Raimundus Lullus

Glaubensbote unter den Saracenen.

Im Jahre 1229 war Jakob der Eroberer, König von Aragonien, von der Südküste Spaniens mit einer Kriegsflotte ausgelaufen, um die balearischen Inseln Majorka und Minorka nebst der kleineren Insel Yvica den Mauren abzugewinnen, und schon im Anfang des folgenden Jahres hatte er Majorka in Besitz genommen. Er setzte den Kampf fort und eroberte 1232 Minorka, 1234 Yvica und endlich 1238 auch die Stadt und das Reich Valencia. Unter seinem Heergefolge befand sich der tapfere aragonische Ritter Raimon Lull, aus Barcellona gebürtig, der mit einer katalonischen Gräfin aus der Familie Herili vermählt war. Sein König belohnte ihn mit Besitzungen auf der eroberten Insel Majorka und, nachdem diese etwas beruhigt war, ließ er seine Gemahlin zu sich kommen und sie wohnte bei ihm etwa seit dem Jahre 1233.

Aus dieser Ehe ist um das Jahr 1235 der seinem Vater gleichnamige Sohn entsprossen, der in der Geschichte der christlichen Kirche und Wissenschaft unter dem latinisirten Namen Raimundus Lullus (oder auch Lullius) berühmt geworden. Der junge Edelmann wuchs im Genuß des Reichthums, in der Luft des Hofes, unter ritterlichen Uebungen und unter den frommen Eindrücken des christlichen Gottesdienstes auf. Das Hauptelement seiner Jugendbildung war aber nicht Religion, nicht Wissenschaft, sondern der ritterliche Geist der provencalischen Poesie, der auch in seinem Stammland Katalonien herrschte und von dort aus auf die balearischen Inseln überging, wo nach und nach auch die gothische Baukunst, mit maurischen Elementen vermischt, herrliche Kirchen entstehen ließ, deren Ueberreste jetzt noch Bewunderung erregen. In seinem dreißigsten Jahre war der junge Ritter Seneschall seines Königs, dasselbe, was man in Deutschland Truchseß nannte, war verheirathet, hatte Kinder, beschäftigte sich aber gern mit der Dichtung katalonischer Minnelieder, wozu er häufig die schönen kühlen Nächte der anmuthigen Insel benutzte. Die Liebe des gekreuzigten Heilandes, die Franz von Assissi durch Wort und Wandel so mächtig in Italien und allen westlichen Küstenländern erweckt hatte, schlummerte noch in seinem Herzen.

Aber seine Stunde kam. Als er in einer Nacht des Jahres 1265 dichtend mit Bildern irdischer Minne beschäftigt war, erschien überraschend seinem Geiste das Bild des Gekreuzigten und ließ als eine göttliche Mahnung einen unauslöschlichen Eindruck bei ihm zurück. Doch ergab er sich nicht sogleich der heiligen Macht, die so unbequem seine Neigungen und Gewohnheiten bedrohte. Er versuchte in der nächsten Zeit mehrmals bei nächtlicher Weile sein Minnelied zu vollenden, aber jedesmal stellte sich ihm wieder der Gekreuzigte vor Augen. Als sich dies zum vierten oder fünften Male wiederholte, da siegte sein Gewissen, und er wurde inne, der Herr wolle ihm sagen, er solle die Eitelkeit der Welt verlassen und sich ganz und gar in den Dienst Christi begeben. Unter heftigen Seelenkämpfen bereitete sich ein großer Entschluß in seinem Geiste vor, indem er erwog, welches wohl das Liebeswerk sein möchte, das dem Herrn am meisten gefallen könnte. Er fand nichts Besseres, als Leib und Leben daran zu setzen, um die Saracenen, zunächst die Mauren im benachbarten Afrika, von dem Irrthum des Islam und von der Wahrheit des christlichen Glaubens so zu überzeugen, daß sie innerlich gedrungen würden sich zu Christo zu bekennen. Dies zu vollbringen, das schien ihm die würdigste Aufgabe seines Lebens, um Christum zu verherrlichen. Nicht leicht wurde ihm das Opfer, welches die Ausführung eines so kühnen Vorsatzes von ihm erheischte; drei Monate gingen noch dahin, ehe er den entscheidenden Schritt wagte. Als aber am 4. October 1265, am Tage des h. Franz von Assisi, ein Bischof in einer Franziskanerkirche auf Majorka mit hinreißender Beredtsamkeit die Liebe des Heiligen pries, der Alles verlassen habe, um Christo nachzufolgen, da beschloß er, nicht hinter diesem Vorbild zurückzubleiben, verkaufte seine Güter bis auf ein mäßiges Erbe, das er zum Unterhalt seiner Gattin und seiner Kinder bestimmte, vertauschte seine köstlichen Kleider mit einem einfachen Rock von grobem Zeug und verließ seine Heimath. Drei Dinge hatte er beschlossen zur Ehre Gottes auszuführen: erstlich die Kenntniß der arabischen Sprache zur Bekehrung der Saracenen nicht nur selbst zu gewinnen, sondern auch in der Christenheit zu verbreiten, zweitens ein Buch für die Vertheidigung und Verherrlichung der christlichen Wahrheit zu schreiben, und endlich sein Leben für das Zeugniß von Christo zu opfern. Er wanderte nach St. Jakob zu Compostella und an andre heilige Stätten Spaniens, um überall die Fürbitten der Heiligen im Himmel und der Frommen auf Erden für sein großes Vorhaben zu gewinnen, das so ganz mit dem christlichen Volksgeiste seiner Nation in jener Zeit übereinstimmte.

