwart der Gesandten von Zürich, Bern, Luzern, Schwyz, Zug und Glarus geleistet wurde, dachte Abt Kaspar nicht mehr daran, Unterthanenschaft fordern zu wollen, sondern bewilligte den folgenden Tag vor den eidgenössischen Gesandten, der Stadt die Vogteien aller seiner Gerichte so zu übergeben, daß Bürgermeister und Rath Schirmherren und Vögte sein, er aber der Landesherr bleiben solle. Die Verhandlungen wegen Ablösung der Herrschaftsrechte des Stifts im Stadtgebiete wurden endlich 1457 dahin erledigt, daß die Forderungen der Abtei an die Stadt für Ablegung des Huldigungseides an die Aebte, Besetzung von Stadtammann, Rath und Amtleuten, Rechtsame an Leinwandreif, Münz, Zoll, Gewicht und Maaß, richterliche Befugniß des Stadtammannamtes und Lehen des Rathhauses gegen eine von der Stadt dem Stifte zu entrichtende Summe von 7000 rheinischen Gulden in Gold aufgehoben, gänzlich abgethan sein und daherige Rechte der Stadt ewiglich zugehören sollen.

Als Bundesglied der schweizerischen Eidgenossenschaft und durch deren thätige Mitwirkung, wie mit eigener langjähriger Anstrengung endlich rechtsförmlich von der Oberherrlichkeit der Abtei befreit und einzig noch gleich anderen Reichsstädten in der Schweiz unter derjenigen des Reichsoberhauptes unmittelbar stehend, benutzte die Stadt St. Gallen die errungene unabhängige Stellung zur sofortigen Ausübung der damit verbundenen Rechtsame, zur Hebung ihres Gemeindehaushaltes und der industriellen Interessen, welche fortan die Hauptquelle des in stetigem Wachsthum begriffenen ökonomischen Wohlstandes der Bürgerschaft bildeten. In langem Kampfe wahrte die Stadt mit zäher Beharrlichkeit ihre errungene Selbstständigkeit gegenüber dem habsüchtigen und schlauen Fürstabt Ulrich Rösch, der sich vom Küchenjungen zu dieser hohen Würde emporgeschwun. gen hatte. Dieser Abt, von der Bürgerschaft sehr gehaßt und der rothe Uli genannt, wußte die tiefgesunkenen Einkünfte des Stifts auf 26,000 Gulden zu erhöhen, wie er auch darauf Bedacht nahm, den alten Ruf seines Klosters neu zu begründen, indem er die Lateinschule in ein Gymnasium umschuf und fremde Professoren berief. Beinahe dreißig Jahre stand er dem Kloster vor, dessen Hebung er seine ganze Kraft gewidmet hatte und starb im Jahre 1491 hohen Alters – drei Söhne hinterlassend, denen er eine wissenschaftliche Erziehung gegeben hatte. Mit der Stadt hatte er in unausgesetztem Hader gelebt, denn sein Hauptbestreben war darauf gerichtet, dem Stift durch gänzliche Emancipation von der Stadt eine vollständige, von allen hemmenden Einflüssen entlastete Unabhängigkeit zu erringen. Die Stadt besaß nemlich verschiedene Rechtsame im Klosterbezirk, sie war Miteigenthümerin der allerdings durch viele Stiftungen ihrer Bürger bereicherten Klosterkirche und des Kirchenschatzes, sie hatte die Befugniß zur Besetzung des Münsterthurmes als Hochwache und verweigerte endlich beharrlich dem Abt ein eigenes Thor, während ihren Bewohnern der Zutritt zu dem nur durch einen Zaun abgesonderten Kloster stets offen stand. So entstand in dem Abt der Plan einer gänzlichen Lostrennung der Abtei von der Stadt. In einer Kapitelversammlung setzte er beredt die Nachtheile auseinander, welche der Abtei aus dem bisherigen Beisammenleben mit der Stadt schon oft erwachsen seien und immer größer werden müßten, zumal die Stadt ihm weder ein eigenes Thor noch die Einfassung des Klosters gegen dieselbe mit einer schützenden Mauer gestatten wolle; ebenso schilderte er die Vortheile, welche in geistlicher und weltlicher Beziehung dem Stift zuflößen durch Uebersiedlung „an ein frei, unüberloffen, still und luftig Ort, wo Spys und Trank minder kostlich, alle Nothdurft mit ringen Kosten und guter Zufuhr zu Wasser und Land erhältlich seien, Holz und Stein zum Bau sattsam schon zur Stell liegen und drei veste Schlösser, Rorschach, Wartensee und Sulzberg, ein Gotteshaus vor allem Ueberfall decken“, und schlug vor, das Kloster nach Rorschach zu verlegen. Das Kapitel ertheilte seine Zustimmung zum Plane, Papst Sixtus IV. genehmigte ihn, und nachdem er auch vom Kaiser gutgeheißen, ward 1484 der für den Bau des neuen Klosters zu Rorschach bestimmte Platz mit einer Mauer eingefaßt. Das Unternehmen erregte in St. Gallen und Umgegend großen Unwillen, und dieser ward noch gesteigert, als Kaiser Friedrich zu Nürnberg im Jahr 1487 dem Abt Ulrich ein Privilegium ertheilte, durch welches Alles, was von Seiten des Kaisers zu Gunsten der Stadt St. Gallen ausgegangen und den Gerechtigkeiten oder dem Herkommen der Abtei von Schaden oder Nachtheil wäre, als kraftlos und ungeschehen erklärt ward. Um die allgemeine Aufregung und drohende Gereiztheit des Volkes zu beschwichtigen, stellte der Rath mittelst besonderer Deputation an den Abt die Forderung, die Klosterbauten in Rorschach einzustellen und von dem ganzen Plane einer Uebersiedlung abzustehen, widrigenfalls dem Stifte von den Bürgern zu St. Gallen wie von den Appenzellern die Entrichtung der Gefälle verweigert würde, auch für weitere unliebsame Maßnahmen nicht gutgestanden werden könnte. Der Abt war um so weniger geneigt, diesem Ansinnen zu entsprechen, als der Bau der Kirche in Rorschach schon vollendet, der des Klosters bis zur Hälfte vorgerückt vor. Unterdessen wuchs die Erbitterung und Entrüstung der Appenzeller, Rheinthaler, St. Galler und der Gotteshausleute; eine Versammlung ward am 2. Juli 1488 abgehalten, wo sich zwölfhundert Appenzeller mit dreihundertfünfzig St. Gallern einfanden; sie erhitzten sich gegenseitig und zogen unter dem Schwur, Ehre, Leib und Leben gegen männiglich für einander einzusetzen, auf Rorschach zu, wo sie die Klostergebäude zerstörten, den Wein in den Kellern austranken und die hölzernen Baumaterialien dem Feuer preisgaben. Der größere Theil der St. Galler Bürgerschaft zollte dieser That Beifall und sie ward in Knittelversen vom Volk besungen und verherrlicht. Anders sah man dieses Werk der Volksjustiz in Toggenburg und Wyleramt an, der Abt aber erhob wegen Verletzung der Landesherrlichkeit und Zerstörung des Eigenthums der Abtei Klage bei den Eidgenossen gegen die Appenzeller und St. Galler, forderte vollständige Kostenvergütung und begab sich mit den vertrautesten Kapitularen nach Wyl. Während des Verlaufs der endlosen Verhandlungen an den eidgenössischen Tagsatzungen hatten die Gotteshausleute 1489 ein Schutz- und Trutzbündniß mit der Stadt St. Gallen und mit dem Land Appenzell geschlossen und eine Landsgemeinde in Waldkirch veranstaltet, welche beschloß, in Lieb und Leid Gemeinschaft mit Appenzell und St. Gallen zu halten mit Leib und Gut. Nach dem Abschluß dieses Bündnisses betrachteten sich die Gotteshausleute als freie Landleute gleich den Appenzellern, verweigerten die Entrichtung der Zinse und Gefälle an die Stiftsverwaltung, jagten, holzten und fischten in dem Stiftseigenthum nach Belieben, nöthigten die mißliebigen Amtleute des Klosters abzuziehen und bestellten sich ihre Vorgesetzte aus eigener Machtvollkommenheit. Doch mit dem Anfang des Jahres 1490 nahm die Sache eine ernstere Wendung. Als die sechs übrigen Stände keine Lust bezeugten, zu Gunsten des Abtes gewaltsam einzuschreiten, suchten die Schirmorte vor Allem die Gotteshausleute in mehrere Parteien zu trennen und „den starken Stecken in drei Stücke zu spalten, damit man eher mit ihm fertig werde.“ Am 10. Februar 1490 erfolgte der Einmarsch des Kriegsheeres der Schirmorte; die Appenzeller wollten treulos der Stadt St. Gallen überlassen, „die gemeinsam mit ihnen eingebrockte Suppe zu essen“, fielen ab, und die Stadt St. Gallen ward belagert. Am 15. Februar kam ein Friedensabschluß zu Stande, durch welchen die Forderungen der vier Orte, des Abts und Klosters dem Rechtsspruch der vier Schirmorte vorbehalten wurden und der Krieg ein schnelles Ende fand. Der Spruch bestätigte der Abtei das Recht, im Umfang des Klosters und dessen Landschaft nach eigenem Gutdünken bauen und machen zu lassen, was sie wolle; ebenso das Recht der Ertheilung aller Lehen des Klosters in und vor der Stadt; diese solle alle ihre Bürger, die in dem Stiftsgebiet wohnen, des Bürgerrechts entlassen und künftig keine daselbst Wohnenden zu Bürgern annehmen; ferner wurde der Stadt ein Schadenersatz von 4000 Gulden an den Abt zugemuthet, 10,000 Gulden Entschädigung an die vier Schirmorte für gehabte Unkosten, und der Kaiser legte der Stadt wegen Verletzung der dem Kloster zu Rorschach ertheilten kaiserlichen Freiheit eine Geldbuße von 1600 Gulden auf!

Der Abt eilte nicht mehr mit dem Aufbau der Trümmer in Rorschach. Das durch seinen Handel blühende St. Gallen konnte die bedeutende Einbuße, welche der unglückliche Ausgang dieses Krieges ihm aufgelegt hatte, verschmerzen; aber was in der Stadt blieb, war glühender Haß gegen das Kloster, Entfremdung von der Kirchengemeinschaft, deren Träger der Abt war, Sehnsucht nach Befreiung von dem unleidlichen Joch, welches das Kloster ihr auferlegte. So hatte dieser Klosterbruch der Reformation wesentlich vorgearbeitet; er war nur das Vorspiel zu ihr. Unter seinem Eindruck stand die Kindheit des künftigen Reformators. Die Stadt hatte noch mit dem Kloster abzurechnen.

2. Das Elternhaus.

Die Familie von Watt gehörte zu den altadeligen Geschlechtern der Stadt St. Gallen. Im Jahre 1400 war Conrad von Watt Bürgermeister und führte als weiteren Titel den eines Genossen der adeligen Innung des Nothveststeins. Als Heerführer der St. Galler büßte er im Treffen bei Vögelisegg (15. Mai 1403) sein Leben ein. Er hinterließ zwei Söhne: Peter und den im Jahr 1429 als Gerichtsherrn zu Steinach verstorbenen Hugo von Watt. Letzterer zählte drei Söhne: Conrad, Johannes (gest. 1440 als Stadtrichter zu St. Gallen) und Hugo, der als Rathsherr seiner Vaterstadt 1457 starb. Diesen drei Brüdern und ihrem Vetter Peter ertheilte am St. Niclastage 1430 König Sigmund in Anerkennung der getreuen und genehmen Dienste, welche sie ihm und dem Reich zu thun willig und bereit seien, auch gethan haben und fürbaß thun sollen, nach einer noch vorhandenen Urkunde ein schönes Wappen, welches in folgender Weise beschrieben ist: „einen Schild mit einem weißen Felde und darinnen einen schwarzen Greifen, habend um den Hals eine guldene Kette mit einem guldenen Ringe, und auf dem Schild einen Helm mit einer schwarzen und weißen Helmdecke, und auf dem Helm einen schwarzen Greifen bis an die Brust, auch mit einer guldenen Ketten und Ring als in dem Schild, dasselbige für sich und alle ihre eheliche Erben in allen ritterlichen Sachen und Geschäften zu Schimpf und Ernst zu gebrauchen.“ Einen schönen Zug der Gewissenhaftigkeit und des aufopfernden Sinnes für das gemeine Beste hat uns die Geschichte von den beiden Vettern Hugo und Peter von Watt aufbewahrt. Sie hatten vom Abt Heinrich IV. den Leinwandreif d. i. das Regale des Leinwandmaßes nebst Leinwand-, Garn- und Endigzoll um 29 Marck löthigen feinen Silbers Konstanzer Gewicht erkauft. Schon war der Kaufbrief in aller Form Rechtens ausgestellt und ausgeliefert, als die von Watt glaubten, der Preis sei zu niedrig angesetzt und aus eigenem Antrieb dem Abte noch Marck Silber nachzahlten. Bald darauf verkauften sie, um dem allgemeinen Vortheil der Handlung ein Opfer ihres Privatinteresses zu bringen, den Leinwandreif und den dazu gehörigen Zoll wieder an die Stadtobrigkeit um 252 rheinische Gulden. Hugo’s Sohn war der Bürgermeister und Reichsvogt Hector von Watt (gest. 1474), dessen Sohn der Stadtammann Hugo von Watt, von welchem drei Söhne genannt werden: Hugo, Bursarius der adeligen Innung des Nothveststeins, Hans, Rathsherr (gest. 1517) und Leonhard, des kleinen Raths, Stadtrichter und Nothveststeiner Bursarius (gest. 1520). Letzterer wird uns als ein geehrter Rathsverwandter seiner Republick, als ein eifriger Beförderer von Kunst und Wissenschaft und als ein angesehener Handelsmann geschildert, welcher in Oesterreich, Ungarn und Polen bedeutende Geschäfte, namentlich im Leinwandhandel machte und sich damit in den Besitz eines sehr beträchtlichen Vermögens setzte. Seine Gattin Magdalene stammte aus dem edlen Geschlechte der Talmann, eine ebenso verständige als fromme Frau, welche auf die Erziehung ihrer Kinder den größten und besten Einfluß übte. Die Ehe war mit drei Söhnen gesegnet: Melchior, der als Magister der freien Künste zu Rom 1521, David, der als Stadt- und Hofrichter 1540 starb, und Joachim, dem Reformator seiner Vaterstadt.

Joachim ward am 30. Dezember 1484 geboren, also am vorletzten Tage des Jahres, an dessen Morgenroth sein späterer treuester Freund Zwingli das Licht dieser Welt erblickt hatte. Der Vater, ein besonderer Liebhaber der freien Künste und Wissenschaften, bestimmte diesen seinen Sohn, „sobald er nur gehen und sprechen konnte“ (bemerkt sein Biograph Keßler), zu gelehrten Studien. Aber St. Gallen bot damals kaum auch nur zu einer nothdürftigen Grundlegung für dieselben Gelegenheit. Ein Lehrer Simon, als sehr gestreng geschildert, unterrichtete den hochbegabten Knaben im Lesen und in den Anfangsgründen der lateinischen Grammatik. Die Klosterschule St. Gallens war damals über der Sorge des Abts für fürstliche Rechte und Einkünfte aufs Neue in Verfall gerathen. Da aber erst zu Anfang des sechszehnten Jahrhunderts Abt Franz eine Verordnung erließ, nach welcher in die Klosterschule künftig Keiner angenommen werden sollte, er wolle sich denn begeben, geistlich zu werden, so ist es wahrscheinlich, daß Joachim diese Anstalt besuchte, ohne ihr zu besonderem Danke verpflichtet zu werden. Um desto sorgfältiger bildete die fromme Mutter das Herz des Kindes; der strenge Lehrer gewöhnte seinen Schüler an Fleiß, Zucht und Ordnungsliebe, die Klosterschule gab in der lateinischen Sprache Uebung und Fertigkeit, während der verständige Vater für zweckmäßigen Privatunterricht Sorge trug und durch Beispiel und Ermahnung auf die Erziehung und Bildung des zu den schönsten Hoffnungen berechtigenden Jünglings wirkte. Derselbe entwickelte sich zur vollen Zufriedenheit seiner Eltern und Lehrer; um so weniger wollte der Vater irgend etwas unterlassen, die reichen Anlagen des Sohnes zur vollen Entfaltung zu bringen. Nachdem die Bildungsmittel, welche die Heimathstadt bot, vollkommen ausgebeutet waren, wurde beschlossen, den im achtzehnten Lebensjahr stehenden Sohn auf eine Hochschule zu senden, und hierzu die Universität Wien ausersehen.

3. Die Universitätsjahre.

Im Jahre 1502 bezog der junge von Watt die Hochschule Wien, ohne sich noch für irgend ein bestimmtes Fachstudium entschieden zu haben. Erst strebte der talentvolle Musensohn allgemeine wissenschaftliche Bildung an, ehe er auf dieser sicheren Grundlage zu einem einzelnen Facultätsstudium sich wandte.

In Wien hatten die humanistischen Studien besonders unter dem humanistisch gebildeten Matthias Corvinus und dann unter dem Kaiser Maximilian I. einen neuen Aufschwung genommen. Letzterer hatte in einem eigenhändigen Schreiben vom 7. März 1497 den Dichter Conrad Celtes nach Wien berufen, welcher durch seine Reisen in Italien und Deutschland und durch seine Verbindungen mit den wissenschaftlichen Koryphäen der damaligen Zeit sich ausgebreitete Kenntnisse verschafft hatte und sogar über den gewöhnlichen Gesichtskreis der Humanisten hinausging, indem sein Bestreben, unbekannte und vergessene Werke hervorzuziehen und herauszugeben, sich nicht auf die griechische und römische Litteratur beschränkte, sondern insbesondere auch den Schätzen der deutschen Vorwelt zuwandte. Er war der Erste, welcher der lateinischen Dichtkunst in Deutschland Gunst und Schüler erwarb, und sein Hauptbestreben ging dahin, daß seine Dichtungen bei den Deutschen so lange fortleben, als die eines Horaz in Italien. In seinen Dichtungen gibt sich ein vorwärts drängendes, anstürmendes Element kund, welches, der Weise Hutten’s verwandt, rücksichtslos angriff und z. B. den Ablaßkram offen tadelte: Alles vermag das Geld; der Himmel selbst käuflich, was mehr noch? Kein Wunder darum, wenn die theologische Facultät nach seinem Tod gegen seine im Druck erschienenen Werke mehrfache Bedenken erhob. Er war unter den Deutschen der Erste, der vom Kaiser am 18. April 1487 zu Nürnberg zum Dichter gekrönt wurde. Wie Celtes durch sein Beispiel, so übte Johann Cuspinian durch seine Autorität und amtliche Stellung großen Einfluß auf die studirende Jugend. Gleich nach des Königs Matthias Tode war er mit Kaiser Maximilian nach Wien gezogen und hatte, obgleich erst achtzehnjährig, über Virgil, Lucan, Cicero, Sallust und Horaz Vorlesungen gehalten. Im Jahr 1493 war er neben der Leiche des Kaisers Friedrich III. zum Dichter gekrönt worden. An diese beiden Männer schloß sich hauptsächlich der junge Watt an, wie er denn später, als Cuspinian in dem Amt eines kaiserlichen Superintendenten der Universität oft an Vorlesungen verhindert war, an dessen Stelle zwei Jahre lang Vorlesungen über schöne Wissenschaften hielt, um ihm später ganz auf die Lehrkanzel der Rhetorik zu folgen.

Das Aufkommen des Humanismus auf der Universität brachte unvermeidlich Gährstoffe genug unter die studirende Jugend. Indem die Humanisten alle ihre geistige Elasticität dem klassischen Alterthum zuwandten, versenkten sie sich auch mehr und mehr in die demselben entsprechende Anschauungsweise. Ovid und Cicero galten als die Ideale aller Bildung; wer so leicht versificiren konnte als Jener, so elegant schreiben wie Dieser, galt als der Tüchtigste. Für das Höchste ward nicht selbsteigenes Schaffen, sondern Nachahmung der Alten angesehen. Da auf diese Art der Nachahmungstrieb für Talent galt und die Geschicklichkeit, in den hergebrachten poetischen Ausdrücken und banalen Wendungen mit Leichtigkeit sich zu bewegen, für ausreichend betrachtet wurde, um den Beruf des Dichters zu begründen, so war nicht nur die Zahl der Producirenden sehr groß, sondern auch ihre Productivität ging ins Unendliche und wurde durch das Behagen wechselseitigen Besingens noch mehr gereizt. Man wird nur wenige Reden aus jener Zeit finden, die nicht am Ende, oft sogar in der Mitte, plötzlich in Distichen umschlagen, als ob es der Redner ohne sie nicht mehr länger ausgehalten hätte; jedes Buch, von was immer für einem Inhalte, war wenigstens beim Ein- und Ausgang mit Versen versetzt. Allerdings war ein Gegengewicht gegen diese rein formelle Bildung der studirenden Jugend in der Aufstellung zweier Professoren der Mathematik gegeben, die sogar mit den zwei Professoren der Redekunst und Dichtkunst das Collegium bildeten, welchem das Recht eingeräumt war, Dichter zu krönen: denn damals verlangte man auch von den Mathematikern, daß sie Poetik verstehen und ausüben können. Einer dieser Professoren der Mathematik, zunächst für Astronomie angestellt, war der Magister Georg Tannstätter aus Rain, daher Collimitius nach der damaligen Sitte die Namen zu latinisiren genannt (Rain – sanfter Abhang). An diesen schloß sich Vadian ganz besonders an, wie er denn auch von diesem Astronomen, der aus dem Lauf der Gestirne den Tod Kaisers Maximilian sechs Jahre voraus gewußt haben wollte, einen Hang zur Astrologie geerbt hatte. Aber auch die Mathematiker mußten, um bestehen zu können, Humanisten sein; trugen ja doch damals die Professoren auf ihren Doctormänteln drei Zungen von Tuch angehängt, zum Zeichen, daß sie dreisprachig (lateinisch, griechisch und hebräisch) seien und die Gabe der Beredtsamkeit besitzen!

Bei der studirenden Jugend mußte bei dieser Zeitrichtung große Zügellosigkeit einreißen. Ein gährender Stoff der Unzufriedenheit mit allem Bestehenden war in den jungen Leuten, die nicht mehr die vorgeschriebenen Uniform, Gugeln und Gürtel tragen wollten, dagegen Waffen, weßwegen es häufig zu Straßenkämpfen zwischen Studenten und Handwerkern kam. Der Kaiser selbst war den Studenten sehr gewogen und hatte sogar daran gedacht, ihnen das Recht einzuräumen, die Professoren der Theologie und Jurisprudenz selbst zu wählen. Als in Folge eines strengeren Einschreitens der Universitätsregenten im Jahr 1514 sieben- bis achthundert Studenten Wien im Trotz verließen und sich zum Kaiser nach Wels begaben, nahm dieser sie nicht nur sehr gut auf, sondern beschenkte sie auch mit einem Reisegeld und gewährte ihnen die Erfüllung aller ihrer Bitten. Wer hätte es bei dieser Sachlage der Jugend verargen wollen, wenn sie von ihrer Freiheit nicht immer mit Maß und Ziel Gebrauch machte und da und dort zu Ausschreitungen im Geist des klassischen Alterthums verführt wurde?

Auch unserem Joachim, der eben erst aus den beschränkten Verhältnissen der Heimath heraustrat, war die Freiheit des Universitätslebens anfänglich ein zweideutiges Geschenk. Bei seiner Ankunft in Wien fand er zwei Landsleute, Ulrich Zwingli und Heinrich Loretti, Glareanus genannt, mit denen er sich schnell zu bleibender Freundschaft verband; alle drei hielten damals hohe Stücke auf die Freiheiten und Vorrechte der Musensöhne. Joachim, der große, herkulische und beherzte Schweizer, huldigte dem Bacchus und Mars, und durch das Blendwerk eines falschen Ruhmes verführt, scheint er als immer gerüsteter Haudegen Handgemenge und Schlägereien mehr aufgesucht als gescheut zu haben. Doch der Gott, der ihn zu Großem ausersehen hatte, wachte über ihm, daß er noch zu rechter Zeit aus der Zerstreuung sich sammelte und einen ernsteren Weg einschlug. Gerüstet und gewaffnet, als ob er eben zu einer Schlacht ausziehen wollte, begegnete Joachim einst dem Factor des St. Galler Handlungshauses Kobler, welcher sich in Wien aufhielt und aus Auftrag der Eltern dem jungen Studenten Geld und gute Rathschläge überbringen sollte, auf dem Gang zu einer solchen Schlägerei. Der Kaufmann machte ihn auf die Gefahren eines solchen Lebens aufmerksam und vermahnte ihn eindringlich, daß, wenn er ja so herzhaft und kriegerisch sei, er sich mit der Zeit daheim als einen tapfern Eidgenossen halten, indessen aber mit Rücksicht auf die vielen und großen Unkosten, welche seine Eltern bisher an ihn gewendet, in dem Studiren fleißig fortfahren und also bemüht sein solle, den guten Hoffnungen, welche seine Eltern seines ausbündigen Geistes wegen geschöpft hätten, mit der That zu entsprechen. Diese Warnungen und Mahnungen machten tiefen Eindruck auf den verirrten Jüngling und bewirkten eine große Aenderung in seinem Sinn und Wandel. Von diesem entscheidenden Augenblicke an warf er sich auf seine Studien mit solchem Eifer und Fleiße, daß er Tag und Nacht unaufhörlich arbeitete, und wenn der Schlaf ihn überwältigen wollte, sich keines anderen Hauptkissens bediente, als eines Exemplars der Werke Virgils, das noch jetzt auf der St. Galler Stadtbibliothek aufbewahrt wird, um sich vor zu langer Rast zu schützen. Er übte sich, mit einem andern strebsamen Jüngling wetteifernd, in der lateinischen Dichtkunst und übersetzte im Jahr 1505 nach der Sitte der Zeit seinen Namen in Vadius; erst später, als ein Vadius von ihm in Italien schon vorgefunden worden war, verwandelte er diesen Namen in Vadianus, wie er ihn von nun an in allen seinen Schriften beibehielt. Nach mehrjährigem emsigem Studium in Wien begab er sich nach Krakau in Polen, und da er hier mit den Lehrern nicht zufrieden war, reiste er, angezogen von dem Reichthum der königlichen Bibliothek nach Buda in Ungarn, wo er sich durch sein umfassendes Wissen die Gunst des Königs und der dortigen Gelehrten in hohem Grade zu erwerben wußte. Um dann seinen Eltern einen Beweis seines Wissens und Könnens zu geben, auch um ihnen nicht länger Kosten zu verursachen, begab sich Vadian nach Villach in Kärnthen, wo er von dem Magistrate wohl aufgenommen und zum öffentlichen Lehrer dieser Stadt angestellt wurde. Weil sich aber hier der junge Gelehrte aller Mittel zur Fortsetzung seiner Studien und des ihm zum Bedürfniß gewordenen Umgangs mit Gelehrten beraubt sah, so gab er diese Stelle bald wieder auf und kehrte mit einem Umweg, den er über Venedig machte, nach Wien zurück, dort nicht mehr bloß zu lernen, sondern auch zu lehren.

4. Der Docent.

Genaue Angaben über die Zeit, in welcher Vadian die Schülerbänke mit dem Katheder vertauschte, fehlen. Er hatte schon mehrere Jahre Vorlesungen gehalten, ehe er Professor wurde. Wie es scheint, lagen damals die Humanisten in Wien ihrer wissenschaftlichen Thätigkeit mit aller Zwanglosigkeit ob, hielten ihre Vorträge in freier Weise nach Muße und Bedürfniß, fanden sich in ihren Vereinen zusammen und kümmerten sich um die gestrenge Mutter Universität nur dann, wenn sie von ihr akademische Würden beanspruchten. Es hatte nemlich Conrad Celtes schon vor seiner Berufung nach Wien, wohl nach Vorgängen, die er in Italien gefunden hatte, den Plan gefaßt, die Männer deutscher Wissenschaft in Gesellschaften zu vereinigen. Der Plan war sehr großartig angelegt und beabsichtigte solche Gesellschaften an der Donau, Weichsel, Elbe, am Belt, an der Drau und am Neckar. Wirklich bildeten sich solche Vereine da und dort, und auch in Wien trat unter Celtes Mitwirkung eine „Donau-Gesellschaft“ zusammen, die eine Art Privatakademie vorstellte und nach Umständen ohne allen Zwang in Gliederungen einzelner näher Befreundeter (Lontuberuis) zerfiel und gerade das heitere, den glücklichen Stimmungen sich hingebende Element des wissenschaftlichen Strebens in sich faßte, während die strengeren Disciplinen, namentlich die noch vorhandenen Ueberreste aus der Zeit der Scholastik der Universität überlassen blieben. Zu den ständigen Mitgliedern kamen dann auch nur vorübergehende, welche bloß auf der Durchreise Wien berührten, diesen Aufenthalt jedoch benutzten, um neue persönliche Verbindungen anzuknüpfen, alte zu erneuern, wissenschaftliche Correspondenzen anzubahnen, wohl auch Vorträge zu halten und kleine Abhandlungen in Druck zu geben, und dann wieder weiter zu ziehen.

Auch Vadian schloß sich dieser Donaugesellschaft an und machte sich durch sie bekannt. Zwar studirte er selbst noch fort und zog namentlich auch die Jurisprudenz und Theologie in den Kreis seiner Studien allmählig herein, erregte aber bald durch Disputationen, Gelegenheitsgedichte und Reden Aufmerksamkeit, so daß er ungefähr vom Jahr 1507 an zwei Jahr lang an der Stelle des durch kaiserliche Sendungen verhinderten Cuspinian über Poetik und Rhetorik Vorlesungen zu halten aufgefordert wurde. Als Cuspinian seines Docentenamtes ganz enthoben wurde, konnte Vadian die Stelle nicht sofort erhalten: aber der dazu berufene Angelus Cospus bekleidete sie nicht lange, und nach seinem Tode ward Vadian von seinen bisherigen Lehrern und Freunden einstimmig zum Professor der lateinischen und griechischen Sprache und Litteratur gewählt. Als Professor gab er in den Jahren 1510-1518 viele klassische Autoren und eigene Reden, Gedichte und Abhandlungen heraus, wie er denn namentlich an Gelegenheitsgedichten unter allen Wiener Humanisten weitaus der fruchtbarste war. So viele Bücher auch in den genannten Jahren in Wien erschienen, so kann man doch nie sicher sein, ob man nicht an irgend einer Stelle auf einige einleitende oder lobende Distichen Vadians stößt. Sie hatten meist nur einen formellen Werth, zeugten aber immerhin von großer Belesenheit und nicht minder von Bereitwilligkeit, die Leistungen anderer Gelehrten neidlos anzuerkennen. Mit seinen Collegen lebte Vadian in freundschaftlichsten Beziehungen, besonders innig war sein Verhältniß zu G. Collimitius, der auch in der Folge sich als Einer seiner treuesten Freunde bewies. Bei großen Hoffesten brachte es das Amt des Professors der Rhetorik mit sich, daß Vadian im Namen der Universität Reden zu halten und auch Gedichte vorzutragen hatte. Dieses Auftrags entledigte er sich mit so viel Geist, Geschmack und Gewandtheit, daß er großes Lob erndtete und am 12. März 1514 zum Poeten und Redner mit folgendem Diplom gekrönt wurde: „Wir Maximilian, durch Gottes Gnaden erwählter römischer Kaiser und Mehrer des Reichs, entbieten dem Ersamen, Frommen, uns geliebten Joachim von Watt, von St. Gallen aus der Eidgenossenschaft gebürtig, freier Künsten Magistro, unseres Erzherzogischen Collegii zu Wien gekröntem Poeten und Redner unsere kaiserliche Gunsten und alles Guts. Gleichwie die lieben Alten diejenigen, welche zum Ersten in Kriegen die Mauern bestiegen oder sonst das Vaterland von dem Verderben bewahrt, mit einer Krone begabt haben: also hat auch ihre Nachkommenden für gut, billig und recht angesehen, wie die Kriegsobersten ihres Wohlhaltens und erlangter Siege halber mit Kronen, also wohlgelehrte Männer, welche schöne Bücher der Posterität schriftlich hinterlassen, mit ewig grünendem Lorbeerkranz zu zieren. Diesem löblichen Gebrauch zufolge, damit deine berühmte Tugend, o Joachim Vadian, noch höher steige und erhaben werde, nachdem wir deine zierlichen Verse, welche du zu unseres Herrn Vaters Friedrich III. und zu unserem eigenen Ruhme hast ausgehen lassen, und Anderes mehr gelesen, auch die schöne Oration, welche du vor unserer Majestät und ganzem Hof gehalten hast, wohl angehört: so haben wir dich wegen dieser deiner Geschicklichkeit und Wohlredenheit mit einem Lorbeerkranz, wie auch guldenem Ring aus eigenem unserem Trieb begaben und zieren und beides als einen gekrönten Poeten und Redner öffentlich erklären wollen; wie wir denn kraft dieses Briefs dich hiemit als einen durch unsere h. Hände mit einem Lorbeerkranz gekrönten und mit einem guldenen Ring gezierten Poeten und Redner ordnen und erklären, mit dem Befehl und Willen, daß du, gleich anderen gekrönten Poeten und Rednern, aller und jeder Freiheiten, Ehr und Herrlichkeiten ohne einige Hindernisse genießen und gebrauchen mögest, bei Straf fünfzehn Marken Golds, so diejenigen, die dir an deiner von uns vergünstigten Würde und Hoheit einigen Abbruch thun würden, halb der kaiserlichen Kammer, halb dir verfallen sein und erlegen sollen.“ Nach einer ähnlichen Feierlichkeit wurde Vadian zum Vicekanzler, im Jahr 1516 zum Rektor der Universität ernannt. Kaiser Maximilian beehrte ihn seines besonderen Vertrauens und zog ihn oft dem Staatsrath bei. Seine Reden wurden von Hofleuten zum Druck verlangt. Bei diesem schnell erworbenen Ruhm konnte es Joachim wohl brauchen, daß ihn sein Vetter Hugo von Watt zur Demuth ermahnte, indem er ihm treuherzig am 2(1. December 1513 schrieb: „Aus euren Briefen vernehm euer Gsond und Wohlfahrt, deß ich erfreut bin und sag Gott Lob und bitt, daß euch Gott woll Glück geben. Ich vermahne euch: so euch Gott oder das Glück so hoch hebt, ihr euch um so mehr demüthiget.“ Petrejus Aperbach schrieb seinem Freunde von Rom aus am 15. April 1514, er wolle nicht fürchten, daß die zwei neuen Würden, zu denen er Glück wünsche, Vadian so stolz gemacht haben, daß er den alten Freund verachte. Scherzend schrieb Zwingli seinem gekrönten Freunde: Wenn der Lorbeerkranz deine Haare drückt, so mache ihn dir durch einen hochzeitlichen Lorbeerkuchen erträglicher! Der junge Paduaner Philipp Gundelius, der kurz vor der Krönung noch Vadians Schüler gewesen war, schreibt ihm voller Freude: Wenn ein gelehrter und rechtschaffener Mann für seine Verdienste belohnt werde, so sollen sich Solches billig alle seine Standesgenossen, auch die geringsten derselben zu eigener Ehre anrechnen. Nach dem Tagbuch von Johann Rütiner sagte Vadian später öfters, wenn von seiner Krönung die Rede war: es war ein jugendlicher Wahnwitz!

In der That ließ sich Vadian durch solche Ehrenbezeugungen nicht zum Uebermuth verlocken. Ein Ersatz für das Missen der Heimath ward ihm, daß er so Vielen seiner Landsleute, welche damals die Hochschule Wien, großentheils wegen seiner, besuchten, mit Rath und That förderlich sein konnte. Er bewohnte mit ihnen das Haus eines gewissen Hieronymus und wie vertraulich lebte er, als ein älterer Freund unter jüngeren, mit seinen Schweizern zusammen! Die noch erhaltenen Briefe seiner Schüler geben ebenso Zeugniß von der dankbaren Achtung und Verehrung, mit welcher diese ihrem Lehrer zugethan blieben, als von dein heiteren Humor, mit welchem Vadian mit seinen Jüngern verkehrte. Neben dem Kardinal Schimmer, der außer der wahren Hochachtung, welche er für Vadian hegte, auch deßwegen die Schweizer gern nach Wien auf die Hochschule schickte, damit sie nicht nach Paris gingen und dort für die französische Partei gewonnen würden, war es zunächst Zwingli, der alte Studiengenosse, mit dem schon auf der Universität ein durchs ganze Leben dauernder Freundschaftsbund geschlossen worden war, welcher die jüngern Schweizer an Vadian mit Empfehlungsschreiben wies. Beide Freunde hatten sich ihre Erstlingsarbeiten gewidmet: im Frühling 1511 übersandte Vadian an Zwingli den Nachlaß des edlen, frühe in Wien verstorbenen Glarner Jünglings Arbogast Strub mit einem Brief, der die reinsten und treuesten Gefühle der Freundschaft athmet, und im Herbst 1512, nach seiner Rückkehr aus Italien, antwortete Zwingli und überschickte dem Freunde eine Erzählung der Schlacht bei Ravenna in der zierlichsten Sprache, etliche Bogen stark und doch in drei einzigen Stunden geschrieben, dankte für den Beweis der Freundschaft in der Zueignung des Nachlasses des gemeinschaftlichen Lieblings und übergab dann Vadian seinen Bruder Jakob an die Stelle des Verstorbenen als Liebespfand, indem er ihn bei seiner ganzen Freundschaft beschwor, an diesem Jüngling von nicht gewöhnlichen Gaben so lange zu schnitzeln, zu hobeln und zu glätten, bis es genug sei; „wollte aber der Knabe unterweilen hinausschlagen, so magst du ohne das mindeste Bedenken ihn so lange in den Carcer stecken, bis ihm der Kitzel vergangen ist.“ Bald darauf, den 13. Februar 1513, sendet Zwingli an Vadian die geliebten Schüler Valentin Tschudi und Ludwig Rösch, nebst einem Brief, in welchem er Sehnsucht nach Briefen des Freundes ausdrückt und dann fortfährt: „Ich sandte dir einige rohe Erzeugnisse, wie sie der Augenblick eingab. Denn du kennst mich schon, daß ich zu der Art Menschen gehöre, die vergessen zu feilen, was sie auf den ersten Wurf zu Stande bringen, und so ihre Kinder nackt und bloß sitzen lassen. Meinem Bruder und Valentin erweise dich als Wohlthäter, so gut du vermagst. Aber auch Ludwig Rösch, ein allerliebstes noch unbärtiges Bübchen von der besten Art, meines alten Kaplans Neffen, laß dir empfohlen sein…. Mit allem Eifer lege ich mich auf das Studien der lateinischen und griechischen Sprache und bitte dich, mir guten Rath darüber zu ertheilen, damit meine Anstrengung nicht fruchtlos bleibe. Melde mir doch, wenn der Lorbeer auch um deinen Scheitel geflochten ist; der Kaiser hat das Haupt des Loritus, des Glarners, damit gekrönt.“ Bald nach seiner Ankunft durfte auch Jakob Zwingli seinem Bruder die treue Freundessorgfalt Vadians rühmen, der ihm den Garten der Philosophie voll Blüthen und Quellen eröffne.

