Felix Neff

Den 12. April 1829 starb zu Genf: Felix Neff, Prediger der Waldenser Gemeinden in den (franz.) Oberalpen. Er war um’s Jahr 1797 geboren, und verlebte die Jahre seiner Kindheit bey seiner Mutter in einem nahe bey Genf gelegenen Dorfe. In seinen Jugendjahren bewahren ihn seine strengen Grundsätze vor vielen Schlingen der Welt, obgleich er dazumal von den demüthigen und zarten Tugenden des lebendigen Christenthums noch weit entfernt war. Nachdem er von seinem Ortpfarrer einigen Unterricht im Lateinischen genossen hatte, wurde er zu einem Kunstgärtner in die Lehre gethan. Allerley schwere Erfahrungen aber veranlaßten ihn, sich in seinem siebenzehnten Jahre bey der Stadtgarnision in Genf anwerben zu lassen. In seinem neunzehnten Jahre wurde er Wachtmeister bey der Artillerie, und studierte jetzt, von vorzüglichen Anlagen unterstützt, Mathematik und Naturwissenschaft. In dieser Zeit gelang es der göttlichen Gnade, ihm aufzudecken, daß auch seine besten Werke befleckt seyen mit Sünde, und daß seiner Rechtschaffenheit als Beweggrund und Absicht nur sein eigenes Ich zu Grunde liegt. Dieß brachte eine Unruhe in ihm hervor, die bis zur Gewissens-Angst erwuchs durch seinen Unglauben. Das Lesen der Bibel offenbarte ihm noch deutlicher seinen Herzenszustand, und der bekannte Traktat: „Wilkok’s Honigtropfen aus dem Felsen Christo“, führte ihn darauf, in Christo eine vollgültige Erlösung zu suchen. Er schloß sich 1818 an die „neue Kirche zu Genf“ an, und ließ, durchdrungen von Dank und Liebe gegen seinen Heiland, die Predigt vom Kreuz Christi in der Kaserne, im Spital und in den Gefängnissen erschallen. 1819 legte er die Uniform ab, und durchzog nun die Dörfer in der Umgegend von Genf, mit Kraft und Einfalt das Wort Gottes verkündigend. Er that dieß mit solchem Nachdruck, solcher Ueberzeugungskraft, und doch zugleich mit solcher Innigkeit der Liebe, daß die Gewissen tief erschüttert wurden. In den Kantonen Waadt, Neuchatel und Bern wurden viele Seelen durch ihn aus dem Schlafe der Sünden erweckt. Daneben studierte er mit solchem Eifer die Heilige Schrift, daß er ganze Bücher derselben auswendig hersagen konnte, und alle seine Lehrsätze gründlich mit Schriftworten zu belegen wusste. Im J. 1821 begehrte Pfarrer Bonifaz in Grenoble von Genf einen Vicar, der, während er eine Reise machte, sein Amt verwalte. – Man sandte ihm den Felix Neff, welcher nun sechs Monate in Grenoble vicarirte, aber viele Ursache fand, sich über die hier herrschende Gleichgültigkeit in geistlichen Dingen zu beschweren. Hierauf wurde er Vicar bey dem Pfarrer zu Mens. Hier traf er eine größere Empfänglichkeit für die Wahrheit. Die Leute hielten den Glauben der Väter noch in Ehren, und er bemühte sich, demselben eine feste Grundlage zu geben, indem er wöchentlich vier Mal die Confirmanden um sich versammelte. Gegen Romanlesen, Kartenspiel und Tanzen eiferte er, jedoch mit kluger Vorsicht. Bald zeigte sich eine religiöse Erweckung. Die Kirchen füllten sich, wenn Neff auftrat; es herrschte eine auffallende Stille und Aufmerksamkeit. Einige Haushaltungen ließen keine Romanen mehr aus den Leihbibliotheken kommen. Die Arbeit wuchs ihm unter den Händen. auch die Filial-Gemeinden wollten Vorträge von ihm hören. Machte er Krankenbesuche, so kamen Nachbarn herbey, und aus dem Zuspruche an den Kranken ward eine Erbauungsstunde gehalten. An Einem Sonntage mußte er oft fünf bis sechs Gottesdienste halten; nicht selten redete er von Morgens fünf bis Abends elf Uhr fast an einem fort. Von Jugend auf an Anstrengung gewöhnt, fühlte keine Gesundheit