Pierre Mauru

Pierre Mauru

Der Gefährte von Louis de Marolles und Isaac Le Febvre

Unbegreiflich ist die Geduld dieses Bekenners Jesu Christi, in dem Gott die ganze Herrlichkeit der Reichtümer seiner Gnade entfaltet.
Isaac Le Febvre über Pierre Mauru.

Man zählte das Jahr des Herrn 1686. Über der Rhonestadt Marseille lag die Glut der nachmittäglichen Augustsonne. Erloschen schien alles Leben. Kein Laut war hörbar, kein Hämmern und Klopfen arbeitender Menschen, bis auf einmal ein Klirren von Ketten, vermischt mit dumpfen Kommandorufen, die Stille durchschnitt und die düsteren engen Gassen mit neugierigem Volk belebte. Schon nahte sich langsam, angetrieben von fluchenden Offizieren, ein Zug von nackten Männergestallten: ein grauser, jammervoller Anblick: je ihrer zwei waren durch eine um ihren Hals geschlungene Kette zusammengekoppelt, gleich Zugtieren. Durch die Querketten der Männerpaare lief eine lange, weit schwerere Leitkette, die all diese hundert Menschen während der wochenlangen Fahrt ans Meer bei Tag und Nacht verband. Das war, was man damals „une chaine“ hieß, eine Kette, d. h. ein Transport von Gefangenen, zum Dienst auf den königlichen Galeeren Verurteilten. In der Mehrzahl waren es gemeine Verbrecher, die da Weg und Fahrt nach Marseille zum mühseligen Ruderdienst antraten – denn die Reise ging zum größten Teil zu Fuß, und nur von Lyon bis Valence auf den Wellen des Stromes. Zwischen den Verbrechern aber gingen immer auch andere, denen Mut und edler Sinn auf der Stirn geschrieben standen, Männer, die ihre Treue zu ihrem reformierten Glauben in jahrelanger, unsäglich harter Sklavenarbeit und oft genug mit dem Opfer ihres Lebens besiegelten. Auch in der Kette jenes Augustabends im Hafen von Marseille gingen drei dieser Edlen, deren Leiden und Glaubensmut uns von Augen- und Ohrenzeugen in Briefen und Berichten überliefert sind: Lois de Marolles, angesehener königlicher Beamter, der erste um seines Glaubens willen vom Pariser Parlamente zum Galeerendienste Verurteilte, neben ihm Isaac Le Febvre, hervorragendes Mitglied eben dieses Parlamentes, beides Männer von umfassender Bildung und tiefer Frömmigkeit. Und der Dritte, ein schlichtes Kind des werktätigen Volks, Pierre Mauru, doch gleich jenen beiden ein Mensch von unerschütterlichem Glaubensgehorsam. Von ihm wollen wir an Hand der auf uns gekommenen Berichte auf den folgenden Blättern erzählen.

Pierre Mauru wurde um 1656 zu Loisy-en-Brie geboren als Kind rechtschaffener und begüterter Eltern. Einer seiner Gro0väter soll Metzger gewesen sein. Ob auch Pierre diesen Beruf ausgeübt, steht nicht fest, wie wir denn wenig über seine äußeren Lebensumstände wissen. Im März 1686 wurde er bei Pont-sur-Seine in der Franche-Comté verhaftet. Die Nähe der Schweizer Grenze legt die Vermutung nahe, daß Pierre Mauru im Begriffe stand, das Königreich zu verlassen, um auf freien Schweizer Boden zu flüchten, wie vor und nach ihm Abertausende taten, nachdem den Reformierten durch den Rückruf des Toleranzedikts von Nantes im Weinmonat 1685 die Ausübung ihres Bekenntnisses unmöglich gemacht worden war. Aus dem Kerker von Versaoul wurde Mauru nach Dijon und von dort nach Besancon übergeführt und daselbst am 5. Mai 1686 zu lebenslänglicher Galeerenstrafe verurteilt. Er zählte damals 30 Jahre und war noch Junggeselle. Gewiß wurde auch ihm von seinen Richtern nahegelegt, seinen Glauben abzuschwören und sich durch den Anschluß an die römische Kirche frei zu machen. Aber solchen Stimmen waren seine Ohren verschlossen. Ein Ungenannter unter den Gefährten seines Kerkers erzählt uns, wie wenig das über ihn verhängte Urteil ihn zu erschüttern vermochte. Er hätte im Gegenteil gefürchtet, nicht verurteilt zu werden. Warum gefürchtet? Mauru gesteht es n einem Briefe an seinen Leidensgefährten Le Febvre: Es war die Sorge, aufs Neue in die Welt und ihre nichtigen Dinge verflochten zu werden, wenn ihm ein Freispruch die Rückkehr in die Welt auftun würde. Mehr als zwei Monate waren die beiden Mauru und Le Febvre, im selben Gemach des Kerkers zu Besancon gelegen. „Wir nahmen“ – so erzählt Le Febvre – „unsere Speise mit Freude und Einfalt des Herzens. Ich fühlte mich so wohl in meinem Kerker. Würde der Herr meine Bitte erhört haben, ich hätte daselbst meine Tage beendet. Doch meine Freude glich in nichts der Freude dieses ungewöhnlichen Mannes. Meine Kräfte waren schwach, verglichen mit den seinen, und mein Glaube war seinem Glauben nicht an die Seite zu stellen, noch mein Eifer seinem Eifer. Ich war immer ein großer Sünder, Pierre Mauru ein großer Heiliger. Ich habe bisweilen an meiner Standhaftigkeit gezweifelt, niemals aber an der von Pierre Mauru.“