Von den verschiedensten Seiten wurde Vadian um Anleitung und Ueberwachung der Studenten angegangen; so schrieb ihm ein Hans Pfadt, K. M. Mundkoch von Augsburg aus am 6. April 1513 folgenden komischen Brief: „Ich bin berichtet, wie mein Sohn bei euch in Lernung sein soll, deß ich mich nicht wenig erfreue, dieweil ich euch mit Kunst und anderer Ehrbarkeit viel berühmt höre. Ist demnach mein gar fleißig Bitt, ihr wollet denselben meinen Sohn mit Straf und Lernung wohl befohlen haben, damit er auch zu einem Menschen werde.“

Viele heitere Briefe wechselte Petrejus Apperbach aus Erfurth, ein Freund der Spalatine und Hutten, mit Vadian. Das eine Mal empfiehlt er ihm Einen seiner Landsleute und Bechergesellen, einen gewissen Herrn Niclaus, der gern trinke und ludere, hauptsächlich aber wie bald alle Domherrn seines Jahrhunderts ein guter Presbyter d.h. Brettspieler sei; das andere Mal schickt er ihm durch ungarische Pilgrime aus Rom, wo er damals „unter den welschen Kapaunen“ den Rechten oblag, einen Brief (1515), in welchem er sich über Tiefsinn und Melancholie beschwert, und der doch voll der muthwilligsten Laune ist. Er gratulirt zum Vicekanzleramt und sagt: einmal, wenn er sogar auf den päpstlichen Stuhl erhoben würde (das doch gar wohl geschehen könnte!) sollte Vadian immer den ersten Platz in seinem Herzen haben. Dann scherzt er mit dem Vicekanzler über ihre gemeinschaftlichen Freunde, die sich nun, Einer nach dem Andern, in das Joch des Ehestandes gespannt, wie Cuspinian zwar jüngst seine Frau verloren, aber bald eine reichere und schönere bekommen, und fragt Vadian, ob nun nicht bald die Reihe auch an ihn komme? gibt ihm dann ziemlich unsanfte Hiebe in Betreff einer gewissen uneleganten Lesbia, die Vadian füglich verabschieden dürfte, und verspricht ihm, an seinem Hochzeitstage zu einem hübschen Epithalam alle Musen anzurufen, die sonst feit geraumer Zeit ihn, den plärrenden Zungendrescher, nicht mehr hören wollten; aber, aber, er fürchte, Vadian sei über diesen Punkt ein Ketzer gleich ihm, indem er nemlich im Grunde Alles verachte, was Weiber heiße. Auch der Appenzeller Ulrich Lener spricht (1516) von dieser Lesbia geringschätzend, doch setzt er hinzu: „Aber sagend das dem Kätherlein nit!“ Ein Georg Binder von Zürich, der in Wien kümmerlich von Vorlesungen lebt, die er etlichen jüngeren, dort neben ihm studirenden Landsleuten über die Aeneis und die mathematische Geographie hielt, erzählt dem damals auf einem Besuch in der Schweiz weilenden Vadian von einem in Wien ausgebrochenen Brand, der auch des verehrten Lehrers Haus ergriffen und wobei alle seine Schüler sich bemüht hätten, vor Allem dessen litterarische Schätze zu retten, was ihnen auch vollkommen gelungen sei; nur Einer der Schüler sei „stumm und dumm und seiner ganz unmächtig dagesessen, und habe immer gerufen: Gotz Mutter, was soll ich thund!“ Benedict Burgauer endlich schreibt im Juni 1513: „Ich weiß nicht, verehrter Lehrer, was Schuld ist, daß ich auch nicht einen kleinen Augenblick deiner vergessen kann.“ Alle Schüler wiederholen nur die Klage, daß Vadian ihnen zu selten schreibe, wie Stephanus Taurinus von Buda aus (18. April 1514) ihm seine Nachläßigkeit im Schreiben vorwirft, die so groß sei, daß eine am Podagra kranke Schildkröte ihm zuvorkommen müsse; dann setzt er hinzu: „Schreibe, schreibe, oder ich schryb dir uff Ungarisch.“ Auch Eobanus Hessius empfiehlt sich (1514) in Vadians Gunst, setzt das nördliche Deutschland gegen das südliche und die Hochschulen in Leipzig und Wien in Absicht auf Alles, was Cultur und ächte deutsche Sitte betreffe, in einen für die letzteren äußerst vortheilhaften Contrast, eifert gegen die unkeusche Muse der Mehrzahl gleichzeitiger Dichter und legt (1514) in Vadians Schooß gleichsam ein feierliches Gelübde nieder, daß nun und für immer die Religion, nicht zwar (fügt er hinzu) jene rohe und borstige, zu welcher sich des ehrwürdigen Capnio Verläumder bekennen, die einzige sein werde, die ihn zu seinen Liedern begeistern soll.

Nach allen Nachrichten war die Stellung Vadians in Wien eine eben so glänzende als einflußreiche. Von allen Freunden der Wissenschaft, vorzüglich durch ganz Deutschland, war er hochgeschätzt, mit den ersten Männern der Zeit stand er in Freundschaft und Briefwechsel, er selbst ein begeisterter Erzieher und Bildner der vortrefflichsten Jünglinge seines Vaterlands und dieses schönen Berufes würdig nach der edlen Gesinnung, die er in einem metrischen Gedicht an die h. Jungfrau schon im Jahr 1511 in folgendem schönen Gebet ausdrückte:

Möge mir Kleinem doch werden ununterbrochene Muße,
Bücher, gesicherte Ehr‘ und ein bescheidenes Mahl;
Wer vor Allem Vernunft, die Sinne und Glieder beherrsche
Und mit strafferem Zaum zähme der Lüste Gewühl!

5. Abreise von Wien.

Im August des Jahres 1518 verließ Vadian Wien, wo eben die Pest wüthete, angeblich nur zu einem kurzen Besuch in der Heimath, in Wirklichkeit, um nie mehr zurückzukehren. Vaterlandsliebe und Schweizer Heimweh allein erklären diesen Schritt nicht, der zwar ein seit Jahren vorbereiteter war, endlich aber in einer Weise ausgeführt wurde, die einer Flucht nicht so gar unähnlich kam. Vorbereitet war diese Rückkehr seit Jahren, denn Vadian, der wohl wußte, daß mit Philosophie, Poetik und Rhetorik in St. Gallen keine Geschäfte zu machen feien, hatte sich nach einer Fachwissenschaft umgesehen, durch welche er nach seiner Heimkehr seinem Vaterlande Dienste leisten könnte. Die Wahl derselben machte dem Polyhistor Qual. Nachdem er einige Zeit das Studium der Rechte mit gutem Erfolg betrieben hatte, wandte er sich von diesem ab zu dem der Medizin und verwandte hierauf in den letzten vier Jahren seines Wiener Aufenthalts neben seinen Vorlesungen die meiste Zeit und Kraft, so daß er am 16. Mai 1517 nach Bestehung eines Examens zum Baccalaureus und den 14. October desselben Jahres zum Licentiaten der Medizin promovirt wurde, wie aus folgendem Zeugnisse erhellt: „Ich Johannes Neumann, der freien Künste und Medizin Doctor und Professor in der weltberühmten Universität zu Wien in Oesterreich, thue kund im Namen der medizinischen Fakultät mit diesem vollmächtigen Zeugniß, daß ich den Hochgelehrten Herrn Joachim von Watt, freier Künsten wohlerfahrenen Magistrum und von ihrer kaiserlichen Majestät gekrönten Poeten und Redner, auch allbereit Baccalaureum der Medizin, nun zum Licentiaten derselben als sehr würdig und tüchtig dazu erkläre und ordne.“ Am folgenden 9. November erlangte Vadian auch den Doctorgrad der Medizin. Welch eine Elasticität des Geistes setzt es voraus, wenn ein schon im dreißigsten Lebensjahre stehender Mann sich noch in einem bisher ihm ganz fern liegenden Gebiet des Wissens heimisch macht, welche Sicherheit des Wissens, wenn ein mit Würden und Ehren gesättigter Mann sich noch einem Examen unterstellt, das er bei seinen, theilweise auf sein schnelles Vorrücken eifersüchtigen Collegen zu bestehen hat! Und doch fällt eben in diese Zeit der Examensvorbereitung für Vadian nicht nur die Beschäftigung mit ernsten theologischen und kirchlichen Fragen, sondern auch die Ausarbeitung seines gelehrten Kommentars zu dem alten Geographen Pomponius Mela, mit welcher er von der Universität Wien Abschied nehmen wollte. Vielleicht waren es die Erzählungen aus den Kindheitstagen, mit denen der des Handels wegen in vielen Ländern reisende Vater den wißbegierigen Sohn unterhalten hatte, welche in diesem frühzeitig einen hervorstechenden Hang zur Länder- und Völkerkunde ausgebildet hatten, die zeitlebens sein Lieblingsfach bleiben sollte. In ihrem Interesse hatte Vadian von Wien aus, trotz der großen Gefahren und Beschwerden, mit denen in jenen Zeiten das Reisen verbunden war, verschiedene Reisen nach Ungarn und Polen, Deutschland und Italien unternommen, bei seinem letzten Besuch im Vaterland den Pilatus und die höchsten Alpenspitzen bestiegen und sich bei Krakau einst sechs Stunden lang in den dunkeln Abgründen eines Salzbergwerkes als Fremder unter ganz unbekannten Menschen verweilt.

Der tiefere Grund, aus welchem Vadian mit seinen glänzenden Verhältnissen in Wien brach, kann nur ein religiöser gewesen sein. Schon die innige Freundschaft, in welcher er mit Zwingli fortlebte, mußte sein Augenmerk auf die religiöse Bewegung hinlenken, welche sich in Deutschland und der Schweiz vorbereitete; aber auch in Wien fand dieselbe unter den Humanisten anfänglich ein freudiges Echo. Schon im Jahr 1511 war in dem Contubernium, in welchem Vadian mit dem Erfurter Peter Eberbach und Johann Marius, von seiner Heimath Rhetus genannt, zusammenlebte, Ulrich von Hutten eingekehrt. Gleich am ersten Abend erzählte ihnen der in diesem Kreis schnell heimisch gewordene Ankömmling von den Abenteuern und Unfällen seiner Reise und zeigte ihnen beim Schlafengehen Narben, die von dem räuberischen Ueberfalle bei Greifswalde herrührten. Sie hörten mit Theilnahme und Bewunderung zu und glaubten einen anderen Dulder Odysseus vor sich zu sehen. Unter solchen Gesprächen griff Ulrich in den Busen und zog etliche Blätter heraus, die mit Versen beschrieben waren; er sagte, es sei ein Gedicht auf den Kaiser Maximilian, das er während der letzten Tage unter den Beschwerlichkeiten der Reise geschrieben habe; Sie mögen urtheilen, was daran sei. Den Freunden gefiel die Erfindung so gut, daß sie eine Abschrift nahmen und diese als ein Buch zusammenbinden ließen, bis nach Huttens Abreise von Wien Vadian sich entschloß, dasselbe in den Druck zu geben. Er widmete es dem Georg Collimitius, dem Vicekanzler der Universität, welcher dem jungen Dichter während seines Wiener Aufenthaltes viel Wohlwollen bewiesen hatte.

Eine zweite Gelegenheit, sich für den neuen in Deutschland waltenden Geist auszusprechen und Partei dafür zu nehmen, bot der Streit Johann Reuchlins mit dem getauften Juden Pfefferkorn in Köln. Als Letzterer den Kaiser Maximilian im Jahr 1509 aufgefordert hatte, alle rabbinischen Schriften wegen der darin enthaltenen Lästerungen gegen Christum verbrennen zu lassen, und Reuchlin sich entschieden hiegegen ausgesprochen hatte, fielen Pfefferkorn und die kölner Dominikaner über ihn her, und der kölner Inquisitor Jakob von Hogstraten citirte Reuchlin vor ein Ketzergericht, von welchem dieser an Papst Leo X. appellirte. Für Reuchlin hatte sich eine große Zahl spitziger und gewandter Federn in Bewegung gesetzt; auch die meisten Gelehrten in Wien nahmen für ihn Partei: Nicolaus Gerbel, Johannes Cuspinian, Simon Lazius und Joachim boten dem Vorfechter der Wahrheit ihre Hülfe und Unterstützung an. Vadian schrieb dem Angeklagten einen begeisterten Brief (1512): „Deine Apologie wider Hogstraten muß sicher den Beifall eines jeden Rechtschaffenen erhalten. Indessen hättest du es gegen einen solchen Menschen wahrlich mit Wenigerem abmachen können. Ich wenigstens bin durch deine Schrift zwar unterrichteter, aber von deiner guten Sache deswegen nicht überzeugter geworden. Du, ein Philosoph, ein Priester des Höchsten und seiner heiligen Geheimnisse gelehrtester Ausleger unter allen Deutschen, wirst dich doch durch die Unbillen und Schimpfworte der Neider deines Ruhms nicht zur Ungeduld reizen lassen? Halte dir doch so manchen andern großen Mann vor, den der Zahn der Verläumdung wohl gebissen, aber nie getödtet hat. Und wenn seine Hasser das Gift und die Galle ihres Herzens auch in ganzen Folianten ausgeleert, so kennt die Nachwelt doch kaum mehr ihre verruchte Namen, da hingegen der seinige von Enkeln und Urenkeln noch mit Dank und Ehrfurcht genannt wird. Zur ewigen Ehre wird es dir übrigens, o Capnio, gereichen, daß du zwar über Gott und göttliche Dinge von jenem Elenden ganz verschieden denkst, dessen ganzes Volk für immer Alles anfeinden wird, was Christen und christlich heißt, darum aber nichts desto weniger klug genug warst, jene armseligen jüdischen Wische den Flammen zu entreißen, fest überzeugt, daß ein weiser Mann nicht mit dem Scheiterhaufen, sondern nur mit Gründen erhärten kann, daß sein Glaube auf sicheren Stützen ruht.“ Am Schluß eines im Jahr 1516 geschriebenen Briefes an Reuchlin sagt Vadian: „Es wird demnächst von mir eine Schrift über die Poetik erscheinen, in welcher ich an geeigneter Stelle dein hochverdientes Lob einwob, um damit meine Ehrfurcht vor dir zu bezeugen; bald werde ich dir das Buch übersenden.“ Reuchlin antwortete ihm, „dem Gymnasiarchen, dem Fürsten der Studenten und dem Gesetzgeber der Wissenschaften, seinem theuersten Freund“, von Stuttgart aus unter dem 22. October 1516: „Glaube mir, ich bin mit Geschäften so überbürdet, daß ich auf deinen so eleganten Brief nicht einmal eine (wie ich gewohnt bin) barbarische Antwort schreiben kann. Nimm darum meine Entschuldigung nachsichtig auf. Später sollst du ausführlichere Nachrichten und das Buch erhalten, an dem wir gegenwärtig mit allem Fleiß arbeiten. Von einem Tag zum andern erwarte ich den römischen Urteilsspruch; möchte er nach Wunsch und zu Ehren der Wahrheit ausfallen! Dann will ich in freierer Muße an dich und Andere, die mir ergeben sind, mit der Hilfe Gottes schreiben. Lebe wohl!“ Luthers Schriften fanden alsbald den Weg nach Wien und wurden von den dortigen Humanisten mit Staunen und Beifall aufgenommen. Wir sahen bereits oben, mit welcher schonungslosen Offenheit Celtes an der Spitze der Humanisten den Ablaßkram verurtheilte. Auch sonst fehlte es auf der Hochschule nicht an manchen Vorgängen, welche der Reformation Boden gewinnen mußten. Nicht zu reden von den scholastischen Häresien, in denen man die Frage erörterte, in welchem Sinn es zu nehmen sei, wenn man sage, daß bei den Leiden Christi selbst die Engel geweint haben, oder ob im Paradiese auch die Mütter Jungfrauen verblieben wären, oder in wie weit eine gute Absicht eine schlechte That entschuldige: war schon im Jahr 1441 der Chormeister von St. Stefan in einer Predigt feindlich gegen den Bettlerorden aufgetreten. Im Jahr 1484 hatte sich dieser Vorgang wiederholt; wenige Jahre darauf beschuldigte Dr. Johann Kaltenmarkter die Mönche des Ungehorsams, des Geizes und der Hoffart und äußerte sein Bedenken über die Autorität des Papstes. Im Jahr 1510 vollends wurde bei St. Peter dem Volk öffentlich gegen die Giltigkeit des Ablasses und gegen die Verehrung der Reliquien gepredigt und erklärt, die Priester betrügen das Volk, indem sie Pferdegebeine für die Gebeine der Heiligen ausgäben. Um dieselbe Zeit wurde nicht nur auf der Kanzel gegen den Gehorsam geeifert, welchen die Mönche bei den Schotten ihrem Abte schuldig zu sein glaubten, sondern es wurde auch bei St. Laurenz unverhohlen und öffentlich gesagt, für jeden Priester in Wien sei ein Pferd bereit, auf dem er zur Hölle fahre! Gleichwohl mochte Vadian wohl erkennen, daß eben in Wien der Durchführung der Reformation besondere Schwierigkeiten entgegenstehen, wie daß auf den Character und die Thatkraft der in Worten starken Humanisten nicht zu bauen sei. Er selbst, in seinem Innersten von der Wahrheit ergriffen, die ihm aus Luthers Schriften entgegenleuchtete, sehnte sich nach anderen Bundesgenossen als die er aus dem Heerlager der Humanisten erwarten konnte, fühlte auch die Verpflichtung eines Patrioten, in solcher Zeit seinem Vaterlande mit Rath und That nicht zu fehlen, und entschloß sich darum, dem Zug seines Herzens zur Heimath zu folgen. Bereits war er wegen seiner religiösen Richtung in Wien verdächtigt, bereits sammelte er an Materialien zu einer Verteidigungsschrift Luthers gegen seinen ehemaligen Studiengenossen Dr. Eck. Auch scheint Vadian als Schweizer mißliebig angesehen worden zu sein. Als unter seinem Rectorat ein blutiges Handgemenge bei der Nacht zwischen Studenten und Fleischern ausgebrochen und mit Mühe beigelegt war, lästerten Erstere auf ihn als auf einen Schweizer. Collimitius sagte oft scherzweise zu seinem Freunde: „Ich bin mir böse, daß ich dich als einen Schweizer so lieb habe, und es thut nur leid, daß ich einem Schweizer so viel Liebe zuwandte; in Zukunft will ich mich mäßigen!“ Genug, Vadian reiste im Herbst 1518 von Wien ab, bereits an die Möglichkeit denkend, daß er nicht mehr dahin zurückkehre, in der Absicht, die Verhältnisse seines Heimathlandes in der Nähe zu besichtigen, ob sie ihm Anlaß zum Bleiben böten. Mit ihrem Lehrer kehrten gleichfalls in die Heimath zurück die Studenten Georg Binder, N. Scheller, Conrad und Leopold Trebel, und nach einer, freilich nicht verbürgten Nachricht wären sie die Ersten gewesen, welche die lutherischen Schriften von Wien aus in die Eidgenossenschaft gebracht hätten.

6. Ansiedlung in St. Gallen.

Die Eltern Joachims sollten noch die Freude erleben, ihren Sohn, welcher wie einst ihre Hoffnung, so längst ihr Stolz und ihre Freude war, in die Heimath zurückkehren zu sehen. Und wie jauchzen der Rückkehr des gefeierten Lehrers seine alten Schüler und Freunde entgegen. Mit Ungeduld erwarten sie seine Rückkehr. Myconius schreibt ihm am 20. Juli 1518: „Wir Alle verwundern uns gleicher Maßen darob, was deine versprochene Ankunft so lange verzögere. So oft wir mit den Eltern derer zusammenkommen, deren Lehrer du in Wien warst, gilt immer das erste Wort der Rückkehr Vadians. Ich denke, das Vaterland und die Freunde sollen dich halten.“ Ebenso schreibt Peter Tschudi von Paris aus, am 25. October 1518, an Zwingli: „Wir freuen uns überaus, daß Joachim Vadian, dieser gelehrte Mann, der eine besondere Zierde unseres Schweizerlandes ist, endlich aus Oesterreich heimgekehrt ist. Möchte er sich doch durch eine seiner würdige Stellung in der Schweiz halten lassen und seinem Vaterlande vor anderen Nationen den Vorzug geben. Wir hoffen, er sei von den Unsrigen allenthalben mit offenen Armen aufgenommen worden.“ Umgekehrt berichtet der Ulm’sche Stiftsherr August Marius noch im Jahr 1518 an Vadian, daß man auf der Wiener Hochschule ohne ihn nicht leben könne, und verkündet ihm dann die frohe Botschaft, daß er, Marius, nunmehr endlich die Scholastik abgeschüttelt habe, sich jetzt erst der ächten Theologie befleiße, und nichts Besseres wünsche, als in Basel einen öffentlichen Lehrstuhl zu erhalten.

Kaum war Vadian in die Schweiz zurückgekehrt, als ihm mehrere ehrenvolle und vortheilhafte Rufe von Außen zukamen. Er lehnte dieselben ab, um in seiner Vaterstadt zu bleiben, in welcher ihn der Magistrat zum Stadtarzte mit Befreiung vom Wachtgelde und anderen Beschwerden wählte und ihn in diesem Amt im Jahr 1523 mit einem Jahresgehalt von vierzig und 1526 von fünfzig Gulden bestätigte. Ehe Vadian diese Stelle antrat, besuchte er noch seine Freunde und die Eltern seiner liebsten Schüler in Zürich und Basel, die ihn dringend geladen hatten. Allenthalben hatte er Dank, Liebe und Anerkennung zu erndten. Noch fester sollte er aber an die Schweiz gebunden werden durch seine Verehelichung. Längst hatten seine Freunde und Schüler ihn zu diesem Schritte aufgefordert und ihm denselben mit ihren Vorschlägen zu erleichtern gesucht. So hatte Ulrich Lener, halb im Scherz halb im Ernst, im Jahr 1516 an Vadian geschrieben: „Zu Appenzell ist eine hübsche junge Wittwe, achtzehn Jahre alt, die für eine Jungfrau gelten könnte, und hat 2000 Gulden Werth, und die nähme euch, wenn ihr hie wäret und euch gefällig wäre. Denn ich hab ein Weib an sie geschickt, von der ich verstanden, daß sie des Dings ganz lustig und begierig wäre.“ Als Vadian den Doctorhut der Medicin erworben, schrieb ihm derselbe, nun könne er genug Weiber auslesen, wenn er nemlich freien wolle. Myconius schrieb 1518 an Vadian, das neulich von Erasmus erschienene Encomium des Ehestandes müsse wohl von großem Werthe sein, da es sogar den Bruno Ammerbach, aller Weiber Feind, bewogen, eine Frau zu nehmen. Doch (fügt er bei) ein noch höherer Triumph für diese Schrift würde der sein, wenn sie nun vollends auch einen Vadian ins Joch spannen könnte. Am Ernstlichsten waren die Vorschläge Conrad Grebel’s von Zürich gemeint, der seinen Lehrer aus Wien heraus begleitet hatte. Er lud Vadian nach Zürich in der Hoffnung, daß derselbe nirgends anderswo als in seinem elterlichen Hause das Absteigequartier nehmen werde. Seiner Schwester Martha wegen, schreibt er, habe er schon mehrmals mit seinem Vater gesprochen, der es aber kaum fassen könne, daß es einem Mann von solchem Gewicht in jeder Rücksicht mit solcher Heirath ein rechter Ernst sein sollte. Und kurz, wenn ihm das Mädchen gefalle, und er nicht, wie er höre, auf ein reicheres ausgehe, werde die Sache auf keine große Schwierigkeiten stoßen. Und bald darauf schreibt Conrad, der unterdessen in das Schweizer Stipendium nach Paris abgereist war, um dort unter Glareans Leitung seine Studien fortzusetzen, an Vadian, danckt ihm für die schönen Geschenke, die er seiner Schwester gemacht, und meint immer, daß sie noch Schwäger werden sollen. Dann bezeugt er ihm, daß er außer Gott und seinen Eltern Niemandem mehr schuldig sei als ihm, und wie er nicht um eitlen Ruhmes willen, sondern einzig deßwegen, um mit Vadian auf vollkommen vertrautem gleichem Fuße umgehen zu dürfen, den Wunsch hege, ein recht großer Mann zu werden. Wirklich verlobte sich Vadian am 5. Juli 1519 mit der liebenswürdigen, an Verstand und Herz reich gebildeten Martha Grebel und wurde am 18. August in der Schloßkapelle zu Wädenschwil durch Pfarrer Heinrich Hürlimann mit ihr getraut. Martha folgte ihrem Manne nach St. Gallen, wo eben die Pest die Anwesenheit des Stadtarztes doppelt wünschenswerth machte, und die treue Gattin, welche Joachims Leben von nun an beglückte, war der erste Preis, welchen Gott ihm für das Opfer zuerkannte, welches Vadian seinem Glauben und seiner Vaterlandsliebe gebracht hatte, als er sich in St. Gallen niederließ. Martha war, nach einem von ihr lateinisch an ihren geliebten Gatten geschriebenen Brief zu schließen, ganz befähigt, großen Antheil an seinen Planen und Geschäften zu nehmen, und nannte die Reformation ein Werk des Herrn.

Vadian hatte vor seinem Abgang aus Wien seine Ausgabe des Pomponius Mela drucken lassen. In der Vorrede sprach er seine Hoffnung aus, einst nach geendigten Studien ins geliebte Vaterland zurückzukehren. Da werde ich (versprach er) mich alles Fleißes bestreben, der Mann zu sein, von dem nach Plato’s Ausspruch selbst die Nachwelt einstimmig sagen soll: daß er nichts unterlassen habe, gegen seine Geburtsstadt, seine Angehörigen und jeden Rechtschaffenen sich nach besten Kräften gefällig zu zeigen. Die folgende Schilderung wird zeigen, daß Vadian sein damals gegebenes Wort treulich gelöst hat.

Zweites Buch.

Reformation von St. Gallen.

I. Erste Anfänge.

Als Vadian in seine Vaterstadt zurückkehrte, fand er dort den Katholicismus noch in alten Würden und Ehren. War auch die Stadt mit dem Kloster in fortdauernder Fehde, so galten dennoch römische Ceremonien und Satzungen als der einzige Weg zur Seligkeit, ohne daß man auch nur eine Ahnung hatte, daß das Christenthum ohne dieselben bestehen könne, ja wider dieselben sei. Keßler sagt, die St. Galler seien vor Andern zu abergläubig und zu abgöttisch und auswendigem Thatsdienst (warlich aus guter Meinung) im Kirchenbauen, Tempelzierde u. s. w. ergeben gewesen. Priester und Laien waren in religiöser Erkenntniß fast gleich unwissend und gleich unsittlich. Seit lange hatte sich der römische Hof bei Pfarrpfründen einen Theil der Collaturrechte zugeeignet und für Geld die Pfarreien oft an unsittliche, ganz unwissende Menschen vergeben. Die meisten Geistlichen hielten öffentlich Concubinen; wenige waren im Stand, eine auch nur den Ansprüchen damaliger Zeit genügende Predigt abzufassen. Den Kirchenbann brauchten Papst und Bischöfe nur zu Erreichung weltlicher Absichten; hingegen wurde nicht nur für Vergehungen leichterer Art, sondern selbst für die gröbsten Verbrechen Verzeihung oder Ablaß um Geld feil geboten. Ablaßkrämer durchzogen Stadt und Land; der einfältige Arme gab gern seinen letzten Heller an sie. Die Feier der kirchlichen Feste war zu geistlosem lächerlichem Schauspiel herabgesunken. Hören wir die Beschreibung eines gleichzeitigen Berichterstatters über die Feier des Palmsonntags: „Zum Ersten, so kreuzet man aus dem Münster gen St. Mangen, und wenn man gen St. Mangen kam, so hat mehrentheils ein jedes Mensch ein Bürdeli Palmen. So stund dann der Abt oder Dechant und weihet dieselbigen, und wann geweihet war, so kreuzet man wiederum hinauf in das Münster. Und wenn man dann auf den Kilchhof kam, so war da ein Esel gemacht in der Größe eines andern Esels und darauf gemacht ein Mann, als sei er Christus. Und ist derselb Esel gemacht gewesen auf einen vierräderigen Wagen, daß man ihn ziehen konnte und stund dann der Esel danieder bei der Gätteri. Und wenn denn jedermann auf den Kilchhof kam, so stunden dann die Schüler da und huben all an mit einander zu singen: Als das Volk gehört hatte, daß Jesus nach Jerusalem käme, nahmen sie Palmzweige und gingen ihm entgegen :c. Und wann dann dieses ausgesungen ist, waren etwa bei den acht Schülern verordnet, die huben ihre Hände auf gegen dem Esel und zeigten gegen ihn und sangen mit lauter Stimm: Der ists, der da kommen sollte. Und wenn sie also gesungen, so respondirten dann die Schüler und alle sangen: Sein Volk zu erlösen. Und darnach auf das waren aber acht Schüler verordnet und zeigten gegen den Esel und sangen also: Dieser ist unser Heil und die Erlösung Israels. Darnach waren aber so viel Schüler verordnet, die knieten gegen den Esel nieder und sangen: Fürchte dich nicht, du Tochter Zion; siehe dein König kommt zu dir auf dem Füllen einer Eselin, wie geschrieben steht. Darnach waren aber andere sechs Schüler, die knieeten nieder und bückten ihr Angesicht gegen der Erden und schlugen alle mit einander die Hände ob dem Haupt zusammen und sangen, und wann sie einmal ausgesungen, so gingen sie drei Schritte und knieeten dann wieder nieder und sangen zum dritten Mal also: Sei gegrüßet König, Schöpfer der Welt, der du gekommen bist, zu erlösen rc.“ In ähnlicher Weise ward auch die Feier der übrigen Feste begangen. Am Charfreitag legte man im Münster ein großes in Leinwand gewickeltes Bild des Gekreuzigten in das Grab, besprengte es mit Weihwasser und räucherte es an. In der Osternacht suchten drei als Weiber verkleidete Geistliche den Leichnam des Herrn im Grabe und sangen die dazu dienenden Schrifttexte; ihnen gaben zwei Andere in Engelsgewändern Antwort aus dem Grabe, und drei Fremdlinge besangen dann nach Erzählung der Evangelisten die übrige Auferstehungsgeschichte. Während dessen erhob sich Einer als auferstandener Heiland im rothen Meßgewand mit einer Fahne in der Hand auf den Altar, singend gab er sich der Maria zu erkennen, und nachdem er mit den Weibern einige Wechselgesänge abgesungen hatte, stimmte das Volk fröhlich die Lieder an: Christ ist erstanden, und: Also heilig ist der Tag. Am St. Marcustag, an dem es meist noch kaltes Wetter ist, besuchte man mit bloßen Füßen die St. Mangenkirche. Am Kreuzmittwoch zogen die Pfarreien aus der alten Landschaft, aus Appenzell und dem Rheinthale daher. Während die St. Galler auf Rotmonten zogen, versammelten sich alle auswärtigen Pfarrgenossenschaften auf dem Brühl, und da in Folge des Gedränges öfter Unordnungen vorkamen, indem eine Gemeinde der anderen den Ehrenplatz streitig machen wollte, so hielt hernach die Stadtobrigkeit eine, in Harnisch und Hellparten bewaffnete Wache und setzte folgende Prozessionsordnung fest: Nach dem Kreuz und Fahnen gingen zuerst die singenden Schüler; nach diesen der Officiant mit seinen Leviten, die Weltpriester, die Klostergeistlichen, welche die Gebeine Galls und anderer Heiligen in kostbaren Särgen trugen, dann folgte das Volk in der von dem Stadtschreiber aufgerufenen Ordnung; jede Pfarrei bekam von den Zünften eine Ehrenwache, welche sie mit Trommeln und Pfeifen durch das Brühlthor nach dem Münster begleitete, wo die ganze Prozession unter dem Geläute aller Glocken und dem Schall der Instrumentalmusik einzog. In diesen Ceremonien bestand der ganze Gottesdienst, und das Volk kam ihm pünktlich nach. Nur in Betreff des Pfaffenthums singen die St. Galler an, sich zu emancipiren. Als der päpstliche Legate Puccius 12,000 Mann Truppen gegen die Türken begehrte, wurde ihm im Jahr 1518 geantwortet: Wenn erst andere Fürsten ausziehen, wolle man auch 10,000 Mann schicken, und wenn mehr begehrt werde, noch 2000 Pfaffen, damit die Zahl voll werde! Demselben Legaten wurde der Curtisanen (Pfründeräuber) wegen angezeigt, daß, wo man solche, fremde oder einheimische, antreffe, man sie in ein Wasser schießen werde, dessen sie sich versehen sollten. Wenn man solche Curtisanen nemlich wegen des angedrohten päpstlichen Bannes doch zuletzt annehmen mußte, so rächte sich die Volksjustiz gewöhnlich damit an ihnen, daß denselben bei der Investirung die erlangte Bulle um den Hals gehängt und sie mit Wasser begossen wurden.

Vadian war schon aus Liebe zu seiner Vaterstadt, noch mehr aus Liebe zu Gott und seinem Wort entschlossen, diesem Greuel nach Kräften zu steuern, aber er ging mit einer staunenswerthen Geduld und besonderer Mäßigung ans Werk. Erst mußte er sich seine Reformatoren selbst ziehen und bilden, erst den Sinn für lebendiges Christenthum in St. Gallen wecken, ja erst selbst mit der Bibel und den reformatorischen Schriften sich selbst vertrauter machen, auch selbst die hervorragenden Männer der Schweiz erst kennen lernen oder ihre Bekanntschaft erneuern, wie er z. B. im Sommer 1522 in Basel war und dort auch Erasmus besuchte, der in einem Brief an Zwingli erzählt, wie ihm Vadian Auge um Auge nicht minder gefallen habe, als zuvor da er ihn nur aus seinen Schriften gekannt, und sich entschuldigt den Gast nur zu kaltem Gespräch empfangen zu haben, das ihm seine vor Gastmahlen fliehende Gesundheit gebiete. Um sich das Vertrauen seiner Mitbürger zu erwerben, bot sich dem Stadtarzt in der Pestepidemie , die kurz nach seinem Eintreffen in St. Gallen so viele Opfer forderte, reiche Gelegenheit. Oft starben im Jahr 1519 an einem Tage 26-30 Personen. Wer nur konnte, floh; selbst der größere Theil des Rathes verließ die Stadt, in welcher innerhalb sechs Monaten sammt den Gerichten, 1600 bis 1700 Personen starben. In den Häusern der Kranken wirkte Vadian schon damals nicht bloß als Leibes- sondern auch als Seelenarzt, so daß die Krankheit für Viele Anlaß zu ernsterer Einkehr in sich selbst und zu regem Forschen nach dem Reich Gottes wurde.

Noch im Jahr 1520 predigte in der Hauptkirche St. Gallens ein Mann, der einem Myconius großes Aergerniß gab, weswegen er an Vadian folgenden Brief schrieb: „Es wundert mich nicht wenig, wie du dich mit eurem Prediger Käser (Casearius; Zwingli nennt ihn Casceus, da es doch nicht anständig sei, ihn Caseus zu nennen!) vertragen kannst. Welcher böse Geist hat es euch eingegeben, diesen Mann zum Prediger des göttlichen Worts zu wählen? Er kann das A B C nicht, und ihr findet ihn würdig, daß er euer Seelenhirte sei? Deine Pflicht wäre es, diejenigen, von denen die Wahl eines Predigers abhängt, zu überzeugen, daß sie einen Menschen dieser Art nicht zu ihrem Führer machen sollen. Du hast Gelehrsamkeit, du hast Ansehen genug bei deinen Mitbürgern, um dies mit leichter Mühe zu können. Deswegen staune ich, daß du nicht irgend einen Versuch gemacht hast. Verträgst du dich gut mit ihm, was ich zwar nicht glauben kann, so ist es ein wahres Wunder. Denn wie kann dieses zwischen einem Gelehrten und einem unwissenden Tropfe statthaben?“ Vermuthlich erhielt dieser Apostel der Unwissenheit, auf dessen Schmähungen zu antworten Zwingli unter seiner Würde fand, bald nachher den Abschied und an seiner Statt gelang es Vadian, sich einen Gehilfen in seinen reformatorischen Bestrebungen zur Seite zu stellen in der Person seines ehemaligen Schülers, des Benedict Burg au er, der, nachdem er bisher eine Pfarre im Rheinthal versehen hatte, nun auf Vadians Betreiben an die Hauptkirche in St. Gallen berufen wurde. Zwar war auch Burgauer noch keineswegs für die evangelische Lehre entschieden gewonnen, aber er trug ihr wenigstens offenen Sinn entgegen. Das Gleiche galt von seinem Helfer Wolfgang Wetter, genannt Jufli. Beide Prediger wurden zum prüfenden Lesen der lutherischen Schriften schon durch den Klosterprädicanten Dr. Wendelin Oswald veranlaßt, welcher von der Kanzel im Münster herab gegen die Neuerung donnerte und ihren Anhängern mit harten Strafen drohte. Auch mehrere Kaplane, als Jakob Reiner, Matthäus ab der Rütti, Johann Vogler, Ulrich Girtanner, Hans Noll und selbst der Dechant des Landkapitels Hermann Miles, Pfarrer zu St. Mangen, legten sich jetzt mit Eifer auf das Schriftstudium und Vadian ermunterte sie dazu und gab ihnen selbst Anleitung darin, indem er ihnen in Vorlesungen die Geschichte der Apostel erklärte. Vadian erkannte in dem Evangelisten und Arzt Lucas einen Geistesverwandten, während ihn als den Historiker die Apostelgeschichte besonders anzog und vor andern biblischen Schriften geeignet däuchte, durch Aufdeckung des Contrastes zwischen der apostolischen und römischen Kirche der evangelischen Lehre Bahn zu brechen. Noch findet sich auf der St. Galler Stadtbibliothek ein starker, aus 245 Blättern bestehender, von Vadian eigenhändig in lateinischer Sprache geschriebener Band, der einen vollständigen aus dieser Veranlassung bearbeiteten Kommentar zu der Apostelgeschichte enthält. Bullinger benutzte denselben zu seiner Erklärung der Apostelgeschichte, in deren Vorrede er erklärte, seine Arbeit wäre überflüssig gewesen, wenn Vadian Zeit gefunden hätte, sein Manuscript zum Druck fertig zu machen. Aus diesen Vorlesungen scheint sich unserem Vadian der Plan zur Bearbeitung einer heiligen Geographie des Neuen Testaments entwickelt zu haben, den er sofort ausführte, während ihm eine neue in Basel veranstaltete Ausgabe des Pomponius Mela nicht bloß Mühe verursachte, sondern auch Gelegenheit bot, da und dort in den gelehrten Apparat Aeußerungen über die Reformation einzuflechten, um damit die Gelehrten zur Betheiligung aufzufordern.

In gleichen Verhältnissen, in welchen Vadians Ansehen und Einfluß in seiner Vaterstadt wuchs, nahm auch seine Thätigkeit für die Reformation größere Ausdehnung. Ein wichtiger Schritt hiezu war, daß er im Jahr 1520 nach dem Tod seines Vaters Mitglied des Raths wurde. Man fühlt es den Berichten Keßlers und anderer Zeitgenossen an, daß sie in Vadians Person die ganze Behörde sahen oder vielmehr über ihm alle übrigen Rathsherren vergaßen. In der Person des Bürgermeisters Kaspar von Fahnbühl stand noch an der Spitze des Raths ein überaus demüthiger Knecht der Priesterschaft; unter den übrigen Rathsverwandten fehlten aber nicht einzelne helle Köpfe, die ohne Studium leicht sich aneigneten , was ihr gelehrter College als Resultat ernster Forschungen ihnen in populärer Form vortrug. So war es bereits ein fernerer Schritt vorwärts, als es Vadian gelang, im Jahr 1521 die Anstellung des der evangelischen Lehre treu ergebenen Dominicus Zili zum lateinischen Schulmeister der Stadt durchzusetzen.