lange keine üblen Folgen von dieser außerordentlichen Thätigkeit. Seine größte Freude war, daß so viele seiner Confirmanden den guten Weg zu betreten begannen. Um den Leuten verständlicher zu werden, lernte er ihre Patoissprache reden. Noch war er aber nicht ordinirt, und mußte daher fürchten, daß die erwachende Eifersucht der Geistlichkeit seiner Wirksamkeit Hindernisse in den Weg legen möchte; er begab sich daher nach London, wo er den 19. Mai 1823 von neun Geistlichen der Independenten-Kirche die Weihe erhielt. Allein nun mußte eben der Umstand, daß er im Ausland ordinirt sey, Grund zu seiner Verfolgung geben; er mußte nach einiger Zeit Mens verlassen, und folgte einem Rufe zu den protestantischen Waldensern auf den Oberalpen, welche in den drey Thälern Queyras, Freisstaiere und Chamser wohnen. Diese Pfarrgemeinde hatte drey Kirchen und zwölf Filiale, und war 15-18 Stunden lang. Um ihr recht dienen zu können, beschloß er, keinen festen Aufenthalt zu wählen, sondern immer umherzureisen. Nicht drey Nächte nach einander schlief er im gleichen Bette, stets wanderte er von Berg zu Berg, um seine Gemeindeglieder zu besuchen. Diese Reisen waren um so beschwerlicher , da es oft über Berge hergieng, die mit ewigen Eis und Schnee bedeckt sind, und um so wohlthätiger, da die dortigen Einwohner zwar dem Leibe nach Nachkommen der alten gläubigen Waldenser, aber dem Geiste nach in große Unwissenheit, Sittenverderbniß, Unreinlichkeit Armuth versunken waren. Neff sorgte vor Allem für bessere Schullehrer, und weil er bey jeder Gemeinde nur selten predigen konnte, für gute Predigtbücher, die am Sonntage vorgelesen wurden. Sein liebevoller Eifer brachte es dahin, daß die Leute bereitwillig wurden, für seine wohlthätigen Absichten bedeutende Opfer zu bringen, und nachdem er etliche Jahre gearbeitet und die Bahn gebrechen hatte, entstand 1825 eine immer weiter sich verbreitende Erweckung. Das Spielen, Saufen und Raufen (?) dem (? unleserlich) Neff sehr schnell, auch sogar unter den benachbarten Katholiken, in Abgang. Auch in irdischen Dingen wurde Neff ihr Lehrmeister und Wohlthäter; unter seiner Anleitung stellten sie eine längst verfallene Wasserleitung wieder her, er lehrte sie den Kartoffelbau u.s.w. Er errichtete ein Schullehrer-Seminar, und wirkte durch Reisen auch bey den Waldensern in der Gegend von Piemont; überall saß er ein herrliches Glaubensleben heranblühen. Dagegen verzehrten sich schnell seine körperlichen Kräfte, und seine Freunde, die dieß besser einsahen als er selbst, veranlaßten ihn, eine Erholungsreise nach Genf zu machen, wo er sehr leidend ankam: er konnte nicht mehr anhaltend sprechen und keine feste Speisen ertragen, und dieß nahm immer mehr zu; endlich konnte er nur noch durch stärkende Einreibungen ernährt werden: als er einmal gewiß wusste, daß er blad sterben würde, freute er sich außerordentlich und wandte vollends seine letzten Kräfte an, um mündlich und schriftlich von Christo zu zeugen. Als schon seine Augen trübe waren, schrieb er noch einen Brief an seine Freunde: „Lebet wohl! Ich fahre auf zu meinem Vater in vollem Frieden. Sieg, Sieg, Sieg durch Jesum Christum!“ – Sein Todeskampf dauerte vier volle Stunden, aber in seinem Blicke drückte sich die siegende Kraft seines Glaubens so sprechend aus, daß auch der Umstehenden Glaube gestärkt wurde.

Quelle: „Aus dem Leben von Felix Neff“, Basel, 1833

Der Christen-Bote.
Herausgegeben von
M. Johann Christian Friedrich Burk,
Pfarrer in Thailsingen und Nebringen bey Herrenberg.
Jahrgang 1833
Stuttgart,
bey Johann Friedrich Steinkopf