Als er nun mit Le Febvre in den von Paris kommenden Transport – eben in die „Kette“-eingereiht wurde, da blieb er nicht nur treu im tapferen Tragen der täglichen Mühsale der beschwerlichen Reise – er erwies sich auch seinen Gefährten als hingebener Kamerad. Mauru wurde mit einem andern Glaubensgenossen, Philippe le Boucher, zusammengekettet. Als dieser unter dem Gewicht der Ketten zusammenzubrechen drohte, kam ihm der weit robustere Mauru zu Hilfe mittels eines am Wege abgebrochenen Baumastes nahm dieser die ganze Last der Kette auf seine Schultern und trug sie so auf dem langen, weiten Weg durch die Gluten der Sommerwochen.

Endlich brach der Tag an, da die Kette ihr Ziel, Marseille, erreicht hatte. Und nun begann der eigentliche Leidensweg durch zehn Jahre harten Dienstes und unerhörter Qualen.

Die Leidenschaft mit der Mauru an seinem Glauben hing, konnte nicht lange verborgen bleiben. Die Sträflinge des einen und des andern Bekenntnisses wurden bald Zeugen und Bewunderer seiner Geduld im Leiden. Kein Mittel blieb unversucht, Maurus Treue zu erschüttern. Zuerst ließ der Kommandant der Galeere, auf der die Neulinge in ihren Dienst eingeübt wurden, Mauru durch den Pater, den Seelsorger des Lagers, seiner Bücher berauben. Dann übergab er ihn in die Hände von Priestern, die ihre ganze Beredsamkeit und viel List und Kunst an ihn verschwendeten. Niemand als diese geistlichen Sendboten durften mit Mauru verkehren. Umsonst! Nun bot ein Brief, der Mauru von seinen Verwandten zugeschickt wurde und der in die Hände des Kommandanten fiel, Vorwand zu neuen Anschlägen. Der Hauptmann gab Befehl, Mauru auf eine besondere Bank zu setzen und ihm zur Seite zwei Kerle mit zwiefachem Auftrag, den einen, ihn auszuhorchen, den andern, ihn zu beschimpfen und mit sinnlosen Arbeiten zu quälen, um so seine Langmut zu erschöpfen. Doch Mauru bestand die listige Probe. Sie erschöpfte wohl die Grausamkeit der Peiniger, aber sie erschöpfte ihn selber nicht. Ja sie wirkte mehr als dies: sie wandelte die Wut der Peiniger in Milde und Menschlichkeit. Der Mann, der ihm zur Seite saß, um ihn zu beschimpfen und mit sinnloser Arbeit zu erschöpfen, wurde sein Freund. Durch ihn empfing Mauru in der Folge die Mittel, um Briefe schreiben zu können.