Neun Jahre (also bis 1274) widmete er ununterbrochen den Vorstudien für das Unternehmen, das er als den göttlichen Auftrag für sein noch übriges Leben erkannte. Er begann damit, daß er sich der Kenntniß der arabischen Sprache und Literatur zu bemächtigen suchte, indem er einen Sclaven, einen geborenen Saracenen, zu seinem Lehrmeister annahm. Am Ende dieser Lernzeit trug es sich zu, daß jener Saracene in der Abwesenheit seines Herrn den Namen Christi lästerte, wofür Raimund, dem dies hinterbracht wurde, denselben in heiligem Eifer hart züchtigte. Der Sclave sann auf Rache, erspähte eine einsame Stunde, überfiel ihn und stieß mit dem rasenden Schrei: „du bist des Todes!“ ein Messer in seine Brust. Raimund trug eine durch Gottes Gnade nicht unheilbare Wunde davon, überwältigte aber den Mörder und schlug ihn in Bande. Er wußte nun nicht, was er mit dem Verbrecher anfangen sollte: tödten wollte er ihn nicht, weil er sein Lehrmeister gewesen; freilassen durfte er ihn auch nicht, weil er von seiner Rachgier neuer Mordanfälle gewärtig sein mußte. Dreimal begab er sich in eine benachbarte Abtei, um daselbst Gott um Erleuchtung zu bitten: aber vergeblich. Als er das dritte Mal traurig heimkehrte, vernahm er, daß der Mensch den Strick, mit welchem er gebunden war, gebraucht hatte, um sich selbst zu erdrosseln, und sah darin eine von Gott für ihn bereitete Auskunft, um seinen Feind unschädlich zu machen, ohne daß er seine Hände mit dessen Blut zu beflecken genöthigt war.

