Hans Egede

(Geb. 31. Jan. 1686, gest. am 5. Nov. 1758.)

„Ich aber dachte, ich arbeite vergeblich, und brächte meine Kraft umsonst und unnützlich zu; wie wohl meine Sache des Herrn, und mein Amt meines Gottes ist.“ (Jes. 49, 4)

Hans Egede wurde am 31. Januar 1686 in der norwegischen Vogtei Senjen im Amte der Nordlande geboren. Von seiner Jugend wissen wir Nichts. Wir finden ihn zuerst im Jahre 1707 als Hirt der Gemeinde zu Baagen in den Nordlanden an der Seite seine Gattinn Gertrude Rask, die ihm später eine unentbehrliche Gehülfinn werden sollte. Egede war ungefähr ein Jahr Pfarrer gewesen; da führte ihn Gott ein altes Buch in die Hände. In demselben las er, wie vor langer Zeit, am Ende des 10. Jahrhunderts der Isländer, Erich der Rothe, oder Raude, nach einem eisigen Lande verschlagen war, das von ihm, um Andere herbeizulocken, den Namen Grönland erhalten habe. Sein Sohn Leif sei nach Norwegen gegangen, und sei, für das Christenthum gewonnen, mit vielen Isländern und Norwegern umgekehrt, und im Lauf der Zeit hätten sich auf Grönlands Schneefluren 300 Kirchen erhoben. Aber seit der Mitte des 14. Jahrhunderts hatte aller Verkehr mit jenem Lande aufgehört, und man hatte Nichts mehr davon erfahren. Diese Geschichten machten auf Egede einen eigenen Eindruck. Er hätte gern gewußt, wie es jetzt um Grönland und seine dortigen Landsleute stehe. Da erzählte ihm eines Tags der Bruder seiner Frau, Niels Rask, der auf einem Wallfischfänger mehrmals in jene Gegenden gekommen war, daß in Grönland keine Spur mehr von Christen zu finden sei, daß den südlichen Theil rohe Heiden bewohnen, und auf der Ostküste ungeheure Eisberge lägen. Diese Erzählung machte unser Hans nur noch unruhiger; es stand fest in seinem Innern, daß er müsse hinausziehen, und den verkommenen, heidnisch gewordenen Landsleuten das Evangelium predigen. Aber dann dachte er auch wieder an Weib und Kind, und da war’s ihm, als dürfe er nicht hinziehen. „Die große Lust und Begierde, sagte er, Gottes Ehre und dieser Menschen Seligkeit zu fördern, hielt mich fest auf der einen Seite; auf der andern faßte mich die Furcht vor der Gefahr und Beschwerlichkeit, der ich mich zu unterziehen hatte. Darum seufzte ich unablässig zu Gott, er wolle mich aus dieser Versuchung erlösen, daß ich nicht durch vorgreifliche und vermessene Vorschläge und Vornehmen mich und die Meinigen in Unglück und Verderben stürzte.“

Zwei Jahre hatte er in dieser Unruhe und Unentschlossenheit zugebracht. Da offenbarte er sein Herz den Bischöfen von Bergen und Drontheim, und bat sie, dem König Friedrich IV. den Vorschlag einer grönländischen Mission zu machen; er selbst sey bereit, als Glaubensbote nach Grönland zu gehen. Bis dahin hatte er keinem Menschen etwas davon gesagt, auch seiner Frau nicht. Nun wurden seine Gedanken mit einem Male ruchbar. Durch den Bischof von Bergen erfuhren es einige seiner Verwandten. Die schrieben an seine Frau, und nun erhob sich in seinem Hause ein Weinen und Klagen; Mutter, Frau und Freunde stürmten auf ihn ein, sein Vorhaben aufzugeben. Egede konnte nicht widerstehen; er versprach, zu bleiben. Da fiel ihm aber mit Zentnerschwere Matth. 10, 37 auf’s Herz, und drückte und quälte ihn so sehr, daß er zur Arbeit ganz unfähig wurde. Endlich wurde seine Frau andern Sinnes. Ein benachbarter Prediger nämlich, aus dessen Kirche alle zum frommen Egede liefen, bereitete ihnen im Hasse darüber großen Verdruß. „Sieh, sagte nun Egede zu seinem Weibe, ist das nicht die Folge davon, daß Du so wenig Muth hattest, dich zu verleugnen?“ Gertrud betete. „Sie trug, erzählt ihr Mann, oft unter vielen Thränen die Sache Gott vor, bis der Herr ihren Willen beugte.“