Sobald die Herzen der Bürger für Aufnahme des Evangeliums vorbereitet waren, sorgte Vadian für evangelische Gastprediger, welche in St. Gallen mit weniger Rückhalt als die erst neu gewonnenen und noch nicht befestigten einheimischen die Greuel der alten Ceremonien aufdeckten und als Fremde bei den Zuhörern mehr Geltung fanden. Zuerst trat Dr. Balthasar Hubmayer, Pfarrer in Waldshut, auf, der im Ruf eines gelehrten evangelischen Prädikanten stand und von einem St. Galler Bürger, Namens Sebastian Ruggensberger berufen wurde. Auf Ersuchen predigte er erst zu St. Mangen, dann zu St. Leonhard an einem Tage (3. Mai 1523), wo nach altem päpstlichen Brauche aus der Stadt dahin ein großer Kreuzgang gehalten und viel päpstlicher Ablaß ertheilt ward. Da Hubmayer wegen der Menge des zuströmenden Volks nicht in der Kirche predigen konnte, bestieg er hinter derselben einen Hügel und erklärte in einer Bergpredigt die evangelische Geschichte Lucä 1. Als das Volk ob seiner Lehre (denn er mit lieblichem und hellem Gespräch begabet) große Freude und Lust empfing, zog es ihm in seine Herberge am Rindermarkt nach, wo er die Epistel Pauli zu den Galatern dem Volk sowohl in als vor dem Haus auslegte; „aus welchem männiglich nach der Wahrheit Hunger und Durst empfing, aber mit seiner schnellen Hinfahrt ist ihnen begegnet gleich so einem Dürstigen ein Becher mit kühlem Wasser dargereicht und fürgestellt und sobald er daran dupft, behend wieder entzogen wird.“ Im gleichen Jahre predigte auch Dr. Christoph Schapeler, ein geborener St. Galler, damals Prädikant zu Memmingen, wiederholt in seiner Vaterstadt. Offen trat er gegen den Münsterprediger Dr. Oswald Wendelin auf, beschuldigte ihn der Lüge und verführerischer Lehren und erbot sich, das mit göttlicher Geschrift zu erweisen. So oft aber Dr. Wendelin zur Disputation erfordert ward, wandte er vor, sein gnädiger Herr Abt wolle ihm kein Gespräch zu halten mit Jemand erlauben noch in keinem Wege gestatten.

Schon waren in der Schweiz die Disputationen an der Tagesordnung: zu der zweiten Züricher Disputation über Messe und Bilder, die den 26. Weinmonat 1523 anheben sollte, hatten von den eidgenossischen Orten nur Schaffhausen und St. Gallen ihre Geistlichen und Gelehrten, letztere Dr. Vadian und Dr. Schapeler abgesandt. Beiden sammt dem Schaffhauser Sebastian Hofmeister wurde die Ehre des Präsidiums übertragen. Vadian wollte dieses Amt ablehnen, indem er erklärte, seine Herren von St. Gallen hätten ihn allein darum hergeschickt, daß er freundlich da solle losen und zuhören, und weiter solle er nicht handeln. Doch ließ er sich zur Uebernahme des Präsidiums überreden, als der Züricher Bürgermeister ihm entgegnet hatte, man wolle ihm gar nicht zumuthen, was seinen Herren zu St. Gallen nachtheilig oder zu Argem erschießen möchte; er könne das wohl verantworten; es rede ja auch sonst Männiglicher; das sei doch auch sonst nichts Anderes denn losen und zuhören. Ohne sich am Gespräch selbst zu betheiligen, leitete es Vadian mit großer Unparteilichkeit; Zwingli schrieb ihm nach demselben am 11. November 1523: „Ich will dir jetzt nicht danken für die unermüdliche Mühe, welche du dir unlängst bei uns gegeben hast; weißt du doch selbst, woher der Lohn zu erwarten ist, nemlich von dem, dessen Sache du treulich vertratest.“

Während aber Vadian selbst in St. Gallen eine evangelische Partei zu gründen und zu sammeln bemüht war, hatte er auch das Bedürfniß gefühlt, sich von außen einen Mitarbeiter bilden zu lassen und zwar von Wittenberg, wohin er einen jungen unterrichteten Mann absandte, der nach seiner Heimkehr Vadians ergebenster Freund und Einer der wackersten Vorkämpfer evangelischer Lehre, ja St. Gallens Mitreformator werden sollte.

2. Johann Keßler.

Johann Keßler, auch Chessellius oder Ahenarius genannt, ward aus einer nicht unansehnlichen Familie zu St. Gallen im Jahr 1502 geboren. Frühzeitig zum Priesterstande bestimmt, trat er zuerst in die Klosterschule und ward dann nach Basel geschickt, wo er mehrere Jahre dem Sprachstudium und der Theologie oblag und aus dem Munde eines Erasmus und Oecolampad eine freiere Bildung einsog. Im Jahr 1522 kehrte er in seine Vaterstadt zurück und da er sich zu schwach oder auch schon zu stark fühlte, um die Weihe zu einem Meßpriester anzunehmen, reiste er, höchst wahrscheinlich von Vadian dazu ermuntert und mit Empfehlungen versehen, nach Wittenberg, um seine Studien unter Luther und Melanchthon fortzusetzen. Mit einem Gefährten, zu Fuß, bei starkem Regenwetter, in erbärmlichem Aufzug schon nach Jena in den Gasthof zum schwarzen Bären gekommen, fanden sie einen Mann bei dem Tisch allein sitzend und ein kleines Buch vor ihm liegend. Sie meinten, der Mann wäre ein Ritter, denn er saß nach Landesgewohnheit da in einem rothen Schlapli, in bloßen Hosen und Wamms, ein Schwert an der Seiten. Bald sing der Mann an, sie zu fragen, woher sie gebürtig wären, doch gab er ihm selbst Antwort: Ihr seid Schweizer; woher seid ihr aus dem Schweizerland? Als sie ihm St. Gallen nannten, erwiderte er: Wollt ihr gen Wittenberg, so findet ihr gute Landsleute, nemlich Dr. Hieronymum Schurpfen und seinen Bruder Dr. Augustin. Die Studenten antworteten, sie hätten Briefe an sie, und fragten: Mein Herr, wisset ihr nicht uns zu bescheiden, ob M. Luther jetztmal zu Wittenberg oder an welchem Orte er doch sei? Antwortet er: Ich hab gewisse Kundschaft, daß der Luther jetztmal nicht zu Wittenberg ist, er soll aber bald dahin kommen; Philippus Melanchthon aber ist da, lehret die griechische Sprach, so auch Andere die hebräische, welche beide er ihnen im Treuen rathen wollte zu studiren, da sie, h. Schrift zu verstehen, bevor nothwendig seien. Die Studenten sprachen: Gott sei gelobt, denn wir (so Gott unser Leben fristen wird) nicht erwinden wollen, bis wir den Mann sehen und hören werden, denn wir von seinetwegen unsere Fahrt unternommen haben; dieweil wir denn von Jugend auf von unseren Eltern dazu gezogen und verordnet, daß wir Priester werden sollen, wollen wir gern hören, was er uns für einen Unterricht geben werde, und mit was Fug er solch Fürnehmen wolle zuwegen bringen. Nachdem sich der Ritter nach den Verhältnissen zu Basel und nach Erasmus erkundigt, fragte er: Was hält man im Schweizerland von dem Luther? Sie antworteten: Mein Herr, es sind, wie allenthalben, mancherlei Meinungen; Etliche können ihn nicht genugsam erheben und Gott danken, daß er seine Wahrheit durch ihn geoffenbart und die Irrthümer zu erkennen gegeben hat, Etliche aber verdammen ihn als einen unleidigen Ketzer, und bevor die Geistlichen. Unter solchem Gespräch ward es den jungen Schweizern gar heimelich; Keßlers Geselle hub das Buch auf, das vor dem Ritter lag; da war es ein hebräischer Psalter, und als er äußerte, er wollte einen Finger von der Hand geben, daß er sich dieser Sprache verstände, antwortete ihm der Ritter: Ihr möget es wohl ergreifen, wo ihr anders Fleiß anwendet, denn ich auch begehr die weiter zu erlernen, und mich täglich hierin übe. Als die Nacht hereinbrach, kam der Wirth vor den Tisch und als er der Reisenden hoch Verlangen nach dem M. Luther vernommen, sprach er: Liebe Gesellen, euch wäre gelungen, wo ihr vor zwei Tagen hier wäret gewesen , denn hie ist er am Tisch gesessen und zeigt mit dem Finger an den Ort. Das verdroß die Studenten sehr und zürnten, daß sie sich so gesäumt hätten, ließen den Zorn an dem wüsten und unfertigen Weg ausgehen, der sie verhindert hätte, doch sprachen sie: Nun freuet uns doch, daß wir in dem Haus, an dem Tisch, da er, gesessen sind. Lächelnd ging der Wirth zu der Thüre hinaus und berief nach einer kleinen Weile Keßlern zu sich mit den Worten: Dieweil ich euch in Treuen erkenn, daß ihr den Luther zu hören und sehen begehret, der ists, so bei euch sitzet. Keßler nahm die Worte gespottsweise auf und sprach: Ja, Herr Wirth, ihr wollet mich gern fatzen und meine Begierd mit des Luthers Wahn ersättigen. Der Wirth sprach: Er, er ist es gewißlich, doch thu nicht desgleichen, als ob du ihn dafür haltest und kennetest. Keßler ließ dem Wirth Recht, konnte es aber nicht glauben; er ging wieder in die Stube, setzte sich wieder zu dem Tisch und sagte seinem Gesellen ins Ohr, der Wirth habe ihm gesagt, der seie der Luther. Der Begleiter wollte es aber nicht glauben und sprach: Er hat vielleicht gesagt, es sei der Hutten. Weil nun die ritterliche Kleidung Keßlern mehr an Hutten denn an Luther vermahnte, ließ er sich bereden, er hätte gesprochen: Es ist der Hutten, da der Anfang beider Namen schier zusammenklinge. Unterdessen kamen zwei Kaufleute an, die auch allda übernachten wollten, und nachdem sie sich entkleidet und entsporet, legte Einer neben sich ein ungebundenes Buch. Fragt der Ritter, was es für ein Buch wäre, und erhält zur Antwort: Es ist Dr. Luthers Auslegung etlicher Evangelien und Episteln, erst neu gedruckt und ausgangen; habt ihr die nie gesehen? Der Ritter entgegnete: Sie soll mir auch bald werden. Da sprach der Wirth: Nun füget euch zu Tisch, wir wollen essen. Die armen Studenten aber baten den Wirth, er wolle sich mit ihnen leiden und ihnen etwas besonderes geben. Sprach der Wirth: Liebe Gesellen, setzet euch nur zu dem Herrn an den Tisch, ich will euch ziemlich halten. Da es der Ritter höret, sagte er: Kommt herzu, ich will die Zehrung mit dem Wirth wohl abtragen! Unter dem Essen that der Ritter viel gottseliger, freundlicher Reden, daß die Kaufleute und Studenten an ihm verstummten und mehr seiner Worte denn aller Speisen wahrnahmen. Unter welchen er sich mit einem Seufzer erklaget, wie nemlich die Fürsten und Herren auf dem Reichstag zu Nürnberg vonwegen Gottes Worts, dieser schwebenden Händel und Beschwerung halb teutscher Nation versammelt wären, aber nichts mehr auszurichten geneigt, denn gute Zeit mit köstlichem Turnier, Schlitten, Unzuchten, Hoffahrt und Hury verzehren, so doch bevor Gottesfurcht und ernstliche Bitt dazu diente: aber das sind unsere christliche Fürsten! Weiter sagte er, er sei der Hoffnung, daß die evangelische Wahrheit mehr Frucht bei unsern Kindern und Nachkommen bringen werde, die nicht von den päpstlichen Irrthümern vergiftet, sondern jetzt auf lautere Wahrheit und Gottes Wort gepflanzt werden, denn an den Eltern, in welchen die Irrthümer eingewurzelt, daß die nicht leicht mögen ausgereutet werden. Darnach redeten die Kaufleute auch ihre gute Meinung und sprach der Melters: Ich bin ein einfältiger, schlichter Laie, verstehe mich auf die Händel nicht besonders, das sprich ich aber, wie mich die Sach ansieht, so muß der Luther entweder ein Engel vom Himmel oder ein Teufel aus der Hölle sein; ich hab auch Muth, noch zehn Gulden ihm zu lieb zu verzehren, daß ich ihm beichte, denn ich glaube, er möchte und könnte mein Gewissen wohl unterrichten. Indem kam der Wirth zu den Studenten und sagte heimlich: Habet nicht Sorg für die Zehrung, Martinus hat das Nachtmahl für euch ausgerichtet. Das freute sie sehr, nicht von des Gelds wegen, sondern, daß sie dieser Mann gastfrei gehalten habe. Nach dem Nachtmahl stunden die Kaufleute auf, gingen in den Stall, die Rosse zu versehen. Unterdessen blieb Martinus allein bei den Studenten, welche ihm seiner Verehrung und Schenke dankten und dabei merken ließen, daß sie ihn für Ulrich von Hutten hielten. Er sprach aber: Ich bin es nicht. Da kommt der Wirth. Zu dem spricht Martinus: Ich bin diese Nacht zu einem Edelmann worden, denn diese Schweizer halten mich für Ulrich von Hutten. Der Wirth entgegnete: Ihr seid es nicht, aber Martinus Luther. Da lächelte dieser mit solchem Scherz: Die halten mich für den Hutten, ihr für den Luther, ich sollt wohl bald Marcolffus werden. Und nach solchem Gespräch nahm er ein hohes Bierglas und sprach: Nach der Landes Brauch, Schweizer, trinket mir nach einen freundlichen Trunk zum Segen! und wie Keßler das Glas von ihm empfahen wollte, veränderte er das Glas, bot dafür einen Stintzen mit Wein, sprechend: Das Bier ist euch unheimisch und ungewohnt, trinket den Wein! Damit stund er auf, warf den Waffenrock auf seine Achsel, nahm Urlaub, reichte den Studenten die Hand und sprach: So ihr gen Wittenberg kommt, grüßet mir den Dr. Hieronymum Schurpfen. Die Studenten entgegneten, sie wollten es willig thun, aber fragten, wie sie ihn nennen sollten, daß er den Gruß verstehe. Martinus erwiderte: Saget nicht mehr denn: der kommen soll, läßt euch grüßen! so versteht er die Worte bald. Also schied er an seine Ruh. Darnach kamen die Kaufleute wieder in die Stube, hießen den Wirth, ihnen noch einen Trunk auftragen, unter welchem sie viel Unterredung hielten des Gasts halber, so bei ihnen gesessen wäre, wer er doch wäre. Doch der Wirth ließ sich merken, er halte ihn für den Luther, und die Kaufleute ließen sich bald bereden und kümmerte sie, daß sie so ungeschickt vor ihm geredet hätten. Sie wollten am andern Morgen desto früher aufstehen, ehe er abritt, und bitten, er wolle nichts an sie zürnen, noch im Argen vermessen, denn sie seine Person nicht erkannt hätten. Das thaten sie und fanden ihn am Morgen in dem Stall; aber Martinus hat geantwortet: Ihr habet Nächt ob dem Nachtmahl geredet, ihr wollet zehn Gulden dem Luther nach verzehren und ihm beichten, wann ihr dann ihm beichtet, werdet ihr wohl sehen und erfahren, ob ich der Martinus Luther sei. Darnach ist er aufgesessen und auf Wittenberg geritten. Als aber am Samstag darnach die St. Galler in die Stube bei Hieronymo Schurpfen traten, fanden sie Martinum, bei ihnen Philipp Melanchthon. Luther grüßte und lachte, zeigte mit den Fingern und sprach: dies ist der Philipp Melanchthon, von dem ich euch gesagt habe!

So beschreibt Keßler selbst sein erstes Zusammentreffen mit Luther, der eben von der Wartburg zurückkehrte. Keßler mußte zwar in Wittenberg sehr sparsam und eingezogen leben, fand aber in den Vorlesungen und Predigten Luthers für alle Entbehrungen reiche Entschädigung. Nach einem Aufenthalt von einem Jahr kehrte er anspruchslos, aber mit reicher Gabe der Auslegung ausgestattet nach seiner Vaterstadt zurück. Meßpriester wollte er aus Ueberzeugung nicht werden; für evangelische Pfarrstellen war noch nichts eingerichtet; von seinen Kenntnissen hatte er sonst keinen Unterhalt zu hoffen – da faßte der Mann, der das geistige und geistliche Leben Wittenbergs gekostet und liebgewonnen hatte, den Riesenentschluß, noch ein Handwerk zu erlernen und zu betreiben, und trat bei dem Sattler Hans Noll in die Lehre. Allein der Sattlerlehrling war zugleich ein Meister in Schriftauslegung, und Vadian, der den schlichten biederen Mann immer lieber gewann, wußte es einzurichten, daß diese Gabe nicht ins Schweiß- oder Schurzfell vergraben wurde. Hören wir, wie er selbst in seiner Sabbatha seine Berufung erst zum Winkelprediger beschreibt:

„Indem wie ich auf den 9. Tag des Wintermonats wieder von Wittenberg allher gen St. Gallen heimgezogen, ward ich auf den ersten Tag folgenden 24. Jahrs, so man den neunten Jahrstag nennt, von etlichen gutherzigen Männern und Brüdern, vornehmlich von der Weberzunft, desgleichen mein Herr und Bruder Wolfgang Jufli Prädikant zu Gast geladen, und nachdem das Mahl mit viel und mancherlei Unterredungen von dem Wort des Herrn vollendet und aufgehebt war, eröffneten sie mir, warum sie mich zu ihrer Wirtschaft berufen hätten, sprechend: Johannes, wir bitten dich, du wollest ansehen Gottes Ehr, Uffnung der Wahrheit und aus brüderlicher Liebe bewegt werden, unser Etlichen, wie wir hie versammelt, wahre hl. Geschicht helfen lesen und erklären, damit wir desto mehr in der Wahrheit unseres hl. christlichen Glaubens mögen unterrichtet werden, so wir anhebend merken, daß wir bisher durch päpstliche Lehre elendiglich verführt und betrogen seien. Auf dieses Anbringen antwortete ich: Ihr, meine Herren und lieben Brüder, Gott sei gelobt, der euch mit gelehrten und verständigen Prädikanten ordentlich versehen hat, die nichts sparen, sondern den höchsten Fleiß ankehren, damit der Irrthum ausgereutet und die Wahrheit gepflanzt werde, daß ihr meines Diensts wohl entbehren möget; aber nichts desto minder wo ihr zusammenkommet, will ich willig sein, mich zu euch fügen und eine besondere Freud haben, mit euch von der Geschicht und Wahrheit unseres christlichen Glaubens helfen reden, lesen und Gespräch halten, damit wir in der Erkenntniß Jesu Christi zunehmen und wachsen mögen. Darnach fragten wir Wolfgang Jufli den Helfer, was er dazu wollte reden und rathen, damit wir nicht hinterrucks den verordneten Prädikanten (derhalben er auch geladen ward) verhandlet und angesehen würden. Antwortet er: Lieben guten Freund und Brüder, euer christlich Fürnehmen gefällt mir wohl und wäre mir eine große Freude, wo man Gottes Wort und Willen erlernt. Hierauf ward damals beschlossen, daß wir uns all Sonntag und Freitag Morgen wollten in des Becken Haus zusammenfügen, liegt bei St. Laurenzenkirchen. Also haben wir uns auf den nächsten Sonntag nach der Beschneidung Christi zusammenverfügt; nachdem Meldung geschah, was wir lesen wollten, gaben sie mir für die erste Epistel Joannis zu erklären. Darnach auf den 6. Januars, welcher ist der Dreikönigstag, sind wir das andere Mal zusammengekommen; vermeint ich, es würde nun ein Anderer und hernach durch die Bank hin Einer nach dem Andern lesen, aber Keiner wollte sich deß ergeben, sondern vermahnten mich, ich sollte mit der Epistel, wie ich angefangen hatte, fürfahren und die vollenden. Wiewohl mir mein kleinfug und schlechte Erkenntniß nicht unwissend war, doch mußt ich bewilligen, dieweil sie wohl von mir für gut meinen Dienst aufgenommen; zudem bedünkte mich solch christenlich und brüderlich Anmuthen abstricken unchristlich und wider die Liebe sein, die wir doch so hoch in dieser gegenwärtigen Epistel rühmten. Da ich mich nun des Aemtles untergeben, sah mich für gut an und nothwendig, damit die Brüder in ein ordentlich Erkenntniß des Glaubens kommen möchten, die Epistel Pauli zu den Römern, sofern mir Gott Gnad mittheilte, zu erklären, für mich nehmen.“

Da der Zulauf zu diesen Vorträgen immer größer ward, so gebrach es bald an Raum. Es wurde darum der Zusammenkunftsort erst auf die Zunftstube der Schneider, dann auf die noch größere der Weber verlegt. Hier lehrte Keßler den ganzen Sommer hindurch bis auf Gallus vor Zuhörern aus allen Klassen der Stadt- und des Landvolks. Wiederholt forderte er seine Zuhörer auf, ihn, wo nöthig, zu berichtigen oder auch zu widerlegen, und oft erbot er sich, jeden zweifelhaften, unbefriedigenden oder wohl gar bestrittenen Satz noch weiter nach der Analogie des Schriftglaubens zu erörtern und zu beweisen. „Ob aber,“ sagte der bescheidene Mann, „Gott hierdurch in den christlichen Herzen etwas Nutz geschafft habe, stell ich ihm anheim, der ein Erkenner ist aller Herzen; dem sei Lob und Dank in Ewigkeit.“

Bereits war das Interesse, welches die St. Galler Bürger für die religiösen Fragen der Gegenwart hegten, so groß, daß man, wie der Kaplan Sicher bemerkt, an allen Enden und Orten der Stadt auf Leute stieß, die sich über solche Gegenstände besprachen oder sich von irgend Einem, der hierin etwas mehr als Andere wissen wollte, unterrichten ließen. Kein Wunder darum, daß, wie Keßler erzählt, die Götzendiener, so dem Papstthum noch nicht abgekündet hatten, großen Verdruß ob diesen Lectionen empfingen, also daß sie Tag und Nacht berathschlagten, wie sie die verlegen und hinterstellen möchten. Eben um diese Zeit (1524) kam auch Georg Gügi, Pfarrer von Klein-Rikkenbach, der von dem Landvogt zu Frauenfeld evangelischer Lehre halb seiner Kirche beraubt und vertrieben worden war, nach St. Gallen. Die im Sommer dieses Jahres zu Baden versammelte Tagsatzung stellte an den Magistrat zu St. Gallen das Ansinnen, diesem vertriebenen Pfaffen, so bei ihnen wider christliche Gewohnheit und Brauch in einer Trinkstube, da sich Gottes Wort nicht gebühre zu handeln, predige. Schweigen aufzulegen und die Stadt zu verbieten. Der Rath, welcher bisher absichtlich die Vorlesungen ignorirt hatte, wagte noch nicht, sich offen für sie zu erklären; andererseits wollte er noch weniger dem evangelischen Prediger wehe thun. Darum beschied er diesen vor sich und bat ihn freundlich, gemeinem Frieden zugut eine Zeit lang die Stadt zu verlassen; so ers begehre, möge er in Monatsfrist wiederkommen. Gügi gehorchte, aber die Lectionen erlitten dadurch keinen Abbruch. Als aber auf Mitte Augusts wieder ein Tag gen Baden verschrieben war, wurde ein noch ernsteres Warnungsschreiben an St. Gallen erlassen: Die Stadt solle „nicht ferner ungeweihte Leute und Buben predigen lassen, sondern Prediger dahin thun, denen Solches zustehe, damit Ruh und Guts und nicht, als bisher geschehen ist, mehr Args daraus erwachse; ihr die neuen Orte lieber lassen sein denn solche Buben und Winkelprediger; denn es weiter nicht möge erlitten werden.“ Namentlich wurde darüber Klage geführt, daß ein Keßler wider allen Brauch und Gewohnheit in einer Trinkstube ketzerisch predige. Keßler selbst bemerkt hiezu: „Ist dazumal aber von den Eidgenossen verstanden worden, es sei ein Keßler, der sich im Lande hin und her mit Schüsseln, Pfannen und Kessel butzen ernähre, und nicht daß er von dem Geschlecht diesen Namen habe.„ Die Schrift brachte den Rath in neue Verlegenheit: er wollte sich nicht ansehen lassen, als ob er Gottes Wort niederlegen und seinen Lauf verhindern wollte, und doch fand er kein Mittel, diese Winkelpredigten zu rechtfertigen. Er beschloß, Einen der angesehensten Rathsfreunde (Vadian?) zu beauftragen, daß er Keßler zu sich bescheide und durch Vorhaltung der Gefahren, welche diese Vorlesungen erweckten, bestimme, freiwillig vom Vorlesen abzustehen. Dieses geschah und Keßler antwortete: „Nie wollte ich mich hervordrängen, sondern was ich that, geschah fast ohne mein Zuthun, auf vielfältige Aufforderung, freilich auch in dem Bewußtsein, daß ich bei so vielem äußeren und inneren Beruf dazu mich dessen nicht wohl entschlagen möge. Stets aber habe ich gewünscht, eines Geschäfts entledigt zu sein, zu dem ich mich denn doch untüchtig finden mußte, und welches überdies der Erlernung meines Handwerks Abbruch that. Darum soll es mich herzlich freuen, wenn ohne Beschwerung meines Gewissens, ohne Nachtheil für meine Lehre und ohne öffentliche Aergerniß Rath geschafft werden kann, mich dieser Sache zu entledigen. Nur darf dies keineswegs von mir ausgehen, um allen Verdruß mit denen, die mich zu solchem Werk ausgesehen hatten, zu verhüten, was mir in der That wichtig und schwierig vorkommt.“ Auf dieses hin beschloß der Rath, die so anstößigen Vorlesungen eingehen zu lassen, ordnete aber dafür an, daß von nun an wöchentlich statt einer Predigt drei Predigten, nemlich Sonntags, Mittwochs und Freitags gehalten werden sollten. Dieser Beschluß ward Keßlern eröffnet, und derselbe versprach sich ihm zu fügen. Zwar seine Brüder baten ihn nicht abzustehen, er antwortete ihnen aber in ächt evangelischem Geiste: „Es ist ja wahr, Gottes Wort ist an Niemanden bunden, darum ist es auch nicht an mich gebunden, und begehre gleichermaßen von euch, ihr wollet es eine Zeitlang stillhalten, angesehen unserer Obrigkeit Verbot, und gemeine Unruhe zu vermeiden. Auch ist es nicht der Fall, daß es so hoch nöthig wäre, da ihr jetzt an Gottes Wort keinen Mangel leidet, sondern mit ordentlichen Predigern treulich versehen seid. Wäre aber Mangel und Theuerung in dieser Hinsicht, dann bäten wir wohl Gott, uns solchen Muth zu geben, daß wir mit St. Peter sprechen möchten: Wir sind Gott mehr schuldig als den Menschen!“

3. Laienprediger in der Kirche.

Die Privatvorlesungen hörten gleichwohl nicht auf. Um diese Zeit kehrte Wolfgang Schorant genannt Ulimann, Sohn eines St. Gallischen Zunftmeisters, der in Chur dem Mönchsstande entsagt hatte, in die Heimath zurück, um hier bei seinem Vater ein Handwerk zu erlernen. An ihn richteten nun die Brüder die Bitte, er möge an Keßlers Stelle die Bibelstunden halten. Er willigte ein, und der Zudrang zu seinen Vorträgen ward schon nach wenigen Stunden so groß, daß die Zuhörer in die St. Mangenkirche zu übersiedeln Miene machten. Der Abt aber, dessen Lehen die Kirche war, ließ die Thüren schließen. Wie sich nun des Morgens vor der Kirche eine große Menge Volks versammelte, predigte Ullmann von der Kirchhofmauer herab. Das geschah dreimal. Es war aber im Wintermonat und sehr kalt und unleidig, besonders den Frauen, und entstund unter dem Volk eine Klage, es wäre zu erbarmen, daß die Säufer und Fresser, Spieler und Hurer eigene Häuser hätten, und Gottes Wort möchte nicht ein Hüttli überkommen, dahinter man sich vor dem Ungewitter bewahren möchte. Es wurde nun der geräumige Platz auf der Metzg am Rindermarkt als Versammlungsort gewählt. Nachdem aber dem Ulimann das öftere Lesen zu beschwerlich wurde, ersuchten die Brüder Keßler aufs Neue, er möchte wenigstens mit Jenem abwechselnd die Lectionen wieder halten. Keßler verwies sie auf den gelehrten, frommen und verständigen Mann, den Schulmeister Dominicus Zili, welcher auch zusagte unter der Bedingung, daß sich Keßler gleichfalls zur dritten Abwechslung verstehe. Dieser willigte endlich ein. Die Metzg aber, wie weit und breit sie war, wurde doch von der Menge der Bürger durch alle Winkel ausgefüllt, so daß man ängstlich ermaß, wie gefährlich es bei Ausbruch eines Feuers wäre, in einem Hause versammelt zu sein, da nicht mehr denn eine Treppe wäre, durch welche man in Eile nicht ohne Schaden möchte hinabkommen. Zudem hatte das Haus großen Ungunst und Aufsatz von den Päpstlern auf sich geladen, als ob darin in den Winkeln Unzucht getrieben würde; darum wandte sich ein großer Theil der Bürgerschaft an den Rath mit der Bitte, daß man ihnen eine Kirche vergönne. Dieser gestattete, daß man in der Pfarrkirche zu St. Lorenzen die Lection halte, und am kommenden Sonntag den 2. Februar 1525 ward zum ersten Mal von ungeweihten Personen wider alle Gewohnheit in der Kirche gelesen und gelehrt. Diese Lesung verwandelte sich später in die s. g. Frühpredigt, die bis zu Anfang des neunzehnten Jahrhunderts unter dem Namen Läse jeden Sonn- und Feiertag Morgens um fünf Uhr zu St. Laurenz abgehalten wurde.

4. Der Rath entscheidet sich.

Je mehr die reformatorische Bewegung in der Stadt St. Gallen Eingang fand, desto mehr wurde der Rath zu einer Entscheidung hingedrängt, schon um den bürgerlichen Frieden seiner Unterthanen zu erhalten, dann aber auch um der Bewegung Herr zu bleiben und die Reformation nicht zur Revolution ausarten zu lassen. Während laut gegen den Greuel des Papstthums gepredigt wurde, war an den päpstlichen Ceremonien noch nichts geändert. Als Stützen der römischen Kirche standen an der Pfarrkirche zu St. Laurenzen noch immer drei Terminirer (Bettelmönche), ein Barfüßer, ein Prediger und ein Augustiner, die nach gewohnter Weise im Predigen und Messelesen fortfuhren. Schon war es des Oefteren auf den Straßen zu heftigen Auseinandersetzungen gekommen; die Priester wurden vom Erstenbesten, der ihnen begegnete, über die Schriftmäßigkeit ihrer Lehre zur Rede gestellt. Um dieser Unordnung zu steuern, ohne den Zuhörenden das Urtheil zu benehmen, ernannte der Rath eine eigene Kommission von vier Schiedleuten in Religionsangelegenheiten, damit bei ihr Jeder seine etwaigen Bedenken und Klagen vortragen und Belehrung erhalten möge, ohne ferner ein Gespräch auf der Gasse anzustellen. Wer aber fernerhin einen Priester zu Rede stelle oder schelte, der sollte nach Verdienst gestraft werden. Zu Schiedsleuten wurden aber nur evangelisch Gesinnte gewählt, nemlich Pfarrer Burgauer, Helfer Wetter, Rathsherr Vadian und Stadtschreiber Fechter.

Am 5. April 1524 erließen Bürgermeister und klein und groß Räthe der Stadt St. Gallen das erste Mandat, betreffend den jetzt schwebenden evangelischen Handel. Dieses lautete: „Dieweil zu diesen Zeiten viel und mancherlei Zwiespaltungen lehren, so dem christlichen Volk unter dem Namen des Gottesworts verkündet, daraus mancherlei Aergerniß, auch Verwirrungen der Gewissen, daraus zu besorgen Zerrüttung brüderlicher Liebe und demnach allerlei Zank und Neid und Unwill verursacht möchten werden, Solches fürzukommen, sondern die Lehr des Allmächtigen, auch Liebe des Nächsten zu uffnen, ist eines großen Raths der Stadt St. Gallen ernstliche Bitt und Meinung, daß ihre Seelsorger und Prädikanten in ihrer Pfarrkirche nun fürohin an den Kanzeln nichts predigen und dem Volk verkündigen, denn das heilige Evangelium hell, klar und nach rechtem christlichem Verstand, ohne Einmischung menschlichen Zusatzes, der aus biblischer Geschrift nicht gegründet ist, und sie nicht mit dem Evangelio und biblischer Geschrift erhalten und beweisen mögen; doch dabei vermeiden und unterlassen alle Schmutzreden und Stupffung, so zu Bewegung der Obrigkeit reichen mögen, sondern allein das sagen, so zu wahrer Ehr Gottes, auch zu Beruhigung der Gewißheiten dienet, dazu was in Gottes Lieb und des Nächsten leitet. Deßgleichen daß die Beichtväter ihre Kinder getreulich unterrichten und ihnen überall nichts fürhalten noch lehren, das der Lehr der Seelsorger widerwärtig sei; denn welcher dawider handelte und thäte, dem würde Solches nicht nachgelassen sondern begegnen nach Gestalt der Sachen, daß er sollt wollen, er wär müßig gangen. Item und ob Einer der Prädikanten oder Seelsorger in ihrer Pfarrkirche an der Kanzel etwas predigte, und Jemand, er wäre geistlich oder weltlich, vermeint würde, daß Solches wider das Evangelium und biblische Geschrift wäre, so soll doch Niemand so frevel oder grob sein, daß er Solches weder öffentlich in der Kirche widerspreche, noch darnach den Prädikanten unter Augen verweise, oder sonst ein Geschrei daraus mache, sondern zu Vermeidung von Unruh und Widerwärtigkeit, so daraus möchte erwachsen, sind verordnet vier Mann, zu denen soll und mag er gehen und denselben Solches vorhalten. Die sollen dann denselben beschicken, so beschuldigt wird, verhören und demnach in der Sach handeln nach Gestalt der Sach und ihrem Befehl. Denn welcher Solches übersehe und einen Prädikanten beschreit oder zu Red setze, den wird man darum strafen nach seiner Beschuldigung. Item als dann aus den Lehren und Predigten zu dieser Zeit mancherlei ungleicher Verstand und Meinung gewachsen, daß Einer Dieses, ein Anderer ein Anderes halten und glauben will, dadurch zu Zeiten mit unbehutsamen Worten in einander wachsen, einander grobe oder unleidliche Scheltworte geben, Ketzer, Buben u. dergl. schelten, daraus groß Zwietracht, Zerwürfniß und Aufruhr erwachsen mögen: Solches zu verhüten, hat ein ehrsamer großer Rath verboten, daß hinfür Niemand nirgends in der Stadt und Gerichten, weder geistlich noch weltlich, Mann noch Frauen, jung noch alt, den Andern weder Ketzeren, bös Christen, Schelmen, Buben oder dgl. schelten noch heißen soll, weder unter Augen noch hinterrucks, zu Buß ein zwei Pfund Pfennig, so oft das geschieht, unablaßlich zu geben, und ob Einer den Andern unter Augen so frevenlich einen Ketzer, bösen Christen, Schelmen oder Buben Sachen halb den Glauben betreffend schelte und daraus ein Zerwürfniß. es wäre mit Schlagen, Messerzucken, Hauen oder Stechen geschehe, soll der, der den Anderen Ketzerey, geschelmet und bubet hat, Anfänger sein und die Buße nach der Stadt Recht und dazu die zwei Pfund Pfennig vonwegen der Scheltworte ausrichten.“

Gleichzeitig erließ der Rath den Anfang einer Zuchtordnung, betreffend das Schwören, Gotteslästern und Zutrinken, dadurch der allmächtig Gott großlich entehrt, gelästert und dadurch zu schwerer Straf, nicht allein die das thun, sondern auch die Obrigkeit, die Solchem mit strenger Strafe nicht fürkommt, geursacht wird. Ebenso erging eine Verordnung, „betreffend den gemeinen Stock in der Kirche, Sammlung und Austheilung gemeinen Almosens“. Der Katholizismus hatte wie überall so auch in St. Gallen den faulen und unverschämten Bettlern allen Vorschub geleistet. In der reichen Stadt trieb sich eine Menge Landstreicher und fremder Bettler herum, die unter dem Privilegium der Armuth allerlei Bubereien verübten und den würdigen Armen ihre Unterstützung entzogen oder minderten. Kranke und mit eckelhaften Gebrechen Behaftete saßen und lagen, mehr den Eckel als das Mitleiden der Vorübergehenden erweckend, vor den Kirchthoren und an den Straßenecken, und Kinder mußten häufig selbst bei harter Kälte sich für die Nacht auf offener Straße ein Lager suchen. Klein und groß Räthe verordneten nun, es solle in der St. Laurenzenkirche ein Stock aufgestellt werden, worin Jedermann seine Almosen einlegen könne. Zwei Rathsglieder sollten ferner mit dem Säckle in der Kirche herumgehen und den Ertrag der Collekte ebenfalls in den Stock legen; die Prediger aber sollten das Volk vermahnen, um Gottes und brüderlicher Liebe willen den Armen mit mildreicher Hand beizustehen. Mit der Verwaltung und Austheilung des Armengelds wurden vier Rathsmitglieder betraut. Sobald die neue Einrichtung ins Leben getreten war, wurde allen armen Bürgern verboten, daß weder sie noch ihre Kinder vor den Kirchthüren und Häusern mehr betteln noch in die Spenden gehen, sondern sich mit dem begnügen sollen, was sie wöchentlich je am Freitag auf dem Rathhaus aus dem Stock erhalten werden. Benachbarten Armen ward wie bisher gestattet die Spenden zu besuchen und vor den Häusern zu betteln, dagegen sollte ihnen aus dem Stock keine Unterstützung zu Theil werden. Landfremde Bettler sollten gar nicht mehr geduldet werden, sie mögen über Nacht im Seelhause Herberge haben, des Morgens zwei Kreuzer empfangen und dann ein halbes Jahr sich nicht mehr sehen lassen, bei Strafe nach Umständen. Der armen Schüler wegen ward verordnet, daß der Stadtschulmeister nicht mehr als zehn bettelnde Schüler beibehalten solle, welche man aus dem Stock unterstützen werde, damit sie nicht vor den Häusern betteln; er solle sich aber befleißen, die inländischen Schüler zu erhalten und Ausländer fahren zu lassen.