Nach Vollendung der Vorstudien wollte Raimund zur Ausführung seiner Pläne schreiten, vermißte aber nun erst recht eine wissenschaftliche Grundlage, auf welche er im Kampfe gegen den Islam eine siegreiche Wirksamkeit bauen könnte. Es war damals gerade die höchste Blüthenzeit der auf Aristoteles gebauten wissenschaftlichen Theologie des Mittelalters, die Zeit, wo die Dominikaner Thomas von Aquino und Albert der Große, so wie der Franziskaner Bonaventura als Lichter der Kirche strahlten. Aber die Wissenschaft dieser Männer setzte den kirchlichen Glauben der Christenheit voraus und war nicht geeignet die Feinde der Wahrheit zu überführen, welche die Grundlehren von der Dreieinigkeit, von der Gottheit Christi und von der Versöhnung durch sein Blut leugneten. Um diese zu überzeugen mußte er sich mit ihnen auf den neutralen Boden der allgemeinen Wissenschaft des menschlichen Denkens, der Logik, stellen. Gerade auf diesem Gebiete aber waren die Priester und Lehrer der Saracenen damals ausgezeichnet geschult; durch sie war ja die Kenntniß des Aristoteles erst neu zu den Christen gekommen, und der arabische Philosoph Averroes genoß auch unter den christlichen Denkern das höchste Ansehn. Die Schüler des Averroes mit ihren eigenen Waffen auf dem Gebiet der allgemeinen Wissenschaft zu schlagen, das war die Aufgabe, die Raimund zu lösen hatte. Dies erkannte er wohl: aber den Weg, wie dies geschehen sollte, zu entdecken, darum handelte es sich, und dies war gerade für ihn um so schwieriger, da er in der Stille wohl viel gedacht hatte, aber in der herrschenden Scholastik seines Zeitalters nicht regelmäßig geschult war. Er nahm seine Zuflucht zu Gott: er begab sich in die Einsamkeit auf den seiner Heimath benachbarten Berg de Randa und versenkte sich dort in Gebet und Betrachtung. Nach acht Tagen kam ihm daselbst plötzlich, wie er nicht zweifelte durch göttliche Erleuchtung, die Idee zu einem Buche, das den Schlüssel zu aller Wissenschaft und zu einer unüberwindlichen Kunst der Beweisführung liefern sollte. Sogleich ging er ans Werk und verfaßte den Entwurf dieses Buchs in der nahe gelegenen Abtei de Regali, begab sich dann wieder auf den Berg de Randa, richtete sich hier eine Einsiedelei ein und vollendete in vier bis fünf Monaten die Schrift, die er zuerst Hauptwissenschaft (Ars major), später die allgemeine Wissenschaft (Ars generalis) benannte. Er berichtet, daß auf jenem Berge einst ein Jüngling, lieblich von Angesicht, ein Schäfer, ihn besucht habe, der in einer Stunde ihm von göttlichen Dingen mehr sagte, als ein Anderer in zwei Tagen hätte aussprechen können. Derselbe küßte und segnete ihn und seine Handschriften und erquickte ihn mit wahrhaft prophetischen Verheißungen. Diese Erzählung ist ganz dem Charakter jener Zeit entsprechend, wo vielfache apokalyptische Hoffnungen und prophetische Gesichte auch unter frommen Laien die Gemüther erregten. Auch sind mancherlei Spuren vorhanden, daß unser katalonischer Ritter und Minnesänger, der alles verlassen hatte, um Christo die Seelen der Ungläubigen zu gewinnen, nicht nur unter den Klosterbrüdern, sondern auch unter dem Volke seines Vaterlands eines großen Ansehns als Heiliger genoß und wenigstens mittelbar einen bedeutenden Einfluß auf die Gesinnung und Bildung des südlichen Spaniens ausübte. Als ein geistlicher Nationalheld Kataloniens trat er in die öffentliche Wirksamkeit der allgemeinen wissenschaftlich gebildeten Kirche des Abendlandes ein, wo sein originelles Vorhaben und sein origineller wissenschaftlicher Versuch, der außerhalb der gewohnten Bahnen lag, theils Bewunderung, theils aber auch Kopfschütteln erregte und ihn Vielen als einen Sonderling erscheinen ließ, dem man nicht recht trauen dürfte. Diese zweifelhafte Stellung nimmt er noch heute bei den Philosophen als Philosoph, bei den Theologen der römischen Kirche als Scholastiker ein, und seine zahlreichen Schriften, in denen unverkennbar viele Geistesblitze und tiefgedachte Aussprüche sich finden, sind noch nicht vollständig gesammelt, noch weniger von irgend einem Gelehrten allseitig und gründlich studirt. Die Sammlung seiner Werke von dem römischen Theologen Salzinger in zehn Quartbänden von 1721 bis 1742 zu Mainz erschienen, ist selten, und zwei Bände derselben werden in allen Bibliotheken vermißt, vermuthlich, weil der Sammler aus Furcht, daß sie verurtheilt werden würden, gar nicht gewagt hat sie drucken zu lassen. Es steht fest, daß Raimund, wie sein Zeitgenosse der große englische Franziskaner Roger Baco, einen edeln Durst nach Erkenntniß der Wahrheit hatte: aber nicht so scharfsichtig, wie dieser, traute er den unzureichenden Mitteln zur Auffindung der göttlichen Geheimnisse mehr zu, als sie leisten können, und hat sich auch in die alchymistische Naturforschung seiner Zeit eingelassen, doch ohne daß man der Aechtheit der Schriften dieser Art, die ihm zugeschrieben werden, ganz sicher ist. Edel und ächt christlich ist seine Vertheidigung des Forschergeistes gegen den Einwand, daß der Glaube aufhöre ein Verdienst zu sein, wenn er nicht eine That des blinden Gehorsams bliebe, sondern eine Wirkung der Vernunft-Erkenntniß wäre. „Nicht auf des Menschen Verdienst und Ehre“ – entgegnete er – „sondern allein auf Gottes Verherrlichung müsse man sein Augenmerk richten.“ Und wenn man weiter einwandte, der Glaube würde erkalten, wenn er zum bloßen Wissen, das der Mensch selbst beherrsche, herabsänke, so erwiderte er: das würde nie geschehen. Denn jede höhere Stufe des Wissens wiese auf eine noch höhere Stufe und ein noch höheres Gut hin, welches nur der Glaube besitze, und so steige man auf der Leiter des Wissens zu immer höheren Problemen des Geistes hinauf, also daß der Glaube nur desto inbrünstiger werde, je weiter der Forscher seinen Geheimnissen nachspüre.