Zu früh entdeckte man diese wunderbare Verwandlung. Man wechselte Bank und Mannschaft, doch mit der gleichen Wirkung: die Feinde wurden zu Freunden. Was die Geistlichen nicht vermocht, hoffte ein Unteroffizier fertigzubringen. Man übergab Mauru in seine Gewalt unter der einen Bedingung: daß er sein Opfer nicht zu Tode quäle. So gebar jeder Tag neue Qualen. Heute mußte Mauru für alle Bänke das Trinkwasser bringen, morgen ward er gezwungen, die Galeere rein zu fegen. Die geringsten Versehen wurden mit unbarmherzigen Schlägen geahndet. Aber damit war die Erfindungskraft seiner Peiniger noch nicht erschöpft. Die Schlimmsten unter den Mohren und Türken, die auf der Galeere dienten, wurden Mauru zugesellt mit der Wirkung, daß sich die ärgsten Beschimpfungen in Erweise menschlicher Gefühle und Taten umwandelten. Nichts wollte verfangen. Umsonst, daß der Scherge rostige Eisengeländer herbeischleppte, die Mauru sauber scheuern sollte, daß er ihm das karge Mahl stundenlang vorenthielt, daß er ihn zum Tragen schweren Tauwerks mit den kräftigsten Sträflingen zusammenkoppelte. „Doch Gott hatte mich“ – bekennt Mauru seinem Freunde Le Febvre – „mit Kraft ausgerüstet, alles mit Geduld, ja selbst mit Freude zu ertragen, beglückt, alle diese Dinge aus Liebe zu meinem Erlöser zu leiden.“ Endlich schien die Tortur ein unerwartetes Ende zu finden – für eine kurze Weile wenigstens. Mauru sollte ein Zelt flicken und verlor bei dieser Arbeit zwei Nadeln. Sie zu ersetzen fehlte ihm begreiflicherweise das Geld. Dies wurde ihm mit harten Schlägen heimgezahlt. Da kam just der Hauptmann dazwischen, lieh dem Ärmsten sein Ohr, fühlte ein menschliches Erbarmen und setzte der Mißhandlung ein Ende.

Aber es war nur die Stille vor dem Sturm. Eines Morgens wurden die Ruder auf die Galeere gelegt. Es galt, die Neulinge in der Handhabung der Ruder einzuüben. Links und rechts vom Laufgang, der sich der Länge nach mitten durch das Schiff hinzieht, stehen je 25 Ruderbänke, an jeder Bank sind fünf Forcats, wie die Sträflinge heißen, angekettet, die je eines der 40 Fuß langen Ruder im Gleichtakt heben und senken müssen in einer ungeheuren Anstrengung ihrer Leibeskräfte. Weh der Fünfschaft, die nur um einer Sekunde Raum aus dem Takt fällt-sie trifft mit dem eigenen Ruder die Vorderen und erhält den Schlag vom Ruder der Hinteren. Kapitän und zwei weitere hiezu Verordnete wachen über den Takt der Ruderer und hauen erbarmungslos auf die nackten Rücken der Fehlbaren ein. Sind die Winde günstig, dann ruhen die Ruder, und dann leisten Wind und Segel ihre Arbeit. Gilt es Eile, z. B. vor einem feindlichen Angriff oder auf der Flucht – dann wird die Mannschaft mit in Wein getauchten Biscuits traktiert. Kommt’s zum Kampf in einer Seeschlacht, dann ist der Forcat kein Mitkämpfer, sondern nur Rudermaschine und – Verdächtiger. Zwei Kanonen am Hinterteil der Galeere lassen jeden Versuch der Ruderer zur Meuterei im Keim ersticken -ein einziger Schuß kann die ganze Mannschaft hinwegfegen. Und nun stelle man sich diese 250 Mann vor: das Klirren ihrer Ketten, das Heulen ihrer Taktrufe, sofern ihnen der Mund nicht durch ein Stück Kork, das ihnen um den Hals hängt, gestopft ist. Ernest Lavisse, ein französischer Geschichtsschreiber von unbestechlicher Wahrheitsliebe, der uns das Leben auf diesen schwimmenden Höllen geschildert hat, beurteilt, daß die Barbarei kaum je etwas Barbarischeres erfunden habe als diese Galeeren, noch daß sich schlimmere Schrecken in der Geschichte der Sklaverei finden lassen.

