Johannes Brenz

Johannes Brenz

Johannes Brenz wurde am 24. Juni 1499 zu Weil in Schwaben geboren. Sein Vater, der Stadtschultheiss Martin Brentz, und seine Mutter, Katharina, geborene Hennich, waren durch Frömmigkeit und Bildung ausgezeichnet. Sie haben sich später mit Freuden und Freimuth zum Lutherthum bekannt. Der Vater wurde desshalb seines Amtes entsetzt, und als beide Ältern im J. 1531 nach ihres Sohnes Zeugniss „in rechter Erkenntniss und Bekenntniss unseres lieben Herrn Jesu Christi aus der Welt abgeschieden,“ wurden sie ausserhalb der Stadt in ungeweihter Erde begraben. Johann besuchte die Schulen zu Weil, Heidelberg und Vaihingen, wo er den durch Sprachkenntniss berühmten Johann Schmidlin zum Lehrer hatte. Schon im dreizehnten Jahre (1512) konnte der hochbegabte und fleissige Schüler die Universität zu Heidelberg beziehen. Hier waren seine Lehrer in den schönen Künsten Billicanus und Kneller, in der griechischen Sprache Ökolampad, im Hebräischen der getaufte Jude Hadrian, in der Theologie Scheibenhard und Niger; seine Commilitonen Melanchthon, Bucer, Schnepf, Frecht und Isenmann. Durch unermüdliche Nachtstudien zog er sich das spätere Leiden der Schlaflosigkeit zu, die er zu Meditationen benutzte und im Alter durch Lesen und Schreiben bei einer am Bette angebrachten Lampe erleichterte.

Im 17. Jahre wurde Brentz Baccalaureus, im 19. Magister. Dass er schon damals den Ruf eines ausgezeichneten Gelehrten genoss, erhellt u.A. aus dem Briefwechsel zwischen Ökolampad und Erasmus. Jener hatte sich 1515 nach Weinsberg zurückgezogen und arbeitete an einem Werke über Hieronymus. Als Brentz 1517 bei ihm zu Besuch war und ihn bei seiner Arbeit erfolgreich unterstützte, schrieb Ökolampad am 27. März „aus seiner Geburtshöhle Weinsberg“ einen Brief an Erasmus, worin er sagt: „Ich habe einen Jüngling, von gleichem Streben und von brennender Begierde zu jeder Wissenschaft erfüllt, bei mir. Es ist Johannes Brentz, der die höchste Verehrung gegen Dich im Herzen trägt. Wir fertigen ein Register zu den ächten Werken des heiligen Hieronymus.“ Erasmus erwiderte: „Wie, Du nennst jenen Sitz eine Höhle? Ein Paradies möcht’ ich ihn nennen, besonders, da Du als Gefährten und Genossen aller deiner wissenschaftlichen Arbeiten Brentz bei Dir hast, durch den Du, auch wenn Du allein bist, jedem Überdruss der Einsamkeit überhoben bist.“

Die ersten Schriften Luther’s fielen zündend in Brentz’ Seele, und seitdem er bei Gelegenheit der Heidelberger Disputation (1518) ihn persönlich kennen gelernt hatte, war sein innerstes Leben der Sache Luther’s hingegeben.

Im J. 1519 wurde er zum Rector des Contuberniums in Heidelberg ernannt. Er hatte in dieser Stellung die Studenten nicht bloss zu überwachen, sondern auch zu lehren. Anfangs hielt er ihnen philosophische und philologische Vorlesungen; aber nachdem er Luther’s Erklärung des Galaterbriefes und Melanchthon’s Loci communes (1521) gelesen, ging er zu Vorträgen über das Matthäusevangelium über, welche bald so viele Zuhörer versammelten, dass er mit ihnen das Contubernium verlassen und einen grossen philosophischen Hörsaal einnehmen müsse. Die in Schatten gestellten theologischen Docenten erklärten jetzt Brentz für unberechtigt zu theologischen Vorlesungen, weil er kein Geistlicher sei, und Dies bewog ihn, sich im Herbst 1521 zum Priester weihen zu lassen, worauf er seine Vorlesungen über das neue Testament fortsetzte und häufig in den Stadtkirchen predigte. Sowohl vom Katheder, als auch von der Kanzel verkündete er mit Entschiedenheit das reine Evangelium, und er würde sich in Heidelberg sehr wohl gefühlt haben, hätten nicht seine papistischen Widersacher das Verbot seiner Vorlesungen zu erwirken gewusst. Sehr erfreulich war ihm daher ein Ruf zum Prediger an der Hauptkirche zu Hall in Schwaben, welchen er, nach einer am 8. Septbr. 1522 gehaltenen Probepredigt, annahm.

Sämmtliche Prediger, die er in Hall vorfand, waren papistisch gesinnt. Er erwiderte indessen ihre heftigen Angriffe mit grosser Besonnenheit und Milde. Wenn sie in den Frühkirchen ihre Wuth gegen seine Lehre ausgelassen hatten, und die Einwohner in der Hoffnung, eine Erwiderung in ähnlichem Tone zu vernehmen, noch reichlicher seinen später fallenden Predigten zuströmten, fuhr er ruhig fort, die Grundlehren des Evangeliums vorzutragen, und nahm erst, wenn eine völlig ungezwungene Gelegenheit sich darbot, auf die päpstischen Irrlehren kurze und gemässigte Rücksicht. Auf diesem Wege brachte er allmälig die meisten Gegner zu besserer Überzeugung. Auch die Abschaffung der unevangelischen Bräuche betrieb er mit grosser Vorsicht, die indessen weniger geboten schien, als er an Johann Isenmann (1523) und Michael Gretter oder Gräter (1524) zwei gleichgesinnte Collegen erhalten hatte, und nur noch ein einziger papistischer Prediger in Hall vorhanden war. Brentz hatte in der ersten Zeit noch Messe gelesen und nur das Opfer für die Todten und Lebendigen weggelassen. Als aber Isenmann die Messe fallen liess und darüber hart angegriffen wurde, machte Brentz dessen Angelegenheit zu der seinigen und erklärte öffentlich: „Meine theuersten Zuhörer, ich sehe, dass Einige von euch sich an unserem Benehmen ärgern. Es ist wahr, ich habe zuweilen bei euch die Messe verrichtet, aber nicht nach der gottlosen Weise der Pfaffen, sondern das Opfer für die Lebendigen und die Todten unterlassen. Dies ist um euretwillen geschehen. Denn als ich zuerst von euch hieher berufen wurde, sah ich euch in den tiefsten Götzendienst versunken. Ich musste zu eurer Rettung etwas mich herablassen. Darum stieg ich zu euch in den Schlamm hinab, um euch herauszuziehen und euch durch allmäligen Unterricht frei zu machen, indem ich nach der Weise des Apostels eine Zeit lang nachgab und nicht meine ganze Meinung heraussagte. Jetzt aber seid ihr nach dem Worte Gottes genauer von mir unterrichtet und könnt den Gräuel der Messe und die Entheiligung des heiligen Abendmahls durch dieselbe einsehen. Darum ist es nun Zeit, dass sie abgeschafft werde.“ Und damit war die abgeschafft (1525).

