Lucas Pollio

Lucas Pollio, geb. zu Breslau 1536, erwarb bei bedeutenden Anlagen und ausserordentlicher Arbeitslust schon in der Schule seiner Vaterstadt gründliche Kenntnisse in den Elementen der griechischen und lateinischen Grammatik, studirte dann einige Jahre in Frankfurt a.O. und wurde von da auf Kosten des Breslauer Magistrates nach Wittenberg gesandt. Nachdem er hier vorzüglich unter Melanchthon griechische Sprache und philosophische Wissenschaften studirt hatte, wurde er zu einem Schuldienste nach Breslau zurückgerufen. Gewissenhaft und mit gutem Erfolg unterrichtete er die ihm befohlene Jugend im Katechismus und in der Grammatik. Zugleich trat er eingedenk des Rathes, den Melanchthon den Studirenden gab, neben dem Schulamt durch Predigen den Geist auszubilden und den Zugang zum Pfarramt sich zu bereiten, häufig in der Jerusalemskirche als Prediger auf. Die Breslauer, welche bald seine vorzügliche geistliche Begabung erkannten, sandten ihn zu theologischen und insbesondere zu hebräischen Studien nach Leipzig und riefen ihn von dort nach einigen reich gesegneten Jahren in das vakant gewordene Diakonenamt zurück. P. entsprach ihren Erwartungen vollkommen. Er predigte gründlich, geistlich und volksverständlich, und man hörte ihn so gern, dass er, noch vor Ablauf zweier Jahre, nach dem frühen Tod des Pastors Adam Curäus, die Hauptpredigerstelle zu St. Maria Magdalena in Breslau erhielt.

Pollio übte, obwohl unter das Kreuz beständiger Leibesschwachheit gestellt, mit der ihm gegebenen Geisteskraft eine tief eingehende Wirksamkeit. Gewaltig schwang er zum Verdruss der Verstockten und zum Segen der Empfänglichen die Geissel des Gesetzes; aber die geschlagenen Wunden heilte er mit dem Balsam des Evangeliums.