Nun schrieb Egede im Jahre 1715 an das Missionscollegium in Kopenhagen über sein Anliegen. Aber da Friedrich IV. mit dem Schwedenkönig Karl XII. damals gerade im Kriege lag, vertröstete man ihn auf bessere Zeiten. Er wandte sich an Thomas von Westen um Fürsprache bei dem Könige, und, um sich dem Werke ganz zu widmen, zeigte er im Jahre 1717 seinem Bischof den Entschluß vor, seine Pfarrstelle niederzulegen. Im Herbst desselben Jahres zog er Weib und vier Kindern, von denen das jüngste erst Ein Jahr alt war, nach Bergen. Hier sah man ihn als einen Schwärmer an, und verlachte und verhöhnte ihn. Er schwieg, und ließ sich in der Landmessung, der Schmiedekunst und andern Arbeiten unterrichten. Endlich ging der Krieg mit Karl XII. zu Ende. Der König versprach seine Unterstützung. Aber weil Egede in Grönland einen harten Stand haben sollte, so nahm ihn Gott von Neuem in die Geduldschule, daß er lerne, nicht auf Menschen trauen, sondern auf den lebendigen Gott. Bald wollten die Kaufleute Nichts von einer Niederlassung in Grönland wissen, da sie keinen irdischen Gewinn davon sahen; bald, wenn sich Einige gefunden, wollte die Regierung die verlangten Privilegien nicht genehmigen, so daß Egede klagte: „Alles lag wieder über dem Haufen.“ Die Feinde spotteten; selbst Frau und Kinder waren vor ihrem Spott nicht sicher. Erst im Frühjahr vermochte er mehrere Kaufleute, daß sie für die Grönländer beisteuerten. Egede selbst gab 300 Thaler. So kamen 10,000 Thaler zusammen. Ein Schiff, „die Hoffnung“ genannt, wurde gekauft. Der König ernannte Egede zum Missionar in Grönland mit 300 Thalern Gehalt; zur Ausrüstung waren noch 200 Thaler bewilligt.