Wichtige Dienste leistete Brentz seinen Mitbürgern im Bauernkriege, obwohl dessen Veranlassung Anfangs ihm wie Luther zur Last gelegt wurde. Schon droheten die Bauern mit der Belagerung der Stadt: Bürger und Magistrat zitterten und waren zur Ergebung oder gar zur Bundesgenossenschaft geneigt. Aber mit Hinweisung auf das mit der Schrift streitende Unternehmen der Bauern und den sicher zu erwartenden Beistand des Herrn der Heerschaaren rief Brentz die Muthlosen zu den Waffen gegen die Rebellen. Die Bürger ermannten sich, und ihrer sechs hundert schlugen vier tausend Bauern in die Flucht. Wie aber Brentz schon früher bei der entschiedensten Entrüstung gegen ihr revolutionäres Unternehmen von der Bedrückung der Bauern ernstlich abgerathen hatte, so nahm er sich jetzt noch viel mehr der besiegten an, indem er ihnen nicht nur vom Rathe Amnestie erwirkte, sondern auch durch einen besonderen Sermon „von der Milderung der Fürsten gegen aufrührerischen Bauern“ weit und breit zur Erleichterung ihres Looses beitrug.

Im J. 1526 verfasste Brentz das vortreffliche Schwäbische Syngramma gegen die Abendmahlslehre Zwingli’s und Ökolampad’s. 1529 finden wir ihn bei dem Religionsgespräche zu Marburg und 1530 auf dem Reichstage zu Augsburg. Als er hier der bekannten Melanchthonschen Schüchternheit nach Luther’s Ansicht allzusehr nachgesehen hatte, empfing er von diesem einen ermahnenden Brief, dessen Schluss jedoch zeigt, wie ausserordentlich er von dem strafenden Freunde geschätzt wurde. „Doch wozu sage ich Euch dieses Alles“ – schreibt Luther – „da Ihr durch Gottes Gnade in aller Rücksicht grösser seid, denn ich; ausser, dass ich Alles versuchen wollte, ob nicht Philipp, der mich eitel für einen Menschen und meine Reden für eitel menschliche Worte hält, die daher wenig Eindruck auf ihn machen, wenigstens durch Euch, die er für gottesgeistige Menschen zu halten gezwungen ist, bewogen werde. Denn ich halte ihn doch nicht so verkehrten Sinnes, dass, wenn ihn Gott durch einen vom Himmel gesandten Engel hiesse gutes Muths sein, er auch diesen Befehl verachtete. Daher soll er auch uns nicht verachten, die wir einstimmig Solches rathen. Und verdienten wir auch seine Geringschätzung, so sollten doch die Psalmen, die Apostel und Christus selbst Gehör verdienen, die so mannichfaltig zu uns sprechen, uns trösten, belehren, in uns dringen. Habt Zutrauen, fürchtet Nichts, seid guter Hoffnung, habt männlichen Muth, seid starkmuthig. Wenn wir dem Allen nicht glauben, so werden wir auch nicht glauben, obgleich alle Engel kämen. Dies Mal war ich wohl sehr weitläufig, mein bester Brentz. Gehabt Euch recht wohl im Herrn und betet für mich u.s.w. Dem letzten Juni 1530“ (Schütze, Luther’s Briefe Bd. 1. S. 182). Brentz’ Antwort vom 8. Juli lautet: „Heil in Christo! Euern Brief, mir immer ehrwürdiger Vater in Christo, habe ich erhalten und kann nicht aussprechen, mit welcher Freude des Herzens ich ihn in Empfang genommen habe, und wie ich dadurch in meinem Herzen gestärkt worden bin. Nie kann ich Euch den würdigen Dank abstatten, noch erweisen wegen der vielen Wohlthaten, die Ihr durch Christum auf uns übertraget. Wenn ich irgend Jemand auf Erden verpflichtet bin, so bin ich es Euch. Darum fahret fort, mein Vater, uns Bekümmerte zu trösten und unsere Herzen aufzurichten. Wegen Philippus dürft Ihr Euch nicht ängstigen. Er bekümmert sich, er ist traurig und sorget, Das ist wahr. Aber seine Bekümmerniss und Sorge schlägt dahin aus, dass sie ihn zu desto brünstigerem Gebet antreiben. Denn wie sollte man beten, wenn die Sache unser Innerstes nicht beweget? Wie soll der Glaube gestärkt werden, wenn er nicht in der Trübsal geprüft wird? Darum seid guter Dinge in dem Herrn wegen Philippus. Er hat einen Mahner in sich, den heiligen Geist, so dass er meiner Ermahnung, der ich ein geringer Mensch bin, nicht nöthig hat. Wie es um unsere Sache steht, Das wird Euch, ehrwürdiger Vater, von Anderen geschrieben worden sein. Unser Bekenntniss ist vom Kaiser gehört worden. Täglich erwarten wir das Bekenntniss der Gegner oder vielmehr ihren Angriff auf uns. Was dann daraus werden soll, Das weiss der Herr. Fahret fort, wie Ihr thut, durch Euer Gebet die gute Sache zu unterstützen. Gehabt Euch wohl.“

Brentz war zu Augsburg in den Conferenzen der Protestanten ein scharfsinniger Berather und den Feinden gegenüber ein gewandter Opponent. In’s Besondere war er in dem Ausschuss thätig, der zum Zweck der Vergleichsverhandlungen niedergesetzt war. Als in einer vertraulichen Sitzung Cochläus, Dechant zu Frankfurt a.M., die Anrufung der Heiligen mit der Bemerkung in Schutz nahm, „dass man billig hierin dem Gutdenken und der Entscheidung der Kirche, als der Mutter gehorchen müsse,“ erwiderte Brentz: „Wie aber, wenn der Vater gerade das Gegentheil vorschreibt?“ Eben jenem hohen Geistlichen war er von Melanchthon mit den Worten vorgestellt: „Ehrwürdigster Herr, hier haben wir einen lutherschen Priester im Cölibate.“ Der Prälat lobte ihn und ermahnte zur Beharrlichkeit. Dasselbe geschah auch bei einer anderen Gelegenheit durch den Cardinal Campegius. Aber Brentz folgte nicht, sondern verheirathete sich bald nach der Rückkehr von Augsburg mit Margarethe Wetzel, geb. Gräter, einer frommen Matrone zu Hall. Sie gebar ihm sechs Kinder, von denen ihn drei überlebten.

Seine längere Abwesenheit hatten die Hallenser nur schwer getragen. Wenn sie das Beste nicht hatten, mochten sie das Gute nicht geniessen, und die Predigten Isenmann’s und Gräter’s wurden vernachlässigt. Wie sehr sich Brentz darüber betrübte, geht aus einem an Isenmann am 15. Juli 1530 geschriebenen Briefe hervor, in welchem er sagt: „Was Du mir von unserer Gemeinde schreibst, thut mir sehr wehe. Wohl ist es ein gemeines, aber doch ein wahres Sprüchwort: In der Abwesenheit des Lehrers erprobt sich am meisten die Tugend des Schülers. Wenn die Gemeinde fortfährt, so schläfrig und sicher, so nachlässig bei der gegenwärtigen Gefahr zu sein, so möchte sie eher meine Entfernung, als meine Rückkehr veranlassen. Oft erhalte ich Nachrichten, wie sehr man sich nach meiner Gegenwart sehne; aber dies ist nicht das Betragen, das dieser Sehnsucht angemessen ist, sondern frommes Gebet sollte es sein. Da sie dieses öffentlich vernachlässigen, wie viel weniger werden sie es im geheimen Kämmerlein üben! Zurücksehnen sollten sie mich durch wohlgeordneten Wandel, durch brünstiges Verlangen nach dem Worte Gottes, und nun höre ich, dass sie es verachten, und unsere Kirchen wenige Zuhörer haben. Prediget Ihr nicht das Wort Gottes? Redet Christus nicht durch Euern Mund? Ohne Zweifel. Ich weiss, dass Ihr Werkzeuge des Herrn seid. Wenn sie nun eure Stimme nicht hören, so fürchte ich, sie werden auch die meinige nicht mehr hören, und der Herr werde wegen dieser Verachtung mich entfernen und sie gänzlich des Wortes berauben. Haben sie denn kein Gefühl für die gegenwärtige Gefahr und für die bevorstehenden Trübsale? Täglich verkündigt man uns die Annäherung der Türken, täglich erwarten wir harte Entscheidungen des Kaisers gegen das Evangelium. Die Angelegenheiten der Deutschen standen nie gefährlicher, als zu unserer Zeit, und meine Hallenser schnarchen sicher, leben sorgenlos! O Zeiten, o Sitten! Sollte sie nicht die letzte Theuerung anmahnen, die sie schon vergessen zu haben scheinen? Doch tröstet mich Dein und unserer Brüder, der Diakonen, Fleiss und Treue, worin ich Euch durch Christum zu beharren bitte. Wollen jene nicht thun, was christlichen Zuhörern geziemt, so wollet Ihr doch fort und fort Eures Amtes warten. Wünschet den Frieden! Wollen sie ihn nicht annehmen, so wird er zu Euch zurückkehren, sie aber Trübsal treffen.“