Es war dem Rath auch Ernst, seinen Mandaten allen Nachdruck zu geben. Zwei Bürger, die auf dem Kirchhof Weihwasserstöcke umgeworfen hatten, wurden mit achttägigem Gefängniß bestraft und zum Schadenersatz angehalten. Vier andere, die in der Nacht ein Bildhaus auf Kugelmoos geplündert hatten, wurden sammt dem Eigenthümer, der im Scherz bedingte Erlaubniß zur Wegtragung der Bilder ertheilt hatte, jeder um fünf Pfund Pfennig gestraft. Fünf angesehene Bürger, welche bei der Fronleichnamsprozession ihre Ablaßbriefe vor die Fenster gehängt hatten, wurden gleichfalls zur Strafe gezogen. Nicht das Aufgeben des Alten, wohl aber die Auswüchse des aufkommenden Neuen hinderte der Rath. Noch war bisher von allen Priestern Messe gelesen worden; aber mit Anfang des Jahres 1525 erklärte der Pfarrhelfer Wetter öffentlich, daß er es nur noch aus Schonung der Schwachen und zur Vermeidung eines Aufruhrs gethan habe; nun aber scheine es ihm unvereinbar, wider diesen Mißbrauch zu eifern und denselben doch zu handhaben; er unterlasse darum die Messe von nun an und wolle lieber die Päpstler ärgern, als die Gläubigen an Gottes Wort. Unterdessen fuhr Pfarrer Burgauer mit den meisten übrigen Priestern noch ein paar Monate mit Messelesen fort, bis ihm ein anonymer Brief zukam, in welchem er gewarnt wurde, sich nicht länger der aus dem Messelesen drohenden Gefahr auszusetzen. Dieser schüchterte ihn ein, und die übrigen Meßpriester zogen sich von dieser Ceremonie nach und nach auch zurück, so daß die Messe ohne weltlichen Befehl abgeschafft wurde. Der Rath selbst wollte überall nichts Anderes sein als der Vollstrecker der öffentlichen Stimmung, welche er aufs Sorgfältigste erkundete, um darnach sein Thun und Lassen einzurichten. Der oben gemeldete Vorgang mit Plünderung der Bilder gab ihm Anlaß, alle Bilder und Bildstöcke, so hin und her auf den Straßen, unter den Brunnen und an den Häusern aufgerichtet und angenagelt waren, abbrechen und zerstören zu lassen. Auch ward den Kirchenpflegern aufgetragen, aus der St. Laurenzenkirche unvermerkt Tafeln und Bilder wegzuschaffen. „Von wegen solcher Aenderung, sagt Keßler, hat eine Stadt von etlichen Orten und fürnemlich Luzern, Uri, Schwyz, Unterwalden und Zug viel Drohung erdulden müssen, aber allweg mit Gottes Beistand und Behilf und Trost der Wahrheit tapfer hindurchdrungen.“

Auch in Betreff der Klöster erging der Anstoß nicht vom Rath, sondern von der Bürgerschaft. Zwar hatte jener schon im Jahr 1524 die Klosterfrauen zu St. Katharina und St. Leonhard vermöge des Territorialrechtes und weil sie meist Bürgerkinder waren, auffordern lassen, daß sie über ihr zeitliches Vermögen Vögte von ihm annehmen, ihre Väter (Visitatoren) verabschieden und sich bei diesen bedenklichen Zeiten gänzlich unter seinen Schutz und Schirm begeben möchten; aber die Nonnen versuchten mit aller Weiberlist auszuweichen. Endlich erhob sich unter der Bürgerschaft ein Gemurmel, wie ungehorsam die Nonnen der Obrigkeit seien, und ein aufgeregter Volkshaufe glaubte ungestraft an ihnen Frevel ausüben zu dürfen. Eine lose Menge zog in der Fastnacht vor das Kloster St. Leonhard, forderte Essen und Trinken und warf, als sie nicht eingelassen wurde, unter Schimpfreden und Drohungen die Fenster ein. Noch schlimmer machten es am Abend des Palmsonntags Andere, deren Anführer sogar ein Zunftmeister war: anfänglich begehrten sie gegen Bezahlung Wein, und da er ihnen verweigert wurde, verlangten sie Einlaß in das Kloster, um die Väter zu suchen, weil sie wissen möchten, Wen die Nonnen als ihre Obern anerkennen, weil sie der Stadtobrigkeit nicht gehorchen. Die Zahl und Zügellosigkeit der Lärmenden wuchs immer mehr. Endlich stiegen sie über die Mauern, sprengten die Hausthüre ein, tobten durch das ganze Kloster und zerschlugen Alles, was ihnen von Schränken und Kästen nicht sogleich geöffnet wurde. Eine der Schwestern läutete Sturm: Alles vergeblich. Etwa 300 Männer und mehr als 60 Weiber forderten Essen und Trinken und tranken den guten Nonnen innerhalb zwei Stunden wohl drei Saume ihres besten Weines weg. In der Trunkenheit zerschlugen sie die Fenster, packten Garn und Hausgeräthschaften ein und berathschlagten sich, die ganze Nacht im Kloster zuzubringen. Endlich konnten die Nonnen um Hilfe zu dem Bürgermeister senden, der sofort den Rath versammelte und den Unterbürgermeister Müller und den Rathsherrn Doctor von Watt hinsandte, um Ruhe und Ordnung herzustellen. Am nächsten Rathstage wurde der Zunftmeister, der sich bei dem Angriff betheiligt hatte, mit scharfem Verweis seiner Stelle entsetzt, den Nonnen aber ward angesagt, daß sie um des Sturmläutens willen den Schaden selbst zu leiden hätten; auch wurden sie gefragt, ob sie zwei Vögte annehmen wollten, widrigenfalls sie die Stadtgerichte zu räumen hätten, da sich die Obrigkeit um ihrer willen keinem solchen Auflauf mehr aussetzen wolle. Sie willigten in die Bevogtung mit der Bitte ein, daß man sie in ihrem geistlichen Leben und Herkommen verbleiben lasse. Kurz darauf wurden alle Zünfte versammelt und bei Strafe von 24 Pfund Pfennig verboten, weder dem Kloster und den Schwesterhäusern, noch irgend einem Priester etwas zu Leide zu thun. Wer dawider handelte, solle zu seinem Leib und Leben gegriffen werden.

5. Wie Doctor Joachim von Watt auf einem Tag zu Zug (1524) ist mißhandelt worden.

Wie sehr auch auswärts Vadian als die Seele der ganzen reformatorischen Bewegung seiner Vaterstadt betrachtet und darum von den Feinden des Evangeliums gehaßt und bedroht wurde, mag folgender Bericht, den Keßler in seiner Sabbatha gibt, zeigen:

„Wie in diesen Tagen St. Gallen sammt den anderen Orten gemeiner Eidgenossenschaft auf einen Tag, gen Zug angestellt, verschrieben wurde, ist durch unseres ehrsamen Raths Botschaft, nemlich aus besonderer Freundlichkeit und Weisheit Herr Doctor Joachim von Watt und Unterbürgermeister Andreas Müller gehorsam erschienen. Nun war aber dieser ehrwürdige Herr Doctor bei etlichen vorgenannter Orte Rathsboten als Hauptketzer, aus welches Rath und Anschlag alle Dinge bei uns und an mehr Orten geregiert würden, zudem ein Präsident auf der Disputation zu Zürich und treffenlicher Handhaber und Verfechter Zwinglischer Ketzerei verunglimpft und verläumdet, derhalben sie gegen ihm in hitzigem Eifer verbittert und entzündet sind worden. Demnach er auch auf diesem Tag seinen Befehl zugleich anderen auszurichten fürnahm, mochte er kaum seinen Mund aufthun, sind Etliche (ich will sie nicht nennen) gegen ihn aufgewüscht und ob gemeldeter Verunglimpfung Scheltwort vorgeworfen; aber vonwegen zorniger Unbescheidenheit und Frevel mocht ihm Verantwortung nicht gestattet werden, sondern ein guter Gönner hat ihn bei dem Rock erwüscht und zu der Thür aus begleitet. Indem ist ihm Einer begegnet auf dem Weg gegen der Herberg, ein besonderer guter Freund und Gönner, der ist ihm helflich worden, wie er ihn möchte still und heimlich davon bringen, denn er sie nicht wollte den Stallknechten, so der Herren Willen wissen und zuvor ihn mit unbescheidenen groben Liedlein übersungen hatten, in der Herberge vertrauen. Haben nicht Sicheres finden mögen, denn daß er Stiefel und Sporn, Roß und Wadt, damit man sich keines Abschaids zu ihm versehen möchte, in der Herberge bleiben lassen, sind mit gewachem Tritt durch die Stadt gangen, sam sie spazieren und die Gebäude sehen, und im selben vor das Thor und alsbald in ein stainig Gassen ab der Straß über den Berg ausgestiegen; und wiewohl der Herr Doctor groß und faist, schwer und laistig, doch ward er über die Haag zu klimmen, durch die Berg staigen gar ruhig und freudig. Nun war es gar ein Regentag und ganz unlustig zu wandeln, wissen nicht, wo sie wieder an die rechten Straßen kommen oder wo sie ereilet und verkundschaftet würden. Indem begegnet ihnen ein Bauersmann, tragend eine Axt über den Achseln, und damit er keinen Argwohn ob ihnen empfahen möchte, warum sie zu Fuß und in solchen Abweg treten wären, sprachen sie: Es wäre ihnen angezeigt, wie der Abt von Kappel hübsche Pferde habe, die wollen sie besehen und ihm die, ob sie ihnen gefielen, abkaufen; er wolle ein gut Trinkgeld nehmen, wenn er sie bis gen Kappel auf rechter Straße (dann sie verirrt seien) leiten wolle. Da der Bauer von dem Trinkgeld sagen hört, ward er munter und gutwillig. (Wie ich diese Historie von Herrn Doctor hört mündlich sagen, sprach er mit lächelndem Munde: Ich vermaint, der Bauer wollte mich mit der Azt an den Kopf schlagen.) Als sie ganz naß von Regen gen Kappel kommen, sind sie von dem Herrn Abt freundlich empfangen und sich ob solchen unerwarteten Gästen verwundert und sie mit seinem Gewand bekleidet. Ohnlang darnach ist eine Red ausgegangen, wie diese Meßhändler haben fürgenommen, wo ihnen der Herr Doctor in ihre Hände worden wäre, sie wollten ihm doch die Ohren abgehauen und Naslöcher geschlitzt haben. Aber der Herr Doctor nach seiner angebornen Güte und christlicher Geduld hat er solch gefahrliche Mißhandlung gegen seinen Herren nicht aufs Höchst (größere Unruh zu vermeiden) klagender Weis wollen anzeigen, sondern ihrer Unwissenheit zugernhabt. Ja, als nach etlichen Monaten aus gewissem Anlaß Ewige von den Fürnehmsten aus denselbigen in unsere Stadt kamen, hat sie Vadian freundlich gegrüßt und mit Führen unter den Armen, auch in andere Weg geehrt, größere Unruh zu vermeiden und neue Freundschaft zu pflanzen.“

6. Die Wiedertäufer.

Noch ehe die evangelische Partei in St Gallen sich in sich selbst fest gesammelt und in bestimmten Lehrsätzen und Kirchengebräuchen sich einen bestimmten Ausdruck gegeben hatte, drohte ihr im Innern tödtliche Zerklüftung. In Zürich hatte sich der Zwiespalt zum ersten Mal bei dem Gespräch des 26. Octobers 1523 kundgegeben, und der, welcher ihn erregte, war der frühere begeisterte Schüler, der jetzige Schwager Vadians, der geistreiche und hoffnungsvolle Humanist Conrad Grebel, der erst seit Kurzem begonnen hatte, sich mit theologischen Fragen zu befassen. Grebel hatte sich leider nicht, gleich seinem Schwager, noch zu rechter Zeit von den Ausschweifungen eines wilden Studentenlebens losgerissen, sondern in ihnen das Maß und die Ruhe des Geistes eingebüßt, Krankheit und Todeskeim von der Universität mit nach Hause gebracht. Außer der Begier nach schrankenlosem Lebensgenuß beherrschte ihn maßloser Ehrgeiz, und das Mittel zu dessen Befriedigung fand er in einem auf das kirchliche Gebiet übertragenen Radicalismus. So wurde er der Züricher Carlstadt. Zwingli ging ihm nicht weit genug; er wollte ihn überbieten und überholen. Schon bei dem genannten Gespräch hatte er die Vermischung des Abendmahlsweins mit Wasser, den Gebrauch des ungesäuerten Brods, den Empfang des Abendmahls aus den Händen des Priesters als Mißbräuche bezeichnet, die zu beseitigen seien. Damals wurden die Streitpunkte als unerheblich bezeichnet; aber der Zwiespalt lag tiefer. Für Grebel und seine Anhänger war die Zwinglische Reformation nicht biblisch genug; Zwingli binde, sagten sie, und verkehre das Wort Gottes. Vollends unerträglich dünkte ihnen, daß Zwingli dem Rath die Entscheidung anheimstellte, statt dem Geiste Gottes. Eine Anzahl andächtiger, schwärmerisch erregter Handwerksleute verband sich mit Grebel, um mit der Bibel in der Hand von allem alten und neuen Kirchenwesen, von allem Buchstabendienst, wie sie es nannten, sich loszusagen und nach dem Vorbild der apostolischen Gemeinden ein unschuldiges heiliges Gottesvolk zu sammeln. Je mehr sie sich in die Anschauung der apostolischen Gemeinden versenkten, desto radikaler brachen sie mit allem Bestehenden. Sie fanden, daß die Apostel und deren Schüler nichts von Zins und Wucher, von Zehnten und geistlichen Pfründen wissen, darum verwarfen sie dieses Alles und richteten Gütergemeinschaft auf. Die ersten Christen führten kein obrigkeitliches Amt, noch brauchten sie das Schwert, darum galt ihnen alle weltliche Regierung, aller Gebrauch der Gewalt und des Schwertes unter Christen unstatthaft. Mit großer Nachsicht verfuhr man in Zürich gegen die neue Sekte, bis die Verwerfung der Kindertaufe bei ihr fester Grundsatz geworden und durch die Weigerung mancher Eltern, ihre Kinder taufen zu lassen, der Gegensatz der Lehre zur unverhüllten Auflehnung gegen die Zwinglische Staatskirche gediehen war. Am 18. Januar 1525 ward eine feierliche öffentliche Disputation mit den Wiedertäufern gehalten und nachdem Zwingli gesiegt, erfolgte alsbald das Gebot der Kindertaufe bei Strafe der Landesverweisung. Die Verfolgung machte sie, die bisher blos wider die Kindertaufe gewesen waren, zu eigentlichen Wiedertäufern, die damit anfingen, sich selbst von einander taufen zu lassen. Durch die Behauptung von der Nothwendigkeit der Wiedertaufe, welche selbst Münzer nicht aufzustellen gewagt hatte, ward der gesammten Christenheit die Christlichkeit abgesprochen, das letzte Band mit Vergangenheit und Gegenwart zerschnitten. Zwingli, der selbst eine Zeit lang der Kindertaufe abgeneigt gewesen war, mußte durch diesen Schritt erst vollends der erklärte Gegner der Sekte werden. Während aber in Zürich durch evangelische Belehrung, durch Kerker und Geldbußen der täuferischen Bewegung Einhalt gethan wurde, verbreitete sich durch die vertriebenen und flüchtigen Brüder Lehre und Taufe in der Nachbarschaft. Neben Waldshut und Schaffhausen hatten sie es zunächst auf St. Gallen abgesehen.

Ein Anhänger Grebels, der Weber Laurenz Hochrütiner, war, als er gegen Ende des Jahres 1523 wegen Bilderfrevels aus Zürich verbannt worden, nach seiner Heimath St. Gallen gewandert und hatte die Sekte dahin verpflanzt. Als Keßler bei einer seiner Vorlesungen aus Veranlassung des Textes Röm. 6. der Kraft des Wortes Taufe und seiner Bedeutung gedachte, hub Hochrütiner seine Stimme auf und hieß ihn mit den Worten schweigen: Ich vermerk aus deinen Worten, daß du meinst, man möge die Kinder taufen. Dieses Mal ward der Streit noch geschlichtet; aber kurze Zeit darnach brachte Hochrütiner einen Brief C. Grebels zur Kenntniß der Brüder, in welchem dieser „Erzwiedertäufer“ erklärte, alle Reden Keßlers über die Taufe wären des Teufels, und die Brüder sollten sich ernstlich vor ihm hüten. Also kam eine Spaltung unter die Brüder, gesteigert durch den Uebertritt Wolfgang Schorants zu den Täufern. Dieser Mann wanderte nach Schaffhausen, um von Grebel in die neue Lehre eingeweiht zu werden und die Taufe zu empfangen; er kam (nach Keßlers Worten) in so hohe Erkenntniß des Wiedertaufens, daß er nicht wollte mit einer Schüssel mit Wasser allein begossen, sondern ganz nackend und bloß hinaus in den Rhein von dem Grebel untergedrückt und bedeckt werden. Als er wieder heimgekommen, rühmte er sich großer Heimlichkeiten und Offenbarungen, die ihm auf der Fahrt begegnet wären „derhalben viel Brüder ganz hitzig und durstig wurden, zu verhören, was doch könnte sein.“

Am 18. März 1525 versammelte sich eine große Menge der Brüder auf der Weberstube am Markt, der Meinung, den Wolfgang Ulimann zu bitten und berufen, ob er dem Dominico Zili Schulmeister wollte helfen die Lection in der Kirche zu versehen, ob man den Grund der Seligkeit möchte erfahren. Er aber bald auftrat da mitten in der Stuben unter die Brüder und sprach mit heller Stimme: „Der himmlische Vater hat mir eingegeben, ich soll sein Wort nicht in der Kirche verkünden an der Kanzel (es waren damals noch die Bilder in der Kirche), denn daselbst ist je keine Wahrheit gesagt, noch mag da keine gesagt werden. Wo man ihn aber sonst begehret, es sei am Markt oder auf dem Brühl, wolle er willig sein zu offenbaren, was sein himmlischer Vater ihm offenbare. Acht Tage darauf erfolgte Grebels Ankunft, der nach jubelndem Empfang zur Sitter voranging und öffentlich die Taufe ertheilte. Grebel reiste zwar bald wieder ab; um so entschiedener predigte nun Ulimann und nannte die Obrigkeit Heiden, so sich wider Christum auflehnten. Unmöglich konnte der Rath dem Unfug länger zusehen: schon standen die evangelischen Kanzeln fast einsam, während die Gemeinde der Getauften, die sich um Ulimann und Andere zum Brodbrechen und zur Erbauung versammelte, auf achthundert St. Gallische Einwohner anwuchs, und man täglich Leute aus Appenzell und dem Gebiet des Abts nach dem neuen Jerusalem kommen und um ihr Heil besorgt die Taufstätte aufsuchen sah. Da entbot sich Vadian vor einem Rath mit göttlicher Geschrift beizubringen, wie der Wiedertäufer Ordnung und Brauch zu predigen wäre ein unordentlicher Frevel, wider der Apostel Brauch und Lehr und ohn allen christlichen Beruf aus eigener Wahl fürgenommen, und stellet seine Gründe in Geschrift. Da entboten sich die Wiedertäufer, ihre Antwort auch in Geschrift zu verfassen. Also ward beider Parteien Vortrag einem ehrsamen großen Rath geschriftlich überantwortet. Die Wiedertäufer aber vermeinten mit ihrer Antwort des Herrn Doctors Geschrift ganz verlegt und gestürzt zu haben und fingen an die Sache gewaltig in die Hand zu nehmen.

Es war dem Magistrat nicht zu verdenken, daß ihn die Wiedertäufer in große Verlegenheit brachten. Er mußte sich wohl fragen, ob ihm das Recht zustehe, den Täufern in den Weg zu treten? Die religiöse Begeisterung, die unverkennbar aus ihrem Thun hervorleuchtete, gebot Achtung, während die schwärmerischen Ueberschwänglichkeiten mindestens Furcht vor den Folgen eines gewaltsamen Widerstandes erweckten. Vor Allem konnten sich die Wiedertäufer darauf berufen, daß über die Statthaftigkeit der Kindertaufe bei dem Mangel eines unzweifelhaften biblischen Zeugnisses unter den Evangelischen selbst Ungewißheit und Schwanken herrsche. Außerdem gebot die Unsicherheit der öffentlichen Zustände Vorsicht und lähmte überall den Arm der Obrigkeit. Man lebte in der Zeit des Bauernkrieges, und wenn auch Täuferei und Bauernaufruhr keinen bewußten Zusammenhang hatten, so wurde doch durch die Ohnmacht der Obrigkeiten das Wirken der Täufer wesentlich befördert und beschützt. Unter diesen Umständen war es von höchster Wichtigkeit, daß der von Vadian um Hilfe angesprochene Zwingli aufs Entschiedenste gegen die Sekte austrat, bei welcher es sich, wie er erklärte, nicht sowohl um die Taufe, als um die Spaltung und Ketzerei handle. Zwingli schrieb jetzt seine Schrift „vom touf, vom widertouf und vom kindertouf“ mit einer Zuschrift an die Gemeinde zu St. Gallen vom 27. Mai 1525. Er sagt im Eingang derselben: „Mich bedauret sehr das Ungewitter, das bei euch in die Blust des aufwachsenden Evangelii gefallen ist. Verwunder mich aber nit fast darob, denn der Feind thut ihm nit anderst; wo Gott je und je sein Wort geöffnet, hat er seinen Unsamen darunter gesäet.“ Am Schluß schreibt er: „Hierum, fromme, weise Herren und Brüder, wie ihr bisher in weltlicher Weisheit wohl berühmt seid und mancherlei Betriebsamkeit, also sehet zu dieser Zeit, da uns der Teufel also anficht, daß, wo das Schwert nicht hinkommen mag, er es mit Zwietracht der äußerlichen Dinge versucht, ja sehet auf alle Wind und Weg, daß euch Niemand das Evangelium zwieträchtig mache. Denn es sind viel Christen, die um irdischer Dinge willen als viel erleiden mögen, als eure Kaufleute um Guts willen; ich geschweig der Verloffenen, die damit Unterschleif suchen bei den Einfältigen und wollen aber deß kein Wort haben, sondern brauchen zum Vorwand all ihrer Untreue das Gottswort, das aber nit ein Geschwätz ist, sondern ein Leben. Seid auch unverzagt; die letzten Täufer werdens nit erobern; es ist nicht aus Gott; denn es vor tausend Jahren auch nicht hat mögen überhand nehmen. Verstehet mein Schreiben im Besten. Lasset uns Gott für einander bitten. Der bewahr euch gnädiglich.“ Diese Schrift Zwinglis gab beim Rath und den evangelischen Predigern in St. Gallen den Ausschlag. Anfangs hatte der Rath die Täufer eingeladen, gemeinsam mit den übrigen Bürgern auf der Wahlstatt religiöser Erörterung und Bibelerklärung, in der Laurenzkirche zu erscheinen und ihre Predigten dem Urtheil der vier evangelischen Schiedsmänner zu unterwerfen. Dann wurden Ulimann und Andere unter Drohungen und Bitten aufgefordert, bis man über die Sache ins Klare komme, von Taufen und Brodbrechen abzulassen: – halbe Maßregeln, die zu nichts dienten, als die Schwäche der unschlüssigen Obrigkeit aufzudecken, die Täufer zu maßlosem Schelten gegen dieselbe aufzufordern. Aber kaum hatte Dominikus Zill das Buch Zwinglis erhalten und gelesen, als er sich in einer Predigt erbot, er wolle auf den Abend einer ganzen Gemeinde dasselbe vorlesen, sollen auch dabei die Widertäufer erscheinen und Antwort geben auf den Grund, ob sie die mit Wahrheit hl. Geschrift fällen mögen. Auf den Abend versammelte sich Bürgermeister sammt Rath und Gemeinde in der Kirche zu St. Laurenzen, wurden auch dazu berufen und gehalten die Wiedertäuferlehrer, welche sich hinten in die Kirche auf die Empore stellten. Wie nun Zili anhub, Einiges in dem Buch zu verlesen, so erhub Ulimann seine Stimme, laut schreiend: O mich erbarmet, das arme hie gegenwärtige Volklet durch solch Buch verführt werde; hör auf lesen, sag uns Gottes und nicht Zwinglis Wort! Es mochte auch nichts helfen, als Zili sprach: Lieben Brüder, es sind nicht Zwinglis noch keines Menschen Wort, sondern Grund aus Gottes Wort. Die Täufer drangen hart, er sollte das Buch von ihm legen. In solchem Span hub an zu reden der Herr Bürgermeister, zu der Zeit Christian Studer: Dominice, du sollst das Buch fortlesen, und sie sollen auf die Grund und Geschrift Antwort geben. So sprach ein anderer Wiedertäufer: Wir warten auch auf eine Geschrift von dem Bruder C. Grebel; so wir die erlangen, wollen wir auch Antwort geben. Sprach hierauf der Bürgermeister: Habet ihr auf der Schießhütten an den Grebel so freudig reden dürfen, so thut es hie auch! Da antwortete dieser: Wir haben hier einen Brief von dem C. Grebel an einen Bürgermeister und Rath, den wollen wir lesen, so hört männiglich, was sich Grebel wider den Zwingli entbietet! Sprach der Bürgermeister: Habet ihr Briefe an uns verschlossen, warum überantwortet ihr denn nicht die? Ihr sollt sie uns in die Hand reichen und nicht lesen! Aber der Lärm ward immer größer; unverrichteter Dinge ging die Versammlung auseinander, die Täufer schreiend: Habet ihr Zwinglis Wort, so wollen wir Gottes Wort!

Gleichzeitig mit der Schrift Zwingli’s hatte Vadian einen Brief von seinem Schwager Conrad Grebel l5. Mai 1525) erhalten, folgenden Inhalts: „Heil und Friede sei mit dir in Gott, nicht in der Welt, damit sie im Herrn bestehen können. Für das, was du mir Gutes gethan hast, bin ich dir zu großem Dank verpflichtet, und wünsche und begehre, daß es dir reichlich vergolten werde von Gott dem Geber des Guten. Erwäge ich aber und kommt mir in den Sinn dein Streit gegen meine ächt christlichen Brüder, so gestehe ich offen und mit christlichem Freimuth, daß ich lieber einem Anderen als dir den Dank für das Gute, was mir ward, schulden möchte, damit ich dir ohne Schuld sagen könnte, was zu sagen wäre, was du zwar selbst weißt, aber dennoch dich dadurch nicht bestimmen lässest, eher der Stimme des Geistes ein freies Gehör zu geben als der Lehre des Fleisches. Ich sage es gleichwohl: Alle oder doch die größte Schuld trifft dich, wenn gegen Jene mit Gefängniß, Geldbuße, Verbannung oder Tod vorgeschritten wird. Hüte dich, hüte dich vor unschuldigem Blut! Unschuldig ist es, ob du es auch weißt und zugleich nicht weißt, ob du es willst oder nicht, es ist unschuldig: ihre Geduld, ihr Lebensende und der große Tag des Herrn wirds zeigen. Zu deinem Verderben bist du so hoch in der heiligen Wissenschaft, in Würde und Ansehen deiner Stadt gelangt, wenn du nicht umkehrst und deinen Sinn änderst, ich rufe Himmel und Erde zu Zeugen. Erlaube mir, daß ich dir sage, was bei Christus unserem Herrn und Heiland in der Wahrheit wahr ist. Ich werde, so es der Herr erlaubt, bis in den Tod die Wahrheit bezeugen, in welcher Jene wahrhaftig sind und du sein könntest. Ich weiß, was dich drückt, der Wucher nemlich oder deine fleischliche Weisheit oder die Partei des in diesem Punkt der Wahrheit feindlichen Zwingli. Stürze dich nicht ins Verderben. Täuschest du hier die Menschen, so bist du doch nicht verborgen vor dem Herrn, dem Herzenskündiger und gerechten Richter. Verzichte lieber auf Zinse und Wucher, traue Gott, demüthige dich, sei mit Wenigem zufrieden, zieh dich von der blutdürstigen Rotte eines Zwingli zurück, flüchte dich von deiner eigenen zur himmlischen Weisheit, damit du ein Thor der Welt, ein Weiser Gotte werdest, werde ein Kind, sonst kannst du ins Reich Gottes nicht eingehen. Warum glaubst du dem Zwingli nicht auch zu deinem Heil, der gemäß dem klaren Bibelworte (Psalm 14. Ezech. l8.) offen erklärte, das Zinsenehmen führe zur Verdammniß, wie auch Papst Gregor IX. vom Tisch des Herrn den ausschloß, der über Gebühr etwas vom Schuldner fordere. Willst du nicht zu den Brüdern halten, so widerstehe ihnen wenigstens nicht, damit du eher Entschuldigung finden könnest, und gib nicht andern Städten das Beispiel der Verfolgung. Ich bezeuge dir bei meinem Glauben an Christus, bei Himmel und Erde und Allem, was darin ist, die untrügliche Wahrheit, daß ich dich also nur aus Liebe zu dir ermahnt habe. Darum beschwöre ich dich bei Christus, daß du meine Mahnung nicht verachtest, sondern ängstlich sorgst, daß dir dieses zur Besserung, nicht aber zum Zeugniß gesagt sei. Gibst du nach, so will ich mein Leben für dich einsetzen; gibst du nicht nach, so will ich es für jene unsere Brüder gegen Alle, welche dieser Wahrheit widerstreiten werden, einsetzen. Denn ein Zeugniß für die Wahrheit will ich geben durch Dahingabe meiner Güter, nemlich meines Hauses, des einzigen Bcsitzthums, das ich mein nenne; ein Zeugniß will ich geben durch Gefängniß, Verbannung, Tod und ein geschriebenes Buch, wenns Gott nicht hindert; komme ich nicht mehr dazu, so werden alle Andern nicht schlafen. Du billigst die Lehre, Zwingli mißbilligt sie. Was wartest du noch, da du es schon vorher weißt? Wartest du etwa, um einen Deckmantel zu bekommen, auch die Lehre zu verfolgen und zu mißbilligen? Mein Vadian, warum leget ihr nicht in unserer Weise Zeugniß ab? Nur mit Gewalt und fleischlichem Arm handelt ihr, indem ihr die Schrift willkürlich gegen uns ausleget. Meinest du, wir seien wahnsinnig oder nicht nur von bösen Geistern, sondern von der ganzen Hölle besessen, wir, die wir bereit sind, Zeugniß abzulegen bis in den Tod, welchen Zwingli und Andere uns drohen, indem sie die Wahrheit in Lüge aufhalten?“

So ward Vadian noch zur eilften Stunde von seinem Schwager bestürmt, der früher mit der ganzen Innigkeit treuester Freundschaft ihm angehört hatte. Und in der That war Vadian der Lehre der Wiedertäufer nicht abgeneigt: er hielt die Kindertaufe mit Jenen für einen Mißbrauch, aber er wollte die Abstellung desselben und jede andere Verbesserung auf dem Weg allmähliger und regelmäßiger Reform erreicht wissen. Zudem war er gegen allen Gewissenszwang, wie er öfter aus seinem Wiener Aufenthalt erzählte, er habe dort einen alten Juden gesehen, der einen grausamen Mord begangen habe und dem der Richter die gelindeste Todesart zusicherte, wenn er an Christum glauben wollte, hingegen androhte, er werde auf einem Wagen durch die Stadt geführt, von Zeit zu Zeit mit glühenden Zangen gezwackt, dann vom Rade gebrochen und an einen Pfahl gespießt werden, wenn er auf seinem Judenthum verharre; lächelnd habe dieser alle Martern dem Abfall von seiner Religion vorgezogen! Und dennoch ging Vadian festen Schrittes gegen die Wiedertäufer vorwärts, damit die Stadt nicht Schaden leide. Am 5. Juni wurden die Schriften gegen und für die Wiedertäufer vor dem Rath verlesen. Darauf erging das Verbot des Taufens und des Brodbrechens; als Strafe für die Täufer wurde Gefängniß und Verbannung, für die Getauften eine Geldbuße bestimmt. Um die Ausführung zu sichern, berief der Rath zweihundert Bürger auf das Rathhaus und ließ sie schwören, Bürgermeister und Rath, die nichts Anderes verlangen, als Gotteswort zu handhaben, gewärtig zu sein und ein treues Aufsehen zu haben, wenn sie etwas in Wirthshäusern, auf den Gassen oder wo es wäre hören würden, das wider gemeine Stadt oder einen Rath wollte vorgenommen werden, solches dem Bürgermeister sogleich anzuzeigen und im Fall eines Auflaufs dem Rathhaus zuzueilen. Nur Einer weigerte den Eid und mußte mit Weib und Kind das Gebiet der Stadt räumen.

Hierauf begann die gewaltsame Unterdrückung der täuferischen Kirche zu St. Gallen, wiewohl noch immer mit großer Mäßigung. Mehrere, selbst Ulimann wurden gefänglich eingezogen, aber auf Fürbitte leicht wieder losgelassen. Bedingung war nur, daß sie sich des Taufens und Predigens enthalten oder Stadt und Gerichte meiden sollten. Schnell nahm die Sekte ab, und die neuen Formen, in denen sie noch auftrat, verloren sich rasch ins Maßlose und Ungeheure, so daß jene sich schnell selbst richtete. Nur ein kleiner Theil der Getauften hielt an Grebels einfachen Lehren fest; die Andern wurden durch schwärmerische Andacht und das hochmüthige Gefühl besonderer Begnadigung, mit dem ihre Einfalt sich erfüllte, zu Ueberschwänglichkeiten und selbst zu Greueln hingerissen. Es war ein seltsames Wesen, das noch geraume Zeit zu St. Gallen und in der Umgegend, im Appenzellischen, in der Stadt, Gerichten und unter den Gotteshausleuten herrschte und die zuschauende Bevölkerung mit Staunen und Schrecken erfüllte. Zuerst kam Hans Denk, der Nürnberger genannt, ein Mystiker, der nur zum Theil den Wiedertäufern angehörte, jedoch in ihrer Herberge einkehrte, ein Antitrinitarier, der in St. Gallen hauptsächlich gegen das obrigkeitliche Strafamt im Reiche Gottes und gegen die Lehre von den ewigen Höllenstrafen als mit der unendlichen Liebe streitend predigte. Auf ihn folgte Anton Kürsiner, der aus dem Züricher Gefängniß ausgebrochen in Tablat eine Gemeinde stiften wollte und von seinen Anhängern forderte, sie sollen vor offener Gemeinde ihre heimlichsten und ärgerlichsten Sünden erzählen, gemäß dem Spruch Jacobi, daß Einer dem Andern seine Sünde bekennen solle. Neben diesem zog ein Goldschmied im Appenzeller Lande herum, der auf Grund von Matth. 18, 3. ein kindisches Wesen und Gebahren forderte: seine Anhänger, besonders vom weiblichen Geschlechte, tändelten wie die Kinder, zogen Tannenzapfen an Faden auf dem Boden herum, weinten wie die Kinder über jeder Kleinigkeit und ließen sich dann wie diese mit Aepfeln und Süßigkeit trösten oder auch tüchtig ausschelten, und Jünglinge und Jungfrauen machten sich nichts daraus, den unschuldigen Kindern gleich ganz nackend zu erscheinen. Bald gingen sie in den Abgeschmacktheiten immer weiter: Die Weiber schnitten sich die Haare um die Ohren herum ab und wollten keine Flechten mehr tragen, indem sie sagten: weil sie mit ihren Haaren durch Hoffahrt gesündigt hätten, müßten sie solche als ärgerndes Glied von sich werfen. Um noch freier ihre Einbildung gewähren lassen zu können, verbrannten Andere sogar ihre Bibeln und Testamente, weil das Wort Gottes nicht in Buchstaben bestehe. Margaretha Hottinger, eine Vorsteherin der Sekte von Zollicon, gab sich selbst für Gott aus auf Grund des Spruches (Joh. 10, 34.): Habet ihr nicht im Gesetz gelesen, ihr seid Götter. Den höchsten Grad erreichte aber die Verrücktheit, welche wie eine Seuche Stadt und Land ergriffen hatte, in der furchtbaren That des Thomas Schugger, welche Keßler in seiner Sabbatha in folgender Weise erzählt: Hans Rüscher, genannt Schugger, ein achtzigjähriger Mann von Mühlcgg, hatte viel Söhne und Töchter, unter welchen Einer Thomas genannt, seines Berufs ein Lautenschläger, der gab sich aus für einen Propheten, predigte und lehrte von höherer Vollkommenheit, wie die, so in der Gelassenheit stünden, dermaßen gefreit wären, daß ihnen keine Sünde nichts schade, sondern seien durch den Tod hindurchgedrungen in die Freiheit, daß ihnen gleich gelte, was sie füro thun; ihr Thun und Lassen seien alle Werke des Vaters. Dieser Thomas Schugger hat unter anderen leiblichen Brüdern Einen, der hieß Leonhard, gar ein einfältig fromm Mensch, welcher der Lehre seines Bruders Thomas sehr anhängt und ihn für Andere liebet. Dieser Leonhard kam eines Tages in die Stadt und ging an den Markt. Allda stunden die Stadtknechte; ging er zu ihnen und sprach zu Einem: Gib mir deinen Stecken, so will ich dir meinen Rock und mein Schwert geben. Der Stadtknecht wollt mit ihm schimpfen und gab ihm den Stecken. Den nahm der Leonhard und trat für den Bürgermeister und warf den Stecken auf gen Himmel und sprach: Das ist ein Gewaltstecken, aber es ist nicht der rechte; es wird ein anderer kommen, der wird der rechte sein. Und nachdem er diese Worte mit lauterer Stimme am Markte geredet vor allem Volk, so lief er in einem Lauf die Multergasse hinauf mit dem Stecken und ließ den Rock und das Schwert dahinten und lief heim. Darnach fing er an daheim die ganze Nacht mit dem Stecken schirmen, bis er den Knopf darob verloren. Am Morgen sucht man den Knopf, aber man konnte ihn nicht finden, und sie zerbrachen den Stecken in drei Stücken und verbrannten sie. Dieses Alles sollte eine Bedeutung sein, wie der Gewalt und Oberkeit jetzund zu St. Gallen vermeinen, sie haben das Evangelium und wollen dasselbig mit Gewalt handhaben, schützen und schirmen, verfolgen und vertreiben die rechten Christen, als die so die Wahrheit nicht leiden mögen; deshalben sie Gott strafen wird mit einem besseren Gewalt, der sie von ihrem Gewalt, Glauben und Meinungen werde dringen, und sie werden nie mehr dazu kommen mögen, welches bedeutet wird durch den Knopf, so verloren und nicht wieder funden. Daß aber der Stock in Stücken zerbrochen und verbrannt, soll bedeuten, daß derselbige böse Gewalt, so die Andern gestraft, soll auch gestraft werden, und wo die vorgemeldete Obrigkeit nicht Buße thun würde, beide zuletzt mit einander ein Ende nehmen und im ewigen Feuer gestraft und verbrennet werden. An demselbigen Tag, als sie den Stecken verbrannten, kamen alle Geschwistrige, die Brüder sammt ihren Weibern und sonst andere Wiedertäufer, Mann und Weib, welchen Thomas predigte, zusammen. Nun war der Leonhard denselbigen Tag auch bei ihnen und brauchet sich ganz seltsamer Geberde, als ob er ein Hund wäre, redet nichts, item lag er hinter dem Ofen, item ging er auf allen Vieren herfür wie ein Hund. So schlug ihn Thomas denselbigen Tag oft mit einem starken Bengel und sprach, er müsse den Hund züchtigen; zudem hieß er ihm bringen ein lang Seil, damit band er ihm die Füße zusammen und warf das übrige Seil über eine Stange in der Stube und zog den gebundenen Leonhard oftmals auf und ließ ihn dann schnell wieder niederfallen. Das trieb er so lang, daß kein Wunder, er wäre dazumal gestorben. Er aber litt es alles geduldig, ja er war so gehorsam, hätte ihm Thomas geboten, über einen Felsen zu springen, er hätt es nicht abgeschlagen. Darnach hieß er ihn still liegen und nahm ein bloß Schwert bei dem Kopf in drei Finger und stellet dem Leonhard den Spitz auf den Augstern und drehet das Schwert darob dreimal um. Er verwandte sich nie darob, sondern er lag still mit dem Leib und steif mit dem Aug. Dieses sollte alles bedeuten eine große Gelassenheit in Gott. Demnach hieß Thomas bringen Essig und Gallen, und wie man die zubereitet, so erbrach sich der Leonhard, und Thomas sprach: Der Fuchs schmeckt, was er thun muß. Auf Solches hieß er Jedermann aus der Stube gehen und Niemand bleiben, ausgenommen Leonhard und den alten Vater. Was sie in der Stube allein thun haben, weiß ich nicht; gewiß ist, da man in die Stuben wiederum ohne ihren Willen kommen ist, waren sie alle drei mit Blut besprengt und war doch ihrer keiner wund noch krank. Demselbigen nach ließ Thomas ein unzeitig Kalb tödten in der Stube und machet vier Theil aus ihm und hängt es in die vier Ecke ins Haus. Nun hat sich das Nachtessen weit in die Nacht verzogen, denn des Leonhard Wüthen wollt kein Ende nehmen. Zum Letzten sprach Thomas: Ich will ihn mit mir heim in mein Haus nehmen, so er mir doch gehorsam und gefolgig ist, ob ich ihn möchte zu Ruhen bringen. Also gingen sie mit einander hinweg, und wollten die anderen Geschwistrige jedes in seine Herberge abscheiden. Indem ehe sie zu den Mühen kommen, so läuft Thomas mit aller Ungestüm wiederum zu dem Haus, mit lauter Stimme schreiend: Kommt, kommt, es hat nie als Noth thun. Die Brüder bald auf und wieder zusammen; der alte Vater mocht von behender Noth seine Stiefeln nicht anlegen (denn der Schnee war tief), liefen hinaus, unwissend, warum es zu thun wäre. Also begegnet ihnen wiederum Leonhard wie vor mit seiner Wüthung, führten ihn wiederum in das Haus. Das geschah dergestalt zweimal, daß allweg die Geschwistrige durch etwas verhindert, daß sie nicht mochten von dannen kommen, sondern mußten übernacht allda bleiben. Gegen den Morgen aber, wie sie bei einander saßen, spricht der Leonhard zum Thoma, seinem Bruder: Es ist der Will des himmlischen Vaters, daß du mir mein Haupt abschlagest. Thomas sprach: O meine Geschwistrige, kommet alle auf und betet mit Ernst, daß der Vater den Willen für das Werk nehme. Wie aber der Leonhard an der Erde lag, that ihm der Thomas von der Gallen in den Mund. Da stund er auf mit großem Schweiß, hub an dreimal gegen der Erde springen und sprach innerlich: Vater, ist dein Will, so nimm diesen Kelch von mir, aber nicht mein sondern dein Wille gescheh! Da vermahnet ihn Thomas, er sollte auch niederknieen und beten, daß der Vater den Willen für das Werk nehmen wolle. Da knieet er nieder, fügt beide Hände zusammen und sprach wie vor: Vater, dein Wille geschehe! Indem zog Thomas aus seinen Degen und schlug dem Leonhard seinem leiblichen Bruder sein Haupt ab gar mit einem ungewaltigen schwachen Schwert und Streich, wiewohl der Leonhard einen dicken knopferten Hals hatte, vor seinem alten leiblichen Vater und allen leiblichen Geschwistern. Dieß geschah auf Dienstag den 8. Hornung 1526. Die Brüder erschraken sehr des seltsamen und unversehenen Todschlags, Thomas aber zog seine Laute herfür, sam er wollte Gott um seines Ueberwindens und geschehenen Willen wie David nach dem geschlagenen Goliath Dank sagen. Darnach nahm er den Kopf und warf ihn durch das Loch, so man den Webern Spulen bietet, in die Webstuben und durch die Fallen, da man in die Webstube geht, den ganzen Körper und lief von dannen in einem Hemd in die Stadt herab in Herr Doctor Joachim von Watts Haus und sprach, man solle ihm Essen und Trinken geben. Das that man. Indem sprach er oftmals: Er thut es nie mehr, ich habs ihm gegeben! Der Herr Doctor sah wohl, daß er nicht recht bei ihm selbst war, schickt nach seinem Nachbar Johannes Vogler, befahl ihm und gab ihm einen Oberrock um, daß er ihn solle heimführen. Wie er ihn heimführt und an seine Ruh leitet, so kommt das Geschrei in die Stadt und vor einen Bürgermeister, wie der Thomas Schugger habe seinem Bruder Leonhard das Haupt abgeschlagen. Ohne Verzug schickt man die Stadtknechte hernach, die fanden ihn in dem Bett liegen, die sprachen: Du mußt mit uns gehen! Er sprach: Ich muß es nicht thun, ich will es gern thun. Da ward er gefänglich angenommen und nach erhörter Kundschaft von seinem eigenen Vater, Brüdern und Geschweien über acht Tage um ward er vor das Hochgericht gestellt. Er wollte aber die That nicht anders bekennen, wiewohl er dreimal an der Wag aufgezogen, denn zuletzt, er habe es gethan, aber Gott durch ihn. Wie ihm aber und männiglich nach Brauch und Gewohnheit das Urtheil an dem Markt öffentlich verkündet ward, da bat er ernstlich, man sollte ihm noch einen Tag seines Lebens Fristung geben. Aber der Vogt des Raths sprach, man solle nach Laut des Urtheils bei dieser hohen Tageszeit sein Haupt abschlagen. Er ergab sich jetzt und starb darauf, daß er diese That nicht gethan hätte, sondern aus Befehl und Kraft Gottes. Und als der Prädikanr zu ihm sprach: Glaubst, daß dir deine Sünden durch Christum vergeben sind? antwortete er: Ich darf es nicht glauben, denn ich weiß es, daß sie mir vergeben sind, und gab also fröhlich auch seinen Hals zur Enthauptung hin.