In diese Fron wurde nun auch Pierre Mauru eingesetzt, und kaum daß er das Ruder handhaben konnte, fand er sich schon mitten auf einem Kriegszuge auf hoher See. Kurz und gewichtig sagt ein Bericht von Maurus Erlebnissen auf dieser Ausfahrt: die Härte der Arbeit und der Schläge führte ihn oft auf Fingersbreite an den Tod heran.

Am Tage seiner Rückkehr in den Hafen von Marseille fiel Mauru in heftige Fieber, seinen Peinigern willkommene Gelegenheit, ihn von neuem unter Druck zu setzen. Im Spital der Galeeren traf Mauru unverhofft auf den Gefährten der Kette, auf Philippe le Boucher. Groß war für beide die Freude des Wiedersehens, aber kurz nur die Zeit ihres Beisammenseins. Le Boucher erlag bald seinen Leiden. Mauru wurde, kaum genesen, von neuem auf die Galeere befohlen. Schon der erste Tag warf ihn wieder in Fieber. Von Weihnachten bis Ostern lag er krank auf der Galeere. Was mochte seinen Feinden willkommener sein? Jetzt mußte es ihnen gelingen, seine Treue zu erschüttern. „Man tat alles gegen mich“, erzählt Mauru selber in einem Briefe an Le Febvre, „in der Hoffnung, mich umzubringen, aber Gott wollte mich am Leben erhalten, um die falschen Propheten Lügen zu strafen“ – jene frommen geistlichen Sendboten -, „die vorausgesagt hatten, ich würde ihre Verwünschungen kein Jahr überleben. Auf den Fahrten auf dem Meer“ – so berichtet Mauru weiter-“gab es welche, die sich ein Vergnügen daraus machten, mich unaufhörlich schlagen zu lassen, vor allen andern aber der Hofmeister unseres Hauptmanns: er hieß dies, den Rücken Calvins mit Knüttelschlägen malen und fragte dann spöttisch, ob Calvin Kraft schenke zum Arbeiten. Und wollte er fortfahren mit Schlagen, dann fragte er, ob man Calvin nicht wieder seine Portion geben wolle. Wenn er mich täglich erschöpft sah von den Schlägen wie von der Müdigkeit, dann war es ihm eine Wonne. Und als er sah, wie ich die Augen zum Himmel erhob, spottete er: Gott erhört die Calvine nicht, sie müssen ihre Portion leiden, bis sie tot oder bekehrt sind.“ – Waren Aufseher, Offiziere und Geistliche voller Grausamkeit und Herzenshärte, so erwiesen ihm die übrigen Sträflinge nach ihren schwachen Kräften Hilfe und Wohltaten. „Und mitten in diesen Nöten ließ mich Gott“, so fährt Mauru in seinem Briefe weiter, „nicht ohne Trost. Und endlich, bald würde dies enden, und die Freude bei Gott zu sein würde mich alle Not vergessen lassen. Und wirklich, als ich etwas Ruhe fand, über die Worte des ewigen Lebens nachzusinnen, ward mein Herz voller Freuden. Und als ich meinen Leib zermartert sah, sagte ich das sind die Wundmale, die Sankt Paulus an seinem Leibe zu tragen sich freute (Gal. 6, 17). Nach allen Fahrten bin ich in Krankheit gefallen, und als ich nicht mehr in der Arbeitsmühsal drin war und nicht mehr in der Angst der Schläge, fand ich Zeit nach Herzenslust zu beten und meinem Gott Dank zu sagen, daß er mich durch seine Güte getragen und mich mit seinem Geiste gestärkt.“

Leider klafft in unseren Berichten just da eine Lücke, wo von den Erlebnissen der späteren Meerfahrten Maurus erzählt war. Doch sind wir für diesen Verlust reichlich entschädigt durch Briefe zwischen ihm und seinen Freunden, die gleich ihm auf Galeeren oder in Kerkerlöchern litten. Unermüdlich ermahnt er seine Freunde zur Treue im Glauben zur Geduld in den schwersten Prüfungen, zur vollkommenen Ergebung in Gottes Willen. Und weil diese Mahnungen aus dem Herzen eines Mannes kamen, der all das, was er die andern zu tun ermahnte, selber in beispielloser Größe übte und lebte, mußten sie auch zu Herzen gehen und Frucht tragen. Wir können es uns nicht versagen, einige Worte aus diesen Briefen hier hinzusetzen.