Als Herzog Ulrich von Würtemberg im J. 1534 sein Herzogthum wiedererobert hatte und im ganzen Lande das Lutherthum einführte, gedachte er auch, die Universität Tübingen zu reformiren und gewann auf ein Jahr (1537) nach eingeholter Erlaubniss vom hallischen Magistrate zum Commissär der Anstalt den umsichtigen und gewandten Brentz. Dieser entwarf in Verbindung mit bedeutenden lutherisch gesinnten Lehrern, namentlich Camerarius und dem Mediciner Fuchs, neue Gesetze und Statuten. Ein Beispiel seiner Mässigung bei dieser Umgestaltung giebt sein entschiedener und erfolgreicher Widerstand gegen den Plan einer starken Partei, die akademischen Würden abzuschaffen. Wie im Kriegerstande, erklärte Brentz, so seien auch im Gelehrtenstande Auszeichnungen heilsam, damit die zu Magistern und Doctoren Ernannten in der empfangenen Ehre die Aufforderung hätten, sich derselben würdig zu machen und Andere zur Nachahmung reizten. Übrigens war Brentz in Tübingen nicht bloss als Administrator thätig. Er hielt Vorlesungen über das zweite Buch Mosis, predigte oft vor dem Volke und lernte Mathematik und Astronomie im Hörsaale Stöffler’s. Unvergessen in Tübingen wurde er 1543 dahin zum Prediger und Professor berufen; aber die Hallenser erklärten, ihn nicht entbehren zu können, und er blieb bei ihnen.

Der Ausbruch des Schmalkaldischen Krieges brachte Brentz in grosse Gefahr. Die kaiserlichen Truppen rückten am 16. December 1546 in die Stadt. nachdem sie auch in sein Haus eingedrungen, verschloss er seine Papiere, flüchtete seine Familie und entfernte sich selbst. Am anderen Morgen trieb ein spanischer Bischof die Soldaten aus dem Hause, ging in die Bibliothek, erbrach die Pulten und durchsuchte die Papiere. Unter diesen fanden sich Predigten, in welchem die kriegerische Vertheidigung des Glaubens für ein christliches Werk erklärt war. Brentz entzog sich der Verhaftung durch Flucht auf einen hohen Thurm. Dort sich nicht mehr sicher glaubend durchirrte er in fremden Kleidern in einer kalten Nacht Felder und Wälder. Nachdem der Kaiser bald darauf abgezogen war, kehrte er nach Hall zurück. Im Mai 1548 erschien das verhasste Interim. Brentz bekämpfte es mit Entschiedenheit als den „interitum“ und erklärte dem Magistrate, wie er den Tod der Annahme des Interims vorzöge. Hierauf schickte der Kaiser einen Commissär nach Hall mit dem Auftrage, Brentz lebendig oder todt nach Augsburg zu überbringen. Jener berief den Rath und liess alle Mitglieder den Eid leisten, dass sie von den Mittheilungen, die er im Namen des Kaisers ihnen machen werde, Nichts verlautbaren sollten. Hierauf zeigte er ihnen seine Vollmacht, Brentz gefangen zu nehmen. Aber durch Gottes Fügung war der Rathsherr Büschler erst nach der Eidesleistung in die Versammlung getreten, ohne von dem Commissär bemerkt zu sein. Er überschickte Brentz unmittelbar nach Aufhebung der Session durch Isenmann einen Zettel, worauf die Worte standen: Fuge, fuge, Brenti, cite, citius, citissime! Brentz sass gerade bei Tisch mit seiner Familie und einigen Freunde, die er zur Feier seines Geburtstages geladen hatte, als er den Zettel erhielt. Sofort stand er auf und ging mit Isenmann zum Thore hinaus. Wochen lang verbarg er sich am Tage in einem dichten Walde, des Nachts in einem Dorfe, wo die Seinen von dem Schenken Erasmus von Limpurg beherbergt wurden. Als er in dieser gefahrvollen Zeit den Hallensern seine Dienste muthig wieder antragen liess, erhielt er von ihnen die Antwort, er möge, da sie ihn nicht schützen könnten, eine andere Anstellung übernehmen. Bald darauf fand er Schutz durch den Herzog Ulrich von Würtemberg. Dieser gab seinem Secretär, Jacob Kommesser, den Auftrag, Brentz an einem sicheren Orte unterzubringen, den er selbst nicht kennen wollte, damit er allen Falls seine Unwissenheit beschwören könne. Kommesser brachte Brentz nach der Burg Hohenwittlingen auf der Alp. Hier lebte der Verfolgte in tiefer Stille, frommen Meditationen und Studien hingegeben und schlief des Nachts ruhig. Da indessen, wie er in Erfahrung brachte, die Nachforschungen im Würtembergischen nicht aufhörten, ging er nach Basel, wo er in längerer Ruhe und Musse seinen Commentar zum Jesaias schrieb und die Erklärung einiger Psalmen herausgab. „Ich habe nun“ – sagt er einst über Tisch – „aus Erfahrung gelernt, dass die Psalmen David’s nur von Denen recht verstanden werden, die durch viel Kreuz und Trübsal gegangen sind.“ Die Trauerbotschaft von dem Tode seiner Gattinn in Stuttgart zog ihn zu seinen dort lebenden Kindern. In neuer Gefahr flüchtete er mit einem Brodt auf den Boden eines offenstehenden Hauses. Die kaiserlichen Soldaten fanden ihn nicht, obwohl sie dicht neben ihn durch den Holzstoss, hinter welchem er verborgen war, die untersuchenden Lanzen stiessen. Es wird erzählt, eine Henne habe täglich zur Mittagszeit zu seinen Füssen ein Ei gelegt, welches, mit einem Stück Brodt gegessen, vor dem Hungertode ihn bewahrte. Vierzehn Tage hatte Brentz in seinem Verstecke geschmachtet, als er durch Stimmen auf der Strasse die Kunde vom Abzuge seiner Feinde empfing. Er ging zum Herzoge, und dieser machte ihn zu seinem Burgvogte im Städtchen Hornberg. Hier übersetzte Brentz seinen Namen in Έγχάυσης und germanisirte ihn dann wieder in die Form „Engster.“ Als Burgvogt Huldreich Engster schrieb er seine Auslegung des Katechismus und besuchte fleissig die Kirche. Von dem Pfarrer, dem er gerathen hatte, seine Predigten abzukürzen, empfing er die Antwort: „Euch Vögten wird die Zeit immer zu lang ja in der Kirche, aber nicht bei der Zeche.“ Doch konnte sich Brentz nicht völlig verleugnen. Es kam den Leuten sonderbar vor, dass dieser Burgvogt nicht zechte, tobte und fluchte, und als er einst den Pfarrer in einer Krankheit besuchte, mehre Stellen aus den gehörten Predigten citirte und ihn dadurch zu trösten strebte, erwiderte der Pfarrer: „Lieber Herr, wer Ihr auch sein möget, ein rechter Vogt seid Ihr einmal nicht.“