Zu seiner neu erfundenen Wissenschaftslehre hatte Raimund großes Vertrauen, und da er sie als eine besondre Gabe göttlicher Offenbarung ansah, so rechnete er auf allgemeine Anerkennung und glaubte der Welt einen großen Dienst zu erweisen, wenn er ihr überall Einfluß verschaffte. Da er bald ein nicht geringes Aufsehn erregte, so forderte sein König, der Sohn des Eroberers Jakob, der bei Theilung des väterlichen Reichs (1276) nicht Aragonien und Katalonien, sondern nur die balearischen Inseln erhalten hatte und als König dieses abgesonderten Staates Jakob J. genannt wurde, ihn an seinen Hof, der damals in Montpellier war, um seine Schriften einer Prüfung der Gelehrten dieser Stadt zu unterwerfen, die sie rechtgläubig fanden. Dort schrieb er ein neues Buch, die Beweiskunst, der nach und nach eine Menge ähnlicher Schriften folgte, in welchen er seine Methode zu empfehlen und handlich zu machen suchte. Als er sich schon gehörig ausgerüstet glaubte, begab er sich nach Paris, um durch Vorlesungen Anhänger für sein System zu gewinnen und sich unter den Schultheologen Geltung zu verschaffen. Besonders wichtig aber war ihm die Anwendung seiner Methode für den Hauptzweck, das Christenthum gegen den Islam zu vertheidigen und die Ueberzeugung der gelehrten Mohammedaner durch Kraft der Beweise zu erzwingen. Und dabei fehlt es ihm nicht an tiefsinnigen Gedanken, die wenigstens zum Theil ihm eigenthümlich, oder, wenn auch von Andern vor ihm gedacht, doch ihm nicht durch Ueberlieferung zugegangen sondern in ihm selbständig erzeugt sind. Werthvoller aber ist sein großer Zweck, das Menschengeschlecht dadurch zu adeln, daß durch seine Methode jedes Volk und jeder einzelne Mensch erzogen würde, über Gott, Natur und Menschen so zu denken, daß ihm durch die Vernunft die Wahrheit und insbesondere die höchste, die christliche Wahrheit als Leitstern des Lebens einleuchtete.

Bei diesem allgemeinen Zweck ließ er aber seinen besondern Beruf, den Saracenen dieses Licht der Wahrheit zugänglich zu machen, nicht aus den Augen. Bei seinem König Jakob J. gelang es ihm, denselben zu bewegen, daß er auf der Insel Majorka ein Franziskaner-Kloster stiftete, dessen Mönche durch Erlernung der arabischen Sprache zur Mission unter die Saracenen geschickt werden sollten. Darauf ging er nach Rom, um bei dem Papst Honorius IV. auszuwirken, daß ähnliche Stiftungen in größerem Maaßstabe an verschiedenen Orten gegründet werden möchten. Als er aber nach Rom kam, fand er den päpstlichen Stuhl erledigt (1287) und seine späteren Bemühungen in dieser Richtung bei Päpsten, Königen und Kirchenversammlungen hatten lange nur einen sehr spärlichen oder gar keinen Erfolg. Von Rom begab er sich nach Genua, um nach Afrika überzusetzen und persönlich seine Mission an den Saracenen zu beginnen. Schon waren seine Geräthschaften und Bücher auf ein genuesisches Schiff gebracht, das nach Tunis absegeln sollte: die ganze Stadt war seines Namens voll und von seinem hochherzigen Unternehmen bewegt: da stellten sich die Qualen eines grausamen Todes oder einer lebenslänglichen Gefangenschaft ihm vor das Auge und er wurde von einer so großen Angst und Verzagtheit ergriffen, daß er die Reise aufgab und sein Gepäck wieder ausladen ließ. Das Schiff segelte ohne ihn ab: sofort aber peinigte ihn nun sein Gewissen, daß er der göttlichen Sendung ungehorsam geworden war und den Gläubigen ein solches Aergerniß gegeben: er verfiel in eine langwierige schwere Krankheit und mußte am Leibe wie an der Seele große Schmerzen erdulden. In diesem Zustande vernahm er, daß abermals im Hafen ein Schiff zur Abfahrt nach Tunis bereit liege, und, wie elend er auch war, ließ er doch sich mit seinen Büchern auf das Schiff tragen, um die gefährliche Reise zu beginnen. Seine Freunde aber, die seinen Zustand kannten, gaben nicht zu, daß er abfuhr, und ließen ihn zurückholen. Jahre vergingen nun und seine Krankheit besserte sich nicht. Aber als er im Jahre 1291 zum dritten Male von einem Schiffe hörte, das von Genua aus nach Tunis segeln sollte, ließ er sich nicht abhalten und wurde krank auf das Fahrzeug getragen, um seinen Beruf zu erfüllen. Das Schiff ging ab: seine Seele wurde heiter, bald auch sein Leib völlig gesund, nachdem der Druck, der auf seinem Gewissen lastete, gewichen war.