„Meine Gesundheit ist dahin und meine Gefangenschaft wird nicht mehr lange währen. Doch bin ich durch Gottes Güte immer fröhlich in Hoffnung und harre in Geduld auf ein glückliches Ende aller Dinge, die mir widerfahren können, unerschütterlich gegründet im Glauben, daß denen, die Gott liebhaben, alle Dinge zum Guten mitwirken müssen. – Seit der Rückkehr von unserer Fahrt haben mich die Schläge, die ich erhalten habe, so geschwächt, daß ich beinahe ohne Kraft bin. Doch da Gott es ist, der dies alles zuläßt, verehre ich seine göttliche Vorsehung. – Wir wollen diesen gütigen Gott liebhaben in kindlicher Liebe. Wir wollen leiden, ohne gegen ihn zu klagen. Er handelt mit uns wie mit seinen Kindern. Er hilft uns mit den Tröstungen seines Geistes in unseren Nöten und Anfechtungen und gibt uns die Gewißheit, daß diese Tage der Schmerzen bald enden werden und daß wir am Ende der Laufbahn, die uns bestimmt ist, ewige Freuden finden. Wir wollen auf Jesus schauen und uns mit all unseren Kräften nach seinem vollkommenen Bilde formen. Er ist getreu und hält was er uns versprochen. Wir wollen bis zum Ende den guten Kampf kämpfen und das köstliche Erbe des Glaubens festhalten. Unser Leben währt nur eine Weile; wer es verliert für Jesus Christus, findet es im Verlieren. Wer den Tod nicht fürchtet liebt das Leben nur so weit, als es vielleicht nützlich ist zur Ehre Gottes und zum Bau seiner Kirche.“

Man darf, liest man diese Bekenntnisse, nicht vergessen, daß der, der sie schrieb, sie nur unter den denkbar größten Mühen zu Papier bringen konnte, denn er vermochte nicht vier Zeilen nacheinander zu schreiben und konnte kaum noch einmal durchgehen, was er geschrieben hatte. Kein Wort floß aus seiner Feder, das nicht die Späher wecken konnte, die ihn überall mit argwöhnischen Augen verfolgten. „Ich bin so nah bei einem meiner Aufseher“, schreibt er einmal, „daß ich ihn von dem Platze aus, da ich sitze, berühren könnte. Er hofft mich für drei Krüge Weins zu verraten, die ihm der Kapitän versprochen hat für das kleinste Billet, über dem er mich erwischen könnte.“ Bisweilen schien die Wachsamkeit nachzulassen. Geschah es aus Wohlwollen, geschah es aus listiger Berechnung, um Maurus eigene Wachsamkeit einzulullen und ihn dann um so sicherer über dem verbotenen Schreiben zu überraschen? Wie dem auch sein mag, einer solchen Zeit verdanken wir einen der schönsten Briefe Maurus, gerichtet an Le Febvre, der ihn um Mitteilung seiner Erlebnisse gebeten hatte. Nur mit Widerstreben erzählt Mauru in diesem Briefe von seiner Standhaftigkeit in den endlosen Fahrten auf Galeeren und in Kerkern. Denn alles Selbstlob und alles Haschen nach Ansehen bei den Menschen lag diesem schlichten, demütigen Manne fern. „Ich weiß daß ich rein nichts bin; wenn es da irgend Ruhm und Lob gibt, so ist Gott dessen Urheber, dem sie allein erwiesen werden müssen, denn ich bin die Schwachheit selber und ein reines Nichts, aber Gott hat seine Kraft in meinen großen Schwächen vollendet.“ Eines Tages überraschte man ihn wirklich mit der Feder in der Hand. Mauru hatte erst wenige Zeilen geschrieben, die er ins Meer warf, als sie ihm der Aufseher entreißen wollte. Man droht, ihm an einen andern Platz zu setzen, wo man ihn ständig beobachten könne. Mauru saß etwas abseits und empfand diesen Platz als große Gunst, wie eine Stätte der Zuflucht. Schließlich wurde ihm wirklich alles, was er besaß, Bücher, Papier, Feder und Tinte, entrissen und seine Blätter, wie der Geistliche ihm sagte, an den Hof geschickt. Doch Mauru tröstete sich: „Meine Feinde können mich nicht hindern mein Herz zu Gott zu erheben und mich zu freuen, daß ich schließlich alles, was man mir antut für seine Sache und aus Liebe zu ihm leide.“