Nach Ulrich’s Tode (1550) wurde Brentz vom Herzoge Christoph nach Stuttgart berufen. Da indess die Rücksicht auf den Kaiser seine öffentliche Anstellung widerrieth, so wurde er vorläufig mit nur schriftlichen Arbeiten, in einer benachbarten Landwohnung, beschäftigt. Im Auftrage des von ganzer Seele protestantischen und thatkräftigen Fürsten verfasste er 1551 die Würtembergische Confession, welche, nachdem sie von der Landesgeistlichkeit unterschrieben war, dem Concil zu Trident übergeben wurde. Diese Schrift wurde wegen ihrer Gründlichkeit, Klarheit und Schärfe von der lutherschen Kirche, namentlich auch von der sächsischen, sehr hochgestellt und in verschiedene Sprachen übersetzt. Sie selbst erklärt sich für eine Wiederholung der Augsburgischen Confession. 1552 wurde das Concil zu Trident von Würtemberg aus durch Brentz und andere Theologen beschickt; aber sie kehrten unverrichteter Sache zurück; „denn darin“ – berichtet Salig – „willigten die kaiserlichen Gesandten wohl, dass man im Concilio die heilige Schrift zur Richtschnur der Streitigkeiten setzen wollte; allein sei meinten, die Schrift sein ein unbeseeltes und stummes Ding, und müsste also Einer sein, der dieselbe erklärte, das wäre aber kein Anderer, als der Papst.“ Der durch diesen Ausgang in seinen Erwartungen getäuschte Herzog trieb jetzt unbekümmert um Papst und Kaiser sein reformatorisches Werk, indem er noch vor dem Passauer Vertrage das Interim für abgeschafft erklärte. Brentz, der 1553 zum Propste, geistlichen Vorstande des Consistoriums und Generalsuperintendenten der Landeskirche ernannt wurde, arbeitete noch in demselben Jahre die von Schnepf verfasste Kirchenordnung um und edirte sie in grösserem Umfange 1559; im J. 1562 brachte er eine neue Klosterordnung, nach welcher die Klöster in Schulen für künftige Religionslehrer umgewandelt wurden, zur Geltung. Ausser diesen und ähnlichen Arbeiten lag ihm die Visitation der Universität und Klöster, vor Allem aber die Predigt an Sonn- und Wochentagen ob. Doch ging sein Wirken keineswegs in bloss praktischer Thätigkeit auf; vielmehr nahm er auf’s wirksamste Antheil an den dogmatischen Streitigkeiten der Zeit und war vorzugsweise bemüht, die Kirchenlehre durch Entwickelung ihrer Hilfssätze zu begründen. Seine Schriften de personali unione duarum naturarum in Christo (1560) und de divina majestate Christi haben zuerst die christologischen Grundsätze der Abendmahlslehre gründlich nachgewiesen und die Doctrin von der communicatio idiomatum in den lutherschen Lehrbegriff gebracht. Doch wie treu er auch an letzterem festhielt, behielt er gleichwohl ein Verständniss für Behauptungen, die mehr im Ausdruck, als im Wesen von demselben abwichen. So nahm er sich in dem Würtembergischen Gutachten vom 5. Decbr. 1551 selbst des allgemein geschmäheten und verdammten Osiander an und erklärte in der gleichfalls von ihm verfassten Tübingenschen Declaration vom 1. Juni 1552 den Streit für einen grammatischen Krieg. Mit den Worten ihrer fünften These: „dass durch den Glauben in Jesum Christum Gott der Vater, Sohn und heiliger Geist sammt allen ihren Gütern in uns wahrhaftig wohnen (Joh. 14)“ gab die Declaration dem Osiander Recht; stellte sich aber seinem Ausdruck, wiewohl auf seine Zustimmung rechnend, in der sechsten These: „dass durch den Glauben in Christum Gott, in uns wohnend, vergebe uns wohl die Sünde, so noch in uns hie auf Erden steckt, und rechne sie uns nicht zu aus Verdienst seines lieben Sohnes, unseres Herrn Jesu Christi; aber er lasse uns nicht für und für unverneuert in der Sünde bleiben, sondern fahe an hie in diesem Leben die Sünde auszufegen und uns mit der That fromm und gerecht zu machen, bis wir im künftigen Leben der Sünde ganz ledig und mit vollkommener Frömmigkeit und Gerechtigkeit, als rechte Glieder Christi und Kinder Gottes, gezieret werden“ entgegen. Sie wurde indessen, nicht weil man sie für heterodox, sondern für missverständlich im Interesse Osiander’s erachtete, von dessen Gegnern verworfen.

Am 28. Decbr. 1568 starb Herzog Christoph von Würtemberg. Brentz wurde durch diesen Todesfall tief erschüttert; er würde, sagte er, seines theuern Landesfürsten Leben, wenn’s möglich wäre, mit seinem eigenen erkaufen. Wie hoch er selbst von Christoph geachtet wurde, beweis’t dessen Befehl, den Brentzischen Commentar zum Jesaias in den Sarg unter sein Haupt zu legen.

Im Alter erfuhr Brentz Etwas von der Wahrheit seines eigenen Ausspruches: „Zum Alter kommen wie zu einem Opferaltar alle Übel zusammen.“ Doch duldete er ruhig im Glauben, sich freuend auf die ewige Gesundheit. Treu pflegte ihn seine zweite Gattinn Katharina, geb. Isenmann. Sie hatte ihm zwölf Kinder geboren, von denen zwei früh starben. Beim herannahenden Tode versammelte er alle Prediger Stuttgart’s um sein Krankenbett und liess in ihrer Gegenwart durch seinen Sohn sein vor einigen Jahren verfasstes Testament vorlesen, worin er sich feierlich zum Glauben seiner Kirche bekennt, indem er u.A. sagt: „Ich glaube und bekenne aus meines Herzens Grunde festiglich, dass die Bücher der heil. Schrift, Altes und Neues Testament, seine eine wahrhaftige Schrift des heiligen Geistes und ein gewisser Sendbrief des allmächtigen, barmherzigen Gottes an das ganze menschliche Geschlecht, mit göttlichen, himmlischen Wunderzeichen versigelt und versichert.“ Noch einmal erklärte er, auf diesen Glauben sterben zu wollen, feierte dann mit den Geistlichen nach abgelegter Privatbeichte das heilige Abendmahl und ermahnte sie mit Anführung von Ps. 133. nachdrücklich zur Einigkeit. Zwölf Tage darauf starb er, den 11. Septbr. 1570. Er liegt in der Stiftskirche neben der Kanzel begraben. So hatte er es bestimmt, auf dass, sollte jemals einer seiner Nachfolger wider das reine Wort predigen, er sein Haupt aus dem Grabe erheben und ihm zurufen könne: „Du lügst.“