In Tunis angelangt versammelte er die Gelehrten und erklärte ihnen, er sei gekommen, um mit ihnen zu untersuchen, ob die Gründe, mit welchen sie den Islam vertheidigten, oder diejenigen, welche die Wahrheit des christlichen Glaubens bewiesen, stärker wären, und wenn sich bei der Vergleichung herausstellen würde, daß die Lehre Muhammeds besser begründet sei, als die Lehre Christi, zu welcher er sich bekenne, so würde er zu ihrem Glauben übertreten. Dadurch ließen sich viele Gelehrte herbeilocken, in der Hoffnung, daß sie ihn überzeugen und zum Islam bekehren könnten. Nachdem die Gründe für den Islam von ihm widerlegt waren, hub er an: „Jeder weise Mann müsse den Glauben als den wahren anerkennen, welcher Gott die größte Vollkommenheit beilege, die einzelnen Eigenschaften Gottes am richtigsten und vollständigsten zu bestimmen wisse und die Ausgleichung und Uebereinstimmung unter denselben am Besten nachweise. Er werde diese Probe leisten und darthun, daß ohne die christliche Erkenntniß von der Dreieinigkeit und der Menschwerdung Gottes man weder von Gottes Vollkommenheit, noch von der Fülle der göttlichen Eigenschaften, noch von deren Harmonie unter einander einen befriedigenden Begriff gewinnen könne: somit werde er ihnen beweisen, daß der christliche Glaube allein allen Anforderungen der Vernunft entspreche.“ Er führte nun aus, daß der Begriff von Gott, den der Islam enthalte, unvollständig sei, indem darin zwar Gottes Weisheit und Willensmacht erkannt werde, aber nicht seine Güte und Größe, die nur aus der Dreieinigkeit und Menschwerdung Gottes völlig hervorleuchte. Da seine Worte nicht ohne Wirkung blieben und seine Absicht offenbar wurde, die muhammedanischen Gelehrten ihrem Glauben untreu zu machen, so zeigte dies Einer der Angesehensten unter ihnen ihrem König an und bat denselben, wegen dieses Verbrechens dem Fremdling den Kopf abschlagen zu lassen. Raimund wurde eingekerkert und schon sollte die Todesstrafe an ihm vollzogen werden, als ein Anderer für ihn bat und dem König vorstellte, eine solche Grausamkeit gegen einen gelehrten und achtungswerthen Mann würde seinem Reiche keine Ehre machen, da, wenn ein Muhammedaner in ähnlicher Weise muthig unter die Christen ginge, um sie zum Islam zu bekehren, man mit Recht eine solche Aufopferung an ihm rühmen würde: der Christ, der dies für seinen Glauben thue, sei ebenfalls ehrenwerth. Hierauf begnadigte der König den Gefangenen, gebot ihm aber, mit nächster Schiffsgelegenheit das Land zu verlassen. Als er aus dem Gefängniß trat, wurde er vom Pöbel gemißhandelt und dann sofort auf das genuesische Schiff, in welchem er gekommen, zurückgebracht, mit Androhung der Steinigung, wenn er sich jemals wieder auf dem Gebiet von Tunis blicken lasse. Bald fuhr das Schiff ab: er aber hatte sich heimlich auf ein anderes begeben, das noch im Hafen lag, und wartete auf eine Gelegenheit, unerkannt das Land zu besteigen, um seine Bekehrungsversuche fortzusetzen. Es geschah dies im September 1292 und in dieser Zeit arbeitete er auf dem Schiffe eine allgemeine Uebersichtstafel von Begriffen aus, die auf alle Wissenschaften anwendbar sein sollte. Nachdem er drei Wochen vergeblich gewartet, trug ihn jenes Fahrzeug nach Neapel, wo er nun einige Jahre verweilte und Vorlesungen über sein System hielt. Als der wegen seiner Frömmigkeit berühmte Einsiedler von Abruzzo Coelestin V. Papst wurde, hoffte er von diesem Unterstützung für seine Missionspläne, sah sich aber ebenso von diesem frommen, aber thatlosen Papste (1294), als von dessen thatkräftigem, jedoch nicht allzu frommem Nachfolger Bonifacius VIII. (1295) in seinen Erwartungen getäuscht. Im 1.1296 schrieb er in Rom seine „Beweisführung für die Lehren des christlichen Glaubens aus unwiderleglichen Gründen der Vernunft“ (necessaria demonstratio articulorum fidei) und schloß diese Schrift am heiligen Abend vor dem Geburtsfest Johannis des Täufers mit der kühnen Vergleichung: „Wie dies Buch vollendet worden an dem Vorabend des Johannes, welcher der Herold des Lichts war und mit dem Finger auf den hinwies, der das wahre Licht ist: so gefällt es dem Herrn Jesus Christus, ein neues Licht für die Welt anzuzünden, das den Ungläubigen leuchten möge zu ihrer Bekehrung, auf daß sie mit uns dem Herrn Jesus Christus entgegen gehn, welchem sei Ehre und Preis in Ewigkeit.“