Immer wieder mußte Mauru an die Ruderbank und mit der Flotte aufs offene Meer hinaus, durch Sturm und Not und neue Mühsale. Keine Krankheit sicherte ihn davor. Schließlich kam doch der Tag, da er nicht mehr rudern konnte. Große Schwäche hatte ihn befallen. Es war im Jahre 1695. Die ihn liebhatten, konnten sich nur freuen im Gedanken, daß er bald am Ende seiner leidvollen Tage stünde. Und doch fühlten sie wohl, was sie an ihm für immer verlieren würden: einen Kameraden. dessen Glaube Geduld und Standhaftigkeit sie jederzeit erbaut und gestärkt hatten. „Wenn wir Grund haben Gott zu danken für die Gesundheit, die er einigen unserer Opfer schenkt, so sind wir anderseits betrübt über das Befinden unseres Mauru. Seine Schwachheit bedroht ihn mit einem raschen Ende. Betet für diesen geliebten Bekenner, der durch seine Worte und Taten gepredigt hat. Er ist uns ein Beispiel der Geduld und Sanftmut.“

Wie aber empfand Mauru selber seinen Zustand? Le Febvre, der zu jener Zeit selber im Spital der Galeere krank darniederlag, berichtet es in einem Briefe: „Als man ihm offenbarte, daß sein Leiden unheilbar sei, erwiderte er: Ich bin über meine körperliche Schwäche nicht betrübt. Im Gegenteil: ich bin viel ruhiger als damals, da ich noch gesund war. Nun ist’s zu Ende, daß ich in die Hand der Schrecklichen ausgeliefert bin. In meinem gegenwärtigen Zustand können sie mich nicht mehr lange quälen.“ Er sah richtig. Am Tage nach Neujahr 1696 wurde er zum letztenmal von der Galeere ins Spital getragen. Er hatte seine Lungen beinahe ausgehustet. Er vermochte kaum mehr zu atmen, geschweige zu sprechen, und gab doch noch tausend Zeichen des Glaubens, der Hoffnung und Liebe worüber seine Verfolger und Henker schier bersten wollten, besonders die bekehrungseifrigen Missionare über ihre nutzlosen Mühen. „Er ist in so große Schwäche gefallen, daß er seinen Freunden kaum mehr das letzte Lebewohl sagen konnte. Er liegt im Spital kraft- und wortlos“, liest man im Briefe eines Freundes. Und im Brief eines andern: „Er ist völlig erschöpft. Doch der Zustand seiner Seele könnte nicht besser und wunderbarer sein. Wir sind mächtig getröstet und erquickt, ihn in diesem Zustande zu sehen, so traurig auch der seines Leibes ist.“

In der Nacht vom 11. auf den 12. April 1696 durfte Pierre Mauru seine Seele Gott zurückgeben. Für seinen zermarterten Leib hatte ein Freund einen Sarg gezimmert. Schon war der Leichnam darin geborgen, als einer der Seelsorger des Spitals dazwischenkam und Lärm schlug: Leute dieser Art dürften nicht in einem Sarg bestattet werden, sondern verdienten, auf den Schindanger geworfen zu werden. So wurde der Leichnam wieder aus dem Sarg gerissen. Einem Edelmann und Forcat katholischen Bekenntnisses verdanken wir aus zwei Briefen an den ältesten der drei Brüder Serres diese Züge aus den letzten Tagen Pierre Maurus. „Sie haben erfahren, daß er diese Nacht gestorben ist. Ich glaubte nicht, daß es schon so weit wäre. Denn als ich ihn gestern besucht hatte, sprach er mit der gleichen Kraft wie früher. Ich überbrachte ihm Ihren und Ihres Bruders Wunsch, Nachrichten von ihm erhalten zu dürfen, d. h. einen Brief von seiner Hand. Er versicherte mir, daß er außerstande sei, vier Zeilen nacheinander zu schreiben, und bat mich, ihn beim einen und andern zu entschuldigen, ihnen für ihre Anteilnahme zu danken und ihnen zu sagen, daß er der Stunde des Herrn mit Ergebung entgegensehe.“

In ihm, so urteilte Isaac Le Febvre, entfaltete Gott die ganze Herrlichkeit seiner Gnade.