Brentz’ hervorragende theologische Thätigkeit wurde getragen, gehoben und genährt von der Reinheit seines Charakters und von rastlosem Fleisse. Beides hebt Bidembach in der Leichenpredigt folgendermaassen hervor: „Sein Leben und Wandel hat er nie selbst gerühmt, noch von Anderen gerühmt wollen haben, sondern sich für einen gebrechlichen Menschen und armen Sünder allewege dargegeben. Aber dennoch ist es am hellen Mittagslichte, dass sein Leben Niemand ärgerlich, aber männiglich besserlich und erbaulich gewesen. Kein Ehrgeiz, Stolz oder Hoffahrt ist bei ihm gespüret worden, sondern er hat sich mit Jedermann, auch geringen Standes, wohl betragen mögen; keinen Primat, noch Präeminenz, wie er doch wohl gekonnt hätte, wo er gewollt, hat er gesucht, sondern ist allen Denen feind gewesen, so nach einem neuen Papstthum in der Kirche trachten und Andere untheologischer und gleichsam gräulicher Weise unterdrücken, mit dem Schwerte zu verfolgen und an allen Orten zu vertreiben begehren. Darüber er oft klagt und etlichen gedrückten und verfolgten Lehrern allen freundlichen Willen erzeiget hat. Sonst ist er ganz sanftmüthig, geduldig und schier nur gar zu leis gewesen, als der auch gegen böse Leute schier nicht gern gezürnt hat und Niemand gern von seinem Angesichte traurig hinweg hat gehen lassen. Dass er in seinem Amte nicht faul noch träg gewesen, geben ihm Zeugniss seine vielen, grossen, langen Scripta und Opera, daran der allerfleissigste und geschwindeste Schreiber fast so viele Jahre nur abzuschreiben hätte, darinnen er sie meditirt, concipirt, geschrieben und in Druck verfertigt, will geschweigen so vieler Briefe, Schriften, Ordnungen, Rathschläge u.s.w., die nicht in Druck bekommen sind; auch geschweigen solcher vieler, trefflicher Predigten, Reisen, Visitationen der Kirchen, Universität und Klosterschulen, Examinationen und Ordinationen der Kirchendiener, Beiwohnung und Besuchung der jährlichen Synoden und Execution der synodischen Bedenken und Decrete. Wie beschwerlich ist es ihm nun und ein treuliches Leid gewesen, dass er die letzten zwei oder drittehalb Jahr die Kanzel nicht selbst persönlich mit Predigen hat können versehen? Gleichwohl hat er auch diese Zeit mit Beten, Meditiren, Schreiben, Thaten, Anweisen, daheim und in der Kirche und Kanzel, merklich genutzt und geholfen. Dem Geiz und Finanzerei ist er so feind gewesen, dass er nie nach grossem Gut gefragt und getrachtet, sondern gute Gelegenheit, reich zu werden, ausgeschlagen, angebotene evangelische und reformirte Bisthümer, herrliche und überreiche Stipendia, von Königen, Chur-, Fürsten, Städten und Ständen angetragen, sich nicht bewegen oder verlocken lassen, sondern seinem Vaterland und bei Denen, so ihm in Gefahren mit Rath und Hilfe erschienen sind, lieber um einen ziemlichen Sold (welches auch die heilige Schrift billigt) dienen, denn undankbar oder geizig und vortheilig wollen erfunden werden; ist auch mit seinem ihm von Gott und der Obrigkeit verordneten und gegründeten Unterhaltung dankbarlich und unterthänig ganz wohl zufrieden gewesen. In seiner Haushaltung ist er nicht köstlich und prächtig, aber auch nicht rülzig und filzig gewesen, sondern seinem Stande gemäss ehrbar, mässig, bescheiden und ohne Ärgerniss gehauset, gegen arme Leute gar mitleidig und freigebig, deren er auch bei so vielen kleinen und unerzogenen Kindern in seinem Testament nicht vergessen hat. Den Seinigen hat er lieber grosse Gottesfurcht, denn grosses Gut und lieber Gottes Segen, denn grosse Haufen Silbers und Goldes verlassen wollen.“

Brentz’ Predigten sind ausgezeichnet durch Gründlichkeit der Schriftbehandlung, worin ihm selbst Luther den Preis zuerkennt, wenn er sagt: „Es ist keiner unter den Theologen unserer Zeit, der die heilige Schrift also erkläret und handelt, als Brentius, also, dass ich mich sehr oft wundere über seinen Geist und an meinem Vermögen verzweifele, und ich glaube, dass Keiner unter uns vermöchte zu thun, was er in der Auslegung des Evangelium Johannes gethan hat“ (Tischr.). Doch behandeln die Brentzischen Predigten selten den ganzen Text, sondern wählen einige Stücke desselben aus, die sie in vorzüglicher Anordnung erklären und anwenden. Vorherrschend verkündigen sie, gleich allen lutherschen Predigten, die Grundlehren des Glaubens; doch finden sich einzelne mit überwiegend ethischem Inhalte. Jenes hebt Luther, und zwar in Beziehung auf alle Brentzischen Schriften, mit besonderer Anerkennung und Bestärkung hervor. „Vor Allem aber“ schreibt er 1530 – „halte ich die Gabe Gottes an Euch hoch und theuer, dass Ihr in Euern Schriften allen so treulich und lauter auf die Gerechtigkeit des Glaubens dringet, sintemal diese Lehre ist das Hauptstück und der Eckstein, welcher allein die Gemeinde Gottes zeuget, nähret, baut, erhält, beschützt, und kann ohne ihn die Gemeinde Gottes nicht eine Stunde bestehen, wie Ihr denn wisset und fühlet. Darum dringet Ihr so darauf; denn Niemand kann recht lehren in der Kirche, noch irgend einem Widersacher glücklichen Widerstand thun, der nicht an diesem Punkt, oder wie’s Paulus nennt, an dieser gesunden Lehre bleibt, oder, wie Paulus abermals spricht, nicht festhält an derselbigen. Daher wundere ich mich oft und werde schier unwillig, wenn ich sehe, wie Hieronymus und Origenes den Namen von Kirchenlehrern sich erworben haben, und sind in Beiden nicht leicht drei Sprüche zu finden von der Gerechtigkeit des Glaubens, und aus ihrer Beider Schriften möchtest Du schwerlich einen Christen machen. So schweifen sie aus in figürlicher Deutung der Geschichten und im hochmüthigen Tande der guten Werke. Auch Augustinus würde kaum anders gelehrt haben, wenn nicht die Pelagianer ihn zuletzt geübt und auf die Gerechtigkeit des Glaubens getrieben hätten. Durch diesen Kampf und Übung wurde er ein wahrhaftiger Lehrer der Kirche und fast der einzige nach den Aposteln und ersten Vätern der Kirche. Nicht, dass ich die alten Kirchenlehrer herabsetzen und zerfleischen wollte, wie Hieronymus es nennt, aber ich glaube, wir seien Alle gewitzigt worden, dass wir der Väter Schriften mit Prüfung, und zwar mit der fleissigsten und schärfsten, lesen sollen, nach jener Vorschrift des heiligen Geistes: Prüfet Alles, und abermal: Prüfet die Geister: damit wir reine Thiere seien, die mit gespaltenen Klauen einhertreten. Die aber Solches nicht thun, bei Denen sehen wir, dass sie sich wägen und wiegen lassen vom Winde unsicherer Lehre und auf- und abgeschleudert werden von Meinungen, die stets neu ausgeboren werden, sie lernen immerdar und können nie zur Erkenntniss der Wahrheit kommen. Das aber sehen wir nicht allein, sondern wir haben’s selbst erfahren, da wir in demselben Gewirre von Satzungen umhergetrieben wurden, bis Gottes Gnade uns in den Hafen gebracht und uns erbauet auf diesen starken Fels, auf dass wir wüssten, was wir lehren, lernen und haben, und hinfort nicht also herumschwanken. Derhalben bitte ich Euch, mein lieber Herr Brentz, diesen Lehrpunkt von der Gerechtigkeit wacker und übergenug zu treiben in allen Stücken und wo Ihr nur könnt. Denn die Welt ist ja sonst von Schreibern, Schreiern und Druckern übervoll, die mit grosser Tapferkeit diesen Punkt verwahrlosen. Viele sodann verfolgen ihn; die Meisten aber, da sie nicht anders schaden können, verdunkeln und verfälschen denselben. Und Das ist kein Wunder. Denn das ist allein jene Ferse des Samens, welche wider die alte Schlange streitet und ihr den Kopf zertritt. Daher muss auch der Teufel dieser Lehre hinwiederum nachstellen, er kann nicht anders. Lasst ihn aber nur mit seinen endlosen und härtnäckigen Tücken Schaden thun, er wird sie doch nicht überwinden, noch zertreten können, wie geschrieben steht: Er wird dir den Kopf zertreten. Es heisst nicht: Du wirst ihm die Ferse oder den Kopf zertreten. Die Gnade unseres Herrn Jesu Christi sei mit Euch. Betet für mich!“ – Der Geist und Ton der Predigten Brentz’ ist bei aller Lebendigkeit sanft und mild. Auch in dieser Hinsicht gilt von ihnen, was Luther von Brentz’ Schriften überhaupt urtheilt. „Meine Schriften“ – sagt Luther – „rauschen daher wie ein Platzregen, und ich wünschte wohl, dass ich so fein und lieblich regnen könnte wie Herr Philippus und Herr Brentius. Aber einerlei Geist hat mancherlei Wirkungen“ (Mathesius). „Nicht den Brentz lobe ich“ – schreibt Luther im oben gedachten Briefe – „sondern den Geist, der in Euch lieblicher, sanfter und ruhiger ist. Weiter, so fliesst Eure kunstreiche Rede reiner, klarer und glänzender daher und bringt also mehr Rührung und Ergötzung. Dagegen die meine wirft, ausserdem, dass sie der Redekunst unerfahren ist und ungeschlachtet, nur einen Wald und Gemisch von Worten heraus und hat auch das Ungeschick, dass sie brausend und stürmisch als ein Fechter sich immer mit unzähligen Ungethümen balgen muss. Dahero, wenn ich Kleines darf mit Grossem vergleichen, so habe ich von dem vierfachen Geiste Eliä den Wind, das Erdbeben und das Feuer, das Berge zerreisst und Felsen zerbricht. Ihr aber und Eures Gleichen das stillsanfte, erfrischende Sausen der Luft empfangen. Also geschieht’s, dass auch mir, geschweige Anderen, Eure Schriften und Worte annehmlicher sind. Doch tröste ich mich, dass ich denke, ja gewiss weiss, wie der himmlische Hausvater in seinem grossen Hause auch eines und andern harten Knechts bedarf gegen die Harten und eines rauhen wider die Rauhen, als eines groben Keils auf grobe Klötze. Und wenn Gott donnert, braucht er nicht nur den Regen zum Begiessen, sondern auch den Donner zum Erschüttern und den Blitz zur Luftreinigung, auf dass die Erde desto besser und reichlicher Frucht gebe.“