Diese Gräuelscene trug mehr als alles obrigkeitliche Einschreiten dazu bei, Viele, die bisher zu den Täufern gehalten hatten, der Sekte zu entfremden. Bei Andern schlug der Andachtshochmuth in Unzucht um, der sie als dem Fleisch abgestorbene Christen ohne Scheu, selbst in Gesellschaft sich ergaben. Noch andere starben der Sünde ab, indem sie plötzlich in Krämpfen zu Boden sielen – eine Weise, die ansteckend wirkte und oft unfreiwillig mit großer Angst und körperlichen Schmerzen nachgeahmt wurde. Als einst Keßler mit seinem Freunde Rütiner im Hofe Sturzenegg diesen mit dem Ausdruck Sterben bezeichneten convulsivischen Krämpfen der Täufer zusah, ward es ihm selbst sterbensübel, daß er sich in die Stadt zurückbegeben mußte. Vadian war vollkommen gerechtfertigt, daß er gegen die Sekte endlich mit Gewalt einschritt, die ganze Bewegung nicht mehr vom religiösen, sondern vom politischen Standpunkt aus ins Auge fassend. Mit neuer Kraft ging die evangelische Sache aus dem Läuterungsfeuer des Jahres 1525 hervor. Vadian hatte eine glänzende Probe staatsmännischer Klugheit abgelegt; darum berief ihn das Vertrauen seiner Mitbürger für das folgende Jahr zum einflußreichen Amt eines Bürgermeisters, dessen Macht er vor Allem dazu benützte, der Reformation in seiner Vaterstadt zum Sieg zu verhelfen. Vadian war der Mann des Fortschritts, als welchen ihn mit einem Wortspiel Zwingli schon am 16. Mai 1524 bezeichnet hatte, wenn er sich viele solche Kirchenvorstände wünschte, welche nach Vadians Weise stets im Gehen und Fortschreiten begriffen seien.

7. Religionsgespräch zu Baden und Folgen desselben.

Das Verhältniß der Stadt zum Kloster ward ein immer gespannteres. Schon gegen Ende des Jahrs 1525 hatte sich das Gerücht verbreitet, daß sich die Mönche gegen die Stadt bewaffnen. Der Rath stellte eine Untersuchung an und es fand sich, daß das Schloß Rorschach mit Kriegsvorrath versehen und im St. Galler Kloster kein Mönch sei, der nicht Waffen in seiner Zelle habe. Vielleicht galt die Rüstung mehr einer Vertheidigung, als einem Angriff, denn das Kloster war vom Bauernaufruhr bedroht. Keßler erzählt: „Wie in allen Enden Klag entstand unter den Bauern wider die Obrigkeit der Beschwerden halb, sind auch die Unterthanen des Gotteshauses zu St. Gallen in Berathschlagung gangen, ob sie der Beschwerden, so ohne Grund von den Abten vor nachher auf sie geladen, möchten entledigt werden, fingen zugleich an, ihre Zins, Zehenden und Fastnacht-Hennen unlustig, etliche gar nicht ohne weiter Bescheid zu geben.“ Durch den Erfund der Untersuchung sah sich der Rath aufgefordert, gleichfalls seine Vorkehrungen zu treffen. Vor Allem wollte er sich der Weltpriester versichern. Alle in der Stadt wohnenden, gegen dreißig an der Zahl, wurden Montags vor St. Thomas 1525 vor den Rath beschieden und ihnen vorgehalten: Die Zwiespalt, die des Glaubens wegen unter allen Bürgern, besonders unter der Priesterschaft entstanden sei, habe klein und große Räthe zu dem Schlusse bewogen, daß auf heute alle Priester, die in ihrer Stadt und Gerichten haushäblich sitzen, schwören sollen, dasjenige zu halten, was klein und große Räthe zum gemeinen Wesen für das Beste erkennen und von allen Bürgern zu halten beschworen werde, damit Jedermann wisse, wessen man sich gegen sie zu versehen habe. Die Obrigkeit werde dagegen ihnen auch Schutz und Schirm wie andern Bürgern angedeihen lassen. Alles, was bisher mit Schmähungen, wie sie wohl wissen, vorgefallen sei, solle gänzlich vergessen sein, aber wenn sie künftighin Andere oder Andere sie mit Worten oder Werken beleidigen, so würde dies ein Rath nicht ungestraft hingehen lassen. Glaube Jeder, je nachdem er Gnade empfangen habe, nur soll keine Partei die andere feindselig antasten. Wer von den Weltpriestern nicht schwören könne oder wolle, habe innerhalb vierzehn Tagen seine Haushaltung aufzugeben und entweder fortzuziehen oder gleich jedem Fremden bei einem Wirth sich aufzuhalten. Dreizehn Priester, die von der Stadt belehnt waren, schwuren den Bürgereid ohne Anstand; die übrigen, deren Kollatur dem Abt oder Bischof zuständig war, erbaten sich bis zum nächsten Rathstag Bedenkzeit, um sich mit dem Abt zu berathen, der ihnen nach vielen Bedenklichkeiten endlich bewilligte, sich in die Umstände zu fügen. Zehn von ihnen leisteten den Eid gleichfalls; nur einige wenige verweigerten ihn.

In der Osternacht 1526 ward in der Sakristei des Münsters ein bedeutender Diebstahl an kostbaren Meßgewändern verübt. Sobald man dessen bei der Messe gewahr wurde, wandte sich eine Gesandtschaft des Klosters an Bürgermeister Vadian mit der Bitte, er möchte dafür Sorge tragen, daß der Dieb entdeckt und das Gestohlene zurückerstattet werde. Vadian bot hiezu Allem auf, aber umsonst. Da war der übermüthige Münsterprediger Dr. Oswald frech genug, am Ostermontag nur eine kurze Morgenpredigt zu halten, in der er das Volk bat, damit vorlieb zu nehmen, „weil die von St. Gallen ihnen in vergangener Nacht nicht wenig Unruh angerichtet haben.“ Während Rath und Bürgerschaft über diese Worte hoch erbittert waren, ließ das Stift einen Tcufelsbeschwörer von Chur kommen, der angab, es liege Alles noch unversehrt hinter Bürgern der Stadt, auch den Verdacht nicht undeutlich auf Einzelne in St. Gallen warf. Einige Monate später brachte ein Zufall zu der Kunde, daß in Freiburg die gestohlenen Waaren feilgeboten werden. Sogleich wurde nach Freiburg abgesendet und unrücksichtlich der Kosten was immer möglich angekauft und durch obrigkeitliche Abgeordnete in das Kloster gebracht. Der Dieb war ein Gotteshausmann, der zuvor in Diensten des Klosters gestanden war und bei einem zweiten Raub ertappt und sofort enthauptet wurde. Auch in der St. Peterskapclle fand bald darauf ein Einbruch, doch nicht aus Habsucht Statt. Zwei Bürger nahmen mehrere Bilder weg, um sie des Nachts an den Pranger zu stellen; ein anderer holte aus dem Beinhause Altartücher, Zwehlen und Vorhänge und verbrannte sie. Die Schuldigen wurden ins Gefängniß geworfen; die Obrigkeit aber sah sich durch diese Vorgänge veranlaßt, zu verbieten, daß Jemand der Ihren in einigerlei Weg an fremde Götzen, die sie nicht gestiftet haben noch machen lassen, vorab in den Kirchen freventlich Hand anlegen solle; denn sie als eine christliche Obrigkeit mittlerzeit der Wahrheit unterrichtet aus Vermügen göttlicher Geschrift selbst daran nicht saumig sein werde, damit sie Niemand möge klagen, und dabei Aufruhr und bürgerlich Zerwürfniß vermieden bleibe. Inzwischen aber vergönnte und bewilligte die Obrigkeit den zwei Kirchenpflegern, „daß sie möchten zu Nacht heimlich ohne Geschrei vorzu die kleineren und unachtbaren Göttli hin und her ab den Wänden und Säulen verstellen, und wie etwa Rahel die gestohlenen vor dem Laban verbergen.“

Mittlerweile beschickte die Stadt St. Gallen das Religionsgespräch zu Baden durch den Rathsherrn Kaspar Zollikofer und Unterbürgermeister Andreas Müller, nebst dem Pfarrer Burgauer und den Predigern Wetter, Reiner und Zili, mit der kurzen aber bestimmten Instruction: sie sollen unter einander einig sein und für nichts stimmen, das Gottes Wort entgegen wäre. Die Messe, Fürbitte der Heiligen, Bilderverehrung, Fegfeuer und Erbsünde waren die Punkte, über welche man sich verständigen sollte, und worüber jede Partei bei der mitgebrachten Ansicht blieb. Natürlich betrachteten sich die Katholiken als Sieger und posaunten die angebliche Niederlage der Evangelischen in den frechsten Lügen der Welt aus mitttelst Wort und Schrift. Zu den frechsten Entstellungen der Wahrheit trugen Dr. Eck und der Konstanzer Faber das Material bei. Letzterer hatte erklärt, es bedürfe für das, worüber die Kirche bereits geurtheilt habe, keines Richters, wobei einem Zwingli der Fuchs der Fabel einfiel, welcher, da er die Trauben nicht erreichen konnte, sie als noch unreif erachtete. Faber rühmte sich offen, daß er aus Wahrheitsdurst zur Kirche halte, denn wenn er hätte ein Lutheraner sein wollen, hätte er nach den Zusagen der Lutheraner ein reicher Mann werden können. Bei diesen Prahlereien rief ein bisher der Reformation feindseliger Schweizer aus: „Jetzt sehe ich, was das für Leute sind; denn die Lutheraner sind so mittellos, daß sie außer der Armuth nichts besitzen!“ Das Gespräch in Baden hatte blos die Wirkung gehabt, beide Parteien zu offenem Farbehalten zu drängen. Auch in St. Gallen ward in der Reformation unerschrocken fortgefahren. Am 1. Herbstmonat 1526 erließen zwar die katholischen Stände ein scharfes Schreiben an die Stadt, in welchem sie dieselbe ermahnten, „von dem vergifteten lutherischen oder bas tüflischen Glauben“ abzustehen, die Messe wieder einzuführen, und es ihr aufs Härteste verwiesen, daß sie anstatt der Communion der Christen „eine Mostbrocketen in der Kirche zu essen“ eingeführt hätten. Aber der Rath fuhr unbehindert fort, wie Keßler berichtet: „Indem haben die Diener des Herrnworts ganz fleißig und ernstlich mit Predigen angehalten wider die Götzen und ihren greulichen abgöttischen Dienst und Verehrung, bis eine Oberkeit vermeint, genugsam der Schwachen verschont und den stolzen Hartnäckigen vergeben, deshalben sie den Götzenhandel fürnahm zu berathen, und damit solcher Handel geschehe mit Wissen und Willen ganzer Kirche, hat man die Kirchgenossen ob dem Land, unser Pfarr zugehörig, beruft, ihre Meinung zu hören. Da haben sie einhellig, auch gutwillig sich mit uns nach Inhalt Gottes Worts aller Götzen verzogen. Da ist auf den 5. Tag Christmonds von klein und großen Räthen angesehen und beschlossen, daß alle Götzen und Bilder von etlichen ehrbaren verordneten Männern mit der Stadt Werkmeistern ordentlich, suber und rain aus der Pfarr zu St. Laurenzen sollten ausgeräumt werden, wie dann in den folgenden drei Tagen ist geschehen.“ Keßler kann sich nicht enthalten, dabei auszurufen: „Was großen Kosten und Arbait ist in kurzer Zeit, das mit großem Gut lang zubereitet, zu Grunde gegangen.“ Was von großem Holzwerk ward, wurde zersägt, gespalten und das Holz den Armen ausgetheilt, die sich bei der damaligen Kälte über den Verlust von Kunst und Heiligthum leicht zu trösten wußten. Oecolampad schrieb an Zwingli (23. Dezember 1526): Wie soll ich den Vorgang der St. Galler im Abthun der Bilder und Messe genug loben!“

Noch schalt und tobte Dr. Wendelin Oswald mit unerhörter Frechheit auf der Münsterkanzel; die Prediger von St. Laurenzen sahen sich endlich genöthigt, offen in Schrift gegen ihn aufzutreten, und so ward zu Zürich bei Froschauer am 3. Tag Weinmonats 1526 folgende Schrift ausgegeben: „Mit was gründen fürnemlich Doctor Wendeli Predicant im Kloster zu St. Gallen die leer des Evangelions von den Prädicanten der Pfarr zu St. Laurentzen daselbst gethon anzefechten und vor dem Volk zu verhetzen understanden hab. Daby welcher gstalt uff söllich sin frävel reden von gedachten Prädicanten nit uff ainmal geantwurtet ist. Durch samenhafften radtschlag gemelter Prädicanten, auch durch hilff und züthün Dr. Joachimen von Watt ußgangen zu St. Gallen.“ Die Schrift, an welcher sicher Vadian den größten Antheil hat, ist eine der gehaltvollsten Flugschriften damaliger Zeit, so daß wir gerne aus derselbigen Einiges ausheben.

Im Eingang erklären die Prädicanten, sie hätten gern die Unbescheidenheit Dr. Wendelins mit Geduld tragen und leiden mögen. Weil aber sein ungestüm und frech Darthun keineswegs milder werden wolle, und sie ihn zu mehren Malen so freundlich zu Gesprächen erfordert, ja dasselbig zu erlangen auch durch emsig Ansuchen geworben und doch zuletzt ihrem vielfältigen Erbieten nach nicht schaffen haben mögen, wolle es ihnen weiter nicht geziemen, hinter dem Berg zu halten, sondern sich öffentlich und gegen männiglich herfürzuthun, damit Verletzung und Aergerniß, so bei etlichen Kleinmüthigen daraus herfließen wolle, verhütet werde. Wendelin habe Unterred und Gespräch immer abgeschlagen. Man spreche gern: Wer übel zu zahlen hat, der höre ungern von Rechnung sagen. Petrus aber wolle, daß jeder Gläubige bereit sein solle, seines Glaubens einem jeden Begehrenden Rechnung zu geben. „Sollen das die Gläubigen in der Gemeind thun, was will den Predigern, besonders so frechen und fraidigen, als Wendeli ist, nit gebühren? Auf Solches hoffen wir, unser täglich Rufen solle auf dem Erdreich erschallen, wie es gewißlich in den Himmel erschallet, nemlich daß wir uns gegen unserer christlichen Obrigkeit nicht anders zu predigen entboten, denn das lauter, klar und hell Wort Gottes nach Inhalt alts und neues Testaments. Und so Jemand vermeinen wollte, daß wir in unseren Lehren an der Wahrheit nicht wären und die Geschrift nach ihrem eigentlichen Verstand unseren Befohlenen nicht fürhielten, wollten wir Bericht mit hohem Dank, es wäre mündlich oder geschriftlich nehmen.“ Sie verwahren sich dann dagegen, daß ihre Lehre die neue gescholten werde: „wie Etliche zu unseren Zeiten mit allem dem Fleiß, so ihnen immer möglich, unterstanden haben, das Bös für gut und das Gut für bös den Einfältigen einzubilden, also kehren sie auch den Mantel um und schreien, das Unsere sei neu, das mit der Wahrheit sich befindet uralt seyn.“ Uebrigens sei alle Lehre der Menschen, sei sie neu oder alt, nicht nach Anzahl der Jahre, nicht nach der Zeit oder Achtung der Personen, sondern nach der Schrift zu beurtheilen und soll der hochgeachtet sein, der das Wort der Wahrheit herfürtrage, Gott geb er sei jung oder alt, Bischof oder Bader. Insbesondere wird dem Vorwurf begegnet, daß die Evangelischen die Vertütschung der Schrift gefälscht hätten: „Es ist bald geredet: das ist falsch, dieses ist unchristlich, das soll nicht sein, dieses kann nicht sein, wie Wendeli zu bladeren im täglichen Brauch hat und es seiner Art nach nicht lassen mag; zeige es aber mit wahrhaften Kundschaften an, so mag man sich versehen, daß er solches aus gutem Grunde rede; wo er aber das nicht thut, muß man wohl achten, daß er mit seinen geschwinden Doctorstücklein das klare Wort unter dem Schein des Falsches den Einfältigen zu entziehen unterstande, damit man zu rechter Erkenntniß nicht komme, sondern bei demjenigen, das (Gott weiß wie) nach und nach zugelassen und einhergewachsen ist, bleiben muß. Denn wo man Schatten haben will, muß man das Licht verhängen, und trägt Keiner selten einen Goldstein bei ihm, der bös Geld zu wechseln gibt. Man sieht auch täglich, daß die Krämer, die schlechte oder vermengte Waaren führen, große Bläuen über die Boutiken ziehen, denn sie den Tag scheuen und in den Waaren nicht gern grübeln lassen; die aber gute Maaren haben, ziehen die Käufer herzu mit Begehr, sie wollen greifen, besehen und versuchen, denn sie wissen die Güte und scheuen nichts. Das melden wir darum, daß es ohne Argwohn nicht sein mag, wo Einer das Licht der göttlichen Geschrift mit Alenfantz antastet. Möchte aber Wendeli sprechen: Ob das neue Testament schon recht vertütscht ist, so ist es dennoch billig, daß es den Einfältigen von des Mißverstandes wegen nicht zugelassen werde: Antwort: Solcher Meinung hat man ohne Zweifel nächst erschienen Mitterfasten bei uns den Gotteshausleuten das Testament zu haben verboten, und das zu thun ohne Zweifel bei den Gelehrten, deren vielleicht Wendel Einer ist, in Rath funden. Wir begehren aber, daß uns Wendeli anzeig, wo dergleichen je von Anfang der Kirche mit der Geschrift gehandelt sei, nemlich daß man sie von Etlicher Mißverstand wegen verboten und also den Gläubigen abgestellt habe zu lesen. Den Mißverstand hat man wohl abgestellt, nicht mit Verbot sondern mit hellen Kundschaften des Worts Gottes, d. i. der Geschrift, welcher Sinn nicht leichtlich, wo man mit Fleiß denselben erkundet, gefälscht werden mag. Aber der Schrift hat man die Unehre nicht angethan, daß man sie verbiete. Denn wie man das Gold nicht verwerfen mag als ein bös und schnöd Metall darum, daß es von Vielen mißbraucht wird und die Unbesonnenen zu lästerlichen Thaten und verderblichen Anschlägen bringt, denn das Gold ist nicht schuldig, weiß nichts darum, ist ein Erdklötzle, sondern ist unsere Anfechtung schuldig. Lieber, warum verbietet man das Weinschenken nicht, dieweil man so trunken und voll wird und das verderbliche Zutrinken leider bei uns so treffenlich überhand genommen hat? Der Wein hat nicht die Schuld, auch der Weinschenk nicht, sondern der leichtfertige ungezähmte Muthwillen der Säue und Säufer. Also soll man auch den Einfältigen die Speis ihrer Seele nicht entwehren, und ob sie die nicht recht brauchen wollen, soll man sie des guten Brauchs und Verstands berichten. Aber so viel an dem Menschen steht, mag kein ander Mittel künftigen Betrug und Alenfantz aller Gleißnerei besser vergaumen und zu Abfall bringen, denn der gemeine rechte Verstand der Schrift in allen Gläubigen und in allen Sprachen. Es ist nicht genug, wiewohl es auch gut ist, daß in einer Stadt oder Gemeind allein die Goldschmiede oder Fürgesetzten sich auf bös Münz verstehen, denn neben ihnen werden die Einfältigen von den Ausgebern betrogen; wo man aber in der Gemeind ein falsch Geld kennen lernt und das gut in täglichem Brauch hat, da mag Niemand mehr betrogen werden. Wäre die göttliche Schrift vom Brunnen ihres Anfangs aus hebräischer und griechischer Sprach von achthundert Jahren her für den gemeinen Handwerksmann dergestalt so gemein und verwandt gewesen, als sie aus Gottes Gnaden zu unseren Zeiten angefangen hat, man wäre schwerer Mißbräuche und großen Uebels, so nach und nach aus Unwissenheit des Mehrentheils der Gläubigen durch Etlicher Eigennutz, die ihren Acker mit fremdem Bau gedüngt haben, gewißlich überhoben gewesen.“

Besonders hatte der Münsterprediger gegen die evangelischen Prädikanten den Vorwurf erhoben, daß sie unter dem Schein des Glaubens Platz geben aller Leichtfertigkeit, ja dem wilden Roß den Zaum auf den Hals legen, damit es seinen freien Sprung und Lauf vollbringe. Dagegen sagt die Vertheidigungsschrift: „Ehe wir von dem Schein des Glaubens reden, den Wendeli den Gleißnern abnehmen und seiner Art nach auf uns drehen will, müssen wir anzeigen, daß er den Brauch auf seinem Katheder laugezeit gehabt, Niemand sonders mit Namen herfürzuthun, sondern wo er unsere Lehr und Predigt schupffen, verhetzen und strafen hat wollen mitsammt Anderem, so ihm wider ist, hat er also Meldung gethan: Unsere Gesellen kommen jetzt und sagen also; item unsere Knavatzen, unsere Göuch, Schützen, Bachanten, Narren; item die Lutherischen und Zwinglischen, und darunter die Ketzer laufen lassen, von welcher Bescheidenheit wegen wir ihn billig Bruder Holdselig genannt haben sollten; wir haben aber lassen vor Ohren gehen, und wie man den bösen Weibern thut, unnütz Geschwätz mit guten Worten versetzt. Doch so sind wir zu dem Schärfsten angestochen worden, denn er nicht einmal geredet, wir lehren jetzt, es sei fast genug glauben, glauben, vertrauen, vertrauen, und sagen, der Glaube mache selig ohne die Werke, hat das aufs Allerhäßlichste dahin gezogen, als ob man lehr allein glauben, und dürfte man daneben kein gut Werk thun: ja man fresse, man trinke, man stehle, man hure, habe es keine Noth, wenn man nur glaub, sam der Glaub, von uns verkündet, sich keines Unterschieds der Werke achte: welcher der fürnehmsten Boppen einer ist, den Wendeli gebladeret hat. Es findet sich aber mit der Wahrheit nicht, daß von uns dergestalt je gepredigt oder gehört sei, denn ein jeder noch so kleinverständiger Christ wohl weiß, wie alle Schrift unsere Gerechtigkeit einem wahren und lebendigen Glauben in Gott und gar nicht den Werken zulegt, nicht daß man kein Gutes dürfe thun, ja man muß rechtthun, sondern daß kein Werk in uns gut ist, wir seien denn vorher gerecht worden; welche Gerechtigkeit aber von Gott her ist durch den Glauben, und nicht von den nachfolgenden unseren Werken: wie der Fluß eines Bächleins von dem Brunnen her fließt, und der Brunnen nicht vom Bächlein, so muß auch der Baum vorhin von Art gut sein, soll er anders von Art gute Frucht bringen. Das wissen nun die Kinder auf den Gassen, Wendeli aber, wiewohl er Doctor ist, muß es noch lernen; es werden ihn auch Schützen und Bachanten darum bsatzen und ihm das ABC der Gerechtigkeit mit dem Finger zeigen. Aber der Grund alles Hasses, der auf uns geloffen ist, kommt daher, daß wir etlichen vermeinten Geistlichen das Haar zu nah haben auf der Haut mit dem zweihauenden Schwert des Worts Gottes dannen geschoren, welches ihre Herzen durchdringt, und aber nun verböseret, wie das Wort mit verstopfter Blindheit zu handeln gewohnt ist. Wo wir aber Wendelin und Seinesgleichen menschlicher Satzungen und unnützer Ceremonien halb gewonnen gäben und mit ihm sagten, daß man Solches zu halten bei unserer Seel Seligkeit pflichtig wär, so hielten wir den Zaum in der Hand und ritten den Grommen mit langen Spornen, es würde aber Gleißnerei unser Sattelgeräth sein. Darum man aber den hellen Mißverstand spürt, daß man den Zaum zu halten vermeint, den man nicht allein dem Roß auf den Hals nicht legen muß, sondern das Biß gar aus den Zähnen thun und hinwiederum den Zaum an der Hand nehmen, den wir bisher leider fahren und fallen haben lassen. Der Geist Gottes, uns von dem Herrn Jesu erworben, durch den wir auf seine einig Lehr und Wort geleitet werden, ist der Zaum, durch den wir von Gott dem Vater gezogen und von dem Uebel enthalten werden, den haben wir mit der Lehr als Diener, so viel uns Gott Gnad verliehen, noch nicht aus der Hand gelassen. Dieser Zaum aber, den Wendeli in der Faust zu halten vermeint, ist der Zaum des Irrthums und zieht sich auf Hochträchtigkeit eigener Werke und des freien Willens, welchen Wendeli mit den Pelagianern so fest achtet, daß ihn ihm weder Gott noch die Welt nehmen sollen. Wann will man doch, ewiger Gott, die falschen Lehren erkennen lernen und das schandlich Verunglimpfen von der Lehr Gottes unterscheiden? Auf den andern Tag Herbsts nächst verschienen hat Wendelin geredet: Der Papst Petrus zu Antiochia habe aufgesetzt und geheißen, daß wir Christen sollen genennet werden; deß beschämen wir uns jetzt; die neuen Prediger lehren jetzt, wir sollen nicht mehr Christen genannt werden, sondern sollen Zwinglisch sein oder Lutherisch, ja Tüfelisch, zu dem fahren wir in die Höll hinab, denn wir zantzlind den Unsern und krätzlind ihnen, sagen was sie gerne hören! Auf die Red aber sagen wir, daß es stracks durch den Bank hinweg erlogen ist. Wir wissen aber dabei, was Schaden unsere Widerwärtigen uns eine Zeit her mit üppigem Vorlügen und Vortrügen zuzufügen unterstanden haben. Denn als wir das achtzehnte Kapitel Levitici von Linien des Bluts und Freundschaften der Schrift nach Meldung auf eine Zeit gethan hatten, erhob sich ein Geschrei, wir hätten geredet, daß Einer seine Schwestern, Töchtern rc. zu der Ehe haben möchte, und dürfte man sich der Nähe der Grade nicht mehr achten. So wir unsere Kirche mit der Gnade Gottes von solchem Wahn eitler Tandtmähren bracht haben, und Etliche der Spieß zu brennen anfängt, so rümpfen sich die und schreit Wendeli: Wer thut mehr Guts? darum daß man nicht viel Pfennig (also versteht man die Sach) zu dem Altar trägt, nicht in die Kefi und Stock legt, nicht Hühner, Flachs, Eier, Wachs denen im Tempel gibt, die vor zu viel haben, nicht ewige Lichtlein stiftet, damit die Fledermäuse sehen mögen, was ihnen vor den Augen sei, nicht zu Wallfahrten lauft, sondern den Armen nachläßt, sich über denselbigen beherzigt und sich fleißt dieselben ohne Mangel zu erhalten. Item man lehre, man solle nicht beten, so man ihr lang Geschwätz und geldlöhnig Beten verwirft und dabei recht beten lehrt, oder man soll nicht mehr beichten, ja Wendelin oder keinem anderen Menschen zu den Ohren ein, denn die rechte Beicht ist an die Hand genommen und demnach ihr Lüselgmürmel hingefallen Wendeli redet hell mit den Pelagianern, daß der Mensch seinen freien Willen und Zug habe zu Gutem und Bösen, und daß in der Hand des Menschen die Wahl stehe des Heils und des Tods, ja, sagt er auf Sonntag nach Mariä, daß diejenigen, so. den freien Willen nicht zuließen, Gott meineidig machen wollten! (Hab Dank, mein Wendeli, du hast den Vogel in der Hand, der noch in dem Baum sitzt!) Desgleichen sagt er auf St. Pelagientag, wie vor oft Christus hab für unsere Sund gelitten, für wahr, es sei aber an selbigem nicht genug und gehöre mehr dazu, denn er werde uns urtheilen nach seinen Werken; ergo so müsse das Leiden Christi durch unser Nachthun gevollkommnet werden, und liegt an dem Menschen, daß das unaussprechenlich Werk Gottes in seinem Sohn Kraft habe (Rym dich pundschuchl). Wenn dieses Lehren das Roß menschlichen Hochmuths nicht schellig und wild machet und dem Lucifer den Stuhl wider die Gnad Gottes nicht aufrichtet und befestnet, so muß Christus, Paulus und alle Schrift zu Lügner stehen. Damit er aber allem Ansehen des Worts den Hals abdrucke, redet er hell und unverholen, was der Mensch guter Meinung thue zu Ehr Gottes, das sei ihm verdienstlich, mit etlichen anderen Boppen, von denen wir mit der Zeit Meldung thun wollen. Denn viel hie von Wendelis Zaum zu sagen wäre, in welchem man die armen Gewissen gefasset hat und dabei durch die Finger gesehen mit Ablaß, Pfründentuschen, Incorporiren und darnach mit Evisteriren, mit Absolviren von aufrechten Eidespflichten, in denen allen den Großgeistlichen der Zaum göttlichen Verbots auf den Hals gelegt und aber dabei den Armen und Einfältigen die raubende Hand in die Taschen gefallen.“

Gegen den Vorwurf des Aufruhrs, den sie erregt, bemerken die Prädikanten: „Wiewohl treffenlich Zwietracht und Zank etlicher Lehren halb bei uns entstanden waren, ist es doch Alles durch fürsichtig Ankeren unserer Herren der Räthe, auch unsern möglichen Fleiß ohne all Zerwürfniß abgestellt und gänzlich zu Fried gebracht worden.“ Alles aber, sagen sie, wäre vermieden worden, wenn Wendeli zu einem Gespräch zu bewegen gewesen wäre: „So wollt er sonst auch ab seinem Mist nicht kommen, sondern (wie die Dorfbellerli thun) daselbst fast schreien und bellen, und sich daneben in keinen Kampf geben wollte. Denn ungefähr vor drei Jahren, wie Dr. Christoph Schappeler bei uns von der Messe in unserer Pfarrkirche gepredigt hat, daß die Messe kein Opfer noch gut Werk wäre, und Wendeli dasselbig mit gar frechen und übermüthigen Worten in seinen Predigten umzustürzen unterstand, ward an ihn mehrmals geschickt, er wollte um Freundschaft, Friedens und der Wahrheit willen so wohl thun und auf einen gemeinen Platz kommen, sich mit Herrn Schappeler und Anderen zu besprechen. Sagt er am Ersten zu; darnach da er den Ernst sah, stund er ab und gab u. A. für: Seines gn. Herrn Wille wäre nicht, daß er sich jetzmal in kein Gespräch gebe. Darnach im 25. Jahr hat ein ehrsamer Rath ehrsame Botschaft an des Abts Anwälte (denn er dazumal mit seinen Bauern zu Radtpoltzwyl vor seinen Herren den vier Orten im Rechten lag) mit Befehl geschickt, daß sie allen Fleiß ankehren sollten, damit man Dr. Wendelin zu freundlichem Gespräch hielte, es wäre (nach seinem Gefallen) droben im Kloster oder unten in der Stadt, auf daß der gemeine Mann nicht verwirrt und dabei der Wahrheit gelebt und die Ehr Gottes gefördert würde; denn wo Solches nicht geschehe, möchte es dergestalt in die Länge nicht geduldet werden. Ist dazumal unseren Herren geantwortet: Man werde Solches an den Abt langen lassen und achte man, seine Gnade werde desjenigen, so zu Ruhe und Einigkeit reiche, keineswegs absein. Bald darnach ist der Hofammann zu dem Bürgermeister kommen und ihm erzählt, wie der Handel dem Herrn Abt fürgewendet und auf Solches seiner Gnad Willen sei, sobald er mit den Gemeinden der Gottshausleute zu Einigkeit bracht werde, wolle er ohne Verzug dazuthun, damit unseren Herren gewillfahrt werde. Nach welchem Dr. Wendeli sich an den Kanzeln nicht einmal merken hat lassen, wie Etliche nun disputiren wollen, und sei aber dasselbig ein freveler Rathschlag, denn die hl. christliche Kirche unsere Mutter habe die Dinge, so jetztmal von den neuen Lehrern herfürbracht wären, längst disputirt und in hl. Concilien verdammt als ungegründet und ketzerisch; darum wollte er bei der Kirche bleiben, dieselbige nicht verachten und fest glauben, daß dieselbige nicht irregangen wäre. Aus welchen Worten männiglich wohl abnehmen mochte, daß Wendeli schlechts mit uns freundlich Unterred zu halten keines Willens war. Jetzt zuletzt im 26. Jahr, etwa ein Monat oder zwei, ehe die Disput atz zu . Baden im Aargau ausgeschrieben ward, ließ er sich merken auf das Wider spiel, nemlich daß er Disputiren nicht absein wollte, also auf den großen Donstag, wie er vom Sakrament des Leibs und Bluts redet und auf dem lag, daß das Brod nicht möchte sein ein Bedeutniß des Leibs Christi; wenn aber jetzt (sprach er) in der Disputation die rechten Kapunen zusammenkommen, so wollen wir dann einander recht kützlen. Item am selben Tag ließ er sich merken, er besorgte, man müßt in der Sach metzgen. Sonntags aber vor Pfingsten, wie er gen Baden wollt, redet er dieser Meinung: Er hätte bisher nie nichts Falsches gelehrt und wollte also gen Baden, allda seine Lehr mit göttlicher Schrift zu erhalten, und besehen, Wer ihm die umstoßen wollte. Wie man aber gen Baden kommen ist, und wir allda nachmal aus Geheiß unserer Herren auch erschienen, nach mancherlei einfallender Rede, gar nahe zu dem End der Disputation, hub Dr. Wendeli an vor einer ehrsamen Botschaft der zwölf Orte und anderen dahin verordneten Gelehrten zu erzählen: Wie er ungefähr bei vier Jahren zu St. Gallen im Kloster prediget, und wir aber die seien, die ihm seine Lehr geschuldiget, stande also da, begehre von uns zu verstehen, ob seine Lehre gerecht sei oder nicht. Auf welches wir dergestalt Antwort gaben: Es sei nicht minder, wie er, Wendelin im Münster und sie in der Pfarr zu St. Laurenzen gepredigt, haben sie einander der Lehr halber gestraft, und so er etwas geprediget, so ihrer Lehr und hellem Verstand der Schrift wider wäre, habe jetzt der Pfarrer, etwa der Helfer, zu Zeiten Dominikus dieselben mit offenen und klaren Kundschaften an der Kanzel gescholten und widerfochten, daß es männiglich gehört. Dieweil man aber jetzmal in die Fäderen geredet und die Disputation vollendet wäre, könnten wir ihm nicht Anzeige thun seinem Begehren nach, auf das er sich klagte, sondern sofern er sie vermein anzuziehen, daß er heraus laß, warum er sich billig zu beklagen wider uns unternehme, wollten wir ihm gern antworten. Auf Solches wollte Wendeli dazumal nicht herauslassen. Da redet Dr. Johannes Eck, der ob ihm stund, zu Wendelin: Herr Doctor, haltets ihnen für! Und sagt der Murnar: Sagets ihnen! Da redet Herr Jakob Stapffer, der Präsidenten Einer, zu Wendelin: Lasset die Sach jetztmal also bleiben! Da blieb es also, wie unserer Herren ehrsame Boten ohne Zweifel in gutem Wissen tragen. Demnach ein Jeder wohl verstehen mag, ob Wendeli seine Lehr zu Baden gegen uns erhalten habe oder nicht; dieweil er mit uns auf unser Erbieten nie disputirt, ja gar nie auf die Kanzel gekommen, und haben aber wir des mehren Theils nach einander aufstehen und unserer Lehr Anzeigen gegen Ecken und sonst gegen Niemand aus hl. göttlicher Schrift thun müssen, ja auch gutwillig gethan, wie es in den Fädern verfasset, dabei wir es bis zu Entdeckung der Sache bleiben lassen. Darnach auf den 17. Brachmonats, ist Sonntag gewesen vor Johann, wie er von Baden wiederkommen und zu Morgen auf die Kanzel ging, redet er auf nachgehende Meinung: Er habe seine Widersacher zu Baden erfordert, die haben ihm seine Lehr nicht angefochten; man werde aber bald sehen oder hören, darob die Seinen bald all zu Freuden kommen werden. Hätte vielleicht gern nach seiner Gewohnheit mehr daran gethan, wo es in den Abscheiden nicht begehrt wäre worden, daß Niemand den Anderen mit Worten schmutzte. Der Dechan aber von Stammen (der Wendelin in seiner Abwesenheit vertreten) hat es voranhin ausgerichtet, da er auf den 3. Brachmonats im Münster an der Kanzel durch gar ein schön Gleichniß auf die Meinung geredet: Diejenigen, so die Messe widerfechten, die stünden jetzt zu Baden und zitterten auf den Beinen wie die Kälber, die neulich von den Kühen gefallen wären; wollte es Einem vor zwei Jahren wohl gesagt haben, daß es ihnen also gehen würde! Wenn wir Einen aus ihnen mit solchem schnöden Gleichnisse je angetastet hätten, so hätte es uns ohne schwere Strafe nicht ausschlagen mögen, ja (wie der Wolf sprach, da er den Rappen auf der Sau sitzen sah) wenn wir das thäten, so würde man eilends Sturm anziehen. Wir achten aber, dieser habe von seiner schnöden Red wegen, die ihm vielleicht in Briefen zukommen ist (wie demjenigen, der bei uns das Bättenbrot gewann, die Meß war zu Baden erhalten, und hat man aber noch nicht recht angefangen von ihr zu reden), nicht an seinem Tisch desto mägere Suppen gessen. Das ist aber die Wahrheit, damit wir Wendelin auch etwas gewonnen geben, daß wir Wendelis Lehr gegen seiner Person an der Kanzel zu Baden nicht umgestoßen haben, und daß er uns die unsere auch aufrecht hat bleiben lassen dergestalt, daß wir nie gegen einander die Schriften braucht noch je disputirt haben. Nun hätten wir uns endlich versehen, Wendelin hätte allen Handel der Artikel, so zu Baden disputirt und auf die Schrift Gottes zu ermessen verabschiedet und beredet sind, weiter mit so hässigem Verunglimpfen unseres Theils nicht angerührt, sondern im Frieden also lassen bleiben, wie wir uns auf künftige Erkenntniß den Parteien unterschrieben haben, und also gehört worden wäre und erfahren, mit was Gründen jeder Theil seiner Lehr Anzeigung thun thät: aber Wendeli hatte bereits das Urtheil gefällt, denn er in einer Predigt, jüngst im Augustmonat gethan, hell sich merken hat lassen, man soll uns etlicher Lehren halb auf dem Erdboden nicht dulden, sondern abthun und vertilgen. Wir begehren nicht anders denn klarer göttlicher Schrift zu geleben und hoffen zu allen Rechten, ja wenn wir auch in der Türkei wären, es würde nimmer für billig erkannt, daß man die als unwahrhaft und verführerisch vertilgen sollte, die sich mit dem Urtheil der Wahrheit richten wollen lassen und mit göttlichem Wort gern wollen gewiesen werden, ob sie schon nicht alles das glauben, das einem jeden Ordensbruder in seiner dunklen Zelle geträumt hat. Gott weißts, daß wir nicht weder Ehr noch Nutz noch keinem zeitlichen Frommen uns fürbilden, sondern die einig Ehr Gottes suchen und darum nicht allein merklichen Abgang deß, das uns vormals als Blindenführern in Opfern, Vigilien, Seelgrädten, Banschatzen, Bruderschaften, Beychthören, Votiven und anderen Velolmungen zugegangen ist (welche Summ sich ohne die widungen der Pfründen auf 600 Gulden und mehr verlaufen), sondern täglich Schmähreden, Haß, Aufsatz und nicht einerlei Gefährlichkeit erduldet und erlitten haben. Wir haben aber gern fahren lassen, das uns neben der Wahrheit durch verderbliche Mißbräuche die Küche und den Keller gespeist hätte. Gott wolle alle Irrenden an den Weg weisen seiner Wahrheit. Amen.“