Er war bereits in den sechziger Jahren, als er Rom mit gescheiterten Hoffnungen, aber mit ungebrochenem Eifer verließ, um zehn Jahre lang in wissenschaftlicher und praktischer Thätigkeit für die Ausführung seiner menschenfreundlichen christlichen Ideen zu wirken, und wir würden ihm die reinste Bewunderung zollen können, wenn er nicht die eignen phantastischen und abenteuerlichen Gedanken zu auffallend mit göttlichen Aufträgen und Eingebungen verwechselt hätte.

Von Rom ging er zuerst nach Genua, wo er mehrere Bücher schrieb, von Genua mit manchen Umwegen nach Majorka, wo er Saracenen und Juden zu bekehren suchte, und näherte sich auch dem König Sanzio, Nachfolger von Jakob I., um ihn durch Gespräche für neue Entwürfe zu gewinnen, doch ohne besondern Erfolg. Der König wies ihn nach Paris und dort hielt er sich längere Zeit auf, um Vorträge über sein System zu halten und Bücher zu schreiben. Auch bei dem König von Frankreich Philipp (IV.) dem Schönen versuchte er für seine geistlichen Pläne Eingang zu finden, konnte aber bei diesem weltklugen Fürsten kein Gehör finden. Nun zog er sich wieder nach Majorka zurück, um seine Bekehrungsversuche fortzusetzen. Als er aber von neuen Bewegungen im Orient hörte, öffneten sich seiner Phantasie wieder große Aussichten, dort die Schismatiker, die Nestorianer, Monophysiten und andre Secten in Armenien, in Syrien, in Aegypten zur Einheit der Kirche zurückzuführen. Er schiffte sich nach Cypern ein und wendete sich an den König von Cypern wie früher an den König von Frankreich: aber auch hier fand er keine Unterstützung. Nun versuchte er allerlei auf eigene Hand und setzte sich großen Gefahren aus, nur von einem Cleriker und einem Diener begleitet. Er wurde gefährlich krank und hatte jene Beiden in Verdacht, daß sie ihn vergiftet hätten: ohne sie anderweitig zu bestrafen, jagte er sie fort; für seinen kranken Leib aber fand er Aufnahme und Heilung in dem Hause eines barmherzigen Meisters des Tempelordens. Nach seiner Lederherstellung ging er zu Schiffe und begab sich nach Genua, von Genua nach Paris, von Paris nach Lyon, und überall setzte er, wiewohl nun ein siebzigjähriger Greis, rüstig seine frühere Thätigkeit für seine christlichen Ideen und Pläne fort. Von Lyon aus knüpfte er Verbindungen mit dem Papst Clemens V. an, der in Frankreich residirte und vom Jahre 1309 an seinen Sitz nach Avignon verlegte, und bewog diesen zu der Verordnung, daß an verschiedenen Orten, als in Paris, Salamanca, Oxford, Lehrer der griechischen, hebräischen, arabischen, chaldäischen Sprache angestellt werden sollten, um Männer zu erziehen, die zur Ausbreitung der Kirche unter Schismatikern und Ungläubigen fähig wären. Dies war das erste Samenkorn der Pflanzschule zur Ausbreitung des Glaubens, welches mehr als dreihundert Jahre später in Rom gegründet worden ist und mit einem Einfluß, der sich weithin in die Länder des Orients erstreckt, heutigen Tags noch besteht.