Brentz suchte in seinen Predigten nicht den Beifall des Volks, sondern dessen Heil und die Ehre Gottes. Dieser Standpunkt erhob ihn über die Verstimmung bei der Abnahme seines launenhaften Auditoriums. Einst kam Sebastian Pfauser, früher Hofprediger des Königs Maximilian von Böhmen und dann Pastor zu Lauingen an der Donau, nach Stuttgart. Mit dem sehnlichen Wunsche, Brentz zu hören, ging er in der Voraussetzung rarer Plätze früh in die Kirche, in der jener predigte. Aber die Kirche blieb zum grösste Theile leer, und als er eine ausgezeichnete Predigt gehört, konnte er sich nicht enthalten, nachher dem verehrten Manne in der Sakristei und auf dem Heimwege, wo er ihn begleitete, seine Verwunderung zu erkennen zu geben und hinzuzufügen: „Um so weniger Menschen willen würde ich kaum die Kanzel bestiegen haben.“ Bald darauf kamen sie an einem Brunnen vorbei. „Wisset ihr wohl“ – fragte hier Brentz – „welches die grösste Tugend dieses Brunnens ist?“ und als Pfauser die Antwort nicht wusste, fuhr Brentz fort: „Das ist das Lob dieses Brunnens, dass er immer gleich reichlich Wasser giebt, es mögen nun Viele oder Wenige aus ihm schöpfen. Er ist das Vorbild der Prediger göttlichen Wortes. Auch diese müssen sich unaufhörlich das Wasser des Lebens entquellen lassen, unbekümmert, ob sich viele oder wenige Durstige um sie her versammeln.“

Brentz’ Werke erschienen in unvollständiger Sammlung zu Tübingen 1576 – 1590 in acht Foliobänden. Mit Ausschluss des 8. Bandes enthalten sie fast nur seine gründlichen Commentare zu beinahe sämmtlichen Büchern der heiligen Schrift. Homiliae CXXII in acta apostolorum. Hagen. 1535. fol. Deutsch: Hundert und zwei und zwanzig kurze Predigten über die Apostelgeschichte. Nürnb. 1564. fol. Homiliae in evangelium Lucae. Halae Suev. 1538. fol. Homiliae in evang. Joannis. Halae 1545. fol. Homiliae LXVI in 1. libr. Samuelis. Francof. 1554. fol. Wie man sich christlich zu dem Sterben bereiten soll; dass man Gott rechtschaffen dienen soll; wie das üble Nachreden für eine schwere Sünde zu halten sei, auf drei Sermone gestellet durch Johann Brentius. Wittenb. 1532. 8. Als Brentz’ homiletisches Hauptwerk wird in der Regel die Postilla über die Evangelia, herausgegeben von Pollicarius, Frankf. a. M. 1550. fol., betrachtet. Sie ist indessen zugleich mit Heranziehung seiner Commentare gearbeitet, also nicht der treue Ausdruck seiner gehaltenen Predigten. Näher kommen dieser die Übersetzungen folgender Schriften: Pericopae evangeliorum Dominicalium expositae und pericopae evangeliorum quae usitato more in praecipuis festis legi solent. Beide deutsch herausgegeben von Jakob Gretter. Auslegung aller Evangelien cet. durch Johann Brentz. Frankf. 1556. fol. Epistolae Dominicales. Deutsch von Gretter: Auslegung der Episteln cet. durch Joh. Brentz. Frankf. 1559. fol. Neueste Ausg. von Grunwald. Stuttgart 1855. 8. – Auslegung der Epistel an die Römer in hundert und zwei und zwanzig Predigten. Nürnb. 1564. fol. – Berühmt sind Brentz’ katechetische Arbeiten: Katechismus oder Fragstücke des christl. Glaubens (der erste Katechismus der lutherschen Kirche, ein Jahr vor dem Catechismus Lutheri, 1528, erschienen; später Hagenau 1536. 8.). Catechismus pia et utili explicatione illustratus. Witeb. 1553. 8.

Siehe Joh. Just. von Einem, Leben und Schriften Joh. Brentii. Magdeb. 1733. 8. Joc. Friedr. Bleyschlag, Lebensbeschr. D. Brentii, Th. 1. Hall in Schwaben 1735. 4 (geht bis zum Jahr 1521). Joh. Brenz, nach gedruckten und ungedruckten Quellen von Jul. Hartmann und K. Jäger. 2 Bde. Hamburg 1840 u. 42. Vaihinger, das Leben und Wirken des Reformators Johannes Brentz. Stuttgart 1841. 8.