Dr. Wendelin Oswald antwortete auf diese Schrift nicht, zog aber bald darauf von St. Gallen nach Einsiedeln, nachdem ihm der Rath wegen des oben erwähnten Diebstahlbezüchts den Schutz aufgekündigt hatte, so daß er die Klosterfrauen zu St. Katharina, bei denen er schon vierundzwanzig Jahre Beichtiger gewesen war, nicht mehr besorgen konnte. Nach seiner Abreise ward den Klosterfrauen mit ihrem neuen Beichtiger, dem früheren Prior des Dominikanerklosters zu Konstanz, auferlegt, den Predigten I)r. Schappelers anzuwohnen, mit der Anweisung, daß der Beichtiger den Schappeler zurechtweisen und widerlegen solle, wenn er in dessen Vorträgen Falsches zu entdecken glaubte. Als der Prior sich dies zu thun weigerte, ward Schappeler den Nonnen zum Lesemeister gesetzt, daneben ihnen ein Vogt bestellt und jedem katholischen Priester verboten, dieses Kloster oder die St. Leonhardsklause zu betreten; die Klosterfrauen sollten ihre Ordenskleidung ablegen und mit Hintansetzung der Klausur in die St. Mangenkirche zur Predigt gehen. Das Sakrament wollte man ihnen übrigens noch nicht nehmen „bis sie bas erbaut seien.“ Die Nonnen fügten sich sehr ungern in diese Maßregeln, die Kantone aber verwiesen dieselben sehr hart dem St. Galler Rath. Dieser rechtfertigte sein Verfahren und antwortete, er habe Dr. Wendelin nicht vogelfrei gemacht, sondern ihm nur den Aufenthalt in der Stadt versagt, weil derselbe sich des Disputirens geweigert, zwei Kinder gezeugt, und der Bürgerschaft übel nachgeredet habe; den Klosterfrauen bei St. Katharina sei wegen ihrer vielen Gastereien ein Vogt gesetzt worden; wenn Schappeler dem Bischof nicht genehm sei, möge er für ihn einen anderen Lesemeister bestellen. Im Uebrigen setzte die Stadt ihr Reformationswerk fort. Nachdem die Messe verendet war, mußten sich die evangelischen Geistlichen über die Lehre vom Abendmahl, die bisher als offene Frage betrachtet worden war, verständigen; der Rath verlangte hierüber ein begründetes Gutachten von ihnen, und nach vielem Disputiren ward unter dem Einfluß Vadians endlich beschlossen, sich der Lehre Zwingli’s anzuschließen. Es wurde nun eine Ordnung verfaßt, in welcher Weise die Feier der Kommunion Statt haben sollte, und diese zum ersten Mal am Osterfest 1527 gehandhabt, wobei Bürgermeister, kleine und große Räthe sammt ganzer Gemeinde und viele Evangelische aus weiter Umgebung sich einfanden. Anstatt des lateinischen Kirchengesangs wurden deutsche Psalmen eingeführt und auf Antrag der Geistlichen eine Katechisation der Jugend angeordnet, damit diese von ihrem Glauben Rechenschaft abzulegen lerne. Auch die Feiertage wurden abbestellt; wegen der Unruhe aber, welche die Gesellen und Dienstboten über diese Verringerung der Ruhetage anstellten, mußten mehrere wieder beibehalten werden. Die Geistlichen wurden aufgefordert in die Ehe zu treten, und im Brachmonat 1527 ließen sich der bejahrte Ruraldekan Hermann Miles, Anton Zili, Gall Knoblauch, Othmar Lieb, Bartholomä Weyermann, Klemens Hör und Hans Noll öffentlich trauen. Gleichzeitig erließ der Rath geschärfte Zuchtgesetze; den Geistlichen ward aufs Neue befohlen, ihre Beischläferinnen entweder zu entlassen oder zu heirathen; Mönche, die in der Stadt Unzucht trieben, sollten ins Gefängniß gebracht werden, was der Abt sehr übel vermerkte. Auf Ehebruch und Hurerei wurden hohe Strafen gesetzt, den Weibspersonen verboten, „die Tafeln aufzuthun,“ d. h. ausgeschnittene Kleider zu tragen; die Schneider mußten schwören, nie wieder solche ärgerliche Kleider oder zerhauene Hosen zu machen; auch hatten groß und klein Räthe „die unnütze schnöde Schandbarkeit und ärgerliche Reizung der Schuhen betrachtet“, und allen Schustern ein Muster, nach welchem sie in Zukunft ihre Schuhe fertigen sollten, mit dem Befehl zugestellt, daß ein Schuh über die Zehen nicht weniger als drei Finger breit Leder haben solle. Als der Pfarrer zu Niederbüren, Hans Schindeli, St. Gallen eine ketzerische Stadt schalt, und der Pfarrer von Wil, Dr. Franz Sonnschein, äußerte, die Städte St. Gallen, Zürich und Bern gingen mit Schelmenwerk um, wurden beide vom Magistrat an den Pranger gestellt, obschon der geistliche Herr Sonnschein im Rausche geredet haben wollte. Die Reformation hatte sich im Herzen des Volkes Bahn gebrochen, eine feste Ordnung in Lehre und Kirchengebräuchen sollte durch Anschluß an die übrigen evangelischen Kantone gewonnen werden.

8. Religionsgespräch zu Bern und seine Folgen.

Die Resultatlosigkeit des Gesprächs zu Baden sollte das zu Bern verbessern. Vadian war Einer der Präsidenten derselben. Scherzend schrieb darüber Oecolampad an Zwingli (15. Dezbr. 1527): „Die Bestie (Eck) wird nicht kommen; kommt sie doch, so wird Vadian ihr einen Trank mischen mit mehr als menschlichen Zaubermitteln; und fährt sie fort ungezogen zu sein, so werden die Kolbe mit Kolben dreinschlagen.“ Dem Vadian wurden von Seiten des Raths der Zunftmeister Christoph Keßler, genannt Krenk, und von den Predigern Pfarrer Burgauer, Dr. Schappeler und Dominikus Zili beigeordnet; allen St. Galler Geistlichen aber ward angezeigt, daß welcher von ihnen sich getraue, die Messe, Bilderverehrung u. dgl. schriftmäßig zu behaupten, nach Bern gehen solle, dort zu disputiren; die Obrigkeit werde Jedem ein Pferd geben und ihn kostenfrei halten. Am 6. Januar 1528 eröffnete Vadian das Gespräch mit kurzer Rede, worin er alle Anwesenden bat, die Wichtigkeit dieser Handlung zu bedenken und der Ordnung des verlesenen Mandats nachzuleben, „denn wo dieselbe übertreten würde, so müßten sie, die Präsidenten, Jeden, der sie übersehe, zurechtweisen. „Auf Solches so möget ihr, meine Herren, die Prädikanten eurem Erbieten nach die erste Schlußred in des Herrn Namen an die Hand nehmen und die mit Geschrift befestnen, damit den Herren, geistlich oder weltlich, so dagegen zu haben vermeinen, zu disputiren Anlaß gegeben werden möge.“ Gegen die vierte Schlußrede, „daß der Leib und das Blut Christi wesentlich und leiblich in dem Brod der Danksagung empfangen werde, möge mit biblischer Geschrift nicht beigebracht werden,“ erhob sich Pfarrer Burgauer, welcher noch immer der lutherischen Lehre vom Abendmahl anhing und seine Ansicht gegen Zwingli, Oecolampad und Bucer, freilich mit schwachen Gründen zu vertheidigen suchte. Nach langem Gespräch erklärte er am 19. Januar: „Ich bekenne, daß ich durch vorgehaltene Schriftstellen und Erklärungen meiner geliebten Brüder dergestalt berichtet bin, daß ich zu dieser Stunde gesinnt und Willens bin, mich nicht gegen diese Schlußrede und dergestalt, wie geschehen, einzulassen oder zu widerfechten, guter Hoffnung, die Gnade Gottes, durch welche er das Licht der Wahrheit etliche Jahre so augenscheinlich eröffnet hat, werde in dieser Sache mir und Anderen auch entdecken, was daran als unbezweifelt anzunehmen sei. Ich will mir also allezeit weiteren Bericht mit Gottes Wort vorbehalten und hiemit meinen Mithaften, die an diesem Tisch gesessen, nichts aufgelegt noch abgenommen haben.“ Sofort gab Dominikus Zili die Erklärung ab: der Rath von St. Gallen habe Burgauer und ihn hieher gesendet, um hier wegen ihrer streitigen Meinung über das Abendmahl Bericht zu nehmen und zu geben; „da sich Burgauer zum Theil bekennt, berichtet zu sein, bitte ich Gott, daß er ihm das Uebrige auch zu verstehen gebe und ein Herz, beständig an demselben zu beharren. Lange Zeit ist von der Gemeinde zu St. Gallen nichts gespart und aller Fleiß angekehrt worden, einmüthig die Wahrheit Christi und sein Wort zu predigen, haben auch viel Gespräch nach Befehl unserer Herren gegen einander gehalten, an welchen der Pfarrer auch etwa nicht hat antworten können; das ich Gott befehle, der ihn in diesem Artikel erleuchten möge.“ Bis zum 26. Januar dauerte die Disputation, an deren Schluß Vadian Namens aller vier Präsidenten dem Rath zu Bern die Disputationsacten übergab. Sie war für die Reformation der Schweiz, und so auch St. Gallens von der größten Bedeutung. Die Abgeordneten kehrten in ihre Städte mit freudigem Muth und dem stärkenden Gefühl der Einigkeit zurück.

Vor Allem ward jetzt in St. Gallen mit dem gänzlichen Aufräumen des Bildergreuels Ernst gemacht. Keßler erzählt: „Wie unsere Obrigkeit die Götzen aus der Pfarrkirche zu St. Laurenzen im Jahr 1526 ordentlich abgefertigt, wäre wohl ihr Wille und Meinung gewesen, alle gefährliche oder abgöttische Bilder aus all ihren Kirchen, vorab aus der Pfarr zu St. Mangen abzuthun. Da aber eine fürsichtige Obrigkeit merkte und verstund, daß der Herr Abt solche Aenderung auf das Widerwärtigste und Klagbarste annehmen, hindern und widersprechen wollte, als ob in dem Seinen und seinen Gerechtigkeiten, die er in der Pfarr von Lehenschaft wegen hätte, Gewalt beschäl??, dann viel Unruh, Rechtung, Verantwortungen (als bedroht) vor den Eidgenossen, bei welchen wir sonst durch tägliche Vertragung verunglimpft und in Ungunst gebracht, vermieden würde, hielt sich damals unsere Obrigkeit auf Bitten und Vermahnen auf das Freundlichst gemeldeter Pfarr zu St. Mangen Kirchgenossen, sie wollen ihre Götzen bis nach auf eine gelegenere Zeit ohnlang dulden, so wollen sie mittlerzeit selbst dazuthun und handeln, wie einer christlichen Obrigkeit wohl anstehe. Also ergaben sich die Kirchgenossen gehorsam und gütlich, bis jetzt auf vergangener und beschehener Disputation zu Bern, so dieser Artikel, die Götzen belangend, ferner erläutert und andere mehr Städte, als Konstanz und Lindau, auch tapferer zu handeln ein Herz gefasset, haben obgedachte Kirchgenossen der Pfarr zu St. Mangen nach ihrer Gewohnheit eine Kirchhöre versammelt sammt ihrem Pfarrer Hermann Miles mit dem Beschluß, sich des Götzendienstes jetzt zu entladen.“ Der Rath erlaubte am 28. Februar 1528 den Pfarrgenossen zu St. Mang, aus der Kirche Alles, woran sie Aergerniß und Anstoß nahmen, zu entfernen, worauf diese die Altäre umstießen, die Gräber der hl. Wiborad und Rachild ausebneten, den Arm des hl. Mang, mit dem die Kirchenpfteger erst noch im Jahre 1521 zur Vertreibung der Engerlinge auf Uri ausgezogen waren, heimlich in die Erde vergruben, die silbernen Bilder und Gefäße zusammenschmolzen, die Meßkleider verkauften und aus dem erlösten Geld eine Armenkasse errichteten. Am Härtesten schritt man gegen die Klosterfrauen ein: in der Voraussetzung, daß sie durch ihre Lesemeister mit der evangelischen Lehre nun hinlänglich vertraut seien, ward von ihnen gefordert, sie sollen ihre Beichtväter verabschieden, ja auf St. Jakobstag ihre Ordenskleider ablegen. Für ihr zeitliches Auskommen wurde freigebig gesorgt: die einen nahmen die evangelische Konfession an und verehelichten sich mit angesehenen Bürgern; diejenigen aber, welche bei ihrem Ordensgelübde verbleiben wollten, begaben sich im Jahr 1545 nach Bischofszell und bezogen darauf die verlassene Klause am Nollenberg bei Wuppenau.

Während aber in der Stadt die Reformation völlig gesiegt hatte, ertönten in der Münsterkirche noch die alten feindseligen Predigten, sah man dort noch das ganze alte Ceremonienwesen in vollem Gang. Im Kloster waren alle Geistliche mit Ausnahme der Viere, welche schon im Jahr 1524 die Reformation angenommen hatten, fest entschlossen, dem alten Glauben und ihren Gelübden treu zu bleiben, und der Abt fuhr fort, so gut er konnte, der Reformation entgegen zu arbeiten. Hierdurch ward in der Bürgerschaft die Zwietracht erhalten und genährt, da jede Partei natürlich nur da den Gottesdienst besuchen wollte, wo ihr Glaube gepredigt wurde. Der Rath beschied nun die katholischen Bürger und Bürgerinnen vor sich und bat sie dringlich, um ihres Seelenheils und gemeinen Friedens willen alle Sonntage und an den beibehaltenen Feiertagen in die Spätpredigt nach St. Laurenzen zu gehen, so solle ihnen dann nicht benommen sein, auch die Münsterkirche zu besuchen. Auch unter den Rathsherren hatten bisher noch mehrere eifrige Katholiken gesessen; aber auf St. Johann d. T. Tag wurden sie bei der gewöhnlichen halbjährigen Rathserneuerung ihrer Stellen, jedoch mit allen Ehren entlassen und durch Freunde der Reformation ersetzt. Bald darauf zeigte der Rath den in die Stadt verbürgerten Kaplänen, die im Münster noch Messe lasen, an, daß, da die Messe auf der Berner Disputation als ein Greuel erfunden worden sei, und sie trotz der Einladung in Bern nicht erschienen wären, um mit der Bibel für die Messe zu zeugen, er sie nicht ferner gedulden könne; sie sollten darum entweder freiwillig vom Messelesen abstehen oder dieselbe vor dem großen Rath durch eine Disputation behaupten oder die Stadt verlassen. Natürlich wagte Keiner den Gegenbeweis zu führen, vielmehr ersuchten sie den Abt, sie gegen ein billiges Kostgeld im Kloster aufzunehmen, und nachdem ihnen dieses zugesagt war, gaben ihrer sieben das Bürgerrecht auf, verließen ihre Pfründhäuser und übersiedelten in das Kloster. Nach diesem ließ der Rath auch auf dem Kirchhof mit allen Kreuzen, Grabmälern und Grabsteinen aufräumen. Umsonst ward Wendeli’s würdiger Nachfolger auf der Münsterkanzel, Adam Moser, wiederholt erfordert, statt seiner Schmähpredigten sich mit den evangelischen Predigern zu einem Gespräch zu stellen; als derselbe endlich resignirte und nach Wyl abreisen wollte, ward er in der Stadt angehalten und gefangen gesetzt, um von ihm Rechenschaft seiner Predigten zu fordern. Zweiundzwanzig Artikel der neuen Lehre, die er nach und nach als Irrthümer geschmäht hatte, wurden ihm schriftlich zugestellt mit der Weisung, den angeblichen Irrthum durch die hl. Schrift zu beweisen, und nachdem ihm Zeit zur Vorbereitung gelassen war, ward eine öffentliche Disputation in der Rathsstube gehalten, bei welcher er seinen Irrthum bekannte. Hierauf ward beschlossen: weil er als ein öffentlicher Prediger Irrthum gelehrt habe, so solle er solchen in der Pfarrkirche zu St. Laurenzen auch öffentlich widerrufen, fünfzig Gulden Kostenersatz baar erlegen, hundert Gulden als Buße verbürgen, und nachdem er eine Urfehde geschworen, wieder ledig gelassen werden. Am Weihnachtstage 1528 leistete er den öffentlichen Widerruf. Da er bisher als eine Stütze des katholischen Glaubens gegolten hatte, machte sein Widerruf im ganzen Thurgau großes Aufsehen.

Wie zu erwarten, sahen die katholischen Kantone sehr übel zu dieser entschlossenen Durchführung der Reformation, und es konnte der Stadt St. Gallen nicht verargt werden, wenn sie bei ihren Glaubensbrüdern in Zürich und Bern um ein Schutzbündniß ansuchte. Dieß kam unter dem Namen einer christlichen Bürgerschaft wirklich zu Stand, und am 30. Oktober 1528 ward Vadian mit einer Rathsbotschaft nach Zürich verordnet, wo ihm die von Zürich Bürgerrecht erstmals geschworen und Brief aufgerichtet und besiegelt haben.

Jetzt wagte der Rath auch den letzten Schritt gegen das Kloster. Der größte und ansehnlichste Theil der nun reformirten Bürgerschaft St. Gallens hatte schon lange bedauert, daß ihre Voreltern vieles Geld für Bilder und Tafeln in die Münsterkirche in gutem Meinen, aber aus Unverstand verwendet hätten. Mehrmals begehrten sie vom Rath, daß diese Bilder, die sie als ihr Eigenthum betrachten zu dürfen glaubten, aus der Münsterkirche in gleicher Weise entfernt werden, wie es bereits in den Kirchen der Stadt geschehen sei. Endlich willigte der Rath, an dessen Spitze abermals seit Neujahr 1529 Vadian als Bürgermeister stand, ein.

Am 23. Februar ward der darauf bezügliche Beschluß gefaßt und zur Vermeidung des Aufsehens sogleich ausgeführt. Die Stadt ward mit starker Wache besetzt, Handwerker und Fuhrwerke bestellt, und Vadian zog mit einer Rathsdeputation und einer Anzahl Bürger nach der Münsterkirche hinauf. Hier eröffnete er den Klostergeistlichen, daß sie gekommen wären, in der Stille die Bilder, Altäre und Messe wegzuschaffen, damit nicht die Landleute Solches zu thun versucht wären, was ohne ihre und der Stadt große Gefahr nicht ablaufen könnte; da es sich nur um Gegenstände der Abgötterei handle, so erwarte man, sie werden Solches gutwillig geschehen lassen. Der Dekan des Stifts antwortete: Sie könnten hiezu ohne des Abts Einwilligung, der auf dem Schloß Rorschach krank liege, nicht Erlaubniß geben; doch wolle er, weil man ihm die Frist, mit dem Abt zu reden, verweigere, das Kapitel darüber vernehmen. Dieses schlug die Zumuthung rund ab und forderte den im Kloster gegenwärtigen Hauptmann bei dem Eid, mit welchem er dem Stift verpflichtet sei, auf, die Bürger der Stadt im Namen der vier Orte von der Beschädigung der Abtei abzuhalten. Der Hauptmann entgegnete, hier handle es sich um Geistliches, dazu die Schirmorte nichts zu reden hätten, der Bürgermeister aber nahm alle Verantwortung auf die Stadt und gab das Zeichen zum Abbrechen. In unglaublich kurzer Zeit war das Zerstörungswerk von den Bürgern vollbracht: in nicht ganz drei Stunden waren alle Bilder abgerissen, umgestürzt, zerschlagen und in Stücke zersägt. Darauf wurden an Holzwerk aus dem Münster und dessen Kapellen sechsundvierzig Wagen voll auf den Brühl geführt und Alles sammt den kunstvollen Chor- und Beichtstühlen verbrannt. Keßler maß den Durchschnitt der Flamme und fand ihn 43 Schuh breit! Am folgenden Tag wurden die steinernen Statuen und Altäre abgebrochen, und die Steine theils zum Vermauern der Thüren und Fenster zu den Kirchenschätzen theils zu anderem Mauerwerke verwendet. Nur die Orgel blieb unbeschädigt und die Gebeine des hl. Othmars und Notkers, welche in ihren Särgen in der Nacht vom 23. auf den 24. Februar von den Klostergeistlichen herausgenommen und nach Einsiedeln geflüchtet worden waren.

Eilig ward Namens des Abts an die vier Orte berichtet. Schon am 3. März trafen Boten von Luzern, Schwyz und Glarus ein. Vor ihnen rechtfertigte der Rath das Geschehene als nothwendige Sicherheitsmaßregel; übrigens gedenke er weder den Klostergeistlichen noch den fürstlichen Beamten ferner etwas in den Weg zu legen; doch müsse der Abt für die Kanzel im Münster einen Prediger bestellen, der das heitere Wort Gottes, wie es jetzt gefunden sei, vortrage, wo nicht, so wollte er selbst für einen Sorge tragen. Dagegen forderte das Stift von den Schirmorten gegen die Stadt Schutz und Recht; Abt Franz bat, daß jedes Ort zur Sicherheit einen Gesandten nach Wyl schicke, und daß Schwyz dem Konvente, welches in St. Gallen nicht mehr sicher sei, in Einsiedeln einen Zufluchtsort gestatte, wo es auf eigene Kosten leben würde. Die Abgesandten reisten wieder ab, zu berichten; die Klostergeistlichen folgten ihnen sogleich nach, um sich vorerst in Wyl aufzuhalten; zu St. Gallen aber bestellte der Rath, ohne die Antwort der drei Orte abzuwarten, den Schullehrer Dominikus Zili zum Münsterprediger, der schon am Tage nach der Abreise der Gesandten, den 7. März, die erste evangelische Predigt vor viertausend Zuhörern darin hielt.

Unterdessen starb am 21. März Abt Franz in Rorschach. Sein Tod wurde von den Mönchen so lange verheimlicht, bis mit ihm die Neuwahl Kilians verkündigt werden konnte. Die heimliche Wahl ward in St. Gallen mit bösen Augen angesehen, und die Züricher mahnten die Gotteshausleute und Toggenburger, Kilian nicht als ihren Herrn anzuerkennen, und versprachen ihnen hiebei Schutz: das Klosterleben sei wider das klare Wort Gottes; laut diesem dürfe kein Geistlicher Land und Leute regieren. Dagegen geboten die Gesandten der übrigen Schirmorte den Gotteshausleuten und Toggenburgern, Kilian als ihren Herrn und Abt von St. Gallen anzuerkennen. Die Gemeinden des oberen Amts befolgten den Rath Zürichs und erklärten in einer am 23. April zu Lömischwyl abgehaltenen Landsgemeinde, daß sie sich der Herrschaft des St. Galler Abts nicht mehr unterziehen. Die Gemeinden des unteren Amts leisteten die Huldigung, während die Toggenburger getheilter Ansicht waren. Am 20. Mai fand zu Wyl, wo der neue Abt seinen Wohnsitz hatte, eine Konferenz der vier Schirmorte Statt. Die Gesandten von Luzern und Schwyz versicherten Kilian der Anerkennung und des Beistands ihrer Obrigkeit zur Behauptung der Rechtsame des Stifts nach bisherigem Herkommen; auch der Abgesandte von Glarus versprach ihm Schutz, doch nur unter der Bedingung, daß der Abt die Kutte ablege; Zürich behielt sich geeignetes Gutfinden vor. Sobald Kilian einen Bruch zwischen den katholischen Ständen und Bern und Zürich eingeleitet hatte, floh er in Fuhrmannstracht über den Bodensee nach Ueberlingen, um bei Oesterreich Hilfe zu suchen, und die Stadt St. Gallen säumte jetzt nicht mehr, sich zu ihrer eigenen Sicherheit des Klosters zu bemächtigen. Am 7. Juni versammelte der Bürgermeister Vadian in der Frühe den großen Rath und bewirkte den Beschluß, das Kloster in der Stadt Hände und Gewahrsam zu nehmen. Sofort schickte der Rath aus jeder Zunft drei Mann heim, ihre Harnische und verordnete Waffen anzulegen und mit gewaffneter Hand wieder vor das Rathhaus zu kommen. Um die eilfte Stunde war Jeder zugegen, versammelte sich männiglich auf dem Markt. Da redet Herr Bürgermeister von Watt von der Rathsstube herab dieser Meinung: Liebe Bürger, das meine Herren angesehen und fürgenommen, soll von denen, die dazu verordnet sind, ausgerichtet werden, sonst soll Niemand, weder Mann noch Weib, Jungs noch Alts in das Kloster hinaufgehen! Demnach gingen die drei Bürgermeister sammt klein und großen Rüthen und die Gewappneten voran in das Kloster hinauf und begehrten, daß die Mönche, Priester, Amtleute und Dienstleute, so zu diesen Läufen in ihrer Stadt und Mauern bleiben wollten, einer Stadt schwören sollen, was sie thaten. Gleichzeitig wurde ein Inventar über das vorhandene Stiftseigenthum aufgenommen und gegen die dieser Verfügung widerstrebenden Klosterbewohner gefänglich eingeschritten und männiglich scharf verboten, weder mit dem entflohenen Abt, noch mit den abwesenden Kapitularen Verkehr zu pflegen.

Während Abt Kilian in Ueberlingen und Einsiedeln für Verfechtung der Rechte des Stifts wirkte, wußte zu St. Gallen Niemand, wer eigentlich Herr und Meister der Abtei, des Stiftsgebietes und der Grafschaft Toggenburg sei; nur dem Appenzeller Witz gelang es auszumitteln, man habe den Widerspruch zum Regenten des Fürstenlandes auserkoren. Als nach langen Verhandlungen Abt und Konvent an Kaiser und Reich appellirten und das Reichsgericht die Sache der Abtei St. Gallen in Hände nahm, unterwarfen sich am 25. Mai 1530 die Gotteshausleute der ihnen von Zürich und Glarus gebotenen Landesverfassung. Die Abtei St. Gallen ward als erledigt, Abt Kilian und Kapitel ihrer Ansprüche an das Stift verlustig erklärt; Zürich und Glarus stellten in ihrem und der beiden andern Schirmorte Namen den ganzen Platz des Klosters St. Gallen eigenthümlich zu Handen gegen die Verkaufssumme von 15,000) Gulden; die Münsterkirche blieb der Abhaltung des Gottesdienstes nach den Vorschriften des reformirten Glaubensbekenntnisses für die Pfarrangehörigen der Stadt und umliegenden Ortschaften gewidmet; der Katholicismus schien aus seiner letzten Beste verdrängt.

9. Synode zu St. Gallen. 1530.

Das Aufbauen hatte in St. Gallen mit dem Einreißen nicht gleichen Schritt gehalten; schneller waren die Bilder und Meßgreuel entfernt, das römische Joch abgeschüttelt, als eine Einheit der Lehre und Kirchengebräuche in St. Gallen aufgerichtet worden. Kaum hatte in Bern der Lutheraner Burgauer nachgegeben, so forderte ein Vetter Vadians, der lutherisch gesinnte Georg von Watt, über die leibliche Gegenwart Christi im Abendmahl mit den St. Galler Predigern vor klein und großen Räthen ein Gespräch zu halten. Nachdem dieses zwei Tage angedauert und Georg von Watt endlich zu der Erklärung hingedrängt war, „er glaube einmal, daß in diesem Sakrament der Leib Christi genossen und sein Blut getrunken werde, wie es aber geschehe, stelle er der Allmacht Gottes anheim“, schloß Vadian das Gespräch mit den Worten: „Nun seien sie eins, denn solches glauben und lehren die Prädikanten auch; dicweil aber sein Vetter Jörg nicht eigentlich wüßte noch sprechen wollte, welcherlei Maßen Christus leiblich genossen werde, habe er nicht genugsame Ursache, die Prädikanten eines Irrthums zu strafen.“ Wie Burgauer über das Abendmahl mehr altkatholisch als lutherisch dachte, so Dominikus Zili über die Beichte in gleicher Weise. Dieser, der nun angesehener Stadtpfarrer war, konnte sich von einigen Nebenbegriffen der Beichte nicht ganz losmachen, sondern erachtete es für Pflicht seines Pfarramts, geheimen Anklagen seiner Spione und Ohrenbläser Gehör zu geben; auf solche in anzüglichen Strafpredigten Rücksicht zu nehmen und wenn das dadurch erregte Aufsehen obrigkeitliche Untersuchungen veranlaßte, den Namen der Angeber, besonders wenn ihnen Unannehmlichkeit oder Schaden daraus hätte erwachsen können, standhaft zu verschweigen. Bei dieser Uneinigkeit war es ein glücklicher Griff Vadians, daß er die Abhaltung einer Synode beantragte, zu welcher Zwingli geladen werden sollte. Hören wir, was Keßler hierüber berichtet: Dieweil die Irrthümer des Papstthums, zudem unter uns eigensinnigen Köpfen, zu viel Spaltung, Sekten und Aufruhr täglich Ursach gaben, dieselbigen nicht allein niederzulegen, sondern künftighin besser fürzukommen, haben die Prädikanten von Zürich, fürnemlich Huldreich Zwingli, christlicher Einigkeit zu Nutz für gut und nothwendig angesehen, dasjenige an die Hand zu nehmen, dessen sich in solchen Fällen die Apostel zum Ersten und hernach die Hirten und des Worts Gottes Diener gebraucht und beflissen haben, nemlich Synodos halten. Also dem Allen nach ist ein solcher Synodus, dieweil etwas Misch all unter den Prädikanten von- wegen der Form Amts christlichen Banns oder Absunderung erwachsen wollte, von unserer Stadt und des Gotteshauses Oberkeit angesehen und auf 18. Dezember bestimmt und in unserer Stadt St. Gallen zu halten fürgenommen; alldahin auch beschieden worden von Zürich Huldreich Zwingli, der Herr Abt von Capell. Es haben auch andere Priester aus dem Rheinthal und Land Appenzell und Grafschaft allhier beflissen, damit sie etwas christlichens möchten unterrichtet werden, ob sie gleich zu handeln in diesem Synodo nicht berufen wurden. Auf bestimmten Tag nach der Morgenpredigt hat man sich an dem Markt auf der Weberzunftstuben versammelt, sind zu Präsidenten verordnet von den Prädikanten Huldreich Zwingli und Jakob Riner, jetztmal zu einem Prädikanten von der Stadt gen Tail geliehen; von der Obrigkeit Bürgermeister Heinrich Kumber und Jakob Frei des Gotteshauses Hauptmann. Demnach die Oberkeit den Eid angegeben, nemlich daß jeder Prädikant sich verpflichte, nichts Anderes zu lehren oder zu predigen, als was der Synodus gut gefunden hätte. Hat sich deßhalb nirgends ein Span erhebt; nur unser Prädikant Dominikus Zili mitsammt Joann Fortmüller zu Altstetten haben diesen Eid widerfochten und zu schwören in keinem Weg schuldig sein, denn Christus habe seinen Aposteln keinen Eid angeben, sie haben auch nicht aus Eid, sondern aus schuldiger Pflicht das Evangelium gepredigt; deß wollen sie sich auch halten und deß vernügen lassen, daß Gott spricht durch den Propheten, er wolle das Blut von ihren Händen fordern. So stund auf Zwingli und sprach: Lieber Dominice, als ich angehends gelehrt, gepredigt und geschrieben habe, hat mir das Niemand bei keinem Eid geboten, sondern allein Gottes Beruf und Befehl. Dieweil uns aber hohe Nothdurft zu solchen Synoden zwingt, derhalben Noth, daß sich die Brüder mit solcher Eidespflicht einander zu erkennen geben, was Jeder sich zu dem Andern versehen solle. Dann wiewohl die Apostel von Christo keinen Eid empfangen, doch als sie hernach zusammenkommen (wie Paulus sagt), ob sie gleich nicht wie wir die Finger aufgehebt, doch haben sie einander die Hände geboten und vereinbart, daß Etliche unter den Heiden, Etliche unter den Juden das Evangelium predigen sollen, welches ich für ein Zeichen achte. Was wäre je für eine Nutzbarkeit, daß wir Synodos beschreiben und nach denselben wiederum ein Jeder auf seine Meinung trolte und wie vor nachher Eigensinnigkeit anrichte. Zudem wird Manches in der Censura der Priester gemeldet, das von ihm in keinem Weg ausgespraist, sondern im höchsten Vertrauen soll verschwiegen bleiben. Es müssen ja auch fromme Bürger und so man die Räthe besetzt, einen Eid thun, bürgerliche Statuten zu halten und Jedem sein Recht unangefochten verfolgen zu lassen, ob sie gleich deß von ihnen selbst aus Liebe zu gemeinem Frieden und Gerechtigkeit sonst zu thun willig erfunden werden. Es muß aber durch den Bankhinweg gleich zugehen. Dieser Zank hat sich ein lang Weil verzogen, bis man zuletzt gesprochen, welche schwören wollen, sollen aufheben. Da haben andere Priester all aufgehebt und geschworen, ausgenommen gemeldete Zween haben sich zu schwören keineswegs untergeben wollen, besonders Dominikus, denn man sagt, Fortmüller habe hernach den Eid angenommen. Demnach man ein Gebet zu Gott um Offenbarung seines h. Willens und Worts gehalten, hat man den Artikel von dem christlichen Bann in die Hand genommen. Und zum Ersten Dominikus, unserer Prädikanten Einer, und vorgemeldeter Johann Fortmüller hielten für, wie die rechte Form Bannens und Ausschließens beschrieben wäre, Matth. 15. und dermaßen durch Paulum bei den Korinthern erstattet. Darauf antwortet Zwingli: Lieben Brüder, ich und Martinus Bucer, wie er sammt Oecolampadio bei mir nächst zu Zürich gewesen und mir vormals Oecolampadius seine Meinung von dem Bann schriftlich zugeschickt, nicht ließ anfangs mißfallen. Doch wollt Bucer gar nicht drin sein, derhalben wir uns übten und herfürbrachten, es mög hie nicht mehr geredet werden, das wir nicht gemeldet und angerührt haben, so diesen Artikel berühren möge, und besonders zum Letzten, daß unser Zeit (da wir die Zeiten gegen einander vergliechen) viel mehr der Propheten denn der Apostel Zeiten mag verglichen werden, und die Kirche eine andere Gestalt dann dazumal habe, nicht der Lehr und Predigt, sondern der Obrigkeit halb. Denn zu der Apostel Zeit war die Kirche hin und her zerstreuet, hat weder Oberkeit noch Regiment, sondern war fremder heidnischer Oberkeit unterthan, die der Laster nicht viel achtet, derhalben sie damalen mit keinem Andern füglicher mochte die Laster abwenden, denn mit Ausschließen deren, so keiner Warnung noch Verbesserung nachkommen, ließen Heiden wieder Heiden werden. Demnach aber die Oberkeiten Christen wurden, hat Jenes, so von den heimlichen Christen geübt, aufgehört, und soll solches durch Oberkeiten vollstreckt werden: dann ehe der Mörder und Todtschläger mag ausgeschlossen werden, so hat ihn die Oberkeit schon hingerichtet. Wo aber die Oberkeit zu strafen und wehren lässig, dann sollen und mögen die Gemeinden solchem Sauerteig, damit der ganze Teig nicht verführt werde, mit ihrem Gewalt, von Christo übergeben , fürkommen und ihre Gemeinsame sauber und rein behalten; dann sollen auch die Prädikanten zugleich wie die Propheten die Oberkeiten strafen und ihr Laster anzeigen. Demnach hat sich wiederum Red und Antwort zutragen bis auf den dritten Tag, und von beiden Theilen unvereinbart abgeschieden, dann daß Fortmüller nachgab, es möchte ja solcher Gewalt aus Liebe wohl einer Oberkeit von der Gemeine übergeben werden, doch daß sie den, wo er mißbraucht, wiederum zu Handen nehmen möge; Dominikus aber ist auf seinem ersten Fürtrag nicht um ein Dnpfli abgewichen. Es sind auch zu diesem Synodo beruft und erfordert die Wiedertäufer und Tauften; ihr keiner aber ist erschienen. Zum Letzten ist die Beschätzung oder Correction der Priester, desgleichen Verhörung der neuen Prädikanten vollendet. Nach Allem hat Zwingli mit einer ernstlichen Red die Prädikanten ihres sorgfältigen Amts erinnert und hiemit den Synodum beschlossen. Zu der Zeit ist unser Herr Dr. Joachim von Watt nicht anheimsch gewesen, sondern, die kriegerische Empörung zwischen den Herzogen von Sachsen und unseren lieben Eidgenossen von Bern zu einem friedlichen Austrag zu bringen, sammt anderen verordneten Schiedleuten müssen beholfen sein. So sprach Zwingli in offenem Synodo: In seinem Abwesen red‘ ich von unserem Doctor Joachim: ich weiß nit mehr einen solchen Eidgenossen.