Selbst immerdar des Todes eingedenk liess er nicht ab, seine Zuhörer an die letzte Stunde zu mahnen, und man hörte ihn oft in seinen Predigten den göttlichen Wunsch des Augustinus aussprechen, „dass sie, wie sie im irdischen Tempel vereinigt wären, so auch in jenem himmlischen Tempel ewig zusammen leben möchten.“ Immer waren seine Predigten frisch und reich; denn in andächtigem Gebet und in anhaltendem Lesen der heiligen Schrift und der Väter sog er die Fülle des Geistes ein. Nach seinem Wahlspruch „ich will singen von der Gnade des Herrn ewiglich“ (Ps. 89,1) war all seine Verkündigung auf die Ehre des göttlichen namens gerichtet. Erbaulich, wie seine Predigten, war auch sein Leben; weil er aber dennoch ein Sünder blieb und seine Gebrechen fühlte, freuete er sich um so herzlicher auf das ewige Leben, wo die Sünde aufhört und damit das Elend. Als er endlich erkannte, dass die letzte Krankheit gekommen war und der Tod herannahete, freuete er sich und sprach: Ich habe Lust abzuscheiden und bei Christo zu sein. Doch nahm er auf den Rath der Ärzte Arzneien, um nicht eigensinnig zu erscheinen, noch als Einer der die ordentlichen Mittel verachte und Gott versuche. Bis an sein Ende lebte er in der Schrift, deren kräftigste Sprüche er entweder selbst sprach oder sich vorsprechen liess. Darunter waren folgende: „Wenn ich nur dich habe, so frage ich Nichts nach Himmel und Erde; wenn mir gleich Leib und Seele verschmachtet, so bist du doch, Gott, alle Zeit meines Herzens Trost und mein Theil.“ (Ps. 73,25,26). „Ich halte dafür, dass dieser Zeit Leiden der Herrlichkeit nicht werth sei, die an uns soll offenbaret werden.“ (Röm. 8,18.) „Gott ist getreu, der euch nicht lässt versuchen über euer Vermögen, sondern macht, dass die Versuchung so ein Ende gewinnet, dass ihr’s könnet ertragen.“ (1. Cor. 10,13.) Auch recitirte er stärkende Trostsprüche des Augustinus, Chrysostomus und Gerson, beichtete, nahm das heil. Abendmahl und dankte Gott, dem Magistrate und seinen Mitbürgern, auch den Armen, weil sie für ihn gebetet hatten. In seinen letzten Lebenstagen versammelte er seine Collegen und sprach zu ihnen: „Bleibet in der Liebe und in der Einigkeit des Geistes; habt Salz bei euch; jaget dem Frieden nach, wie in den letzten achtzehn Jahren geschehen ist; dann wird Gott euch segnen und bei euch sein, was auch geschehen mag. Trifft euch eine Trübsal, so handelt klug und betet. Springt nicht aus dem Schiffe; verkündigt Christum, den gekreuzigten. Werdet ihr mit Maria und Johannes unter dem Kreuze Christi stehen, so wird er euch wie den Daniel in der Löwengrube schützen, vertheidigen und zur Herrlichkeit erheben.“ An seinem Todestage, dem 31. Juli 1583, liess er seine Kinder vor seinem Bette knieen und das Vaterunser beten. Auch lasen sie ihm verschiedene Trostsprüche der Schrift vor, und der älteste von ihnen sprach ein Lied des heiligen Bernhard vom Sündentilger, Todesüberwinder und Vertreter Jesus Christus. Im Todeskampfe liess er sich den Artikel von der Vergebung der Sünden, von der Gegenwart Gottes in Noth und Tod und vom ewigen Leben einschärfen. Zwischen den Trostesworten hörte man ihn oft rufen: Das tröstet das Herz! Das erheitert das Herz! Kaum noch im Stande zu sprechen, stammelte er die Worte: O dass ich reden könnte! Dann solltet ihr hören, dass gewiss der heilige Geist in mir wohnet! Als die Thür geöffnet wurde, rief er aus: O Herr, öffne mir die Thür Deines Erbarmens. Mit den Worten: „Jetzt gehe ich in’s ewige Leben!“ verscheid er.

Auch die gedruckten Predigten Pollio’s sind Zeugnisse des lebendigsten Herzensglaubens. Die Methode ist entweder die locale oder die articulirt- paraphrastische. Von vorzüglichem Werthe sind die jeder Predigt angehängten gesalbten Gebete.

Schriften: Sieben Predigten vom ewigen Leben der Kinder Gottes. Leipzig. 1586. 8. Neue Ausgabe von Heinrich Rätel 1598. 8. von Weber, Leipz. 1720. 8. Jährliche Kirchen-Cron und Kranz. Das ist: Ordentliche Erklärung der gewöhnlichen aller heiligen Sonn- und Festtage das ganze ausgehende Jahr über evangelischen Lectionen, allermeist auf die heilsame Praxin oder Uebung der wahren Gottseligkeit mit besonderem Fleiss gerichtet, durch Herrn Lucam Pollionem (herausg. von seinem Sohne Joachim Pollio) Leipz. 1620. Fol. Ausserdem sind von ihm vorhanden zehn Fastenpredigten vom jüngsten Gericht und zwei Predigten von der Hölle.

S. Adami Vitae eruditorum p. 258.


Die bedeutendsten Kanzelredner
der
lutherschen Kirche des Reformationszeitalters,
in Biographien und einer Auswahl ihrer Predigten
dargestellt
von
Wilhelm Beste,
Pastor an der Hauptkirche zu Wolfenbüttel und ordentlichem Mitgliede der
historisch-theologischen Gesellschaft zu Leipzig
Leipzig,
Verlag von Gustav Mayer.
1856