Die bedeutendsten Kanzelredner der lutherschen Kirche des Reformationszeitalters, in Biographien und einer Auswahl ihrer Predigten dargestellt von Wilhelm Beste, Pastor an der Hauptkirche zu Wolfenbüttel und ordentlichem Mitgliede der historisch-theologischen Gesellschaft zu Leipzig Leipzig, Verlag von Gustav Mayer. 1856

Johannes Brenz

Johannes Brenz

Johann Brenz, der ehrwürdige Zeuge der evangelischen Wahrheit im Reformationszeitalter, war den 24. Juni 1499 geboren zu Weil, einer Reichsstadt in Schwaben, jetzt württembergischen Landstadt am südöstlichen Fuß des Schwarzwalds. Sein Vater, Schultheiß der Stadt, und seine Mutter, eine geborne Hennig, waren, wie Brenz noch in seinem Testament rühmt, auf die sorgfältigste, namentlich religiöse Erziehung ihrer Kinder bedacht; mußten aber ihre eigene Treue gegen das evangelische Bekenntniß, für das sie durch ihren Sohn später gewonnen wurden, noch nach ihrem Tode büßen, indem ihnen das Begräbniß auf dem Kirchhof verweigert und sie außerhalb der Stadt in ungeweihter Erde begraben wurden.

Nachdem er den niedern Schulunterricht in Vaihingen und Heidelberg genossen, bezog er 1512 die letztgenannte hohe Schule, wo ihn ein Kreis von wißbegierigen Jünglingen aufnahm, die wie Melanchthon, Oekolampadius, Bucer, Lachmann, Schnepf, ein Jahrzehend nachher sich mit ihm in das große Werk der Kirchenverbesserung theilten. Als Luther im Jahre 1518, nachdem die 95 Sätze bereits ganz Deutschland durchlaufen hatten, nach Heidelberg kam, freute er sich von diesen Studirenden die Hoffnung aussprechen zu können, sie würden einst, im Gegensatz gegen die in Vorurtheilen gefangenen Alten, die Träger der wahren Gotteslehre werden. In Heidelberg trat Brenz mit Beifall als Lehrer und Prediger auf, obwohl ihn die Anhänger der alten Lehre bald verdächtigten. Er folgte daher gern 1522 dem Rufe als Prediger nach Schwäbisch-Hall, wo er sich, kaum 23 Jahre alt, schon bei seiner Probepredigt durch den würdevollen Anstand und den gediegenen Inhalt seines Vortrages empfahl. Ebenso mild, als entschieden trat er den Misbräuchen der alten Kirche in Lehre und Gottesdienst entgegen und richtete das Kirchen- und Schulwesen auf evangelische Weise ein. Hinsichtlich der Heiligen lehrte er: man dürfe an ihnen nicht suchen was sie selbst nicht begehrt, dürfe sie, die in eingeleibter Einigkeit Gottes seien, nicht wider Gott richten und ein zerspalten Gebet machen.

Als die Bauern 1525 sich empörten, hielt ihnen Brenz entgegen, wie das Evangelium lehre, daß man dem Uebel nicht widerstreben, sondern der Obrigkeit gehorchen soll; ihr Fürnehmen sei kein recht Mittel, evangelische Liebe und Brüderschaft zu erobern. Sie sollten Gott fleißig mit Bitten anliegen und auch die Obrigkeit bitten, wo sie überlegt seien, daß sie es ihnen gütlich nachlasse rc. Der Stadt rieth er, sie solle sich aufs Schärfste wehren, denn wenn sie den Bauern willfahre, würden sie nur mehr haben wollen. Als seine gedoppelte Aufgabe sah er es an, wie dem Volk, so den Fürsten zum rechten Verständniß des Worts Gottes zu verhelfen, daß sie das Volk nach Gottes Willen regieren. Gleich Luther wandte er sein Augenmerk vornehmlich der christlichen Erziehung der Jugend zu; er verfaßte noch ein Jahr vor Luther den ersten evangelischen Katechismus, „Fragstücke des christlichen Glaubens für die Jugend zu Schw.-Hall“ 1528. Vom Jahre 1525 an sah er sich in den Abendmahlsstreit hineingezogen, in welchem er den Schweizern gegenüber entschieden die von Luther geltend gemachte Ansicht von der wirklichen Gegenwart Christi im Abendmahl behauptete und aus der Schrift und den Kirchenlehrern begründete. Beim Gespräch zu Marburg 1529 sah er Luther wieder und lernte den vertriebenen Herzog Ulrich von Württemberg kennen. Nicht bloß in Hall führte er eine treffliche Kirchenordnung ein; sein Rath wurde bald weithin eingeholt, so von den Edelleuten im Kraichgau, im Hohenloheschen, am untern Neckar, in den schwäbischen Reichsstädten, in Franken, besonders in Nürnberg und Anspach. Markgraf Georg von Brandenburg nahm ihn 1530 auf den Reichstag nach Augsburg mit, wo Brenz in den zu den Vergleichsverhandlungen niedergesetzten Ausschuß gewählt wurde. Nach seiner Rückkehr verehelichte er sich mit Margaretha Gräter, einer ehrsamen Wittwe, die ihm sechs Kinder gebar, von denen ihn drei überlebten. 1536-37 reformirte er auf Ansuchen des wieder in sein Fürstenthum eingesetzten Herzogs Ulrich die Universität Tübingen. Den verschiedenen Religionsgesprächen der Protestanten zu Schmalkalden, Worms u. s. w. wohnte Brenz thätig an.

Da brach 1546, kurz nach Luthers Tod, der verderbliche schmalkaldische Krieg aus. Die Kaiserlichen zogen Anfangs 1547 in Hall ein; kaum konnte Brenz, auf den sie fahndeten, seine wichtigsten Papiere und seine Familie flüchten. Besonders gefährlich für Brenz war es, daß Briefe, in welchen er, der so lang gegen den Widerstand und für den Frieden mit dem Kaiser geeifert, nun behauptete: die Vertheidigung der angegriffenen Protestanten sei nicht ungerecht, und keine Verletzung des christlichen Gehorsams, aufgefunden und dem Kaiser überbracht wurden. Brenz mußte vom Thomastag an die kalten Wintertage in den Wäldern zubringen, bis er nach Abzug der kaiserlichen Truppen in seine ausgeplünderte Wohnung zurückkehren konnte. Nicht lang dauerte seine Ruhe. Das Interim, welches vom Kaiser als ein Mittel der Vereinigung der Katholiken und Protestanten in Lehre und Gottesdienst gewaltsam eingeführt wurde, konnte Brenz unmöglich billigen. Man könne unmöglich, sagte er, zweien unter sich uneinigen Herren dienen. Man irre, wenn man glaube, die Interimisten werden die evangelische Lehre gelten lassen, wenn man nur ihre Ceremonien annehme. Sie verlangen ja, daß man den Primat des Papsts anerkenne, während die h. Schrift Nichts für einen Vorzug des Petrus und seiner Nachfolger beweise. Auch gegen die Erzählung der einzelnen Sünden bei der Beichte, gegen die Messe und die Verwandlung im Abendmahl, gegen die Fürbitte für die im Fegfeuer u. A. erklärte er sich aufs Kräftigste. Seine entschiedene Verwerfung des Interim zog ihm neuen Haß und den Befehl Granvella’s zu, Brenz lebendig oder todt in seine Hände zu liefern. Dießmal fand er eine Zufluchtstätte zuerst im Württembergischen, auf der Burg Hohenwittlingen bei Urach, und als er hier nicht mehr sicher war, in Basel. Von hier aus schrieb er Calvin über den trostlosen Zustand in Deutschland, und erhielt von diesem ein schönes Trost- und Vermahnungsschreiben mit der Versicherung, wie er seiner unablässig in seinem Gebet gedenke. In Basel, wo er den damaligen Statthalter von Mömpelgard, Herzog Christoph von Württemberg kennen lernte, erhielt er die Nachricht vom Tod seiner Gattin. Die verwaiste Lage seiner Kinder ließ ihm keine Ruhe mehr; er eilte nach Stuttgart. Indessen hörte Herzog Ulrich von neuen Verfolgungsplänen und forderte ihn auf, sich zu retten, wie es ihm am besten dünke, ohne ihm jedoch seinen Zufluchtsort zu nennen. Da ging Brenz, nach einer unter dem Volk gehenden Sage, mit einem Laib Brot unter dem Arm in ein im oberen Theil der Stadt gelegenes Haus und verbarg sich hier zwischen einem Holzstoß und dem Dach. Vierzehn Tage lang wurden die Häuser seinetwegen durchsucht. Während dieser ganzen Zeit kam jeden Mittag eine Henne die Treppe hinauf und legte in seiner Nähe ein Ei, mit dem er sein Leben fristete, bis die Spanier abzogen und er seinen Schlupfwinkel verlassen konnte. Zunächst wohnte er nun in Hornberg auf dem Schwarzwald, unter dem Namen eines Vogts. Als er einst einen benachbarten Pfarrer erinnerte, nicht so lang zu predigen, erwiederte dieser: euch Vögten wird die Zeit in der Kirche gleich zu lang! Doch meinten Manche, einen solchen Vogt habe man noch nicht gesehen, da er nicht fluche und trinke, wie die andern; und als jener Pfarrer krank wurde und Brenz ihn aus Gottes Wort und seinen eigenen Predigten tröstete, da rief der Pfarrer endlich aus: O Herr, ihr seid fürwahr kein Vogt, mögt ihr auch sein wer ihr wollt!