Am 12. Mai lief das Schiff aus dem Hafen von Bergen aus; am 12. Juni schon sahen sie die grönländische Küste. Sie lag voller Eis; vergebens suchte man das Schiff hindurchzubringen. Dazu erhob ein widriger Wind, sodaß die Mannschaft zagte. Egede betete. „Ich gedachte, sagt er, ach, wie hat Gott die Sünden meiner Jugend aufbehalten, daß er sie auf solche Weise straft!… Ich ermahnte den Herrn, er solle seine Ehre retten, und meinen Glauben stärken, daß ich bei Rettung aus dieser Gefahr sammt den Uebrigen Anleitung bekäme, seine wunderbare Vorsehung, Gütigkeit und Allmacht zu rühmen und zu preisen.“ Gott erhörte sein Schreien, und brachte das Schiff glücklich an’s Land. „Da erfuhr ich, sagt Egede, was Psalm 107, 23 – 31 geschrieben steht.“ Am 3. Juli landeten die Reisenden auf der Insel Imeriksok, an der Westküste Grönlands, und gaben ihr den Namen „Hoffnungsinsel“. Aber als nun Egede die Bewohner sah, wie staunte er! Er fand nicht Landsleute, sondern ein ganz fremdes Volk, die Eskimo’s. Sie waren klein, höchstens fünf Fuß hoch, schmutzig braun von Angesicht, ihre Augen ohne Ausdruck. Im Winter leben sie in ihren kleinen Hütten, in denen man kaum aufrecht stehen kann. Jagd und Fischerei sind ihre Hauptbeschäftigung. Ihre Nahrung sind Rennthiere, Seehunde und Fische, die sie über einer Thranlampe kochen; die Felle jener Thiere bilden ihre Kleidung. Der Geist des Grönländers ist ruheliebend, friedsam und äußerst gemüthlich, aber auch äußerst rachgierig. Der Verwandte eines Gemordeten ist verpflichtet, ihn bei passender Gelegenheit zu rächen. Da können zwanzig, dreißig Jahre darüber vergehen; seine Rachgier verläßt ihn nicht, und kommt endlich auf furchtbare Weise zum Ausbruche. Sie leben meist, wie die Thiere, in den Tag hinein, werden geboren, essen, trinken, freien, sterben. Doch halten sie sich für die klügsten unter allen Menschen. Gefällt ihnen ein Europäer, so sagen sie: er fängt an, ein Eingeborner zu werden. Sieh da den unbegreiflichen Hochmuth des menschlichen Herzens! man hat lange gemeint, sie hätten gar keine Religion. Doch hat man bei genauerer Nachforschung Spuren des Glaubens an ein höheres Wesen entdeckt. Jedoch bekümmern sie sich wenig um dasselbe; dafür haben sie ihre Zauberer, die Angekoks. Die müssen vor allen Dingen die alten und morschen Stützen ausbessern, auf denen die Erde nach der Meinung der Grönländer ruht. Sie haben Ahnungen von der Fortdauer der Seele. Die Seligkeit besteht im Ueberfluß von Thran und Speck. Doch auch durch dies verdumpfte Volk zog sich eine höhere Sehnsucht hindurch. Später schrieb ein zu Christo bekehrter Grönländer an Egede: „Es ist wahr, wir sind unwissende Heiden gewesen, und haben Nichts von einem Gott und Heilande gewußt. Du mußt aber nicht glauben, daß kein Grönländer darüber nachdenkt. Ich habe oft gedacht, ein Kajak (Boot) entsteht nicht von selbst, sondern muß mit Mühe und Geschicklichkeit gemacht werden. Nun ist der geringste Vogel viel künstlicher, als der beste Kajak, und Niemand kann einen machen. Der Mensch ist noch weit künstlicher, als alle Thiere. Wer hat ihn gemacht? Er kommt von seinen Aeltern her, und diese wieder von ihren Aeltern. Aber wo kommen denn die ersten Menschen her? und woher ist denn die Erde, Meer, Sonne, Mond und Sterne entstanden? Es muß Jemand seyn, der das Alles gemacht hat, der immer gewesen ist, und nicht aufhören kann… Sobald ich also von euch zum ersten Male von dem großen Wesen gehört habe, so habe ich es gleich und gern geglaubt, weil ich so lange darnach verlangt habe.“

Dies ist das Volk, unter dem Egede arbeiten sollte. Er griff sogleich das Werk damit an, daß er sich ein Haus baute. Er war am 31. August fertig; die Einweihungs- und Dankpredigt hielt er über Ps. 117. Nun wollte er Land und Leute kennen lernen. Auf einem Ausfluge traf er mehrere Grönländer damit beschäftigt, ihre Winterhütten einzurichten. Als diese aber die fremden Gäste erblickten, zogen sie sich scheu in das Innere des Landes zurück. Erst am Ende des Jahres kamen Egedes Leute mit den Eingebornen in Verbindung. Einige von ihnen waren nämlich auf das Festland auf die Jagd gegangen, und suchten in einer Eskimohütte, die sie verlassen glaubten, während der stürmischen Nacht ein Unterkommen. Aber zu ihrem Staunen fanden sie 150 Eskimos darin. Gäste und Wirthe machten ein sauer Gesicht. Doch mußten sie für die Nacht zusammen bleiben. Am andern, am zweiten und dritten Tage war ein eisig kalter Wind; darum mußten die Christen drei Tage lang bei den Heiden bleiben. Diese legten nun nach und nach Etwas von ihrer Furchtsamkeit ab, gewannen Zutrauen zu den Fremden und kamen später sogar zuweilen auf die Hoffnungsinsel.