Die Synode erhob folgende zwei Sätze zu Beschlüssen: 1) daß jeder Pfarrer der Obrigkeit Treu und Wahrheit schwören solle, woraus sich von selbst ergab, daß er der Obrigkeit auch seine Denuncianten zu nennen habe, 2) daß auch das kirchliche Strafamt und was man vom Bann beizubehalten für gut finden werde, provisorisch von der Obrigkeit, die ja aus angesehenen Mitgliedern und Vorstehern einer christlichen Gemeinde bestehe, so lange verwaltet werde, bis man die Sache gehörig werde erörtert und angeordnet haben. Der Stadtpfarrer Zili aber, der nicht eingewilligt hatte, hielt auch nachher noch persönliche Strafpredigten. In einer solchen hatte er in heftigem Eifer gesagt, es gebe sogar Mitglieder des Raths, die der größten Schand- und Lasterthaten bezüchtigt werden könnten. Von dem Rath wurde eine strenge Censur seiner Mitglieder vorgenommen und Keiner schuldig befunden. Nun sollte Zili seine Anklage beweisen oder seine heimlichen Angeber nennen; er verweigerte es aber standhaft, u. A. auch aus dem Grunde, weil es mit dem Zweck und der Würde seines Amtes streite, Mitglieder der Gemeinde, die ihrem Seelsorger ein Geheimniß anvertraut hätten, unglücklich zu machen. Hierauf wurde die Sache vor die kirchliche Kommission gewiesen und Zili vor dieselbe beschieden. Vadian als Präsident derselben bemühte sich, Zili von der Unhaltbarkeit seines Verfahrens zu überzeugen, und da Zili auf seiner Pfarrei verblieb, ja sogar bald nachher Mitglied dieser Kommission wurde, so scheint derselbe nachgegeben zu haben.

10. Folgen der Schlacht bei Kappel.

Mitte Augusts des Jahres 1531 ward ein Komet gesehen. Der im Aberglauben seiner Zeit befangene Vadian äußerte sich bald in banger Besorgniß und Keßler schreibt: „Damit die Wirkung dieses Kometen nicht lange ausbleibe, ohne Zweifel unseres unbußfertigen Herzen halben hat sich in unseren Landen einer löblichen Aidgenossenschaft nit ein kleiner Jammer und erschrockenlich Blutvergießen, ja (wie der Kometen Art ist) eine ganze Aenderung der Regimenter zugetragen,“ – es brach der Krieg aus zwischen den fünf Orten Luzern, Uri, Schwyz, Unterwalden, Zug und der Stadt Zürich und ihren Verwandten mit Landschaft und Bürgerrecht. Am 12. Oktober 1531 erfolgte die Niederlage bei Kappel, am 21. die bei Menzingen. Kaum war die Hiobspost in St. Gallen angelangt, als der Rath den Dr. von Watt mit zwei anderen Rathsgliedern zu einer Vermittlung nach Bremgarten abordnete. Die katholischen Orte, stolz auf zwiefachen Sieg, wollten sich nicht damit befassen. Während die St. Galler noch in Bremgarten waren, lief die Nachricht von dem Friedensabschluß ein, welcher dem Züricher Heer von dem Heer der fünf Orte vorgeschrieben worden war, und welcher den katholischen Kantonen das Uebergewicht in der Eidgenossenschaft gab. Keßler erzählt: „Wie nun die Artikel gemeldeten Friedens den Rathsboten fürkommen, hat Vadian vonwegen unserer gemeinen Stadt, für die er vielfältige Sorge trägt, solchen Schrecken darob empfangen, daß er inschwerlich Krankheit gefallen und mit lauter Stimme gesprochen klagender Weise: O einer frommen Gemeind St. Gallen! und hiemit von dannen gen Zürich geritten, so schwach und seiner selbst so gar vergessen, daß ihm nit wissend, wie er dahin kommen ist. Auf den 16. Tag Novembers kommen sie her und hielt man fleißig Rath, wie ihm nun fürohin zu thun wäre, aber kein anderst möcht befunden werden einer kleinfügeren Stadt, dann in den Frieden treten, so von einer Hauptstadt so viel und weit gewaltiger angenommen. Also schickt man wiederum hinter sich Junkern Kaspern Zollikoffer sammt Gregorio Gering gen Zürich, um aufgerichteten Frieden gleichermaßen anzunehmen.“ Die fünf katholischen Orte trafen auf Ansuchen Abts Diethelm Blaurer Anstalten, diesem sein Kloster und Land wieder zuzustellen. Darüber hoch erfreut, begab sich der Abt nach Wyl, wo ihn der größte Theil der Bürgerschaft jubelnd empfing. Von da aus erließ er ein Schreiben an St. Gallen, in welchem er nicht bloß Alles, was von dem Eigenthum der Abtei in ihren Händen sei, zurückforderte, sondern auch für das Zerstörte und Verkaufte einen Schadenersatz von 60,000 Gulden forderte. Die Lage konnte für St. Gallen nicht schwieriger sein: die Stadt erwählte das beste Theil, indem sie für das entscheidungsvolle Jahr 1532 aufs Neue Vadian zum Bürgermeister wählte, und dieser zeigte sich im Unglück so groß als je zuvor.

Halten wir uns die Lage der Dinge nochmals vor Augen: die ganze Landschaft St. Gallen hatte damals evangelische Prediger, in allen Gemeinden war die Reformation angefangen oder schon vorgerückt; die Mehrzahl der Konventualen war mit dem entflohenen Abt des Klosters abwesend, andere hatten eine Pfründe angenommen oder sich mit einer Summe Geldes abgefunden. Die leeren Klostergebäude waren von den beiden Schirmorten Zürich und Glarus mit Bewilligung der Gotteshausleute an die Stadt verkauft und ihr Brief und Siegel dafür gegeben, auch aus der Kirche Bilder, Gemälde und Messe abgethan, und das Singen, Beten und Predigen in deutscher Sprache war in derselben eingeführt. Nun aber kam der Abt wieder nach Wyl, die Landschaft unterwarf sich ihm, fast Alles kehrte zum römischen Kultus zurück, und der Abt, von den Siegern unterstützt, begehrte gütlich oder rechtlich das Kloster und eine große Geldsumme als Schadenersatz. Von Zürich und Glarus erhielt St. Gallen immer schwächere Vertröstung und zuletzt sah sie sich wie ganz verlassen. Bei dieser Sachlage gab es vielerlei Redens unter den Bürgern und verschiedene Meinungen im Rathe: die Einen wollten, daß man dem Abt mit neuen Mitteln abhalten solle; Andere, man könne auf dem Recht des Kaufs nach Inhalt der versiegelten Briefe verharren; Andere wollten Leib und Gut daran setzen, den Abt nicht wieder einziehen zu lassen; noch Andere glaubten unter diesen Umständen weichen zu sollen; von ihnen wollten die Einen den Weg der Güte, die Andern den Weg des Rechts vorziehen. In solcher Gefahr und Noth der ihm so theuren Stadt und in solcher Rathlosigkeit und Uneinigkeit der Gemüther unter den Bürgern und Räthen unterstützte Vadian nicht nur die einzige kluge Partei der Gemäßigten, sondern bewirkte auch durch seine maßvolle Haltung eine vollkommene Einigung der Streitenden. Die ängstlichen Gemüther beruhigte er über die Religionsfreiheit der Stadt, die sogar nach dem Inhalt des schlimmen Friedens gesichert sei, und forderte sie auf, die Sache nur von der politischen Seite aus zu betrachten. Den blinden Eiferern, die den römischen Kultus nicht mehr in den Münster aufnehmen wollten, erklärte er, es wäre nicht Klugheit, sondern thörichte Vermessenheit, sich um Sachen willen, die man unmöglich ändern könne, in Gefahr des Leibes und Guts zu begeben, man müsse nun einmal diesen Weg gehen, und wenn man sich auch auf alle Viere, wie man spreche, legen wollte. So kam denn endlich ein Vergleich zu Stande, der zwar der Stadt theuer zu stehen kam, aber doch ihr die Freiheit des evangelischen Kultus nicht beeinträchtigte. In der ganzen Verhandlung erprobte sich der fromme und rechtliche Sinn Vadians. Als der Sieg bei Kappel in vielen Flugschriften für einen Beweis des Irrthums Zwinglischer Lehre ausgegeben wurde, schrieb Vadian in sein Tagebuch, daß Schlachten und Siege schlechte Beweise für die Wahrheit einer Lehre seien, indem es bisweilen auch den Philistern zugelassen worden, das Volk Gottes zu überwinden, und der Türke so oft Schlachten gegen Christen gewonnen und viele Städte und Länder der Christenheit erobert habe. Der damalige Papst aber soll erklärt haben, er halte auf die fünf siegenden Kantone mehr als auf die fünf Bücher Mosis.

Nach Abschluß des Vertrags hielt Abt Diethelm einen feierlichen Einzug in die alte Residenz. Um Unordnungen vorzubeugen, wurde den Zünften vorgestellt, daß es gerathen erscheine, daß sich die Bürgschaft an der Ceremonie der Installation gar nicht betheilige, und darum Männer, Weiber und Kinder sich des Zuschauens enthalten und in ihren Häusern bleiben. Die Bürger kamen dieser Verordnung pünktlich nach, und alles Glockengeläute und Singen vermochte sie nicht zum Kloster zu rufen. Im Kloster und Münster wurde der katholische Kultus wieder eingeführt. Aber bald zeigte es sich, daß manche Bürger ihm noch immer zugethan waren und aufs neue zur Münsterkirche liefen. Der Rath richtete zuerst eine freundliche Mahnung, dann einen ernsten Befehl an die Bürgerschaft, sich der Messe und aller übrigen Ceremonien ganz zu enthalten. Der Abt begehrte nun Bericht, aus was Ursachen und wie die Stadtobrigkeit erstmals durch Bitt, zum Andern durch Mandat und Verbot ihren Bürgern die päpstliche Messe zu besuchen abgekündigt und verboten habe, darob nicht allein dieselbigen Bürger sondern auch ein Abt sammt seinem Gesinde großen Widerwillen und Verdruß empfangen hätten. Der Rath behauptete aber sein Recht gegen die fünf Orte und den persönlich vor ihm erscheinenden Abt und stellte sogar Achthaber auf diejenigen Bürger an, welche zur Messe gingen, um sie zu bestrafen; ja, im Jahre l536 befohlen Bürgermeister und Rath, daß weder Bürger noch Bürgerinnen, weder Dienstleute noch Hausleute noch Hintersassen keine Kirche mehr besuchen sollten, in welcher katholischer Gottesdienst gehalten werde. Wer diesem Gebot nicht nachkommen wolle, möge außer die Stadt und Gerichte ziehen ohne allen Nachtheil seiner Ehre und seines Vermögens, und nach aufgesagtem Bürgerrecht die Märkte gebrauchen und seine Geschäfte in St. Gallen wie ein anderer Fremder verrichten. Zwar hörten die Plackereien des Abts noch nicht auf, aber die Stadt konnte sie um so eher unbeachtet lassen, als die Finanzen und Gebäude des Klosters gleichmäßig in einen immer trostloseren Verfall geriethen. Bald hatte die Stadt, die durch ihren Leinwandhandel sich sehr bereicherte, die Verluste des Kappeler Krieges verschmerzt, und Viele sahen in der Blüthe des Handels und der Bereicherung der Bürger einen Segen des Himmels, welcher der Stadt um des angenommenen Evangeliums willen zu Theil geworden sei, und machten ansehnliche Vergabungen an die Armenhäuser.

Um Vieles nachtheiliger wirkte die Schlacht bei Kappel auf die Landgemeinden, in denen die Reformation noch keinen festen Fuß gefaßt hatte. Mit Gewalt wurde der katholische Kultus wieder eingeführt und die alten Priester wieder eingesetzt. Und welche Leute! Während in der St. Gallschen Landschaft und im Rheinthal die evangelischen Prediger vertrieben wurden, erklärte ein äbtischer Priester zu Thal in der Neujahrspredigt 1533 das Kartenspiel, so daß er, um gotteslästerlicher Vergleichungen zu geschweigen, die Karte IV. die vier Evangelisten, die Karte II. die zwei Tafeln Mosts bedeuten ließ, und seine eigene Zuhörer ihn zur Sau im Kartenspiel machten, da er einzig derselben nicht gedacht hätte! Uebrigens waren so viele Landgeistliche der Reformation ergeben, daß der Abt Priester aus Baiern für seine Messen verschreiben mußte. Ein Prediger von Altstädten verlas von der Kanzel die zehn Gebote, also auch die Worte: „Sechs Tage sollst du arbeiten und alle deine Werke verrichten.“ Das wurde ihm von dem Landvogt ausgedeutet, als ob er gegen die Menge überflüssiger Feiertage in der römischen Kirche und also gegen den Landfrieden geredet hätte. Nur durch die Zumuthung seiner Gemeinde, um ihrer Ruhe und Sicherheit willen die zehn Gebote gar nicht mehr zu verlesen, konnte er der Strafe entgehen! Andere Pfarrer der St. Gallschen Landschaft gaben dem Drang der Zeit nach, lasen wieder die Messe und ließen sich von ihren Weibern scheiden, um sie als Köchinnen beizubehalten.

In der Stadt St. Gallen befestigte sich evangelischer Sinn und Dienst immer mehr und mehr; die treuen Gehilfen der Reformation Hermann Miles und Wolfgang Wetter starben zwar bald nach Vollendung des großen Werks, Ersterer am 3. Januar 1533, Letzterer am 10. März 1536, aber für Beide wurden tüchtige Nachfolger gewonnen, während auf Vadians Vorschlag hin im Jahr 1533 ein Lehrer angenommen wurde, der die Jugend, wenn sie deutsch lesen und schreiben könne, lateinisch, und bei Neigung und Talenten auch griechisch und hebräisch lehren sollte. Die Stelle erhielt Sebastian Cunz. Als dieser schon zu Anfang des Jahres 1537 starb, wurde der Sattler Keßler, der zwischenein als Missionar im Rheinthal verwendet, auch zum Vierer in der Stadt ernannt worden war, zu seinem Nachfolger bestellt. Keßler nahm das Amt, in welchem ihn später seine Söhne unterstützten, nach langem Bedenken endlich an und ward seit 1542 daneben zum ordentlichen Prediger an der St. Laurenzenkirche bestellt. Im Jahr 1554 trat er auch in den Schulrath ein, bis ihm 1560 vom Rath gestattet ward, sich des Predigens zu begeben und nur seiner Schule zu warten. Nachdem er noch im Frühjahr 1571 die Stelle eines Antistes der St. Galler Kirche erhalten hatte, starb der treue demüthige Diener des Herrn am 17. März 1574.

Sobald das ordentliche evangelische Predigtamt in St. Gallen eingesetzt und befestigt war, trat auch Vadian zurück; aber hatte er nicht Grund, wie er in seiner Vorrede zu den Aphorismen (1536) gethan, Gott zu danken, daß er ihm Gnad und Geist verliehen, in seinem Amt und Beruf keinem Ding mehr obzuliegen, als der Förderung des reinen Gottesdienstes und der wahren Gottseligkeit?

Drittes Buch.

Abriß der übrigen Lebensthätigkeit Vadians

1. Der Mitbürger.

Vadian war das Werk gelungen, zu dessen Ausführung er auf eine glänzende Laufbahn an der Universität, selbst auf den ganzen bisherigen friedlichen Verlauf seiner gelehrten Studien Verzicht geleistet hatte und in die Vaterstadt zurückgekehrt war, in ihr die Leuchte des Evangeliums auf den Altar zu stellen, damit sie allen seinen Mitbürgern leuchte. Große Schwierigkeiten hatte er glücklich überwunden, ohne Beihilfe bedeutender hervorragender Persönlichkeiten, ohne selbst jemals eine diktatorische Gewalt sich anzumaßen. Wo er das Wort ergreift, thut er es nur als Dolmetscher der Gefühle und Wünsche des Volks; wo er handelt, ist er nur der Vollstrecker der Befehle des Raths. Er leitet Bürgerschaft und Rath und Geistlichkeit, aber ohne jemals seinen stillen und doch so gewaltigen Einfluß merken zu lassen, geschweige sich desselben zu brüsten. Er war ein Mann des Volks im edelsten Sinne des Worts. Das allein erklärt den staunenswerthen Erfolg seiner Arbeiten. Wohl war dem in die Heimath Zurückkehrenden der Ruf seiner Gelehrsamkeit und der hohen Würden, mit denen der Kaiser und die Gelehrten sein jugendliches Haupt gekrönt hatten, vorangeeilt; aber hiemit allein hätte er sicher in einer vorzugsweise von industriellen und merkantilischen Interessen bewegten Stadt schlechte Geschäfte gemacht. Dieser Ruf mochte es höchstens seinen Mitbürgern schmeichelhaft und nützlich erscheinen lassen, ihn zu ihrem Stadtarzte zu gewinnen; denn mit je größeren Zahlen Einer zu rechnen gewohnt ist, desto mehr weiß er meist die Kunst dessen zu schätzen, der nächst Gott die Zahl und Frische seiner Jahre zu erhöhen versteht. Und doch bot eben dieser Beruf eines Arztes unserem Vadian in der ersten Zeit nach seiner Rückkehr aus Wien die beste Gelegenheit, nach langer Entfremdung sich wieder heimisch und populär unter den Seinigen zu machen. Mit unerschrockenem Muth der Menschenliebe trat er an die Betten der Pestkranken, mehr als durch seine ärztlichen Verordnungen durch die Ruhe und das Mitgefühl mit welchem er den Nothleidenden entgegentrat, helfend und belebend.

Zum Stadtarzt hatte ihn der Rath von St. Gallen, zum Kirchenarzt der Ruf Gottes bestellt; er entzog sich dem doppelten Amt nicht, ein leiblicher und Seelenarzt zugleich zu sein. Beide Berufe schließen sich ja keineswegs aus, sondern fördern sich gegenseitig, so daß immer die Verbindung beider das Ideal eines rechten Arztes der kranken Menschheit sein wird. Freilich war es zu den Zeiten der Reformation wie heutiges Tages etwas Ungewohntes, daß der Arzt zugleich Seelsorger sei, und Vadian selbst wußte in dieser Laufbahn wohl nicht viele Vordermänner außer dem Arzt und Evangelisten Lukas, an dessen Vorgang er sich des Oefteren erinnerte, und dessen Apostelgeschichte ihm so lieb und theuer war. Schön schrieb hierüber Oecolampad an Vadian (14. Juni 1527): „Gift mischen die Seelenärzte, indem sie sich nur um das, was des Bauches ist, kümmern; heilsame Arzneien für die kranken Seelen verschreiben die Leibesärzte, damit die Kranken nicht blos um Irdisches sich kümmern. So verkünden auch, während die Priester in der Kirche schweigen, gekrönte Dichter die Großthaten Gottes. So gilt vor Gott keinerlei Ansehen der Person. Um dieses Ruhmes willen warst du schon lange uns werth, und wir bitten Gott, daß du uns lange in Christo zur Seite stehest und nie die Hand vom Pflug abkehrest, um hinter dich zu schauen.“ Bei seinen Krankenbesuchen lernte Vadian den tiefen Nothstand des Volkes kennen, und wie hätte dieses einen Arzt nicht lieb gewinnen sollen, der nicht nur mit der aufopferndsten Uneigennützigkeit den Armen gleichwie den Reichen seinen Rath lieh, sondern auch dieselben mit der liebenswürdigsten Bescheidenheit und ungeheucheltsten Demuth zu dem hinwies, der gesprochen bat: Ich, der Herr, bin dein Arzt! So arbeitete Vadian in seiner Eigenschaft als Arzt dem Werke der Reformation vor, während er andererseits dadurch in seinem Vorsatz nur bestärkt werden konnte, den lang entbehrten Trost des Evangeliums, ohne den seine Kranken in ihrem Elend hätten vergehen müssen, zu bringen. Hat doch Niemand mehr Gelegenheit als der Arzt, in das namenlose Elend der Familien hineinzusehen, in denen nicht das Wort Gottes Trost und Licht aufgerichtet hat. An den Krankenbetten studirte Vadian die geistigen und leiblichen Gebrechen, hier lernte er das Volk so ganz verstehen, wie es dem nöthig ist, der es leiten und regieren soll. Er entdeckte bei seinen Mitbürgern nicht blos ihre schlimmen, sondern auch ihre guten Seiten und suchte letztere zu stärken und zu kräftigen. Hieher gehörte vor Allem die Vaterlandsliebe, welche in seinem eigenen Herzen brannte, und die er bei seinen Hausbesuchen zu heben suchte. Je mehr dieses patriotische Gefühl genährt wurde, desto größer mußte das Verlangen nach Unabhängigkeit von der weltlichen und geistlichen Herrschaft des Klosters, das bisher die Stadt geknechtet hatte, werden.

Der Stadtarzt hatte sich in kurzer Zeit in solche Gunst und solches Ansehen zu setzen gewußt, daß er in den Rath gewählt wurde. Die alten Rathsherren mochten wohl erst sauer sehen zu dem neuen Kollegen, der ihnen nicht blos an Verstand und Lebenserfahrung weit überlegen war, sondern auch für einen Neuerer galt, der den Wagen der Stadt nicht mehr in den alten Fahrgeleisen fortrollen lassen wolle. Leistet doch die Tradition außer in der Kirche nirgends zäheren Widerstand als auf den Rathhäusern. Auch in St. Gallen hatte es bisher der Rath mehr für seine Pflicht erachtet, dem Trieb der Zeit nach Fortschritt einen Hemmschuh einzulegen, als ihm Vorschub zu leisten. Aber wie erstaunt mochten die alten Rathsherren sein, als ihr jugendlicher Amtsgenosse mit aller Bescheidenheit, Ruhe und Mäßigung neben ihnen tagte, wie erstaunt, als er sie vorwärts trieb, ohne sie ihren langen Stillstand entgelten zulassen. Auch im Rath wußte sich Vadian schnell den größten Einfluß zu sichern, ja sich unentbehrlich zu machen, da ihm das vollste Vertrauen der Bürgerschaft entgegen kam, und der Ernst der Zeit seine weise Leitung und entschlossene Thatkraft forderte. So oft es nur nach dem Gesetz möglich ist, wird er als Bürgermeister an die Spitze des Rathes und der Stadt gestellt, und es gelingt ihm, das in ihn gesetzte Vertrauen vollkommen zu rechtfertigen. Wo der Rath schwankt, läßt ihn Vadian durch die Bürgerschaft beeinflussen; wo die Bürgerschaft gährt, läßt er sie durch den Rath besänftigen. Vadian gilt Alles, weil er nichts gelten will, thut Alles, weil er immer Andern den Schein gönnt, daß sie es vollbringen. Nicht leicht wird eine zweite Freistadt einen Mann aufzuweisen haben, der so wie Vadian es verstand, ohne Ehrgeiz und Herrschsucht Ehre und Herrschaft zu behaupten. Nirgends trübt auch nur ein Schatten von Eigennutz oder Eigenliebe sein öffentliches Auftreten; nirgends bietet sein Charakter seinen aufmerksamen Feinden eine Blöße. Er verlor sein Ziel nie aus den Augen, aber er ließ sichs nicht verdrießen, auch durch Umwege ihm näher zu rücken. Wo er mit seiner scharfen Menschenkenntniß gewahr wurde, daß die Zeit noch nicht gekommen sei, das Ganze zu erhalten, ließ er sich auch an Abschlagszahlungen genügen, wie denn die Reformation in St. Gallen nur auf Zieler gekauft wurde. Vadian glaubte der Wahrheit nichts zu vergeben, wenn er ihr Frist gab, sich selbst ihre Herrschaft zu gewinnen. Weil ihm die Reformation nicht blos Lehre, sondern Leben, nicht blos kirchliches, sondern eben so soziales und politisches Leben war, darum forderte er nicht Anerkennung eines fertigen Systems, sondern nur Raum für Entwicklung, Freiheit der Bewegung. Der St. Galler Stadtarzt betrachtete die Krankheit der römischen Kirche nicht, wie die Theologen so gern thaten, als eine akute, sondern als eine chronische, und erinnerte sich daran, daß Krankheiten schneller auftreten als weichen. Darum war er, so lang thunlich, nie für zwingende Mittel, sondern wollte die kranke Kirche in eine langsame, aber sichere Kur nehmen. Darum mochten ihn wohl manche ungeduldige Eiferer je und je zu mild und nachsichtig finden, weßwegen ihn auch der Volkswitz Schonlich nannte; aber dennoch ward er in der für sein Ansehen bedenklichsten Krisis des Jahres 1532 wiederum so einmüthig zum Bürgermeister gewählt, daß kein anderer Kandidat neben ihm nur genannt wurde – ein Erfolg, welchen Vadian selber sehr hoch schätzte. Zwei goldene Regeln pflegte er sich und dem Rath immer wieder vorzuhalten: 1. daß die Obrigkeit in allen Geschäften nicht blos auf das Gegenwärtige, sondern auf das Zukünftige sehen und jederzeit wohl erwägen solle, was aus jeder Sache ins Künftige entstehen und dem gemeinen Wesen Schädliches erfolgen möchte; 2. daß wenn die Obrigkeit Fug und Zeit habe, etwas mit Gerechtigkeit und Billigkeit zu erlangen, sie ohne Verzug dazuthun und nicht säumen solle, weil künftigen Zeiten nicht allzeit zu trauen sei. Je weniger es Vadian auf Ehre abgesehen hatte, desto drückender lastete oft auf seinem Gewissen die Verantwortung, wenn er sah, wie im Rath sein Urtheil stets das entscheidende war, wie so Viele ihm blindlings beizustimmen gewohnt waren. Darum erklärte er vor dem kleinen und großen Rath oft und feierlich: Er halte den für keinen Biedermann, der eine seines Bedünkens bessere Meinung wisse als er, und sie doch, ihm zu Gefallen, nicht frei heraussage.

Trotz seiner vielseitigen Amtsthätigkeit und seinem innern Drang nach Privatstudium erachtete Vadian es für Pflicht, sich den Mitbürgern auch im geselligen Verkehr zu widmen, und seine Gespräche hatten stets das Ziel der Belehrung. Gewöhnlich besuchte er nach dem Mittagessen bis drei Uhr bald diese, bald jene ehrbare Bürger, unterhielt sich mit ihnen über ihre Verhältnisse, um guten Rath zu geben, belebte ihre Liebe zur Religion und zum Vaterland und bemächtigte sich ihrer Herzen durch einnehmende Anmuth und wohlwollende Freundlichkeit. So entzog sich der gelehrte Mann auch nicht den geselligen Freuden, wie er z. B. im August 1526 von St. Gallen mit mehr als dreißig Schützen zu Roß und zu Fuß auf ein Freischießen nach Zürich zog und mit Zwingli sich zu dem Festessen setzte, das auf dem Lindenhof unter dem Klang von Trompeten, Pfeifen und Trommeln gegen achthundert Personen versammelte. Keßler hat uns in seiner Sabbatha eine Erzählung aus dem Jahr 1531 hinterlassen, welche uns den klarsten Einblick in die Liebenswürdigkeit, Anspruchlosigkeit und das belehrende Interesse des geselligen Umgangs Vadians gibt. Sie lautet: „Wie man sagt, es würde ein Komet ersehen, desgleichen am Morgen ein grausamer feuriger Stern, ist unser Herr Dr. J. von Watt, zu der Zeit des Reichs Vogt, und wir Nachbenannten, sein Bruder David von Watt, Cunrad Eppenberger, Andreas Eck, Jakobus Riner, Johann Rütiner und ich mit ihm auf die Bärenegg zogen, um allda auf der Höhe durch die Nacht des Kometen zu Abend und des Sternen zu Morgen wahrzunehmen, ob das erst ein wahrhafter Komet oder sonst ein Planet, der einen Glanz von ihm würfe, oder ob der am Morgen ein besonderer Stern, oder ob der zu Abend sich nach seinem schnellen Lauf am Morgen wiederum erzeigte, zu erkunden. Wie wir uns in des Hochrutiners Burg, oben an der Bernegg gelegen, um den Herrn Doctor saßen, und er fleissig in dem Almanach der Planeten Stätt und Gelegenheit und die Zeichen ausspähet, befand sich, daß nicht ein Planet, sondern ein ungewöhnlicher Stern, die man Kometen nennt, sehn muß. Demselben nach um die eilfte Stunde sprach er, ob wir gar auf die Höhe, so man Wendelisbild nennt, hinaufsteigen wollten, deß wir guten Lust trugen. Nun war es sehr finster und gar ein sterniger Himmel und der Boden ganz feucht vom kühlen Thau. Spricht Andreas Eck: Herr Doctor, es ist nicht für euch, denn ihr seid schwer und wird euch das Steigen hart ankommen, so habt ihr lederne Hosen, die werdet ihr in dem Thau ganz verwüsten. Antwortet Herr Doctor: Ich will mit euch hinaufgehen, denn ich von guter Gesellen wegen nicht allein die Hosen, sondern auch einen Fuß wollte dahinten lassen. Als wir nun auf der Höhen, setzt er sich auf den Boden nieder in das feuchte Heu, und wir um ihn her. Fing er an nach seiner angeborenen Freundlichkeit gar mancherlei Materien betreffend, zu erzählen. Jetzt sagt er uns (wie er den schönen Himmel, mit so hellen Sternen wunderbarlich geziert, ob ihm sah) von der Schöpfung und auch der gewaltigen Ordnung der Gestirne, und besonders mit großer Verwunderung, wie Gott der Allmächtige dem Zodiako, d. i. dem Zirkel, darin die zwölf Zeichen verordnet und ausgetheilt sind, in seiner Schöpfung einen Druck geben habe, daß er zuwider dem Firmament einen besonderen Lauf vollbringe, aus welchem der Tage und Nächte, auch der Zeiten Ordnung entstehe; zeigt dabei an mit dem Finger vieler Gestirne Namen, und zum Letzten spricht er mit aufgehobenen Augen gegen den Himmel: O wie will ich diesen wunderbarlichen Schöpfer so gern sehen! Demnach kehrt er seine Augen hin und wieder durch die umliegenden Landschaften, erzählend, wie es vor Zeiten hierum gestanden sei, und wie er kürzlich Sebastianum Munsterum heraufgeführt, die Gegend und Landschaften zu besehen, anzeigend, bei was Summe Gelds (nemlich bei einer Tonne Golds) aus dieser reichen Landschaft an den Leinwatgewerb allein von dem Boden jährlichen zinsen möchte. Weiter offenbart er, wie weit sich vor Zeiten der Römer Regiment in dieses unser Land gestreckt habe, wie sie all hierum gekriegt und niedergelassen, hin und wieder Schütz und Werinen aufgerichtet haben rc.. Demnach gingen wir wieder herab in das Bürgli und zertheilten uns hin und her in die Gemach, legt sich der Doctor bei dem Fenster gegen Morgen auf den Bank, des vorgemeldeten Sterns wahrzunehmen. Ich aber und Johann Rütiner gingen in das oberste Gemach. Bald sahen wir am Horizonte gegen Morgen eine Röthe oder Haus brennen. Als wir fleißiger des Feuers wahrnahmen, erhub es sich von dem Boden; da erfund sich bald, daß es nicht ein Komet, sondern Venus der Morgenstern war, von dem die Mayer und Wächter sagten. Wie nun aber der lichte Morgen anfing herbrechen und die nahende Sonne ihre vorgehende Morgenröthe vor ihm herum spreitet und die wackeren Vogeli mit lieblichem Gesang die Tagzeit verkündeten, fingen wir an herabsteigen, aber dieweil es noch früh und besonders lustig, setzten wir uns zu Mitterberenegg nieder gegen der Stadt und indem der Herr Doctor die Stadt ansah, sing er an zu reden: Wie und wann sie erbauet, wie sie von Alter her gestaltet, wie oftmal sie verbrannt, und was sie je zu Zeiten von den Aebten gelitten, wie und wann unser loblicher und nothwendiger Leinwattgewerb aufkommen, und wie grob er im Anfang gewesen sei. Desgleichen zeigt er an, was alte ehrsame Geschlechter allhier und an welchen Gassen sie gesessen wären, auch von wannen her etliche Gassen ihre Namen empfangen «.“

Auch nach Außen wurde Vadian öfter als Gesandter und Bevollmächtigter des Raths verwendet. So wurde er im Herbstmonat 1530 auf den ersten Bericht, daß die Stadt Genf von Savoyen und Burgund bedroht sei, nach Bern abgeschickt; schon am sechsten Tag war er zu Pferd in Genf, wo er ein starkes Heer von Bernern, Freiburgern und Solothurnern und Gesandte von den meisten Eidgenossen antraf, denen es bald gelang, einen Vergleich zu schließen. Am 6. Januar 1531 kam Vadian nach sechswöchiger Abwesenheit wieder nach Haus. Den Sonntag darauf befand er sich schon wieder in Baden auf einer Tagsatzung und Ende dieses Monats in Appenzell, um mit ein paar anderen erwählten Schiedsrichtern in einer Sache zwischen Rheinthalern und Gottshausleuten zu sprechen. Keine Mühe und Anstrengung war ihm je zu groß, wo es das Vaterland galt. So war er selber in allen Stücken der gemeinnützige Bürger, dessen Bild er in folgenden Reimen gezeichnet hat:

Der ist ein Meister Wapensgnoß,
Den guter Thaten nie verdroß,
Nach Gottes Wort sein Leben richt,
Den Eigennutz laßt herrschen nicht,
Den Gmeinen setzt er allweg für,
Halt wahre Tugend, Werth und Thür,
In Ehren hat den Handwerksmann,
Ein Solcher soll ein Wapen han.

2. Der Historiker

Vadian der Patriot war zugleich ein Kosmopolit, der nichts Menschliches sich fremd achtete und in der Welt ebenso gut als in seinem engeren Vaterland heimisch zu sein begehrte. Daher vor Allem sein Interesse für geographische Studien, in denen er es für die damalige Zeit zu großer Meisterschaft gebracht hatte. Einen Beleg dafür gab er in seiner Ausgabe des spanischen Geographen Pomponius Mela. Wiederholt hatte er in Wien nach diesem Schriftsteller Geographie gelehrt und war von seinen Schülern aufgefordert worden, das gesammelte Material zu ordnen und herauszugeben. Vadian that dieses mitten hinein unter seine medicinische Studien und widmete diese Arbeit seinem Vetter, dem Abt Franz, den er freilich bei seiner Rückkehr in die Heimath gar anders kennen lernte, als daß er Lust gehabt hätte, ihm die schon 1522 nöthig gewordene zweite Ausgabe gleichfalls zu widmen, und das um so weniger, als Vadian die schon in die erste Ausgabe eingestreuten Körnlein reformatorischer Liebe in der zweiten noch reichlicher auswarf, in der Absicht, die Humanisten, welche seine Schrift studirten, auf die evangelische Wahrheit hinzuweisen. Schon in der ersten Ausgabe hatte Vadian der Unwissenheit der Priester und Theologen in der Geographie gedacht, aber nur vorübergehend, denn, sagte er, ich fürchte, was ich nur aus Wahrheitsliebe sage, werde von ihnen übel ausgelegt. Viel zahlreicher sind in der zweiten Baseler Ausgabe die Anmerkungen, welche von der Verderbniß der Kirche, der Würde Luthers und Zwinglis und der Rechtmäßigkeit und Wohlthätigkeit ihrer Unternehmungen zeugen. Um bei den evangelischen Theologen das Studium der Geographie zu fördern, schrieb Vadian in St. Gallen seine „heilige Geographie des Neuen Testaments“, wozu er durch seine Vorlesungen über die Apostelgeschichte veranlaßt wurde, mit einem Vorwort an Bullinger, in dessen Eingang er sagt: „Unsere Zeit zählt nicht wenige fromme und eifrige Diener des Evangeliums, welche aus übermäßiger Verehrung der Schrift auf den Abweg gerathen, zu wähnen, es zieme den Geistlichen, welche die Heerden des Herrn weiden sollen, nicht, außer der h. Schrift irgend einen Abschnitt der Philosophie zu lesen oder zu behandeln; diese befasse sich ja mit Nichts, was zu unserem Heile diene, und es gebühre sich nicht, daß die Menschenfündlein bei jener himmlischen und von Gott geoffenbarten Philosophie angewendet werden; ein Geistlicher solle nicht spekuliren, sondern habe auf nichts sein Augenmerk zu richten als darauf, daß das Heil Vieler durch jene Lehre, welche der Apostel gesund nennt, befördert werde. Dieses Heil komme nicht von Menschengedanken noch aus der Natur, sondern allein aus jener einzigen unerschöpflichen Quelle ins ewige Leben fließenden Lebenswassers, welche als in einem weiten Behälter in den Schriften der Propheten und Apostel gefaßt sei. Diese Ansicht vertheidigten auch die von der Genügsamkeit der inneren Berufung überzeugten Wiedertäufer des Oefteren bei uns und schrieen gegen alle Sprachkenntniß und jedes Studium der Beredtsamkeit. Ihr Irrthum ist aber nicht minder verderblich, als der Jener war, welche sagten, die h. Bücher können ohne Beihülfe der Philosophie nie recht gelehrt oder verstanden werden. Ja, hätte ich zwischen beiden nur die Wahl, so möchte ich eher zu denen halten, welche den Mißbrauch menschlichen Wissens zulassen, als zu denen, welche die Wissenschaften gänzlich von der Kirche ferne halten wollen!“ Gleichwohl wurde diese Epitome als ketzerisch verboten und verdammt durch ein kaiserliches Edikt, das Leonhard Beck von Augsburg am 19. December 1540 an Vadian mit den Worten übersandte: „Ich mußte sonderlich lachen, daß dem Kaiser solches eingebildet worden. Wollt‘ Gott, ich wär‘ auch solcher Kunst und Schicklichkeit, daß ich dergleichen Ketzer wie ihr möchte gescholten werden.“

An Vadians geographische Studien schlossen sich seine historischen an. Die Verderbniß der katholischen Kirche erklärte er sich hauptsächlich aus Unkenntniß der Geschichte. Immer wieder empfiehlt er als bestes Mittel, vom guten Recht der Reformation sich zu überzeugen, das Studium der Geschichte. Gelehrte und Ungelehrte sollen die Geschichte der Lehren und Gebräuche der ältesten Kirche aus lateinischen und teutschen Historienbüchern und Chroniken mit Wahrheitsliebe erforschen. Daraus würde einleuchten, daß manche Lehren und Gebräuche jetzt gelten, die weder im Worte Gottes, noch in der Lehre und dem Beispiel der älteren Zeiten Grund oder Bestätigung finden. Auch der Reformationsgeist stamme daher, daß ein Theil Vieles für blos menschliche Meinung und Erfindung neuerer Zeiten erkläre, der andere Theil aber es für Gottes Wille und die alte Lehre und Gewohnheit ansehe. Der Streit könne also auch nur durch die Erforschung der Schrift einerseits und das Studium der Geschichte des Alterthums andererseits gründlich erörtert werden; wenn dieses Geschäft gelehrten Leuten übergeben würde, so würde viel Unheil von der Kirche abgewendet und das Beste derselben erzielt werden. Man würde auch aus der Geschichte lernen, daß kein gewaltthätiges Dämpfen des Geistes je von Dauer gewesen sei, daß man sich einzig nach Gottes Willen richte, ohne dabei dem Eigennutz oder der Ehrsucht Raum zu geben. So findet sich unter dem schriftlichen Nachlaß Vadians ein starker Folioband, überschrieben: „Was zur Reformation des Mönch-, Nonnen- und Pfaffenstandes in schierist künftigem National- oder General-christlichem Concilio von hohen Nöthen zu erörtern und von Erhaltung gemeines der gläubigen Kirchen Wohlstands willen zu bedenken sei.“ In dieser Arbeit wollte Vadian zeigen, was und wie der Mönchsstand von Anfang her gewesen und wie er nach und nach in Lehr und Wandel verdorben worden sei. Dabei hält er es für dringendes Bedürfniß, alle Möncherei mit stetter und gestracker Verordnung auf andere Bahnen zu bringen. Seine unvorgreiflichen Vorschläge wolle er gern dem Ausspruch eines allgemeinen christlichen Concils, das dem Inhalt des göttlichen Worts gemäß urtheile, unterstellen; nur das Urtheil der Mönche müsse er sich ganz verbitten. Voran stellt Vadian ein Motto, das weniger von seiner Kunst in deutschen Versen, als vom Geiste seiner ganzen Arbeit Zeugniß gibt:

Wo man doch auch ein Mittel wißt,
Daß Geiz und Gierd ein End möcht han,
Die Mönch darvon je köndtend lan,
Daß desse nit so gar vil waer,
Und lebtind wie von Alter haer
Ir erste Vaetter habend thon,
Mit lieb würd maus wol bleyben lon,
Flüchind die Welt und ir begierd
Und ließind fallen lust und zierd,
Hieltind der tugend schul und leer,
Und wer zu lernen lüstig waer,
Allda sein narung haben möcht,
Ihr Opfer würd dann auch noch recht;
Doch müßt man vom Pracht gar abston
Und ziemlichs sich vergnügen lon:
Ja von der Welt wol dannen gon,
Das geschaech durch Reformation
Und nach der schnur der gsonden Leer,
Welcher die Kirch ein Richter waer,
Denn man ja von derselben läßt,
Wo man zu svan je kommen ist,
Das si die Kirch entschaeiden hab:
Der Kirchen wüssen gath nit ab,
Die sich vom Haupt nit sondern thut,
Irs Herren Wort behalt in Hut,
Mit welchem man den Weg beraydt,
Der dienstlich ist zur Saeligkhait. Amen.