1550 trat er in die zweite Ehe mit Katharina, der Tochter seines Freundes Isenmann, von der er auch 10 Kinder erhielt. Kaum hatte in demselben Jahr Herzog Christoph die Regierung angetreten, so berief er Brenz in seine Nähe, erst auf das Schloß Ehningen, bald als Propst nach Stuttgart. Hier war es nicht bloß das Predigtamt, das ihn in Anspruch nahm; er war der treue Rathgeber des Herzogs in allen kirchlichen Angelegenheiten. Vor allem arbeitete er das württembergische Glaubensbekenntnis; aus, das Christoph 1552 der Kirchenversammlung zu Trient vorlegte und später durch Brenz selbst dort vertheidigen lassen wollte. Allein trotz aller Höflichkeit, die Brenz erwiesen ward, wurde er nicht öffentlich vorgelassen, da es „den versammelten Vätern nicht gebühre, von denen Unterricht anzunehmen, die ihnen Gehorsam schuldig seien.“ Auch die wüttembergische Kirchenordnung von 1559, das Vorbild der chursächsischen von 1580 und so vieler andrer, ist wesentlich sein Werk. Seit Luthers Tod galt er nebst Melanchthon für das Haupt der deutschen evangelischen Kirche, und so ward er häufig berufen, um die vielfachen Lehrstreitigkeiten, besonders über die Abendmahls- und Rechtfertigungslehre, zu entscheiden. Daß er in den verschiedenen Zweigen seines Berufs auch traurige Erfahrungen zu machen, vielfachen Undank zu ernten hatte, kann nicht auffallen. Als einst ein fremder Prediger nach Stuttgart kam und Brenz predigen hörte, fand er die Kirche zu seinem Erstaunen leer, und theilte ihm nach dem Gottesdienst sein Befremden mit. Brenz führte ihn im Nachhausegehen an einen Brunnen und fragte seinen Begleiter: welches die schönste Tugend dieses Brunnens sei? und da dieser sie nicht anzugeben vermochte, erwiederte er: daß er stets Wasser gebe, es mögen Viele oder Wenige aus ihm schöpfen. Also müsse es der Prediger des göttlichen Wortes auch machen. In seinen letzten Jahren sehen wir ihn besonders thätig bei den Religionsverhandlungen in Frankreich, die Anfangs hoffen ließen, die evangelische Lehre werde Eingang im großen Nachbarreich erhalten. Allein bald sah Herzog Christoph, den der König von Navarra zum Vermittler angerufen, ein, daß er von den französischen Machthabern betrogen und die Sache des Evangeliums in Frankreich aufs Schnödeste preisgegeben sei.

Der Tod seines geliebten Landesherrn, 28. December 1568, mahnte den greisen Reformator an sein eignes nahes Ende. Schon 1566 hatte er beim Ausbruch der Pest sein Testament gemacht, in welchem er seine feste Ueberzeugung von dem göttlichen Inhalt der Bücher A. und N. T. ausgesprochen und der Lehre der Kirche nur soweit Werth beigelegt hatte, als sie mit jenen in Einklang stehe. Er dankte der göttlichen Gnade, daß sie durch Luther das rechte Licht wieder hatte hervorbrechen lassen. Insbesondere dankte er dem fürstlichen Hause Württemberg, das sich seiner in seinem Elend angenommen und bis an sein Lebensende ihn und seine Familie mit zahllosen Gutthaten bedacht habe, wofür Gott dasselbe in seinen Schutz nehmen und in rechter christlicher Erkenntniß erhalten wolle. Gegen das Ende des Jahres 1569 rührte ihn unter der Arbeit der Schlag. Zwar erholte er sich wieder etwas, aber im August 1570 kam ein heftiger Fieberanfall. Am 31. August genoß er mit seiner Familie und seinen Stuttgarter Amtsbrüdern das heilige Abendmahl, ermahnte diese zu christlicher Beständigkeit und Einigkeit, gedachte besonders des Abschieds des Ap. Paulus von den Ephesern und schloß mit den Worten des Ps. 133. Unter inbrünstigem Gebet zum Herrn entschlief er Montag den 11. September und ward am 12. in der Stifts-Kirche in der Nähe der Canzel beigesetzt. Diesen Ort hatte er kurz vor seinem Tod gewählt, damit, wenn etwa nach der Zeit jemand von dieser Canzel eine andre Lehre verkündigen wollte, er sein Haupt aus dem Grab erheben und ihm zurufen könnte: du lügst!

Brenzs Schriften wurden allenthalben geschätzt, theilweise selbst in fremde Sprachen übersetzt. Luther schätzte sie so hoch, daß er Brenz das Zeugniß giebt: keiner unter den Theologen habe die heilige Schrift so trefflich erklärt, als Brentius, also daß er sich oft verwundert über seinen Geist und an seinem eignen Vermögen verzweifle. Mit Beziehung auf den vierfachen Geist des Elias (1 Kön. 19.) hatte Luther geäußert, ihm sei der Sturmwind zu Theil geworden, der Berge zerreiße und Felsen zerschmettre, während Brenzs Geist dem sanften Säuseln der Luft gleiche. Zwanzig Jahre nach seinem Tod schloß der katholische Pfarrer zu Oettingen dem Diakonus Wolfart von Cannstatt, als von den Reichthümern der Mönche die Rede war, eine große Kiste auf und zeigte ihm die Werke von Brenz mit den Worten: das sind meine Schätze, die ich höher schätze, als alles Gold!

I. Hartmann in Tuttlingen.

Die Zeugen der Wahrheit
Dritter Band
Piper, Ferdinand (Herausgeber)
Verlag von Bernhard Tauchnitz
Leipzig 1874