Johannes Eberlin von Günzburg

Eberlin: Johann E., reformatorischer Prediger und Volksschriftsteller, geb. ca. 1465 zu Günzburg in Baiern, gest. bald nach 1530 zu Wertheim am Main. Ueber seine frühere Jugendzeit fehlt uns jede irgend nennenswerthe Nachricht. Daß er Universitätsstudien gemacht, erfahren wir aus der Basler Matrikel von 1489, wo er als presbyter Augustensis dioeces. eingetragen ist. Wann er in den Franciscanerorden eintrat, ist ebenfalls unbekannt. Im Jahre 1519 finden wir ihn als weit und breit geschätzten Prediger des Barfüßerklosters zu Tübingen. Durch seinen agitatorischen Eifer für den Orden wurde er mit dem Landvogt und mit den Häuptern der Universität in Streit verwickelt und daraufhin nach Ulm versetzt. Hier kam es bei ihm durch Luther’s Schriften zu einem innern Bruch mit Rom und durch einen dem Jetzerischen Handel ähnlichen Scandal auch zur äußern Entscheidung. Die compromittirten Obern drohten dem angehenden Reformator mit einer abermaligen Strafversetzung. Vergebens versuchte der Rath von Ulm, von den zahlreichen Anhängern des populären Predigers gedrängt, den klösterlichen Intriguen Hindernisse in den Weg zu legen. E. selbst war entschlossen, den Orden gänzlich zu verlassen, und begab sich im Laufe des Sommers 1521 nach der Schweiz. Wie tief er Luther’s Reformgedanken erfaßt und wie selbständig er zumal die Vorschläge der Schrift „An den christlichen Adel“ verarbeitet, bewies er sofort durch sein noch im J. 1521 zu Basel gedrucktes Erstlingswerk „Die fünfzehn Bundesgenossen“. Das Aufsehen, welches dieses glänzend geschriebene, Karl V. zugeeignete kirchliche und social-politische Reformprogramm erregte, wird uns durch Murner’s und Saßger’s erbitterte Polemik am besten bestätigt. Nach kurzen Aufenthalten in der Schweiz, in seiner engern Heimath und in Leipzig, von wo aus er verschiedene in Karlstadt’schem Sturm und Dranggeist gehaltene Flugschriften hatte ausgehen lassen, treffen wir E. in dem Centrum der reformatorischen Bewegung, in Wittenberg. Hier nahmen unter dem Einfluß Luther’s und Melanchthon’s seine Anschauungen bald eine gemäßigtere Richtung an.

Ungefähr ein Jahr lang verweilte er bei den Häuptern der Reformation, das, was er im täglichen Umgang mit ihnen gewann, sofort in die gangbare Münze plastisch, ja oft derb geschriebener Tractate umprägend. Doch scheint ihm eine blos litterarische Thätigkeit auf die Dauer nicht genügt zu haben. Er wandte sich aufs neue nach Basel, wo gerade damals, im Sommer 1523, die Fluthen der Bewegung hoch gingen und für einen so begabten und energischen Genossen der Reformation ein reiches Arbeitsfeld sich aufthat. Als er jedoch von Basel aus, ohne irgend welche reformatorische Absicht, gesundheitshalber nach dem benachbarten Rheinfelden kam, hielten ihn Freunde der Reformation dort fest. Bald hatte er einen namhaften Theil der Bürgerschaft für die Sache des Evangeliums gewonnen, bald aber auch durch seine naive Unerschrockenheit allerlei Intriguen gegen sich heraufbeschworen. Er ward genöthigt, die junge Gemeinde sich selbst zu überlassen, bezeugte ihr jedoch im Jahre darauf durch einen kraftvollen Tractat seine fortwährende theilnehmende Anhänglichkeit. Es ist überhaupt charakteristisch für E., daß er mit all den vielen einmal von ihm besuchten und evangelisirten Orten fortwährend durch schriftstellerischen Verkehr in belebendem Contact zu bleiben sucht. Diese Pietät führte ihn denn auch von Rheinfelden aus zunächst nach Rottenburg und dann nach Ulm. In beiden Städten hatten die evangelisch Gesinnten, von Wittenberg her durch E. aufgemuntert, Fortschritte gemacht. In Rottenburg waren dieselben bescheiden; wenigstens hielt E. seine später gedruckte Predigt über die Principien der Reformation, und zwar in einem zwischen Luther und den Schweizern vermittelnden Sinne, bloß in einem Privathaus. In Ulm dagegen war ein Kampf auf Leben und Tod entbrannt, und als E. im Herbst 1523 aufs neue persönlich in denselben eintrat, ward den Altgläubigen ernstlich bange. Sie reichten auf Eberlin’s erste Predigt hin dem Rath eine Bittschrift ein, er möge den entlaufenen Mönch gefänglich einziehen. E. sah das Schwanken der Behörde und bat deshalb noch am nämlichen Tage um die Erlaubniß einer öffentlichen Disputation. Als diese nicht gewährt wurde, verließ er die Stadt und reiste zu Konrad Sam nach Brackenheim, um denselben zu bestimmen, die ihm von den Evangelischen in Ulm angebotene Predigerstelle anzunehmen.

Durch Sam’s Einwilligung beruhigt, hatte E. weiter keinen Grund, sich den Verfolgungen der österreichischen Statthalterschaft auszusetzen. Er kehrte nach Wittenberg zurück. Dort setzte er seine litterarische Thätigkeit so lange fort, bis der Bauernkrieg ihm aufs neue eine praktische Aufgabe anwies, die Aufgabe nämlich, zwischen den „großen Haufen“ und den „großen Hansen“ eine ebenso schwierige als lohnende Mittelstellung einzunehmen. Vermöge seiner ungewöhnlichen Beredsamkeit gelang es ihm zuerst in Erfurt und dann an verschiedenen andern Orten Thüringens, die gefährlichen Geister zu bannen. Seine höchst wirkungsvolle, auf einer in ihrer Art unvergleichlich klaren Erkenntniß der Zeitbedürfnisse beruhende Methode hat er bei Ausbruch des süddeutschen Bauernaufstandes in einer sehr bemerkenswerthen „Warnung“ an seine Landsleute niedergelegt. Er war inzwischen, wol in Folge seiner weithin bekannt gewordenen conciliatorischen Thätigkeit, vom Grafen Georg II. von Wertheim, dem energischen Anhänger Luther’s, als geistliches Factotum berufen worden. In dieser Stellung beschloß E. sein reichbewegtes Leben.

Vgl. Johann Eberlin von Günzburg und sein Reformprogramm, von Dr. Bernh. Riggenbach, Tübingen 1874, woselbst auch die ältere Litteratur über E. und ein Verzeichniß seiner zahlreichen Schriften zu finden ist; ferner die gehaltvollen Recensionen dieser Schrift in den Gött. gelehrten Anzeigen, 30. Juni 1875, und in der Jenaer Litteraturzeitung 1876.