Im J. 1306 war Raimund wieder in Majorka, hatte aber nicht lange Ruhe, sondern ersah sich eine Gelegenheit, um nach Afrika überzusetzen und stieg in Bugia ans Land, in einer damals volkreichen Stadt, die der Sitz eines muhammedanischen Reichs und eines ausgezeichneten Oberpriesters des Islam war. Auf einem großen Platze der Stadt trat er auf und verkündigte laut: „Die Lehre Christi ist wahr, heilig und Gott wohlgefällig, die Lehre der Saracenen ist falsch und irrig, und dies bin ich bereit zu beweisen.“ Hierzu fügte er dann in arabischer Sprache Worte der Ermahnung, die das umstehende Volk so in Wuth versetzten, daß sie auf ihn eindrangen und ihn steinigen wollten. Der Oberpriester hört davon und läßt den Fremdling vor sich führen. „Wie konntest du so thöricht sein,“ ruft er ihm zu, „daß du dich untersingest die Lehre Muhammeds durch Christi Lehre anzugreifen! weißt du nicht, daß Jeder, der sich dessen unterwindet, sterben muß?“ Raimund erwiderte: „Ein wahrer Diener Christi, der die Wahrheit des christlichen Glaubens erkannt hat, darf den leiblichen Tod nicht scheuen, wo er die Gnade des geistlichen Lebens für die Seelen von Gläubiggewordenen erlangen kann.“ Der Oberpriester, ein wissenschaftlich gebildeter Mann, ist neugierig zu hören, welche Beweise Raimund gegen die Lehre des Muhammed und gegen die Philosophie des Averroes, die zum Pantheismus hinneigt, vorbringen kann, und wird durch die damals neuen Beweise, die Raimund aus dem Begriffe der Güte Gottes führt, überrascht. Er schützt ihn vor der Volkswuth und läßt ihn erst in ein hartes, dann auf Fürbitte genuesischer und katalonischer Kaufleute in ein milderes, zuletzt wieder in ein sehr ekelhaftes Gefängniß setzen. Darüber vergeht ein halbes Jahr. In der Zwischenzeit wird er öfters zum Verhör vor das Collegium der gelehrten Priester geführt, auf dem Wege dahin mit Faust- und Stockschlägen gemißhandelt und sein langer grauer Bart zerzaust. Man fürchtet seine schlagfertigen Beweise und sucht ihn durch Versprechung von Ehren und Reichthümern zum Abfall zu verführen. Aber er antwortet: „Wenn ihr Christen werden wollt, so verheiße ich euch ganz andre Reichthümer und dazu das ewige Leben.“ Zuletzt wird ausgemacht, daß beide Theile ein Buch schreiben sollen, damit jeder die Gründe für seinen Glauben genau auseinandersetze. Dies wird, ohne Zweifel auf den Rath des Oberpriesters, von dem König, der außerhalb Bugia seine Residenz hat, verhindert: dieser gebietet ihn zu entlassen und des Landes zu verweisen.

Das Schiff, welches er besteigen mußte, gerieth in einen heftigen Sturm und strandete, als es zehn Millien von Pisa entfernt war. Mehrere Reisende fanden in den Wellen ihren Tod: Andere retteten das nackte Leben, unter diesen Raimund, der alle seine Bücher und sein Gepäck verlor. In Pisa wurde er freundlich aufgenommen und sogleich ging er wieder ans Werk, die letzte Hand an seine allgemeine Wissenschaftslehre zu legen und andre Schriften abzufassen. Auch entwarf er den Plan zu einer Vereinigung aller Ritterorden, um mit neuer Energie die Eroberung des gelobten Landes zu betreiben. Er gewann dafür fromme Frauen und Edelleute und brachte eine Beisteuer von 30,000 Gulden zusammen. Mit Empfehlungsbriefen versehen begab er sich nun zum Papste Clemens V. in Avignon, fand aber, wie früher, mit seinen Vorschlägen kein Gehör. Es folgte nun ein neuer Aufenthalt in Paris, wo er jetzt die pantheistischen Lehren des Averroes besonders bekämpfte und den alten Streitsatz angriff, daß in der Philosophie das wahr sein könne, was in der Theologie für falsch gilt. Sein Interesse dabei war ein doppeltes: einerseits festzustellen, daß die christliche Offenbarung die alleinige und die vollkommene Wahrheit enthalte, andrerseits die wissenschaftliche Erkennbarkeit und Beweisbarkeit der christlichen Wahrheit zu behaupten. Auf der Verknüpfung dieser beiden Sätze beruhte ja eben die Methode der christlichen Mission, welcher er seine Kräfte gewidmet hatte. Als im J. 1311 die allgemeine Kirchenversammlung zu Vienne gehalten wurde, trat er auch dort mit Vorschlägen, die auf die Ausbreitung des Christenthums sich bezogen, hervor, und unter seinen Vorschlägen war auch dieser, erfolgreiche Mittel anzuwenden, um die Verbreitung der Grundsätze des Averroes zu hemmen, gegen welche er damals auch mehrere Bücher schrieb. Sein ältester Biograph zählt 123 Bücher und mehr, die er geschrieben und theils in einem Karthauserkloster in Paris, theils bei einem Edelmann in Genua und bei einem andern auf Majorka niedergelegt habe.