Von diesem geschichtlichen Standpunkte aus hatte sich Vadian schon in der letzten Zeit seines Wiener Aufenthalts zum Kampf gegen den Katholizismus gerichtet; noch liegt auf der St. Galler Stadtbibliothek ein von seiner Hand beschriebener Band: „Gründe gegen den Primat des Papstes und der römischen Kirche“, für Luther gegen Eck und Gerson, deren Trugschlüsse hauptsächlich aus Cyprian widerlegt werden. Ebenso trug sich Vadian mit dem Gedanken, Tertullians Vertheidigung der Christen gegen die heidnischen Verfolgungen als Vehikel einer Schutzschrift für die Protestanten gegen papistische Verfolgungen zu benützen. Hieher gehört auch eine in lateinischer Sprache gründlich und gelehrt geschriebene Abhandlung Vadians über die zweideutigen Namen in der christlichen Religion, worin der Philologe auf den verschiedenen Sprachgebrauch der älteren und späteren Kirche aufmerksam macht und zeigt, wie viele Wörter und Namen in den Schriften der Alten einen ganz anderen Sinn und Verstand gehabt haben, als den sie im Verlauf der Zeiten und im Kopf der Scholastiker erhielten. Zudem weist Vadian nach, wie die Gegner der Reformation aus Unwissenheit oder Schlauheit sich hinter den Wall des Alterthums zurückziehen, und weil sie über die meisten streitigen Punkte eine der ihrigen gleiche Terminologie der alten Kirchenlehrer anführen könnten, meinen oder doch vorgeben, daß sie auch die Lehre, Verfassung und Gebräuche der ersten Christen noch besitzen und also nur für den alten Glauben eifern.

Mit besonderer Vorliebe aber wandte sich Vadian dem Studium der Geschichte seines Vaterlandes, seiner Vaterstadt und deren Klosters zu. Trotz seiner zahlreichen Amtsgeschäfte und seiner ausgebreiteten Korrespondenz arbeitete er doch noch auf der Kanzlei und in den Archiven, um aus alten Urkunden und Protokollen Stoff zu seinen historischen Werken über die Geschichte der Stadt, der Aebte des Klosters, des Thurgaues und Bodensees zu sammeln und daneben eine Chronik zu schreiben. Das Wichtigste ist seine Chronik der Aebte des Gotteshauses von St. Gallen vom Jahr 1200-1540; das Werk ist dem lieben Gesellen Keßler zu Ehren und Frommen der frommen Stadt St. Gallen feierlich vermacht. In diesem Werke zeigt sich nicht nur der gewissenhafteste Sammlerfleiß, sondern zugleich das Bestreben, aus der Geschichte alter Tage für die Neuzeit Lehren und Warnungen zu ziehen.

Wir haben schließlich unseren Reformator als theologischen Schriftsteller zu betrachten. Als solcher aufzutreten fand er erst nach Vollendung des Reformationswerkes in seiner Vaterstadt Zeit, und zwar wählte er sich hiezu die schwierigsten Materien der Dogmatik aus. In den Aphorismen behandelte er den Streit der Lutheraner und Zwinglianer über die Lehre vom Abendmahl. Der Schrift ist ein Brief an den Züricher Professor Pellikan vom 19. Mai 1536 vorangestellt, in welchem sich Vadian über die Veranlassung zum Schreiben dieses Buchs über die Eucharistie äußert. Es hätten einige freilich ungelehrte Priester die Behauptung aufgestellt, in St. Gallen werde das Sakrament des Altars mit solcher Leichtfertigkeit und Schändlichkeit behandelt, daß selbst die Lutheraner, die doch Ketzer und erklärte Feinde der Kirche seien, dieses nicht mehr dulden könnten. Dazu hätten sie von ihren Kanzeln herab geschrieen, der St. Galler Rath scheine ganz bethört, daß er so gottlosen Leuten Redefreiheit gönne, und nicht einsehe, mit welcher Gefahr der Seelen und der Frömmigkeit jene Pest neuer Glaubenssätze bisher zugelassen worden sei. Gegen diese Verleumdungen hätten zwar die St. Galler Prediger Dominik Zili, Sebastian Consus, Joh. Val. Fortmüller und Matthäus Abderruti sich vertheidigt und oft bereit erklärt zur Verantwortung Jedermann, der Rechenschaft ihrer Lehre fordere, aber umsonst. Als nun die Feinde bei dem Baseler Konvent hätten sehen müssen, daß die St. Galler Kirche im Glaubensbekenntniß mit den berühmtesten Kirchen zusammenstimme, hätten sie mit der unverschämtesten Lüge ihre Freude darüber kundgegeben, daß die St. Galler widerrufen haben. Da bedürfe es einer schriftlichen Rechtfertigung, und da die St. Galler Geistlichen hiezu keine Muße hätten, habe er ohne ihr Wissen zu der Feder gegriffen, um die St. Galler Lehre vom Abendmahl zu rechtfertigen und insbesondere ihre Uebereinstimmung mit der Lehre der alten Kirche nachzuweisen. „Nun kann ja nicht neu sein, was die kanonische Schrift billigt, was jene alte und heilige katholische Kirche einhielt, was durch eine reiche Ueberlieferung heiliger Väter bestätigt wird. Denn als eine neue und von Menschen erdachte und eingeführte Lehre verwerfen wir eine solche, welche klar von der Schrift abweicht und den alten Kirchen und Vätern fremd war; und wäre die Lehre, welche die Unsrigen bisher lehrten, also beschaffen, so würden wir offen gestehen, wir wollen dem Besseren weichen und die Lehre, die sich auf die Schrift gründet, annehmen. Denn wir scheuen uns nicht, alle unsere Lehrsätze vor unfern auf das Alter so pochenden Gegnern mit jener unfehlbaren Regel zusammenzuhalten, welche gewisser als gewiß von dem Alten das Neue, von dem Apostolischen das Scholastische, ja kurz vom Göttlichen das Menschliche also unterscheidet, daß es ganz klar sein muß, ob das neu oder alt ist, was die Unsrigen bisher lehrten.“ Im ersten Buch werden die alten und neuen Lehren über das Abendmahl historisch zusammengestellt, im zweiten die Lehre des alten und neuen Testaments über die Sakramente besprochen, im dritten das neue Dogma vom Essen des Leibs Christi, im vierten die Transsubstantiation bekämpft, im fünften endlich die symbolische Bedeutung der Einsetzungsworte nachgewiesen und im sechsten der Beweis geführt, daß die Schrift von einer fleischlichen und körperlichen Gegenwärtigkeit Christi im Brod nichts wisse. Vadian habe zwar zu dieser Arbeit wenig Zeit gehabt, sei oft während dem Schreiben unterbrochen worden und habe zu den Stunden der Nacht seine Zuflucht nehmen müssen; doch haben ihm seine früheren Sammlungen dabei Dienste geleistet: „Denn seit der Zeit, in welcher durch die Gabe und Gnade weniger Männer jenes Licht der christlichen Lehre aus den Schlupfwinkeln der Unwissenheit wie aus einem tiefen Keller heraufgeholt wurde, verwandte ich alle Zeit, welche ich von öffentlichen Privatgeschäften erübrigen konnte, mit Freuden auf diese Studien, welche mir bei einer so großen Verwirrung menschlicher Lehren eine bessere Kenntniß der göttlichen Dinge verschaffen, das Gewissen beruhigen und die Richtschnur meines Glaubens geben konnten.“ Mit einem reichen Material historischer Gelehrsamkeit entwickelte Vadian die Uebereinstimmung der Zwinglischen Lehre mit der Schrift und der alten Kirche, während er mit großer Milde und Schonung die unter den Protestanten selbst bestehenden Differenzen verdeckte. Bullinger schrieb über diese Schrift an Vadian (21. Mai 1536): „Ich habe in dem Sakramentsstreit noch nichts gelesen, das mir besser gefallen hätte, als deine Bücher vom hl. Abendmahl, insonderheit wegen trefflicher Ordnung, vielfältiger, gottseliger und unvergleichlicher Geschicklichkeit und endlich wegen helliger Einfalt und alter apostolischer Reinigkeit.“ Leo Judä, dem Vadian die Aphorismen vor dem Druck zur Begutachtung vorgelegt hatte, schrieb an ihn zurück: Vadian habe unklug gehandelt, sich hiemit an ihn gewandt zu haben, denn es hieße: Schuster bleib beim Laisten! Judä hätte gewünscht, man wäre in der Kirche stets bei der apostolischen Einfachheit geblieben; nun danke er Gott, daß von ihm ein solcher Mann gegeben sei, der Alles aufs Klarste darlege.

Zu einer zweiten theologischen Schrift gab Vadian der schlesische Edelmann Caspar Schwenkfeld Veranlassung, dem erst Vadian und Bullinger den Unterschied seiner Lehre von der Person Christi von der lutherischen und schweizerischen Grundanschauung aufdecken mußten. Schwenkfeld verwahrte sich zwar gegen den Vorwurf, daß er die Menschheit Christi aufhebe, meinte aber, man müsse auch Christi menschliche Natur in ihrem verklärten Zustand göttlich nennen. Darum war ihm auch „das Fleisch Christi nicht kreatürlich: denn es ist aus Gott, und zwar nicht nur so, wie Gott der Schöpfer alles Leiblichen ist, sondern in höherer Weise; denn andere Menschen schafft Gott außerhalb seiner, aber nicht so bei Christo.“ Bei der orthodoxen Lehre von zwei Naturen schien ihm die ungetheilte Einheit der Person Christi nicht hinlänglich gewahrt; was er aber Neues aufstellen wollte, war dem unklaren Mystiker selbst nicht klar; kein Wunder, wenn er sich bei seinen Gegnern fortwährend über Mißverständnisse zu beklagen hatte, da er sich selbst nicht klar war. Vadian stellte der schwärmerischen Lehre von der Vergottung der menschlichen Natur Christi eine doppelte Schrift, nemlich eine in Form eines sehr umfangreichen Briefes an den Konstanzer Pfarrer Zwick abgefaßte allgemeine Abhandlung und eine besondere Widerlegung aller von Schwenkfeld für sich angeführten Gründe entgegen. Vadian hatte erfahren, mit welch schlauer Betriebsamkeit Schwenkfeld seine Traktätlein weit und breit an Bekannte und Unbekannte versende; gleichwohl deckte er ihm mit der größten Milde seinen an die Ketzerei des Eutyches grenzenden Irrthum auf. Der Hauptpunkt ist ihm die Frage: ob Christus noch jetzt in seiner Herrlichkeit eine Kreatur sei oder nicht? Dieses läugne Schwenkfeld, weil er es für ungebührend halte, den Sohn Gottes in der höchsten Majestät, die er wieder angenommen habe, als immer noch mit einer menschlichen, himmelweit von seiner Gottheit verschiedenen Natur in persönlicher Vereinigung zu denken; vielmehr müsse die menschliche Natur bei ihrer Verklärung als ganz in das göttliche Wesen aufgenommen und vergottet gedacht werden. Dagegen weist Vadian nach, daß Christus in der erhabenen Herrlichkeit, welche die Schrift ihm beilege, nicht einmal als wahrer Mensch erkannt werden könne, wenn man ihn nicht als etwas Gewordenes, Geschaffenes, und also als Kreatur ansehe. Vadian zeigt auch in diesen Schriften großes historisches Wissen, viel Gewandtheit, die Blößen seines Gegners aufzudecken, aber kein spekulatives Denken. Schwenkfeld beschwerte sich in bitteren Worten über diesen Angriff. In einem Briefe vom 14. Januar 1542 schreibt ihm Vadian, daß er es herzlich bedauern würde, wenn er ihm durch die Herausgabe seiner Schrift Verfolgung verursacht hätte, wie Schwenkfeld sich dessen beklage. Vadian habe ganz unparteiisch und nur zur Beförderung der Wahrheit auf Bitten seiner Freunde gegen die neue Vergötterung der menschlichen Natur Christi geschrieben; und weil er bemerkt habe, daß geschickte Gesellen noch andere irrige Meinungen über die Menschwerdung Christi im Aermel tragen, habe er sich darüber in der zweiten Streitschrift, der Antilogie, noch weiter erklärt, sei aber dabei durch keine persönliche Abneigung geleitet worden.

Lateinisch habe er nur geschrieben, weil er keine Zwietracht unter dem Volk habe anrichten und den Gegenstand nur unter denen habe verhandeln wollen, die ihn verstehen und beurtheilen können; wenn man ihn überzeuge, daß es dienlicher wäre, den Streit vor gesammtem deutschem Publikum zu führen, so sei er bereit, das Buch in deutscher Uebersetzung herauszugeben. Er wolle auch dem prophetischen Geist, welchen sich Schwenkfeld in seinen Briefen beilege, nicht widerstreben, wenn derselbe dem Geist der Bibel nicht widerspreche und er ihm den Besitz solcher außerordentlichen Gabe beweisen werde. Dann entschuldigt sich Vadian, wenn ihm in einigen harten Ausdrücken etwas Menschliches begegnet sei; sein Gegner habe sich in den Antworten auch so hitzig und feindselig gegen ihn gezeigt, daß er alle Mühe gehabt, mehrere gelehrte Freunde von heftigen Angriffen gegen denjenigen abzuhalten, den er immer als einen gelehrten, berühmten, frommen und einer rücksichtsvollen Behandlung würdigen Mann geschildert habe. Er setzt hinzu: „Hab ich das in meiner Antilogie nicht gethan, so hab ich mich selbst zu strafen, denn ich zwar Solchem nachzukommen vorgehabt, wiewohl wir eben Menschen sind und die Art des Disputirens in allerlei Zwietracht nicht allweg das Freundlichste brauchen kann.“ Je weniger es Vadian gelang, den eigenliebigen und von sich selbst eingenommenen Schwenkfeld eines Besseren zu belehren, desto mehr Lob erndtete er für seine geschichtliche und klare Beweisführung von den evangelischen Theologen.

Vadian der Arzt war vom Aberglauben mit den Gelehrtesten seiner Zeit und der Reformatoren nicht frei. Wie seine astronomischen Kenntnisse je und je in Astrologie überschlugen, sahen wir schon oben. Eine Ursache der Pest fand er gleichfalls in der Constellation des Himmels, hieß den Brunnen des Kranken zum Arzt bringen und verschrieb für das Räuchern und die Arzeneien aus einer großen Mannigfaltigkeit von Dingen zusammengesetzte Recepte. Doch führt er daneben auch die natürlichen Ursachen der Pest richtig an, warnt vor den Betrügereien, welche Afterärzte und Quacksalber mit dem Wassergucken verüben, und hat die Menschenfreundlichkeit, für die Armen immer Surrogate inländischer wohlfeiler Materialien anzugeben. Frische Luft in den Zimmern und Reinigung derselben durch fleißiges Räuchern, Säuberlichkeit an Körper, Kleidern, Wasche und Bett, Mäßigkeit und Ordnung in der Lebensart, gesunde nahrhafte Speisen und gute Getränke, Ruhe der Seele, Heiterkeit des Gemüths und Ergötzung und Fröhlichkeit in guter Gesellschaft empfiehlt er besonders den jüngeren Personen, welche der Ansteckung weit mehr als die von vorgerückterem Alter ausgesetzt seien.

3. Der Familienvater und Freund.

Vadian war ein großer, starker, schöner, würdevoller Mann, aus dessen Antlitz eben so viel Geist, Muth und Kraft, als Güte, Milde und Ruhe hervorleuchteten. Er hatte (so beschreibt sein Freund Keßler ihn) einen runden Kopf, gegen die Stirne einen kahlen Scheitel, kohlschwarze und krause Haare gegen den Schläfen, eine breite offene Stirn, im Angesicht war er bräunlicher Farbe und am ganzen Leib fett und stark, seine ganze Erscheinung verrieth männlichen Ernst. Das Haus, welches er in der Stadt St. Gallen bewohnte, führte den Namen Zum tiefen Keller, weil sein Keller wirklich der tiefste in der Stadt war, und stand in der Straße, jetzt Hinterlaube genannt. Im Gaiserwald, am Tonisberge gelegen, besaß Vadian einen mit einer herrlichen Fernsicht in das Appenzeller Hochgebirge geschmückten Landsitz Weihnachtshalden, wo er in stiller ländlicher Abgeschiedenheit seine Mußestunden zubrachte, soweit es ihm vergönnt war, auch außerhalb dem Schauplatz politischer und kirchlicher Stürme die Wohlfahrt seiner Vaterstadt zu bedenken und den Wissenschaften zu leben. Seine Ehe war nach allen gelegenheitlichen Bemerkungen, die wir darüber in seinen Briefen fanden, eine durchaus friedliche und glückliche. Martha war nicht nur die geschäftige, welche in der Küche und ihn riefen Keller für die vielen Gäste, welche des Bürgermeisters Haus aufsuchten. Alles freundlich besorgte, sondern hatte auch Sinn für Wissenschaften, um mit ihrem Gatten auch auf der Studierstube fortzuleben und seine lateinische Korrespondenz lesen zu können. Die Ehe war nur mit einer Tochter gesegnet, für deren Bildung und Erziehung Vater- und Mutterauge treu wachten. Dorothea, so hieß sie, vermählte sich schon frühe (1544) mit Lorenz Zollikofer, genannt Schwarz, dem ältesten Bruder des Erbauers von Alt-Enklingen, der erst Hofrichter, dann Stadtammann war. Der Gatte war ein Mann von Verdiensten und bewährter Rechtschaffenheit; Dorothea war ihrem Verstand und Herzen nach werth, Vadians Tochter zu heißen; sie vereinigte alle Eigenschaften in sich, die sie zur liebenswürdigsten Gattin und zur trefflichen Mutter ihres zahlreichen Kinderkreises machten. Sie hatte große Freude an dem schönen Landgut am Buchberg, das sie von ihrem Vater bekommen hatte, wo sie nach Vadians Tod das schöne Schloß Greifenstein ganz nach ihrem Geschmack bauen ließ. Die Enkel machten dem Großvater viele Freude, freilich auch manche Sorge, wie er z. B. am 25. August 1549 „der tugendsamen Frau Marthen von Watt und ihrer Tochter Frau Dorotheen Zollikhoferin, jetz zu Baden, meinem lieben Gemachel und meiner lieben Tochter“ Folgendes schreibt: „Mein freundlichen Gruß zuvor, sonders liebe Martha; wiß uns jetzmal alle frisch und gesund. Darum ich aber dir und Dorotheen so früh schreib, das geschieht dieser Ursach, daß wir, nachdem und du verkitten bist, gar einen großen Schrecken und Kummer erlitten haben; aber Gott hat angesehen mein vielfältig Müh und Arbeit und hat uns schnell erlöst. Wie ihr am Morgen hinweggekommen seid, da ist uns Sabinly krank worden und hat sich um die Zwölfe Nachmittags niedergelegt mit so großer Hitzen, daß es nit zu glauben ist. Freitags in der Nacht und gestern Samstags am Morgen ist sie so schwach worden, daß wir Angst hatten, sie würde fahren. Wie es aber um Mittag ward, da kam sie ein großer Schweiß an und überschoß ihr das Näsle und warf ein mal oder drei lang Zachen weißes Schleimes aus dem Mund, wahrlich gar Blut, und wie ihr Barbel Maulbeer kauft hat, und sie die Aeugle aufthut, da aß sie fünf Beer und entschlief darauf, und wie es nun Ein war, da erwachet sie und sprach zu mir: Großvater, lueg mich an, ich bin schon gsund, es ist mir nit mehr weh; da hat sie Barbel ankleidet und auf ein Kissen gesetzt, hat sie von Stund angefangen essen und trinken und hat von den Gnaden Gottes keines Wehs mehr empfunden, sondern ist Sonntags ganz fröhlich und muthig gsin.“ Als im Herbstmonat 1541 eine gefährliche Seuche in St. Gallen viele Opfer forderte, hielt es der Stadtarzt für gerathen, Frau und Tochter der gesunden Luft halber nach Marpach zu senden. Dorthin schrieb Vadian am 17. Herbstmonats an seine sonders liebe Hausfrau: „Mein Gruß und alles Guts zuvor. Sonders liebe Frau Martha! Ich bin frisch und gsund von Gnaden Gottes, hoff, es stand um euch alle wohl. Allein Barbel ist nächst verschienen Mittwochen, wie ich das kleine Fäßlein alten Weins hatt‘ anzapft, über ein Lagerling, der unter dem Boden lag und den sie nicht hat gsehen, die Hand aus einander gefallen und hat vier Tag viel Weh erlitten, jetzt aber ist es besser worden und mag die Hand wiederum brauchen. Der Ursachen halb han ich Stoffeln, Grethen Sohn, zu mir in das Haus genommen, damit er ihr zuspringen und Hilfe leisten möcht; sonst hätte ich keinen Dienst gehabt. Mein Schwager Hauptmann wird dir all Ding anzeigen. Es steht in der großen Stadt wohl und ist fast anhin kein Mensch krank. Aber viel Häuser sind zugeschlossen, die ausgestorben sind. Da muß man lugen, wie es sich will anlassen. Jetzt thut es gar hüpschlich und bin der Hoffnung zu Gott, es wird sich in Kurzem gar und ganz stillen. Gott weiß, was schwerer Zeit ich tragen muß und wie gern ich besser Ruh han wöllte. So muß ich doch meinem Amt walten und bin unerschrocken, trau Gott wohl, es wird Alles gut. Doch ist mir d’haimen weder Essens noch Trinkens, noch sonderer Freuden; wollt nirgends lieber sein dann bei dir und der Tochter. Bin Willens, nach dem Jahrmarkt, wann ich den Wein gelesen und unterbracht han, auf ein Tag oder acht bei euch zu verharren. Meine Herren werden das, wie ich hoffe, gern verwilligen. Gott woll euer Verwalter und Schirmer sein. Was ihr mangelt, laßt allweg wissen, will ich euch verschaffen.“ Wir sehen aus diesem Briefe, wie treu der Hausvater liebte und mit welcher Sorgfalt sich der Gelehrte um das ganze Hauswesen annahm. Zwar der Name von Watt ist längst ausgestorben; desto größer ist die Nachkommenschaft, die sich in St. Gallen rühmt, ihren Stammbaum auf die Tochter Vadians hinaufzuführen. Aus den Kirchenbüchern der Stadt zählte Antistes Scherer im Spätjahr 1818 nicht weniger als 110 Geschlechter und 2002 lebende Personen als Sprößlinge Vadians auf.

Im Hause Vadians herrschte große Wohlhabenheit, eben so fern von Luxus und Ueppigkeit als von ängstlichem Sparen und Zählen. Vadians Wohlthätigkeit war in St. Gallen fast sprichwörtlich: nicht nur ließ er den Armen seine ärztliche Pflege umsonst angedeihen, sondern unterstützte sie auch mit dem Seinigen, wo Hunger und Kummer oft die Hauptquellen der Krankheit waren. Daneben wußte der Bürgermeister ein offenes Haus zu machen, wo es galt, die Stadt zu repräsentiren. Freilich fehlten ihm auch hiezu die Mittel nicht, wie wir schon daraus abnehmen mögen, daß seine Tochter als Wittwe den vier Söhnen mit Einwilligung der drei Tochtermänner und der unverheiratheten Töchter an Häusern und Gütern um mehr als für zweihunderttausend Gulden unseres jetzigen Werthes übergeben, ihre Söhne aber mehr als hundertsiebenzigtausend Gulden, die Hälfte baar, die andere Hälfte in Jahresfrist bezahlen konnten!

Ein treuer Freundeskreis erheiterte die trüben, verherrlichte die heiteren Tage seines Lebens. Wie empfänglich und zugänglich für wahre Freundschaft Vadian war, haben wir bereits aus Veranlassung seiner Universttätsjahre in Wien gesehen. Freilich die damals in der Liebe für die klassischen Wissenschaften verbundenen strebsamen Jünglinge traten bald aus einander und schlugen, als die Sonne der Reformation höher stieg, gar verschiedene Bahnen ein, aber um so näher führte diese wenigstens mit einem alten Freunde Vadian wieder zusammen – mit Zwingli. Beide Freunde standen aufs Treuste zusammen, und wenn nur der Freund den Freund vollkommen verstehen mag, so hat der Nachfolger Zwingli’s, Bullinger, und das ganze Kollegium der Züricher Geistlichen ein offenes Zeugniß für diese den Tod überdauernde Freundschaft unserem Vadian dadurch ausgestellt, daß sie ihn, der es am Besten könne, aufforderten, das Leben Zwingli’s vor die Ausgabe von dessen sämmtlichen Werken zu schreiben. Bullinger bat Vadian, diesen Dienst nicht sowohl ihnen als dem frommen Zwingli nicht abzuschlagen, welcher nun im Himmel triumphire. Ebenso stand Vadian mit Oecolampad auf dem freundschaftlichsten Fuße. Außer seinem Keßler blieb er aber vom Tode dieser zwei Männer an mit Bullingern am meisten befreundet; sie wechselten zahlreiche Briefe, darin ihre geheimsten Gedanken und Gefühle. Bullinger schreibt an Vadian (22. Septbr. 1541): „Ich kann dir nicht leicht mit Worten sagen, wie schwer es mir wird, keinen Brief von dir zu bekommen. Glaube mir, daß mir keine Briefe willkommener sind als die deinigen, wie ich auch aus keinen anderen mehr Nutzen und Belehrung ziehe.“ Ebenso im Juni 1542: „Hättest du so viel Zeit zum Schreiben als ich Verlangen nach dem Lesen deiner Briefe, so würdest du sicher öfter schreiben.“ Das Namensverzeichniß derer, mit denen Vadian Briefe wechselte, ist ein überaus großes; nennen wir nur Zwingli, Oecolampad, Haller, Calvin, Luther, Melanchthon, Bullinger, R. Gualtherus, Josias Simler, Conrad Geßner, Leo Judä, Th. Bibliander, Conrad Pellicanus, U. Zasius, W. Buddäus, Rudolph Agricola, Petrus Vergerius, J. Reuchlin, M. Bucer, Urbanus Regius, O. Myconius, W. Musculus, Eobanus Hessus, Hedio, Grynäus, H. Glareanus, P. Fagius, A. Karlstadt, Capito, Thomas und Ambrosius Blaurer, Frecht, J. Zwick, P. Aperbach, J. Bedrotus, M. Bersius, J. Comander, Andreas und Johannes Eck, J. Hessius, M. Humelberger, Som, Sulzer, Ulrich und Nicolaus Varnbüler, E. Ritter, Joh. Brenz, Joh. Oporinus u. A. Mit den meisten Reformatoren stand Vadian in Briefwechsel, sei es über die brennenden Fragen der Zeit, wo Rath gegen Rath, Mahnung gegen Mahnung getauscht ward, sei es, um durch seine ärztliche Kunst der Reformation in ihren Trägern Hilfe zu leisten. So hatte sich Leo Judä schon im Spätjahr 1523 an Vadian um ärztliche Berathung gewendet und ihn bei dem Herrn Jesu gebeten und beschworen, die Gabe, welche Gott ihm verliehen habe, für seinen kranken Freund anzuwenden, denn, setzt er hinzu, „die Gnadengabe der Gesundmachung ist, wie Paulus sagt, eine Gabe Gottes.“ Etliche Wochen später dankte Leo dem Vadian für die beiden Briefe, durch die er ihm über die Diät wie über die Heilmittel Anweisung gegeben und seine Dienste ihm so bereitwillig angeboten habe: „in beidem erkenne ich deine Vatersorge um mich, deinen ächten Freundessinn, ja jene Zärtlichkeit, welche Eltern gegen ihre Kinder hegen. Für immer fühle ich mich dir zur Dankbarkeit und zu jedem Dienste verpflichtet.“ Im Mai 1524 schreibt er ihm abermals: „Ich kann dir nicht genug danken. Meine Gesundheit verdanke ich ganz dir. Verwende ich sie ganz im Dienste des Herrn, so ist der Lohn, den du von mir nicht erhältst, vom himmlischen Vater bezahlt; wo nicht, so wäre es, denk‘ ich, besser, ich wäre immer krank.“ Ebenso wandte sich B. Haller an Vadian als an seinen Arzt; nachdem er ihm ausführlich seine Gebrechen geschildert, setzt er hinzu: „In Summa, ihr habet wohl gesehen, was ich für ein Kund bin. Helfet und rathet mir, als ich euch so trau.“ Auch Zwingli bedankt sich (März 1526), daß Vadians Verordnung von Rosenzucker ihm schon öfter seine Leberleiden gelindert habe. Sicher war es Vadian der erwünschteste Lohn seiner Arzneiwissenschaft, wenn sie solchen Männern zu Statten kam, welche mit ihm am Werke des Herrn arbeiteten. Auswärtigen Gottesgelehrten, die auf der Durchreise oder auf der Flucht St. Gallen berührten, suchte Vadian den Aufenthalt in seiner Vaterstadt so angenehm als möglich zu machen. Von allen Seiten ward er mit thätiger Hilfe oder auch mit Empfehlungsschreiben in Anspruch genommen. Haller von Bern mußte ihm deßwegen am 20. April 1528 folgende Mahnung zugehenlassen: „In Anbefehlung der Brüder und Anderer wollet ihr, lieber Herr von Watt, nach eurer Aufrichtigkeit und Fürsichtigkeit das Merkzeichen in Acht nehmen, welches Zwingli und Oecolampad mit uns auf- und angenommen haben; denn es überlaufen euch stets allerlei Leute und begehren von euch rekommandirt zu werden. Welches, weil ihr, als ein freundlicher Herr, ja, der die Freundlichkeit selbst ist, Niemandem leichtlich abschlagen könnet noch wollet, so mißbrauchen solches alsbald ihrer viele und dürfen oft ganz unverschämt auf des Vadians Zeugniß hin begehren und fordern, was sie nur immer gelüstet. Dem vorzukommen, ist dieses unser geheimes Merkzeichen, daß wir zu End des Briefs unterschreiben: „Gott allein sei Ehre und Ruhm,“ wann es uns ein rechter Ernst ist und die Leute der christlichen Liebe und Wohlthätigkeit uns würdig bedünken; welches wann ich fürder gegen euch oder ihr gegen mir gebrauchen werdet, so werden wir uns beiderseits zu verhalten wissen. Es sind wohl auf die 70 laufende, aber nicht gesandte Brüder zu uns kommen, aus welchen allen nur zwei oder drei dieses unseres Zeichens würdig gewesen wären.“ Vadian der Menschenfreund war der treueste und opferwilligste Freund der Freunde.

4. Der Sterbende.

Bis in sein sechsundsechzigstes Lebensjahr erfreute sich Vadian einer kräftigen Gesundheit, welche den vielen Arbeiten und aufreibenden Sorgen des unermüdlich thätigen Mannes Stand hielt. Schon waren die Reihen seiner Altersgenossen und evangelischen Mitkämpfer stark gelichtet; auch sein Stündlein nahte heran. Es befiel ihn ein schmerzhaftes Spannen der Nerven über die Achseln, sein schwerer Körper fiel nach und nach ab und im Gefühl des nahen Todes versammelte Vadian den 22. Januar 1551 die vornehmsten Herren des Raths und die würdigsten Pfarrer der Stadt um sein Lager, ihnen das Beste der Stadt und das Wohl der Kirche auf die Seele zu binden, sich über seinen letzten Willen zu erklären und dem Bürgermeister Schlumpf das Verzeichniß seiner aus 451 Bänden bestehenden Bibliothek mit den Worten zu überreichen: „Sehet da, liebste Herren, meinen Schatz, die fürtrefflichsten Bücher in allen Künsten und Wissenschaften, welche ich hiemit Testamentsweise dem gemeinen Wesen der Stadt St. Gallen vermacht haben will, doch mit diesem Beding und Begehren, daß ein ehrsamer Rath die Sorg und Mühe aufnehme, dieselbigen an einem auserlesenen Orte zum gemeinen Nutzen der Bürgerschaft fleißig aufzubehalten und zu bewahren.“ Sein Tochtermann hatte schon vorher seine Einwilligung dazu gegeben und sich aus dem ganzen Vorrath nur zwei Bücher, eine deutsche Chronik und eine deutsche Bibel vorbehalten, wogegen ihm und seinen Kindern und Erben das Recht zugesichert wurde, die der Stadt vergabten Bücher nach Gefallen brauchen zu dürfen. Vadian sprach die Hoffnung aus, daß man die Bibliothek auch nach seinen Absichten gebrauchen und besonders die Prädikanten und Schullehrer darüber gehen, sie lesen und darin studiren werden. Wie sehr dieses Geschenk dem Gelehrten von Herzen ging, zeigt sich auch darin, daß er den Wunsch äußerte, „daß die Bücher wohl versorgt in einem Gemach unzertrennt und unzertheilt bei einander liegen und des Jahrs meistens zweimal durchgangen und von dem Staub gesäubert und erluftet werden möchten“.

Mit der Uebergabe seiner Bibliothek hatte Vadian seine letzte zeitliche Sorge abgelegt. Noch zwei Monate hatte der in Gott stille und ergebene Greis große Beschwerden und Schmerzen zu erdulden, wobei er reichen Trost fand in dem von ihm so herzlich geglaubten Evangelium und in den täglichen Zusprüchen seines treuen Freundes Keßler. Dieser äußert sich über das Schmerzens- und Vollendungslager Vadians in einem unter dem ersten Eindruck seines Todes an Bullinger geschriebenen Briefe also: „Nachdem Vadian alle seine weise Verordnungen bezüglich seines Todes getroffen hatte, wandte er sich ausschließlich zu frommer Betrachtung der hl. Schrift. Oft besuchte ich den theuren Vater, bald von ihm gerufen, bald aus freien Stücken, denn ich wußte, daß ihm meine Gegenwart nicht unlieb sei, nicht als ob er irgend meines Zuspruchs bedurft hätte, sondern weil er mit seinem frommen Sinn traulich mit mir verkehrte und damit ich seine gelehrten Reden vernehme und, so lange es mir vergönnt sei, aus seiner Gelehrsamkeit und Menschenfreundlichkeit Trost schöpfe. Fiel unser Gespräch auf irgend einen trostreichen Spruch der Schrift, so pflegte er sofort mit gefalteten Händen und zum Himmel gerichteten Blicken Gott, dem Vater Dank zu sagen für seine in Christo uns erwiesenen Wohlthaten, und er war mit sich unzufrieden, wenn er nicht alle solche Stellen der Schrift im Gedächtniß behalten hatte. Unter Anderem ließ er sich die Abschiedsreden Jesu und ebenso einige Kapitel des Briefs an die Hebräer vorlesen. Als wir dieses thaten, großer Gott, mit welchem Ernst und welcher Gelehrsamkeit sprach er über das ewiggiltige Opfer Christi! Du hättest einen Schwanengesang zu hören geglaubt, theuerster Bullinger; zuweilen überkam ihn auch der Aerger über den abscheulichen Greuel der Meßpriester, welche den Opfertod Christi so gotteslästerlich entweihen. So beharrte er bis zum Tod im Bekenntniß der wahren und in der Verabscheuung der falschen Religion und blieb sich selbst so ganz und gar gleich, daß man an feiner Beredtsamkeit, Gelehrsamkeit und Verstandsklarbeit nichts vermißte, nur daß seine Stimme schwächer wurde. Mit einer eines Christen würdigen Gelassenheit ertrug er die Schmerzen, welche ihm namentlich die Nervenspannung zwischen den Schultern verursachte. Er begehrte für seinen brennenden Durst kaltes Wasser, was ihm von Kindheit an der liebste Trank war; da man es ihm nicht geben durfte, um nicht seine Schmerzen noch zu steigern, erquickte er die Lippen seiner dürstenden Seele in vollen Zügen aus jener Heilsquelle lebendigen Wassers, zu welcher Christus die Samariterin und lange zuvor alle Dürstenden durch den Propheten Jesaiam gewiesen hatte. Um die Wiederherstellung seiner Gesundheit machte er sich keine Sorgen, indem er gleich von Anfang seiner Krankheit an alles Irdische bei Seite legte, denn als erfahrener Arzt fühlte er wohl, daß diese Krankheit zum Tode führe; doch wies er Arzneien oder Mittel, die man ihm verordnet und gegeben hatte, nicht zurück. Und als er sich in seinen Kräften bereits ganz erschöpft fühlte, nahm er das Büchlein des Neuen Testaments, das ihm stets als Handausgabe gedient hatte, und sprach: Nimm, mein Keßler, dieses Testament, das mir mein liebster Besitz auf Erden war, zum ewigen Gedächtniß unserer Freundschaft! Und als er gegen das Ende hin zu sprechen aufhörte, bezeugte er noch mit Geberden seinen Glauben, ergriff, während ich Christum, der für uns genug gethan, anrief, mit seiner rechten meine Hand, sei es, daß er mir beistimmen oder Abschied sagen wollte, und verschied sanft in dem Herrn den 6. April, welcher der Montag nach dem Sonntag Quasimodogeniti war, zwischen zwölf und ein Uhr Mittags im Jahr 1551, im Alter von 66 Jahren vier Monaten und 6 Tagen, nachdem er neun Mal das Amtsbürgermeisteramt verwaltet. Er wurde auf dem Begräbnißplatz seiner Väter und Vorältern bestattet unter großer Wehklage seiner Vaterstadt, die wohl erkannte, wie viel sie mit diesem Vater der Vaterstadt an Zierde und Nutzen verloren habe.“ In einem zweiten Brief an Bullinger vom 29. April sagt Keßler: „Was unser Vaterland, ja das gemeine christliche Wesen an diesem Manne für eine Zierde verloren habe, darf ich euch nicht erst weitläufig sagen. Es lag, um es kurz auszudrücken, auf dieses Mannes Schultern fast die ganze Wohlfahrt unseres Regiments; derhalben ich in Sorgen bin, es möchten nun Etliche, nachdem dieses Haupt die Augen zugethan hat, hervorbrechen, welche bisher sein großes Ansehen zurückgehalten hat, also daß sie sich vor ihm fürchten mußten.“ Am 28. Februar des gleichen Jahres war Bucer heimgegangen. Calvin schrieb an Viret (10. Mai 1551): „Die Trauer welche ich über Bucers Tod empfand, vermehrt meine Besorgniß und Angst. Nun hat mir auch Vadians Tod eine neue Wunde geschlagen; wenn sich auch des Letzteren Wirksamkeit nicht so weit auf alle Kirchen ausdehnte, war sie doch vom größten Segen für seine schwer ins Gewicht fallende Vaterstadt, ja für die Schweiz und Süddeutschland.“ Vadian war ein Mann der vielseitigsten Gelehrsamkeit, der umsichtigsten Pflichttreue, der unerschütterlichsten Biederkeit, der langmüthigsten Glaubenstreue. Christus war sein Leben, darum Sterben sein Gewinn.