Egede mußte nun vor allen Dingen die Sprache zu lernen suchen, und das war sehr schwer. Er hatte sich das Wort: Kina, d. i. was heißt das? gemerkt, und fragte nun die Grönländer nach dem Namen der Dinge. Diesen suchte er sogleich durch Buchstaben auszudrücken. Aber das reichte bei Weitem nicht aus: „Ich kenne, schreibt er, kein andern Weg, zu rechter Erfahrung in ihrer Sprache zu gelangen, als durch einen fortgesetzten, beständigen Umgang mit ihnen.“ Dieser war durch jenen dreitägigen Besuch angebahnt. Aaron nämlich, einer von seinen Leuten, hatte sich die Liebe und das Zutrauen des Grönländers Arok erworben. Egede brachte diesen nun unter die Eingebornen. Sie wären den Gast gern losgewesen; aber da er nicht von selbst fortging, so wollten sie ihn auch nicht hinauswerfen. So blieb Aaron bei ihnen bis zum Frühjahr, wo sie ihre Hütten verließen. Egede selbst verkehrte sammt seinen Kindern viel mit ihnen; er fing an, etwas zu verstehen und zu sprechen. Nachdem die Angekoks verschiedene Male versucht hatten, ihn durch ihre Zaubereien zu vertreiben, meinten sie, Egede selbst wäre ein großer Angekok, der nur in guter Absicht gekommen sei. Er begann, sich die Liebe der Eingebornen zu erwerben; seine Hoffnungen stiegen.

Da begannen seine Begleiter zu murren; denn ihr Speisevorrath war verzehrt, und von Dänemark kam keine Nachricht. Sie erklärten, in vierzehn Tagen abreisen zu wollen. Schon waren sie beschäftigt, Alles einzupacken. Selbst Egede verlor etwas den Muth; Gertrud allein blieb fest, und erklärte, Gott würde ihren Unglauben schon beschämen. Es war am 27. Juni; die vierzehntägige Frist war verstrichen. Egede legte sich bekümmert zur Ruhe. Da klopft es an seine Thür; er steht auf, und erhält die Nachricht, daß drei norwegische Schiffe auf die Insel zusteuerten. Alle Noth ist vergessen; die Freude und der Dank allgemein. Mit der neuangekommenen Mannschaft machte Egede eine Untersuchung in das Innere des Landes. Die Eingebornen brachten ihm ihre Kranken zur Heilung. Viele stellte er mit Gottes Hülfe wieder her, uns suchte sie zum Heilande hinzuführen. Sein Ansehn und sein Zutrauen wuchs. Acht Tage hielt er sich in den Hütten der Grönländer auf; dann aber konnte er es nicht länger darin aushalten, und nahm zwei grönländische Knaben zu sich in’s Haus. Sie unterrichteten ihn im Grönländischen; er führte sie zu Jesu Christo hin. Sein ältester Sohn Paul ging dem Vater helfend zur Hand. Er zeichnete Bilder aus der h. Schrift, und erklärte dieselben, so gut er konnte. Bald verstand Egede die Sprache der Heiden so weit, daß er einen kleinen Catechismus der christlichen Lehre für sie ausarbeiten konnte. Ueber diese Zeit schreibt Egede: „Bis zu dieser Stunde habe ich keine sonderliche Andacht, oder Bewegung bei ihnen vernommen; doch beginnt nach und nach der Geist und das Licht der Gnade und Wahrheit in ihnen hervorzuschimmern, indem sie bei unsern Gebeten und Gottesdiensten, sowie bei der wiederholten, eindringlichen Ermahnung von uns mehr Aufmerksamkeit, als früher zeigen, und unter Anrufung des Namens Jesu sowohl sich niederlegen, als aufstehen.“ Bald kam es noch besser. Viele verlangten nach Egede, von dem sie gehört hatten, daß er vom Schöpfer Himmels und der Erde erzählte. Sie suchten ihn, und baten ihn, bei ihnen zu bleiben. Auf einer Reise im Jahre 1723 begegnete ihm ein Haufe Eskimos, die ihm völlig unbekannt waren. Aber sie hatten durch ihre Landsleute von ihm gehört. Da wollte ein Jeder ihn in sein Zelt haben; wo er eintrat, versammelten sich die Uebrigen vor der Thür, um ihn von Gott und Jesu erzählen zu hören.

Dr. Theodor Fliedner, Buch der Märtyrer, Verlag der Diakonissen-Anstalt zu Kaiserswerth, 1859