Um das Jahr 1311 schreibt er im Rückblick auf seine Laufbahn: „Ich hatte Frau und Kinder, ich war ziemlich reich, ich führte ein weltliches Leben. Alles habe ich gern verlassen, um das allgemeine Beste zu befördern und den heiligen Glauben auszubreiten. Ich habe das Arabische gelernt, ich bin mehrere Male ausgegangen, den Saracenen das Evangelium zu verkündigen. Ich bin um des Glaubens willen ins Gefängniß geworfen und zerschlagen worden. Ich habe 45 Jahre gearbeitet, um die Hirten der Kirche und die Fürsten für das gemeine Wohl der Christenheit zu gewinnen. Nun bin ich alt, nun bin ich arm, und noch bin ich desselben Sinnes: ich werde darin beharren bis in den Tod, wenn der Herr selbst es verleiht.“ Und er ist darin beharrt. Auch der Tod des Leibes sollte nach seinem Wunsche ein freies Opfer der Liebe sein und nicht blos, was er im Laufe der Natur ist, eine Folge des Hinwelkens der Lebenskraft. Im Hinblick auf diesen natürlichen Tod spricht der Greis im Gebet zu seinem Herrn: „Dein Knecht möchte, wenn es dir so gefällt, nicht eines solchen Todes sterben, sondern er möchte sein Leben enden in der Glut der Liebe, wie du in Liebe dein Leben für uns hingegeben hast. Dein Knecht bereitet sich hinzugehn und für dich sein Blut zu vergießen. Es gefalle dir also, ehe er zum Tode gelangt, ihn so mit dir zu vereinigen, daß er durch Andacht und Liebe nie von dir getrennt werde.“

Am 14. August 1314 begab er sich zum dritten Male nach Afrika und lebte erst eine Zeitlang verborgen unter den christlichen Kaufleuten in Bugia. Endlich aber trat er öffentlich auf und verkündigte, er sei derselbe, der schon früher erst von Tunis, dann von Bugia ausgewiesen worden sei. Zugleich ermahnte er die Saracenen der Wahrheit zu gehorchen und zu Christo sich zu bekehren, wo nicht, wenigstens die Gläubigen in Liebe zu dulden. Es folgten dieselben Ausbrüche der Volkswuth, dieselben Mißhandlungen wie früher in gleichem Falle: darauf wurde er aus der Stadt geschleppt und auf Befehl des Königs gesteinigt. Christliche Kaufleute aus Majorka erbaten sich die Erlaubniß, seinen Leichnam aufzuheben und zu Schiffe in seine Heimath zu bringen. Nach Einigen soll er noch auf dem Schiffe Lebenszeichen von sich gegeben haben und erst auf der Höhe von Majorka, im Angesicht seines Vaterlands verschieden sein. Der Tag seines Märtyrertodes ist der 30. Juni 1315, sein Alter ohngefähr 79 Jahre.

Ein seltner Geist von durchaus idealem Sinne, von glühender Liebe Christi, sich selbst und seinem Heiland treu bis in den Tod, reich an Gaben und Thatendrang, voll Wahrheitsliebe und Wissensdurst, unermüdlich in der Ausbildung einer Lehrwissenschaft, die ihm eine große Entdeckung für das Heil der Menschheit schien. Den Gelehrten seiner Zeit galt er für einen Schwärmer, ebenso den Großen dieser Welt: aber Viele haben ihn wegen seiner aufopfernden Hingebung geliebt und verehrt. Den Werth seiner Methode hat er überschätzt und seine menschlichen Meinungen nicht streng genug gesichtet, nicht scharf genug von der unzweifelhaften Wahrheit unterschieden. Aber sein Wille war rein auf das Gute, das Heilige, das Gemeinnützige gerichtet: mit Wille und Absicht hat er nie das Seine gesucht. Mit vielen Gedankenblitzen, die seine Schriften enthalten, ist er seiner Zeit vorausgeeilt. Sein Glaube an die Erkennbarkeit der Wahrheit in Natur und Offenbarung soll der Glaube aller edleren Seelen bleiben. Die Irrenden zur Erkenntniß Gottes und Jesu Christi und auf dem Wege der Ueberzeugung zur Gemeinschaft des Heils zu leiten, ist der Grundgedanke der evangelischen Missionen geworden und dieser Gedanke hat vielleicht noch eine große Zukunft für die Bekehrung der Muhammedaner und der Juden, so wie der Hindu und Chinesen.

E. Schmieder in Wittenberg.

Evangelisches Jahrbuch für 1856 Herausgegeben von Ferdinand Piper Siebenter Jahrgang Berlin, Verlag von Wiegandt und Grieben 1862